Hallo Frederik,
bin im Moment wenig online, aber denke schon seit ein paar Tagen über Deinen Text nach... Dein Motiv und Deine Intention waren mir soweit ich das sehen kann von Anfang an recht klar, trotzdem lässt mich die Geschichte, auch nach den Änderungen, eher unbefriedigt zurück... ich nehme mal ein paar Textpassagen um zu verdeutlichen, was ich damit meine...
Alle Macht ruht in seiner Rechten, liegt in der Spitze jenes Pinsels, der das Werk vollenden soll.
lässt all seinen Hass auf das jungfräuliche Leinentuch fließen.
Du sprichst hier von Macht und Hass... zwei Begriffe, die für mich zur Kategorie "große Wörter" gehören... das Problem, dass ich hier mit beiden Begriffen habe, ist, dass sie so alleine, wie sie im Moment stehen, wenig aussagen... wie denkt der Maler über die Macht, die er hat, um was für eine Macht handelt es sich eigentlich? Nur die Macht über seine Bilder, auch die Macht, die er über andere Menschen hat (woher kommt diese, in welcher Position ist der Maler / Machthaber eigentlich?)...um was für ein Art von Hass geht es hier, auf wen verspürt er Hass, und warum? Was genau fühlt dieser Mensch... oder fühlt er gar nichts? Wenn nicht, warum nicht? Und was hat er einmal gefühlt? Ich will nicht eine komplette Vorgeschichte, aber ich will mindestens eine Andeutung, warum der Mensch ist, wo er jetzt ist, und warum er tut, was er tut...making sense?
Zum Leben erweckt er seine Wesen und lässt sie zu Staub zerfallen.
Auf einer Leinwand kann man nichts zu Staub verfallen lassen...man kann Bilder höchstens zerreißen, verbrennen, etc... entweder ist hier ein Logikfehler, oder Du spielt auf etwas an, was der Protagonist neben dem Malen mit Menschen macht... wenn das der Fall ist, schreibst Du zu undeutlich, zu allgemein... in der Formulierung sehe ich trotz des Kontexts soweit nur ein unbegründetes Klischee...
Seine Miene ist rauh, sein Gesichtsausdruck verkniffen.
Nochmal Gefühl...mir reichen die Beschreibungen nicht aus, um nachzuvollziehen, wie sich der Maler fühlt, was in seinem Kopf vorgeht...zwar erstellst Du anhand von Formen und Farben im Verlauf eine negative Konnotation, diese reicht mir als Leser aber nicht aus...
Dann bemerkt er, dass die Töne nicht glaubhaft aussehen
Warum nicht glaubhaft? Was will der Maler eigentlich erreichen?
"Seht, so und nicht anders ist dieses Wesen."
Mir erscheint, als wolle der Maler hier die Individualität des "Wesens" (wer ist dieses Wesen?) betonen...im Verlauf lässt er jedoch keine individuelle Meinung zu seinem Bild zu...ich glaube, Du willst diesen Widerspruch, falls das so ist, musst Du ihn deutlicher hervorheben...
Betrachtet seine Farben, sein Werk, sein Wesen und denkt, dass es gut sei.
Absichtliche Analogie zum Genesistext? Again, wenn Du diesen Vergleich willst, bau ihn aus.
Menschen gehen an seinem Haus vorbei, die hören seine Hunde bellen, die sehen seine Wächter die Gewehre laden und sagen, dass das Bild gut getroffen sei. Bald erzählt man überall von dem Bild des Malers, bald hängt das Bild an jeder Litfasssäule. Die Menschen sehen es, denken an die bellenden Hunde und an die Gewehre und sagen: "Ja, das Bild ist gut getroffen. So und nicht anders ist das Wesen."
Die Leute haben Angst, deshalb widersprechen sie nicht. Du zeigst durch die Gewehre und Hunde, was ihnen Angst macht, definierst diese Angst jedoch nicht näher, vor allem gibst Du dem Leser aber keinerlei Auskunft darüber, was diese Menschen wirklich über das Bild denken, was SIE in ihm sehen...vielleicht hielst Du das beim Schreiben als unwichtig, mich als Leser interessiert es jedoch sehr...
Ich halte den Text nicht für zu abstrakt...zu oft sehe ich den Begriff "abstrakt" als Ausrede für "zu ungenau / zu oberflächlich"... soll kein Vorwurf sein, aber ich finde, Du musst noch eine ganzes Stückchen feilen, um präzisere Angaben zu machen, ohne den Text in seiner Länge oder seiner Informationsfülle ausarten zu lassen... eine Parabel hat immer eine ganz konkrete Aussage...oft versteckt, der gesamte Text läüft konsequent auf diese Aussage hinaus... im Prinzip ist der Text auch konsequent in seiner Ausführung, mir wird jedoch die Intention zu unpräzise herausgearbeitet.
Hoffe, ich habe irgendwie konstruktive Kritik geliefert.
Grüße,
San