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Burger und Butterblumen

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21.04.2015
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Burger und Butterblumen

Mareikes Finger trommeln auf die Tischplatte. Das dauert alles viel zu lange! Ein stilles Wasser und Avocadosalat. Mehr nicht. Dann weiter zur nächsten Besprechung. Sie schiebt den Ärmel der schwarzen Seidenbluse ein Stück nach oben und schaut auf die Uhr. Noch dreißig Minuten. Ihr Blick flattert zwischen Tresen und Restaurant hin und her. Keine Spur von dem Kellner. Sie fährt sich durch die Haare und spürt die Hitze ins Gesicht kriechen. Ihr Magen zieht sich zusammen.
Eigentlich hätte sie große Lust auf einen Burger. Mit doppelt Käse und Speck. Mareike hört das Zischen auf dem Grill, sieht den Cheddar zerlaufen, schmeckt das saftige Fleisch. Sie schluckt, leckt sich mit der Zunge über die Lippen. Ihr Trainingsplan sagt leider etwas anderes. Rohkost. Leichte Mahlzeiten und abends ins Fitnessstudio. Bis die Lunge pfeift.

Sie denkt an den Mädelsabend vor zwei Tagen. Wie stolz ihre Freundin Silke davon erzählte, dass sie jetzt wieder in eine XS passt.
„Ihr wisst ja, die Konkurrenz schläft nicht“, warf sie augenzwinkernd in die Runde. Sie hatten ihr lachend zugestimmt, aber Mareike konnte die Anspannung fühlen, die sich in der Luft ausbreitete.
„Ach, wisst ihr, das ist das Gute am Kinderkriegen“, hatte Kristin gesagt, die vor sechs Monaten Mutter geworden war. „Da werden dann auf einmal ganz andere Sachen wichtig.“
Die Stille hing plötzlich schwer über ihnen. Vier Frauen Anfang dreißig, die sich für einen kurzen Moment argwöhnische Blicke zuwarfen. Mareike war diejenige, die es nicht aushielt und aufsprang, um eine neue Flasche Sekt zu holen. Es war so anders als früher.

Ihr Handy vibriert. Anna hat ein neues Foto bei Facebook hochgeladen. Sie steht auf weißem Sand, hinter ihr türkisblaues Meer, am rechten Rand neigt sich eine Palme ins Bild. Anna dreht sich seitlich zur Kamera, hat das vordere Bein leicht angewinkelt und lächelt, ohne dass dabei Falten ihr Gesicht zerfurchen. Ihr Bauch ist flach und durchtrainiert. Mareike freut sich für sie. Wirklich. Sie wäre bloß auch gerne am Strand. Mit einer perfekten Figur, ohne sich täglich dafür abrackern zu müssen. Mit einem Menschen, der sie liebt.
„Du findest auch noch den Richtigen, wirst schon sehen.“ Anna sagt das immer auf eine Art und Weise, die Mareike wütend macht. Dieses leise Lächeln und der Schimmer von Mitleid in ihren Augen. Mareike will dann um sich schlagen, sich befreien von all den Erwartungen, die ständig zwischen ihnen stehen.
Vor ihr knallt ein Glas Wasser auf das glänzende Holz. Erschrocken schaut sie in das Gesicht des Kellners, der mit hochgezogener Augenbraue darauf wartet, dass sie ihr Handy vom Tisch nimmt. Sie schiebt es zur Seite und blickt auf den Teller. Ein winziges Häufchen aus sämigen Avocadostücken, garniert mit einer halben Cocktailtomate.

Fünfzehn Minuten später steht Mareike schwer atmend im Aufzug. Nur noch drei Minuten, dann geht die Besprechung los. Sie hetzt durch den Gang, vorbei an den gläsernen Käfigen der Kollegen. Auf ihrem Schreibtisch türmen sich Papierstapel. Sie will das Fenster aufreißen. Sehnt sich nach einem Windstoß, der alles zu Boden fegt. Aber sie reißt sich zusammen. Steckt eine lose Haarsträhne zurück in den Zopf, zupft ihre Bluse zurecht und schnappt sich den Schnellhefter, der auf der Tastatur liegt.
Im Konferenzraum ist nur noch ein Platz frei, als sie hineinstürmt und ein „Entschuldigung“ hervorpresst. Sie lässt sich neben ihren Chef auf den Stuhl fallen. Herr Heinzmann mustert sie stirnrunzelnd, beugt sich dann aber nach vorne und beginnt zu den übrigen Kollegen im Raum zu sprechen. Mareike weiß, dass sie zuhören sollte. Sie starrt auf seine Lippen und sieht, wie die Worte aus seinem Mund fallen. Doch sie ergeben keinen Sinn.
Alle haben ihr gratuliert, als sie den Job in der Werbeagentur bekommen hat. Guter Ruf, gute Bezahlung, tolle Aufgaben. Sie sprechen immer von Verwirklichung. Von Aufstiegschancen. Mareike denkt an die Dolomiten. An die Berghütte, die dort am Steilhang steht. Die Aussicht ist mit nichts zu vergleichen. Die Luft riecht nach frischem Gras und Butterblumen.

Es stinkt nach Gummi und Schweiß. Sie liegt auf ihrer Yogamatte und schnappt nach Luft. Tief ein- und ausatmen soll sie. Neunzig Minuten lang hat sie sich verrenkt und von Chips und Fernsehen auf dem Sofa geträumt. Um sie herum andere hechelnde Frauen. Als alle aufstehen, nickt man sich zu. „Eine tolle Stunde war das!“ Eine von ihnen zieht sich neben Mareike um und steigt mit schmerzverzerrtem Gesicht in ihre Jeans.
Klebrig und mit rotem Kopf hetzt sie nach Hause und springt unter die Dusche. In zwanzig Minuten kommt Silke. Es ist Freitag und ihre Freundin will ein paar Bars abklappern. Spaß haben. Ausflippen, wie sie es immer nennt. Mareike wickelt sich das Handtuch um den Kopf und drückt auf dem Weg ins Schlafzimmer schnell auf den Knopf ihrer Kaffeemaschine. Ihre Augen brennen, der Kopf ist schwer. Das Bett sieht so weich aus.

Früher hat es geholfen, einfach einen Fremden zu küssen. Wild mit ihm zu knutschen, eng umschlungen in der dunklen Ecke einer Bar. Mareike spürt seine weichen Lippen, seine Hände in ihrem Haar, sein Drängen. Zu wenig Platz, zu wenig Luft! Sie löst sich ruckartig aus seiner Umarmung und torkelt hinaus in die Nacht. Silke kommt schon klar.
Mareike zieht die Pumps aus und schmeißt sie in die Hecke. Ihre Füße sehen schlimm aus. Angeschwollen und mit Blasen an der Ferse. Barfuß läuft sie über den warmen Asphalt. So viele Menschen sind unterwegs, alle auf der Suche nach etwas. Die Stadt schrumpft plötzlich zusammen. Die Häuserwände kommen näher, die Luft wird stickig, Mareike irrt umher mit Tränen in den Augen. Sie muss hier raus. Sehnt sich nach Weite. Nach frischem Gras und Butterblumen.

Sie steigt aus dem Auto und atmet tief ein. Vögel zwitschern, ein leichter Wind raschelt durch die Baumkronen. Mareike hievt den schweren Rucksack aus dem Kofferraum und läuft los. Ihr Herz klopft hart gegen den Brustkorb. Sie stapft um die große Rechtskurve und sieht sie in der Ferne über den Steilhang ragen. Die Hütte hat fünf Zimmer, die im unteren Geschoss in den Berg hineingebaut wurden. Mareike hat eins der vorderen reserviert. Hier kann sie durch die bodentiefe Scheibe über das ganze Tal schauen. Über sich hört sie die Wanderer auf der Terrasse lachen.
Die Besitzerin steht hinter ihr in der Zimmertür. „Wissen Sie jetzt schon, wie lange Sie bleiben möchten?“
Mareike schüttelt den Kopf. Sie dreht sich zu der Frau um und weiß nicht, was sie sagen soll. Die Besitzerin sieht ihr fest in die Augen und lächelt. „Na, das hat ja keine Eile. Jetzt kommen Sie erst einmal an. Bis Sonntag gehört das Zimmer auf jeden Fall Ihnen. Danach sehen wir weiter. Möchten Sie etwas essen?“
Mareike sieht sie fragend an: „Haben Sie vielleicht Hamburger?“
Die Frau lacht. „Nein, die gibt’s hier oben nicht. Aber ich kann Ihnen ein schönes Rindersteak auf den Grill hauen, wenn Sie möchten.“
Mareike nickt ihr zu. Sie wartet, bis die Besitzerin die Zimmertür hinter sich geschlossen hat, und wendet sich wieder der Aussicht zu. Setzt sich auf den warmen Holzboden, starrt auf die kantigen, mächtigen Berge und weint.

 
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Hallo RinaWu,

da bahnt sich ja eine veritable Midlife-Crisis an, vielleicht ein bisschen früh anfangs der Dreißiger. Aber das Mädchen hat ja schon allerhand erreicht im Leben. Vielleicht geht die Krise ja doch ein wenig tiefer, eine Sinnkrise. Deine Prota flüchtet sich in die Freiheit versprechende Bergwelt, aber

(sie) setzt sich auf den warmen Holzboden, starrt auf die kantigen, mächtigen Berge und weint.

So ganz nachvollziehen kann ich die Depression der jungen Frau nicht. Man könnte zynisch sagen, mein Gott, die leidet auf hohem Niveau. Ich würde gerne mehr erfahren über mögliche Enttäuschungen, Verletzungen, Verluste. Einiges ist ja angedeutet. Vielleicht hat sie in der Almhütte eine gute Zeit mit einem guten Partner gehabt, was sich aber nicht mehr zurückholen lässt. Vielleicht glaubt sie, dass ein Leben mit Kindern mehr Erfüllung brächte, vielleicht trauert sie einer verpassten Gelegenheit nach.

Ist ja nicht ungewöhnlich, so eine Krise. Mir fällt da Ingeborg Bachmanns Erzählung ein, Das dreißigste Jahr. Zeit, das bisherige Leben zu rekapitulieren, und Zeit, die Weichen neu zu stellen.

Sprachlich denke ich, dass du einen sehr ruhigen, präzisen Stil entwickelt hast. Der Text gefällt mir , auch weil du mit Dialogen sparsam umgehst, hier, wie ich finde, dem Thema angemessen.

Herzliche Grüße nach München und in die Nachbarschaft

wieselmaus

 

Liebe RinaWu,

schön, eine neue Geschichte von dir zu lesen.

Das Thema packt mich auch immer wieder. Es ist verlockend darüber zu schreiben.

Deine Protagonistin erkennt man schon ganz gut und was sie umtreibt auch. Allerdings habe ich den Eindruck einer Erzählung. Ich kann es nicht empfinden. Mir fehlt es an Atmosphäre. Ich weiß genau, was du meinst, aber es transportiert sich nicht in meine Empathie. Ich bin nicht bereit.

Das kann selbstverständlich durchaus aus mir liegen. Möglicherweise bin ich blockiert und krieg' nix mit. :hmm:

Es ist jetzt leider nicht mehr als ein Leseeindruck geworden. Ich werde sie noch einmal zu einem anderen Zeitpunkt lesen.

Freundlicher Gruß, Kanji

 

Hallo wieselmaus,

schön, von dir zu lesen.

Ich weiß gar nicht so sehr, ob es eine Midlife-Crisis ist. Oder eine Depression. Klar, leiden tut sie auf jeden Fall auf hohem Niveau, da braucht man nicht drüber diskutieren. Ich würde es tatsächlich als kleine Sinnkrise sehen. Aber eine, die erst erahnt wird, die sich noch nicht verorten lässt, also wo liegen genau ihre Ursachen, usw.
Ich wollte dieses Gefühl irgendwie einfangen. Diese Fragen und Erwartungen, die man nicht beantworten kann. Will ich Karriere machen? Muss ich top in Form sein? Fehlt mir nur der Mann zu meinem Glück? Ist der Job meine Erfüllung? Oder doch eher Kinder? Wo will ich hin? Was fühle ich eigentlich gerade? Dieses Gefangensein in sich selbst und man ist noch nicht an dem Punkt, eine wirkliche Lösung zu finden. Wie du so schön sagst, Zeit, das bisherige Leben zu rekapitulieren, und Zeit, die Weichen neu zu stellen.

Sprachlich denke ich, dass du einen sehr ruhigen, präzisen Stil entwickelt hast. Der Text gefällt mir , auch weil du mit Dialogen sparsam umgehst, hier, wie ich finde, dem Thema angemessen.
Danke dir dafür, das freut mich sehr.

Ich schicke dir viele Grüße in die alte Nachbarschaft.
RinaWu

Hallo Kanji,

danke, dass du mir deine Gedanken da gelassen hast.

Das Thema packt mich auch immer wieder. Es ist verlockend darüber zu schreiben.
Darüber habe ich noch nie geschrieben. Hatte diese Phase aber selbst auch schon, bzw. immer mal wieder so kleine Sinnkrisen, und wollte mal versuchen, das in Worte zu fassen.

Du hast sicher recht, die Protagonistin ist nicht so beschrieben, dass man sehr gut mit ihr mitfühlen kann. Ich habe da vieles nur angerissen. Ich bin auch noch nicht hundertpro mit dem Text zufrieden, ich muss mal ein paar Nächte darüber schlafen. Ich möchte nicht zu sehr ausschweifen, zu viel über sie zu erzählen. Weil das Gefühl, das sie hat, eher so eine Zeitspanne beschreiben soll, ein Gefühl, das in der Luft liegt. So viele Möglichkeiten, aber was will ich überhaupt?

Danke dir für deinen Leseeindruck und wünsche dir noch einen tollen Abend.
LG RinaWu

 

Hallo RinaWu,

habe die Geschichte ganz gern gelesen. Sprachlich bin ich tatsächlich kein einziges Mal gestolpert, habe nichts auszusetzen, flüssig geschrieben. Im Gegensatz zu wieselmaus finde ich nicht, dass das leiden auf hohem Niveau ist. Im Gegenteil, ich finde es ist ein anschauliches Beispiel für die Generation der heute 30jährigen(okay, für einen Teil dieser Generation zumindest;)), die auf der einen Seite total unabhängig, erfolgreich, gut ausgebildet sind, um die Welt jetten, tolle Jobs haben, auf der anderen Seite irgendwie verloren sind, weil sie sich nicht festlegen können, keine Kompromisse eingehen wollen, ihr Leben sich in Facebook oder Instagram abspielt und eigentlich sehr einsam sind. Das hast Du gut rübergebracht.
Den Schluss finde ich allerdings ein bisschen zu sehr "der große SAT1-Film", man könnte sich fast Alexandra Neldel vorstellen, die dann ihre eigene Bio-Käserei auf der Alm aufzieht und bei der Gelegenheit noch ihren Traummann, den Sohn vom Bergbauern gegenüber, kennen und lieben lernt. Sorry, musste sein:D.
Mein Fazit: Du hast dieses Lebensgefühl ganz gut getroffen, für eine gute Kurzgeschichte fehlt mir aber das gewisse Etwas, ein Höhepunkt.
Schönen Abend,
Kerkyra

 

Hallo RinaWu,

für mich ist Mareike eine Burnout-Kandidatin. Vielleicht etwas früh mit Anfang dreißig, aber ich kenne auch eine Frau, die schon mit Ende zwanzig an diesem Punkt war. Mareike ist Spielball der Ansprüche und Erwartungen ihrer Umwelt. Sie hetzt nicht nur beruflich von einem Termin zum nächsten, sondern glaubt sich auch privat ständig optimieren zu müssen. Aussehen, Fitness, Familie gründen, Kinder kriegen. Sogar das Spaßhaben am Freitagabend wird zur anstrengenden Pflicht, statt den dringend benötigten Ausgleich zu bringen. Das ganze Leben ein einziger Wettkampf, ständig in Vergleich und Konkurrenz mit anderen. Sie wird das Zimmer in den Bergen deutlich länger brauchen als bis Sonntag, um aus dieser Lage wieder heraus zu finden. Wenn sie glaubt, nach kurzem Verschnaufen an einem verlängerten Wochenende wieder fit zu sein für ihren Alltag, wird sie auf die Nase fallen. Vielleicht auch ganz heilsam.

Mit dieser Geschichte kommst du bei mir sehr gut an, aber ich bin auch empfänglich dafür, denn ich war selbst schon an diesem Punkt (und dahinter). Deshalb kann ich vielleicht nicht gut einschätzen, wie gut du dieses Thema jemandem vermittelst, der weniger vorgeprägt ist. Ich denke aber, du hast einen Stil gewählt, der zur Situation einer Betroffenen passt: eher sachlich, die Emotionen zurückgefahren (unterdrückt); kurze Sätze, schnelle Schnitte, die die Hektik des Verlaufs (außen wie innen) gut abbilden. Wenn man nach dem Ende noch weitererzählte (was nicht heißt, dass du das solltest), müsste man wahrscheinlich den Tonfall ändern und Mareikes hervorbrechende Gefühlswelt stärker sichtbar machen.
wieselmaus merkt an, Mareike leide auf hohem Niveau. Das stimmt, ist aber in gewisser Weise auch gerade das Wesen einer Depression. Wenn man leidet, weil das Leben objektiv schlimm ist, dann ist das ja gar nicht pathologisch. Und beim Burnout (dem ja häufig eine Depression zugrunde liegt), ist das ähnlich: der trifft oft gerade die nach außen Erfolgreichen, von denen die Welt denkt, es müsse ihnen doch gut gehen. Tut es aber nicht, und kaum einer versteht es, so wie es manchem Leser schwerfallen mag, deine Mareike zu verstehen, die ihr Seelenleben auch im Text ein Stück weit versteckt, statt es vor dem Leser auszubreiten.

Kann gut sein, dass ich hier zu viel hineininterpretiere, deine Geschichte ist halt bei mir auf sehr fruchtbaren Boden gefallen. :hmm:

Noch ein bisschen Textkram:

Das dauert alles viel zu lange! Ein stilles Wasser und Avocadosalat. Mehr nicht! Dann weiter zur nächsten Besprechung.
Das zweite Ausrufezeichen würde ich weglassen. Nicht nur, weil ich generell versuche, mit den Dingern sparsam zu sein. Ich finde auch, damit betonst du den Satz zu sehr. Er könnte m.E. stärker wirken, wenn er lakonischer daherkäme. Alltäglicher, resignierender.

„Ihr wisst ja, die Konkurrenz schläft nicht“, warf sie augenzwinkernd in die Runde. Hinter dem Zwinkern lag noch etwas anderes. Sie hatten ihr lachend zugestimmt, aber Mareike konnte die Anspannung fühlen, die sich in der Luft ausbreitete.
Der fette Satz ist ein starkes Tell. Wie wär's, wenn du ihn einfach wegließest? Das Nachfolgende sagt es doch auch.

„Ach, wisst ihr, das ist das Gute am Kinderkriegen

Mareike freut sich für sie. Wirklich. Sie wäre bloß auch gerne am Strand. Mit einer perfekten Figur, ohne sich täglich dafür abrackern zu müssen.
Wahrscheinlich hat Anna ihr weisgemacht, dass sie für ihr Waschbrett gaaar nichts tun muss. Lüge, jede Wette! Die schwitzt und hungert mindestens ebenso viel wie Mareike.

Vor ihr knallt ein Glas Wasser auf das glänzende Holz.
Ist der Kellner unhöflich oder ungeschickt? Oder kommt es Mareike nur wie ein Knall vor, weil es sie so aus ihren Gedanken reißt?

Sie sprechen immer von Verwirklichung.
Das ist für mich irgendwie der Kern. Was ist eigentlich (Selbst-)Verwirklichung? Das, was einem alle einreden? Da ist was faul.

Die Luft riecht nach frischem Gras und Butterblumen.

Es stinkt nach Gummi und Schweiß.

Sehr schöner Kontrast!

„Eine tolle Stunde war das!“ Eine von ihnen zieht sich neben Mareike um und steigt mit schmerzverzerrtem Gesicht in ihre Jeans.
Auch sehr schön. Sport ist ja nur dann gesund, wenn's wehtut ...

Früher hat es geholfen, einfach einen Fremden zu küssen. Wild mit ihm zu knutschen, eng umschlungen in der dunklen Ecke einer Bar.
Den Gedanken fand ich etwas merkwürdig, fast deplaziert. Das suggeriert, dass Mareike früher eine ganz Wilde war, so ganz anders als ihr etwas Spießiges heutiges Ich ("spießig" meine ich hier nicht negativ). Das kann ja durchaus sein, aber ich sehe ansonsten in der Geschichte keinen Anhaltspunkt für so einen radikalen Wandel in der Vergangenheit, und ich finde auch nicht, dass der als Erklärung für irgendetwas anderes erforderlich wäre.

Sehr gern gelesen!

Grüße vom Holg ...

 

Hallo Kerkyra,

ich denke, wenn wieselmaus und auch ich von "Leiden auf hohem Niveau" sprechen, ist eher gemeint, dass es hier nicht um existenzielle Nöte geht. Es geht nicht darum, wie versorge ich mich? Wo schlafe ich heute Nacht? Wie kann ich überleben? Sondern, wie du es wirklich sehr passend beschrieben hast, um den Willen, Entscheidungen zu treffen. Sich aus Erwartungen, die andere vielleicht an eine Frau Anfang 30 haben, zu befreien und sich mal kurz zu sammeln und zu überlegen, was will ich eigentlich? Und wie gesagt, klar interpretiert jeder etwas eigenes in Geschichten, aber als ich den Text schrieb, dachte ich tatsächlich nicht an eine zutiefst depressive Frau, sondern eher an eine, die so in diesem Kreislauf aus "wie sollte mein Leben aussehen - und will ich das so?" gefangen ist, dass sie verloren umhertreibt und trotz all dem Erreichten nicht wirklich zufrieden ist.

Den Schluss finde ich allerdings ein bisschen zu sehr "der große SAT1-Film", man könnte sich fast Alexandra Neldel vorstellen, die dann ihre eigene Bio-Käserei auf der Alm aufzieht und bei der Gelegenheit noch ihren Traummann, den Sohn vom Bergbauern gegenüber, kennen und lieben lernt.
Ja um Gottes Willen!!!!!! :drool: "Der große Sat.1-Film". Das ist ja furchtbar. Tut mir sehr leid, dass mein Ende dich unbedingt an SOWAS erinnert hat :Pfeif: Ich musste aber auch kurz schmunzeln, das hast du schockierend schön ausgedrückt. Jedoch spinnt da in deinem Kopf vielleicht etwas weiter, das ich gar nicht gemeint habe. Bzw. ich habe nicht mal dran gedacht. Mareike geht nicht auf die Hütte, um den Mann ihrer Träume zu finden oder mit sich ins Reine zu kommen. Das lasse ich bewusst offen. Sie will einfach nur frei atmen und weg von diesem seltsamen Gefängnis, das sie sich selbst geschaffen hat.

Einen schönen Tag dir,
RinaWu

Hallo lieber The Incredible Holg,

also deine Kommentare machen immer richtig Spaß zu lesen, wirklich. Du fuchst dich so in die Texte hinein, lässt deinen Gedanken freien Lauf und teilst sie dann hier - das ist wirklich toll. Vielen Dank, dass du dir Zeit für meinen Text genommen hast.

In deinem ersten Absatz hast du sehr treffend beschrieben, wie ich Mareike vor mir sehe. Ob sie nun kurz vor dem Burnout steht, weiß ich nicht, bei mir ist sie glaube ich noch ein paar Stufen davor. Sie spürt, dass etwas nicht stimmt, dass sie viel zu oft Dinge tut, auf die sie eigentlich gar keine Lust hat (Stichwort "Pflicht-Feiern" oder "Bodyforming"), weiß aber noch nicht wirklich, wie sie sich all dem entziehen kann. Es freut mich, dass ich dieses eigene Gefühl gut zu dir hinüber transportieren konnte. Ich selbst bin jetzt Anfang dreißig und bin eben noch gar nicht da, wo andere Frauen meines Alters sind. Ich bin weder heiß auf Karriere, noch ist mir gerade nach Kinderkriegen zumute. Und irgendwie bekommt man das Gefühl, man solle sich doch für eines von beiden entscheiden. Ich hatte da eine (zum Glück zur kurze) Phase, in der mich das auch unterschwellig irgendwie unter Druck gesetzt hat. Mittlerweile bin ich wieder gelassener. Mein Verlobter ist da zum Glück sehr entspannt und sagt mir immer, ich soll auf meinen Bauch hören und wenn ich zufrieden bin, ist alles gut. Ich kenne dieses Gefühl der Unruhe, die sich schwer definieren lässt, aber auch in Ansätzen und wollte mal versuchen, das auszudrücken.

Ich denke auch, dass es für Menschen, die relativ einfach Entscheidungen fällen können, die sehr gradlinig sind und sich vielleicht auch nicht zu viele Gedanken über alle Möglichkeiten machen, die es so gibt, schwer ist, Menschen wie Mareike in solch einer Stimmung zu verstehen.

Deine Anmerkungen zum Text habe ich gerne übernommen, bzw. mich darüber gefreut. Der Kellner ist übrigens in meiner Vorstellung etwas ungehalten, weil Mareike so in ihr Handy vertieft ist, dass er die Bestellung nicht servieren kann. Daher knallt er das Glas ein wenig energischer auf den Tisch. So laut klingt es aber sicher auch, weil sie so rausgerissen wird aus ihren Gedanken.

Wahrscheinlich hat Anna ihr weisgemacht, dass sie für ihr Waschbrett gaaar nichts tun muss. Lüge, jede Wette! Die schwitzt und hungert mindestens ebenso viel wie Mareike.
Du sagst es!

Sport ist ja nur dann gesund, wenn's wehtut ...
Haha, das ist auch so ein Thema. Ich habe vor einem halben Jahr das Joggen angefangen, weil ich von irgendwelchen Studios und vollgestopften Kursen die Nase voll hatte. Dieses verkrampfte "sich in Topform bringen", das da viele praktizieren, nervt mich total. Jetzt bin ich nach der Arbeit immer schön an der frischen Luft, baue mir Stück für Stück eine gute Kondition auf und bin einfach ausgeglichener. Dieser Druck, der mittlerweile sogar hinter Freizeitaktivitäten steckt, ist manchmal echt absurd.

Die knutschende Mareike wird dennoch bleiben. Mal mit einem Fremden zu knutschen, muss ja nicht heißen, dass sie eine ganz Wilde war. Sondern einfach, dass körperliche Nähe es früher geschafft hat, einen Ausgleich für sie zu schaffen. Was ich hier beschreiben wollte, war, dass vermeintlich "unbeschwerter" Spaß ohne Verpflichtungen eben auch nicht immer das Gelbe vom Ei ist. Und speziell in Mareikes Fall führt ihr diese Situation erst recht vor Augen, wie bedrängt und allein sie sich eigentlich fühlt.

Holg, vielen Dank für diese wertvollen Anmerkungen!
Liebe Grüße
RinaWu

 

Hallo RinaWu

mal wieder war Fluffiges von dir :) Wann startest du einen neuen Roman? Über ne Anfang-dreißigjährige, die mit ihrem Freund in einem Schwarzwaldsee von Geistern verschleppt wird und dabei von den Spaghetti angeschrien wird, die sie vorgesetzt bekommt :) Klar, da würde jder nen Burnout bekommen.
Nette Geschichte, auch wenn mir nicht alles einleuchtet, was da passiert, fehlt mir bisschen die innere Logik des Geschehens...

Ich schau mal in den Text:

Mareike hört das Zischen auf dem Grill, sieht den Cheddar zerlaufen, schmeckt das saftige Fleisch. Sie schluckt, leckt sich mit der Zunge über die Lippen.
das ist gut und sinnlich erfahrbar beschrieben

Mareike denkt an den Mädelsabend vor zwei Tagen. Wie stolz ihre Freundin Silke davon erzählte, dass sie jetzt wieder in eine XS passt.
„Ihr wisst ja, die Konkurrenz schläft nicht“, warf sie augenzwinkernd in die Runde. Sie hatten ihr lachend zugestimmt, aber Mareike konnte die Anspannung fühlen, die sich in der Luft ausbreitete.
„Ach, wisst ihr, das ist das Gute am Kinderkriegen“, hatte Kristin gesagt, die Mareike schon seit der Schulzeit kannte. „Da werden dann auf einmal ganz andere Sachen wichtig.“
Die Stille hing plötzlich schwer über Ihnen. Vier Frauen Anfang dreißig, die sich für einen kurzen Moment argwöhnische Blicke zuwarfen. Mareike war diejenige,
im Text kommt der Name für meinen Geschmack zu gehäuft vor, da könntest du variieren...

Anna dreht sich seitlich zur Kamera, hat das vordere Bein leicht angewinkelt und lächelt, ohne dass dabei Falten ihr Gesicht zerfurchen.
wie macht sie das? kann ich mir jetzt nicht so recht vorstellen?

Die Portion ist winzig.
zeig uns das bisschen Winzigkeit :)

Sie starrt auf seine Lippen und sieht, wie die Worte aus seinem Mund fallen. Doch sie ergeben keinen Sinn.
geht mir oft so in Meetings; da hilft nur: klug und interessiert schauen und dabei an gar nichts denken, ist ja meist eh nichts wichtiges, was gesagt wird und wird sowieso wiederholt... :)

Die Aussicht ist mit nichts zu vergleichen. Die Luft riecht nach frischem Gras und Butterblumen.
sehr gut, diesen Gegensatz, den du da zeigst

Sie muss hier raus. Sehnt sich nach Weite. Nach frischem Gras und Butterblumen.
hier wieder: sehr schön

Sie steigt aus dem Auto und atmet tief ein. Vögel zwitschern, ein leichter Wind raschelt durch die Baumkronen.
der Übergang kommt für mich etwas zu hart, vielleicht ließe sich das deutlicher trennen...

Hier kann sie durch die bodentiefe Scheibe über das ganze Tal schauen. Über ihr hört sie die Wanderer auf der Terrasse lachen.
die heilende Natur... gefällt mir...

Aber ich kann Ihnen ein schönes Rindersteak auf den Grill hauen, wenn Sie möchten.“
hier wäre die Stelle, um das kreischende Steak ins Spiel zu bringen :D

Setzt sich auf den warmen Holzboden, starrt auf die kantigen, mächtigen Berge und weint.
mm: weint sie etwa, weil sie glücklich ist?

Du hast so ein wunderbares Weltbild, das spürt man in allen deinen Texten...
viele Grüße
Isegrims

 

Liebe RinaWu,

eine gelungene Geschichte, wie ich finde. Das machst du sehr schön: die Darstellung der einzelnen Facetten dieser sich entwickelnden Sinnkrise. Das Weinen am Schluss gefällt mir dabei am besten: Fast, wie von selbst drängt da etwas nach außen, was innerlich noch unsortiert rumort. Und gleichzeitig löst sich der Knoten, macht das Gefühlschaos zugänglich, schafft Raum für Klarheit. Denn zum äußeren Prozess, raus aus den Zwängen des Berufs, weg vom Hungern der Figur zuliebe, muss ja auch das innere Aufräumen kommen. Und da wird es einiges zu tun geben.
Rina, du hast es geschafft, dass ich mir sowohl deine Protagonistin als auch ihre Lebenssituation sehr gut vorstellen kann.

Liebe Grüße
barnhelm

 

Hallo Isegrims,

vielen Dank für deine Worte. Ein Roman über ne Anfang-Dreißigjährige, die mit ihrem Freund in einem Schwarzwaldsee von Geistern verschleppt wird und dabei von den Spaghetti angeschrien wird, die sie vorgesetzt bekommt. :lol: Großartig. Ich muss sagen, nach meinem ersten Romanversuch brauche ich gerade eine Pause und schreibe lieber Kurzes. Wie du ja selbst weißt, ist so ein Roman doch ziemlich kräftezehrend.

Ich bin den Text mal durchgegangen und habe diverse "Mareikes" gestrichen. An manchen Stellen geht es nicht anders, da komm ich nicht drum herum, sie mehrfach zu nennen. Vielleicht fallen mir da noch bessere Variationen ein mit der Zeit.

Also, Lächeln ohne dass Falten ihr Gesicht zerfurchen. Schlimmerweise hat mich ein Artikel über Kim Kardashian zu diesem Satz inspiriert. Die hat wohl mal in einem Interview gesagt, dass sie auf Fotos immer nur sehr kontrolliert lächelt, niemals lacht, denn davon würde man Falten bekommen. Ich stelle mir also ein leichtes Lächeln vor, das zwar freundlich aussieht, aber doch nur so angedeutet ist, dass keine Falten entstehen. Probier's mal aus - es geht. Ist zwar bescheuert - aber geht :D

Ja okay, du hast recht. Eine winzige Portion kann man zeigen! Habe ich geändert :shy:

weint sie etwa, weil sie glücklich ist?
Gute Frage. Ich bin vor Jahren mal ziemlich spontan eine Woche an die Westküste Frankreichs gefahren. Das erste Mal, dass ich wirklich alleine im Urlaub war. Sobald ich in Arcachon ankam, fühlte ich mich irgendwie unwohl, gleichzeitig aber erleichtert, weil ich tun und lassen konnte, was ich wollte. Ich hatte zu der Zeit noch sehr anstrengende Freundschaften, wollte es immer allen recht machen und habe dieses Durchatmen unfassbar gebraucht. So ähnlich stelle ich mir Mareikes Moment vor, nur noch extremer. Ich für mich dachte also eher an Erleichterung.

Du hast so ein wunderbares Weltbild, das spürt man in allen deinen Texten...
:kuss: Danke, das ist sehr lieb!

Danke dir für dein wachsames Auge.
Liebe Grüße
RinaWu

Liebe barnhelm,

schön, von dir zu lesen! Und ich freue mich, dass dir meine Geschichte gefällt. Weil ich doch deine auch immer so gerne lese, diesen Tonfall den du hast. Da bin ich immer froh, wenn meine Worte auch ankommen :shy:

Das Weinen am Schluss gefällt mir dabei am besten: Fast, wie von selbst drängt da etwas nach außen, was innerlich noch unsortiert rumort.
Ja, so habe ich es auch empfunden, als ich es aufgeschrieben habe. Manchmal weint man und weiß noch gar nicht wirklich, warum. Dann löst sich etwas und man fängt wieder an, klarer zu sehen. Im Idealfall. Und wie du schon schreibst, um äußerlich aufzuräumen, muss man erstmal innen klar Schiff machen.

Lieben Dank für deine Worte.
Viele Grüße
RinaWu

 

Liebe RinaWu

Sprachlich souverän, es gab keine Stelle, an der ich hängen geblieben bin. Inhaltlich ist mir das zu glatt. Die Geschichte hat einen sehr einfachen Plot und muss daher von der Gegenüberstellung der beiden Welten leben. Aber mir ist sowohl die Welt des Lifestyle und der Leistung (Fitnessstudio, Schnellhefter, Yogamatte) als auch die Gegenwelt (Vögel zwitschern, leicher Wind, Blick aufs Tal) zu klischiert und lieblich dargestellt. Und ich konnte auch mit der implizit eskapistischen Aussage nicht viel anfangen. Ich denke nicht, dass man mit einer Fahrt aufs Land seinen Käfig verlässt, ja ihn nicht einmal in Frage stellt, sondern ihn indirekt bestätigt. "Solange es die Freizeit und den Urlaub und den Ausflug aufs Land gibt, kann unser Arbeitsleben ja nicht so schlimm sein."
Die einzige Stelle, an der ich aufgehorcht habe, war: "Früher hat es geholfen, einfach einen Fremden zu küssen." Das fand ich interessant, da kriege ich mit, dass die Prota leidet, vorher und nachher habe ich einfach mit den Schultern gezuckt, mir kam die Prota (v.a. zu Beginn) zu seicht rüber, als dass ich Interesse für sie hätte entwickeln können.
Sorry, wenn das vielleicht etwas harsch rüberkommt, es nicht wirklich der Text selbst - wie gesagt, handwerklich finde ich den sehr gut - als die Art des Textes, die mir nicht gefällt. Alles wie immer subjektive Meinung.

Lieber Gruss
Peeperkorn

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Peeperkorn,

ich freu mich, von dir zu lesen! Auch wenn der Text dir inhaltlich zu glatt ist, war ich doch sehr froh zu lesen, dass du die Geschichte handwerklich gut gemacht findest. Das ist schon mal etwas!

Du hast recht, der Plot ist einfach. Und die Gegensätze sind gewissermaßen klischiert, da stimme ich dir auch zu. Aber besteht das Leben nicht oft aus Klischees? Ich erlebe es gerade oft im Bekanntenkreis (zum Glück nicht im Freundeskreis!), wie die Frauen gegenseitig mit sich in Konkurrenz stehen, wie man in bestimmte Schubladen gesteckt wird, wie man gleichzeitig körperlich fit, mega gesund, erfolgreich, Familienmensch und wildes Partyluder sein "soll". Und klar sind diese Gegensätze klischeehaft beschrieben, aber das schien mir die realste Darstellung zu sein. Denn Natur wirkt einfach entspannend. Irgendwo habe ich mal gelesen, dass es wohl sogar reicht, eine Stunde pro Tag auf ein grünes Bild zu glotzen :hmm: Wo ich drüber nachdenken werde, ist die Lieblichkeit.

Und wegen der "Flucht" am Ende ist es natürlich deine Interpretation, die hier mit reinspielt und die ich absolut nachvollziehen kann. Ich bin mir nicht sicher, ob Mareike es schafft, ihren Käfig wirklich zu verlassen. Der einzige Gedanke, den sie hat, ist abzuhauen. Wie es mir ihr auf der Hütte weitergeht, lasse ich offen. Ganz ehrlich: In meinem Kopf geht sie nicht zurück in ihr altes Leben, sondern räumt ordentlich auf. Zumindest mal so weit, dass sie sich mal klar macht, was genau sie eigentlich alles so unter Druck setzt und wie sie es ändern könnte.

Ich erzähle nicht viel über ihr Innenleben oder ihre Reaktionen, daher kommt sie dir sicher zu seicht rüber. ich habe versucht, hier viele Dinge nur anzudeuten und nicht explizit auszuformulieren oder szenisch zu beschreiben. Es ist schade, dass dich das nicht erreichen konnte, da denke ich auch nochmal drauf rum.

Danke dir und liebe Grüße
RinaWu

 

Als 1950/1956 The Lonely Crowd/Die einsame Masse durch David Riesman u. a. veröffentlicht wurde, ahnte keiner von den Soziologen, in welchem Maße die damals aufkommende Dienstleistungsgesellschaft mit ihren außengeleiteten Rollenträgern zum Modell der übrigen Welt würde.

Während die Rollenträger der Industriegesellschaft (wie den Gesellschaftstypen zuvor) überwiegend innengeleitet ein durch Arbeit bestimmtes Leben führten, bestimmen nun peergroups und Meinungsführer das durch und durch organisierte Leben, in dem selbst Konsum und vor allem Freizeit und Unterhaltungsgewohnheiten durchorganisiert und geplant werden bis hin zu Selbstoptimierung und -ausbeutung (der ja selbst Leute der schreibenden Zünfte unterliegen und hierorts nicht auszuschließen sind). Dabei konnte man selbst im Amerika der Nachkriegszeit nicht ahnen, welchen Einfluss die modernen Kommunikationstechniken nehmen würden incl. sich wöchentlich ändernder Organisationsprogramme und der Hierarchien, besonders in den unteren Etagen.

Ich werd mich hüten, nach knapp drei Seiten Erzählung über Mareike irgend eine Diagnose zu stellen – selbst wenn Elemente des Burnoutsyndroms aufgezeigt werden. Arbeit konnte schon immer krank machen und der eine oder die andere wurde und wird auch in der Arbeitswelt gekränkt. Leib wie Seele. Selbst die Selbstausbeutung gab es immer schon (wenn auch nicht in dem Maße, wie sie heute zum Lebensstil gehört). Neu ist allein das Auswachsen zu einer Art Volkskrankheit.

Was zunächst auffällt ist,

liebe Rina,

dass nach „ihrer“ Seidenbluse und „ihrem“ Blick und vor „ihrem“ Magen und Trainingsplan (und wohl auch Speiseplan) „ihr“ Kellner dazwischengerät

Keine Spur von ihrem Kellner.
Als Symbol der Dienstleistungsgesellschaft und Servicewüste, der Kellner als Dienstleister/-bote als unterbezahlter Leibeigener. Und Mareike - als weisungsgebundene Kreatur ihres Chefs. Skizzen aus der modernen Arbeitswelt.

Trivialeres

Die Stille hing plötzlich schwer über Ihnen.
Zu viel der Höflichkeit … und hier mein ich, dass das Reflexivpronomen
Über ihr hört sie die Wanderer auf der Terrasse lachen.
gewählt werden sollte.

Wenn die armen Seelen sich nicht mehr trauen zu rebellieren, rebelliert der Körper gegen sie,

findet der

Friedel,
beglückt mit dem Temperament eines Kühlschranks

 

Mein lieber Friedrichard,

schön, von dir zu lesen!

Selbst die Selbstausbeutung gab es immer schon (wenn auch nicht in dem Maße, wie sie heute zum Lebensstil gehört). Neu ist allein das Auswachsen zu einer Art Volkskrankheit.
Das ist es ja! Irgendwie kommt es mir so vor, als hätten die Leute nicht schon genug Stress in der Arbeit. Da fangen sie jetzt nämlich an, sich auch noch (freiwillig!) in ihrer Freizeit zu stressen, nur um stolz sagen zu können "Also heute bin ich in der Früh gleich mal 10km gelaufen", wo sie eigentlich im Bett liegen bleiben wollten. Ich finde ein bisschen Ehrgeiz gut, sowohl im Job als auch beim Sport. Aber das nimmt mittlerweile Formen an, die ich irgendwie gruselig finde.

Ach Friedel, ich und meine Besitzergreifungen immer ... Ich habe den ersten Absatz ein wenig aufgelockert und von einigen "ihrer" Dinge befreit.

Auch deine anderen beiden Anmerkungen habe ich gleich ausgebessert. Vielen Dank.

Ich wünsche dir einen entspannten Tag!
RinaWu

 

Liebe RinaWu,

Eine schöne, kurze Geschichte über die Frau in den Mittdreißigern. Gefangen zwischen den Erwartungen; der Körper, die Partnerschaft, die Familie. Ganz zu schweigen vom Beruf. :thumbsup:

Sie will das Fenster aufreißen. Sehnt sich nach einem Windstoß, der alles zu Boden fegt. Aber sie reißt sich zusammen.
Unschöne Doppelung, finde ich. Oder ist das gar als Kontrast gewollt?

Sie starrt auf seine Lippen und sieht, wie die Worte aus seinem Mund fallen. Doch sie ergeben keinen Sinn.
Schöne Formulierung.
Aber richtig verstanden habe ich den Sinn nicht. Hört sie nur nicht richtig zu oder weiß sie es besser?

Doch sie ergeben keinen Sinn.
Alle haben ihr gratuliert, als sie den Job in der Werbeagentur bekommen hat. Guter Ruf, gute Bezahlung, tolle Aufgaben.
Den Übergang finde ich zu rabiat, da ich dachte, das „gratulieren" gehöre noch zur vorherigen Szene.
Vielleicht so?
Als sie den Job in der Werbeagentur bekommen hat, haben …

Sie sprechen immer von Verwirklichung. Von Aufstiegschancen. Mareike denkt an die Dolomiten.
Nettes Wortspiel.

Früher hat es geholfen, einfach einen Fremden zu küssen.
Meine Lieblingsstelle. Dieser Satz sagt so viel aus. Kopfkino!

Silke kommt schon klar. Bei ihr hilft es noch immer, Fremde zu küssen.
Dadurch, dass das mit dem Küssen von Fremden wiederholt wird, verliert das erste Aufkommen dieser Formulierung seine ganze Stärke. Ich würde das beim zweiten Male anders beschreiben.

Hat mir gut gefallen, obwohl es so viele, kurze, unterschiedliche Szenen gab. Hätte ruhig ausführlicher sein können.

Die letzte Szene braucht es gar nicht.
Ich hätte die Geschichte mit den Worten „Sie muss hier raus. Sehnt sich nach Weite. Nach frischem Gras und Butterblumen.“ beenden lassen.

Liebe Grüße,
GoMusic

 

Hej RinaWu,

ich nochmal, denn ich weiß jetzt, was mich gehindert hat, mitzuempfinden.
Es ist die Geschwindigkeit für mich. Sie leidet nicht genug. Sie jogged durch ihre Empfindungen, durch die Begebenheiten, die sie einengen. Sie begreift nicht, was warum passiert.

Das kann man natürlich machen, passt ja auch zu ihrem scheinbar perfekten Leben. In dieser Geschichte genügt es mir nicht, empathisch zu sein, wirklich zu verstehen, was da mit Mareike passiert. :shy:

Ob dir das jetzt nützt, bleibt unklar. :D

Einen schönen Tag und lieber Gruß, Kanji

 
Zuletzt bearbeitet:

Lieber GoMusic,

ich warte ja schon ganz gespannt, dass es mit deinem Buch weitergeht ...

Danke dir für deine Worte zu meiner Geschichte.

Die "reißen"-Dopplung fand ich ganz nett, weil es dieses Aufeinanderprallen darstellt: sie will sich Luft verschaffen, sprich das Fenster aufreißen, letztendlich unterdrückt sie das Bedürfnis aber und reißt sich zusammen.

Aber richtig verstanden habe ich den Sinn nicht. Hört sie nur nicht richtig zu oder weiß sie es besser?
Sie schafft es nicht mehr, sich zu konzentrieren.

Dadurch, dass das mit dem Küssen von Fremden wiederholt wird, verliert das erste Aufkommen dieser Formulierung seine ganze Stärke. Ich würde das beim zweiten Male anders beschreiben.
Ich fand das eigentlich ganz nett, hier eine Art kleinen Rahmen mit diesem Satz zu bilden. Aber ich habe mir das jetzt nochmal durchgelesen und die zweite Wiederholung komplett gestrichen - und du hast recht, da wirkt der erste Satz stärker.

Ja, es stimmt, die letzte Szene zu streichen, wäre ein Möglichkeit. Dann wäre das Ende noch offener. Ob ich mich dazu durchringen kann, weiß ich noch nicht :shy:

Danke dir auf jeden Fall für deine hilfreichen Anmerkungen!
Liebe Grüße
RinaWu

Hallo nochmal Kanji,

Sie jogged durch ihre Empfindungen, durch die Begebenheiten, die sie einengen. Sie begreift nicht, was warum passiert.
Genau das, was dich (und auch andere) davon abhält, mit ihr mitzufühlen, ist aber genau das, was ich transportieren wollte. Sie weiß ja tatsächlich noch nicht so wirklich, was mit ihr los ist. Sie hetzt durch die Gegend, spürt Dinge, die ihr nicht gut tun, unternimmt nichts dagegen, hetzt weiter - bis sie keine Luft mehr bekommt.

Ich verstehe aber, dass ich dem Leser hier vermutlich wenig Futter gebe, um wirklich empathisch zu werden. Bei anderen hat es über die Stimmung funktioniert, dass sie sich hineinversetzen konnten in Mareikes Lage. Nicht ganz leicht, da den "richtigen" Weg zu finden.

Ich wünsche dir auch einen schönen Tag!
Liebe Grüße
RinaWu

 

Weißt du was, RinaWu, dann ist es eben genauso richtig.;) Wer sagt denn, dass man immer mitfühlen muss? :lol:

Bis die Tage, Kanji

 

Ach herrje, ich weiß ja selbst nicht, ob ich mitfühlen kann oder muss oder will :shy: Mal denke ich, man soll schon mit Mareike mitfühlen. Mal denke ich, ach nee, eigentlich geht's ja genau darum, dass sie selbst ja sogar kein richtiges Gefühl mehr für sich hat. Ich schwanke da selbst ein bisschen.

Solche Gedanken von euch sind immer gut, um mal aus dem Blickwinkel rauszufinden, den man selbst auf seine Geschichte hat. Sich andere Gedanken darüber zu machen.

Liebe Grüße an dich
RinaWu

 

Liebe RinaWu,

Die "reißen"-Dopplung fand ich ganz nett, weil es dieses Aufeinanderprallen darstellt: sie will sich Luft verschaffen, sprich das Fenster aufreißen, letztendlich unterdrückt sie das Bedürfnis aber und reißt sich zusammen.
Sehr schön, das hatte ich erhofft.

Aber ich habe mir das jetzt nochmal durchgelesen und die zweite Wiederholung komplett gestrichen - und du hast recht, da wirkt der erste Satz stärker.
Toll! Schön, dass ich da weiterhelfen konnte.

Ja, es stimmt, die letzte Szene zu streichen, wäre ein Möglichkeit. Dann wäre das Ende noch offener. Ob ich mich dazu durchringen kann, weiß ich noch nicht
ich verfolge das mal ... :D

ich warte ja schon ganz gespannt, dass es mit deinem Buch weitergeht ...
Ich muss da nach so langer Pause erst Mal selber wieder reinkommen. Und das klappt am besten, indem ich schon seit Tagen nach und nach die bisherigen Kapitel überarbeite und hier Uppdates reinstelle. Es dauert nicht mehr lange. Danke für dein Interesse. :)

Liebe Grüße,
GoMusic

 

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