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- 15.07.2004
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Butenschön sichert sich ab
„Neun“, flüstert Butenschön mit Nachdruck. „Neun.“ Bloß dieses eine Wort, wieder und wieder, wie eine Schallplatte, die einen Sprung hat: „Neun! Neun! Neun! Neun …“, als ihn plötzlich der Schlag trifft.
Das Letzte, was er hört, ist ein warnendes Wiehern, bevor jemand einen festen Schwinger zielgenau in seiner Magengrube platziert. Ihm bleibt die Luft weg, dann sackt er zusammen. Der Aufprall auf dem gefliesten Boden ist hart und schmerzvoll.
Gott im Himmel, denkt Butenschön, während er mit geschlossenen Augen liegen bleibt und auf das Unvermeidliche wartet. Jetzt hat er mich doch tatsächlich zuerst erwischt.
Es verblüfft ihn, dass es ausgerechnet hier passiert, im Spaßbad, vor so vielen Zeugen. Aber warum eigentlich nicht?
Selbst Schuld, denkt er.
Wegen all dieser Leute hat er sich zu sicher gefühlt. Hat gedacht, hier könne ihm nichts passieren.
Herzlichen Glückwunsch! Das ist die Quittung.
Er weiß, dass er sich keiner falschen Hoffnung hingeben darf. Alles, was nun kommt, wird verdammt nochmal schmerzhaft sein. Und vor allem: tödlich!
„Scheiße! Scheiße! Scheiße!“
Ein weiterer Gedanke blitzt auf. Wieso weiß er von mir? Ich war doch so verdammt vorsichtig.
Nun, offenbar nicht vorsichtig genug.
Butenschön ballt die Hände zu Fäusten und ergibt sich seinem Schicksal. Er kann es nicht ändern.
Aber es passiert nichts.
Butenschön spürt lediglich einen gewissen Druck auf seinem Oberkörper, so als säße jemand auf ihm, aber davon abgesehen scheint alles in Ordnung.
Worauf zum Teufel wartet er?
Die Zeit scheint stehen geblieben zu sein, Butenschön ist gefangen im Moment. Er harrt aus, was soll er auch sonst tun? Ist wie ein Insekt, das von Bernstein umschlossen ist.
Irgendwann hält er es nicht mehr aus. Schluss jetzt mit den Spielchen! Lieber ein Ende mit Schrecken als ...
Ach! Was soll‘s!
Er reißt die Augen auf in Erwartung des vertrauten Gesichts.
Aber da ist keine Spur von … ihm.
Keine Spur von Neun.
Und auch von sonst von keiner Nummer.
Dort ist bloß ein dickes, kleines Mädchen, das auf seinem Brustkorb hockt und ihn mit weit aufgerissenem Mund blöde anglotzt. Wie ein fetter Koi-Karpfen, der auf die Fütterung wartet.
„Ich bin ein Pferdchen“, sagt es schließlich und klettert von ihm herunter. In vorwurfsvollem Tonfall fährt es fort: „Und du musst aufpassen, wo du hinläufst. Weil, man darf nicht einfach über die Rennbahn rüber. Das ist gefährlich. Ein Pferd ist nämlich tausend Mal schneller wie du.“
„Als“, korrigiert Butenschön ohne es zu merken und seufzt erleichtert.
Ist das zu fassen? Das alles war nur ein Missgeschick, nichts weiter. Offenbar ist die Kleine beim Spielen in ihn hineingelaufen. Schmerzhaft, ja. Aber nichts, worum man sich einen Kopf machen müsste.
Trotzdem mustert er sie gründlich. Automatisch checkt er sie durch, fixiert ihren Blick wie ein Hypnotiseur.
So, wie er es immer macht. Um ganz sicher zu gehen.
Eine Sache von Sekunden und reine Routine, denn er weiß schon jetzt, dass er nichts finden wird. In der hier steckt nichts Böses. Nur grenzenlose Dummheit.
Das Kind blickt noch immer zu ihm runter, sein Mund steht schon wieder sperrangelweit offen. Es sieht aus wie eine groteske Springbrunnenfigur, der man den Wasserstrahl abgedreht hat und in deren Hals jetzt bloß noch die Tauben scheißen.
Gegen seinen Willen muss Butenschön lächeln. Mit einem Mal ist er seltsam milde gestimmt.
Gott sei Dank gibt es auch solche.
Ein paar Leute gucken flüchtig zu ihnen herüber, aber weil alles ohne Zeter und Mordio abläuft und keine Verletzten gibt, kümmert sich niemand weiter um sie.
„Na los, Kindchen! Zieh Leine!“, sagt er mit sanfter Stimme. Spielerisch schwingt er eine imaginäre Reitgerte. „Hü hott!“
Das Mädchen grinst jetzt auch, krabbelt von ihm runter und läuft dann wackelnd und ohne jede Anmut los. Trampelt in Richtung Strudelbecken. Butenschön lächelt noch immer, als er aufsteht und dem Kind hinterher sieht.
„Heia! Ich bin ein Pferdchen“, ruft das Mädchen. „Ich bin ein Pferdchen!“
„Definitiv ein Kaltblüter“, murmelt Butenschön, bevor er seine Gedanken wieder den wirklich wichtigen Dingen widmet.
Seiner verfluchten Gabe.
Den Zahlen.
Und vor allem: …
… Neun.
Er hat ihnen von Anfang an Nummern gegeben.
Butenschön findet, dass es so leichter ist. Nicht viel leichter, es bleibt so oder so ein Scheißjob, aber immerhin.
Natürlich ist es ab und an notwendig, dass er ihre Namen in Erfahrung bringt; nämlich dann, wenn er ihr Umfeld, ihre Gewohnheiten, ihre Vorlieben recherchieren muss. Jedes Mal, wenn Planung vonnöten ist. Professionalität steht vor persönlichem Befinden. Das ist wichtig. Aber sobald er genug in Erfahrung gebracht hat, vergisst er ihre Namen wieder, oder tut zumindest so als könne er das. Namen bedeuten Bindung. Und Bindung ist das Letzte, was Butenschön will.
Und in diesem Moment sieht er ihn.
Neun steht in der Schlange vor dem Hurrican Loop, einer absurd steilen Riesenrutsche, den Arm lässig in die Hüfte gestemmt und sieht aus, als könne er kein Wässerchen trüben.
Was für ein Schauspiel.
Butenschön ist wie elektrisiert, er spürt sofort die besondere Aura des Jungen. Die Wucht der Emotionen, die Neun in ihm auslöst, erstaunt ihn immer wieder aufs Neue. Ich müsste darauf vorbereitet sein, denkt er. Aber er ist es nicht.
Ist es nie!
Ein Tsunami aus dunklen Gefühlen drischt auf ihn ein, alles gerät mit einem Schlag aus den Fugen, es ist surreal, Realitäten verschwimmen, in seinem Kopf entstehen in Sekundenschnelle Universen und vergehen sofort wieder.
Was bleibt ist schreckliche Gewissheit.
„Schäm dich“, sagt sich Butenschön, „du lügst dir selbst in die Tasche“, und die Erkenntnis darüber verhärtet sich unerbittlich in seinem Hirn wie erkaltende Lava.
Natürlich bist du mit dem Jungen verbunden, und wie du mit ihm verbunden bist, mehr, als mit jedem anderen Menschen auf der Welt!
Für einen kurzen Moment schwindelt ihm, alles scheint sich zu drehen, und Butenschön muss sich an der Wand abstützen, um sich zu sammeln, einen klaren Gedanken fassen zu können.
Erst als Neun johlend in der Öffnung der Riesenrutsche verschwindet – einem riesigen Maul, das ihn verschluckt – hat sich Butenschön wieder sortiert.
Neun ist seine Obsession. Und noch viel mehr als das. Neun ist das Entweder-oder! Der Beweis für den vollkommenden Wahnsinn oder die ultimative Rechtschaffenheit von Butenschöns Handeln.
Nicht mehr und nicht weniger.
Die Gabe ist kein angeborenes Talent, sie ist gewissermaßen über Nacht gekommen. Butenschön ist nicht stolz darauf, nein, er will sie nicht einmal, obwohl er sie für wichtig hält. Nicht nur für ihn als Einzelnen, nein, das mag total vermessen klingen, aber es stimmt: wichtig für die ganze Menschheit!
Als es vor drei Jahren begann, hatte es ihn überrollt wie ein Schnellzug. Unmöglich irgendwas davon zu stoppen! Er erinnert sich noch bis ins kleinste Detail an das erste Mal, so, als hätte jemand das Ereignis in riesigen Buchstaben auf einen seiner Hirnlappen tätowiert. Er muss nur die Augen schließen und schon sieht er alles wieder vor sich:
Das Einkaufszentrum. Butenschön will bloß einen Raclette-Grill kaufen und eine Kiste KöPi, doch plötzlich ist da dieser Junge. Schlendert an ihm vorbei, in der Hand einen Bubble-Tea, auf dem Kopf eine speckige Schalke-Mütze. Lass ihn sieben Jahre alt sein, höchstens acht! Ein lächerlicher Pimpf. Ein Witz in Nike-Schuhen.
Ihre Blicke kreuzen sich für eine Sekunde. Butenschön schaut ihm direkt in die Augen – und weiß es. Der Junge ist durch und durch schlecht. Butenschön spürt es körperlich, er fühlt die Verderbtheit des Kleinen wie einen Schlag in die Fresse. Dann ein Stechen in der Brust, so als ob ein Messer ...
„Du fantasierst“, sagt er sich. „Er ist ein Kind! Nichts weiter.“
Aber Butenschön weiß es besser. Weiß es! Der Junge ist wie ein Baum, der von der Wurzel her verfault. Außen noch schön, aber in Wirklichkeit ausgehöhlt und nicht mehr zu retten. Wenn er umfällt, wird er jemanden erschlagen. Und er wird umfallen. Es ist nur eine Frage der Zeit.
Butenschön weiß, dass der Junge eine Gefahr ist. Er weiß, dass dieser Junge früher oder später jemanden töten wird.
Der Lütte ist höchstens acht Jahre, also wahrscheinlich später, aber Butenschön weiß es – weiß nicht warum, er es weiß – aber er weiß es, er weiß es, er weiß es …
Nummer Eins wird töten!
Neun hat genug vom Rutschen. Mit den für sein Alter typischen schlaksigen Bewegungen rennt er um die Ecke, durch den Verbindungsgang rein in die Nebenhalle, raus aus Butenschöns Blickfeld.
Der atmet tief durch. Dieser Moment ist wie ein Déjà-vu, er hat ihn im Zuge seiner monatelangen Recherchen mindestens ein dutzend Mal durchlebt. Wahrscheinlich öfter. Er ist inzwischen beinahe schon Stammgast hier. Nicht weil er will, sondern weil er keine Wahl hat. Butenschön hasst das Spaßbad, diesen nach Chlor, Schweiß und Pisse riechenden Drecksort, wo hässliche Menschen noch hässlichere Tattoos zur Schau tragen. Jedes Mal kostet es ihn Überwindung hierher zu kommen. Aber natürlich ist er dort, wo Neun ist. Hier oder im Stadion, in der Eishalle, im Freizeitpark, an günstigen Punkten seines Schulwegs. Wenn Neun zur Hölle führe, Butenschön würde ihm folgen. Aber was heißt Wenn? Das Scheißschwimmbad kommt der Hölle schon verdammt nahe.
Du darfst dir deinen Widerwillen nicht ansehen lassen, mahnt Butenschön sich selbst. Das wäre viel zu auffällig zwischen all den ekstatisch grinsenden Gesichtern. Und Butenschön kann es sich nicht leisten aufzufallen. Also schlendert er, die Hände vor dem Bauch verschränkt, scheinbar von Wonne beseelt durch das Spaßinferno. Immer Neuns Spur folgend. Natürlich kennt er dessen Ziel. In fünf Minuten wird im Hauptbecken die Wellenmaschine angeworfen. Eine Mordsgaudi, die sich Neun bisher noch nie entgehen lassen hat.
Neun, denkt Butenschön. Neun! Neun! Neun! Neun!
Es ist Butenschön wichtig, dass er das, was er tut, nicht aus niederen Beweggründen macht. Es bereitet ihm keinen Spaß, er findet keine Befriedigung darin. Butenschön ist kein sadistischer Perverser, der auf Kinder steht. Sie machen ihn nicht an, er geilt sich nicht an ihnen auf, schneidet niemandem das Pimmelchen ab oder steckt scharfkantige Gegenstände in irgendwelche Körperöffnungen.
Butenschön bringt sie nur um.
Diejenigen, bei denen es notwendig ist. Diejenigen, die böse sind. Diejenigen, die später selber Leben nehmen werden. Diejenigen, die den Tod verdienen.
Butenschön hat ein Bild dafür: Die Nummern sind tickende Zeitbomben. Er selbst ist das Entschärfungskommando und muss sie abschalten, bevor sie hochgehen. So einfach ist das.
Bei Eins war es schwer. Fast unmöglich.
Doch inzwischen geht es ihm viel leichter von der Hand. Man könnte fast sagen, dass Butenschön mittlerweile ein Händchen dafür hat.
Neun ist immer noch scharf.
Butenschön entdeckt ihn exakt dort, wo er ihn erwartet hat. Der Junge steht bis zur Brust im Wasser, spritzt aufreizend unbeschwert andere Kinder nass und schaut erwartungsvoll in die Richtung, aus der gleich die Wellen kommen werden. Die Ruhe vor dem Orkan.
In Butenschön selbst tobt längst wieder die übliche Sturmflut aus düsteren Emotionen, wie jedes Mal, wenn er Neun sieht. Aber es gelingt ihm, nichts davon nach außen dringen zu lassen, gute Miene zum bösen Spiel zu machen. Für jeden Außenstehenden sieht er aus wie ein stinknormaler Mittfünfziger, der gelangweilt einem Jungen beim Planschen zusieht.
Aber wenn ich dich umbringe, denkt Butenschön, werde ich es genießen. Zum ersten Mal in all den Jahren werde ich es genießen.
Noch nie war sich Butenschön so sicher wie bei Neun. Das ist der Grund, warum der Junge noch am Leben ist. Der einzige Grund. Denn manchmal...
... manchmal zweifelt sogar Butenschön. „Was, wenn ich mich täusche? Was, wenn ich den Wahnsinn in mir trage? Was, wenn ich sie alle grundlos getötet habe?“
Hin und wieder sind diese Gedanken einfach da, obwohl er sie nicht zulassen will, sich leidenschaftlich dagegen wehrt, kommen sie aus dem Nichts – und dann haften sie an ihm wie ein schlechter Geruch, der ihm überallhin folgt.
Ja, auch Butenschön hat Fragen; Fragen, die er nicht beantworten kann, so sehr er es auch versucht.
Warum kann er es nur bei Kindern fühlen?
Wieso ist keine der Nummern jemals älter als zwölf Jahre gewesen? Weshalb scheint bei den Älteren, die er mit seiner Gabe zu scannen versucht, die Pubertät wie ein Virenschutzprogramm zu wirken?
All das verwirrt Butenschön. Macht ihm bisweilen Angst.
Was, wenn ich derjenige bin, der böse ist?
Aber bei Neun bestehen keine Zweifel. Bei Neun ist alles glasklar.
Durch Neun sichert sich Butenschön ab.
Neun! Neun! Neun! Neun! Neun!
Natürlich kann Butenschön nicht mit Sicherheit sagen, wie oft die jeweiligen Nummern töten werden. Die zukünftigen Gräueltaten bleiben vage, er hat keine bildlichen Visionen davon, wofür er dankbar ist; er kennt weder die Gründe noch die Opfer. Butenschön weiß nur, dass die Nummern töten werden, spürt am eigenen Leib schon jetzt den körperlichen Schmerz, den sie dereinst anderen zufügen. Und trotzdem: Vielleicht bliebe es bei einigen von ihnen bei einem einzigen Mal, der Auslöschung von nur einem Menschenleben – vorausgesetzt, Butenschön würde nicht vorher eingreifen.
Bei Neun ist das anders.
Als Butenschön den Jungen zum ersten Mal sah, war der Schmerz, den er fühlte, schier unerträglich, derartig stark, dass er in gewisser Weise beinahe körperlich greifbar zu sein schien, so, als wolle er sich in jeder einzelnen von Butenschöns Körperzellen materiell manifestieren.
Nein, bei Neun gibt es keine Zweifel!
Neun hat das Potenzial eines Serienmörders. Der Junge ist ein zukünftiger Jeffrey Dahmer, Ted Bundy, Fritz Haarmann, Anatolij Onoprijenko, Harold Shipman, Jack the Ripper.
Und vielleicht sogar noch viel mehr als das.
Ein Massenmörder. Ein Menschenschlächter. Butenschön kann es spüren. Das ultimative Böse. Neun macht ihm Angst, lässt ihn kirre und fahrig werde, der bloße Gedanke an den Jungen und an das, wozu dieser fähig ist, raubt Butenschön nachts den Schlaf.
Und dennoch muss Neun leben!
Denn sollte sich Butenschön bei Neun irren – bei Neun, wo jeglicher Irrtum zu 100 Prozent ausgeschlossen ist, schlicht und einfach nicht vorstellbar, absolut unmöglich … aber wenn ... wenn Neun wider aller Wahrscheinlichkeit und entgegen aller Überzeugung kein Mörder ist ... kein Mörder wird, dann ...
Allein der Gedanken reißt die Tore zur Hölle speerangelweit auf und Butenschön erlaubt es sich nicht, ihn zu Ende zu führen.
Er irrt sich nicht!
Mit einem Schlag ist seine Selbstsicherheit zurück.
Bei Neun ist er sich sicher!
Neun, denkt Butenschön, wird mich von all meinen Zweifeln erlösen. Das ist seine Bestimmung.
Das Jauchzen der Badegäste holt Butenschön zurück ins Hier und Jetzt. Die Wellenmaschine ist gestartet; alles was Beine hat, drängt mit einem Mal ins Becken, das plötzlich viel zu klein erscheint, so wirkt, als laufe es gleich über, aber nicht wegen des Wassers, sondern aufgrund zu vieler sich darin windender Körper. Schwimmer stoßen aneinander wie Treibgut, und Butenschön denkt, dass das Bild, das sich ihm offenbart, aussieht, wie eines dieser abscheulichen Weltuntergangsgemälde von Hieronymus Bosch.
Und mittendrin in dem Chaos ist Neun und lacht.
Er strahlt übers ganze Gesicht, wirft sich kopfüber in die Wellen, verschwindet kurz unter der Wasseroberfläche, taucht prustend wieder auf, schnappt nach Luft, um sich dann mit nicht enden wollender jugendlicher Begeisterung erneut in die Brandung zu stürzen.
Ein Monster, das sich in einem Jungen verwandelt hat.
Nein, durchfährt es Butenschön, es ist genau andersherum: ein Junge, der sich in ein Monster verwandeln wird.
Mit einem Mal fühlt sich Butenschön am Beckenrand seltsam fehl am Platz. Ohne weiter darüber nachzudenken, geht er zum Wasser, geradewegs ins Bassin hinein – erst nur mit den Füßen, dann bis zur Hüfte, und schließlich steht er mittendrin im Trubel, das Wasser bis zum Hals.
Natürlich ist es Neun, der ihn anzieht wie ein Magnet. Der Junge treibt wie eine Boje in Butenschöns Blickfeld. Auf und ab. Ein Ziel, das er nicht verfehlen kann.
Butenschön hält direkt auf ihn zu. Jetzt sind es vielleicht noch drei Armzüge, die ihn von Neun trennen.
Drei Armzüge nur.
Drei.
Butenschön presst die Kiefer so stark aufeinander, dass es knirscht. Er merkt, dass er die Contenance zu verlieren droht, spürt, wie er unaufhaltsam in den Jagdmodus überwechselt. Sämtliche Schutzwälle sind niedergerissen. Es gibt kein Zurück. Der böse Geist des Jungen ist übermächtig. Nicht auszuhalten.
Ich muss ihn auslöschen, schreit es in Butenschön. Jetzt sofort und ohne Gnade.
Zwei Armzüge.
Ein vertrautes Gesicht schiebt sich an Butenschön vorbei, aber es gelingt ihm nicht, es einzuordnen. Alle seine Sinne sind auf Neun fokussiert. Die Welt drumherum spielt keine Rolle mehr.
Neun. Neun. Neun. Neun. Neun.
Der Junge bemerkt ihn nicht. Planscht immer noch blöde prustend in den Wellen. Hat keinen Blick für den alten Knacker, der sich ihm mit malmenden Kiefern wie ein Haifisch nähert.
Butenschön macht sich in Sekundenschnelle ein Bild von der Situation. Spielt seine Möglichkeiten durch.
Zu viel Zeugen. Eigentlich.
Aber Butenschön ist schon lange kein Anfänger mehr. Er hat inzwischen so viel mehr Erfahrung als bei Eins. Übung macht den Meister, so heißt es. Und es stimmt. In dem Getümmel wäre er, wenn er es geschickt anstellt, nahezu unsichtbar.
Er weiß genau, wie er es tun muss: Abtauchen, im Wasser, im Gewühl. Von unten die Beine des Jungen schnappen. Ihn runterziehen. Nicht mehr hochkommen lassen.
Nicht mehr lebend hochkommen lassen.
Drei Minuten konzentrierte Arbeit. Und als Folge ein Ungeheuer weniger auf der Welt.
Butenschön vergisst zu atmen. Er kann Neun jetzt fast berühren. Vielleicht noch eine halbe Armlänge, die sie trennt, wahrscheinlich weniger.
Für die anderen sähe es aus wie ein schrecklicher Unfall. Eine Tragödie, unfassbar traurig, aber so etwas passiert leider manchmal. Ein Trauerfall im Spaßbad.
Ein dünnes Lächeln umspielt Butenschöns Lippen.
Jetzt wird er zuschlagen. Der Sache endlich ein Ende machen. Neun vernichten. Das Böse ausmerzen.
Ein letzter Rest Instinkt hält ihn zurück. Aber das Bedürfnis, zu handeln, ist übermächtig.
Ich kann das, denkt Butenschön. Es ist so leicht. So unfassbar einfach.
Und so dumm!
Die Erkenntnis trifft Butenschön wie ein Keulenschlag. Ein letzter Funken Vernunft hat in seinem Gehirn eine Atombombe gezündet, und die Erschütterung lässt Butenschön mit einem Schlag ausnüchtern.
Nein, er wird Neun nicht entschärfen. Nicht heute. Nicht bevor ... Butenschön zieht gierig Luft in seine Lunge.
Es ist der Junge, der den ersten Schritt machen muss.
Die Enttäuschung drückt Butenschön hinunter wie ein Mühlstein. Er lässt sich sinken, bis seine Knie den Grund berühren. Es sieht aus, als würde er beten.
Schenk mir Gelassenheit! Ich bitte dich! Gib mir die Kraft, es auch weiterhin auszuhalten!
Aber Butenschön spricht nicht zu Gott, er spricht zu sich selbst. Dann taucht er auf und lässt sich mit geschlossenen Augen auf dem Rücken treiben. Atmet tief durch.
Währenddessen ruft er sich all die anderen Nummern ins Gedächtnis, die, die er bereits ausradiert hat. Es gibt kein geheimes Tagebuch, in dem er Rechenschaft ablegt. Keine eingeritzten Kerben an einem Holzpfeiler. Und auch keine mit Kreide geführte Strichliste an irgendeiner modrigen Kellerwand. Butenschön hat alle Nummern im Kopf, jede einzelne ist dort sorgfältig aufgelistet und durchgestrichen. Alle bis auf eine.
Eins, männlich, vermutlich 8 Jahre
Zwei, männlich, 12 Jahre
Drei, männlich, 7 Jahre
Vier, weiblich, 10 Jahre
Fünf, männlich, 9 Jahre
Sechs, männlich, ca. 8 Jahre
Sieben, männlich, 12 Jahre
Acht, männlich, 4 Jahre
Kinderstimmen tönen in Butenschöns Kopf und er kann nicht sagen, ob sie real sind oder nur das Echo derjenigen, die er getötet hat.
Es sind so viele.
Butenschön hat Nummer Neun verschont, aber er hat deswegen nicht aufgehört, die anderen auszuradieren. Er hat nie in Erwägung gezogen, damit aufzuhören. Und während das Wasser Butenschön umgibt wie ein Kokon, hakt er seine Liste weiter ab. Nummer um Nummer um Nummer …
Zehn, weiblich, 7 Jahre
Elf, weiblich, 11 Jahre
Zwölf, männlich, 7 Jahre
Dreizehn, männlich, 10 Jahre
Vierzehn, männlich, 6 Jahre
Fünfzehn, männlich, ca. 9 Jahre
Sechzehn, männlich, 12 Jahre
Siebzehn, weiblich, 5 Jahre
Achtzehn, männlich, 11 Jahre
Neunzehn, männlich, 7 Jahre
Zwanzig, männlich, 9 Jahre
Einundzwanzig, männlich,11 Jahre
Butenschön öffnet die Augen erst wieder, als die Wellen verebbt sind. Etwas ist anders. Augenblicklich läuten in ihm die Alarmglocken. Die Atmosphäre hat sich verändert, er liest es in den Gesichtern der Badenden. Ausgelassenheit hat sich in Entsetzen verwandelt. Alle blicken mit weitaufgerissenen Augen auf denselben Punkt. Butenschön weiß, was ihn erwartet, er kennt diese Art des Starrens gut. Er wappnet sich, dann guckt auch er.
Der Körper treibt langsam an Butenschön vorbei.
Der Tod macht ihm längst keine Angst mehr, dennoch fühlt er Panik in sich aufsteigen. Für einen schrecklichen Moment denkt Butenschön, dass er im Rausch die Kontrolle über sich verloren und Neun doch umgebracht hat. Dass die Vernunft dem schieren Drang das Böse zu vernichten unterlegen ist.
Aber nein, das Kind ist zu klein, um Neun zu sein.
Und dann erkennt Butenschön es.
Selbst jetzt fehlt dem Pferdemädchen jede Spur von Anmut, ihr Treiben auf dem Wasser hat nichts Leichtes, nichts Verspieltes, sie sieht aus wie ein nasser Sack Kartoffeln, der kurz vor dem Versinken ist.
Butenschön wendet den Blick ab, es geht ihn nichts an, auch wenn es ihm nicht egal ist, nein, es rührt ihn schon, schließlich ist er auch nur ein Mensch. Doch er will nicht gaffen, glotzen, so wie die anderen. Das Kind soll einen Rest an Würde behalten.
Und dann sieht er Neun.
Der Junge steht in der Nähe des Mädchens, ganz nah, und erst jetzt fällt es Butenschön auf: am nächsten von allen. Neun guckt nicht, zumindest nicht direkt. Er vergräbt sein Gesicht in den Händen.
Und obwohl es Butenschön nicht sieht, ist ihm klar, dass Neun grinst. Breit und boshaft, bis über beide Ohren. Das Grinsen des Jungen brennt sich auf Butenschöns Seele ein – und er versteht.
Neun hat es getan. Neun hatte dieselben mörderischen Gedanken wie Butenschön. Zur gleichen Zeit, am gleichen Ort. Wie ein böser Spiegel. Nur, dass sich der Junge ein anderes Opfer ausgesucht hat. Und er es wirklich umgebracht hat.
Neun ist endlich seiner Bestimmung, seinem Schicksal gefolgt!
Und Butenschön war währenddessen abgetaucht. Hat nichts gemerkt. Nichts gesehen.
Aber du brauchst einen Beweis, schreien hunderte von Stimmen gleichzeitig in Butenschöns Kopf. Einen Beweis. Einen Beweis. Erst dann kannst du ihn töten.
Töte ihn!
Und nun verlässt Butenschön die sorgfältig gehütete Deckung, ist nicht länger unsichtbar, nicht mehr der unscheinbare Mann, den niemand zur Kenntnis nimmt, weil ihn niemand zur Kenntnis nehmen soll. Er richtet sich auf, wächst mit einem Mal, sein Blick ist wild und hart, und er schreit, so laut, dass es jeder im Spaßbad hören muss: „Wer war das? Hat jemand etwas gesehen? Wer hat das getan?“
Aber nichts geschieht. Keiner zeigt auf Neun. Nicht einer.
Die Leute gaffen Butenschön bloß an, als wäre er der Riese aus einem Märchen, eine Attraktion, ein Weltwunder, aber niemand antwortet, sie sind wie ein Stillleben, auf einer Leinwand gebannt. Und Neun schaut immer noch nicht, spielt weiterhin Theater, aber Butenschön weiß, dass das frisch erweckte Monster still und heimlich durch leicht gespreizte Finger späht, und sich, erfüllt mit diebischen Vergnügen, an der Szene ergötzt.
Abgrundtiefe Verzweiflung bemächtigt sich Butenschöns, er könnte laut heulen. Er ist so nah an dem Beweis, den er so dringend braucht, den er sich so sehr herbeisehnt, aber er kann ihn nicht fassen, fühlt sich wie ein ausgehungertes Kind unterm Kirschbaum, dass sich vergeblich nach den reifen Früchten streckt.
Butenschöns Blick fällt wieder auf den Körper des Mädchens, der immer noch, von allen unangerührt, vor ihm treibt. Wut erfüllt ihn, es ist so absurd. Von den Offiziellen ist keiner zu sehen. Auch sonst hilft niemand.
Mit drei langen Schwimmzügen ist Butenschön da, packt das Kind und schwimmt mit ihm zum Beckenrand. Mühelos wuchtet er es hoch und dreht es auf den Rücken. Sie ist blass, aber ihr Gesichtsausdruck ist derselbe wie vorhin bei ihrem Zusammenstoß. Das Pferdemädchen stiert mit leeren, weit geöffneten Augen stumpf und karpfig vor sich hin.
Automatisch, ohne einen klaren Gedanken, beginnt Butenschön mit der Wiederbelebung. Er presst einen Handballen auf die Mitte ihres Brustbeins und drückt mit der anderen Hand zu, die Arme ausgestreckt, mit einer Frequenz von mindestens 100 Schlägen pro Minute. Aber er zählt nicht mit, denn in seinem Kopf schwirrt nur eine einzige Nummer.
Endlich kommt ein Bademeister von weiß-der-Himmel-woher und will Butenschön ablösen, doch der weist ihn zurück, schreit, dass er sich gefälligst zur Hölle scheren soll. Der Mann erstarrt zur Salzsäule, protestiert aber nicht, wahrscheinlich weil er sieht, dass das, was Butenschön macht, Hand und Fuß hat und er selbst es auch nicht besser könnte.
Butenschön ackert, presst weiter mit roher Gewalt, ab und an beugt sich er sich zu dem Mädchen hinunter, um ihr Luft in die Lungen zu blasen. Für die Schaulustigen, die sich wie Fliegen um ein Stück Scheiße versammelt haben, sieht es so aus, als spräche der merkwürdige Mann zu dem Kind. Worte des Trostes vermutlich, verzweifelte Anfeuerungen, dass es nicht aufzugeben soll.
Doch in Wirklichkeit ist es immer dasselbe, was Butenschön flüsternd herauspresst: „Sag mir, wer es war! Wer war das? Hat er das hat getan? Sag es mir!“
Die Antwort auf all seine Fragen liegt vor ihm und weigert sich zu atmen, obwohl sie es muss, weil so viel davon abhängt. Viel mehr als ihr eigenes dummes kleines Leben.
Aber sie atmet nicht.
Also macht Butenschön weiter, presst und pustet, bis er seine Hände nicht mehr spürt und seine Lunge zu platzen droht. Die Kraft verlässt ihn und plötzlich geht es ganz schnell, er ist matt und erschöpft, wie ein Wasserball, aus dem schlagartig die Luft rausströmt.
Und dann geschieht das Wunder.
Das Mädchen zuckt, es hustet, spuckt Wasser. Mit einem Mal ist wieder Leben in ihr, auch wenn Butenschön nicht im Ansatz versteht, von wo es zurückgekommen ist.
Die Drumherumstehenden raunen. Die Botschaft macht rasend schnell die Runde, wie die Wellen, denen das Kind beinahe zum Opfer gefallen wäre.
„Er hat es geschafft. Sie lebt!“
Mit einem Mal wird das Spaßbad seinem Namen wieder gerecht. Die Leute johlen, jubeln, klatschen, Fremde fallen sich in die Arme, einige weinen hemmungslos.
Butenschön bekommt davon nichts mit, sein Blick ist starr auf die Kleine gerichtet.
„Wer hat dir das angetan?“, presst er hervor.
Das Mädchen schaut ihn an und Butenschön liest in ihrem Gesicht, dass sie nichts weiß, rein gar nichts, nicht ein Wort von dem versteht, was er sie fragt.
„Ich bin ein Pferdchen“, antwortet sie schwach mit kieksigem Stimmchen. „Ein Pferdchen!“
Die Runde geht an Neun.
Butenschön weiß, wann er eine Schlacht verloren hat. Aber der Krieg geht weiter. Es schmeckt ihm nicht, aber er kann es nicht ändern. Obwohl er felsenfest davon überzeugt ist, gerade Zeuge geworden zu sein, wie Neun zum ersten Mal töten wollte, kann er sich nicht sicher sein. Immer noch nicht.
Butenschön wird weiter warten. Beobachten. Unter anderen Voraussetzungen, denn Neun kennt jetzt sein Gesicht, was es nicht leichter machen wird, den Jungen zu verfolgen. Aber das kümmert Butenschön kaum.
Ich bin gut genug, dass ich dich dennoch erwische. Ich erwische dich.
Doch für heute herrscht Waffenruhe.
Mit einem Mal ist Butenschön alles gleichgültig. Er umarmt das Mädchen, drückt es an sich. Tränen rollen über seine Wangen, die Schultern zittern. Es ist lange her, seit er zum letzten Mal geweint hat. Nach Eins, das weiß er noch, nach Zwei und nach Drei auch.
Nach Vier nicht mehr.
In der Zeitung wird später stehen, dass der unbekannte Held von Erleichterung übermannt worden sei.
Ein Fehler, der niemals korrigiert werden wird.
Plötzlich teilt sich die Menschenmenge, die das Mädchen und ihren Retter umgibt, und etwas Gewaltiges rollt auf Butenschön zu, eine Lawine aus Fleisch und Fett, die immer wieder „Mein Baby! Mein Baby! Mein armes, armes Baby!“ schreit.
Muttertier, denkt Butenschön automatisch, lässt das Mädchen los und schiebt es rasch als Schutzschild in Richtung der Furie. Diese packt das Kind und presst es an sich, so fest, als wolle sie es in sich hineinstopfen. Der Kopf der Kleinen verschwindet zwischen zwei absurd großen Brüsten, die mehr schlecht als recht von einem viel zu knappen, neongrünen Badeanzug zusammengehalten werden – und für einen kurzen Moment befürchtet Butenschön, dass das Mädchen ein zweites Mal an diesem an diesem Tag ertrinken könnte.
„Danke“, kreischt die Frau. „Sie haben sie gerettet. Mein Liebling. Meine Elfe.“
Dass sie Letzteres ernst meint, kann Butenschön auf ihrem linken Oberarm lesen, wo in gotischer Schrift der Name Arwen, ein circa fünf Jahre zurückliegendes Datum und ein knallrosa Herz eintätowiert sind.
Er nickt ihr zu und tritt einen Schritt zurück und dann sicherheitshalber noch einen.
„Schon in Ordnung!“ sagt er. „Goldig, ihre Kleine!“
Die Frau wuchtet sich hoch, will ihm folgen. Das Pferdemädchen hält sie wie ein Baguette unter dem Arm geklemmt. Das alles ist von beeindruckender Langsamkeit. Ein Gletscher, der kalbt.
„Sie sind ein Held“, sagt die Matrone mit Nachdruck und die anderen Leute nicken.
Butenschön sieht sich um. Das eine Gesicht, nach dem er sucht, fehlt.
Natürlich!
„Held!“, skandiert die Menge. “Held! Held! Held! Held!“ Es ist wie im Fußballstadion. Das Abbild einer Laola schwappt durch die Halle. Die Stimmung kippt ins Ballermanneske.
Butenschön winkt ab. Schüttelt den Kopf.
Zeit für einen Abgang.
Er wendet Mutter und Tochter den Rücken zu und eilt in Richtung der Umkleidekabine. Mit jedem Meter, den er sich entfernt, wird er unauffälliger. So wie sonst auch.
„Danke!“, kreischt ihm die Walküre schrill hinterher, die es glücklicher Weise aufgegeben hat, ihm zu folgen. Sie steht bebend da, schnauft kurzatmig und brüllt: „Sie sind ein Geschenk Gottes.“
Das ist so dämlich, dass Butenschön fast in ein Lachen ausbricht. Aber irgendwie schmeichelt es ihm auch, bei aller Absurdität, der Gedanke gefällt ihm. Ein Geschenk Gottes.
Warum eigentlich nicht?
„Möglich!“, sagt Butenschön zu sich selbst. „Das wird sich zeigen.“ Denn wenn Neun nur im Ansatz derjenige ist, den Butenschön in ihm sieht, und natürlich ist er das, dann ist Butenschön vielleicht wirklich ein Gottesgeschenk.
Ein Lächeln breitet sich auf Butenschöns Gesicht aus. Schief, schmallippig, und doch, wie er selbst nur allzu gut weiß, nicht unsympathisch.
Er nimmt sich vor, Neun heute keinen Gedanken mehr zu widmen.
Das wird früh genug sowieso wieder passieren. Von ganz allein.
Aber jetzt hat er anderes zu tun.
Mit einem Mal fühlt sich Butenschön seltsam beschwingt.
Und so geht er pfeifend seinem Tagewerk entgegen, raus aus dem Schwimmbad, rein ins Auto, um in eine andere Stadt zu fahren, wo Zweiundzwanzig wartet, eine rothaarige Sechsjährige, voller boshafter Tücke, die er auf dem Weg zur Klavierstunde abpassen wird, denn bei ihr, denkt sich Butenschön, bei ihr, gibt es nicht den geringsten Grund, noch länger zu warten.