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Brüder
Ungeduldig zerrte die Frau ihr Kind weiter. „Was macht denn der Mann da?“, fragte das Kind noch einmal. Ehe die Frau den Mann durch die leicht beschlagene Visierscheibe ihres Helms betrachten konnte, waren beide Menschen schon fortgerissen von dem strudelnden Fluss hetzender Passanten, immer weiter, immer
schneller ...
Auf die andere Straßenseite hatte der Mann gewollt, durch eine Lücke im Lavastrom des Verkehrs, welcher ständig durch die Straßen drängte, wollte er sich schlängeln, hastig dem Häuserfrontufer zueilen. Aber die ersehnte Unterbrechung des Verkehrs blieb aus. Der Mann schaute auf seine Uhr, wartete fünfzehn Minuten, eine Stunde, zwei Stunden, vier Stunden. Er lächelte und wartete, wartete und lächelte. Anliegende Geschäftsleute, ebenso die Passanten, hatten sich an den seltsamen Anblick des Wartenden schon gewöhnt, man verabredete sich beim wartenden Mann, wohnte oder arbeitete in der Nähe, vielleicht auch schräg gegenüber vom wartenden Mann.
Der wartende Mann wartete.
Um ihn herum hasteten Menschen, pulsierendes Leben. Sie strömten zu ihm hin, immer näher kommend, dann auseinander treibend, immer weiter, weiter ...
Er dachte lächelnd: „wären sie nicht nur Wartende, sondern auch Suchende wie ich, seit Menschengedenken…“
Der sich um den Mann drehende Menschenkreisel rotierte immer schneller, drehte Spiralen, die sich schäumend aufzubäumen schienen. Deshalb glaubten die Anderen, der Mann würde lächeln, weil er meinte, das Zentrum dieser riesigen, zuckend- vibrierenden Menschenspirale zu sein. Über diesen naiven Gedanken, den er erriet, musste der Wartende nur noch mehr lächeln, er wartete, denn „was haben sie als Alternative zu bieten?“
2,718 Millionen Lichtjahre entfernt lächelte ER, ein anderer Wartender, und freute sich über seinen neuen Bruder...
[ 15.07.2002, 21:54: Beitrag editiert von: Woltochinon ]