- Beitritt
- 04.03.2018
- Beiträge
- 1.350
- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 23
- Anmerkungen zum Text
Danke NGK für die Inspiration
Breit
Ich wach morgens auf und bin breit. So dicht, dass ich denke, der Hals kann meinen Kopfklumpen unmöglich tragen, ohne abzuknicken. Jeden Morgen habe ich einen kompletten Filmriss. Ein totales Nichts zwischen den Ohren und bestialischen Schmacht. Erst wenn ich zwei, drei Kurze getrunken habe, geht es mir so weit besser, dass ich weiß, wer ich bin. Wenigstens. Und dass ich stehen kann, ohne mich irgendwo festzuhalten. Und dabei bleibt es nicht, dabei darf es nie bleiben.
An Zeitunglesen oder Kaffeetrinken ist nicht zu denken, nicht morgens. Abgesehen davon, dass nichts Vernünftiges ungezwungen in mich hinein will, verschlimmert es das Ganze nur. Als würde mich der Versuch, zu denken oder den Kater auszunüchtern, umso tiefer in die Bredouille reiten.
Manchmal denke ich, das ist ein Murmeltierding wie in dem Film, wo der Typ immer den gleichen Tag erlebt. Der lernt dann wenigstens perfekt Klavier spielen. Aber was willst du lernen, wenn du blau bist, solange du nicht trinkst? Perfekt rumlallen? Also habe ich angefangen, planvoll zu trinken, damit die Finger während der nächtlichen Klavierübungen nicht zittern.
Meinen Job habe ich auch verloren, obwohl es ja immer heißt 'Fachkräftemangel, wir finden keine Leute'. Ist klar, dass die keinen haben wollen, der morgens nicht einen Satz heil nach Hause bringt. Andererseits waren die mit meinem Konsum auch nicht einverstanden. Die wollten mich stattdessen drankriegen, wegen Alkohol bei der Arbeit. Keiner von denen hat geschnallt, dass das bei mir genau andersrum läuft, quasi reziprok, dass ich umso nüchterner werde, je mehr ich trinke, dass Abstinenz bei mir ungewollt zum Plateau-Rausch führt. Das Problem ist, dass ich quasi ständig einen heben muss, um nüchtern zu werden und somit stinke wie der Keller einer Brauerei. Und das macht sich nicht gut beim Kunden – abgesehen vom Erklärungsnotstand. Fairerweise muss ich sagen: Das kann ich nachvollziehen.
Vor einer Weile kam der Alfons und meinte, ich soll es mal mit Kiffen versuchen, das wäre gesünder als die ständige Sauferei und ich würde auch nicht mehr so riechen. Es war zwar mühsam, eine Quelle aufzutun und Rauchen an sich musste ich auch erst mal lernen, aber ich muss sagen, im Endeffekt hat es sich gelohnt.
War anfangs nicht leicht, die Übelkeit wegzustecken, dafür war ich schon nach dem ersten Zug klar bis in die Haarspitzen. Und musste dann feststellen, das hält leider nur wenige Minuten an. Seitdem wechsele ich ständig zwischen Trinken und Kiffen und bin wirklich angenehm überrascht, wie gut sich das ergänzt.
Letztens war ich beim Arzt, weil ich wissen wollte, wie es um mich steht. Ehrlich gesagt hatte ich erwartet, dass er sowas sagt wie 'Ihre Leber hat die Größe eines Kopfkissens' oder 'Zwei Wochen noch, wenn Sie so weitermachen', aber nein, alles bestens, Lunge und Magen sind im grünen Bereich, sogar meine Speiseröhre ist trotz der ständigen Hochprozentigen okay. Scheint so, als wäre ich ein Freak, eine Laune der Natur, ein Positiv-Negativ-Mutant, als würde mein Körper das Gift locker wegstecken, nach dem er ständig schreit. Auf meine Frage hin, ob er mir die diametrale Alkohol-Rezeption meines Körpers attestieren könne, schaute er mich verständnislos an, schüttelte den Kopf und zuckte zugleich die Achseln. Manche Ärzte sind blind für echten Leidensdruck.
Es ist so wie der Alfons sagt: Wenn niemand dir hilft, musst du es selbst tun. Ich hab meinen Garten jetzt komplett eingemauert und eine kleine Plantage angelegt. Wenn ich eins habe, wo ich jetzt alleine bin und ohne Job, dann Zeit. Die Pflänzchen sind so dankbar. Wenn man die hätschelt und düngt, explodieren die förmlich. Für den Winter werde ich meinen Dachboden ausbauen, die Lampen sind unterwegs, die Leitungen gelegt. Aber mal im Ernst: Das ist nichts gegen die Anlage in meinem Keller. Ich will mich nicht selbst loben, aber mit der Destille habe ich mein Meisterstück abgeliefert. Ein kupfer- und chromglänzendes Ungetüm mit einem riesigen Kessel, den ich täglich auf Hochglanz poliere. Für nächstes Jahr plane ich eine Abfüllanlage. Die soll dann in der Kellererweiterung unter der Terrasse stehen, die ich in den letzten Wochen ausgekoffert habe.
Die Nachbarn wundern sich zwar über ihre kahlen Obstbäume und gefledderten Beeren-Sträucher und über den Rauch, der selbst im Sommer ständig aus meinem Kamin steigt. Aber wen interessiert schon ernsthaft, was die Nachbarn sagen?
Und wenn ich ihnen verklickere, ich bin mit meinem Garten nahezu Selbstversorger und mache im Keller Dörrobst, dann finden die es klasse und lassen mich in Ruhe.
Nebenbei habe ich das gesammelte Wissen über 'Homegrown' und 'Schwarzbrennerei' aus allen Internetforen dieser Welt extrahiert. Nächste Woche erscheint mein Ratgeber für alle Nichtmutanten – allerdings unter Pseudonym. Damit zahle ich dann in Zukunft Strom und Gas.
Alles in allem kann ich sagen mir geht's gut. Ich habe mein Leben wieder im Griff. Was will der Mensch mehr?