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Chaosfahrt

Monster-WG
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07.01.2018
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Chaosfahrt

Die Buchseiten rochen muffig. Über mir erblickte ich nichts als die gelbbraunen Seiten. Es tat gut, einmal nicht den Gestank nach Käsefüßen und altem Schweiß in der Nase zu haben, nicht die hässlich gemusterten Bezüge der Sitze anzusehen, nicht die Hinterköpfe der Fahrgäste, die ich schon seit drei Tagen beobachtete.
Drei Tage hatte ich ungenutzt verstreichen lassen. Mir blieb noch ein Tag, um meine Mission erfolgreich abzuschließen.
Eine Weile starrte ich die altersfleckigen Seiten direkt vor meinen Augen an, sog den papiernen Duft in mich auf. Schließlich wappnete ich mich innerlich und hob das Buch von meinem Gesicht.
Ich saß hinten im Bus, von wo aus ich die anderen vier Fahrgäste und den Busfahrer im Auge behalten konnte. Eine Reihe schräg vor mir saß Jako. Ihn hasste ich von allen am meisten. Er war ein sommersprossiger Mann mit rostrotem Haar. Ständig versuchte er, mich in ein Gespräch zu verwickeln. Ich wusste, dass er dies mit anderen Fahrgästen auch tat, trotzdem fühlte ich mich durch ihn bedroht. Es kam mir so vor, als versuchte er, etwas über mich herauszufinden. Als wollte er mich aushorchen.
Er blickte von der abgetragenen Jeans auf, das auf seinem Schoß lag. Er war dabei gewesen, einige Löcher am Saum provisorisch zuzunähen, ließ nun jedoch die Nadel sinken. Sie kam mir kam zwischen seinen Fingern wie eine unausgesprochene Drohung vor. „Ausgeschlafen?“, fragte er freundlich.
„Ich schlafe nicht“, antwortete ich, was der Wahrheit entsprach. Ich hatte die letzten drei Tage kein Auge zugetan.
Er nickte, als wüsste er genau, wovon ich sprach. „Ich kann im Bus auch nicht schlafen. Es ist nicht besonders gemütlich.“
Ich wünschte, der Komfort wäre mein einziges Problem. Tatsächlich hatte ich Angst, dass jemand meine Träume ausspionierte, die Wahrheit über mich erkannte, und ich nicht erwachen würde. Der Puppenspieler war an Bord dieses Busses. Vielleicht las er in diesem Augenblick meine Gedanken. Ich fühlte mich nicht nur von Jako ausspioniert. Ich hatte das Gefühl, dass jeder meiner Gedanken nach etwas Verdächtigem durchstöbert wurde.
Ich grunzte, was gleichermaßen Zustimmung oder Ablehnung ausdrücken könnte, und ließ meinen Blick weiterschweifen. Die Geschwister Luca und Lisa flüsterten miteinander. Ihr ständiges Getuschel machte mich wahnsinnig. Ich hatte das unbestimmte Gefühl, dass sie über mich sprachen. In diesem Moment blickte Luca über die Schulter in meine Richtung. Ich glaubte, Häme auf seinem blassen Gesicht zu sehen.
Ich ballte in meinem Schoß die Hand zur Faust, versuchte, mich durch den aufblühenden Schmerz vom Wispern der Geschwister abzulenken. Sie redeten bestimmt nicht über mich.
Umständlich stopfte ich das Buch in die vordere Hülle meiner schweren Reisetasche, in der ich alles aufbewahrte, was ich für eine Austreibung brauchte. Trotz meiner peniblen Vorbereitung fühlte ich mich ausgeliefert. Am liebsten hätte ich meine Waffen immer griffbereit getragen. So könnte ich nur eine Pistole, die ich im Schulterholster verborgen unter meiner Lederjacke trug, sofort ziehen. Ich fühlte mich albern ohne meinen Mantel und die Schutzweste. Die Lederjacke konnte mich nicht auf die gleiche Weise schützen. Trotzdem trug ich Leder und Schwarz, die Zeichen der Austreiber. Schließlich besaß ich kaum andere Kleidungsstücke. Plötzlich hatte ich das Gefühl, dass jeder an Bord mich längst durchschaut hatte. Ich saß hier in meiner affigen Maskerade wie auf dem Präsentierteller. Am liebsten hätte ich mich unter dem Sitz verkrochen.
Ich warf Jako einen verstohlenen Blick zu, doch er hatte seine Näharbeiten wieder aufgenommen und beachtete mich gar nicht.
Meine eigene Paranoia würde mich noch in den Wahnsinn treiben. Eigentlich hatte ich Nerven wie Drahtseile und eine eiserne Selbstdisziplin. Sechzehn Austreibungen hatte ich erfolgreich abgeschlossen. Doch so wie während dieser Fahrt hatte ich mich noch nie gefühlt. Ich war seit Tagen extrem angespannt, und der winzigste Lufthauch ließ mich aufschrecken.
Direkt hinter dem Busfahrer saß eine ungefähr fünfzigjährige Frau. Ihr Name war Bine. Sie machte sich seit Tagen wichtig, indem sie dem Busfahrer bei jeder Kreuzung die richtige Abzweigung zurief. Dabei war ich mir sicher, dass Sem den Weg genau kannte. Der magere Mann mit den tätowierten Armen ließ die Belehrungen jedoch wortlos über sich ergehen.
Vor Bine fürchtete ich mich. Ihren regelmäßigen Streitigkeiten mit Luca hatte ich entnommen, dass sie eine glühende Unterstützerin des Puppenspielers und eine erbitterte Gegnerin der Austreiber war. Anfeindungen wie diese hatte ich in Jurnengand schon am eigenen Leib erfahren. Viele Jurnengander hassten die Austreiber. Obwohl Bine nicht wissen konnte, dass ich eine Austreiberin war, fühlte ich mich von ihr bedroht. Als sie sich auf ihrem Sitz umdrehte und einen Blick über die Schulter warf, war ich mir beinahe sicher, dass sie dabei nur mich ansah.
Ich hatte die vergangenen drei Monate in Jurnengand verbracht. Meine Austreiber-Gemeinschaft, die Gemeinschaft der Neuen Menschen, brauchte jeden Mann und jede Frau für die Jagd auf den Puppenspieler, den selbsternannten Herrscher der Stadt. Jurnengand war seitdem ein Schlachtfeld. Meine Handflächen prickelten, wenn ich an das Blutbad in dem Klub dachte, wo sich der Puppenspieler versteckt gehalten hatte. Ich hatte im Eifer des Gefechts Unschuldige getötet. Ich war schuldig. Ich konnte verstehen, warum viele Städter wollten, dass wir aus Jurnengand verschwanden. Aber der Puppenspieler musste eliminiert werden. Er war ein Achan, ein widerlicher Parasit, der seine Macht aus der Lebensenergie anderer Menschen zog.
Ich versuchte, den Gedanken an den Puppenspieler aus meinem Kopf zu verbannen. Juri, unser Spion im Netzwerk der Achanen, hatte mir während der Vorbereitung auf diese Mission eingebläut, wie wichtig Gelassenheit war. Wenn ich allzeit gelassen blieb, dann würde mein Bewusstsein dem Puppenspieler verschlossen bleiben. Wenn ich mich aufregte, könnte er in mir lesen wie in einem offenen Buch. Mit jedem Tag fiel es mir schwerer, diese Instruktionen umzusetzen.
Der Puppenspieler war an Bord dieses Busses. Dadurch, dass Juri dies erst letzte Woche in Erfahrung gebracht hatte, war meine Vorbereitungszeit denkbar knapp ausgefallen. Doch die Mission ehrte mich. Im Sinne meiner Brüder und Schwestern – und im Sinne der gesamten Menschheit – musste ich dafür sorgen, dass der Puppenspieler niemals am Ziel, in der Festung, ankäme.
Zwei von fünfen waren meine Zielpersonen. Der Puppenspieler und sein Partner, mit dem er mental verbunden war. Ich musste sie identifizieren und eliminieren, bevor sie mich entdeckten. Mein Vorteil war, dass sie nicht mit mir rechneten. Ich wiederum wusste, dass sie hier waren.
Ich hatte die Ermordung aller meiner Mitreisenden im Kopf schon durchgespielt. Luca war ein schlaksiger Mann. Groß, aber nicht sonderlich wehrhaft. Er hatte etwas Verschlagenes an sich mit den kleinen Augen hinter den dicken Brillengläsern. Seine Schwester Lisa war kräftiger und sportlicher. Ihre Wehrhaftigkeit konnte ich nicht genau abschätzen. Ich musste sie überraschen, um sie risikolos ausschalten zu können. Sem war ein ähnliches Kaliber wie Luca. Allerdings war er mir sympathisch mit seiner gelassenen Art und seinen klaren, blauen Augen, was es schwerer machen würde, ihn zu töten. Ich durfte kein Mitleid haben.
Um Bine machte ich mir keine Gedanken. Sie war älter als die anderen Fahrgäste. Da das achanische Paar jedoch immer in einem Alter war, konnte ich sie ausschließen.
Jako war derjenige, der mich beschäftigte. Er schien immer hellwach zu sein. Ich hatte ihn während der ganzen Fahrt nicht schlafen sehen. Er trug eine schwere Lederjacke, die er niemals ablegte, doch ich konnte seinen kräftigen Körperbau darunter erahnen. Er bewegte sich durch den Gang des Busses wie ein Mann, der seinen Körper gut kannte – wie ein Krieger. Wenn ich einem brutalen Kampf entgehen wollte, musste ich ihn innerhalb eines Augenblicks ausschalten. Eine zweite Chance würde er mir nicht geben.
Falls wir die Festung erreichen sollten, bevor ich den Puppenspieler und seinen Partner identifiziert hatte, würde ich alle vier Verdächtigen töten. In dem Wissen, zwei Unschuldige zu ermorden. Ich hatte jeden Schritt dieser Austreibung bereits geplant. Erst würde ich Jako von hinten in den Kopf schießen. Er wäre tot, noch bevor er überhaupt wusste, wie ihm geschah. Danach würde ich durch den Gang laufen. An Luca vorbei aus nächster Nähe auf Lisa schießen, Luca eventuell mit einem Arm abwehren. Ihn danach töten. Anschließend nach vorne laufen, Bine beiseite schubsen, falls sie aufgesprungen sein sollte. Sie konnte weiterleben. Wenn alles glatt liefe, würden vielleicht zwanzig Sekunden vom ersten Schuss bis zu dem Moment vergehen, in dem ich vorne ankäme. Sem hätte Zeit, den Bus zu stoppen und zu fliehen. Am besten begann ich die Austreibung auf einem freien Feld, wo ich freies Schussfeld auf Flüchtige hätte.
Obwohl ich mir nichts mehr wünschte, als diese Austreibung zu einem schnellen Ende zu bringen, musste ich die verbleibende Zeit nutzen. Die Eliminierung aller Passagiere war die letzte Möglichkeit, die ich ergreifen durfte. Wir hatten einen schlechten Ruf in Jurnengand, weil wir bereits einige Unschuldige auf dem Gewissen hatten. Nach der Beseitigung des Puppenspielers mussten wir jedoch noch die Austreibung der restlichen Achanen in der Stadt zum Abschluss bringen. Bisher stellten sich die Städter oft unseren Jagden in den Weg, versteckten sogar Achanen und taten alles, um uns aus Jurnengand zu vertreiben. Es würde schlimmer werden, wenn ich alle Insassen des Busses zur Festung tötete.
Ich musste für eine Weile in Gedanken versunken gewesen sein. Als Bine sich plötzlich von ihrem Sitz erhob, schrak ich zusammen.
Sie postierte sich vorne im Gang, die Hände in die Hüften gestemmt, und reckte energisch das Kinn. „Hört mal zu! Ich muss euch etwas sagen“, rief sie den Bus hinunter.
Ich wechselte einen Blick mit Jako, der seine Näharbeit sofort aus der Hand legte. In seinen hellen Augen glitzerte ein Anflug von Beunruhigung. Die Geschwister setzten sich aufrechter hin. Ich ahnte, dass sogar Sem einen Blick in den Rückspiegel auf Bine warf.
„Ich habe herausgefunden, dass Austreiber an Bord dieses Busses sind“, verkündete Bine. Sie machte eine kunstvolle Pause. Ich glaubte, ein Zucken von Ärger in ihrem Gesicht zu sehen, dass keiner bei ihren Worten entrüstet aufsprang.
Mit zittrigen Fingern zog ich den Reißverschluss meiner Jacke ein Stück weit nach unten und tastete nach meiner Pistole. Ich versuchte, nur an die gelben Buchseiten und ihren muffigen Geruch zu denken, als könnte ich auf diese Weise die Furcht aussperren. Ich war enttarnt. Ich musste mich zusammenreißen, musste in jedem Falle gelassen bleiben. Ich zwang mein Herz zur Ruhe, erstickte die Angst wie eine Kerzenflamme zwischen Daumen und Zeigefinger.
„Sie glauben wohl, dass der Puppenspieler an Bord ist“, fuhr Bine fort. „Wenn er wirklich hier sein sollte, habe ich eine Information für ihn. Sie sind hier. Sie wollen dich töten. Du musst sie zuerst töten.“
„Was redest du da?“, mischte Luca sich plötzlich ein. Er sprang von seinem Sitz auf und stellte sich Bine entgegen. „Wenn er hier wäre und wenn Austreiber hier wären, dann wüsste er es doch längst!“
Jako erhob sich ebenfalls. „Niemand wird irgendwen töten“, sagte er laut. „Ja, ich bin ein Austreiber. Aber ich bin ein Mensch wie ihr. Ich fahre über die Feiertage in die Festung. Ich habe Ferien wie ihr.“
Ich starrte ihn an. Er versuchte sichtlich, gelassen zu wirken, doch aus der Nähe konnte ich sein Augenlid zucken sehen. Sein Blick schoss im Bus herum. Natürlich. Ich atmete auf. Er trug eine Lederjacke und schwere Stiefel wie ich. Er war ein Kämpfer wie ich. Eine andere Gemeinschaft musste über ähnliche Informationen verfügen wie die Neuen Menschen. Ich war nicht die einzige Austreiberin, die entsandt worden war.
Das schränkte den Kreis der Verdächtigen auf drei Leute ein. Und ich war nicht mehr alleine. Die beklemmende Angst, die ich seit Tagen verspürt hatte, erhob sich federleicht von meinem Herzen, wich Erleichterung.
„Wer’s glaubt, wird selig“, schnaubte Bine. „Ich frage mich, wieso ihr nicht einfach eine Bombe in den Bus geworfen habt. Zwei Unschuldige getötet, aber auch der Puppenspieler und sein Partner. Wäre doch eine gute Bilanz für Verbrecher wie euch. So sieht’s nämlich aus, Luca“, setzte sie verächtlich hinzu. „Das Leben von Gewöhnlichen ist denen nichts wert.“ Sie machte einen Schritt auf Luca zu.
„Fass meinen Bruder nicht an!“, brüllte Lisa auf einmal. Sie stürmte durch den Gang auf Bine zu, baute sich neben ihrem Bruder auf. Ich sah etwas Schweres in ihrer Hand und sprang ebenfalls von meinem Sitz auf.
Bine lachte, als Lisa mit der Pistole, die sie in den Händen hielt, auf sie zielte. „Ihr seid Mörder genau wie die Austreiber“, zischte sie. „Der Puppenspieler würde das nicht zulassen!“ Sie streckte blitzartig die Hand nach der Waffe aus.
Der Puppenspieler eilte ihr nicht zur Hilfe.
Etwas explodierte. Blut sprenkelte die Sitze und spritzte auf die Windschutzscheibe. Der Bus machte einen Satz zur Seite, der mich von den Beinen riss. Ich hörte ein Splittern, ein Kreischen wie von einem verwundeten Tier, als der Bus an einer Felswand entlangschrammte und endlich zum Stehen kam.
Als ich mich aufsetzte und meine Pistole zog, hatte ich einen metallischen Geschmack im Mund. Trotzdem war ich blitzschnell vorne angelangt, schob mich gewaltsam an Jako vorbei. Lisa lag noch auf dem Boden. Ich trat die Pistole aus ihren Händen und unter einen Sitz aus ihrer Reichweite.
„Was hast du getan?“, herrschte ich sie an, doch die Frau schluchzte nur.
Jako rappelte sich auf. Anders als ich hatte er keine Waffe gezogen. Er sah unverletzt aus, und er fiel neben der ersten Reihe auf die Knie, zog einen blutüberströmten Körper in seine Arme. Luca kämpfte sich hinter Lisa auf die Beine, Blut sickerte aus seinem dunkelblonden Haar. Der Bus stand auf der Serpentinenstraße an eine Felswand gelehnt, und die Windschutzscheibe wies zahlreiche Risse auf. Sem beugte sich aus seinem Sitz, während seine schlanken Finger vergeblich versuchten, den Sicherheitsgurt zu lösen.
„Scheiße“, rief Jako mit zittriger Stimme, als er an Bines Hals herumtastete. Ihr Gesicht sah seltsam aus, und Jakos Hände waren rot von Blut.
„Jako, steh auf!“, herrschte ich ihn an, ohne die Pistole auf ihn zu richten. „Alle stehen jetzt auf!“, rief ich. „Jeder hält die Hände so, dass ich sie sehen kann.“
Ich drehte mich um, um Lisa mit meiner Waffe zu bedrohen, die sich ebenfalls aufrappelte. Ihr Blick war benommen. Es schnappte, als Sem den Sicherheitsgurt löste. Er erhob sich und streckte die Hände von sich, Handflächen nach oben.
Jakos Miene war schrecklich verzerrt. „Das hätte nicht passieren dürfen“, stellte er fest. „Das hätten wir verhindern müssen.“
Einen Moment war ich versucht, ihm beizupflichten. Dass eine Mitreisende die einzige Person erschoss, die ich als Achanin ausschließen konnten, war furchtbar. Doch dann stutzte ich. Etwas an seinen Worten stimmte nicht. Etwas an seinen Worten ließ mich instinktiv aufschrecken.
Er hatte nicht mit mir gesprochen. Er hatte nicht sich und mich gemeint. Ich hatte diese Pluralform schon gehört. Es war derart charakteristisch, dass ich beinahe gelacht hätte. So wie alle Achanen, die einige Jahre im Denken und Fühlen mit einem Partner verbunden waren, sprach Jako im Plural von sich selbst.
Er war kein Austreiber. Er hatte sich bloß Zeit verschafft, um die echte Austreiberin an Bord zu identifizieren. Beinahe wäre ich darauf hereingefallen.
„Nun ist es passiert“, sagte ich und hoffte, dass niemand mein Zögern bemerken würden. Mir blieben wahrscheinlich nur noch Augenblicke, bis der Puppenspieler mich enttarnte. Ich musste kühlen Kopf bewahren.
Ich zwang mich, einmal tief durchzuatmen. Noch viel wichtiger war, dass ich sofort erkannte, wer der Puppenspieler war. Ich musste ihn jetzt ausschalten.
Jako wischte sich schaudernd über die Stirn. Genau über die Stelle, an der Luca verletzt worden war. Als könnte er dessen Wunde spüren.
Da wusste ich es.
Er hatte sich mit Bine angelegt. Er hatte seine Schwester dazu gebracht, diese Fahrt zu einer Chaosfahrt werden zu lassen. Chaos war das wichtigste Werkzeug des Puppenspielers. Überall, wo er verschwinden musste, richtete er Chaos an. In all dem aufgewirbelten Staub machte er sich unsichtbar.
Blitzartig richtete ich meine Waffe an Jako vorbei auf Luca. „Du bist der Puppenspieler!“, zischte ich.
Luca riss die Augen auf. „Ich?“
Ich spürte Jakos Atem in meinem Nacken. Ich war schlecht positioniert, und mein Herz raste, als wollte es davonrennen.
„Er?“, fragte Jako verblüfft. „Vera…“ Er holte tief Luft. „Bitte, nimm die Waffe runter. Unseretwegen muss niemand sterben.“
„Wenn du mein Zeuge bist, Austreiber, dann richte ich ihn jetzt hin“, sagte ich und legte den Finger an den Abzug. Es war ein grausamer Scherz – als glaubte ich noch, dass er ein Austreiber war. Als glaubte ich, dass er die Hinrichtung seines Partners bezeugen würde.
„Du hast keine Zeugen, die deine Hinrichtung legitimieren, Vera“, sagte plötzlich Sem mit dunkler Stimme. In seinen Augen schien ein blaues Feuer zu glühen. „Du bist ganz allein.“
Blitzartig ergriff Jako mich von hinten. Eine Hand umfasste meinen Arm, die andere hieb er gegen mein Handgelenk. Ich konnte die Klinge des Springmessers in seiner Faust aufblitzen sehen. Eine Schliere von Rot auf meiner Haut. Als der Schmerz in meinem Handgelenk aufkreischte, musste ich mich konzentrieren, um die Pistole festzuhalten. Ich wollte herumwirbeln, wollte meine Waffe auf Jako richten, doch er hielt meinen Oberkörper umklammert.
Meine Waffe zeigte immer noch auf Sem und Luca. Ich beschloss, wahllos abzudrücken. Einer von den beiden war der Puppenspieler. Vielleicht waren sie sogar beide Achanen.
Mein Finger bog sich um den Abzug. Doch bevor ich abdrücken konnte, fielen plötzlich alle Furcht und aller Schmerz von mir ab. Zuerst hatte ich das Gefühl, als hätte man die Welt um mich unter Wasser getaucht, so gedämpft und undeutlich nahm ich sie mit einem Mal wahr. Dann wurde ich auf die seltsamste aller Arten berührt. Im ersten Augenblick dachte ich, dass eine warme Hand sich auf meinen Hinterkopf legte, doch dort war nichts. Die Berührung fand auf einer mentalen Ebene statt, auf der ich noch nie zuvor einen anderen Menschen gespürt hatte.
Jako ließ mich los, doch ich konnte mich nicht bewegen. Der Puppenspieler tauchte sacht in mein Bewusstsein ein und löste meine Finger. Die Pistole fiel mit einem dumpfen Schlag vor meine Füße.
Ich konnte nicht darauf reagieren. Ich konnte weder Wut noch Furcht spüren. Nicht einmal den Schmerz.
Ich hörte Jakos Worte wie aus weiter Ferne. „Wir haben nie gewollt, dass jemand verletzt wird.“ Seine Stimme zitterte. Ich glaubte ihm sogar. „Vera wusste nicht mit Sicherheit, wer von uns der Puppenspieler ist, aber das ist für sie nicht von Bedeutung. Sie hätte uns alle getötet. Glücklicherweise sind wir keine Mörder, sondern Beschützer. Wir werden jetzt gehen. Macht mit der Austreiberin, was ihr wollt.“
Ich schloss die Augen. Der Puppenspieler musste mich nicht einmal dazu zwingen.
Alles hatte sich so gefügt, wie er es brauchte. Er konnte sich wieder als Held inszenieren. Dabei hatte ich ihm geholfen.

 
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Hallo, Manlio

Vielen Dank für Dein Feedback.

Oje, das erschüttert mich gerade ziemlich. Nicht, dass offensichtlich nicht viel vom Szenario zu verstehen ist. Das könnte ich ja fixen. Ich überlege mir, wie ich alles so legen kann, dass die meisten Fragen, die Dir gekommen sind, nicht mehr auftreten. Wahrscheinlich liegt ein wesentliches Problem darin, dass die Geschichte Teil eines größeren Frameworks ist und ich alle Beschreibungen der Welt, die nicht ABSOLUT relevant waren, weggelassen habe.

Also ich komme hier schwer rein, weil so viel verwirrt, und zwar weniger der Background, den du bringst, sondern mehr das "Wie".

Das ist aber das, was mich gerade etwas irritiert. Ich verstehe das so, dass Du gar nicht der Ansicht bist, dass ich mehr erklären sollte, sondern dass das alles in die Tonne kann. Verstehe ich das richtig? Sag es einfach ehrlich, ich komme damit klar. Ich bin nur gerade etwas verunsichert und würde mich über einen konstruktiven Nachsatz zu diesem letzten Satz von Dir freuen, weil das für mich ziemlich apokalyptisch klingt und ich nicht weiß, was ich dagegen tun kann.

Viele Grüße,
Maria


Hallo, maria.meerhaba

Vielen Dank für Dein umfangreiches Feedback.

Ich checke also: Mehr von der Erzählerin, aber v.a. mehr Stimmung. Das sehe ich ein und halte ich auch für eine gute Idee. Ich schreibe normalerweise sehr ausführlich, deshalb fiel es mir sehr schwer festzustellen, was ich weglassen kann, um eine Kurzgeschichte zu konstruieren, und was nicht. Das kann ich aber leicht ändern und wird bestimmt auch Spaß machen. ;)

Die Idee mit der Bombe ist mir nicht gekommen. Sie ist eigentlich wirklich gut. Ich mache mir mal Gedanken deswegen.

Viele Grüße,
Maria

 

Hallo, Manlio

Danke, dass Du Dich mir nochmal gewidmet hast.

Wenn Du noch einmal nach oben scrollst, wirst Du feststellen, dass ich einige Änderungen vorgenommen habe. Da diese Message am Anfang wohl wirklich sehr viel Wissen enthält, das man als Leser zu diesem Zeitpunkt nicht braucht, habe ich damit jetzt einen harten Cut gemacht. ;)

Vielen Dank nochmal für Deine Geduld,
Maria

 

Hallo TeddyMaria,

ich kann meinen Vorrednern - wenn überhaupt - nur bedingt zustimmen. Mein erster Gedanke war "uff, so viel Text" und der zweite "mehr davon". Das ist in der Tat eine sehr detailreiche Beschreibung, ich habe das Gefühl, im Bus zu sitzen und mich umzusehen. Nichts davon ist langweilig, weil es einfach gut geschrieben ist.

Der Puppenspieler entwickelt sich, indem er Fragen auslöst und später beantwortet. Da muss man manchmal Geduld haben und sich eben wie der fühlen, der man ist: ein unwissender Beobachter.

Die wenigen sprachlichen Anmerkungen, die ich habe, lasse ich über Nacht mal sacken. Das ist ein wirklich guter Text. Ich lese den morgen wieder und dann weiß ich vielleicht, ob das, was mich beim Lesen stolpern ließ, wirklich stört und bestenfalls auch, warum.

Weiter so!
LG
Tunix

 

Hallo, Tunix

Vielen Dank für das Lob. Allerdings habe ich nach den Anmerkungen Deiner Vorredner bereits ziemlich großflächig überarbeitet, deshalb ist das vielleicht schon ein bisschen anders. ;) Weiß nicht genau, wann Du es gelesen hast. Auf jeden Fall freue ich mich über weitere Anmerkungen, aber lass Dir ruhig Zeit.

Viele Grüße,
Maria

 

Hallo, Manlio

Ich danke Dir vielmals, dass Du alles nochmal gelesen hast. Das freut mich sehr.

2) Warum sollten die Austreiber das Risiko eingehen? Immerhin kann der Puppenspieler angeblich Gedanken lesen.

3) Warum sollten Außenstehende (nicht Austreiber/Puppenspieler) überhaupt den Bus besteigen? Man muss doch vermuten, dass es zu Gewalt kommen wird.


Ich bin eigentlich der Meinung, dass ich diese Fragen inzwischen geklärt habe. 2) geringeres Risiko von Kolleteralschäden (unter der Prämisse, dass der Puppenspieler nicht ständig Gedanken lesen kann); 3) die Notwendigkeit für manche Menschen, Handel zu treiben, um genügend Marken zu erwerben (die meisten üblichen Reisenden bleiben dem Bus ja auch fern). Aber wenn das nicht klar genug wird, gehe ich da natürlich nochmal ran.

1) Welchen Nutzen hat der Puppenspieler davon? Falls er alle Austreiber im Bus erledigt, werden doch wohl noch genügend Austreiber übrig bleiben, die sich den Ritt nach Jurnengand nicht getraut haben.

Das habe ich wirklich nicht bedacht, ebenso wie das hier:

4) Das große Risiko für den Puppenspieler ist, dass außer ihm ausschließlich Austreiber zur Fahrt erscheinen (weil "Normalbürger" sich nicht getraut haben) und er sofort erkannt wird.

Vielleicht hast Du recht mit Deinem Vorschlag, dass die Austreiber zufällig von der Anwesenheit des Puppenspielers erfahren. Das ändert nicht groß etwas an der Geschichte, löst aber alle Probleme. Vielen Dank dafür. Ich mache mich die Tage noch einmal an die Arbeit.

Viele Grüße,
Maria

 

Hallo, Manlio

So, ich bin nochmal über den Text rübergegangen. Dein Änderungsvorschlag hat ziemlich weitreichende Konsequenzen für die Geschichte. 1) Ich brauchte eine andere Erklärung dafür, dass nicht fünfzig, sondern nur sieben Leute im Bus sind - Kleinigkeit -, und 2) die Paranoia kann sich nicht mehr zwischen den Fahrgästen, sondern nur noch im Kopf der Protagonistin entfalten - ziemlich weitreichende Konsequenz. Ich habe es trotzdem getan. Ich weiß, es ist aufgrund der Länge ein bisschen viel verlangt, aber ich freue mich, wenn Du mir zurückmelden könntest, wie es jetzt für Dich funktioniert. Ich habe sogar noch ein bisschen gekürzt.

Ich selbst bin da gerade noch sehr skeptisch, weil halt ein wesentlicher Aspekt des Settings wegfällt. Was mir selbst aber gefällt, ist, dass sich dadurch die Rolle des Puppenspielers grundlegend wandelt. Er ist nicht mehr der Herausforderer, sondern der Gejagte. Das wiederum ist eine ganz angenehme Begleiterscheinung.

Über weitere Stimmen dazu freue ich mich natürlich. ;)

Viele Grüße,
Maria

 

Hallo, Manlio

Maria, ich bin mal ehrlich: die Geschichte packt mich noch nicht.

Umso mehr freue ich mich, dass Du es schon wieder gelesen und so umfangreiches Feedback gegeben hast. Dafür bin ich Dir sehr dankbar.

Lass es gesichert sein, dass der Puppenspieler an Bord ist, dampfe die "Erklärstellen" ein. Ich würde insgesamt kürzen, besonders die Dialoge. Sodass sich mehr über Beobachtungen, im Kopf von Vera abspielt.

Als ich am Wochenende wieder ein bisschen getippt habe, habe ich gemerkt, dass sich meine Perspektive auf Geschriebenes durch diese drei Wochen, die ich jetzt hier war, sehr verändert hat. Ich hatte deshalb beinahe gehofft, dass jemand das sagt. Ich werde jetzt Folgendes tun: Ich lege mir die Geschichte unters Kopfkissen, danach drücke ich Str+A und Entf und fange nochmal ganz von vorne an. Mit dem Anspruch, es deutlich verdichteter und mit einem stärkeren Fokus auf innerer Handlung zu machen - ich bin ja eher so ein "Äußere Handlung"-Mensch, aber ich sehe ein, dass dies zu den meisten Kurzgeschichten nicht passt.

Hoffentlich kann ich dann in einiger Zeit etwas präsentieren, das endlich richtig spannend ist.

Eine Frage hätte ich noch:

Hm. Du hast an einigen Stellen solche - ich nenne es mal - "erklärende" Sätze. Allgemeine Ausführungen, Hintergrundinfos. Die sind oft nicht allzu spannend zu lesen. Ich würde diese Stellen überprüfen.

Könntest Du mir dafür ein oder zwei konkrete Beispiele raussuchen? Ich habe bisher immer angenommen, dass es um Erklärungen der Welt geht (deshalb hatte ich ja z.B. schon die Dyaden, Kas und Bas komplett rausgenommen), aber im Zusammenhang mit dem obigen Zitat scheint es mir so, als meintest Du doch etwas anderes. Bevor ich den gleichen Fehler wieder mache, frage ich lieber nochmal nach. Da ich schon sehr viel geschrieben habe, was in dieser Welt spielt, habe ich ein sehr umfangreiches Bild davon im Kopf und fürchte immer, dass der Leser etwas nicht versteht. Du hast natürlich recht: Ich sollte weniger erklären und mehr erzählen. ;) Aber im Zusammenhang mit dem Zitat, das du oben gewählt hast, fürchte ich, dass Du doch etwas völlig anderes meinst.

Vielen Dank nochmal für Deine Geduld. Ich freue mich sehr, dass Du Dir solche Mühe mit mir gibst.

Viele Grüße,
Maria

 

Hallo, Manlio

Okay, dann habe ich das schon richtig verstanden: Mehr erzählen, weniger erklären. Danke für das Beispiel. Ich werde versuchen, in der Neufassung darauf zu achten und dies zu vermeiden. Versprechen kann ich es leider nicht, weil das, denke ich, etwas ist, was ich mir vor langer Zeit angewöhnt habe. Ich versuche, es mir abzugewöhnen.

Noch etwas anderes: ich bin nur eine Stimme. Du musst Geschichten nicht wegen mir umschreiben.
Ich kann nur versuchen, zu helfen und schieße mit meiner Kritik vielleicht gelegentlich über das Ziel hinaus.

Das ist mir bewusst. Wenn Du Vorschläge machen würdest, die ich überhaupt nicht einsehe, würde ich darauf auch nicht weiter eingehen. Tatsächlich habe ich aber auch Lust, viele unterschiedliche Varianten auszuprobieren und auch mal etwas rabiater umzugestalten. Ich habe einige Ideen und brenne schon darauf, sie zu Papier zu bringen. In ein paar Tagen gibt es mehr. Wie gesagt, wenn mir irgendeine Kritik zu weit geht, mache ich das auch nicht. Ich mache das alles hier, weil es mir Spaß macht. ;)

Viele Grüße,
Maria

 

Hallo TeddyMaria,

ich habe noch mal reingelesen, weil ich genauer wissen wollte, was mich stört. Den Anfang finde ich gut, sehr schön geschrieben.
Ab hier würde ich kürzen, damit die Geschichte schneller wird.

ein unregelmäßiges Hellblau.
Ich erinnerte mich daran, dass mein Vater mir einmal die Klimakammern gezeigt hatte

Unregelmäßiges Hellblau empfinde ich als Dump, eine unnötige Erklärung. Der ganze nächste Absatz handelt von Klimakammern, was mir nichts sagt und die Geschichte nicht weiterbringt.

nickte dem Fahrer zu, der in einem abgegriffenen Buch mit vergilbten Seiten blätterte. Er blickte kaum auf.

Klingt widersprüchlich. Sie nickt ihm zu, obwohl er sie nicht anschaut.

Ich schätzte ihn auf Anfang bis Mitte zwanzig.

Wo ist da der Unterschied? Eines von beidem reicht.

Der nächste Absatz ist eigentlich okay. (ich schreibe nur meine ganz persönlichen Eindrücke)

Ich fühlte mich beobachtet. Von den beiden? Der eine blickt in ein Buch. Die Straße war menschenleer.

Ich fühlte mich ausgeliefert. Ich fühlte mich schutzlos … armes Mädchen. Ist sie nicht eine ausgebildete Kämpferin? Vollkommen schutzlos wäre sie nie. Sie würde sich eher angreifbar fühlen, könnte aber durchaus eine Waffe in einem Achselhalfter unter der Jacke tragen. Und wer sollte sie in dieser Situation angreifen, der Busfahrer? In einer Menschenmenge würde es mehr Sinn machen.
Du beschreibst sicher ihr allgemeines Empfinden und die Erklärung folgt auch, für mich passt es so aber nicht.

Ich versuchte, nicht darauf zu achten, obwohl das Flüstern mir wie eine Drohung vorkam. Ohne den schweren Mantel einer Austreiberin fühlte ich mich angreifbar, ohne die Schutzweste und die griffbereiten Waffen in den umgeschnallten Gurten.

Ich versuchte, an etwas anderes zu denken. Ein falscher Gedanke könnte meine Mission vorschnell zu ihrem Ende bringen.

Das kann man sicherlich erstmal so in den Raum stellen. Aber es erfolgt nun ellenlang kein Bezug. Es folgt irgendwann:

Ich hatte das seltsame Gefühl, dass er direkt in meinen Kopf sehen konnte.

Warum seltsam, wenn sie es doch erwartet (im Nachhinein). Das gibt aber noch immer keine Erklärung ab.

auch nicht an den Puppenspieler selbst. Er könnte mich entdecken. Allein bei dem Gedanken daran, spürte ich, wie etwas Fremdes sich in meinen Kopf bohrte, mein Innerstes ausspähte. Noch war es nur Einbildung. Ich durfte daran nicht denken.

Auch das ist keine Erklärung. Bei dem Gedanken an den Puppenspieler fühlt sie, das sich etwas in ihren Kopf bohrt. Warum und wer/was? Auch wenn es mit “er könnte mich entdecken“ eine vage Andeutug gibt.

Ich finde, die Information des Gedankenlesens gehört weiter nach vorn. Es steigert die Spannung des Entdecktwerdens.

Liebe Grüße

Rainer Hohn

 

Hallo, Rainer Hohn

Vielen Dank, dass Du nochmal reinschaust. Ich habe gestern noch einmal komplett von vorne angefangen, da bin ich froh, dass die Kritik jetzt kommt, sodass ich nicht die gleichen Fehler nochmal mache.

Ich fühlte mich ausgeliefert. Ich fühlte mich schutzlos … armes Mädchen. Ist sie nicht eine ausgebildete Kämpferin? Vollkommen schutzlos wäre sie nie.

Gut, dass Du es sagst. In Version 1 war Vera sehr taff, aber das hat einigen Kritikern nicht gefallen. Entweder extrem taff oder mehr Gefühl, hieß es. Da ich sie nicht komplett eiskalt schreiben wollte, habe ich es so gemacht. Aber Du hast recht, da könnte ich einige Gänge zurückschalten.

Ich finde, die Information des Gedankenlesens gehört weiter nach vorn. Es steigert die Spannung des Entdecktwerdens.

Auch das ist ein Fehler, den ich wieder gemacht hätte. Da ich mehrmals darauf aufmerksam gemacht wurde, dass ich weniger erklären und mehr erzählen sollte, sind langsam immer mehr Informationen rausgefallen oder weit nach hinten gerückt. Ich bin mir momentan sehr unsicher, wie ich die Informationen so verpacke, dass die Geschwindigkeit aus der Geschichte nicht rausgenommen wird. Daran tüftele ich in der aktuellen Version. Leider habe ich nicht das Gefühl, es richtig hinzubekommen. :( Weil, wie soll ich die Information, dass der Puppenspieler Gedanken lesen kann, zeigen, solange er keine Gedanken liest? Solche Sachen treiben mich aktuell noch um. Ich versuche, eine Lösung zu finden, aber wenn Du einen Ratschlag hast, freue ich mich natürlich - ich weiß selbst, dass das Problem sehr komplex ist. Sonst würde ich ja auch leicht alleine eine Lösung finden.

Vielen Dank, dass Du Dir die Mühe und immer nochmal Anmerkungen machst, während ich noch am Schreiben bin. Das ist zu diesem Zeitpunkt sehr nützlich. ;)

Viele Grüße,
Maria

 

Hallo TeddyMaria,

Da ich mehrmals darauf aufmerksam gemacht wurde, dass ich weniger erklären und mehr erzählen sollte,

Hier hast du wahrscheinlich etwas fehlinterpretiert. Ich kenne jetzt nicht den genauen Zusammenhang in dem Kommentar, denke aber, hier ist folgendes gemeint.

Du erklärst Dinge so, als wären sie als Infopaket da reingepackt. Das nennt man auch Infodump. Das wirkt wie von außerhalb und passt nicht in den Fluss einer Geschichte. Mitunter verlässt du die Perspektive der Prot.

Eines Tages mochte der Lack einmal blau glänzend gewesen sein, nun war die Farbe verwaschen und matt, ein unregelmäßiges Hellblau.

Ein unregelmäßiges Hellblau, das ist eine Erklärung.

Es geht nicht darum, welche Infos du einbringst, sondern wie. Ich habe solche Dump-Passagen auch immer wieder in meinen Geschichten.

Das Netzwerk war eine achanische Terrororganisation.

Es gab natürlich mehrere Wege, auf die er zur Festung gelangen konnte. Er könnte ein eigenes Auto nehmen oder sogar den langen Weg zu Fuß auf sich nehmen.

Beides wirkt wie eine Erklärung.

Normalerweise verließ eine Austreiberin das Haus nicht ohne ihren schweren Mantel, unter dem sie eine schusssichere Weste trug, nicht ohne umgeschnallte Waffengurte, die dafür sorgten, dass sie ihre Waffen sofort griffbereit hatte.

Es gab natürlich … , Normalerweise ….. Es wird von der Pro erklärt.

„Ohne die Schutzweste und die griffbereiten Waffen unter meinem Austreibermantel fühlte ich mich ungeschützt.“

Weil, wie soll ich die Information, dass der Puppenspieler Gedanken lesen kann, zeigen, solange er keine Gedanken liest

„Ohne die Schutzweste und die griffbereiten Waffen unter meinem Austreibermantel fühlte ich mich ungeschützt. Wenn der Puppenspieler jetzt meine Gedanken lesen und mich enttarnen würde, hätte ich Probleme.“

Passt jetzt nicht richtig in die Geschichte, ein nur ein Beispiel.

Ich finde aber auch, dass es oft grenzwertig ist. Oft liegt es nur an einem Wort. (Und, wie gewohnt, liebe Maria, ich spreche nur über meine persönlichen Erkenntnisse).

„Ich wusste ja nicht sicher, ob er im Bus war. Es gab schließlich auch andere Wege, auf die Festung zu gelangen, mit dem Wagen, zu Fuß.“

Ich bin gespannt auf die Neufassung. Vielleicht schaffe ich es dann ja bis zum Schluss.

Liebe Grüße

Rainer Hohn

 

Hallo, Rainer Hohn

Vielen Dank für die Aufklärung. Ich werde weiterhin versuchen, darauf zu achten. Ich glaube fast, das wird mir noch schwerer fallen, aber ich bin jetzt zuversichtlich. Durch Deine Hilfe weiß ich, worauf ich achten muss.

Du erklärst Dinge so, als wären sie als Infopaket da reingepackt. Das nennt man auch Infodump. Das wirkt wie von außerhalb und passt nicht in den Fluss einer Geschichte. Mitunter verlässt du die Perspektive der Prot.

V.a. die Erklärung mit der Perspektive verstehe ich endlich. Da hatte ich gerade so einen "Aha"-Moment. Vielen Dank dafür. Du erwischst mich gerade in der Phase der akribischen Prüfung der Neufassung. Ich werde nochmal die Lupe drauflegen.

Ich bin gespannt auf die Neufassung. Vielleicht schaffe ich es dann ja bis zum Schluss.

Die Geschichte wird um mindestens ein Drittel gekürzt. Mein Ziel ist eigentlich die Hälfte - man soll sich ja ambitionierte Ziele setzen. Selbst wenn es also vom Storytelling her ein Schuss in den Ofen wird, ist es zumindest weniger Text zum Durcharbeiten. ;) Ich bin nur von der aktuellen Version wenig überzeugt, deshalb muss ich mich wohl noch ein paar Tage damit beschäftigen.

Ich freue mich auf jeden Fall, dass Du immer wieder zurückkehrst. Ich merke gerade, dass die Präzisierung von Kritik sehr hilfreich für mich ist, weil das (hoffentlich) dazu führt, dass wir nicht aneinander vorbeireden und das Endprodukt weder mich noch meine Kritiker überzeugt. ;)

Vielen Dank und viele Grüße,
Maria

 

Hallo TeddyMaria,

mir gefällt die Diskussion über den Text und dass du selbst so viel zu anderen Texten kommentierst. :thumbsup:
Mal schauen, was ich Sinnvolles zu deinem Text hier beitragen kann.

Es war noch dunkel, als ich an der Haltestelle von Jurnengand ankam.

Wenn Jurnengand ein Ort ist, müsste es dann nicht „Haltestelle in J.“ heißen?

Die Straßen waren menschenleer. Von den Feldern, die am Stadtrand lagen, stieg bereits Nebel auf, und ein zartes Blau zeichnete sich am Himmel ab.
Das würde ich zusammen in einen Satz schreiben. Klingt dann flüssiger, weil der erste Satz so extrem kurz ist und wie ein Fremdkörper wirkt.

Die Sterne wurden vom nahenden Tageslicht verschluckt. (ZEILENWECHSEL)Der Bus kauerte wie ein dunkles Ungetüm neben der Haltestelle. Er sah alt und schlecht gepflegt aus.
Neue Zeile, da die die Perspektive von Beschreibung der Umgebung zum aktuellen Geschehen wechselst.

… Farbe verwaschen und matt, ein unregelmäßiges Hellblau. Ich erinnerte mich daran, dass mein Vater mir einmal die Klimakammern gezeigt hatte, in der man Autos früher dem UV-Licht ausgesetzt hatte. Ihr Lack war genauso verwaschen gewesen wie an diesem Bus. Da war ich noch sehr klein gewesen. Früher hatte man Autos in diesem Zustand nur in Klimakammern gesehen, in denen extreme Bedingungen herrschten. Heute sahen die meisten der wenig übrigen Fahrzeuge so aus.
Was soll dieser Fokus auf Farbe und Klimakammern? Was ist das überhaupt? Nie gehört.
Den Teil „ Da war ich noch sehr klein gewesen.“ könntest du hier einpacken, so wirkt er so verloren und stört nur den Lesefluss:
„Ich erinnerte mich daran, dass mein Vater mir einmal die Klimakammern gezeigt hatte, in der man Autos früher dem UV-Licht ausgesetzt hatte.“
—> Als ich noch (sehr) klein war, hatte mein Vater mir einmal die Klimakammern gezeigt, in der man Autos früher dem UV-Licht aussetzte.“
„sehr“ könnte weg. (Ist „sehr klein“ 2 Jahre und „klein“ 4 Jahre? Ist da wichtig? Wenn das Alter wichtig ist, bringe es rein gem. „Als ich vier Jahre alt war …“
Wortwiederholung: Du hast 2x „früher“ drin.
1x „hatte“ habe ich oben mal ersetzt. Eins reicht.

Heute sahen die meisten der wenig übrigen Fahrzeuge so aus.
Welche übrigen Autos? Gibt es nur noch sehr wenige? Dystopie? Bin gespannt.

Ich kletterte in den Bus und nickte dem Fahrer zu, der in einem abgegriffenen Buch mit vergilbten Seiten blätterte. Er blickte kaum auf.
„Er blickte kaum auf.“: Diese Beschreibung passt nur, wenn man den Busfahrer für längere Zeit beobachtet, ansieht. Wie lange braucht sie denn zum Hineinklettern in den Bus?
Wieso eigentlich klettern? Ist sie so klein?

Ich schätzte ihn auf Anfang bis Mitte zwanzig. Er war ein magerer Mann mit tätowierten Armen.
Hier könntest du auch kürzen. Beispiel:
"Ich schätzte den mageren Mann mit den tätowierten Armen auf Anfang bis Mitte zwanzig."

Plötzlich kam mir meine Verkleidung nutzlos vor.
Normalerweise verließ eine Austreiberin das Haus nicht ohne ihren schweren Mantel, unter dem sie eine schusssichere Weste trug, nicht ohne umgeschnallte Waffengurte, die dafür sorgten, dass sie ihre Waffen sofort griffbereit hatte.
Wie viele Leser wissen, was eine Austreiberin ist?
Ich hoffe, das wird später noch erklärt, genauso wie die Klimakammern. :D
Außerdem: Warum schreibst du in dritter Person wie über eine Aussenstehende?
Vorschlag: „Als Austreiberin verließ ich das Haus …“

Ich versuchte, an etwas anderes zu denken. Ein falscher Gedanke könnte meine Mission vorschnell zu ihrem Ende bringen.
Den ersten Satz könntest du streichen. Es ginge nichts an Sinn verloren.

Stattdessen lenkte ich meine Aufmerksamkeit auf meine Umgebung.
Das klingt so sachlich. Vorschlag: „Aufmerksam schaute ich mich um.“

Dieser Bus war die einzige Verbindung der Bewohner von Jurnengand zur Festung. Die Festung war die wichtigste Handelsstadt des Landes, und der Bus fuhr nur einmal in der Woche. Normalerweise war es schwierig, ein Ticket zu bekommen.
Kürzungspotential:
„Dieser Bus war die einzige Verbindung der Bewohner von Jurnengand zur Festung, der wichtigsten Handelsstadt des Landes. Es war schwierig, ein Ticket für die wöchentliche Fahrt zu bekommen. Diese Woche jedoch …“
„Normalerweise“ kann raus.

Diese Woche jedoch wurden in den Städten die Sonnenwendfeste gefeiert. Zu diesen Feierlichkeiten blieben die meisten Städter zu Hause.
gefeiert / Feierlichkeiten
Vorschlag: „Diese Woche jedoch wurden in den Städten die Sonnenwendfeste gefeiert, zu denen die meisten Städter zu Hause blieben.“

So, ich höre hier erstmal auf, du bist ja noch in der Überarbeitung, wie ich entnommen habe. Vielleicht kannst du mit meinen Hinweisen ja auch etwas anfangen.
Ich schaue ggf. später noch einmal rein.

Schönen Abend und liebe Grüße,
GoMusic

 

Hallo, GoMusic

Vielen Dank für Deine Anmerkungen und das Eingangslob. Ich bin jetzt noch nicht lange dabei, habe aber auch mit anderen Texten viel Sapß. Außerdem habe ich schon in diesem ersten Monat gemerkt, dass sich meine Sicht auf meine eigenen Texte stark verändert hat dadurch, dass ich die Texte anderer Leute lese. Es stimmt also wirklich: Man lernt hier sehr viel, selbst wenn man nicht selbst schreibt. Momentan wünsche ich mir sogar manchmal, ich hätte nicht zwei eigene Texte, die noch so viel Liebe brauchen.

Mit "Chaosfahrt" bin ich momentan etwas am Hadern. Der Text kommt mir ziemlich durchseziert vor, und ich fürchte, ich muss mich da in Version 4 erstmal selbst wiederfinden.

Was soll dieser Fokus auf Farbe und Klimakammern? Was ist das überhaupt? Nie gehört.

Das ist schon das zweite Mal, dass das jemand anmerkt. Ich hatte es in Version 2 aufgebaut, um ein wenig aus der Kindheit der Prota erzählen zu können. Es ist in der Neufassung aber schon rausgeflogen, also keine Sorge. ;) Über ihre Vergangenheit kann ich sicher auch ohne Klimakammern erzählen.

So, ich höre hier erstmal auf, du bist ja noch in der Überarbeitung, wie ich entnommen habe. Vielleicht kannst du mit meinen Hinweisen ja auch etwas anfangen.

Gut, dass Du aufgehört hast. ;) Das ist vielleicht auch für alle anderen netten Leute relevant, die vielleicht in den nächsten Tagen noch kommentieren wollen: Der Text wird in ein paar Tagen in seiner jetzigen Form nicht mehr existieren. Da ich komplett von vorne angefangen und massiv gekürzt habe, sind die meisten Sätze auch in meiner aktuellen Arbeitsversion nicht mehr drin.

Wofür ich aktuell noch dankbar bin, sind allgemeine Hinweise zu häufig wiederkehrenden Fehlern, von denen man vermuten kann, dass ich sie wieder machen würde (z.B. Infodump oder Schachtelsätze).

Gut, dass Du da auch nochmal den Fokus hingelegt hast, GoMusic. Lange Sätze sind eine Schwäche von mir, da muss ich in der Korrektur stark drauf achten. Auch, dass Du immer wieder auf Kürzungspotential in den Sätzen hingewiesen hast, hilft mir sehr, mich zu fokussieren.

Welche übrigen Autos? Gibt es nur noch sehr wenige? Dystopie? Bin gespannt.

Das ist das erste Mal, dass einem Kritiker die Welt auffällt. Sie liegt mir sehr am Herzen (werde vielleicht, wenn die Arbeit an "Chaosfahrt" größtenteils durch ist - wahrscheinlich könnte ich da für immer überarbeiten -, noch andere Geschichten veröffentlichen, die in der gleichen Welt spielen). Da die Welt mir so sehr am Herzen liegt, wird man davon in der Neufassung auch mehr mitbekommen, versprochen. Hat mich auf jeden Fall gefreut, dass Du auf die Welt gespannt bist. Wie gesagt: Wird mehr davon geben. ;)

Viele Grüße,
Maria

 

Hallo TeddyMaria,

ich habe gerade noch mal reingeschaut und GoMusics Kommentar gelesen. Er sprach dort öfter auf Kürzen an und dazu hatte ich ursprünglich auch etwas geschrieben, war mir aber nicht sicher, da mir nicht wirklich klar ist, wie lang Beschreibungen nun sein dürfen. Es ist ja auch ein Element in Geschichten und die Ansprüche von Genre oder Leser sind unterschiedlich. Ich hole das jetzt nach.

Ich bin nur von der aktuellen Version wenig überzeugt, deshalb muss ich mich wohl noch ein paar Tage damit beschäftigen.

Du bist dabei, deinen Stil zu finden. Da kann man keine Wunder erwarten. Keine Erst- oder Zweitgeschichte ist druckreif.

Mir persönlich erscheint es so, dass du das Tempo erhöhen kannst, indem du unwesentliche Infos herausnimmst und dir mehr Gedanken über den Satzbau machst. Auch wenn es billig klingen mag, aber ich glaube daran: jeder Satz wird auf die Goldwaage gelegt.

Einige Sitze waren herausgerissen, einigen fehlten die Rückenlehnen. Der orangefarbene Stoffbezug war von einigen Sitzen abgezogen oder wies an anderen Sitzen Risse auf, aus denen die gelbe Schaumstofffüllung quoll.

Ob die Sitze herausgerissen sind, kann sie nicht wissen. Sie könnten auch abmontiert sein, ganz nebenbei. Orangefarben und gelb sind kein Muss, und hier kann man dann wirklich diskutieren. Welche Infos braucht der Leser?

„Der Bus war von innen genauso heruntergekommen wie von außen.

Sitze und Rückenlehnen fehlten, aus aufgerissenen Bezügen quoll verschmutzter Schaumstoff.“

Ich habe das jetzt abgesetzt, um den Unterschied zu deinen Zeilen klar zu machen. Es sind eineinhalb Zeilen weniger, der Effekt ist (fast) der Gleiche. Aber das Tempo ist höher. Der Leser muss sich nicht durch eine lange Beschreibung „quälen“.

Hier hast du oft ein gewisses Potential, um die Geschichte zu kürzen. Ich komme übrigens gern wieder, ich betrachte das als Textarbeit.

Liebe Grüße

Rainer Hohn

 

Hallo, Rainer Hohn

Mir persönlich erscheint es so, dass du das Tempo erhöhen kannst, indem du unwesentliche Infos herausnimmst und dir mehr Gedanken über den Satzbau machst. Auch wenn es billig klingen mag, aber ich glaube daran: jeder Satz wird auf die Goldwaage gelegt.

Oje, da hast Du recht. Gerade, weil ich dazu neige, sehr verschwurbelt zu schreiben, lohnt sich das bestimmt. "Oje", sage ich auch aus genau diesem Grund. Ich werde nachher mal die Goldwaage rausholen und alles genau prüfen.

Er sprach dort öfter auf Kürzen an und dazu hatte ich ursprünglich auch etwas geschrieben, war mir aber nicht sicher, da mir nicht wirklich klar ist, wie lang Beschreibungen nun sein dürfen. Es ist ja auch ein Element in Geschichten und die Ansprüche von Genre oder Leser sind unterschiedlich.

Hier bin ich mir auch sehr unsicher. Generell bin ich schnell dabei, Beschreibungen wegzulassen. Andererseits geht es ja auch um eine andere Welt, und da möchte ich ja auch, dass der Leser sich die Umgebung vorstellen kann. Ein bisschen Umgebungsbeschreibungen wollte ich gerne behalten - obwohl sie nicht direkt zur Geschichte beitragen. Ich werde aber gucken, dass das prägnant bleibt und nicht unnötig entschleunigt.

Viele Grüße,
Maria

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo TeddyMaria,

irgendwie taucht hier sehr oft Dein Name auf, sodass ich neugierig wurde, welchen Text ich von Dir hier finde. In einem Deiner Kommentare habe ich auch gelesen, dass Dir diese Geschichte hier mehr am Herzen liegt als die andere. Andererseits entnehme ich Deinem Profil, dass Du eigentlich schon recht viel Schreiberfahrung hast, weswegen ich jetzt mal mit einem feineren Kamm durch den Anfang Deiner Geschichte gehe, um Dir zu zeigen, welche textlichen Schwierigkeiten ich noch sehe (wobei ich mich eher zu den Schreibanfängern zählen würde).

Generell sind mir drei Dinge aufgefallen (ich habe es noch nicht ganz durch Deinen Text geschafft), die Deinen Text aus meiner Sicht zäh machen.

i) Dein Text enthält relativ viele Informationswiederholungen.
ii) Es wird wenig "gezeigt".
iii) Teilweise ist die Sprache unpräzise.

Von den Feldern, die am Stadtrand lagen, stieg bereits Nebel auf, und ein zartes Blau zeichnete sich am Himmel ab. Die Sterne wurden vom nahenden Tageslicht verschluckt.

An diesem Satz stört mich zunächst das Wort "bereits". Meines Wissens entsteht auf den Feldern eher nachts, während die aufgehende Sonne ihn auflöst. Also, warum kommt bei Dir das Wort "bereits"? Ich entnehme dem nur, dass es sich um einen Sonnenaufgang handelt.
Dann kommt der nächste Teilsatz "zeichnete sich am Himmel ab". Warum Himmel? Der Blick im ersten Teilsatz ist auf die Felder am Stadtrand gerichtet. Logischer wäre es, wenn sich das zarte Blau am Horizont abzeichnen würde.

Welches Bild hat der Leser nun vor Augen? Einen Sonnenaufgang. Gecheckt. Aber jetzt kommt das, was ich Informationswiederholung nenne:

Die Sterne wurden vom nahenden Tageslicht verschluckt.

Nicht nur, dass ich den Satz wegen der Passivkonstruktion unschön finde, bringt er auch keine neue Information. Er ist also für die Stimmung und die Atmosphäre völlig unnötig.

Generell ist es übrigens fraglich, wie geschickt es ist, eine Geschichte mit einer ausgedehnten Landschaftsbeschreibung zu beginnen. Das zieht den Leser selten in eine Geschichte. Deswegen würde ich das so kurz wie möglich machen oder weglassen, denn eigentlich kommt es doch nur darauf an, dass es noch dunkel ist.

Ehrlich gesagt würde ich daher eher mit diesem Satz anfangen:

Der Bus kauerte wie ein dunkles Ungetüm neben der Haltestelle.

Man fragt sich nämlich als Leser, warum der Bus wie ein Ungetüm wahrgenommen wird und durch das Adjektiv "dunkles" ist klar, dass es nicht Tag ist. Damit hast Du die gleiche Atmosphäre, aber der Einstieg ist viel spannender.

Aber leider baust Du die Spannung gleich wieder ab:

Er sah alt und schlecht gepflegt aus. Eines Tages mochte der Lack einmal blau glänzend gewesen sein, nun war die Farbe verwaschen und matt, ein unregelmäßiges Hellblau.

Auch hier wieder eine Doppelung der Information. Der erste Satz sagt explizit: Der Bus sah alt und schlecht gepflegt aus. Der nächste Satz beschreibt, was Du unter alt und gepflegt verstehst.

Entscheide Dich für eine Variante. Wenn Du schnell vorwärts gehen möchtest in Deiner Geschichte, dann streiche den zweiten Satz, wenn Du mehr Stimmung erzeugen möchtest, dann streiche den ersten Satz.

In diesem Satz:

nun war die Farbe verwaschen und matt, ein unregelmäßiges Hellblau.

findet sich wieder eine Informationswiederholung. Erst sagst Du die Farbe war verwaschen und matt und dann dasselbe noch einmal mit anderen Worten: "ein unregelmäßiges Hellblau".

Abgesehen davon erzeugst Du dadurch die unschöne Wiederholung des "blau". Der Leser hat gleich verstanden, dass der Bus blau ist. Außerdem ist es nicht wichtig, dass er blau ist. Du brauchst das nur, um die Rückblende des nächsten Absatzes zu motivieren.

Also ich würde da gnadenlos kürzen, z. B. in der Art (ich habe in den nächsten Sätzen versucht, unnötigen Ballast von Bord zu werfen (dabei habe ich auch noch Fehler korrigiert)):

Der Bus kauerte wie ein dunkles Ungetüm neben der Haltestelle. Die Farbe war verwaschen und matt.
Mein Vater hatte mir als Kind einmal die Klimakammern gezeigt, in denen man Autos dem UV-Licht ausgesetzt hatte. Deren Lack war genauso verwaschen gewesen. Autos in diesem Zustand hatte man früher eigentlich nur in Klimakammern gesehen, aber heute sahen die meisten so aus. Wie ungerecht war es, dass ich mich besser an die Autos in der Klimakammer erinnern konnte als an das Gesicht meines Vaters.

Damit habe ich die ersten zwei Absätze eingedampft und das Tempo erhöht, ohne wichtige Information wegzulassen (die Bitterkeit nimmt man als Leser in dem letzten Satz auch so war, ohne, dass Du es wieder explizit benennst).

Das ist jetzt natürlich ein mächtiger Eingriff in Deinen Text und das ist überhaupt nicht so gemeint, dass Du das so schreiben sollst. Ich möchte Dir damit nur zeigen, dass man durch Weglassen von Wiederholungen und unnötiger Information den Text stark kürzen kann und damit auch temporeicher (und evtl. auch spannender) macht.

Ich hoffe, dass Du damit etwas anfangen kannst. Wenn nicht, dann vergiss einfach meinen Kommentar.

Gruß
Geschichtenwerker

 

Hallo, Geschichtenwerker

Danke, dass Du reingeschaut hast. Wenn Du in die Kommentare geguckt hast, hast Du bestimmt gesehen, dass die Geschichte momentan heftig überarbeitet wird. Ich hoffe, dass ich heute Nacht eine um 2/3 gekürzte Version hochladen kann.

Durch Deine Hinweise bin ich mir aber wieder nicht sicher, ob ich das schaffe. :)

Das ist jetzt natürlich ein mächtiger Eingriff in Deinen Text und das ist überhaupt nicht so gemeint, dass Du das so schreiben sollst. Ich möchte Dir damit nur zeigen, dass man durch Weglassen von Wiederholungen und unnötiger Information den Text stark kürzen kann und damit auch temporeicher (und evtl. auch spannender) macht.

Ich hoffe, dass Du damit etwas anfangen kannst. Wenn nicht, dann vergiss einfach meinen Kommentar.


Ich bin leider echt schlecht darin, mich in Informationen kurz zu fassen. Diese Schwäche wurde hier schon oft kritisiert. Das hast Du nochmal schön präzisiert. Vielen Dank. Ich gehe meinen Text jetzt nochmal genau durch. Vielen Dank auf jeden Fall.

Viele Grüße,
Maria

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo, liebe Alle ( Rainer Hohn GoMusic Geschichtenwerker Manlio - ich hoffe, ich habe niemanden vergessen)

Da ich auf alle Kommentare bereits geantwortet habe, vergebt mir bitte, dass ich das jetzt einfach zusammenfasse. Die Anmerkungen lassen sich ja vielleicht ebenso gut zusammenfassen unter: weniger Infodump, mehr Kürze. ;) Ich habe, glaube ich, jedem Einzelnen von euch schon gesagt, wie schwer es mir v.a. fällt, die unnötigen Schnörkel aus meinen Sätzen herauszubekommen.

Aber ich habe es versucht. Ich habe die gesamte Geschichte auf eine einzige Szene eingestrichen, mehr auf innere Handlung gesetzt, versucht, jeden erklärenden Satz zu streichen/anders zu verpacken. Danach habe ich jedes Wort so oft umgedreht, jeden Satz zu oft umgestellt und zurück gestellt, bis ich vorhin nur noch reinen Hass verspürt habe und das Gefühl hatte, dass jeder Absatz einfach viel zu kurz ist. Also habe ich das jetzt einfach hochgeladen, weil ich auch befürchte, dass ich langsam den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr sehe und am Ende den Faden verliere.

Wenn ihr Lust habt, schaut doch nochmal rein und lasst mir einen Kommentar da. Die coolste Neuerung ist nämlich schonmal objektiv vorhanden: Es ist nur noch ein Drittel so viel Text wie ursprünglich - ob es schön ist oder nicht, das überlasse ich erstmal eurem Geschmack.

Ich freue mich auf weiteres Feedback - und fürchte mich ein wenig davor. ;)

Viele Grüße,
Maria

 

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