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Besuch bei Nacht
1
In dem kleinen Zimmer herrschte Dunkelheit. Nur der Schein des Mondes erhellte es etwas und lies schwach die Umrisse der Gegenstände erkennen. Möbelstücke und hauptsächlich Spielzeug das quer über dem Boden verteilt lag. In einer Ecke des Raums lag Mark in seinem Bett. Er schlief tief und fest. Er schlief den sorglosen Schlaf eines elf-jährigen Kindes, das sich noch nicht um die Probleme dieser traurigen Welt kümmern musste. Sein Gesichtsausdruck war entspannt und er atmete gleichmäßig. Nur Marks Kopf und sein Arm,
mit dem er seinen Teddybären umschlang, ragten unter der Bettdecke hervor. Im Zimmer war es totenstill. Nur sein Atem war zu hören, sonst nichts. Auch draußen war es still. Es drang kein Geräusch durch das weit geöffnete Fenster.
2
Patricia Brown saß in ihrem Wohnzimmer und schaute sich einen alten Western im Fernsehen an. Auf ihrem Schoss lag eine Zeitschrift über Pflanzen und Gärten, in der sie bis vor
kurzem noch gelesen hatte. Dann hatte sie den Fernseher eingeschaltet, in der Hoffnung, dass sie einen Krimi finden würde, aber es lief an diesem Abend keiner. Und so musste sie sich mit diesem alten schwarz–weiß Western begnügen. Der Film war langweilig. Sie überlegte, ob sie sich ins Bett legen sollte, entschied dann aber, dass es dazu noch zu früh war. Es war erst zwanzig vor elf. Außerdem war Morgen Sonntag, was hieß, dass sie ausschlafen konnte. Also beschloss sie auf Martin zu
warten. Er würde um viertel nach elf zu hause sein. Dann konnten sie es sich noch ein bisschen gemütlich machen, wenn er nicht zu müde war. Ihr Mann arbeitete als Polizist und in der letzten Zeit hatte es viel Arbeit gegeben.
Zu viel, wie sie fand.
Doch das hatte sie ihm nie direkt gesagt. Seine Arbeit war etwas Wichtiges für ihn. Er brauchte sie. Doch in den letzten paar Wochen hatte er dabei ein unangenehmes Gefühl gehabt, wie er Patricia erzählt hatte. Der Grund dafür, war der Fund eines 13 – jährigen toten Jungen, in einem Waldstück nahe Hatfield, ihrem Wohnort. Er war erstochen worden. Ein Wanderer hatte die Leiche vor zwei Wochen gefunden. Es musste ein grausiger Anblick gewesen sein. Es stellte sich heraus, dass der Junge bereits seit einem Monat dort gelegen hatte. Gut verborgen von Büschen und Sträuchern.
Patricia erschauderte beim Gedanken daran. Es war für sie unvorstellbar, wie man eine solche Tat begehen konnte. Diese Frage hatte ihr ein paar unruhige Nächte beschert. Die Suche
nach dem Täter war bis jetzt erfolglos geblieben. Man hatte keine Spuren, und man wusste noch
nicht einmal, mit was der Junge umgebracht worden war. Die Zeitungen hatten alle möglichen Theorien über das Geschehene aufgestellt. Von einem Sexualverbrechen, bis hin zu einem Racheakt an dem Vater des Jungen, der angeblich in kriminelle Geschäfte verwickelt sein sollte. Patricia glaubte nichts von dem ganzen Geschwätz über den Vater. Sie stellte es sich schrecklich vor, beschuldigt zu werden am Tod seines
eigenen Kindes schuld zu sein. Er tat ihr leid. In einem Berichteiner lokalen Zeitung hieß es sogar, dass der Junge Opfer einer okkulten Sekte geworden war. Die an ihm ein mörderisches
Ritual vollzogen hatte. Es war auch ein Interview mit einem angeblichen Mitglied dieser
Sekte abgedruckt. Aber na gut, dachte sich Patricia, wenn die Leute so etwas lesen wollten. Vermutlich würde ein Reporter noch herausfinden, das Außerirdische das Verbrechen begannen hatten.
Sie nahm die Fernbedienung, und schaltete um. Auf dem anderen Programm lief eine Talkshow,
na klasse! Das Thema: Ich stehe auf dicke Frauen. Sie schaltete weiter. Auf dem nächsten Sender lief ein billiger Horrorstreifen, zwar nicht schwarz–weiß, aber bestimmt auch schon über 30 Jahre alt. Und das an einem Samstag Abend. Früher war sie viel unterwegs gewesen. In Discos, im Kino, oder auf irgend welchen Konzerten, entweder mit ihrem Mann Martin, mit Freunden, oder ( in den seltensten Fällen ) auch allein. Sie war jetzt 36 und hatte keine Lust am Wochenende zu Hause rumzuhängen und sich
zu langweilen. Natürlich musste sie an Mark denken, ihrem kleinen Sohn, aber wozu um alles in der Welt gab es schließlich Babysitter?
Etwas frustriert begann sie wieder in ihrer Zeitschrift zu blättern. Jedoch konnte sie sich nicht richtig auf den Text konzentrieren. Sie musste dauernd an den ermordeten Jungen denken und an Mark, der ruhig in seinem Bettchen schlief, ahnungslos von all dem Schrecklichen auf dieser Welt. Plötzlich stieg in ihrem Inneren Unruhe auf. Sie musste nach Mark sehen. Sie hatte so ein eigenartiges Gefühl, dass
Etwas nicht stimmt. Sie stand auf und verlies in ihrem silbernen Pyjama und mit Hausschuhen das Wohnzimmer. Sie betätigte den Lichtschalter. Im Flur wurde es hell. Mit hastigen Schritten setzte sie sich in Bewegung. Das Kinderzimmer war am Ende des Flurs. Die Tür stand immereinen kleinen Spalt offen, damit sie oder Martin hören konnten, wenn Mark weinte oder schrie. In letzter Zeit hatte er viele Alpträume gehabt. Meist Mitten in der Nacht. Sie versuchte so leise wie möglich zu sein, als sie die Tür öffnete. Aber es gelang ihr nicht.
Ein lautes Knarren war zu hören, das so schrill klang, das sie zunächst befürchtete, Mark geweckt zu haben. Doch er lag seelenruhig in seinem Bett und schlief. Seine Brust hob und senkte sich. Patricia konnte sein Atmen hören. Es war das einzigste Geräusch. Die Unruhe
(man konnte es schon Panik nennen) die sie verspürt hatte, war wie verflogen, als sie in sein Gesicht sah und Zufriedenheit darin erkannte. Sie stieg über einen Haufen von Spielzeug und stellte sich an sein Bett. Ein Bild des Friedens. Sie gab ihm einen zärtlichen Kuss auf die Stirn und verlies dann das Zimmer. Die Tür fiel hinter ihr leise ins Schloss.
3
Mark riss die Augen auf. Er hatte ein Geräusch gehört. Es hatte sich angehört wie ... . Plötzlich bemerkte er die Gestallt, die vor seinem Bett stand. Sie war schwarz gekleidet, so dass er nur ihre Umrisse erkennen konnte. Der Drang zu schreien stieg in ihm auf. Mühsam unterdrückte er ihn. Er wusste, was die Gestallt mit ihm machen würde, wenn er schrie. Er hatte es oft genug in seinen Träumen gesehen. In Marks Augen bildeten sich Tränen.
Er war gekommen, genau wie er es gesagt hatte, der schreckliche Mann aus seinen Träumen. Von draußen hörte Mark das aufgeregte Bellen eines Hundes. Mark registrierte es kaum. Seine ganze Aufmerksamkeit widmete er der Gestallt. Sie trat einen Schritt zurück, ohne ein Geräusch zu erzeugen. Es war fast so, als würde sie schweben. Im Mondschein konnte Mark erkennen, dass sie in einen schwarzen Umhang gehüllt war. Genau so, wie in seinen Träumen. Nur war sie jetzt real. Ihr Gesicht wurde von einer Kapuze verdeckt. Der Blick war zum Boden gesenkt, so als wartete
Sie auf etwas. Vielleicht hatte sie auch noch nicht bemerkt, dass er wach war? In diesem Moment hob die Gestallt langsam ihren Kopf. Zwei glühende rote Augen starrten Mark aus der Dunkelheit an.
Sie waren von so einem eindringlichen rot, dass sie zu brennen schienen.
In ihnen stand das unaussprechliche Böse geschrieben. Der Rest des Gesichts blieb immer noch verborgen.
Mark erstarrte vor Angst. Er hörte sogar für einen Moment auf zu atmen. Wieder wollte er schreien, und hätte es auch getan, wenn seine Kehle nicht wie zugeschnürt gewesen wäre. So brachte er nur ein kraftloses Stöhnen heraus.
Die schreckliche Gestallt, die fast bis zur Decke reichte, warf den Kopf nach hinten. „ Guten Tag, Mark, „ sagte eine verrückt klingende Stimme. Sie sagte es leise und Mark begann fast zu glauben, er hätte es sich nur eingebildet. Dann fuhr die Gestallt, die er aus seinen Träumen kannte, jedoch fort:
„ Du hast ein schönes Zimmer. „ Mark hatte eine feste unmenschliche
Stimme erwartet, diese hier hörte sich mehr wie die eines Clowns im Zirkus oder im Fernsehen an. Sie war auf eine ganz eigene Art gefühlvoll und zutraulich.
„ Ich hoffe du hast nicht vergessen wer ich bin, oder? „ Mark betäubt von Angst und
Verwirrung, schüttelte kurz den Kopf. Zu mehr war er nicht fähig.
Ein langes Schweigen folgte. Es vergingen quälende Sekunden, die ihm wie Stunden vorkamen. Da lag er nun in seinem Bett, die Decke bis zum Kinn hochgezogen, sein braunes Haar (für das er von seinen Verwandten immer gelobt wurde, weil es angeblich so schön sei) war schweißverklebt und sein Mund war so trocken, dass ihm das Schlucken weh tat, sein Körper war gelähmt von Todesangst und Hitze, und er konnte noch nicht einmal nach seiner Mutter schreien.
„ Was ist los, mein Freund? „ Fragte die Gestallt.
Mark konnte und wollte nicht antworten. „ Nun gut, wenn du nicht mit mir reden
willst ... „ wieder entstand eine kurze Pause.
„ Ich hab da was für dich! „ Mark sah wie sich der Arm der Gestallt hob. Ein riesiges Messer kam zum Vorschein. Die Klinge blitzte im Schein des Mondes kurz auf. Entsetzliche Finger umklammerten den Griff. Sie waren dünn und mit einer hellgrauen Haut überzogen.
Adern traten deutlich auf dem Handrücken hervor. Die Fingernägel glichen Krallen eines Tieres. Sie waren spitz und leicht gekrümmt. Wieder starrte Mark das Augenpaar aus der Dunkelheit an. Diesmal hasserfüllter und böser als zuvor.
„ Ich werde dich mitnehmen! „ sagte die Gestallt, und jetzt hörte sie sich tatsächlich unmenschlich an. „ An einen Ort, an dem es dir gefallen wird, „ fuhr sie fort. „ Du wirst viele neue Freunde finden und du darfst sogar Mammi und Daddy besuchen kommen. Na, wie hört sich das an? Aber zuerst, werde ich dich erlösen müssen von deinem elenden Dasein. „ Sie machte einen Schritt auf Marks Bett zu. Mark, von Panik getrieben, setzte sich in seinem Bett auf und presste den Rücken gegen die Wand. Die Hände hielt er schützend vors Gesicht. Die schwarze Gestallt hob die linke Hand ( in der rechten hielt sie das Messer), und holte aus.
Der Schlag traf Marks rechte Gesichtshälfte. Sein Kopf wurde brutal zur Seite gerissen. Blut tropfte
aus seiner Nase und besudelte die Bettdecke. Noch bevor Mark richtig wahrgenommen hatte, was passiert war, packte ihn die Gestallt am Kragen seines Schlafanzugs und riss ihn nieder. Mark stöhnte auf. Alles
schmerzte ihm.
Er war nicht fähig sich wieder aufzurichten. Da sah er plötzlich wieder das Messer aufblitzen. Es sauste auf ihn herab. Er nahm dies alles in Zeitlupe war. Die Klinge bohrte sich weit in seinen Unterleib hinein. Er schrie fürchterlich und so laut wie noch nie in seinem Leben. Es tat höllisch weh. Blut sprudelte aus der gaffenden Wunde. Sein Schlafanzug färbte sich dunkelrot. Die Gestallt zog das Messer aus ihm raus. Doch dann sauste es wieder auf ihn herab.
Ein stechender Schmerz breitete sich von seiner Brust aus. Das Messer steckte tief in ihr, nur der Griff ragte aus seinem Fleisch. Die Gestallt packte sich das Messer und stach damit immer wieder auf ihn ein. Eine riesige Blutlache sammelte sich auf dem Bett. Mark schrie noch immer. Drei Mal stach die Gestallt noch auf ihn ein, dann hielt sie inne. Mark gab keinen Ton mehr von sich. Er bewegte sich nicht mehr. Die Gestallt hatte ihren Job erledigt.
Mark war tot.
4
Ein Schrei! Ein entsetzlicher Schrei! Patricia wurde unsanft aus ihrem Schlaf gerissen. Ihr Herz raste so schnell, dass sie befürchtete, es würde ihren Brustkorb sprengen. Schweißperlen bildeten sich auf ihrer Stirn. Ihr erster Gedanke war, dass Mark etwas passiert war. Hastig tastete sie ihr Nachtschränkchen ab. Auf der Suche nach dem Lichtschalter für ihre kleine Lampe. Sie fand und betätigte ihn. Ihre Augen fingen an zu brennen, als das Licht anging.
Sie blinzelte ein paar Mal und schließlich gewöhnten sich die Augen an die plötzliche Helligkeit. Sie schwang sich aus dem Bett , zog sich schnell ihre Hose an und ein T- Shirt
und rannte dann zum Kinderzimmer. Vor der Tür blieb sie stehen. Sie hatte Angst, vor dem, was sie dort erwarten könnte.
Noch einmal atmete sie tief durch, dann öffnete Patricia die Tür und schaltete das Licht an. Was sie sah, brachte sie fast um den Verstand. Ihr Magen zog sich zusammen. All ihre Organe schienen plötzlich aufgehört haben zu arbeiten. Mark lag auf seinem Bett. Überall war Blut.
In seinem Körper waren die Einstichstellen zu sehen, aus denen eine schwarze Flüssigkeit lief. Ein langes Küchenmesser steckte in seiner Brust. Der hölzerne Griff war blutverschmiert. Das letzte was Patricia wahrnahm, war der riesige Rabe, der auf der Fensterbank, des geöffneten Fensters saß.
Dann wurde sie ohnmächtig und fiel zu Boden.
By TIMO MENGEL