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Chicks on Speed
Ich schmiss mein Bein nach vorne und haute den Sand mit der Kralle nach hinten weg. Sieh da, ein fetter, glänzender Regenwurm! Geschickt verdeckte ich ihn mit meinem Körper und versenkte den Schnabel in die Erde. Dieser Wurm gehörte mir allein. Konnte ich auch nichts dafür, dass ich immer so ein Näschen für die besten Stellen hatte. Abends auf der Stange würden die anderen Drei sowieso wieder behaupten, sie hätten den dicksten Wurm gefunden. Und genauso war‘s. Mandy machte einen auf Oberwurmfinderin, woraufhin Berta und Oma Kalkbein total beeindruckt waren. Ich gähnte extra laut und war schon fast am Einpennen, als die Mandy noch was anderes erzählte.
„Ich glaube, die Hansens wollen unseren Schrebergarten abgeben. Da waren Leute.“
Die anderen fingen an zu gackern und ich sprang auf die Füße. „Was? So'n Quatsch. Wann sollen die denn dagewesen sein?“
Mandy schnaubte. „Tja, Petra, kriegst halt nix mit. Warst bestimmt wieder beschäftigt, deinen Wurm vor uns zu verstecken.“ Innerlich reservierte ich mir einen Schnabelhieb für sie. „Nun red schon, was haben die gesagt?“
„Die wollen den Garten übernehmen und den Hansens das Gartenhaus abkaufen. Und dann haben sie eine Zahl gesagt und dann ist der Hansen ganz aufgeregt gewesen. Die Frau Hansen hat gesagt, sie will nicht, aber der Hansen hat gesagt, das Geld können sie gut gebrauchen und die Gartenarbeit wird jetzt sowieso zu viel für sie.“
„Versteh ich“, sagte Oma Kalkbein, „die Hansens sind auch nicht mehr so frisch.“
„Ja und was wird dann mit uns?“, stöhnte Berta.
„So, jetzt kommt's“, sagte Mandy. „Als die Hansens weg waren, standen die noch da und haben immer zu unserem Stall hingeguckt und gesagt, 'ne schöne Hühnersuppe würde da wohl auch noch bei rumkommen.“
„Nein!“
„Ja. Die würden sie dann zur Feier des Tages essen. Und dann haben sie bösartig gelacht, so, hahaha.“ Mandy lachte schaurig und Berta schrie: „Hör auf! Ich kann das nicht ab!“
Dann fing sie an zu heulen.
Als es ganz dunkel war, kamen die Ratten. Nächtelang hatten sie sich durch den Fußboden genagt. Ich hatte sie beim Einschlafen gehört und beim Aufwachen. Wenn eine von ihnen über Kieferschmerzen klagte, war eine andere eingesprungen. Und jetzt spazierten sie jeden Abend bei uns rein und schlugen sich die Bäuche voll mit unseren Körnern. Meistens schliefen wir dann schon. Aber heute Abend hielt ich mich wach, indem ich das Gewicht von einem Bein auf das andere verlagerte. Endlich schob sich die erste Ratte durch die Öffnung.
„Hey Ratte“, flüsterte ich. „Ich will dich was fragen.“
Sie witterte zu mir hoch. Ihre Augen glitzerten im Mondlicht, das durch das kleine Stallfenster schien. Einen Moment lang dachte ich, sie würde nicht antworten, aber dann hörte ich ihre heisere Stimme: „Schieß los.“
„Weißt du was über diese Leute?“
„Leute ...“
„Na die, die heute da waren. Mit den Hansens.“
Die Ratte hatte sich in den Schatten zurückgezogen. Angestrengt versuchte ich, sie im Dunkeln zu erkennen.
„Könnte sein“, sagte sie schließlich.
„Nun red schon. Stimmt es, dass die unseren Garten kaufen wollen?“
„Was ist dir die Info denn wert?“
Ich plusterte mich auf. „Du spinnst wohl. Ihr fresst sowieso schon unser ganzes Futter.“
Oma Kalkbein redete plötzlich im Schlaf was von Angreifern aus der Luft und ich blieb stocksteif stehen.
Als sie sich beruhigt hatte, reckte ich wieder den Hals. „Ratte, bist du noch da?“
„Klar doch. Ich rühr mich hier erst mit vollem Magen weg. Hehe.“
„Also was ist denn jetzt mit den Leuten?“
„Tomaten wollen die jedenfalls nicht züchten. Mehr sag ich dazu nicht.“
Danach konnte ich flüstern, wie ich wollte, ich hörte sie und ihre Familie nur noch schmatzen.
Sobald am nächsten Morgen die elektrische Klappe hochsurrte, passierte das Gleiche wie immer: Mandy und ich rannten los, bis wir gemeinsam in der Luke stecken blieben. Ich versuchte, ihr ein Bein zu stellen. „Lass mich durch.“
Sie strampelte. „Ist doch dein Hintern, der im Weg ist. Mach Platz jetzt.“
„Vergiss es, du Kuh!“
Unter dem Verlust einiger Federn kamen wir schließlich durch und machten ein Wettrennen zum Kompost. Ich hatte Pech, weil ein Eimer im Weg stand, und so flatterte Mandy als Erste auf den Behälter. Sie krähte, was das Zeug hielt.
Ich lachte höhnisch zu ihr rauf. „Völlig schief!“
„Halt den Schnabel“, rief sie.
„Ihr nervt“, sagte Oma Kalkbein.
„Als wenn wir jetzt nicht ganz andere Probleme hätten“, heulte Berta.
Da fiel es mir wieder ein. Die Leute. Der Garten. Die Ratten.
„Kräh du weiter“, rief ich Mandy zu. „Ich muss mich um Wichtigeres kümmern.“
„Da hinten kommt wer.“ Mandy hüpfte auf und ab. „Die Hansens mit den Hühnermördern.“
„Oh, Gott, ich falle gleich in Ohnmacht.“ Berta taumelte, aber als sie merkte, dass noch nicht mal Oma Kalkbein guckte, blieb sie stehen.
„Was siehst du?“, rief Oma.
„Sie kommen näher. Sie gucken zu unserem Stall rüber.“
Ich nahm Anlauf und landete neben Mandy.
„Sie kommen“, schrie ich.
„Sag ich doch.“ Mandy hüpfte vom Behälter. „Ich geh mal näher ran.“
„Aber vorsichtig.“ Ich flatterte hinterher. „Wir dürfen uns nichts anmerken lassen.“
„Ach, die halten uns sowieso für bescheuert“, sagte Oma Kalkbein.
„Ich geh nicht mit“, heulte Berta. Dann kam sie doch mit, weil Oma nicht bereit war, mit ihr zusammen zurückzubleiben. Außerdem war klar, dass acht Hühneraugen mehr sehen würden als vier. Wir näherten uns unauffällig pickend. Schon von weitem hörte man die Frau gackern, auf eine falsche Art. Menschen gackern normalerweise, wenn sie was lustig finden, aber die fand nichts lustig. Ich habe Menschenkenntnis und ich sage, diese Mörderin gackerte, weil sie wollte, dass die Hansens sie toll finden. Ich kackte ihr direkt vor die Füße.
„Ach guck mal, wie süß, die Hühner.“ Sie kniff den Mann und er sagte schnell: „Ja, klar, die Hühner, Alter, da freuen wir uns richtig drauf. Eier und so.“
Frau Hansen schüttelte den Kopf. „So viele Eier legen sie gar nicht mehr. Wir dachten eigentlich, wir lassen sie noch zu Ende leben. Auch wenn sie nicht mehr legen.“
„Aber die legen doch noch“, sagte Herr Hansen. „Die einzige, die keine Eier mehr legt, ist Oma Kalkbein.“
„Die kriegt Gnadenbrot, die Oma“, rief der Mann und jetzt gackerten sie alle, bis auf Frau Hansen.
„Mein schönes Gemüsebeet. Und der Pflaumenbaum trägt erst seit letztem Jahr. Es gibt doch hier noch mehr freie Gärten. Ganz am Eingang zum Beispiel. Muss das ausgerechnet dieser hier sein?“
Jetzt gurrte die Frau wie eine Taube: „Och, Frau Hansen, wir haben uns doch nun mal genau in Ihren Garten verliebt. So hübsch, gleich am Waldrand gelegen. Und Sie haben doch selbst gesagt, er macht ne Menge Arbeit.“
„Das hat mein Mann gesagt, nicht ich.“
Herr Hansen stubste seine Frau. „Mensch Rosi, wir haben das doch alles schon besprochen.“
Und der Mann sagte: „Ich schätze mal, so viel Kohle kriegen Sie für das bisschen Unkraut hier auch nicht nochmal geboten.“
Frau Hansen zuckte zusammen. „Hier ist kein Unkraut.“
Die Frau redete auf einmal ganz viel, wie tiptop gepflegt der Garten sei und gar kein Unkraut und so, aber die Frau Hansen sah immer noch aus, als würde ihr ein Ei quer sitzen. Schließlich sagte ihr Mann: „Ich würde gerne mal kurz mit meiner Frau alleine sprechen.“
„Aber selbstverständlich“, sagte die Hühnermörderin. „Wenn es recht ist, schauen wir uns solange ein bisschen um.“
Und so gingen sie auseinander, die Hansens nach rechts, die Hühnermörder nach links. Ich reagierte schnell: „Okay, Berta und ich folgen den beiden, Mandy und Oma, ihr bleibt den Hansens auf den Fersen. Beeilt euch.“
Mandy blieb stehen.
„Was ist?“, fragte ich. „Hast du nicht verstanden?“
Sie plusterte sich auf. „Kannst du mal aufhören, uns so rumzukommandieren? Du glaubst wohl, du bist hier die Anführerin.“
„Ja, wer denn sonst? Du etwa?“
„Warum nicht?“ Ihre Augen blitzten.
Ich lachte. „Haha, sehr witzig. Du bist bloß neidisch, weil ich schlauer bin als du.“
„Geht das wieder los? Weißt du noch, als du im Ei neben mir gelegen hast? Da hast du schon genervt. Die ganze Zeit hast du rumgepiepst, was für ein Megahuhn aus dir wird.“
„Stimmte ja wohl auch. Wer ist denn als Erste aus dem Ei geschlüpft? Na?“
„Na du, weil du nicht abwarten konntest, bis du richtig reif warst. Das merkt man heute noch.“
„Ich glaube, es hackt!“, schrie ich und nahm Anlauf, um ihr eine zu verpassen. Doch sie flatterte im letzten Moment zur Seite und ich schoss an ihr vorbei. Dann umkreisten wir uns eine ganze Weile und beschimpften uns.
„Ups, guck mal“, sagte sie plötzlich.
Die Hansens standen beim Eingang und tuschelten, während Oma zu ihren Füßen döste. Und die Hühnermörder schlichen um unseren Stall herum, gefolgt von Berta, die mit eingezogenem Kopf hinter ihnen herstolperte.
Wir sahen uns nicht mehr an. Mandy rannte zu Oma, ich zu Berta.
Aber die Hansens kamen uns schon entgegen.
„Wir wären dann so weit“, rief er und dann gingen sie alle vier in die kleine Gartenlaube und machten uns die Tür vor der Nase zu. Einen Moment standen wir so herum.
Schließlich räusperte ich mich. „Tja, dumm gelaufen. Was hast du denn nun gehört, Oma?“
„Ja, nicht viel“, sagte Oma. „Ich konnte ja fast nichts verstehen. Nebenan lief der Rasenmäher.“
„Das lag nicht am Rasenmäher“, sagte ich. „Du hörst nicht mehr so gut.“
„Und was hast du gehört, du freches Ding?“, fauchte Oma. „Ihr musstet ja hier rumstreiten, anstatt uns zu helfen. Ich habe heute Migräne bis in den Kamm und hab trotzdem mein Bestes gegeben.“
Ich wollte schon sagen, dass Mandy angefangen hat, aber da nickte Mandy. „Du hast recht, Oma, das war blöd von uns. Wir müssen jetzt zusammenhalten, sonst sind wir verloren.“
„Genau“, heulte Berta. „Verloren!“
So, wie sie aussah, hatte sie bestimmt vor lauter Angst nichts mitbekommen. Aber ich irrte mich.
„Die Frau hat gesagt, er solle jetzt bloß den Mund halten und sie reden lassen. Sie würden noch mehr Geld oben drauf legen und dann wäre die Sache geritzt. Und er sagte: ‚Noch mehr?' Und sie sagte: ‚Ist doch piepegal. Hinterher sind wir reich.' Und dass das jetzt schnell passieren muss, weil die Leute vom Schrebergarten nebenan bald in Urlaub fahren und das wäre ideal.“
„Wofür ideal?“ fragte Mandy.
„Weiß ich doch nicht. Dann kamen die Hansens wieder an. Aber vorher haben sie mich noch beleidigt. Der Mann hat zu mir gesagt: ‚Na, du Hühnerfrikassee?' “
Wir wurden alle ganz still. Bis Oma rausplatzte: „Ach, jetzt weiß ich noch was, was die Hansens gesagt haben. Ich hatte ein kleines Nickerchen gemacht und als ich wieder aufwachte, da sagte die Frau Hansen gerade: ‚Na gut.'“
„‚Na gut', was?“, fragte Berta.
Mandy und ich sahen uns an. Dann sagte Mandy langsam: „Das ist doch wohl sonnenklar.“
In dieser Nacht konnte ich nicht einschlafen. Immer stellte ich mir den Mann vor, sein Gesicht und wie er sagte „Hühnerfrikassee“. Als die Ratten kamen, beachtete ich sie gar nicht. Dann hörte ich einen leisen Pfiff: „Hey, du Flattervieh.“
Erst wollte ich gar nicht antworten.
„Was ist?“, fragte ich schließlich.
„Pass mal auf, Kleine“, sagte die Ratte. “Da gibt es was, was euch vielleicht interessieren könnte.“
„Aha.“ Ich tat so, als suchte ich in meinem Gefieder nach einer Laus.
„Hat vielleicht was mit den Leuten zu tun, die den Garten kaufen wollen.“
„Was denn?“ Plötzlich war ich hellwach.
„Sagen wir, ihr hinterlegt uns morgen drei Eier und wir kommen ins Geschäft.“
„Wie? Was? Was für ein Geschäft? Wir legen unsere Eier immer hier ins Nest.“
„Genau. Und die Hansens sacken die dann ein. Morgen macht ihr das anders. Ihr sucht euch draußen ein schönes Plätzchen, legt da eure Eier ab und am Abend verrate ich dir, warum die Hühnermörder euren Garten haben wollen.“
„Draußen können wir keine Eier legen. Das haben wir noch nie gemacht.“
„Einmal ist immer das erste Mal“, sagte die Ratte.
Für Berta war es am Schlimmsten. Ich glaube, es war ihr peinlich. Beim Eierlegen ist man gerne für sich. Man braucht Ruhe. Man muss sich konzentrieren. Und im rechten Moment loslassen. Und draußen im Gebüsch, wo jeden Moment irgendwer ankommen kann, ein Spatz, eine Katze, was weiß ich, das ist scheußlich. Dennoch war Mandy erstaunlich schnell einverstanden. Und Oma war sowieso nicht betroffen, die war auch dafür. Also hockten wir zu dritt um Berta und schirmten sie ab.
„Ich kann nicht!“ Bertas Kehllappen zitterte. Ich wollte schon sagen, sie solle sich zusammenreißen, da sagte Mandy:
„Sag das nochmal, ganz laut!“
„Ich kann nicht!“ Berta fing an zu heulen.
„Lauter!“, rief Mandy und ich dachte, jetzt ist sie verrückt geworden.
„Ich kaaaaaaaaaaann nicht!“, schrie Berta.
Und dann ließ sie es raus. Das Ei.
Wir feierten alle. Sogar Oma Kalkbein gackerte, was das Zeug hielt. Wir gackerten anders als sonst, wild und verwegen und laut. Wie unsere Vorfahren, die Urhühner, hatten wir unter freiem Himmel, ausgesetzt den Kräften der Natur unsere Eier in ein Nest aus Blättern gelegt und nicht mehr in die miefige kleine Holzhütte. Wenn wir das geschafft hatten, würde uns alles gelingen.
„Jetzt will ich Küken!“, rief Mandy.
„Hey, hey, langsam“, sagte ich, “die Eier sind für die Ratten.“
„Na und?“, sagte Mandy, „Wir können noch mehr Eier legen, wenn das Ganze hier rum ist.“
Dann waren wir einen Moment still.
Bis Berta sagte: „Aber noch ist es nicht rum.“
Und als die Hansens abends vorbeischauten und keine Eier im Stall fanden, als Herr Hansen sagte, das wäre doch ein super Zeitpunkt, die Hühner loszuwerden, da war die Stimmung in der Mauser.
Diesmal blieben wir alle wach, bis die Ratten erschienen. Nur Oma schnarchte leise.
„Lecker, eure Eier.“ Ich zuckte zusammen. Die Ratte hockte direkt unter mir auf dem Brett und leckte sich die Schnauze.
„Schön für dich“, sagte ich. “Jetzt bist du dran. Was wollen die Leute hier in unserem Garten?“
„Wie gesagt. Es hat nur vielleicht was mit den Leuten zu tun. Mehr habe ich nicht gesagt.“
„Ja, nun spucks aus. Was denn nun?“
„Langsam. Langsam. Also: Wir gehen davon aus, dass sie gar nicht am Garten interessiert sind.“
„An uns sind sie interessiert!“, schrie Berta.
„Ach ihr, ihr seid ne leckere Dreingabe. Nee, sie sind an dem interessiert, was unter der Erdoberfläche ist.“
„Würmer?“, fragte ich.
Die Ratte lachte.
„Glaub mir, da ist mehr unter der Erde, als euer kleines Hühnerhirn sich träumen lässt. Viel mehr.“
„Na was denn nun?“, schaltete sich Mandy ein. „Wir haben geliefert, wir wollen eine Antwort und keine Frechheiten.“
Gar nicht so schlecht die Mandy, dachte ich.
„Nun denn: Ein Meter unter diesem Haus liegt eine Plastikkiste. Die lag da schon, als sie die Hütte hier vor sechs Jahren drauf gesetzt haben. Das erzählen jedenfalls die Alten. Erst haben wir unsere Gänge drumherum angelegt, aber dann haben wir sie spaßeshalber mal aufgenagt.“
Die Ratte schwieg und ich schwöre, das machte sie absichtlich. Berta räusperte sich: „Was ist da drin?“
„Da drin ist ...“ Sie begann, sich die Schnauze zu putzen.
„Oder besser gesagt: „sind...“, flüsterte sie.
„Ein Schatz?“, fragte Oma, die offenbar aufgewacht war.
„Tüten“, sagte die Ratte, “lauter Tüten mit bunten Erbsen drin.“
„Na, das hilft uns ja nun gar nichts“, rief Berta in die Dunkelheit.
„Warte“, sagte ich. „Und weiter?
„Der Chef hat gesagt, wir sollen die Finger davon lassen und wir haben uns im Großen und Ganzen daran gehalten.“
„Und was soll das helfen?“, rief Berta wieder.
Ich rückte näher an die Ratte. „Im Großen und Ganzen? Wer hat sich nicht daran gehalten?“
„Ede. Konnte die Pfoten nicht davon lassen. Hat sich gleich drei Stück reingehauen.“
„Und was ist passiert? Mit Ede?“
„Ich sage nur soviel. Es war nicht schön. Und Ede weilt nicht mehr unter uns. Aus die Maus.“
„Oh nein!“, stöhnte Berta. „Das ist Gift!“
„Ein merkwürdiges Gift“, murmelte die Ratte.
„Bringt doch mal so eine Tüte hoch“, schlug ich vor.
„Du kennst den Preis.“
„Nein,“ rief Mandy, “nicht schon wieder unsere Eier. Die brauchen wir selbst. Ich will Küken.“
Die Ratte kicherte. „Das wird sowieso nichts, Süße. Euch fehlt ein Hahn. Kein Hahn, keine Küken.“
Wir schwiegen alle verblüfft. Schließlich regte Oma sich: „Ach ja, stimmt, das hatte ich ganz vergessen. Es geht nur mit Hahn.“
Jetzt bekam die Ratte Schluckauf vor lauter Lachen. Ich atmete tief durch. „Kapierst du das denn nicht? Wir müssen handeln. Ihr Ratten habt doch auch was davon, wenn alles so bleibt, wie es ist.“
„Netter Versuch. Aber uns ist das egal. Es ändert sich immer was und wir finden uns schon zurecht. So genug gequatscht. Wenn ihr liefert, bringen wir euch das Zeug. Wenn nicht, dann nicht.“
Sie sprang vom Brett.
Immerhin hielten die Ratten Wort, denn schon als wir von der gemeinsamen Eiablage unter dem Busch Richtung Stall liefen, entdeckte Mandy die Tüte bei einer Wurzel. Sie war halb aufgerissen und die bunten Erbsen lagen verstreut im Sand. Sofort fingen Mandy und ich an, uns über die weitere Vorgehensweise zu streiten. Sie wollte die Ratten bitten, den Rest auch noch hochzuholen, und ich fand die Idee bescheuert.
„Quatsch, dass dauert viel zu lange. Wir legen die Tüte den Hansens vor die Nase und dann gucken wir, was passiert.“
„Sag nicht ,Quatsch‘ zu meiner Idee.“ Mandy war sauer.
„Quatsch, Quatsch, Quatsch“, schrie ich und schnappte mir einen Marienkäfer.
„Spuck das aus!“, schrie Mandy.
Jetzt knabberte ich erst recht daran herum, was ein Fehler war, denn natürlich war es kein Marienkäfer. Als ich die rote Erbse ausspuckte, hatte ich schon ein bisschen abgebissen. Die drei anderen starrten mich an.
„Kein Problem“, sagte ich. „Mir geht’s super.“
„Ehrlich?“, fragte Berta.
Ich nickte und kicherte. „Aber ihr seht so komisch aus. Eure Augen sind so ...“
Ich hörte auf zu kichern. „So ...“
„So was?“, fragte Mandy und ich zuckte zusammen, denn ihre Stimme klang wie die von dem Hühnermörder. Ich wollte gackern, bekam aber keinen Ton raus, denn da waren auf einmal Steine in meinem Mund, lauter Steine, ich versuchte sie auszuspucken, aber sie waren in meinem Mund festgewachsen und dann kribbelten Millionen Läuse in meinem Gefieder. Ich stürmte los und plötzlich konnte ich auch gackern, aber als ich aufhörte, gackerte meine Stimme von selber weiter und ich rannte und rannte vor meiner eigenen Stimme weg und die anderen Hühner rannten hinter mir her mit ihren schrecklichen Augen und meine eigene Stimme gackerte auch immer noch, ich wollte in unser Hühnerhaus flüchten, aber die Tür rutschte zur Seite und ich prallte voll gegen den Rahmen, schleppte mich ins Haus und wurde ohnmächtig.
In den Stunden danach kam ich immer wieder zu mir, aber nur kurz, denn es kribbelte immer noch entsetzlich und immer wenn ich aufflatterte, um dem Jucken zu entgehen, stieß ich mir irgendwo den Kopf. Schließlich quetschten mich die anderen in einer Ecke fest und Berta setzte sich auf mich drauf. Ich zappelte und schrie „Mörder, Mörder!“ Ich hackte nach Berta. „Du dumme, feige Berta!“ Ich hackte nach Oma Kalkbein. „Du klapprige, alte Oma!“ Ich hackte nach Mandy. „Du blöde eingebildete Mandy. Ich hasse dich!“
„Festhalten!“, hörte ich Mandy schreien. Berta heulte, Oma stöhnte, Mandy schimpfte, aber sie ließen mich nicht aus dieser Ecke raus. Und so blieb mein Schädel heil.
Als einige Stunden später das erste Licht durch das Stallfenster fiel, rappelte ich mich hoch. Und kippte sofort um. Mein Kopf tat schrecklich weh, meine Flügel fühlten sich an wie gebrochen, mein Magen … Ich übergab mich auf den Stallboden, direkt neben ein paar Rattenköttel. Sie waren offenbar dagewesen, die Ratten und hatten die Lage begutachtet. Ich wunderte mich über die Federn, die überall herumlagen, wankte ein paar Schritte und fiel mit dem Kopf nach vorne in die Wasserschale, wo ich gierig trank. Als ich mich umdrehte, sah ich die anderen. Mandy schlief, gegen die Stallwand gelehnt, Berta lag schnarchend auf der Seite, nur Oma hockte auf den Füßen. Sie blickte mich erst mit dem rechten, dann mit dem linken Auge an.
„Hi“, krächzte ich.
„Na?“, sagte Oma.
„Mir tut der Kopf weh. Und meine Haut fühlt sich so komisch an. Und mein Magen ...“ Wieder musste ich mich übergeben.
Seufzend erhob sich Oma. „Tja, aber du hast überlebt. Immerhin. Bist halt jung und kräftig.“
„Kannst du leiser sprechen? Ich glaube, ich habe einen bleibenden Schaden davongetragen“, jammerte ich. Bertas Schnarchen wummerte in meinem Kopf.
Mandy regte sich. „Naja, so ein paar Gehirnzellen weniger machen dir doch nichts aus, Frau Oberschlau.“
Ich schwieg. Es ging mir zu schlecht. Und dann war da noch was. Ich räusperte mich. „Ähm. Wegen heute Nacht. Danke.“
Als die Klappe aufging, ließ ich Mandy freiwillig vor. Gähnend schlichen wir aus dem Stall. Da standen die Hansens. Und wieder sagte Hansen zu seiner Frau, dass es ein guter Zeitpunkt sei, mit den Hühnern Schluss zu machen. Keine Eier mehr und vermutlich seien wir krank. Ich versuchte ein bisschen zu rennen, um meine Fitness zu beweisen und kippte um.
„Oje“, sagte Frau Hansen. Mandy lief los, um den Beutel mit den Erbsen ranzuziehen, aber die beiden verschwanden wieder.
Der Tag war genauso grau wie unsere Stimmung. Im Nieselregen scharrten wir lustlos in der Erde. Ich stand endlos vor einer Kellerassel, bis Berta neben mir sagte: „Die kannst du essen. Das ist ne Assel.“ Ich zitterte, als ich sie in den Schnabel nahm, aber nichts passierte, außer, dass mir wieder schlecht wurde. Oma riet mir zu Löwenzahn, um den Magen zu beruhigen. Und während ich so an dem Blatt knabberte, kam mir der Gedanke, dass ich vielleicht doch nicht so schlau war, wie ich dachte. Und, was noch schlimmer war: War Mandy vielleicht schlauer als ich? Ich grübelte eine Weile. Und dann kam ich auf die Lösung. Doch, ich war schlau. Es kam nur immer was dazwischen.
„Na, du lebst ja noch“, hörte ich eine heisere Stimme neben mir. Da stand die Ratte und putzte sich die Schnauze. Am hellichten Tag.
„Ja, ich lebe noch“, sagte ich. Die ersten Sonnenstrahlen brannten in meinen Augen.
„Ich mache dir einen Vorschlag“, sagte die Ratte schließlich.
„Vergiss es.“
„Wir bringen die Hühnermörder um“, sagte die Ratte.
Mich schauderte. Dann dachte ich an das Frikassee. „Aha, und wie hast du dir das gedacht?“
„Wenn sie die Hütte haben, nagen wir das Elektrokabel an, dann kriegen sie einen Stromschlag und - paff - fallen sie tot um.“
„Warum wollt ihr das tun? Ich dachte, wir sind euch egal.“
„Naja, ihr seid schon ganz süß. Aber vor allem denken wir an ungefähr 15 Eier in der Zeit, bis die den Laden hier übernehmen.“ Die Ratte lachte.
„Ich trau euch nicht“, sagte Mandy neben mir.
„Das ist gemein“, sagte Berta.
Und Oma murmelte was von Plastikschaltern: „Da gibt’s keinen Stromschlag.“
„Du hast es gehört“, sagte ich.
„Schön, schön.“ Die Ratte drehte uns ihren haarigen Hintern zu. „Dann müsst ihr wohl selber euer kleines Hühnerhirn anstrengen.“ Damit verschwand sie in einem Loch.
„Halt!“, schrie ich und hielt mir den Kopf, der immer noch schrecklich weh tat.
„Na?“, fragte die Ratte.
„Wir haben unser Hühnerhirn schon angestrengt. Plan B ist angesagt. Könnt ihr das ganze Zeug hochholen? Das legen wir denen vor die Füße und dann brauchen die den Garten nicht mehr.“
„Sag ich doch“, meinte Mandy.
Wir verhandelten hart und am Ende war sie bereit, jeden Tag für unsere Eier drei Tüten hochzubringen, so dass wir am Ende der Woche alle beisammen hätten. Sie behauptete, das sei für uns ein Superdeal und ihre Schnurrbarthaare zitterten ein wenig.
„Ich habe ein komisches Gefühl“, sagte Berta und ich hatte das auch.
Abends tat ich etwas ganz Außergewöhnliches. Ich hüpfte wieder von der Stange, schlich zum Rattenloch und presste mein Ohr daran. Wir Hühner können verdammt gut hören. Aber erstmal hörte ich nur Geräusche, die wie ein Scharren klangen. Ich nickte kurz weg, bis mich die Stimmen der Ratten hochschrecken ließen.
„Gut gemacht Rocky. Hehe. Seht zu, dass ihr irgendwann noch die Tüten hochholt.“
„Klar, Chef. Eier können wir gut brauchen. Letzte Nacht hatten wir zwanzig Neuzugänge. Und meine Nichte bringt heute Nacht auch einen ganzen Schwung Babys zur Welt. Die Chicks haben solche Angst vor dem Kochtopf, die werden liefern.“
Das war die Ratte, mit der wir verhandelt hatten. Ich versuchte ganz flach zu atmen, da sprach eine unbekannte Stimme.
„Warum hauen die nicht einfach ab?“
„Warum? Weil die zu dumm sind.“ Jetzt hallten die Gänge wieder vom Rattengelächter und ich zog mich auf die Stange zurück, gerade rechtzeitig, bevor sie zum Fressen hochkamen. Während ich mich schlafend stellte, dachte ich nach.
Als am nächsten Tag meine Schwestern frohgemut losliefen, um für die blöden Ratten Eier zu legen, überlegte ich immer noch. Ich dachte nicht mehr darüber nach, wo der fetteste Wurm war und auch nicht darüber, ob ich schlauer war als Mandy. Ich dachte darüber nach, was die Ratte mit „Abhauen“ gemeint hatte. Und als Berta mit einem fröhlichen „Hoppla“ ihr Ei ins Gras plumpsen ließ, ahnte ich, dass mehr in uns steckte, als wir wussten.
„Oma“, sagte ich, “was liegt hinter dem Zaun?“
Sie sah mich erst mit dem einen, dann mit dem anderen Auge an. „Das siehst du doch“, sagte sie. „Der Gemüsegarten vom Nachbarn. Und auf der anderen Seite der Wald.“
„Warst du da schon mal?“
„Nein. Doch. Das war, bevor sie uns die Flügel gestutzt haben.“
„Flügel gestutzt?“, fragte Mandy.
„Ja klar, da schneiden sie dir auf einer Seite ein paar Federn ab und dann kannst du nicht mehr steuern beim Fliegen. Eine Schweinerei ist das“, schimpfte Oma.
„Mir hat noch nie jemand Federn abgeschnitten“, sagte Berta.
Mandy und ich schüttelten auch die Köpfe.
„Naja, ist lange her“, sagte Oma. „Meine sind auch längst nachgewachsen.“
In der Stille, die darauf entstand, begann eine Amsel, hoch oben in der Buche zu singen. Schließlich räusperte ich mich. „Oma, heißt das, wir können fliegen? Also, richtig fliegen, nicht nur aufflattern?“
„Ja klar“, sagte Oma, “Müsste klappen. Ich hatte das ganz ...“
„...vergessen“, ergänzte ich. „Oh Mann, Oma. Wir können fliegen!?“
„Ihr vielleicht, ich nicht“, sagte Berta.
In diesem Moment hörte ich die Stimme des Hühnermörders: „Da seid ihr ja, ihr lieben Viecher. Wäre schön, wenn ihr an unserer kleinen Einweihungsparty teilnehmt.“
„Wieso Einweihungsparty?“, fragte Berta.
„Ist doch klar“, sagte Mandy bitter. „Die Hansens haben uns verkauft. Konnten es wohl nicht abwarten.“
„Guckt mal, was ich hier für euch habe!“ Er stellte lächelnd einen Teller mit Katzenfutter hin.
Katzenfutter ist das Leckerste auf der Welt. Leckerer als Körner. Leckerer als Würmer. Katzenfutter ist Mega. Mein Körper stürmte auf die Schüssel zu. Gerade als ich picken wollte, nahm ich aus dem Augenwinkel eine Bewegung war.
„Petra. Achtung!“, schrie Mandy. Ich machte einen Satz zur Seite und direkt neben mir donnerte ein Kescher auf den Boden. Ich fing an zu rennen, der Mann hinter mir her. Ich rannte schneller. Er auch. Plötzlich bog er ab und stürzte sich auf Berta, die aufhörte zu heulen und auch losrannte. Sie rannte und rannte, hob ab und flog ein Stück, stieß sich wieder ab und flog weiter. Wir nahmen alle Anlauf, sogar Oma, wir stießen uns ab, wir flatterten was das Zeug hielt, wir flogen in ungeordneter Formation über den Zaun, flogen immer höher, stießen mit der Buche zusammen und landeten strauchelnd neben der verdutzten Amsel im Geäst.
„Nanu“, sagte die Amsel.
„Mir wird schlecht, wenn ich da runtergucke“, sagte Berta.
So lernten wir fliegen.
Die Freiheit schmeckte süß wie Walderdbeeren. Auch Würmer, Wasser und Grünzeug gabs im Wald in Hülle und Fülle. Oma redete was vom nächsten Winter, aber ich sagte, sie solle den Schnabel halten. Berta murmelte immer wieder: „Für uns gibt es kein zurück mehr. Niemals mehr.“ Ich trainierte stundenlang, weil ich so fliegen wollte wie ein Adler. Bei dem Versuch, einen Regenwurm im Sturzflug mit meinen Krallen zu schnappen, brach ich mir beinahe die Hühnerbeine. Dann wollte ich ihn mit dem Schnabel erwischen, aber Mandy sagte, wenn ich noch irgendwas Wichtiges zu sagen hätte, sollte ich das vorher machen, weil ich sowas von aufs Maul fallen würde, und dann ließ ich es. Am Ende konnte ich relativ punktgenau vor einem Wurm landen. Wobei es meistens kein Wurm war, sondern ein Zweig oder ein Kratzer im Boden. Möglicherweise haben Adler bessere Augen als Hühner.
Zum Schlafen ließen wir uns auf der Buche nieder. Nachts hörten wir sie in der Erde scharren und morgens entdeckten wir immer neue Löcher in den Beeten. Einmal schrie die Frau rum, ob er denn wenigstens sicher sei, dass sie im richtigen Garten suchten. Doch dann entdeckten sie die Erbsen beim Hühnerhaus und gegen Mitternacht hörten wir sie im Haus herumlärmen. Sie hatten einen Baustrahler aufgestellt und Staub quoll aus den Ritzen. Berta vermutete, dass sie ein riesiges Sandbad nahmen. Ich hingegen träumte von all den Würmern, die sie freilegten. Dabei muss ich eingeschlummert sein, denn ich wurde von lautem Geschrei aus dem Schlaf gerissen. Der Mann rannte durch den Garten und schüttelte seinen Arm in alle Richtungen, bis das, was sich in seiner Hand verbissen hatte, losließ und davonrannte.
„Oh fuck! Die Ratte hat mich gebissen!“, brüllte er.
„Ja, komm jetzt“, rief die Frau aus der Hütte.
„Hast du nicht kapiert? Ich bin verletzt!“
„Dann nimm doch die andere Hand. Ich kann die Kiste ja wohl nicht alleine da rausholen.“
„Du hast sie wohl nicht mehr alle! Ich hole heute gar nichts mehr raus.“ Damit war er weg.
Sie lief hinterher und hüpfte dabei so komisch auf und ab. „Warte doch, ich glaub, ich hab eine im Hosenbein.“
Nee, was haben wir gelacht!
Im Morgengrauen stupste Mandy mich von der Seite an. „Guck mal. Ist schon wieder was los, da unten.“
Diesmal war es Frau Hansen. Sie stand vor der Pforte und schaute zum Garten. Ihr Rücken sah ganz traurig aus. Leise machte sie: „Putputputputput!“
Berta regte sich, aber wir rempelten sie an. Unten öffnete Frau Hansen die Pforte und schlich zum Hühnerhaus. Auf dem Weg dorthin wurden ihre Schritte immer schleppender. Dann öffnete sie die Tür.
„Die Mörder kommen“, flüsterte Berta neben mir. Und tatsächlich, da kamen sie den Weg entlang, beide mit ner Schippe auf der Schulter. Sie humpelte und er hatte einen Verband um die Hand gewickelt. Aber da war was in ihrem Blick und in der Art, wie er den Spaten hielt, dass Mandy neben mir unruhig wurde.
„Wir müssen die Hansen warnen“, flüsterte sie. „Wer Hühner umbringt, schreckt vor nichts zurück.“ Noch mussten sie um eine Kurve und sahen Frau Hansen nicht.
Wenn wir Hühner eins können, dann Alarm machen. Wir können uns so schrecklich aufregen, dass wir davon fast einen Herzinfarkt kriegen. Also gackerten wir uns die Kehle aus dem Leib. Die beiden blieben stehen und sahen zu uns hoch.
„Da sind sie ja, die Mistviecher“, sagte der Mann.
Gleichzeitig drehte sich Frau Hansen strahlend um und lief in unsere Richtung. Genau falsch.
„Sie kommt her“, rief ich den anderen zu.
„Tu was, Petra!“ Bertas Stimme überschlug sich.
„Lenk die Mörder ab“, sagte Oma und Mandy rief: „Los, Adler, flieg!“
Ich atmete tief durch und stieß mich ab. Der Anflug gelang tadellos. Mit den Füßen voran landete ich auf dem Kopf der Mörderin. Sie kreischte und schlug nach mir. Weil ich mich in ihrer Frisur verheddert hatte, konnte sie mir eine volle Breitseite auf meinen Flügel verpassen. Ich taumelte zu Boden. Der Mann holte mit dem Fuß aus. Mein ganzes Leben lief vor meinem inneren Auge ab: Wie ich als Küken schon die besten Würmer fand, wie ich mit Mandy stritt, wie ich gemütlich auf unserer Stange schlief, wie die Hansens sich über uns freuten … Da hörte ich die anderen gackern, so laut wie noch nie.
„Peeeeeeetraaaaa!“ Ich entging dem Fußtritt knapp und flatterte mit letzter Kraft hoch zu unserem Ast.
„Gottseidank“, sagte Oma.
„Hast du das gesehen?!“, schrie die Frau, „Hast du das gesehen?! Das Huhn wollte meinen Skalp!“
„Ja klar hab ich das gesehen. Scheiße, das war ja wie im Krimi.“ Er fuchtelte mit dem Spaten und behielt uns im Auge. „Wo ist die Pistole?“
„Bist du bekloppt? Du willst doch hier nicht rumballern.“
„Egal. Die Viecher gehören abgeknallt. Die sind doch alle irre hier.“
„Nun krieg dich mal wieder ein“, schnauzte sie. „Lass uns die Kiste holen und dann: Nichts wie weg!“
Von Frau Hansen war nichts mehr zu sehen und die Mörder verschwanden im Haus. Aber nicht lange. Denn dann war unser Hühnerhaus von der Polizei umstellt.
Inzwischen hat Mandy geheiratet und brütet seit Wochen auf einem Haufen Eier. Ich habe ein paar von meinen dazu gelegt und sie hat gesagt, sie macht die mit. Also kriegen wir bald Nachwuchs. Berta hat auch geheiratet, denselben Hahn. Er heißt Hitchcock und er tanzt sehr hübsch. Berta will nicht brüten, weil sie dabei immer so Beklemmungen kriegt, deshalb macht Mandy ihre Eier auch mit. Die Hansens haben sich schwer ins Zeug gelegt und uns einen Hühnerstallpalast gebaut. „Rattensicher“ haben sie gesagt. Menschen haben nicht so gute Ohren und so konnten sie nicht hören, wie die Ratten kicherten.
Ich denke, ich werde ein Detektivbüro aufmachen. Mit einem Schild, wo draufsteht: „Petra und Co. Wir picken das. Bezahlung bar auf die Kralle.“
Mandy schaut von ihrem Eierhaufen zu mir rüber und fragt: „Wer ist denn Co.?“
„Ihr, für den Fall, dass ich Hilfe brauche.“
„Na, toll“, sagt Oma.
„Okay, ihr kommt alle mit auf das Schild. Meinetwegen.“
„Dann ist ja gut“, sagt Berta und wir spreizen unsere Federn in der Sonne.