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Blutkunst
Die Wärme der Eingeweide umhüllt Jonathans Hände wie eine Decke, und die kalt gewordenen Finger erhalten allmählich ihr Feingefühl wieder, als er beginnt in der Bauchhöhle des Mannes zu graben.
Ein zögerliches Okay war die Antwort gewesen, als Jonathan ihn fragte, ob er Teil eines künstlerischen Meisterwerkes werden möchte. Dann schnitt er ihm die Kehle durch. Langsam, genießend, von links nach rechts. Der junge Mann, kaum älter als 20 Jahre, schrie nur kurz, dann erlag er seinen Schmerzen.
Das Skalpell glitt mühelos durch die Bauchdecke. Behutsam durchtrennte er die darunter liegenden Muskel und klappte sie auf wie ein Buch. Er hatte es geschafft, keines der Organe war beschädigt. Als er sie sah, durchzuckte ihn ein Kribbeln.
Behutsam entfernt Jonathan Leber und Nieren. Sie bilden später die Köpfe der Blumen. Zärtlich streicht er über die glatte Oberfläche des Fleisches, berührt sie nur mit den Fingerspitzen, wie bei einem erotischen Vorspiel, dann legt er es in den Schoß des Mannes.
»So ist es gut. Wasch sie sauber. Sie werden die schönsten Blumen im Park sein."
Die helle Jeans färbt sich dunkel, als das Blut der Organe, mit dem Regen vermischt, in den Stoff sickert. Er sorgt für eine natürliche Note. So wird jedes Werk einzigartig.
Immer wieder fasziniert es ihn, was die Natur aus seinen Bildern macht. Sie ist zu einem Co-Piloten geworden. Ein Begleiter mit Ideen und Möglichkeiten, die keine Menschenhand in einer solchen Präzision ausführen kann.
Jonathan lässt sich Zeit. Es soll, nein es muss, perfekt werden. Ein feminines Bild. Ein Bild was ihr zeigt wie großartig und kulturell wertvoll er für die Gesellschaft ist. Sie davon überzeugen, dass er und nicht alle anderen recht haben. Nur deswegen ist sie hier. Sie wollte es so. Wollte es mit eigenen Augen sehen und ich glaube, tief in ihrem Inneren, empfindet sie genauso wie ich.
Stück für Stück zieht er den Dickdarm aus dem Bauch und drapiert ihn herzförmig auf der Brust seiner Leinwand. Eine gute Leinwand. Jung, athletisch, flacher Bauch, definierte Brust und gesunde, kräftige Organe. Welch ein glücklicher Zufall, für diesen wichtigen Tag so ein hervorragendes Material zu bekommen.
Ein Würgen riss ihn aus seinen Gedanken. Die Wärme im Bauch weicht einer nassen Kälte, als er sieht, wie sich seine Psychologin im nahen Busch übergibt.
»Sie werden schon noch verstehen. Am Ende. Wenn es fertig ist.«
Den Dünndarm schneidet er in unregelmäßig lange Stücke und legt sie, in Schlangenlinien, rechts und links neben das Herz, dann widmet er sich wieder der Leber und den Nieren. Legte sie jeweils an ein Ende der Dünndarmstängel. Die Leberflecke, die eben noch die Arme des Mannes verzierten, bildeten jetzt die Samen der Blumenköpfe.
Den über der rechten Oberlippe ließ er, wo er war.
»Er unterstreicht die Eleganz der Kunst«, sagt Jonathan seiner Leinwand und streicht ihr über die Wange, »Danke für die Zusammenarbeit, mein Freund.«
Er richtet sich auf, betrachtet sein Werk von oben. Meisterhaft, feminin und die Idee, richtige Blätter an die Dünndarmstängel zu legen, haucht dem Ganzen noch etwas Leben ein.
»Und, wie gefällt es Ihnen?« Er richtet sich an Ramona, die auf der Bank sitzt, den Kopf auf die rechten Hand gestützt, während sie sich mit der Linken ein Taschentuch vor den Mund hält.
»Sie sind krank«, röchelt sie.
»Nein, aber das werden Sie auch noch verstehen. So wie dieser junge Mann es verstanden hat, was es bedeutete, an einem einzigartigen Meisterwerk mitzuwirken.«