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Broker lügen immer
Irene Trübner stand auf dem Bootssteg des ›Yachthafen Schloss Kirchberg‹, der in den Bodensee ragte. Am Ufer erkannte sie die Häuser von Immenstaad. Es war Dienstag, ein sonniger, aber kalter, Oktobertag. Vom See blies Irene ein ungemütlicher Wind ins Gesicht. Sie fröstelte, obwohl sie ihren warmen Mantel an und ihren bunten Schal um den Hals gewickelt hatte. Er war ein Weihnachtsgeschenk ihres toten Mannes Albert. Beim Gedenken an ihn rann ihr eine einsame Träne über die Wange.
In der rechten Manteltasche umklammerte ihre Hand die 9 mm Pistole Heckler & Koch USP, die sie zusammen mit einem Fläschchen KO Tropfen, im Darknet gekauft hatte. Die Tropfen waren allerdings, zusammen mit einem gefüllten Reservemagazin für die Pistole, in ihrem kleinen, rosa Rucksack auf ihrem Rücken verstaut. Dort lagen sie direkt neben der Piccoloflasche ›Fürst Metternich‹ und einem Sektglas, das in einer Papierserviette eingewickelt war.
Sie hatte alles akribisch geplant und ebenso vorbereitet.
Dann fiel ihr Blick auf eines der am Steg festgemachten Segelschiffe. Aus Erzählungen von Albert wusste sie, dass es ein SAFFIER SC 8M CABIN war. Es gehörte dem Ehepaar Brunninger, genauer Hannes und Elvira Brunninger, ehemaligen Arbeitskollegen ihres Mannes. ›ELVIRA 1‹ stand auf der Heckschürze und machte es damit unverwechselbar.
Die Brunnigers hatte Irene mit der Behauptung, sie hätte ein Testament von Albert gefunden, in dem auch sie begünstigt seien, hierher in ihr Schiff gelockt. Ebenso wie Hubert Elbert, einen guten Freund und ebenfalls ehemaligen Kollegen ihres Mannes. Aus der Ferne hatte sie das Schiff heute schon länger beobachtet und wusste deshalb, dass alle Eingeladenen bereits da waren. Leider auch die Freundin von Hubert, Elena, mit der sie eigentlich nicht gerechnet hatte, aber Kollateral Schäden gab es immer.
Irene atmete tief durch und stieg auf das Heck des Schiffes. Sie hörte schon die Stimmen der Anwesenden. Das erinnerte sie an die glücklicheren Tage, als sie mit Albert hier beim Ruder saß und sie Hannes zusahen, wie er das Boot durch die Wellen lenkte. Kurz überlegte sie, ob sie nicht doch ihr Vorhaben abbrechen sollte. Aber dann sah sie wieder den Toten auf dem Edelstahltisch in der Gerichtsmedizin liegen. Und sie dachte an den Moment, als der Mediziner das weiße Tuch hoch hob und sie das bleiche Gesicht ihres toten Mannes sah. Irene schüttelte den Kopf, die Bilder verschwanden.
Vorsichtig schob sie die Tür zur Kajüte auf, die Stimmen im Boot verstummten. Sie machte den kleinen Schritt nach Unten ins Innere. Hannes und Elvira saßen auf der Bank auf der linken Seite, Hubert und Elena hatten auf dem Bett neben der Spüle und dem Gasbrenner rechts Platz genommen.
Es waren alle typische Broker. Von sich selbst überzeugt und über Leichen gehend, wenn es ihrem eigenen Vorteil dienlich war. Da saßen sie jetzt in ihren JOOP Hemden und PRADA Jacken, die Damen in ihren oversized Pullovern von MADELEINE über den edel sportiven Hosen, alle natürlich mit stylischen Frisuren.
Wie sie diese Menschen hasste.
»Hallo Irene, setzt dich doch! Schön dich wieder zu sehen!«, sagte Hannes und deutete auf das noch unbesetzte Bett ebenfalls auf der rechten Seite.
»Ich stehe lieber! Ich bin nicht hier, um Smalltalk mit euch zu machen!«, antwortete Irene. Kurz sagte niemand mehr etwas.
»Es geht also um ein Testament!«, meldete sich Hubert plötzlich.
Irene verschlug es, ob dessen Dreistigkeit, den Atem. Hannes, Elvira und Hubert hatten durch ihre halbseidenen Warentermingeschäfte die folgenden Schrecklichkeiten verschuldet. Nachdem sie bei ihren Betrügereien beinahe erwischt worden waren, hatten sie Albert alles in die Schuhe geschoben und so seinen Tod verursacht. Glaubten sie wirklich, dass Albert ihnen etwas vermacht hätte, nachdem sie ihn so reingelegt hatten. Was für ein Hohn. Sein Job war weg gewesen, ein Prozess schien wahrscheinlich, Haft oder Zahlungen bis zu seinem Lebensende drohten. Dass Albert da durchdrehte und keinen anderen Ausweg mehr sah, als sich am Grabkogel in den Tod zu stürzen, erschien mehr als logisch.
»Glaubt ihr Geier wirklich, dass Albert euch etwas vermacht hätte, nach all dem, was ihr ihm angetan habt? Aber hier und heute wird abgerechnet.«, Irene zog die Waffe aus der Manteltasche und richtete sie auf Hannes.
Nachdem sie ihren Plan geschmiedet hatte, war sie dem Schützenverein ›Blattschuss e.V.‹ beigetreten und hatte ausgiebig mit einer Kleinkaliber Pistole trainiert. In Sachen Zielsicherheit und Umgang mit einer Handfeuerwaffe konnte ihr jetzt so schnell niemand mehr etwas vormachen.
»Und du Hannes warst der Schlimmste und der Kopf dieser ganzen Verschwörung!«, Irene zielte immer noch auf ihn, »Aber du sollst zuerst sehen, wie das ist, wenn ein geliebter Mensch von dir geht!« Irene war jetzt wie im Tunnel und voll konzentriert. Aus dem Handgelenk heraus wechselte sie ihr Ziel und richtete die Waffe auf Elvira. Dann schoss sie und traf diese direkt in die Stirn. Ein feiner Faden Blut rann aus der Wunde. Elvira sackte zusammen. Hannes sah Irene ungläubig an.
»Und, wie fühlt sich das an?«, sagte Irene kalt, sie empfand momentan nichts mehr.
»Du bist wahnsinnig!«, stotterte Hannes und starrte die Leiche von Elvira an.
»Kann sein! Hubert, auch du trägst Schuld an der ganzen Scheiße!«, Irene richtete jetzt die Waffe auf die, neben ihm sitzende, Elena. Offenbar ahnte die, was jetzt kommen würde, stieß einen Schrei aus und versuchte sich hinter Hubert in Sicherheit zu bringen, aber da hatte Irene schon abgedrückt. Huberts tote Freundin kippte ihm in den Schoß. Der schrie auf und versuchte die Leiche weg zu stoßen.
Diesen kurzen Moment der Konfusion versuchte Hannes auszunutzen, nachdem er sich aus seiner Starre wieder gelöst hatte, stand auf und hatte offenbar vor Irene ihre Waffe abzunehmen.
»Komm` doch!«, sagte die spöttisch, schoss erst Hubertus in die Stirn und dann zielte sie auf Hannes. Der hielt verwirrt inne, als er registrierte, dass Hubert auch tot war und sah dann Irene an.
»Dass das Alles so endet, habe ich nicht gewollt!«, sagte er mehr oder weniger entschuldigend.
»Ich schon!«, Irene zeigte keinen Funken Mitgefühl, in ihr war das endgültig abgestorben, »Ich hab da noch etwas für dich!« Ein letzter Schuss fiel, Hannes kippte vorne über und stürzte zu Boden. Eine Blutlache bildete sich um seinen Kopf.
Irene steckte die Waffe wieder ein und lies ihre Blicke über die Toten schweifen: »Das ist für dich, mein Schatz und ein und alles Albert!« Dann drehte sie sich um, verließ die Kajüte und setzte sich ins Heck des Schiffes in der Nähe des Ruders. Die Plätze neben ihr blieben frei. Es war niemand mehr da, der ihr Gesellschaft hätte leisten können.
Sie holte den Piccolo aus dem Rucksack, wickelte das Sektglas aus, öffnete den Schraubverschluss des Sektes und schenkte sich das Glas voll.
Dann drehte sie das Fläschchen mit den KO Tropfen auf, und gab aus der Pipette im Deckel eine tödliche Dosis des Rauschgiftes in den Sekt. Akribisch verschraubte sie die Flasche wieder und verstaute sie im Rucksack. Sie nahm das Sektglas in die rechte Hand.
»Auf dich Albert!«, sagte sie und prostete dem Himmel zu, »Wir sehen uns bald!«
Dann kippte sie den Sekt auf einen Zug hinunter.