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Blömke
Blome ist eine arme Sau. Bloß er weiß das noch nicht. Gestern, da habe ich ihn kennengelernt, bei Jimmy in der Autowerkstatt – alle waren da: auch Kronicz, dieser Lackaffe, mit seinen Gelhaaren und dem Bullenkörper. Er trägt ausschließlich Wildlederschuhe und Ed Hardy-Shirts, und zwar in XS, damit jeder sieht, mit wem man sich besser nicht anlegt.
»Du machs’ das, Kollege«, sagte Kronicz zu Blome und klopfte ihm dabei auf die Schulter, »das geht so schnell, und dann hockste mit deiner Frau auf Mallorca oder wo, trinks’ Prosecco und hast den ganzen Scheiß hier vergessen.«
»Ich trinke eigentlich gar nicht«, sagte Blome dann und Schweißperlen glänzten ihm auf der Stirn.
Er war blass, der Blome, das fiel mir in genau dieser Sekunde auf: Er war verdammt blass.
Jetzt lässt Ecke den Motor aufschreien und überholt so einen weißen Kombi mit Fahrrädern auf dem Gepäckträger, um wieder zu Tomasz und dem Lastwagen aufzuschließen.
Als sich unsere Karre an dem Kombi vorbeischiebt, zieht das blonde Mädchen auf dem Rücksitz eine Grimasse und presst ihr Gesicht gegen die Scheibe. Der Junge mit der Brille neben ihr lacht, und irgendwie muss auch ich kurz lächeln, als ich die beiden da drüben sehe, auf der rechten Spur – doch meine Gedanken schweifen ab, zu Blome, der jetzt bei Cheb die Grenze überschreitet; auch er hat zwei Kinder, zwei Töchter.
Als wir bei Jimmy den Lastwagen hergerichtet haben, kamen wir ins Gespräch: Ich hatte gerade die Software auf den Kilometerzähler gespielt, da habe ich gerufen: »Hey, Fahrer, hast du Kinder?«
Natürlich wusste ich, dass er welche hatte. Ich wusste, dass die Große, Katrin, auf die Peter-Henlein-Realschule geht, und dass die Kleine, Anne-Marie, immer mittwochs um achtzehn Uhr mit der Linie zweiunddreißig zu so einem warmen Bruder mit blonden Locken fährt, Klavierstunde.
Blome watschelte in die Garage und lehnte sich an die Lkw-Tür.
»Ja, hab ich«, sagte er zu mir, »zwei Mädels hab ich.«
Der Gedanke an seine Töchter brachte Blome wieder Farbe ins Gesicht, irgendeine zwischen Schweinchenrosa und Bluthochdruckrot. Er zog seine wulstigen Lippen zu einem Lächeln auseinander, streifte sich durch die Haare und hievte seinen korpulenten Körper neben mir auf den Beifahrersitz. Dann zog er seinen Geldbeutel aus der Hosentasche.
»Die da«, sagte er, und zeigte mit seinem kurzen, kräftigen Finger auf das Foto, »das ist meine Große. Und das da hinten, die mit den zwei Zöpfen, das ist meine Kleine.«
Ich schluckte, räusperte mich; ich hatte da so ein Kribbeln im Bauch. Aber das war unprofessionell, dafür hatte mich Kronicz nicht bezahlt.
»Kleb’ das am besten aufs Armaturenbrett«, sagte ich, »das kommt gut. Falls die dich rausziehen.«
Blome lächelte und sagte: »Gute Idee.«
Den Fahrern immer das Gefühl geben, dass sie alles unter Kontrolle haben, sagt Kronicz den Neuen immer. Und Kronicz hat verdammt noch mal recht.
Wir sind jetzt wieder hinter Tomasz und dem Lastwagen. Er überholt nie, fährt nie schneller als 80, hat neue Reifen, neue Blinkerbirnen, einen Seitenscheitel und außerdem eine saubere Lieferliste mit neuntausend Hühnern und ein Bild von zwei lachenden Jungs mit Fußball unterm Arm am Armaturenbrett kleben.
Die Landschaft zieht an uns vorbei: Bäume, die sich so groß und mächtig neben uns reihen, dass man meint, sie stünden einzig für uns Spalier – und über allem spannt sich der blaue Himmel, so, als wolle Gott uns den Ort zeigen, an dem wir nie sein werden.
Meine Hände zittern: Sie sind faltig und hässlich, Metzgerpranken eben. Ich stecke mir eine Kippe an, Ecke sagt noch: »Scheiße, hier im Auto wird nicht geraucht, das weißte doch!«
Ich schlucke den blauen Rauch hinunter. Wir haben das schon öfter für Kronicz durchgezogen, aber dieses Mal, dieses Mal ist das anders.
Kurz nachdem Blome gestern aus der Autowerkstatt verschwunden war, da kam dieser Jungbulle: hoch gewachsen, spitze Nase, stechender Blick – der kam mit so einem Grinsen daher, dass ich gleich wusste, dass er zu oft an Frauen und Koks denkt. Kronicz begrüßte ihn mit Handschlag, dann sagte er ihm das Nummernschild und: »Weißer Lkw, Baujahr ’97«, der Jungbulle nickte und zündete sich eine Kippe an. Kronicz sah mich an und schnippte, ich holte das Paket aus dem Büro, gab es Kronicz, und der gab es dem Jungbullen.
»Den Rest gibt’s danach«, sagte Kronicz zum Jungbullen, und der nickte.
Noch fünfzehn Kilometer bis zur Grenze. Ecke warf mir seinen leeren Kaffeebecher rüber, seitdem fülle ich ihn mit Asche und Filtern.
»Das zieht alles ins Leder«, sagt Ecke und schüttelt den Kopf. »Der Boss bringt dich um, ich sag’s dir.«
»Scheiß drauf«, sage ich, und drehe das Radio auf, wegen den Verkehrsmeldungen. Ecke beugt sich vor, schaut nach oben, in den Himmel, und sagt: »Da ziehen ’n paar Wolken auf, hoffentlich regnet’s nachher nicht.«
Ich starre auf die Rücklichter von Tomasz’ Lastwagen: Sie blicken mich an wie zwei rote, leuchtende, aufgerissene Augen.
Als wir die Grenze passieren, geschieht gar nichts. Früher, da war das anders: Da gab es Zollhäuschen und Spürhunde, da waren Fahrer noch Fahrer und Bullen noch Bullen. Und da haben wir für die Frauen gesorgt, wenn ihre Männer im Bau landeten – schweig, und deiner Frau geht es gut, nicht: Sprich, und deiner Frau geht es schlecht.
Und dann kamen Grenzöffnungen und Autobahnrazzien und koksende Jungbullen – Sternchenjäger, die einmal im Jahr einen großen Fang brauchen, um dabeizubleiben, um aufzusteigen, um sich nicht noch mit vierzig den Arsch im Streifenwagen plattzudrücken.
Der Jungbulle hat Kronicz an den Eiern, und Kronicz hat den Jungbullen an den Eiern – also machen beide das beste daraus. Und Typen wie Blome – Scheiße, Typen wie Blome bleiben dabei auf der Strecke.
Mein Handy klingelt, es ist Kronicz.
»Seid ihr drüber?«, fragt er, »ja«, sage ich, »alles gut.«
Ich blicke auf das Radiodisplay: 16:34. Jetzt müsste es passiert sein.
»Alles nach Plan gelaufen?«, frage ich plötzlich, und beiße mir noch im selben Augenblick auf die Lippe, weil ich genau weiß, dass man Kronicz so etwas nicht am Telefon fragt – das passiert nicht mal den Anfängern.
Ich höre Kronicz schnaufen und knurren, dann sagt er: »Fahrt einfach durch. Bis später, okay?«
Als wir die Raststätte bei Marktredwitz passieren, schließe ich die Augen. Ich kann mir das nicht anschauen.
Doch plötzlich zucke ich zusammen – ich kann ihn sehen, vor mir: Blome, sein rundes Gesicht, seine wulstigen Lippen; ich sehe dieses Glänzen in seinem Blick, das er hatte, als er an seine Töchter gedacht hat. Ich sehe ihn, wie er daran denkt, dass er zu selten bei ihnen ist, dass sie die Augen verdrehen, wenn er ihnen sagt, dass der Urlaub und die Klavierstunden zu teuer sind, und dass Schuhe von La Coste und der Rollerführerschein und das blaue Abschlusskleid zu teuer sind; und dann sehe ich den Jungbullen, diesen gierigen Wichser. Ich sehe seine spitze Nase, durch die das weiße Pulver in seinen Kopf schießt – ich sehe seine aufgerissenen Augen, die überrascht tun, als sie unter den Lastwagen blicken und fünfzig Gramm schlecht gestrecktes Kokain entdecken; ich sehe seinen Kollegen, der seiner Frau beim Abendessen vom großen Fang erzählen wird.
Aber das ist eine Lüge, dem Bullen würde das Kotelett aus dem Mund fallen, wenn er von den hundert Kilo wüsste, die gerade vor mir zwischen neuntausend Hühnern Richtung Hof rollen.
Wie gesagt, Blome ist eine arme Sau. Bloß er wusste das noch nicht.