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Borealis

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01.09.2005
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Borealis

Guck woanders hin.
Es war das erste, was Silvia durch den Kopf ging, nachdem sie am Schreibtisch gegenüber Gerdes Platz genommen hatte. Bine hatte ihr versichert, der Laden suche nicht nur frisches Fleisch. So ein Quatsch. Alle wollen frisches Fleisch. In Gerdes' Grinsen lag keine Geilheit. Eher die Frage, ob das ein Witz sein soll. Ob sie ein Witz sein will.
Er spielte mit einer Packung Tic Tacs, schüttelte sie, ließ sie rasseln, steckte sich eine Pastille in den Mund und bot Silvia eine an. Sie schüttelte den Kopf, worauf er die kleine Plastikbox hochkant auf den Schreibtisch stellte.
„Ich rauche nicht mehr.“ Sein Handy summte. Ein kurzer Blick aufs Display und er steckte es wieder weg. „Dafür hänge ich jetzt an diesen scheiß Zuckerperlen.“ Er nahm die Packung wieder vom Tisch und studierte die Schrift darauf.
Draußen warteten noch zwei Mädchen, halb so alt wie Silvia. Was hatte Bine sich dabei gedacht?
Gerdes ließ die Tic Tacs rasseln. „Wie sieht das bei Ihnen aus?“ Rassel. „Sauber?“
Silvia zuckte die Schultern. „Von mir holt sich keiner was.“
„Nein.“ Gerdes schüttelte den Kopf. „Clean, meine ich.“
„Seit fünf Jahren nur Zigaretten und mal ein Bier. Und Wein. Ich trink schon öfter, aber nicht jeden Tag.“
„Und davor?“
„Ist das wichtig?“
„Vollkommen egal ist es am Ende des Tages nicht.“
„Machst du die Beine erst mal breit, ist den meisten Kerlen der Rest schnurz.“
Gerdes lachte. Rassel, rassel! „Wir sind kein Schuppen hinterm Bahnhof.“
Er rollte mit dem Stuhl zur Seite und wies auf die Wand hinter sich wie ein Typ im Fernsehen, der den Supergast aus Amerika willkommen heißt. Das Büro unterschied sich kaum von denen im Jobcenter oder der Beratungsstelle. Kugelschreiber, Kaffeeflecken, eine Unterlage mit Kritzeleien darauf, unter anderem Dienstag! mit einem dicken Kreis drum herum. Nur der nagelneue Laptop passte nicht, dafür hatten sie beim Amt kein Geld. Der angebissene Apfel erinnerte Silvia immer an die Familienwappen bei Game of Thrones. Hinter Gerdes hielten Heftzwecken ein Banner an der Wand, als hätte er sich gerade erst hier drin eingerichtet. Es zeigte einen Nachthimmel. Grünes Licht schimmerte darin über dunklen Türmen. Links oben schwebte der Firmenname wie ein Ufo am Himmel: Borealis Escort. Rechts unten wurde der Betrachter aufgefordert: Try something different!
„Nur saubere Muschis für saubere Typen“, stellte Silvia fest.
Rassel. "Sauber?" Gerdes schürzte die Lippen. „Anspruchsvoll.“ Er zwinkerte ihr zu.
Silvia wollte aufstehen und gehen, aber ohne OP würde Harry sterben und ohne Geld keine OP. Bine fand das behämmert, viertausend Euro für einen elf Jahre alten Hund, und dann hatte der Arzt auch noch gesagt, zwei Jahre, ungefähr, selbst mit OP.
Aber zwei Jahre haben oder nicht haben. Bine hatte nie mit Harry unter Brücken und in Parks geschlafen, wo er das Gesocks verscheuchte, von der harmlosen Labertasche bis zu Typen, die Muschi oder Blut sehen wollten. Oder beides. Silvia schluckte Spucke und Stolz.
„Meine Freundin hat gesagt, sie suchen auch, wenn man ein bisschen ...“
„Past your prime?“
Sie biss die Zähne zusammen. Für Harry. Wie er winselte, wenn die Schmerzen kamen. „Schon älter ist.“
„Wie alt sind Sie?“
„Vierunddreißig.“
„Oh.“ Rassel. „Das scheiß Zeug, was? Sie sehen deutlich älter aus.“
Silvia musste blinzeln.
„Ich bin ein Arschloch“, sagte Gerdes.
Silvia erwiderte nichts.
Gerdes nickte. „Aber das hat einen Grund“, erklärte er. „Ich verfolge hier ja eine Strategie, am Ende des Tages.“
Silvia schlug die Beine übereinander.
Gerdes nickte wieder, energischer diesmal. „Ich bin ein Arschloch.“ Er tippte sich an die Brust. „Aber das bin ich doch nur, damit Sie verstehen, Silvia, dass ich auch eine Chance bin. Big opportunity.“
„Haben Sie jetzt einen Job für mich oder nicht?“
„Leider nein.“ Er sah auf die Tischplatte und wieder hoch. „Ich habe nicht einfach nur einen Job, nein. Ich habe zehntausend Euro für einen Abend.“ Er zeigte auf die Bürotür. „Das kriegen die beiden da draußen nicht zusammen. Nicht für einen Abend.“
„Haben Sie mich eigentlich nur reingelassen, um mich zu verarschen?“
Gerdes drehte den Laptop auf dem Tisch. Der Bildschirmhintergrund zeigte einen Sportwagen auf einer Küstenstraße, Australien vielleicht, Kalifornien, einer dieser Orte, die Silvia niemals sehen würde. Gerdes klickte ein Video an und drückte gleich wieder auf Pause.
„Jetzt ging es die ganze Zeit um Sie.“ Er nahm ein Tic Tac und hielt ihr die Packung hin. „Immer noch nicht?“
Silvia schüttelte den Kopf. Sie hatte keinen guten Geschmack im Mund, hinten links war vor einiger Zeit eine Plombe rausgebrochen, aber sie wollte nichts von Gerdes nehmen.
„Wir vermitteln“, sagte Gerdes. „Frauen an Männer, ordentlich situiert, damit hat es mal angefangen. Nicht fürs Bett, jedenfalls nicht in erster Linie. Für einen Abend in der Oper zum Beispiel. Weihnachtsfeier beim Ministerpräsidenten. So was.“
„Ich weiß, was ein Escort-Service ist“, sagte Silvia. „Und ich weiß auch, dass ich dafür zu im Arsch bin. Aber Bine hat gesagt, sie machen auch ...“
„Silvia.“ Gerdes tippte sich mit dem Zeigefinger an die Lippen. „Lassen Sie mich doch bitte erst mal ausreden.“
Er stellte die Tic Tacs auf den Tisch, atmete durch, überlegte es sich anders und nahm die Packung wieder zur Hand. Rassel.
„Wir haben uns entwickelt, das Portfolio erweitert. Wir vermitteln Frauen an Männer, Männer an Männer, Frauen an Frauen.“ Er ließ eine imaginäre Flagge wehen. „Regenbogen all the way. Außerdem vermitteln wir schwarz, gelb, grün, Mädchen und Jungen aus Ulaanbataar und aus dem bayrischen Wald, kein Unterschied, wir sind zu hundert Prozent woke. Und wir sind die Innovativsten am Markt. Ich weiß, das sagt jeder, aber ...“
Gerdes blickte vom Laptop zu Silvia und ließ die Tic Tacs rasseln. Sein Mittelfinger machte ein paar ziellose Kreisbewegungen auf dem Touchpad. Schließlich blieb der Pfeil über dem Play-Symbol stehen. „Sehen wir es uns einfach an.“
Die Aufnahme zeigte einen Garten. Vielleicht war es auch ein Park, groß und grün. Männer und Frauen saßen auf Hockern, zu deren Sitzflächen man über eine Leiter gelangte wie die Schiedsrichter beim Tennis. Allerdings sahen sie keinem Tennis-, sondern einem Schachspiel zu. Die Figuren waren andere Frauen und Männer, die einen von den Haaren bis zu den Zehen weiß bemalt, die anderen schwarz. Auf dem Rücken hatten sie einen freien Fleck Haut. Silvia hatte mal etwas darüber gelesen. Artisten im Zirkus machten es auch so, man kann ersticken sonst, wie die Frau in dem einen James-Bond-Film.
Die Hocker zweier Männer standen etwas weiter nach vorne gerückt als die anderen. Einer lächelte zufrieden, hatte die Beine überschlagen, der andere kratzte sich an der Schläfe und fixierte angestrengt das Brett. Schließlich sagte er etwas. Englisch. Eine schwarz angemalte Frau bewegte sich ein paar Felder. Das Lächeln des Kontrahenten wuchs zum Grinsen. Von hinten klopfte jemand dem verkrampften Spieler, der gerade gezogen hatte, auf die Schulter und bemerkte etwas. Dabei lachte er. Der Angesprochene fuhr herum und schimpfte Fuck you, Fuck you. Das Video endete und unterbrach ihn mitten im Satz.
Gerdes zuckte die Schultern. „Die meisten unserer Kunden sind Gewinner.“
„Klar.“
Gerdes klickte ein weiteres Video an. Ein großer, weißer Raum mit schwarzen Möbeln und Fenstern vom Boden zur Decke, Wände aus Glas. Draußen die Banken, Dutzende Stockwerke gen Himmel, die obersten mit den leuchtenden Schriftzügen auf Höhe der Kamera. Männer hatten ihre Sakkos ausgezogen und über Stühle und Sofalehnen gehängt, eines lag auf dem Boden neben einer Sekt- oder Champagner-Flasche. Die Knoten der Krawatten saßen locker, einige hatten sie ganz abgenommen und die Ärmel ihrer Hemden hochgekrempelt. Einer hatte die Arme bis zum Handgelenk dicht tätowiert, so als verliefe dort ein Damm unter der Haut, der die Farbe davon abhält, weiter zu fließen.
Die Männer lachten. Tranken Sekt und Bier, auf einem Riesenfernseher lief ein Fußballspiel. Mit Stäbchen angelten sie Sushi von einer Asiatin, die nackt auf dem Tisch lag. Die Rollen aus Reis und Fisch waren auf Armen und Beinen angerichtet, auf der Stirn und auf den Brüsten. Der Tätowierte pflückte eines von der Scheide und tunkte es in das Schälchen mit Sojasoße, das auf dem Bauch stand.
Das Mädchen starrte an die Decke. Manchmal atmete sie etwas tiefer ein, öffnete den Mund dafür nur ein kleines Stück, als wollte sie pfeifen. Soßenschälchen und Sushi wurden kurz ein Stück angehoben. Die Männer aßen und lachten und redeten.
Gerdes stoppte das Video. Er schnipste sich ein Tic Tac in den Mund. Es klapperte an seinen Zähnen.
„Und dafür gibt's zehntausend Euro?“, fragte Silvia. „So viel wirklich?“ Für zweihundert extra hatte ein Freier sie mal vollpissen dürfen. Sie versuchte, sich zehntausend Euro vorzustellen. Zweihundert Fünfziger. Zweihundert. Das wäre ein Stapel, bestimmt wie ein Butterbrot.
Gerdes studierte die Tic-Tac-Packung, er musste die Zutaten längst auswendig kennen. „Nicht dafür. Auch. Was soll ich sagen? Das Mädchen hier ist sehr jung und straff und dafür einfach besser geeignet.“
„Verstehe.“
„Was ich Ihnen anbiete, ist auch für uns noch relativ neu. Aber es entwickelt sich gerade zu unserem iPhone, if you know what I mean.“
Ich mache nichts mit ... Der Satz ging ihr durch den Kopf, brach aber einfach ab. Für zehntausend Euro fiel Silvia nichts ein, um ihn zu vervollständigen.
Gerdes klickte auf das nächste Video. Ein Mann lag auf einem Stuhl, der Silvia an Bilder von der Giftspritze erinnerte. Um Arme und Beine waren Lederriemen geschwungen. Hängende Brüste, kugeliger Bauch und faltiges Fleisch schimmerten unter einem schwarz-grauen Haarflaum. Der Mann atmete durch den Mund. Wenn Silvia sich nicht um ihre Plombe kümmerte, würden ihre Zähne vielleicht auch mal so aussehen.
Ein anderer Mann stand ein paar Schritte von der Liege entfernt, sein Anzug festlich, als hätte er gerade noch bei einem Abendball getanzt. Er trug eine Maske, ein Gesicht ohne Ausdruck. Sie reichte über die Nase und an den Wangen hinab bis zum Kinn. Der Mund lag frei.
Ein dritter Mann trat dazu. Seine Hose, das Hemd mit Fliege, die Schürze, alles war weiß wie die Kochmütze auf seinem Kopf. Das Gesicht lag unter der gleichen Maske wie das des anderen Mannes verdeckt. Er musterte, was auf einem Tisch hinter der Giftspritzen-Liege stand: Teller, Besteck, ein Topf, in dem etwas über einer kleinen Gasflamme köchelte. Eine Pfanne, auch die über einer Flamme.
Silvias Blick ging vom Bildschirm weg und traf den von Gerdes. Sie dachte, er würde wegsehen, wie im Bus, wenn man jemanden beim Glotzen erwischte. Aber Gerdes starrte weiter, bis Silvia zuerst wegsah.
Der Koch goss Öl in die Pfanne und nahm etwas vom Tisch. Silvia erkannte eine kleine Klinge wie von einem Skalpell. Der feine Stahl schnitt in den Unterarm des Mannes, der mit müdem Blick zusah, bevor er wieder an die Decke starrte.
Als er fertig war, hielt der Koch einen dünnen Fleischstreifen zwischen den blutigen Fingern. Es zischte, als das Stück aus dem Arm auf das heiße Öl glitt. Der Koch bewegte es mit einer zweizackigen Gabel, mit der er den Streifen schließlich aus der Pfanne holte und ihn in den brodelnden Topf tunkte. Als er ihn wieder rauszog, tropfte helle Soße davon. Der Koch legte das Stück auf einen Teller und schmückte es mit Petersilie oder irgendeinem anderen Grünzeug.
Gerdes klickte auf Pause.
Rassel.
„Ich glaube nicht“, sagte Silvia.
„Sie glauben?“ Gerdes rieb sich die Schläfe. „Sie sollten sicher sein, bevor Sie zehntausend Euro in den Wind schießen. Darf ich ein paar Sätze dazu sagen?“
„Ich habe das verstanden.“
Gerdes packte mit einer schnellen Bewegung einen Kugelschreiber vom Schreibtisch und zeigte damit auf den Mann, der ein Stück von sich in der Pfanne hatte brutzeln hören.
„Er“, erklärte Gerdes, „spürt gar nichts. Wir haben Anästhesisten auf der Payroll, doppelte Doktortitel, Preise, was sie wollen. Was bleibt“, Gerdes räusperte sich, wofür er die Hand mit dem Kuli kurz zum Mund führte, „sind die Schmerzen danach, aber es gibt Mittel, davon gehen Schmerzen weg. You know what I mean.“
„Sie können mich.“
„Die Kosten für diese Mittel ziehen wir nicht von der Gage ab. Die Dellen wachsen zu. Nie wieder so ganz, dafür sind die Schnitte zu tief, und das wird immer ein bisschen merkwürdig aussehen. Aber mehr nicht. An Stellen, die am Ende des Tages meist sowieso ...“ Er zupfte am Ärmel seines Hemdes und machte ein Was soll's?-Gesicht. Silvia dachte an den Sushi-Freund, der die Arme genau so tätowiert hatte, dass er die Bilder in der Haut beim Geschäftstermin verstecken konnte.
Rassel. Gerdes ließ sich ein Tic Tac in den Mund plumpsen.
„Ihm war es das wert.“ Er zeigte wieder auf den Mann, der zur Mahlzeit geworden war. „Angeblich hat er mit dem Geld Aktiengewinne gemacht.“
„Am Arsch.“
Gerdes winkte ab. „Was die Leute erzählen. Wichtig ist, dass er eine Chance brauchte und sie bekommen hat. Das Glück hat nicht jeder.“
„Kann ich hier drinnen eine rauchen?“
Gerdes zog eine Schublade auf, holte einen Aschenbecher daraus hervor, auf dem Smoking kills stand und stellte ihn auf den Schreibtisch.
Stille und Qualm. Gedämpfte Stimmen draußen auf dem Flur. Nicht mal die Tic Tacs rasselten. Wenn Harrys blutige Kacke seinen Hintern verfilzte, färbte sie das weiße Fell schmutzig rot. Silvia hatte ihre Zigarette über die Hälfte hinaus geraucht, als sie das nächste Mal sprach.

Bevor seine Eingeweide angefangen hatten, sich selbst aufzufressen, hatte Harry ihr immer die Nase entgegengestreckt, sobald sich die Tür einen Spalt öffnete. Jetzt stand er auf dem Flur und wedelte so angestrengt mit dem Schwanz, als hingen Bleigewichte daran. Kein Jahr wohnten sie jetzt hier und Harry war in der Zeit vom rüstigen Rentner mit grau-melierter Schnauze zum Hundegreis degeneriert. Mit drei von vier Pfoten schon auf der anderen Seite.
„Hey.“ Silvia zog einen Kauknochen aus der Tasche. Vor nicht langer Zeit hatte sie auf ihre Finger aufpassen müssen, wenn sie die gelbe Verpackung knistern ließ. Jetzt stellte Harry nur kurz die Ohren auf.
Die Wohnung roch nach Rauch und Bier und jetzt auch noch Hundescheiße. Auf dem Flur lag ein kleiner Brocken, der rötlich schimmerte. Silvia wischte ihn mit einem Stück Küchenrolle auf und warf ihn ins Klo. Harry saß auf dem Flur und sah ihr schuldbewusst zu.
„Mach dir keinen Kopf.“ Sie setzte sich zu ihm und umarmte ihn, krallte die Finger so fest in sein Fell, wie es ging, ohne ihm weh zu tun.

Im Fernsehen lief Lanz. Ein Skisportler war auf den Kopf gefallen und hatte sechs Monate im Koma gelegen. Jetzt gab es ein Buch. Es hieß Abfahrt.
„'Ich bin dann mal weg' ging ja nicht mehr“, sagte der Skifahrer. Betretenes Lachen im Publikum. Lanz lächelte, aber ernst.
Neben Silvia auf dem Sofa schnarchte Harry.
Ihr Telefon vibrierte auf dem Tisch. Das Display zeigte Bine, ein altes Bild, mit zwanzig oder so. Silvia drehte dem Skifahrer den Ton ab, als er gerade davon erzählte, wie sein Großvater gestorben war, während er „einfach weg“ gewesen war. Silvia nahm ab.
Auch bei Bine lief Lanz. „Und?“
„Was meinst du?“
„Was meine ich wohl? Wie war es? Hast du einen Job?“
Mit rechts hielt Silvia das Telefon, links spielte sie mit der Visitenkarte. Borealis Escort stand auf der einen Seite. Try something different auf der anderen. „Ist ganz schön durchgeknallt alles.“
„Aber die zahlen auch durchgeknallt, oder? Sogar für Gammelfleisch.“
„Ja.“
„Da ist klar, dass sie was dafür sehen wollen.“
„Warst du selbst auch da?“
„Ich lasse mich nicht fisten oder so 'ne Scheiße. Ich hab nur gedacht, bei dir mit Harry, das ist 'ne besondere Situation, euch kann das echt helfen. Augen zu und durch.“
Silvia hatte ein Geräusch im Ohr. Das Zischen von Fleisch in siedendem Öl.
„Hast du Geld dafür gekriegt, dass du mich hinschickst?“
Lanz stellte fest, wie schwer es war, sich das vorzustellen, sechs Monate einfach weg. Wie reagiert man da, wenn man es hört? Zuerst denkt man an einen ganz schlechten Witz, sagte der Skifahrer.
„Du weißt doch, wie's läuft“, sagte Bine. „Findest du's jetzt schlimm?“
„Nein. Ich weiß aber noch nicht, ob ich's mache.“
„Was auch immer du machen sollst“, sagte Bine. „Nicht drüber nachdenken und durch. Was haben wir schon alles gesehen?“
„Das nicht.“
„Was?“
„Ich ruf dich an.“

Mit Harry draußen musste sie langsame Schritte machen und ab und zu ganz stehenbleiben. Sie setzte sich auf eine Parkbank. Harry hechelte müde. Es sah aus, als würde er lächeln, ernst lächeln wie Lanz, die Lefzen über die Zähne gezogen. Kaum zu glauben, aber es waren dieselben, die einem Kerl den Unterarm zerfetzt hatten, von dessen Messer ihr eine Narbe am Hals geblieben war.
Das ist der Knochen, du Fotze!, hatte er geschrien. Ich kann den Knochen sehen!
Was waren dagegen die präzisen Schnitte, zu denen Gerdes sie überreden wollte? Unter Betäubung auch noch. Bei ärztlicher Aufsicht. Silvia krempelte ihren Ärmel hoch und versuchte sich vorzustellen, wie das aussehen würde am Arm. Oder am Bein. Bein geht auch, hatte Gerdes gesagt. Konnte man sich sogar aussuchen.
Harry hatte sich hingelegt. Er sah hoch zu ihr. Wie immer sie sich entschied, für ihn wäre es in Ordnung. Aber für Silvia war nur eine Entscheidung die richtige.

Gerdes hatte seinen Kontakt mit Kugelschreiber auf die Visitenkarte geschrieben. Silvia rauchte zwei Zigaretten, bevor sie die Nummer wählte.
Als Gerdes sich meldete, atmete sie tief ein. Ihr Herz schlug einen Bass, zu dem man hätte tanzen können. Sie nannte ihren Namen. Ihre Stimme brach, ihr Hals war kratzig. Sie stand auf und ging zur Küchenspüle, füllte ein fleckiges Glas mit kaltem Wasser.
„Entschuldigung.“ Sie nahm noch einen Schluck. „Wir haben die Videos geguckt.“
„Silvia!“ Gerdes klang, wie sie es sich von ihrem Vater wünschte, wenn sie anrief. „Natürlich erinnere ich mich.“
Bei den jungen Frauen war das sicherlich eine Lüge, weil es zu viele von ihnen gab, aber Silvia hatte das Gefühl, dass nur wenige das Angebot erhielten, das sie bekommen hatte. Wo es sich ja auch gerade erst zum iPhone entwickelte.
„Was kann ich für Sie tun?“ Es klang wie eine echte Frage.
Silvia legte die Hand auf den Bauch, starrte auf den Kalender mit Discounter-Angeboten an der Wand und zwang sich, ruhiger zu atmen. Gerdes gab ihr die Zeit, die sie brauchte. Nur einmal hörte sie ein kurzes Rasseln und das Klackern des Tic Tacs an seinen Zähnen.
„Ich mache es.“
„Das weiß ich.“ Sie hörte das Lächeln in seiner Stimme. „Das wusste ich, bevor Sie sich hingesetzt haben. Ich hab Sie gesehen und gedacht, die verpennt ihre Chance nicht.“
„Was muss ich jetzt machen?“
Gerdes lachte. „Lassen Sie uns erst mal machen. Sie haben ja gerade.“ Rassel, rassel. „Schmieden Sie Pläne für das Geld. Was haben Sie damit vor?“
„Nichts Bestimmtes.“
„Umso besser. Es steht sich morgens leichter auf mit einem fünfstelligen Betrag im Ärmel.“
„Kann ich mir vorstellen.“
Silvia steckte sich noch eine Zigarette an. Das Reiben des Rädchens am Feuerstein musste in Gerdes' Ohren qualvoll verlockend klingen. Der Gedanke gefiel ihr.

Tage später rief eine Frau an, Silvia hatte gerade eine Dose Bier-Cola-Mix aufgemacht. Die Anruferin war kurz angebunden und gleichgültig. Zuerst dachte Silvia, es wäre das Amt und sie sollte wieder irgendwas nachreichen.
„Sie haben sich beworben, richtig?“
Silvia hatte schon auf dem Sofa gelegen, jetzt setzte sie sich aufrecht hin.
„Sind Sie noch dran?“
„Ja.“
„Freitag um 19 Uhr holt Sie jemand ab.“
„Okay.“
„Haben Sie es aufgeschrieben?“
„Muss ich nicht.“
„Sicher?“
Im Jobcenter hatte ein Berater sie mal daran erinnert, sich unter den Achseln zu waschen, nicht nur unter den Strahl stellen in der Dusche.
„Ich kann mir das schon merken.“
„Wie Sie meinen. Wenn Sie nicht da sind ...“
„Ich bin hier.“
„Gut.“

Am Freitagmittag schmeckten die Zigaretten nach nichts mehr und sie wünschte sich die französischen, von denen Bine mal eine Stange gehabt hatte. Die dunkelgelben Stinker wären jetzt gerade stark genug gewesen.
Sie ging mit Harry spazieren, streichelte ihn, rauchte, sah in seine Augen. Die rötlichen Haufen, die er in den Park setzte, versuchte sie sonst zu ignorieren. Jetzt sah sie genau hin.
Als um Punkt 19 Uhr ihr Handy summte, legte Harry den Kopf schief.
„Hallo?“
„Ich hol Sie ab.“ Eine männliche Stimme. Klang polternd. Wie ein Lkw-Fahrer, der ihr bei laufendem Motor durchs offene Kabinenfenster etwas zuruft.
„Ich komme runter.“
Silvia küsste Harry zwischen die Augen. Sein Fell kitzelte ihre Lippen.
„Wenn ich zurückkomme, feiern wir.“
Harry winselte leise.
„Sei brav.“

Sie trat aus der Haustür. Auf der anderen Straßenseite winkte ihr jemand aus einem kleinen, weißen Kia heraus. Um die Reifen herum war der Lack schmutzig. Der Mann im Kia zeigte auf das Handy in seiner Hand. In Silvias Tasche vibrierte es. Sie ging auf das Auto zu. Der Mann steckte das Telefon weg und öffnete ihr die Beifahrertür.
„Silvia?“ Ein paar seiner Bartstoppeln waren so weiß wie der Lack des Kia, das grau-braune Haar war kurz rasiert, aber voll, bis auf eine kleine kahle Stelle an der Seite, die aussah, als sei er da mal operiert worden. Die Ärmel seiner Trainingsjacke waren hochgekrempelt. Er hatte sich Tätowierungen wegmachen lassen, aber entweder war es noch nicht fertig oder nicht besonders gut gelungen. Es sah aus wie blaue Leberflecken.
„Und du?“, fragte sie.
Seine Hände gingen zurück ans Lenkrad. „Steig ein.“

Im Auto roch es nach Neuwagen. Zumindest stand das auf dem Duftbaum, der vom Spiegel hing. Der Fahrer selbst roch auch, nach Schweiß, aber nicht stark. Vielleicht war er geduscht, hätte aber die Trainingsjacke nicht noch mal anziehen sollen.
„Und wie heißt du jetzt?“, fragte Silvia.
Der Mann setzte den Blinker links. Er wartete einen Fahrradfahrer ab, dann fuhr er auf die Hauptstraße.
„Willst du nicht sagen?“
„Wenig reden“, sagte er. „Sollen wir.“
„Wir?“
„Fahrer.“
Silvia pustete aus. „Darf ich rauchen?“
Der Fahrer klappte den Aschenbecher auf.
„Danke.“ Silvia zog ein paar Mal wortlos. „Ich bin ziemlich nervös und würde gern ein bisschen quatschen. Einfach blabla.“
Der Fahrer seufzte nur.
„Kann ich dich Sven nennen?“
„Was?“
„Keine Ahnung, ist doch bestimmt nicht dein richtiger Name. Ich nenne dich Sven und erzähle und du sagst zwischendurch Mh, Aha. Bitte. Ich muss das hier tun, aber ich pisse mir fast in die Hose.“
„Brauchst du nicht“, sagte er. „Alles sehr professionell.“
„Ja?“ Silvia steckte die nächste Zigarette mit dem Stummel der anderen an.
„Fährst du die Leute auch nach Hause danach?“
„Oft.“
„Oft?“
„Oft.“
„Und warum nicht immer?“
„Weil es noch andere Fahrer gibt.“
„Ach so. Ich dachte …“
„Nein.“
„Nein?“
„Nein. Kommen alle zurück. Also ...“ Sven schnaufte. „Ach, Mann.“
„Bis auf was?“
„Es gab mal einen Herzinfarkt. Kaputter Typ sowieso, der hatte auch nicht alles angegeben, seine Pillen und so meine ich. Hatte nichts mit dem ... Job zu tun.“
Er wischte sich über den Mund. „Meine Güte. Als wärst du von der Zeitung. Oder Bulle. Gib mir eine Zigarette, bitte.“
Silvia zündete sie ihm auch an. „Weißt du, worüber ich nachgedacht habe?“
Sven hustete. Silvia wartete auf Worte, aber die kamen nicht.
„Es gibt doch welche, die das sogar wollen. Im Internet. Wie da, wo der eine dem anderen den Pimmel abgeschnitten hat und dann haben sie ihn zusammen aufgegessen. Warum das Geld ausgeben?“
Sven lachte.
„Was?“, fragte Silvia.
„Was du kriegst“, sagte Sven. „Für die Leute ist das Klingelgeld.“ Er schnipste mit den Fingern, die Zigarette zwischen den Lippen. „In der Hosentasche gefunden nach dem Waschen. Was kost' die Welt? Rest könnt ihr behalten. Außerdem haben die meisten von den Vögeln im Internet nur 'ne Schraube locker und ziehen zurück, wenn es drauf ankommt.“
„Also habt ihr mal welche gehabt?“
„Keine Fragen jetzt mehr.“
„Und dann habt ihr sie wieder gehen lassen?“
Wir sowieso nicht, ich fahre nur. Entspann dich einfach. Ist pervers und tut eine Weile weh, aber gibt gutes Geld. Für Leute wie uns. Wie dich.“
Sie sah die Stadt im Rückspiegel kleiner werden. Sven fuhr in den Wald. Silvia sah ihm eine Weile beim Rauchen zu.
„Hast du jetzt zu viel mit mir geredet?“
„Ich denke schon. Ich mache das eh nicht mehr lange.“
„Nicht genug Geld?“
„Geld ist gut.“
„Aber ist pervers.“
„Ich bin nicht pervers.“
„Du nicht.“
Er rieb sich etwas aus dem Auge. „Darf ich jetzt mal was fragen?“
„Was?“
„Warum?“
„Ich's mache?“
„Genau.“
Silvia steckte sich noch eine Zigarette an. „Mein Hund ist krank.“
„Richtig krank?“
„Ja.“
„Ist nur ein Hund.“
„Ist mein bester Freund.“
Sven kratze seine kahle Stelle. „Und du meinst, geht nicht anders?“
„Nein“, sagte Silvia. „Geht nicht anders.“
Sie bogen von der Straße ab auf einen unbefestigten Weg. Kleine Steine schlugen draußen gegen das Blech. Was, wenn Sven sie vergewaltigte, erwürgte und aus dem Auto schmiss? Das passierte. Sie kannte Leute, die Leute kannten, denen es passiert war.
Sven fuhr den Wagen auf den Vorplatz eines Gasthofs. Hinter kaputten Scheiben lagen leere Räume. Schweinemedaillons mit Pfifferlingen, dachte Silvia. Waldpilzrahmsuppe. Wildschweinragout mit Preiselbeeren. So sah der Laden aus, so etwas war hier mal auf den Teller gekommen. Mit welcher Soße würde man sie servieren?
Der Wald hatte sich den Parkplatz zurückgeholt. Gras, Farn und Löwenzahn brachen durch die Risse im Asphalt. Zwei Holzpfähle ragten aus dem Boden, dazwischen hing ein verblichenes Schild. „Waldwichtel“. Sag ich ja.
Sven fuhr vor den Haupteingang. Drei Treppenstufen führten hinauf zu einer Flügeltür mit nur noch einem Flügel. Dickes, verschnörkeltes Holz.
Silvia hielt sich den Bauch. Ihre Innereien rotierten. Sie stieß die Autotür auf, beugte sich raus und würgte. Hustete. Ihr Rotz traf eine Ameise.
Sie setzte sich wieder gerade hin und machte ihren Gurt auf. „Bringst du mich auch zurück?“
Sven sah an ihr vorbei zum Haus.
„Noch eine rauchen?“, fragte Silvia.
Er schüttelte den Kopf. „Nein, du musst rein.“
Die Abfuhr traf sie. Jede Sekunde Aufschub zählte. Als sie schon auf der Treppe stand, hörte sie, wie Sven das Fenster runter fuhr. „Ey!“
Sie drehte sich um.
„Wie heißt dein Hund?“
Sie sagte es ihm.
„Alles Gute für dich und Harry.“
Ein vergessenes Gefühl in den Wangen, wie ein Krampf im Gesicht. Sie lächelte. Winkte Sven, als er wieder losfuhr. Erst sah sie dem Auto hinterher, dann lauschte sie dem Motor, bis er nur noch leise schnurrte, irgendwo tief im Wald.
Als sie sich umdrehte, stand ein Mann vor ihr. Er trug eine Maske wie die Leute im Clip, den sie in Gerdes' Büro gesehen hatte.
„Hallo.“ Sie hielt die Hand hin. Er nahm sie nicht. „Ich ...“
„Ich weiß schon alles, was ich wissen muss.“
Silvia schluckte. Vielleicht doch noch kotzen?
„Machen Sie es?“
„Ich bin der Anästhesist.“
Er hielt den einen Flügel der Tür auf, so als wäre das nötig, damit sie eintreten konnte. Die Scharniere knarrten wie in einem alten Film, als würde es drinnen spuken, in Schwarzweiß.
„Kommen Sie.“ Der Anästhesist zeigte auf eine Treppe, die gleich hinter dem Eingang nach unten führte. Auch hier hing ein blasses Schild, ein Pfeil zeigte die Stufen hinab. „Zu den Toiletten“ stand darüber.
Bei jeder Stufe rechnete Silvia damit, zu stürzen, weil die weichen Beine, die sie trugen, einfach nachgaben. Es roch modrig. Durch den bröckeligen Putz fraß sich Schwarzschimmel. Ratten hatten hier gepisst, vielleicht auch Rehe und Hasen. Gepisst und geschissen. All die Waldbewohner im Waldwichtel. Doch durch den Unrat drang von unten auch ein anderer Geruch, kitzelte steril in der Nase wie beim Betreten eines Krankenhauses. Putz- und Desinfektionsmittel.
Am Ende der Treppe lag ein Flur. Der Anästhesist hüstelte hinter ihr. „Erste Tür rechts, bitte.“
Die Stufen hatten Silvia angestrengt, ihr Kreislauf war geschafft von all den Zigaretten. Sie erkannte den Stuhl wieder. Der Anblick nahm ihr kurz den Atem. Er war blitzblank geputzt.
„Sauber ist es ja.“ Silvia sprach leise. „So kann ja nichts passieren.“
Der Anästhesist setzte sich auf einen Rollhocker und fuhr damit an einen Tisch, der aussah wie eine Werkbank. Drei Spritzen lagen darauf. „Ziehen Sie sich bitte aus.“
Drei Spritzen und drei Ampullen. Er zog die erste auf. „Sie werden nichts spüren. Ein Kollege wird die Wunde versorgen und für zu Hause geben wir Ihnen die hier mit.“
Er schüttelte ein bernsteinfarbenes Plastikfläschchen. Die Pillen darin rasselten wie Gerdes' Tic Tacs. Der Anästhesist steckte den kleinen Behälter in Silvias' Hose, die nun auf dem Boden lag. Sie hatte die Finger schon am Slip. Er wedelte mit dem Zeigefinger. „Unterwäsche können Sie anbehalten.“ Er wies zum Stuhl. „Nehmen Sie Platz, bitte.“
Der Stuhl schmiegte sich an sie, hieß sie willkommen. Sie legte die Arme auf die Lehnen. Die tätowierten Rosen auf ihrem Unterarm. Ob man Tinte in der Haut schmeckte wie bei schwarzen Nudeln?
Der Anästhesist gab ihr die erste Spritze ins Bein. Silvia spürte einen Piks, dann Druck, dann löste sich ihr Kopf vom Boden wie ein Heißluftballon. Ihre Gedanken flogen irgendwohin und niemanden interessierte es. „Ist stark.“
Der Anästhesist legte ihr die Lederriemen um Arme und Beine. „Sie haben sicher Ihre Erfahrungen.“
„Klar.“
Der Anästhesist zog die zweite Spritze auf. Oder war es die dritte? „Ja.“ Ein weiterer Piks und sie war ein Kopf unter einer Glasglocke wie in dieser Zeichentrickserie, die in der Zukunft spielt.
„Ist etwas lustig?“
Silvia glaubte, es zu erklären.
Der Anästhesist lächelte, aber seine Augen blieben kalt hinter seiner Maske. Er deckte Silvia zu mit einer grünen Decke. Unten an ihrem Stuhl trat er den Mechanismus lose, mit dem die Räder festgestellt waren. Auf seinem Hocker rollte er rüber zur Tür und steckte den Kopf raus auf den Flur. „Wir sind soweit!“
Eine Frau kam herein. Sie trug Schürze und Haube wie in einer Großküche und war maskiert wie der Anästhesist. Ihre Arme waren kräftig, ihr Hals war kräftig, sie griff den Stuhl und schob ihn aus dem Raum.
Silvia grüßte die Frau, aber die erwiderte nichts. Auch der Anästhesist verabschiedete sich nicht.
„Ich habe einen Hund, wegen dem bin ich hier.“ Über ihr lief die Decke wie ein Fließband. „Er ist mein Freund und scheißt alles voll.“ Sie stöhnte. „Hoffentlich stirbt er nicht. Nicht jetzt schon.“
Die Decke stand still.
„Sind wir da?“
„Mund auf.“
„Was?“
„Mund auf.“
Als Silvia tat, wie ihr geheißen, stopfte die kräftige Frau ihr einen Ball zwischen die Zähne. Schwarze Riemen mit Verschlüssen an den Enden hingen daran. Silvia hörte sie hinter ihrem Kopf zuschnappen.
Eine Tür wurde geöffnet, geschlossen, das Licht änderte sich. Keine grellen Deckenlampen mehr, in denen Insekten herumkrochen. Stattdessen strahlte alles in warmem Gelb. Leise Musik. Silvia erinnerte sich an die Band, aber nicht an deren Namen. Punk, aber so lustiger. Lalala. Sangen viel über Feiern und Mädchen. Mussten jetzt auch fast fünfzig sein.
Sie hob den Kopf und sah drei Männer in dunklen Dreiteilern und eine Frau im Hosenanzug. Alle das gleiche Gesicht, die gleiche Maske. Wahrscheinlich hatten sie zu der Musik mal die erste Nummer geschoben.
Silvias Blick traf den der Frau. Trotz lag darin. Die Männer starrten geradeaus wie beim Appell auf dem Kasernenhof.
Silvia sah zuerst weg. Die Spritzen hatten ihren Kopf mit Watte gefüllt, aber sie spürte Scham.
Hinter ihr öffnete und schloss jemand die Tür, danach war die kräftige Frau verschwunden und der Koch zog über ihr auf wie eine Wolke, unter der weißen Mütze bestimmt ein Kopf voller kreativer Ideen. Innovativ, if you know what I mean.
Mit einem Ruck zog er Silvia die Decke weg. Ein Tusch hätte diesen Moment untermalen müssen, aber es plärrte nur weiter von irgendwo aus der Ecke: Lalala.
Jemand atmete schneller. Silvia sah auf. Einer der Männer spielte an den Knöpfen seines Hemdes herum. Die Frau nahm seine Hand.
Der Koch widmete sich kurz den Instrumenten, die auf einem kleinen Rolltisch lagen. Als er wieder zu Silvia trat, hatte er ein Skalpell in der einen Hand und betastete mit der anderen ihren Oberschenkel. Sie sah es nur, sie spürte nichts. Alles taub.
Der Radius, in dem die Finger des Kochs wanderten, wurde kleiner, bis er das perfekte Stück gefunden hatte. Er drückte ins Fleisch und nickte. Hier.
Die feine Klinge glitt in Silvia hinein. Blut floss ihren Schenkel hinab. Sie spürte keinen Schmerz, aber sie glaubte, das Blut zu spüren, wie Sirup auf der Haut. Nur Einbildung. Als der Koch ansetzte, gegenüber dem ersten Schnitt einen zweiten zu machen, ließ Silvia den Kopf zurückfallen und sah wieder zur Decke.
Sie schloss die Augen und wollte sie erst wieder aufmachen, wenn die Bare aus dem Raum gerollt wurde. Doch dann zischte es in der Pfanne. Sie musste hinsehen.
Der Koch gab gehackte Frühlingszwiebeln ins Teflon, stach mit einer Gabel in den Streifen aus ihrem Bein und wendete ihn. So groß, dachte Silvia. Das war doch so nicht abgemacht, das war zu viel. Außerdem spürte sie ein Brennen im Bein. Nur Einbildung, ganz sicher. Nicht darüber nachdenken und durch.
Liegen, an die Decke starren, warten. Die dämliche Band. Gute Stimmung.
Jemand atmete tief ein und aus. „Packen wir's.“ Eine Frauenstimme. Gabeln kratzten über Teller.
„Es ist gut.“ Wieder die Frau. „Oder? Hätte ich nicht gedacht. Was ist, wenn wir mehr wollen?“
„Mir reicht das so.“ Ein Mann diesmal. „Wir haben alles bewiesen.“
„Du hast im Sportunterricht genau fünf Liegestütze gemacht, wenn der Lehrer nach fünf gefragt hat, oder?“, fragte die Frau.
„Bitte?“
„Kein Wunder, dass deine Zahlen so festgefahren sind.“
Es gibt kein mehr, sagte Silvia, aber durch den Ball in ihrem Mund kamen nur Laute, keine Worte. Seid ihr verrückt?
„Es wird teurer“, sagte der Koch.
Die Frau schnaubte. „Ich möchte jetzt nicht über Geld sprechen.“ Sie nickte in Silvias Richtung. „Wie viel können wir?“
Der Nervöse trat einen Schritt aus der Reihe hervor, die er mit den anderen beiden bildete. „Julia, das geht mir echt zu weit.“ Er spielte wieder an seinen Knöpfen. „Du hast gesagt, es ist nur ein kleines Stück.“
„Hast du keinen Hunger?“
„Lass uns einfach ...“
„Aber ich will den ganzen Oberschenkel.“ Sie sah zum Koch. „Geht das? Für vier Personen?“
Der Koch nickte. „Aber bei solchen Mengen müssen wir zusätzliche Maßnahmen treffen.“
„Und ohne die geht es nicht?“
„Nicht, wenn wir alle ruhig schlafen wollen.“
„Was machen Sie?“, fragte der Knopffummler.
„Ich koche nur. Ein Fachmann führt die weiteren Arbeiten durch.“
„Welche weiteren Arbeiten?“
„Dann ist doch alles geklärt“, unterbrach Julia. „Die anderen rasten aus, wenn sie das hören. Das können sie nicht toppen. Wir packen es auf Brote und bringen es ihnen mit. Die rasten doch total aus!“ Sie klimperte mit der Gabel auf dem Teller.
Silvias Kopf war inzwischen wieder klar genug, um Angst zu haben. Die Wunde in ihrem Bein brannte jetzt ganz sicher. All die Verhandlungen mit dem Koch dauerten zu lange.
Der Knopffummler stellte seinen Teller auf den Boden und marschierte entschlossen an Silvia vorbei auf die Tür zu. Julia ging ihm ein Stück nach, dann blieb sie stehen und stampfte wütend auf. „Du hast noch nie gehabt, was dieses Team braucht!“
Die Tür fiel zu. Das fröhliche Humpahumpa der Band plätscherte weiter vor sich hin. Julia stand da und sah zur Tür, durch die der Hemdfummler verschwunden war. Dann drehte sie sich zu den anderen um. „Was ist mit euch? Hängt da noch was, wenn ihr euch zwischen die Beine packt?“
Die Männer sahen sich an. Einer nickte.
Julias Blick ging wieder zum Koch. „Wir machen es.“
Der Koch schien noch etwas bemerken zu wollen, sagte aber schließlich: „Sehr gern.“ Er verschwand durch eine Tür auf der anderen Seite des Raumes.
Julia trat zu Silvia. Die Augen hinter der Maske weiteten sich immer wieder kurz. Sie strich über den Ball in Silvias Mund.
Der Koch kehrte mit zwei Ärzten zurück, einer davon der Anästhesist. Der andere trug einen grünen Kittel, Mundschutz und Haube. Er schob einen Wagen mit OP-Besteck. Das größte Stück darauf war eine Säge. Es sah alles sehr sauber aus, alles sehr professionell.
Die Wunde in Silvias Bein begann zu pochen. Das Brennen wurde schlimmer.
Der Chirurg nahm eines seiner Instrumente vom Tisch und betrachtete es. Der kleine, silberne Bolzen, wofür auch immer der war, zitterte leicht in seinen Fingern.
Der Koch wies auf Silvia. „Machen Sie bitte.“
Der Anästhesist nickte und stach Silvia eine Spritze ins Bein. Die Wärme verwandelte sich in ein Summen. Taubheit kroch über das Knie bis in den Unterschenkel. Der Anästhesist löste die Riemen hinter ihrem Kopf und nahm ihr den Ball aus dem Mund. Er wollte ihr eine Maske auf das Gesicht setzten, an der eine kleine Gasflasche hing, aber Silvia drehte den Kopf zur Seite.
Der Anästhesist blickte zum Chirurgen. „Können Sie mal festhalten?“
Der Chirurg inspizierte weiter seine Werkzeuge. „Ist eigentlich nicht meine Aufgabe.“
Der Anästhesist sah ungeduldig zum Koch. „Können Sie?“
Der Koch nickte. „Sicher.“
„Nicht mein Bein“, sagte Silvia.
„Scht“, machte der Anästhesist.
Silvia spürte die Finger des Kochs an ihren Wangen, seine Handflächen an den Schläfen. Noch einmal drehte sie den Kopf, als die Maske auf ihr Gesicht niederschwebte. Der lockere Griff wurde starr. Sie hatte mal einen Soldaten mit einem Unterschenkel wie ein Roboter gehabt. Die echte Wade lag irgendwo im Irak. Der Anästhesist presste ihr die Maske aufs Gesicht. Das Gummi fühlte sich schmuddelig an auf der Haut. Der Anästhesist legte den Daumen auf ein kleines Rädchen an der Flasche. Silvia wollte schreien, aber jemand kam ihr zuvor. Eine männliche Stimme.
„Alle an die Wand!“
Der Anästhesist zog zurück. Silvia hörte die Flasche fallen. Die beiden Ärzte, der Koch, alle drängten sich jetzt neben Julia und ihre Kollegen.
Zwei Männer kamen hereingestürmt, auch maskiert, aber billig, ein Teufel und Donald Duck wie aus dem Lidl zu Karneval. Sie machten hektische Schritte und Bewegungen, ignorierten Silvia, die das Geschrei noch ein bisschen wacher machte. Zum Glück schlief ihr Bein weiter. Aber es blutete.
Der Anästhesist hatte seine Ruhe verloren. Er sah hektisch zwischen den Männern hin und her. „Hören Sie ...“
„Halt die Fresse!“ Teufel zielte auf den Anästhesisten. Der hielt sich die Hände vors Gesicht, als könnte das die Kugel abhalten, falls ein Schuss fiel.
Donald zog eine Plastiktüte aus der Jacke und hielt sie Julia hin. Sie zögerte.
„Nimm sie, verdammt!“ Er hielt ihr den Lauf vors Gesicht. Hastig griff sie nach der Tüte. Das Plastik knisterte. „Schmuck, Uhren, Brieftaschen, Handys, alles. Schnell.“
Während die Tüte sich füllte, löste Teufel die Riemen, mit denen Silvia an die Bare gefesselt war. Sie wollte aufstehen, aber er drückte sie zurück und schüttelte den Kopf.
„Das Geld.“ Er sprach, ohne den Blick von ihr zu nehmen. „Ihr gebt's ihnen bar mit. Wo ist es?“ Die Stimme.
Sie hatten noch eine Tüte dabei. Teufel verschwand mit dem Koch. Als er zurückkam, war er allein und die Tüte voll. Niemand fragte, was aus dem Koch geworden war.
„Alle auf den Boden, die Arme ausstrecken“, sagte Teufel. Mit den ungelenken Bewegungen sehr alter Leute leisteten Ärzte und Julias Team dem Befehl Folge.
„Zählt bis zehntausend“, sagte Donald. „Wenn ihr früher hochkommt, merke ich das.“ Er bückte sich und drückte dem Anästhesisten den Lauf gegen den Kopf. „Dann komme ich zurück.“
Teufel nahm Silvia vorsichtig auf den Arm. Donald nickte ihm zu. Teufel nickte zurück. Als sie bei der Tür waren, fand Silvia ihre Stimme wieder.
„Warte.“
„Was ist?“
„Noch mal zurück, bitte.“

Unterwegs kletterten sie über den Knopffummler, der im Eingang bei der Flügeltür mit einem Flügel lag. Mit Blut an den Fingern betastete er seinen Hinterkopf.
Sie stiegen ins Auto. Teufel legte Silvia auf die Rückbank. Er warf bunte Packungen mit Schmerz- und Schlaftabletten aus dem Zimmer des Anästhesisten über sie. Donald fuhr los, ohne Hektik. Er nahm die Maske vom Kopf, nur ein Gummiband hatte sie vor dem Gesicht gehalten. Billiges Teil. Teufel tat es ihm gleich.
„Hi.“
Silvia hoffte, das Lächeln zu erwidern, war sich aber nicht sicher. „Ich hab deine Stimme erkannt.“
Sven zuckte die Schultern. „Die kennen uns Fahrer. Und wenn, ich muss sowieso eine Weile woanders hin. Hab ich schon mal gemacht. Kein großes Ding.“
„Du hast ja gesagt, du machst das nicht mehr lange.“
Er zündete eine Zigarette an und hielt sie ihr hin. Beim Ziehen kam Silvia sich vor wie ein Baby, das an der Flasche nuckelt. Sven ließ sie in Ruhe machen.
„Ja, das hab ich gemeint.“ Er nahm die Zigarette zurück und sah aus dem Fenster, draußen die Bäume. „Ich hab ja gesagt, ich hab immer viel Mist gemacht. Ich weiß, wie man Mist macht. Darum kenne ich Leute wie ...“
Er sah Donald an. Der blickte zurück. „Peter.“
Sven nickte. „Peter, genau. Du brauchst zwei für so was, und ... Peter brauchte halt auch Geld. Ich wollte das eigentlich nicht mehr. Hab's probiert. Lass mir nicht gern was sagen. Hier hab ich gedacht, ist für Perverse, aber wenigstens nichts, was dir hinterher leidtun muss. Tat's dann aber doch.“ Er zeigte mit der Zigarette auf die blutende Wunde an Silvias Bein. „Bleibt nicht immer dabei. Da sind schon Gruben hinter dem Haus. Nur die sucht halt keiner, die da drin liegen. Hätte ich dir sagen müssen. Hab ich aber nicht. Wie gesagt. Viel Mist.“
Silvia starrte an die Wagendecke. Versuchte sich vorzustellen, wie das jetzt wäre, ohne Sven und Peter. Vielleicht würden sie schon Brote schmieren.
„Eigentlich wollte ich heute noch gar nicht.“ Sven sah sie an. „Aber du erinnerst mich an meine Schwester.“
Silvias Mund war trocken. „Was ist mit ihr?“
Sven pustete Rauch aus. „Weiß ich nicht, ist lange her.“ Er rauchte die Zigarette bis zum Filter und drückte sie im Aschenbecher unter dem Radio aus. „Einen Hund hatte ich auch mal.“

Im Waldwichtel hatten sie nicht nur die zehntausend Euro aufbewahrt, sondern noch viel mehr. Wohl die Gagen für die nächsten Kandidaten. Jedenfalls die, die nicht in die Gruben mussten. Sven sagte, nach der OP könnte sie Harry zur Reha nach Dubai schicken und es blieb immer noch genug für Peter und ihn, um erstmal woanders hinzugehen. Auch eine Uhr bekam sie.
„Kennst du die?“, fragte Sven.
Sie schüttelte den Kopf.
„Dagegen ist Rolex wie aus dem Automaten gezogen.“

Sie konnten sie nicht zur Notaufnahme bringen. „Wir machen's in dem Park um das Krankenhaus“, sagte Sven. „Da kommt einer rum. Bevor es dunkel wird, kommt da auf jeden Fall einer rum. Und das Wetter ist ja gut. Tut mir leid, aber ...“
Silvia lächelte, stumpf von ein paar Pillen. „Ist okay.“
Sie blieb nur einen Tag im Krankenhaus und musste unterschreiben, dass sie auf eigenen Wunsch ging. Sie konnte Harry nicht länger allein lassen.

Natürlich hatten sie mit der Polizei gesprochen. Ein netter, junger Bulle kam zu ihr. Max. Silvia hatte das Gefühl, er wollte wirklich helfen. So hatte sie Bullen noch nie erlebt. Außerdem gab er sich Mühe, so zu tun, als würde ihre Wohnung nicht nach Harrys Krebskacke riechen.
Max kam mehrmals und sie erzählte ihre Geschichte immer ein bisschen anders. Es war ein Überfall. Es war ein Zuhälter, den sie noch nie gesehen hatte. Es waren zwei, es waren drei, es war ein Küchenmesser, es war ein Butterflymesser. Keine Vergewaltigung. Ganz sicher. Sie wusste doch, wie die sich anfühlten.
„Ich denke nicht, dass sie mich aus bösem Willen anlügen.“ Max saß ihr am Küchentisch gegenüber. „Haben Sie Angst?“
Silvia zündete sich eine Zigarette an. „Schon.“
Max nahm einen Schluck aus seiner Tasse. „Ich will auf jeden Fall dranbleiben, aber ganz ohne Sie kann ich nicht.“
Sie sah dem Rauch beim Aufsteigen zu. „Dann nicht.“
Sein Blick ging zu Harry, der auf seiner Decke schnarchte. „Er ist krank, oder?“
„Er wird bald operiert.“
„Schlimm?“
„Ja.“
„Tut mir leid.“
Silvia rauchte, Max trank den letzten Schluck und stand auf. „Der Kaffee war wieder klasse.“
„War er nicht.“ Sie zog Gerdes' Karte aus dem Portemonnaie und legte sie auf den Tisch. Max nahm sie.
„Was ist das?“
Silvia starrte den Herd an. „Weiß ich nicht.“ Sie drückte die Zigarette im vollen Aschenbecher aus. „Schenke ich Ihnen.“

Harrys OP war nicht der Erfolg, auf den sie gehofft hatte. Er bekam zwei bis drei Monate für fast 6000 Euro. Maximal ein halbes Jahr. Er humpelte und winselte und einmal knurrte er sie an. Die Scheißerei hatte er gar nicht mehr unter Kontrolle. Sie machte ihm ein Steak, schnitt es in winzige Stücke und vermengte es mit dem Pulver, das sie aus den Pillen herausbrach, die sie noch aus dem Waldwichtel hatte. Sie hatte im Internet nachgesehen. Zehn Stück sollten reichen. Sie streichelte Harry die ganze Zeit, während er im Liegen langsam fraß. Irgendwann fraß er nicht mehr und lag nur noch und sie streichelte ihn weiter, fast die ganze Nacht.

„Silvia!“ Bine klang überrascht. „Lang nichts von dir gehört.“
„Ich hatte zu tun.“
Schweigen am anderen Ende, sekundenlang. „Also hast du's gemacht?“
„Nee. War nichts für mich.“
„Oh.“
„Hoffentlich hast du das Geld für die Vermittlung trotzdem bekommen.“
Bine entgegnete nichts.
„Ist kein Vorwurf“, sagte Silvia. „Läuft halt so.“
„Ja, eigentlich schon.“
„Ist auch nicht wichtig jetzt. Harry ist tot.“
„Oh shit, Süße, das tut mir leid.“
„Hat sich nur noch gequält. Ich wollte ihn mit zwei Flaschen Wein verabschieden. Hast du Bock? Allein macht mich fertig.“
„Klar, ich lass dich doch jetzt nicht im Stich. Bin gleich da.“
„Super, ich freu mich.“
Sie legte das Handy neben den Wein. Dann zerbröselte sie noch eine Pille mit dem Griff eines Küchenmessers. Ein kleines Häufchen Pulver lag vor ihr auf einer herausgerissenen Seite des Penny-Markt-Prospektes. Drei Pillen waren das jetzt. Aufgelöst im Wein, das sollte reichen. Sie wollte Bine ja nicht zu Harry schicken, sondern sie nur etwas ruhig stellen. Mit ihr reden. Es gab offene Fragen. Die Gruben hinter dem Haus. Silvia sah sich in einer davon liegen jetzt. Eine von denen, die keiner sucht. Das war sie, aber klar doch. Ihr Vater wusste das und Bine wusste das auch. Und was hatte Bine noch gewusst?
Die Säge des Chirurgen. Silvias Finger glitt über die Zähne. Blut tropfte auf den Tisch. Wie scharf das Ding war.

 

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