Bildnismaler
Meine Geschichte bezieht sich auf das Bild von Egon Kersting, jedoch -das nur im Voraus- nicht auf die Betitelung "Selbstportrait", sondern lediglich auf das Bild an sich und was ich damit verbinden konnte.
Er steht vor seiner Leinwand und malt Menschen. Zum Leben erweckt er seine Wesen und lässt sie zu Staub zerfallen. Alle Macht ruht in seiner Rechten, liegt in der Spitze jenes Pinsels, der das Werk vollenden soll. Seine Miene ist rauh, sein Gesichtsausdruck verkniffen. Er konzentriert sich auf die Leinwand, schäumt die braune Farbe auf, lässt all seinen Hass auf das jungfräuliche Leinentuch fließen. Immer schneller skizziert der Pinsel die Konturen seiner Gefühle. Er greift zur Pallette und wirbelt seinen Pinsel in dunklen Ölsphären. Eine düstere Fratze setzt er seiner Gestalt auf, schielende Augen, krumme Nase und krummen Gang.
Flecken schmettert er auf seine Gestalt in allen erdenklichen Formen und Farben. Doch dann gefällt ihm die Vielfalt seiner Kreatur nicht, und er vermischt die Konturen zu einem einzigen, großen Farbklecks. Den umrahmt er mit der Spitze des Pinsels. In schwarzen Lettern schreibt er unter sein Werk: "Seht, so und nicht anders ist dieses Wesen."
Irgendwann geht er einige Schritte zurück und betrachtet bedächtig sein Bild. Betrachtet seine Farben, sein Werk, sein Wesen und denkt, dass es gut sei.
Nicht einmal trocken sind die Farben des Bildes, schon stellt er es vor sein Fenster, so dass es jeder sehen kann, der an seinem Haus vorbeigeht.
Menschen gehen an seinem Haus vorbei, die hören seine Hunde bellen, die sehen seine Wächter die Gewehre laden und sagen, dass das Bild gut getroffen sei. Bald erzählt man überall von dem Bild des Malers, bald hängt das Bild an jeder Litfasssäule. Die Menschen sehen es, denken an die bellenden Hunde und an die Gewehre und sagen: "Ja, das Bild ist gut getroffen. So und nicht anders ist das Wesen."
In dem Haus, da steht der Maler vor einer neuen Leinwand. Und er schäumt die Farben auf, um neue Bilder zu malen.