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Berlin, vom Brocken gesehen

Monster-WG
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07.01.2018
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Berlin, vom Brocken gesehen

Goslar, früher
An Charlottes achtzehntem Geburtstag trank ich Wodka. Anton, ihr Bruder, schenkte mir zwei Finger breit ein. Er rief nach ihr, fragte, ob sie auch etwas wollte, aber sie tanzte. Und wenn sie tanzte, konnte sie nichts erreichen. Die Hitze des Wodkas wanderte durch meinen Körper. Breitete sich bis in die Fingerspitzen aus.

Berlin, heute
Der Wodka kommt mir wieder in den Sinn – Jahre später –, als Anton die Wohnungstür öffnet. Er sieht müde aus.
»Hi«, sage ich. Möchte etwas hinzufügen, etwas Unverfängliches, doch ich finde keine Wörter.
Er sagt nichts, und ich trete an ihm vorbei in die Wohnung.
Ich hole tief Luft. Ich bin mit dem festen Vorsatz hier, ihm schnell meine Schlüssel zu geben, die Sache hinter mich zu bringen. Doch der Anblick der gerahmten Bilder im Flur lässt mich erstarren. Das Einschulungsfoto hängt noch hier: Charlotte und ich mit Schultüten im Arm auf einer Mauer, Schulter an Schulter, Hüfte an Hüfte, Knöchel an Knöchel.
»Möchtest du was trinken?«, fragt Anton.
Ich halte ihm den Schlüssel hin. »Bin gleich wieder weg.«
»Simi. Nur einen Moment.«
Ich seufze tiefer, als nötig wäre. »Wodka, bitte.«
Seine Mundwinkel zucken, beinahe lächelt er.

Brocken, früher
In unserer Schulzeit wanderten Charlotte und ich fast jede Woche auf den Brocken. Wir saßen immer auf dem gleichen Felsen. Als wir älter wurden, teilten wir uns meistens eine Zigarette, legten unsere Beine übereinander und ignorierten die glotzenden Touristen.
Es war ein besonderer Felsen: Brockengranit, das gibt es nirgendwo sonst. Der Brocken hat sogar ein eigenes Klima, und als wir nach ihrem Geburtstag auf dem Felsen saßen, trieb der Brockenwind die ersten Schneeflocken vor sich her. Unter uns erstreckte sich der Wald: blaue Tannen und schwarze Berghänge.
Trotz der schneidenden Kälte zogen wir die Handschuhe aus und knüpften unsere Freundschaftsbänder. Ich hatte blaue und rosafarbene Fäden für Charlotte ausgesucht, Charlotte rote und grüne für mich.
»Rot für die Liebe und Grün für die Hoffnung«, sagte Charlotte. »Weil ich hoffe, dass du die Liebe findest.«
Ich konnte nicht sagen, was die Farben bedeuteten, die ich für sie ausgesucht hatte. »Ich glaube, Blau und Rosa passen zu dir«, sagte ich.
»Schau mal nach Osten.« Sie streckte die Hand aus, als könnte sie damit die Wolken am Horizont beiseiteschieben. »Ich kann Berlin sehen.«
Ich schüttelte den Kopf. »Viel zu weit weg.«
»Ich kann es sehen.«
Die Haut unter meinen Fingernägeln hatte sich bläulich verfärbt, und ich pustete auf die Finger, bevor ich weiterknüpfte. »Kommst du in den Herbstferien wieder mit?«, fragte ich. »Meine Oma muss das bald wissen.«
»Nee.« Charlotte beugte sich zur Seite und flüsterte mir ins Ohr: »Ich fahre nach Berlin. Zum Casting.«

Berlin, heute
»Weißt du noch?«, fragt Anton, als er das Glas vor mir abstellt. »An Charlottes Geburtstag? Da haben wir Wodka getrunken.«
»War mein erstes Mal«, sage ich.
Er setzt sich nicht, lehnt sich an die Anrichte. Stößt nicht an, sondern nippt bereits an seinem Glas. »Simi, ist das wirklich die richtige Entscheidung?« Er holt tief Luft. »Du wolltest doch nie nach Goslar zurück.«
Ich trinke, und der Wodka brennt durch mich hindurch. Von der Straße wirbelt Motorenlärm herauf.
Anton streicht mit gespreizten Fingern das Haar zurück, bis es nach allen Seiten absteht. »Ich dachte, wir könnten vielleicht neu anfangen. Wenn wir bloß aufhören, über Charlotte zu reden …«
»Ich will nicht aufhören, über sie zu reden.« Ich nehme einen weiteren Schluck, einen größeren diesmal. »Und ich gehöre eben nicht nach Berlin.«

Nordsee, früher
Jeden Herbst besuchte ich meine Großmutter an der Nordsee. Zweimal war Charlotte bereits mitgekommen, doch meine letzten Herbstferien verbrachte ich dort allein.
Ich saß auf dem Sofa, einen heißen Kakao in der Hand, während der Sturm an den Fenstern rüttelte. Charlotte rief an, im Hintergrund das Zischen der Züge, das Stimmengewirr, die hallenden Gleisdurchsagen.
»Ich bin da«, sagte sie feierlich. »Ich bin in Berlin!«
»Toll«, sagte ich. »Wie hast du das Geld zusammenbekommen?«
»Sei keine Spaßbremse, Simi. Ich melde mich wieder.«

Als später mein Handy klingelte, war es nicht Charlotte, die anrief. Es war Anton.
»Weißt du, wo Charlotte ist?«, fragte er. Seine Stimme klang gepresst. Seltsam, wenn ich ihn nicht für einen so coolen Typen gehalten hätte – er war schließlich schon zwanzig –, hätte ich schwören können, dass er Tränen unterdrückte.
»Nein«, sagte ich. Mein Magen zog sich zusammen. »Keine Ahnung.«
»Sie war zum Abendessen nicht da. Sie geht nicht ans Handy. Meine Mutter …« Er atmete tief ein.
Eine schmerzende Gänsehaut breitete sich auf meinen Oberschenkeln aus, und ich rieb mit den Händen über den Jeansstoff, als könne ich sie dadurch vertreiben. Vor meinem inneren Auge erschien Charlottes Mutter Regina – wie sie, wenn sie die Treppe hinunterging, die Kante vom Foto berührte, das Charlottes Vater zeigte. Und das Schimmern in ihrem Blick. Seltsam, Mitleid mit einer Erwachsenen zu haben.
»Simone, wenn du weißt, wo sie ist, musst du es sagen.«
Mit schwitzigen Händen umklammerte ich das Handy. »Vielleicht kann ich etwas rausfinden.«

Berlin, heute
»Ich dachte immer, Berlin wäre dein Traum«, sagt Anton. Er berührt das Wodkaglas, lässt dann die Hand wieder sinken.
Ich nehme noch einen Schluck. »Ich konnte Charlotte und mich nicht auseinanderhalten.«

Goslar, früher
Charlotte kam früher als geplant aus Berlin zurück. Anton holte sie mit dem Auto ab, und ich befürchtete, dass er wütend auf sie sein würde. Oder sie auf mich.
Ich kehrte auch früher als geplant nach Goslar zurück. Charlotte antwortete nicht auf meine WhatsApp-Nachrichten und ging nicht ans Telefon. Also lief ich die zwei Straßen zu ihr.
»Sie ist oben«, sagte Charlottes Mutter, als sie die Tür öffnete.
Charlotte saß auf dem Boden in ihrem Zimmer, den Rücken ans Bett gelehnt. Sie schaute nicht auf, sagte nichts, also setzte ich mich neben sie, lehnte den Rücken ans Bett. So hatten wir dort schon als Erstklässlerinnen gesessen.
Mein Knöchel berührte ihren Knöchel, die Farben der geknüpften Fußbänder waren schon verblasst.
»Tut mir leid«, sagte ich. »Aber ich hab nichts von dir gehört. Ich hab mir Sorgen gemacht.«

Charlotte hörte auch in den folgenden Wochen nicht auf, von Berlin zu reden. Sie hörte sowieso nie auf zu reden. Je flacher das Land, desto tiefer die Seele, pflegte mein Vater zu sagen. Er fand es lustig, schließlich lebten wir im Harzvorland. Vielleicht war Charlottes Seele nicht tief genug. Das hat ein Mitschüler mich später einmal gefragt: wie man sich aus lauter Oberflächlichkeit umbringen könne.
In der Schule schwärmte sie für Markus, einen Typen aus der Parallelklasse. Nach den Herbstferien nannte er sie eklig, und dann eilte er davon, und sie stand wie angewurzelt da, mit zitternder Unterlippe. Ich legte ihr den Arm um die Schulter, fühlte die Knochen durch ihren übergroßen Pullover.

»Hast du dich mit Anton getroffen?«, fragte Charlotte.
Wir saßen wieder an ihr Bett gelehnt, vor dem Fenster wirbelten Schneeflocken. Wir blätterten in Modezeitschriften, doch ich las nicht wirklich. Diäten, Stars, Kleidung — dafür konnte ich heute keine Konzentration aufbringen.
»Ja«, sagte ich.
»Finde ich nicht gut.«
Ich hob den Kopf. »Was?«
Sie schaute mich an. Ich hatte flüssigen Lidstrich um ihre Augen gemalt. Zu viel. Sie sah wie ein Panda aus. »Ich find’s komisch, dass ihr euch ohne mich trefft.«
»Entschuldige mal …« Ich rang nach Luft, suchte nach Worten.
»Seid ihr zusammen?«
»Nein«, entfuhr es mir. Und dann noch einmal, weniger heftig: »Nein. Wir … haben nur Spaß.«
»Cool. Dann kann ich ja beim nächsten Mal dabei sein.«
Ich klappte das Heft zu. »Und wenn ich mit Anton zusammen wäre, was dann?«
Ihr Blick folgte der Bewegung meiner Hände. »Liest du das nicht mehr?«
Wortlos reichte ich ihr das Magazin und erhob mich.
»Gehst du schon?«
»Muss noch lernen. Meine Mutter wünscht sich …« Ich holte tief Luft. Wappnete mich für die Explosion »…, dass ich es an die FU Berlin schaffe.«
»Du willst nach Berlin?«, fragte sie mit blitzenden Pandaaugen.
»Meine Mutter wünscht sich das. Ich …« Ich sah mich im Zimmer um, als könne ich irgendwo die rettenden Worte finden. »Ich denke eher an Braunschweig«, schloss ich.
»Das passt auch besser zu dir«, sagte sie und schlug die Zeitschrift auf. »Dieses Low Carb, denkst du, ich sollte das mal ausprobieren?«
Ich zuckte die Achseln und schluckte säuerlichen Speichel herunter. »Ich hab keine Ahnung von so was.«
»Eh klar. Madame hat es ja nicht nötig.«

Berlin, heute
Anton blickt ins Leere. Schließlich sagt er: »Ich weiß, was du meinst. Und deshalb denke ich auch, sie sollte kein Teil unseres Lebens mehr sein.«
»Es gibt kein unseres.« Ich trinke den Wodka leer. Als ich aufstehe, dreht sich das Zimmer um mich. »Wir haben Schluss gemacht.« Ich lege die Schlüssel auf den Küchentisch. »Mach’s gut.«

Goslar, früher
Ich bin ein Einzelkind, und ich dachte, Geschwister würden einander nie verlassen. Geschwistern konnte man nicht einfach Adieu sagen, man konnte nicht mit ihnen Schluss machen. Ein Irrtum, wie sich herausstellte.
Vor Weihnachten besuchte ich Charlotte im Krankenhaus. Sie saß auf dem Bett, und wir tranken Ingwertee. Sie durfte nicht so viel trinken wie sonst, aber dieser Becher Tee vor dem Mittagessen war ihr heilig.
»Anton versteht nicht, wie hart es ist«, sagte sie. »Wie hart ich arbeite, um das zu erreichen, was ich will.« Sie strich sich mit dem Handrücken über die geröteten Augen. »Er hat gesagt, er will mich nicht mehr sehen.«
Ich blickte auf ihre Fußknöchel. Sie waren so stark geschwollen, dass Charlotte das Bändchen nicht mehr tragen konnte. Das rosablaue Bändchen, das nun von ihrer Nachttischlampe baumelte. Ich nippte am Tee, doch der Ingwer spülte den bitteren Geschmack in meinem Mund nicht weg.
»Ja, es ist harte Arbeit«, sagte ich. »Das Hungern.«
Und diesmal sagte sie nichts.

An Heiligabend war sie zu Hause, wir saßen auf dem Balkon und blickten auf die Berge, die blauen Tannen. Den Wald, in dem die Luchse und Hexen lebten.
»Wenn ich gesund bin, ziehe ich nach Berlin«, sagte Charlotte.
»Und das Abi?«, fragte ich.
»Ich kann nicht noch ein Jahr hier festsitzen.«
Ich drückte ihre kalte Hand, und dann schauten wir beide nach Osten, auf die wolkenumhüllten Berge, und sie sagte: »Aber du kannst mich vom Brocken sehen.«

Berlin, heute
Im Flur nehme ich das Einschulungsfoto von Charlotte und mir von der Wand. Warum Anton es nicht längst abgenommen hat?
Ich drehe mich um, und er steht in der Küchentür. »Was willst du eigentlich wieder in Goslar?«, fragt er.
Er ist ihr so ähnlich. Aber das ist das Letzte, was er hören will.
»Vom Brocken aus kann ich Berlin sehen«, sage ich. »Das genügt.«
Denn was ich von Berlin aus nicht sehen kann, das sind die Bäume, der Nebel, die Luchse, der Hexentanzplatz. Berlin ist so laut und wuselig, ständig geschieht etwas. Dem Harz ist das alles gleichgültig.
»Weißt du noch, Bosse?«, frage ich. Ein anderer Niedersachse, der über Berlin sang. Leise summe ich: »Und Berlin war wie New York. Ein meilenweit entfernter Ort.« Ich schaue Anton an, doch er weicht meinem Blick aus. »Ich glaube, ich verstehe jetzt, was damit gemeint ist.« Verstehe, was Charlotte nie verstand. Was die Sehnsucht bedeutet.
Anton runzelt die Stirn. »Man kann Berlin vom Brocken nicht sehen.«
»Ich schon.«

Goslar, früher
Sie sah Berlin nicht wieder. Ihre Mutter rief am Neujahrsmorgen an, und sie sagte nichts, ich hörte bloß ihren Atem in der Leitung. Ich starrte auf das Foto an der Wand, das Foto von unserer Einschulung. Charlotte und ich, Schulter an Schulter, Hüfte an Hüfte, Knöchel an Knöchel.
Ich fuhr ins Krankenhaus und stand wie erstarrt im Zimmer, während die Mutter Charlottes Sachen zusammenräumte. Auf dem Nachtschrank lag der giftgrüne Apfel, den ich ihr an Silvester mitgebracht hatte.

Berlin, noch
Die Zugbremsen lösen sich zischend, und an der Scheibe zieht das blaue Schild vorbei. Das gleiche blaue Schild, das an jedem Bahnhof in Deutschland hängt, in Berlin aber immer ein bisschen blauer aussieht.
Vom Bahnhof in Berlin aus kann ich alles sehen: die Leute, die Tauben, die Farben. In Goslar werden es die Berge sein, die Kirchtürme. Ein Sehnsuchtsort. Ich komme nach Hause.

 
Quellenangaben
"Schönste Zeit" von Bosse (Album: Kraniche (2013))

Liebe @TeddyMaria,
ja, da sind viele Themen in deiner Geschichte. Die Freundschaft zwischen den Mädchen, die erst ganz eng ist, bis sich da eine Fremdheit, später auch was Feindseliges von Charlottes Seite aus, einschleicht. Charlottes Lebenshunger, ihr Scheitern, die Magersucht. Der Kontrast zwischen der Harzer Landschaft und Berlin. Und dazu die Wirkung, die Charlottes Tod auf das weitere Leben von Simi und auf Anton hat, auf ihre Beziehung. Ich finde, es ist dir gelungen, das alles auf die Strecke einer Kurzgeschichte zu bringen und da stecken tolle Ideen drin.
Ich finde das gut gemacht, wie sich das Schicksal dieser Mädchen, ihr unterschiedlicher Charakter mit den verschiedenen Orten verbindet. Ich lese das so, dass Charlotte mit ihrer Sehnsucht nach Berlin in der Realität scheitert und in Goslar danach unglücklich ist, während Simi eigentlich ihre Heimat liebt und später wegen Charlotte eine Berlinphase durchmacht. Und am Ende wieder zu sich findet.

Und wenn sie tanzte, konnte nichts sie erreichen.
Schön, diese Eigenschaft ganz zu Beginn. Später wird sie auch niemand mehr erreichen können, als sie auf ihrem selbstzerstörerischen Weg ist.

Anton und ich vor dem Eiffelturm, Karyna, die Hündin, die jetzt bei meinen Eltern in Goslar wohnt, auf dem Sonnenfleck im Wohnzimmer. Und das Einschulungsfoto von Charlotte und mir.
Ich glaube, hier würde ich mich für ein Foto entscheiden. Das wäre stärker. Mometan wirkt es so, als wolltest du über die Fotos schon viele Infos rüberbringen, aber das ist für mich zu viel. Taucht Karyna überhaupt nochmal auf?

Es war ein besonderer Felsen, so wie alles am Brocken besonders ist. Brockengranit, das gibt es nirgendwo sonst. Der Brocken hat sogar eine eigene Klimazone, und als wir nach ihrem Geburtstag auf unserem Felsen saßen, trieb der Brockenwind die ersten Schneeflocken vor sich her. Unter uns erstreckte sich der Wald: blaue Tannen und schwarze Berghänge.
Der erste fettgedruckte Satz wäre für mich entbehrlich, weil ich da den nachfolgenden Satz stärker finde. Und dann vielleicht nur "Der Brocken hat ein eigenes Klima ..."? Klingt literarischer, finde ich.

»Nee.« Charlotte beugte sich zur Seite und flüsterte mir ins Ohr: »Ich fahre nach Berlin.«
Schön. Hier gibt es schon, trotz Freundschaftsbändchen, den ersten Riss. Es wundert mich, dass sie das ohne die Freundin plant.

Brauche die Hitze und den Mut, um zu sagen, was ich sagen muss: »Ich konnte Charlotte und mich nicht auseinanderhalten.«
Der zweite Satz gefällt mir auch gut. würde mir noch besser ohne den "Anlauf" vorher gefallen. Das ist so "täterätä, Vorhang auf, jetzt kommt was!". Ich fände es besser, wenn sie das ganz lapidar sagt und man ahnt schon, was es alles gebraucht hat, um zu dieser Erkenntnis zu kommen.


»Simone, wenn du weißt, wo sie ist, musst du es sagen.«
Mit schwitzigen Händen umklammerte ich das Handy. »Vielleicht kann ich etwas rausfinden.«
Das ist ja so eine Schlüsselszene und ich frage mich die ganze Zeit: Hat Simi denn Charlotte nun verraten? Ich denke, ja. Ich glaube, an der Stelle würde ich mir doch ein bisschen mehr Klarheit wünschen.

Ich kehrte auch früher als geplant nach Goslar zurück. Charlotte antwortete nicht auf meine WhatsApp-Nachrichten, und sie ging auch nicht ans Telefon.
Also Charlottes Familie, bzw. Anton haben sie nach Hause geholt. Und Simi kehrt aus schlechtem Gewissen früher zurück, weil sie den Tip gegeben hat?


Das hat ein Mitschüler mich später einmal gefragt: wie man sich aus lauter Oberflächlichkeit umbringen könne.
Gefällt mir. Dieses Unverständnis von Außenstehenden. Ich würde hier Oberflächlichkeit mit Eitelkeit gleichsetzen.
Du deutest wenig Auslöser für die Magersucht an. Charlottes Wunsch wegzukommen, die Abweisung durch den Mitschüler, der mit dem Wort "eklig" ihren Selbsthass verstärkt. Der Aufbruch nach Berlin ist misslungen, die Sache mit den Jungs misslingt, Pubertät ist eine sehr verletzliche Zeit. Sie reagiert eifersüchtig auf die Beziehung zwischen ihrem Bruder und Simi, besitzergreifend.

»Ja, es ist harte Arbeit«, sagte ich. »Das Sterben.«
Und diesmal sagte sie nichts.
Gefällt mir.

Dem Harz ist das alles gleichgültig.
Das auch.

Und Charlotte konnte es auch.
Entbehrlich?

Das gleiche blaue Schild, das an jedem Bahnhof in Deutschland hängt, in Berlin aber immer ein bisschen blauer aussieht.
Schön!

Ein Sehnsuchtsort.
wäre für mich auch entbehrlich, zu explizit.

Ich habe das gerne gelesen, @TeddyMaria.

Liebe Grüße von Chutney

 

Hi @Chai

Danke, dass Du Dich noch einmal meldest. Das ist immer sehr nützlich für mich.

Ja, ich glaube, genau da liegt für mich der Hase im Pfeffer. Das extrem Reduzierte passt für mich nicht zu einem langen Zeitraum.

Verstehe. Momentan wird durch einzelne Kürzungen, die hier angeregt werden, die Geschichte auch noch kürzer. Aber das werde ich auf jeden Fall nochmal überarbeiten.

Hier hast du aber nicht den Platz dafür, weil du mMn zuviel erzählen willst, und das eben über einen langen Zeitraum an verschiedenen Orten. Dadurch geht das, worum es dir eigentlich geht, unter.

Ich bin mir momentan noch nicht sicher, ob mehr und längere Szenen dabei schon helfen, um einen stärkeren Fokus zu setzen, oder ob ich tatsächlich inhaltlich abbauen sollte, also insgesamt weniger Szenen nehmen, dafür längere. Beide Optionen passen ja auch gut zueinander. Aber da muss ich nochmal in mich gehen.

Auch würde ich vielleicht nicht so in den Vordergrund stellen, dass Charlotte nach Berlin will, sondern ihre Essstörung. Die könnte für mich mit jeder Szene wachsen, auch auf dem Brocken könnte es schon darum gehen.(Angedeutet)

Das ist ein guter Hinweis, ebenso wie das:

Sie wird ja nicht magersüchtig, weil sie nach Berlin geht, sondern weil vorher schon was im Argen gelegen haben muss. Da könntest du evtl. noch näher drauf eingehen, denn momentan konzentrierst du dich in erster Linie auf den Traum von Berlin.

Ich habe mich damit ja in den Kommentaren bereits auseinandergesetzt, und hier bringst Du es genau auf den Punkt. Berlin ist ja weniger ein Grund als ein Symptom, und die Gründe liegen an dem Ort, von dem Charlotte unbedingt wegwill.

Ach, guck mal, jetzt hatte ich wieder eine Erkenntnis, während ich Deinen Kommentar beantwortet habe. Das sind die Dinge, die ich brauche. Vielen, vielen Dank! Ich schaue mir das Ganze in Ruhe an und melde mich wieder. ;)

Cheers,
Maria


Hi @Bea Milana

Habe mich sehr gefreut, dass Du hier warst und Dich so detailliert mit meiner Geschichte auseinandergesetzt hast. Vielen Dank! Ganz vieles von dem, was Du benannt hast, habe ich direkt eingearbeitet. Das erwähne ich nicht mehr extra, nur dass Du mir damit sehr geholfen hast. Ich gehe im Folgenden nur noch auf die Stellen ein, wo ich entweder anderer Meinung bin oder eine interessante Erkenntnis für mich dabei war.

Berlin, heute. Oder besser: Berlin, damals und heute. Zumindest fragte ich mich, warum hier nun eine Überschrift auftaucht und vorher nicht?

Ich hatte am Anfang keine Überschrift, weil es durch die Verschränkung der beiden Zeitebenen ja Goslar und Berlin, damals und heute hätte heißen müssen, und da dachte ich mir: Alle Informationen sind ungefähr genauso nützlich wie keine Informationen. ;) Durch Deinen Vorschlag habe ich diese beiden Linien nun aber klar getrennt und die entsprechenden Überschriften eingefügt.

Uff, sorry, aber jetzt komme ich allmählich durcheinander mit den vielen Orten, wer, wann, wo und weshalb?

Kann ich total nachvollziehen, und es tut mir auch leid. Ich arbeite seit über einem Jahr an dieser Kurzgeschichte, und das birgt offensichtliche Risiken. Inzwischen habe ich so viel verknappt, weil mir selbst die Zusammenhänge so klar sind, dass es anscheinend wirklich schwierig ist.

Als ich die Geschichte hier eingestellt habe, gab es gar keine Überschriften. Sie sind ein Provisorium, das ich rasch hinzugefügt habe, um das Lesen zu erleichtern. Ich glaube, es bringt schon was, aber ich versuche momentan, eine Lösung zu finden, in der ich ohne Überschriften und mit weniger Orten auskomme.

Als später mein Handy klingelte, war es nicht Charlotte, sondern Anton.

Dieser Vorschlag will mir so nicht gefallen. Vielleicht bin ich da auch überkorrekt, aber ich muss mir die Stelle nochmal in Ruhe anschauen.

Wie (siehe Schreibweise nach Doppelpunkt). Seine Frage finde ich merkwürdig.

Schreibweise nach Doppelpunkt, soweit ich weiß: Wenn nach dem Doppelpunkt ein vollständiger Satz kommt, wird groß angefangen. Wenn nicht: dann nicht. ;)

Die Frage des Mitschülers bezieht sich darauf, dass Charlotte sich nur indirekt umgebracht hat. Sie ist magersüchtig. In meiner Auseinandersetzung mit dieser Geschichte und dieser Störung bin ich immer wieder auf Unverständnis gestoßen, das hier durch den Mitschüler ausgedrückt wird. Ist es nicht ignorant, in einer Welt des Überflusses zu verhungern, für fragwürdige Schönheitsideale, während anderswo wirklich Hungersnöte herrschen? Das wollte ich unbedingt einbringen, weil mir dieses Unverständnis im Zusammenhang mit psychischen Störungen häufig begegnet. Als hätte Charlotte eine Wahl.

Hm, ist vllt. dein Stil, diese Kommas vor dem „und“ der Wiederholung des Subjekts mit dem Personalpronomen. Sagte ich schon, dass ich das unschön finde? Sieht aus wie ein Fehler.

Ich finde interessant, Du bist schon die Zweite, die das anmerkt. Ich mache seit immer (also vielleicht seit der fünften Klasse) an einem „und“, das zwei gleichrangige Hauptsätze verbindet, ein Komma. Das war in all meinen anderen Geschichten hier auch so (ich als Leserin brauche das einfach), aber in dieser hier scheint es aufzufallen.

Wahrscheinlich liegt es wirklich daran, dass ich das Personalpronomen so häufig wiederhole. Habe es jetzt an vielen Stellen, an denen Du es angemerkt hast, gestrichen. Und das Komma in dem Zuge natürlich auch.

Letzten Endes gehe ich mit dem unbefriedigenden Gefühl aus der Geschichte, einen Teil überlesen (?), nicht verstanden (?) oder nicht erzählt bekommen zu haben (?).

Ich habe versucht, die Geschichte so aufzubauen, dass in einem größeren zeitlichen Verlauf einzelne Szenen, quasi Highlights, rausgepickt und erzählt werden. Und dann hoffentlich klar wird, was dazwischen passiert ist. Deshalb wird ein Teil nicht erzählt. Erschwerend hinzu kommt, dass ich zwischendurch die verrückte Idee hatte, Flash Fiction zu schreiben, und deshalb stark gekürzt habe. Auch das scheint der Geschichte nicht gutgetan zu haben.

Ich glaube, reduzierter auf den Punkt / auf das eigentliche Thema gebracht, würde der Geschichte gut tun, anders gesagt: Ich werde den Eindruck nicht los, du willst zu viel auf einmal erzählen.

Du bist nicht die Erste, die das sagt. Ich werde mir das alles nochmal ganz genau anschauen und einzelne Szenen länger erzählen, dafür wahrscheinlich weniger Szenen, weniger Zeit. Das Gute ist: Ich habe schon viel ausprobiert, und ich habe immer noch Spaß dran. Wollte das demnächst einmal zu Ende bringen, aber nun nehme ich mir mehr Zeit dafür.

Danke für Deinen Besuch! War sehr aufschlussreich.

Cheers,
Maria

Hi @Chutney

Danke für Deinen Kommentar! Auch Du unternimmst einen Streifzug durch meine Geschichte und pickst Dir meine Darlings raus. Das gefällt mir gut. Scheint, als würde sie bei Dir ankommen.

ja, da sind viele Themen in deiner Geschichte. Die Freundschaft zwischen den Mädchen, die erst ganz eng ist, bis sich da eine Fremdheit, später auch was Feindseliges von Charlottes Seite aus, einschleicht. Charlottes Lebenshunger, ihr Scheitern, die Magersucht. Der Kontrast zwischen der Harzer Landschaft und Berlin. Und dazu die Wirkung, die Charlottes Tod auf das weitere Leben von Simi und auf Anton hat, auf ihre Beziehung. Ich finde, es ist dir gelungen, das alles auf die Strecke einer Kurzgeschichte zu bringen und da stecken tolle Ideen drin.

Im Zusammenhang damit, dass nun schon einige Kommentator/inn/en die Unschärfe und Vielfalt der Themen kritisiert haben, habe ich nun auch ein schlechtes Gefühl dabei, dass Deine Zusammenfassung der Themen so viel Raum einnimmt. Aber: Genau um die Dinge, die Du benennst, ging es mir. Offensichtlich ist es so angekommen, wie ich es wollte. Und das freut mich wiederum sehr. :bounce:

Ich finde das gut gemacht, wie sich das Schicksal dieser Mädchen, ihr unterschiedlicher Charakter mit den verschiedenen Orten verbindet. Ich lese das so, dass Charlotte mit ihrer Sehnsucht nach Berlin in der Realität scheitert und in Goslar danach unglücklich ist, während Simi eigentlich ihre Heimat liebt und später wegen Charlotte eine Berlinphase durchmacht. Und am Ende wieder zu sich findet.

Und genauso habe ich es mir auch gedacht. Charlotte kommt in Berlin nicht klar, weil die Sehnsucht weg ist, weil sie sich mit der Realität auseinandersetzen muss und das nicht kann. Deshalb ist die Berlin-Sehnsucht natürlich auch sofort zurück, als sie nicht mehr in Berlin ist. Und Simi macht die gegenläufige Entwicklung, genauso wie Simi und Anton später gegeneinander laufen. Diese Beziehungen zu entwickeln, darum ging es mir.

Schön, diese Eigenschaft ganz zu Beginn. Später wird sie auch niemand mehr erreichen können, als sie auf ihrem selbstzerstörerischen Weg ist.

Ja, Du hast recht. Hier ging es mir ja auch darum, Charlotte genauso zu charakterisieren.

Ich glaube, hier würde ich mich für ein Foto entscheiden. Das wäre stärker. Mometan wirkt es so, als wolltest du über die Fotos schon viele Infos rüberbringen, aber das ist für mich zu viel. Taucht Karyna überhaupt nochmal auf?

Nachdem ich ewig lange an diesem Monstersatz rumgeschraubt habe, habe ich es jetzt genauso gemacht, wie Du es vorschlägst. Es kommt jetzt nur noch ein Foto vor.

Schön. Hier gibt es schon, trotz Freundschaftsbändchen, den ersten Riss. Es wundert mich, dass sie das ohne die Freundin plant.

Ehrlich gesagt, ich glaube, Charlotte sagt das nicht zum ersten Mal, und Simi nimmt sie einfach nicht ernst. Und ich denke auch, dass Charlotte nicht allein die Gräben zwischen den beiden aufreißt. Das ist etwas Gegenseitiges.

Der zweite Satz gefällt mir auch gut. würde mir noch besser ohne den "Anlauf" vorher gefallen. Das ist so "täterätä, Vorhang auf, jetzt kommt was!". Ich fände es besser, wenn sie das ganz lapidar sagt und man ahnt schon, was es alles gebraucht hat, um zu dieser Erkenntnis zu kommen.

Gekauft. :D

Ich denke, ja. Ich glaube, an der Stelle würde ich mir doch ein bisschen mehr Klarheit wünschen.

Das habe ich mir notiert und werde mich darum kümmern. Denn ja, Simi hat Charlotte verraten. Sie beschützt Charlotte, verankert sie aber eben auch. Das ist einerseits: Beschützen. Andererseits eben auch: Festhalten. Und ich denke, deshalb wehrt Charlotte sich so sehr.

Also Charlottes Familie, bzw. Anton haben sie nach Hause geholt. Und Simi kehrt aus schlechtem Gewissen früher zurück, weil sie den Tip gegeben hat?

Als ich noch jünger war, galt es, immer für die beste Freundin da zu sein. Selbst wenn man (was in dem Alter selten vorkommt) am anderen Ende der Welt ist. Und daran hält Simi sich. Ich wollte immer wieder ihre Loyalität zeigen.

Gefällt mir. Dieses Unverständnis von Außenstehenden. Ich würde hier Oberflächlichkeit mit Eitelkeit gleichsetzen.

Genau darum ging es mir. Möchtest Du sagen, dass Du das Wort austauschen würdest? Ginge auch. Ich bin mir nur nicht ganz sicher, weil ich den Satz tatsächlich so eingesetzt habe, weil mich jemand fragte, ob es nicht ignorant sei zu hungern, während anderswo auf der Welt wirklich Menschen hungern. Und da geht es ja weniger um Eitelkeit, sondern wirklich um Ignoranz und Undankbarkeit.

wäre für mich auch entbehrlich, zu explizit.

Den Sehnsuchtsort lasse ich erstmal stehen. Der war anfänglich auch doppelt drin, ist also schon verkürzt. Wie gewohnt schaue ich ihn mir aber kritisch an.

Ich habe das gerne gelesen,

Freut mich, dass ich Dir ein Leseerlebnis bescheren konnte. So soll es sein! Deinen Kommentar habe ich auch gerne gelesen und viele Dinge bereits umgesetzt. Anderes muss ich nochmal bewegen.

Vor allem muss ich mich entscheiden, wie ich die Geschichte verdichte, ohne das wegzuwerfen, was mir (und einigen Leser/inne/n) gut gefällt. Eigentlich mag ich es, dass sie sich organisch entwickelt, zwischen Menschen und nicht auf einem klaren Plot mit Thema und Wendepunkt, oder so. Ist mal was anderes für mich. Aber da muss ich nun einige Entscheidungen treffen.

Vielen Dank, dass Du hier warst und Deine Gedanken dagelassen hast.

Cheers,
Maria

 

Hallo @TeddyMaria ,

viel ist ja schon gesagt, ich hebe mal ein paar Krümel auf.

Brocken, damals

Die Einteilung finde ich gut. Gibt mir immer das Gefühl zu wissen, wann was wo passiert.

und als wir nach ihrem Geburtstag auf unserem Felsen

Ihrem, also Charlotte? Und welcher Geburtstag? Hab halt schon ein ungefähres Alter im Kopf, aber wäre vielleicht ganz gut, wenn man es ausformuliert.

Mir gefällt die Geschichte gut. Ich merke vor allem, wie sehr du verdichtet und verfeinert hast. Kein Satz sagt zu viel, kein Satz ist an einer Stelle, wo er nicht hingehört oder wo er keine Bedeutung hätte. Es fühlt sich so an, als würdest du schon eine Weile am Text schreiben und in unzähligen Versionen langsam diese hier hervorgesiebt haben.

Inhaltlich gibt es nur eine Sache, die ich kurz anschneiden will. Bei Suchten ( ich weiß, du bist die Psychologin, aber ich sage das jetzt mal) gibt es ja irgendwie ganz bestimme Verhaltensweisen und verschiedene Arten, wie Betroffene und Angehörige, die ja auch irgendwie betroffen sind, reagieren. Was mir im Kopf geblieben ist, dass es oft den einen Unterstützer gibt, der den / die Kranke begleitet und das Verhalten schönredet, ähnlich so, wie man es sich als Betroffener ja selbst schön redet. Bei Charlotte kommt noch dazu, dass sie darüber hinaus noch einen sehr stoischen Charakter zu haben scheint. Ob man so weit gehen würde, seinen eigenen Tod zu provozieren, ist ja für die Betroffene erstmal schleierhaft, Charlotte erkennt es ja gar nicht und als sie damit konfrontiert wird, kann sie gar nicht anders als aktiv oder eben nicht aktiv sich zu weigern.

Ich fände es interessant, wenn du eine unterstützende Rolle einbauen würdest. Jemand aus dem Umkreis, dass könnte Familie oder Freunde oder Freund sein, der Charlotte zwar nicht unbedingt in ihrem Glauben bestärkt, aber sie zumindest nicht kritisiert und ihr den Mut zuredet, weiter ihren Weg zu gehen. Wirklich dafür nutzen könntest du nur Anton oder Simi, eine neue Figur einzuführen und interessant zu gestalten würde den kurzen Rahmen sicher sprengen.

Ich bin mir aber auch nicht sicher, ob diese Rolle nicht vielleicht den Konflikt verändern würde. So wie ich es jetzt verstanden habe, leiden beide unter Charlottes Selbstmord, geben sich aber nicht jeweils die Schuld daran. Anton ist ziemlich fertig und versucht, irgendwie weiterzumachen, seine Schwester zu vergessen. Dafür zieht er ja sogar weg, ironischerweise nach Berlin. Er scheint in Simi irgendeine Art Rettungsboje zu sehen. Die Prot hingegen bleibt ja auf dem Land, beim Brocken.

Hätten Anton oder Simi Charlottes Verhalten unterstützt, würde das ihre Beziehung sicher negativ gestalten. ( Noch negativer, denn sie sind ja schon nicht mehr zusammen, aber es wirkt zumindest noch so, als könnte man sie in einen Raum stellen, ohne das sie sich gegenseitig an die Gurgel gehen) Wobei das zu Simi sowieso nicht passt, weil sie ja Charlotte die ganze Zeit Vorwürfe macht, was die ja dementsprechend auch abstraft. Du hast sowas nicht nötig und so.

Ich denke, es wäre interessant, wenn Anton eine gewisse Mitschuld trägt. Das muss ja keine große Unterstützung sein oder ähnliches, einfach nur, dass er Charlottes Wunsch nach, naja, was eigentlich (?) nicht sofort als Blödsinn abtut. Seine Figur wäre noch trauriger, noch gescheiterter, weil er durch Charlottes Selbstmord und seiner Rolle darin nicht nur seine Schwester, sondern auch für immer und ewig Simi verloren hätte, die das abstrafen würde.

So viel oder so wenig von mir.

Liebe Grüße
Meuvind

 
Zuletzt bearbeitet:

Hey TeddyMaria

Ui, das ist spannend. Es gibt ja so Texte, die gefallen einem oder eben nicht, und geben dabei wenig Anlass, darüber nachzudenken, warum das so ist. Der hier ist anders.
Ich finde den nämlich zunächst mal ziemlich mutig erzählt, du sprichst verschiedene Themen an, leuchtest mindestens zwei Beziehungen aus, fasst dich dabei aber sehr kurz, lässt einiges weg, verdichtest. Damit riskierst du natürlich, dass die Figuren ein bisschen blass bleiben und / oder dass du dich verzettelst. Interessanterweise hab ich das aber gar nicht so wahrgenommen, ich kriege eine recht klare Vorstellung der Figuren und ich finde auch, dass die Themen, weil sie gewissermassen ihren Schnittpunkt in der Erzählerin finden, am Ende gut gebündelt sind. Alles, was du hier verhandelst, hat einen sehr klaren Bezugspunkt in der Erzählerin, es geht um sie, um ihre Entwicklung, darum, was der Tod ihrer Freundin aus ihr gemacht, zu welchen Einsichten sie gelangt ist, also der Text hat da eigentlich einen sehr klaren Fokus, auch wenn sich der für mich erst beim zweiten Lesen so richtig geklärt hat.

Ich denke allerdings, dass du eine Sache noch nicht so richtig gut gelöst hast, nämlich die Magersucht. Haben andere auch schon gesagt, aber ich möchte das noch in einer anderen Hinsicht ansprechen. Mir geht es nämlich nicht um fehlende Info, die ich bräuchte, um zu verstehen. Sondern ich finde die Gewichtung seltsam.

Jeder Text spricht die einen Dinge aus und verbrigt andere, sagt dem Leser das eine, lässt ihn das andere entdecken. Von der Grundkonzeption her nehme ich deinen Text so wahr, dass der Leser die Beziehungen der drei Figuren untereinander und die Veränderung der Prota entdecken sollte. Aber auch so ein Grundthema wie Sehnsucht könnte entdeckt werden. Ich finde, du machst das in vieler Hinsicht ganz wunderbar. Drei exemplarische Stellen.

Ich wollte das Heft weglegen, doch Charlotte griff schon danach und riss sie mir aus der Hand.
»Freie Universität Berlin?«, fragte sie mit blitzenden Pandaaugen. »Du willst nach Berlin?«
»Die Broschüre hat meine Mutter mir gegeben. Ich …« Ich sah mich im Zimmer um, als könne ich irgendwo die rettenden Worte finden. Den Satz, der sie befrieden würde. »Ich denke eher an Braunschweig«, schloss ich.
»Das passt auch besser zu dir«, sagte sie und pfefferte die Broschüre in den Papierkorb.
»Aber du kannst mich vom Brocken sehen.«
»Ja, es ist harte Arbeit«, sagte ich. »Das Sterben.«
Und diesmal sagte sie nichts.

Manchmal hingegen machst du die Dinge sehr explizit, sprichst sie aus. Auch hier ein paar Stellen:

»Ich dachte, wir könnten vielleicht neu anfangen. Wenn wir bloß aufhören, über Charlotte zu reden …«
»Und ich gehöre eben nicht nach Berlin.«
»Ich konnte Charlotte und mich nicht auseinanderhalten.«
Und ich glaube, ich verstehe das jetzt erst, verstehe, was Charlotte nie verstand. Was die Sehnsucht bedeutet.
Ein Sehnsuchtsort. Ich komme nach Hause.

Mir geht es nicht darum, diese Passagen zu kritiseren, manchmal darf man auch mal was aussprechen. Aber wieso machst du Charlottes Krankheit nicht explizit? Klar, du könntest sagen, dass Simone das nicht aussprechen will, aus welchen Gründen auch immer. Aber sie könnte ja auch mehr darüber sprechen, davon erzählen, statt nur diese eine Andeutung zu machen. Ich fände das auf alle Fälle sinnvoll.
Warum? Weil ich - vielleicht ist das so eine typische Leserkrankheit, die ich mir inzwischen angeeignet habe - gerade im Unausgesprochenen oftmals den Kern einer Geschichte suche, das Geheimnis des Textes. Indem du ein solches Geheimnis um die Krankheit machst, gibst du ihr meines Erachtens ein viel zu grosses Gewicht. Ich finde nämlich nicht, dass der Akzent dieses Textes auf dieser Krankheit liegt, noch finde ich, dass er dort liegen sollte. Es geht um Freundschaft, um Entfremdung, um Sehnsucht und noch einiges mehr. Aber die Krankheit ist für mich nur der Anlass. Natürlich geht es da um mehr, als wenn Charlotte irgendein äusseres Ereignis zugestossen wäre. Aber die Magersucht ist für mich eher so auf der Faktenebene, das ist nicht das, was ich in diesem Text entdecken möchte. Daher fände ich es besser, wenn sie etwas klarer herausgearbeitet wäre, denn dann kann ich meinen Spürsinn für Zwischenzeiliges auf die wichtigen Dinge fokussieren. So. Ich hoffe, ich konnte einigermassen ausdrücken, was ich meine. Die These ist ja ziemlich steil: Wenn du einem bestimmten Element zu wenig Raum gibst, dann erhält es unter Umständen zu viel Gewicht! Keine Ahnung, ob das Sinn macht.

Eine Sache noch. Ich verstehe, weshalb du Simone in dieser Broschüre blättern lässt. Aber macht das Sinn? Sie geht zu Charlotte und weiss, da gibt es jetzt einiges zu diskutieren, sie hat Angst, dass Charlotte wütend auf sie ist und dann denkt sie, ach ja, ich nehme da noch was zum Lesen mit? Und am besten genau die Broschüre, die ich dann vor Charlotte verstecken muss! Das erscheint mir wenig plausibel. Oder ist das zu einem anderen Zeitpunkt. Aber auch dann fände ich es seltsam, dass sie die Broschüre mitnimmt. Oder ist das so ein Kniff des Unterbewussten? Je länger ich darüber nachdenke, desto interessanter finde ich diese Passsage. Sag was dazu! :D

Hab ich schon gesagt, dass ich den Text gern gelesen habe? Ist nämlich so!

Lieber Gruss
Peeperkorn

 

Hallo @TeddyMaria!

Du hast erwähnt, dass du mit dieser Geschichte auch Erzählstimmen üben möchtest.

Ähm, ich finde, diese Erzählstimme unterscheidet sich überhaupt nicht von Jakobs. Die Erzählstimme ist recht nüchtern. Sie vermittelt dem Leser die notwendigen Informationen und ist gut lesbar, im Sinne von verständlich und ohne Schnörkel.

Aber die Erzählstimme vermittelt nicht das, was ich von einer Erzählstimme gerne möchte. Leidenschaft.

"Das ist meine Meinung, und wenn's wem nicht passt - uuuh, als ob's mich interessiert!" - Nur ein Beispiel für eine Erzählstimme. Gefällt natürlich nicht jedem, aber Leidenschaft hat sie.

Und so klingt deine Erzählstimme, finde ich:
"Das ist meine Meinung", sagte sie. "Möglicherweise passt sie nicht jedem", sie nippte an ihrem Glas, "aber deshalb werde ich sie nicht ändern."

Wenn du Erzählstimmen üben willst, kann ich dir nur empfehlen, dir einfach einen Absatz aus dieser oder irgendeiner anderen Geschichte rauszupicken, und ihn aus zehn verschiedenen Stimmen/Blickwinkeln zu schreiben. Lass einen Langweiler erzählen, einen Wissenschaftler, einen Typen, der alles persönlich nimmt, einen Touristen, für den alles um ihn herum neu ist, einen Witzbold ... (Dieser Tipp stammt übrigens nicht von mir, sondern kommt aus einem dieser ultrabösen englischsprachigen Schreibratgeber, The Fire in Fiction von Donald Maass. :) )

Grüße,
Chris

 

Aber die Erzählstimme vermittelt nicht das, was ich von einer Erzählstimme gerne möchte. Leidenschaft.

Ich mach das normalerweise nicht, aber hier juckt es mich doch unter den Fingern. Das hier ist ja einfach null konstruktiv: Also, der Text ist aber nicht so, wie ich den gerne hätte! Na, das Leben ist eben kein Wunschkonzert. Und dann, deine einzigen Tips scheinen immer aus den tollen, bösen Schreibratgebern zu kommen ... ganz ehrlich, wenn ich mir jetzt so deine Prosa durchlese, ist da nicht ganz so viel hängengeblieben, oder? Und noch was: Wer von diesen Autoren, die diese Ratgeber verfasst haben, haben selber einen richtig geilen Roman geschrieben? Ich kenne jedenfalls keinen.

Lass einen Langweiler erzählen, einen Wissenschaftler, einen Typen, der alles persönlich nimmt, einen Touristen, für den alles um ihn herum neu ist, einen Witzbold

Das ist so ein typischer Tip, der logisch und toll klingt, aber im Grunde, wenn man vernünftig darüber nachdenkt, purer Unsinn und auch oberflächlich, reduzierend ist. Denn: Woher weiß ich, du, Maria, wie ein Wissenschaftler denkt? Wie ein Langeweiler denkt? Wie diese Archetypen reagieren? Und wird das dann nicht ein einziges, fürchterliches Klischee? Woher wissen wir, was diese unterschiedlichen Charaktere, die ja in ihrer Summe alle mehr sind als nur dieses eine Attribut, nämliche ein vollständige, komplexe Persönlichkeit, bewegt, sie antreibt? Deine Lösung klingt wie Malen nach Zahlen. Nein, eine Erzählstimme wird doch dann echt und tief und authentisch, wenn ich über eine emotionale Gemengelange verfüge, die ich für mich, als Erschaffer dieser Welt, dieser Figuren, nachvollziehen kann, für die ich eine Empathie besitze, und deren Motivation ich innerhalb der Figuren eben deswegen etablieren kann - alles andere wäre doch eine Versuchsanordnung, die konstruiert und affektiert wird. Wenn diese beiden Figuren hier nüchtern sind, nüchtern reden, dann könnte das einen Grund haben, der für die Narrative wichtig ist. Das hättest du mal fragen können: Ist das so gewollt? Warum werden hier andere Emotionen ausgelassen? Warum ist das wichtig für die Figuren? Du gehst hin und sagst: Nee, also die Erzählstimme ist nicht so, WIE ICH DAS erwarte, nämlich leidenschaftlich. Warum sie aber eben vielleicht nicht leidenschaftlich ist, kehrst du unter den Teppich. Warum? Hat ein wenig Geschmack, als würdest du hier Teddy einfach mal gepflegt einen reinwürgen wollen. Ist natürlich nur MEINE SUBJEKTIVE SICHT DER DINGE!.

Gruss, Jimmy

 

Hallo, meine Lieben

Ich komme heute nur dazu, @Meuvind und @Bea Milana zu antworten. Wochenenden sind ja immer etwas enger gestrickt bei mir. Montag geht es weiter, @Peeperkorn, @Chris Stone und @jimmysalaryman.

Bis dann!

Hi @Meuvind

Schön, dass Du auch am Start bist. Bezüglich Orten, Selbstmord-Nicht-Selbstmord merke ich beim Lesen Deines Kommentars, das einiges durcheinandergeht oder nicht so angekommen ist, wie ich mir das vorstelle, aber ich habe entschieden, das nicht zu kommentieren. ;) Denn Dir scheint es ja nichts auszumachen, und Du sprichst ja andere interessante und wichtige Dinge an. Darauf möchte ich mich lieber konzentrieren.

Die Einteilung finde ich gut. Gibt mir immer das Gefühl zu wissen, wann was wo passiert.

Dafür ist die Einteilung ja auch da. Ich glaube inzwischen, dass ich sie behalten werde. Dann muss ich mir einige Sachen der Erzählerin nochmal anschauen, was sie wann wie reflektieren kann; das passt nämlich stellenweise noch nicht ganz.

Ihrem, also Charlotte? Und welcher Geburtstag? Hab halt schon ein ungefähres Alter im Kopf, aber wäre vielleicht ganz gut, wenn man es ausformuliert.

Das steht alles im ersten Absatz. Ich habe bei der darauffolgenden Erwähnung Charlottes Namen gestrichen, weil ich dachte, das sei ganz zu Anfang präsent genug gewesen. Ich schaue mir den Satz nochmal an, ob ich nicht doch Charlottes Namen nochmal nennen muss. Das Alter zumindest wird im allerersten Satz der Geschichte erwähnt. ;)

Mir gefällt die Geschichte gut. Ich merke vor allem, wie sehr du verdichtet und verfeinert hast. Kein Satz sagt zu viel, kein Satz ist an einer Stelle, wo er nicht hingehört oder wo er keine Bedeutung hätte. Es fühlt sich so an, als würdest du schon eine Weile am Text schreiben und in unzähligen Versionen langsam diese hier hervorgesiebt haben.

Das freut mich. Tatsächlich ist es genauso. Dies ist die vierte Version. In der ersten, die über ein Jahr alt ist, gab es keine Simi, sondern nur Charlotte und ihren Bruder sowie eine alte Gärtnerin, die Charlotte kennenlernt und die sie dazu bringt, ihr Leben umzukrempeln. In der zweiten Version erzählt Simi die Geschichte direkt aus der Situation heraus, es gibt also keine Rahmenhandlung, sondern nur diese Szenen zwischen den beiden. Einen Bruder hat Charlotte nicht. In der dritten Version zieht Simi in der Rahmenhandlung mit ihrem Freund Tobi, den sie auf Abifahrt kennengelernt hat, nach Berlin. Die Vergangenheitsszenen ähneln den Szenen in dieser Version, und am Ende kehrt Simi nach Goslar zurück.

Du triffst die Entwicklung der Geschichte also sehr gut. Das birgt auch Risiken, so lasse ich inzwischen viel weg, was in anderen Versionen noch steht. Ich muss jetzt gucken, wie ich den Charakter der Geschichte bewahre, der mir gut gefällt, und sie trotzdem mehr Leser/inne/n zugänglich mache.

Bei Suchten ( ich weiß, du bist die Psychologin, aber ich sage das jetzt mal) gibt es ja irgendwie ganz bestimme Verhaltensweisen und verschiedene Arten, wie Betroffene und Angehörige, die ja auch irgendwie betroffen sind, reagieren.

Nun ja, die Magersucht ist keine Sucht. Wenn Du mal Lust hast, Dich durch die Systematik psychischer Störungen zu wühlen, empfehle ich diese Seite, die das F-Kapitel der ICD-10 auflistet (das ist das Diagnosesystem, mit dem in Deutschland alle Krankheiten und Störungen diagnostiziert werden, und im F-Kapitel stehen die psychischen Störungen). Die Essstörungen befinden sich im Bereich F5: "Verhaltensauffälligkeiten mit körperlichen Störungen und Faktoren". Abhängigkeiten wie z.B. der Alkoholismus stehen in F1: "Psychische und Verhaltensstörungen durch psychotrope Substanzen". In der ICD-10 werden die Störungen nicht willkürlich auf Bereiche verteilt, sondern das Ganze hat immer einen Grund.

Die Magersucht ist nur umgangssprachlich eine Sucht. Wenn ich mit anderen Leuten aus meinem Studium darüber rede, sage ich meisten "AN" dazu. Ich würde sie auch eher als Anti-Sucht bezeichnen, denn sie unterscheidet sich auch ganz stark von der Ess-Brech-Sucht (auch keine Sucht, sondern "Bulimie" oder "BN"). Benjamin von Stuckrad-Barre war (oder ist?) Bulimiker und schreibt in seiner Autobiografie "Panikherz" (sehr gutes Hörbuch auf Spotify) über seinen Aufenthalt in der Spezialklinik: Die Bulimiker/innen sind ein lauter, wilder Haufen, ekstatisch, lebendig, über die Stränge schlagend. Die Anorektiker/innen bezeichnet er als Skelette, die nachts durchs Treppenhaus wabern.

Meine Erfahrung aus der Spezialklinik, in der meine Freundin untergebracht war, deckt sich auch damit. Diese beiden Essstörungen unterscheiden sich stark voneinander. Übrigens ist, wer sich nach dem Essen übergibt, nicht automatisch Bulimiker/in. Die AN unterteilt sich in den "restriktiven Typ" und den "bulimischen Typ", und dann gibt es zusätzlich noch die BN. Bulimiker/innen magern normalerweise nicht so stark ab wie Anorektiker/innen, und die Störung ist nicht so tödlich.

Aaaalso: Die AN, wenn sie vom restriktiven Typ ist, ist gar nicht so stark gekennzeichnet durch Entgleisungen und Kontrollversucht. Sie ist im Gegenteil der Kontrollversucht der Kontrolle, das heißt, Anorektiker/innen können sich nicht NICHT kontrollieren. Das ist, weshalb diese Störung häufig komorbid geht mit Zwangsstörungen, oder wie Du richtig feststellst:

Bei Charlotte kommt noch dazu, dass sie darüber hinaus noch einen sehr stoischen Charakter zu haben scheint.

... zwanghaften Persönlichkeitsstilen. Deshalb möchte ich die Magersucht lieber eine "Anti-Sucht" nennen. Deshalb hast Du aber trotzdem nicht unrecht. Was beim Alkoholismus (zum Glück hatte ich (unfreiwillig) ganze drei Alkoholismus-Seminare) häufig auftritt, ist, dass Familienmitglieder den/die Alkoholiker/in decken. Oder dass das auffällige Verhalten auch am Arbeitsplatz lange unangesprochen bleibt. Scham begleitet Alkoholiker/innen auch häufig, und ich glaube, auch ihr Umfeld verspürt Scham, und ich denke, daraus resultiert viel von diesem unterstützenden Verhalten (an dieser Stelle ist das nur meine Spekulation, muss nicht so sein, bitte nicht denken, dass ich denke, dass das auf JEDEN zutreffen muss). Hinzu kommt natürlich, wenn Freund/inn/e/n auch Alkoholmissbrauch betreiben und den riskanten Konsum so unterstützen.

Dies auf die Magersucht zu übertragen, finde ich schwierig. Erstmal lässt sie sich ab einem bestimmten Punkt nur schwer verbergen, selbst gegenüber Wildfremden nicht. Außerdem ist Hungern hierzulande nicht mit Scham belegt. Im Gegenteil. Diese Störung beschäftigt mich deshalb schon so lange, weil meine Schwester und ich beide zierliche Menschen sind und uns unser Leben lang damit auseinandersetzen mussten, dass Fremde uns Hilfe anbieten. Als wir klein waren, waren meine Eltern diesen Vorwürfen ausgesetzt, uns hungern zu lassen. Nach meiner Erfahrung ist die Gefahr der Magersucht vielen Menschen sehr präsent, und schlanke Leute werden schnell mit großer Besorgnis betrachtet. Bei Alkoholismus ist eher das Gegenteil der Fall, da wird auffälliges Trinkverhalten oft noch runtergespielt. "Mal einen über den Durst trinken, das macht ja jede/r." "Mal" vierzig Kilo wiegen, das ist was völlig anderes.

Trotzdem gibt es sicherlich soziale Einflussfaktoren auf die AN. Eine davon wird das Schönheitsideal sein. Diäten und Abnehmenwollen, das ist auch nicht per se schädlich. Ich habe in einer früheren Version zum Beispiel rausgearbeitet, dass Charlotte darunter leidet, dass Simi so ein grundsätzlich schlanker Mensch ist. Das wird in dieser Version noch erwähnt, aber eben nur am Rande.

Ein "Klassiker" unter den sozialen Einflussfaktoren ist die Idee einer überkontrollierenden Mutter. Wenn Du Dir Dokus anschaust oder so, wirst Du häufig hören, dass Betroffene Eltern und vor allem Mütter haben, die sie extrem stark kontrollieren. In der Wissenschaft habe ich über diesen Faktor interessanterweise noch nie etwas gehört oder gelesen. Meine beste Freundin aber, die magersüchtig war, hat danach ihr Leben komplett umgekrempelt. Sie ist bei ihren Eltern ausgezogen und hat mit ihrem Freund Schluss gemacht. Zu mir hat sie gesagt, ihr sei aufgefallen, dass sie diesen Freund nur hat, weil ihre Mutter das so wollte. Das fand ich eindrucksvoll: weil es auch so klischeehaft aber eben so wahr war.

Was mir im Kopf geblieben ist, dass es oft den einen Unterstützer gibt, der den / die Kranke begleitet und das Verhalten schönredet, ähnlich so, wie man es sich als Betroffener ja selbst schön redet.

Ich möchte in meiner Geschichte keine Figur, die Hungern schönredet. Das würde in meinem Kopf einfach nicht zusammenpassen. Dafür kenne ich mich mit Abnehmen auch nicht genug aus. Ich möchte in der Überarbeitung Charlottes Mutter noch ein paar Auftritte geben. Ich glaube, das könnte noch eine zusätzliche Dimension geben. Szenen dazu habe ich auch schon geschrieben. :D

Ich denke, es wäre interessant, wenn Anton eine gewisse Mitschuld trägt. Das muss ja keine große Unterstützung sein oder ähnliches, einfach nur, dass er Charlottes Wunsch nach, naja, was eigentlich (?) nicht sofort als Blödsinn abtut.

Ich glaube, Anton macht sich selbst genügend Vorwürfe. Er hat schließlich mit Charlotte "Schluss gemacht", ihr jede Unterstützung verweigert. Das ist mir wichtig. Ich glaube auch, das ist, was ihn quält, weshalb er auch nicht mehr zurückgucken kann und sich einreden muss, dass es so ausgehen MUSSTE. Denn was wäre, wenn er für Charlotte dagewesen wäre?

Vielen Dank für Deine Gedanken! Du siehst, das löst einiges in mir aus. Ich melde mich wieder, wenn ich überarbeitet habe.

Cheers,
Maria

Hi @Bea Milana nochmal

ich komme noch einmal vorbeigeflitzt, um dir zu sagen, dass sich deine Änderungen gelohnt haben :thumbsup:

Ich bin immer wieder überrascht, wie sehr es hilft, schon ganz kleine Änderungen zu machen. Danke, dass Du mir dabei geholfen hast!

Ich finde aber immer, ein Text muss auch ohne Beipackzettel funktionieren.

Damit hast Du vollkommen recht. Ich sehe es auch so. Ich war halt beim Schreiben irgendwann der Ansicht, dass doch völlig egal ist, woran Charlotte stirbt. Deshalb finde ich die Ausführungen von @Peeperkorn dazu auch so spannend.

Daher möchte ich dir nach all den positiven Verbesserungen ans Herz legen, das Thema Magersucht besser zu integrieren, manchmal reicht ein einziger treffender Satz, ein Satz, der vorwärts strebt wie ein Pfeil, es muss gar nicht viel sein.

Ich glaube inzwischen auch, dass ich gar nicht mehr viel machen muss, damit die Geschichte gut wird. Eben dieses Thema klar ansprechen, die Mutter will ich nochmal ausleuchten und Charlottes Berlin-Gründe. Denn das ist jetzt interessant (und ein bisschen lustig):

Das zweite, was ich vergaß zu erwähnen, ist die Frage mit dem Knöchel.

Bei Mangelernährung kann es zu Wassereinlagerungen in den Beinen oder anderen Körperteilen kommen. Hat also gar nichts mit Tanzen zu tun, sondern ist (wie zum Beispiel auch starker Haarwuchs am ganzen Körper) eine Spätfolge der Magersucht. Solche Details habe ich eingebracht, weil ich dachte, das sind Dinge, an die Menschen, die eine Magersucht noch nicht erlebt haben, gar nicht denken, die aber zeigen, wie echt Simis Erfahrung ist.

Ich habe das nicht geschnallt. Ist Charlotte womöglichTänzerin? Wollte sie deshalb nach Berlin, weil sie NUR DORT tanzen kann, verstanden wird, mit ihresgleichen zusammen ist?

Eigentlich finde ich die Idee aber richtig gut. In meiner Vorstellung wollte Charlotte Model werden, aber ich glaube, ich kaufe das mit der Tänzerin. Das ist richtig schön! Danke! (Auch wenn Du es nicht ganz beabsichtigt hast.) Meine nächste Überarbeitung wird etwas dauern, weil ich jetzt auch an den Inhalt gehe. Ich sage bescheid, wenn es soweit ist.

Noch etwas fällt mir ein: Warum hat Anton etwas dagegen, dass Charlotte in Berlin ist? Muss sie zuhause in Goslar bleiben? Habe ich da etwas überlesen und wenn ja, was?

Tatsächlich war es so:

Wenn Charlotte z.B. am Telefon sinngemäß sagt: "Ich bin abgehaun / ich habs geschafft! Hörst du?" Und im Hintergrund hört sie Durchsprecheransage ´Berlin Hauptbahnhof´, dann ist das ein Bild, das sich einprägt, weil etwas auf dem Spiel steht.

Charlotte ist abgehauen. Und möglicherweise hat sie sogar ihre Mutter bestohlen. Deshalb weicht sie Simis Frage nach dem Geld aus. Aber da passiert wieder so viel, das ich Dir nicht gesagt habe, ich kann das nicht rechtfertigen und werde es deutlicher machen.

Soll sie die Schule beenden, will aber nicht? Dann wäre das ein großartiger Konflikt für Simi, den du mMn stärker herausarbeiten kannst.

Auch das habe ich irgendwie angelegt, schließlich entschließt sich Charlotte kurz vor ihrem Tod, die Schule zu schmeißen. Simi ist skeptisch. Aber ich denke, es reicht erstmal, wenn Charlotte für ein wichtiges Vortanzen das Portmonee ihrer Mutter stiehlt und von zu Hause abhaut.

Simi, die ihrer Freundin die Leidenschaft fürs Tanzen oder / und Berlin gönnt, aber andererseits um ihre Gesundheit besorgt ist und weiß, dass Anton eine verantwortungsvolle Rolle ihr gegenüber wahrnimmt (sozusagen der verlängerte Arm der Eltern), ihr aber nicht helfen kann (Sorge / Ohnmacht / Verlust). Das will ich spüren und es wird richtig gut werden!

Ungefähr so stelle ich es mir vor. Ich freue mich, dass wir hier auf dem gleichen Gleis stehen. Jetzt muss ich nur noch dafür sorgen, dass Du es auch spürst. Und das werde ich (hoffentlich).

Du sprichst in deiner Geschichte den Moment der Erkenntnis im Krankenhaus an. Hat Simi denn vorher nie etwas gesehen? Das interessante an deiner Geschichte ist die Dreier-Konstellation. Wer hat hier welche Rolle? (Stichwort: Familienaufstellung)

In meiner Auseinandersetzung mit Meuvinds Kommentar oben habe ich nicht nur viel über Diagnosen und Unterschiede Magersucht-Alkoholsucht gesprochen, sondern mich auch darauf bezogen. @Meuvind schlägt ja vor, dass jemand Charlotte unterstützt. Das möchte ich so direkt gar nicht.

Du sprichst von Deiner Freundin, und ich kann mir vorstellen, wie dieser Moment für Dich war. Meine beste Freundin war magersüchtig. Wir sehen uns nicht so oft, und als ich sie eines Tages traf und sie war krass mager, so mager, dass ich sie die ganze Zeit anstarren musste, da habe ich mich nicht getraut, etwas zu sagen. Sie hat auch gegessen, und das wirkte für mich ganz normal.

Ich war aber echt schockiert, und ich habe später lange mit meiner Mutter darüber gesprochen und dann entschieden, mich wieder bei meiner Freundin zu melden. Wir haben uns dann öfters gesehen, aber es hat total lange gedauert, bis wir offen darüber sprechen konnten. Sie war in einer Klinik, und ich habe nichts dazu gesagt, wenn sie verbotenerweise die Treppen benutzt hat (dazu hat sie jede Gelegenheit genutzt), und ich habe auch nicht gesagt, dass es mich nervt, dass wir nur über Einkaufen, Kochen und Essen reden.

Und ich glaube, Simi weiß es schon ganz lange, aber sie will niemanden stören, vor allem nicht Charlotte. Sie muss auch diesen Prozess durchmachen, bis sie fähig ist, es laut auszusprechen. Und in diesem Sinne ist sie vielleicht doch eine Unterstützerin. Das muss ich auch noch herausholen. Es ist ja alles schon irgendwie drin, nur habe ich es versteckt. :D

I'll make it work! Ich sage bescheid, wenn es soweit ist. Vielen Dank für Deine Gedanken!

Cheers,
Maria

 

Hallo @jimmysalaryman!

Ich verstehe dein Problem nicht. Ich bin in meinem Kommentar speziell auf das Erzählstimmenüben eingegangen, weil @TeddyMaria gesagt hat, dass sie das machen möchte.

Das hättest du mal fragen können:
=> Warum überlässt du mir nicht, was ich fragen möchte, bzw. was mich interessiert? Ich quake dir ja auch nicht in deine Kommentare rein.


Grüße,
Chris

 

Ich bin in meinem Kommentar speziell auf das Erzählstimmenüben eingegangen,

Nee, du bist da null drauf eingegangen, sondern hast einfach groß und breit hingeschrieben, dass DIR die Stimmen im Text nicht gefallen, weil DU eine andere Erwartungshaltung daran hast. DESWEGEN habe ich auch ausführlich in meinem Kommentar geschrieben, dass man eventuell ergebnisoffen beim Autoren nachfragen könnte, bevor man nach subjektivem Gusto urteilt. Sonst liest sich das so: Chris Stone sagt, das muss so sein, und der Autor gehorcht bitte gefälligst, weil Chris Stone das in einem Schreibratgeber so gelesen hat. Du kannst natürlich trotzdem fragen, was du willst, wir leben ja in einem freien Land. Mir ist nur hier explizit aufgefallen, dass dein Kommentar bezüglich des Textes einfach nicht konstruktiv ist (bzw: mir nicht erscheint!) und du dir auch nicht die Mühe machst, den Kontext verstehen zu wollen. Es wirkt sehr verabsolutierend. Außerdem "quake" ich nirgendwo rein, sondern versuche, konstruktive Textarbeit zu betreiben. Vielleicht kann man das aber nicht wissen, wenn man seine Nase so viel und so lange in diverse Schreibratgeber steckt, bleibt dann ja immer alles sehr theoretisch.

Gruss, Jimmy

 

@jimmysalaryman / @Chris Stone
Bitte keine weitere bilaterale Diskussion unter der Geschichte von Teddy Maria.
Alles was sich fortan nicht um den eigentlichen Text dreht, wird gelöscht. Klärt das per PM oder diskutiert es in einem Kaffekranz- Thread.

 

Hi @Chris Stone und @jimmysalaryman

Ich denke, bezogen auf meine Geschichte ist die Erzähldiskussion bei mir angekommen. Was ihr euch sonst noch zu sagen habt, könnt ihr ja gerne per PN sagen. Merci!

Cheers,
Maria

Hoppla, im gleichen Moment wie @dotslash abgeschickt.

 
Zuletzt bearbeitet:

Hi @Peeperkorn

Es hat ja keinen Sinn, dass ich noch länger ein Geheimnis draus mache: Du bist hier im Forum mein Lieblingskommentator. Ich lese alle Deine Kommentare. Nicht nur die zu meinen Geschichten. Ich freue mich, wenn Du meine Geschichten kommentierst. Da bleibt so viel hängen. Vom letzten Mal zum Beispiel, "Sturmfrei", weißt Du noch? Wer so gut schreiben kann wie Du, der sollte doch auch was zu erzählen haben. :lol: Hab ich jetzt nicht genau nachgeguckt, aber das geht mir ständig im Kopf rum. Und Deine Kommentare zum "Gedankenleseapparat" wollte ich eigentlich beide empfehlen (aber inzwischen ist es so lange her ...).

Ich habe mich also sehr gefreut, als die Push-Benachrichtigung kam, dass Du wieder mein Kommentator geworden bist. Und dann war ich auch aufgeregt. Denn das heißt ja nicht, dass Du mich mit Lob überschüttest. Sondern Du findest immer eine Herausforderung für mich.

Also erstmal:

Hab ich schon gesagt, dass ich den Text gern gelesen habe? Ist nämlich so!

Tief durchatmen. Danke! Ich habe beim Schreiben tatsächlich öfters an Dich gedacht. Sind Dir die einzelnen Tell-Passagen aufgefallen, Dinge wie:

Ich bin ein Einzelkind, und ich dachte, Geschwister würden einander nie verlassen.

:lol: Da habe ich an Dich und Deine Geschichten gedacht. Zwischendurch habe ich sogar überlegt, mal die Anführungszeichen wegzulassen. Aber das war mir dann doch zu risky.

Ich finde den nämlich zunächst mal ziemlich mutig erzählt, du sprichst verschiedene Themen an, leuchtest mindestens zwei Beziehungen aus, fasst dich dabei aber sehr kurz, lässt einiges weg, verdichtest.

Ich arbeite nun schon seit über einem Jahr an der Geschichte, habe viele Versionen ausprobiert und am Ende stark gekürzt. Stellenweise glaube ich, das hat ihr gar nicht so gut getan. Eine davon sprichst Du an. Die erste Version begann nämlich mit dem Satz: "Charlotte wollte nie magersüchtig sein."

Damit riskierst du natürlich, dass die Figuren ein bisschen blass bleiben und / oder dass du dich verzettelst. Interessanterweise hab ich das aber gar nicht so wahrgenommen, ich kriege eine recht klare Vorstellung der Figuren und ich finde auch, dass die Themen, weil sie gewissermassen ihren Schnittpunkt in der Erzählerin finden, am Ende gut gebündelt sind. Alles, was du hier verhandelst, hat einen sehr klaren Bezugspunkt in der Erzählerin,

Das freut mich sehr. Manchen Kommentator/inn/en waren die Figuren tatsächlich zu blass, und das hat mich auch überrumpelt. Für mich sind sie ja inzwischen völlig klar, und ja, dadurch laufe ich auch in die Gefahr, zu viele Dinge einfach wegzulassen. Denn: Mir ist das ja völlig klar. Aber offensichtlich schimmert das durch.

Ich finde auch gut, dass Du die Erzählerin so deutlich ansprichst; die war mir sehr wichtig. Sie ist ja fast eine Nebenfigur, auf jeden Fall bewegt sie sich immer im Schatten. Aber gerade das finde ich für eine Erzählerin interessant; wir hatten bei "An'er Als" darüber gesprochen. Und es gibt ja auch diese Menschen, die selten ins Rampenlicht treten, die loyal sind, zurückstecken und gleichzeitig total wichtig sind. Ich denke, Simi ist eine gute Freundin. Auch als Charlotte gemein zu ihr ist, hält sie zu ihr. Aber sie braucht ganz lange, Charlotte zu konfrontieren, weil sie alles erträgt, und das ist ihr Fehler, das, was sie lernen muss: Charlotte auch mal kontra zu geben, sich von ihr abzuheben, aus dem Schatten zu treten.

Ich habe Simi im Übrigen erfunden, als mir eine Foristin schrieb, dass sie meine Kommentare interessanter fände als meine Geschichten, dass man mich dort mehr spüren würde, dass sie echter wirken würden. Ich habe daraufhin Simi erschaffen unter der Prämisse, dass sie (für Leute, die mich nicht kennen) mit mir verwechselt werden könnte, ohne dass sie ich ist. Und so scheint es mir gelungen zu sein, eine Erzählerin zu bauen, die, obwohl eine Randfigur, im Zentrum der Geschichte steht.

Von der Grundkonzeption her nehme ich deinen Text so wahr, dass der Leser die Beziehungen der drei Figuren untereinander und die Veränderung der Prota entdecken sollte. Aber auch so ein Grundthema wie Sehnsucht könnte entdeckt werden.

Genau. Deshalb habe ich auch die Krankheit irgendwann weggelassen. Weil sie mich einfach nicht so stark interessiert wie die Beziehungen. Ich bleibe nun einmal Sozialpsychologin, und das merke ich immer wieder, wenn ich mich mit Geschichten auseinandersetze.

Aber wieso machst du Charlottes Krankheit nicht explizit?

Und deshalb habe ich es nicht explizit gemacht. Dein Kommentar ist aber ein echter Augenöffner für mich, denn ...

Die These ist ja ziemlich steil: Wenn du einem bestimmten Element zu wenig Raum gibst, dann erhält es unter Umständen zu viel Gewicht! Keine Ahnung, ob das Sinn macht.

... das ergibt total Sinn für mich. Ich verstecke dieses Geheimnis im Text, also machen sich alle auf die Schnitzeljagd und wollen das Geheimnis lüften. Dabei ist der simple Grund, warum ich es weglasse: Es hat mich in der vierten Version der Geschichte einfach nicht mehr so sehr interessiert.

Ich finde nämlich nicht, dass der Akzent dieses Textes auf dieser Krankheit liegt, noch finde ich, dass er dort liegen sollte. Es geht um Freundschaft, um Entfremdung, um Sehnsucht und noch einiges mehr. Aber die Krankheit ist für mich nur der Anlass.

Denn genauso sehe ich das. Du hast mir aber die Augen geöffnet, und das passt auch zu vielen vorherigen Kommentaren. In der Überarbeitung werde ich das einfach ganz früh ganz explizit ansprechen. Und dann können wir uns alle entspannt auf das Wesentliche konzentrieren. Auf Freundschaft, Entfremdung, Selbstfindung und Sehnsucht. Autonomie und Abhängigkeit, das Erwachsenwerden. Im Laufe der Überarbeitung wird mir immer wieder klar, dass alle meine Geschichten sich auf diese zwei Dinge eindampfen lassen: Autonomie und Abhängigkeit. Scheint mich sehr zu faszinieren.

Zuguterletzt:

Eine Sache noch. Ich verstehe, weshalb du Simone in dieser Broschüre blättern lässt. Aber macht das Sinn? Sie geht zu Charlotte und weiss, da gibt es jetzt einiges zu diskutieren, sie hat Angst, dass Charlotte wütend auf sie ist und dann denkt sie, ach ja, ich nehme da noch was zum Lesen mit?

Tja. Ein Anfängerfehler. Ich lasse meine Figuren offen handeln, damit andere Figuren darauf reagieren können. Darüber habe ich ganz ehrlich Null nachgedacht. Es ist tatsächlich so, dass es nicht die gleiche Szene ist wie die, in der Simi Charlotte nach dem Berlinbesuch aufsucht. Das Ganze spielt etwas später: Nun schneit es auch in Goslar. Auf dem Brocken kann der erste Schnee ruhig schon im September fallen, während das Vorland den ganzen Winter über schneefrei bleibt. Durch den Schnee in Goslar habe ich versucht, den Zeitsprung zu thematisieren.

Ursprünglich befand sich auch noch eine Berlin-Passage zwischen den beiden Szenen, die habe ich aber inzwischen gestrichen. Mehr kann ich eigentlich nicht sagen: Es ist nicht der gleiche Tag, und ich war schusselig und plump. Das mache ich in der Überarbeitung besser. Ich sage bescheid, wenn es soweit ist.

Ich habe es ja schon angedeutet: War mir eine große Freude, Dich wieder hier zu haben. Du hast mir wirklich die Augen geöffnet. Danke!

Cheers,
Maria


Hi @Chris Stone

Ähm, ich finde, diese Erzählstimme unterscheidet sich überhaupt nicht von Jakobs. Die Erzählstimme ist recht nüchtern.

Ich finde, es hat ein kleines Geschmäckle, dass wir uns darauf einigen, dass Du meinen Roman nicht weiter kommentierst und Du dann zu meiner KG kommst und meinen Roman kommentierst. Aber ist ja auch interessant, denn ich habe es angekündigt, also anyway, zur Textarbeit:

Aber die Erzählstimme vermittelt nicht das, was ich von einer Erzählstimme gerne möchte. Leidenschaft.

Hier hat @jimmysalaryman einen Punkt (sehr viel weiter werde ich auf Deine Kommentare nicht eingehen, sorry, Jimmy): Du schreibst, dass Du Leidenschaft willst. Für mich ist Simi aber ein komplett unleidenschaftlicher Mensch. Das unterscheidet sie auch so stark von Charlotte. Das heißt: Nö.

Was ich hier gemacht habe: Ich habe mich sehr lange mit diesen Figuren auseinandergesetzt. Ich habe ihr Leben durchleuchtet, sie immer wieder und wieder in unterschiedlichen Konstellationen aufeinandertreffen lassen. So wie Jimmy schreibt:

Nein, eine Erzählstimme wird doch dann echt und tief und authentisch, wenn ich über eine emotionale Gemengelange verfüge, die ich für mich, als Erschaffer dieser Welt, dieser Figuren, nachvollziehen kann, für die ich eine Empathie besitze, und deren Motivation ich innerhalb der Figuren eben deswegen etablieren kann -

Und im nächsten Schritt habe ich versucht, die Geschichte halbwegs so zu erzählen, wie Simi sie erzählen würde. Als nüchterner Mensch, aber eben auch die Vergangenheit kommentierend. Das ist, wenn Du Dich erinnerst, wie ich in den Roman gestartet bin, ein Meilenstein für mich. Sätze wie:

Ich bin ein Einzelkind, und ich dachte, Geschwister würden einander nie verlassen.
Denn was ich von Berlin aus nicht sehen kann, das sind die Bäume, der Nebel, die Luchse, die Hexentanzplätze. Berlin ist so laut und wuselig, ständig geschieht etwas. Dem Harz ist das alles gleichgültig.

Also die Kommentierung der Lebenswelt aus Simis Perspektive heraus, Dinge, die ich im ständigen Showshowshow rabiat rausgekürzt habe, das sind Elemente, mit denen ich hier bewusst gespielt habe. Unleidenschaftlich. Aber so ist sie nun einmal.

Das ist eigentlich interessant, denn ich habe Simi ursprünglich als Blaupause meiner eigenen Person entwickelt und dann immer stärker entfremdet. Ihre Nüchternheit und Gelassenheit habe ich aber sicherlich nicht.

Danke, dass Du mir Deine Gedanken dagelassen hast.

Cheers,
Maria

 

So, noch paar Sachen zum Text an sich. Die Idee mit den Zeitebenen finde ich gut, einige Autoren, ich erinnere mich an Pete Dexter, beherrschen sie virtuos. Diese Struktur der Narration ist ein Werkzeug, kein reiner Formalismus, also was ist der Zweck einer solchen Struktur? Die Konsequenzen einer Handlung in Verbindung mit dem Verrinnen von Zeit deutlich zu machen.

Goslar, damals
An Charlottes achtzehntem Geburtstag trank ich Wodka. Anton, ihr Bruder, schenkte mir zwei Finger breit ein. Er rief nach ihr, fragte, ob sie auch etwas wollte, aber sie tanzte. Und wenn sie tanzte, konnte nichts sie erreichen. Die Hitze des Wodkas wanderte durch meinen Körper. Breitete sich bis in die Fingerspitzen aus.

Ich finde die Perspektive nicht gut gewählt. Ich würde hier für den Präsens werben, denn du kriegst nachher sowieso ein Problem mit dieser Perspektive. Du erzählst hier ja nicht tatsächlich von damals - sondern die Perspektive die du jetzt hast, ist - Goslar, damals, aus der Sicht von heute. Ist ein wenig Beschiss am Leser. Du erzählst dann mit einer anderen, viel selektiveren Haltung, es ist gefiltert und komponiert, man spürt regelrecht die Konstruktion.

Dann mal in die Perspektive reingehen. Er rief nach ihr. Wer ist ihr? Oder sind die da nur zu dritt? Er rief nach Charlotte. Er rief nach ihr, fragte, ob sie auch etwas wollte, aber sie tanzte. Und wenn sie tanzte, konnte nichts sie erreichen. Aber sie tanzte - da steckt alles drin. Dem Leser mal mehr vertrauen. Was ist da jetzt genau passiert? Die tanzen, trinken Wodka, so what? Jugendliche. Später erinnert sich Anton aber sofort an diesen Wodka, als sei da etwas total Magisches passiert. Davon lese ich hier nichts. Wenn das der Beginn von etwas sein soll, eine Annäherung, dann muss du das hier schon vorbereiten, andeuten, zeigen, denn sonst ist deine Perspektive und deine Struktur einfach falsch gewählt - sie macht nicht das, was sie machen soll. Hier soll sie ja zeigen, wie ein Event, eine Handlung, ein Ereignis die Menschen verändert, sie formt. Aber dafür muss ja erstmal was passieren.

Nur mal als Idee, stellen wir mal um: An Charlottes achtzehntem Geburtstag trinke ich Wodka. Anton, ihr Bruder, schenkt mir zwei Finger breit ein. Er ruft nach ihr, fragt, ob sie auch etwas will, aber sie tanzt. Die Hitze des Wodkas wandert durch meinen Körper. Breitet sich bis in die Fingerspitzen aus. Finde ich stärker, näher, intensiver.

Berlin, heute
Der Wodka geht mir wieder durch den Kopf – Jahre später –, als Anton die Wohnungstür öffnet. Er sieht müde aus.

Das Jahre später, warum steht das da? Du vertraust deiner eigenen Idee nicht, sonst müsstest du das da gar nicht hinschreiben. Berlin, heute - da steckt doch alles drin. Zeit ist vergangen. Jedem wird das klar, aber du scheinst dir unsicher zu sein, dass der Leser das auch rafft. Dann würde ich mir viel eher noch mal die grundsätzliche Idee, den Plot, vornehmen. Warum geht ihr der Wodka durch den Kopf? Was ist der Grund? Natürlich soll mir suggeriert werden, das da irgendetwas mit dem ersten Kapitel zusammenhängt, aber das ist ja beliebig. Genausogut könnte sie an Charlotte denken oder an die Musik, an Tanzen oder an den 18 Geburtstag. Das ist auch alles viel zu offensichtlich, dass er sie dann fragt, ob sie was trinken möchte und sie dann ausgerechnet Wodka trinken. Das ist eigentlich echt fast ärgerlich, weil es eben deine Konstruktion so offenbart. Da gucke ich genau in das Gehirn der Geschichte, in das Gerippe eher, sehe die blanken Knochen, und danach zerbröselt alles. Die gesamte Konstruktion fällt in sich zusammen, weil es eben nur das ist: ein Konstrukt. Du setzt die Protagonisten zielgerichtet ein, viel zu zielgerichtet. Wenn sie jetzt da, hinter verschlossener Schranktür, den Wodka sieht, oder es nach Wodka riecht, wenn sie wieder die Wohnung verlässt, oder sonstwas subtiles - aber so wird man da etwas erzählt, was ich einfach nicht kaufe. Das hat auch etwas mit der Perspektive zu tun. Die Erzählerin scheint selbst gar kein Verhältnis zu der erzählten Zeit und der Zeit, in der die Erzählung stattfindet, zu haben. Sie arrangiert sie nur für mich, den Leser. Ich frage dann natürlich, warum tut sie das?

»Simi.« Seine Augen sind dunkel. Erscheinen mir dunkler seit unserer Trennung. »Nur einen Moment.«

Ganz ehrlich: Ich liege tot auf dem Boden, neben dem Rechner, ein Holzhammer kam aus dem Bildschirm und schlug mir den Schädel ein. SO ETWAS hast du doch gar nicht nötig! Warum muss man dem Leser so etwas immer derart ins Gesicht prügeln? Der Leser ist doch ein mündiger Mensch, der wird das schon erfühlen, erahnen, wenn es gut gemacht ist. Du musst es nicht runterdummen. Auch danach das mit den roten und grünen Bändern, wo sie sagt: Ich will, dass du die Liebe findest. Das sind Kids in meinen Augen, 17, 18 - redet man so, oder ist das nur eine Vorstellung der Autorin, dass die so reden? Und warum wird mir das erzählt? Ist das in irgendeiner Art und Weise wichtig? Was wird mir hier überhaupt erzählt?

In jedem einzelnen Kapitel ist mir irgendetwas zu viel. Sterben ist harte Arbeit. Das Atmen am Telefon. Stell dir das mal als Film vor - da würdest du sagen, nee, alles too much. Kitsch, Drama, Tränendrüse. Die Geschichte - seltsame menage a trois, aus der eine Person komplett wegfällt, wegen ernsthafter Erkrankung, und sich daraus ja auch weitere Konflikte entwickeln, finde ich an sich sehr gut und erzählenswürdig. Aber du erzählst leider nur die Leerstellen. Ich würde mir wünschen, dass es da viel komplexer zu geht. Intimer. Anton und sie nach dem Vögeln, und DANN, wenn sie da mit ihren nackten Körpern liegen, geht es um seine Schwester, ihre Freundin, und um die Diagnose und was das mit einem macht. Was das mit den beiden macht. "Was macht das mit uns?" Die beiden Frauen, beim Einkaufen, was weiß ich, und sie bemerkt, die Kleidergrössen werden immer kleiner. Es ist, als ob du die schwierigen Parts, die, wo du hättest reingehen können, wo es schmerzhaft wird, einfach ausgespart hast, und an die Stelle hast du diesen Formalismus gestellt, wo du dem Leser suggerierst, es sei etwas Wichtiges passiert. Oder: Irgendwie geht das schon. Gestern, damals, das suggeriert ja irgendetwas. Ja, aber was? Ich bekomme da keinen Zugang, weil mir da nichts von deren Leben gezeigt wird, und dann funktioniert diese Anordnung nicht, die tut nicht das, was sie soll. Bei Pete Dexter, in "Brüderliche Liebe", gibt es im ersten Kapitel eine Szene, wo er beobachtet, wie seine kleine Schwester überfahren wird. Danach löst sich die Familie auf. Die Mutter tötet sich. Der Vater tötet den Fahrer. Das wird nie explizit erwähnt, aber du spürst den Impact dieser ersten Szene, die Genesis von Allem sozusagen, in jeder Zeile dieses Buches, im Verlauf des weiteren Textes. Natürlich kann man sagen, naja, so monokausal ist das Leben nicht, und es geht auch nicht nur um dieses eine Ereignis. Aber du lässt diese Ereignisse einfach in ein schwarzes Loch fallen, wo sie verschluckt werden und nie wieder auftauchen. Dann funktioniert dieses Erzählprinzip nicht.

Jo, irgendwie ist der nix für mich, der Text. Mir ist das alles zu viel, zu schwülstig, und auch zu koordiniert, konstruiert, ich sehe, spüre immer die Anwesenheit des Autoren. Gut finde ich, dass du experimentierst und dich an solche Formate herantraust, das ist immens wichtig, um weiterzukommen. Ich kann dir konstruktiv da nicht viel sagen, weil es auch Geschmackssache ist, mir ist hier halt eindeutig der Holzhammer zu viel, das ist mir einfach zu wenig subtil, und auch die Auswahl der erzählten Ereignisse in sich nicht stark genug, ich sehe da keine ausreichende Verkettung, die Chronologie kommt mir nicht organisch vor, da fehlt immer irgendwie etwas.

Gruss, Jimmy

 

Hi @jimmysalaryman

Hat mich gefreut (ja, wirklich), dass Du auch etwas zur Geschichte gesagt hast. ;) Habe ich mir ja ganz frech gewünscht ...

Ich kann dir konstruktiv da nicht viel sagen, weil es auch Geschmackssache ist,

... und ich freue mich, dass Du mir einen Kommentar dagelassen hast, obwohl die Geschichte nicht deins ist. Denn konstruktiv finde ich das schon. Wenn ich jetzt auch Deinen Kommentar sehr oft gelesen habe und mich immer noch erschlagen fühle und nicht genau weiß, was ich damit machen soll. Aber das liegt nicht daran, dass Dein Kommentar an dem vorbeigeht, was ich will, oder ich sagen würde: "Joa, Geschmackssache halt", sondern daran, dass Du so viel ansprichst. Danke!

Idee mit den Zeitebenen finde ich gut, einige Autoren, ich erinnere mich an Pete Dexter, beherrschen sie virtuos.

Grundsätzlich ist das ja schon einmal erfreulich. Auch das:

Die Geschichte - seltsame menage a trois, aus der eine Person komplett wegfällt, wegen ernsthafter Erkrankung, und sich daraus ja auch weitere Konflikte entwickeln, finde ich an sich sehr gut und erzählenswürdig.

Denn das ist ja deutlich besser, als wenn ich mich mit einer Geschichte abrackern würde, die nicht erzählenswert ist, in einer Form, die grundsätzlich (für Dich) nicht funktionieren kann. Sage ich mal positiv: Da ist schon mal irgendwas.

Diese Struktur der Narration ist ein Werkzeug, kein reiner Formalismus, also was ist der Zweck einer solchen Struktur? Die Konsequenzen einer Handlung in Verbindung mit dem Verrinnen von Zeit deutlich zu machen.

Meine ursprüngliche Idee war auch, das Ganze assoziativ zu machen. Unsere Erinnerung funktioniert ja so, dass Reize unserer Umgebung an einem Faden im Netz unseres Gedächtnis ziehen und dann die verbundenen Erinnerungen zum Vorschein kommen. Meine Idee war also, dass gewisse Reize in dieser Rahmenhandlung die Szenen der Vergangenheit "auslösen". Ich habe dann viel gekürzt, dadurch ist einiges davon verlorengegangen. Und vielleicht habe ich es auch erstmal nicht gut hingekriegt.

Die Erzählerin scheint selbst gar kein Verhältnis zu der erzählten Zeit und der Zeit, in der die Erzählung stattfindet, zu haben. Sie arrangiert sie nur für mich, den Leser. Ich frage dann natürlich, warum tut sie das?

Dadurch entsteht natürlich diese Frage und auch dieses Konstrukt. Darüber ärgere ich mich gerade selbst, denn mein ursprüngliches Ziel war eigentlich, das Ganze assoziativ aufzubauen. Ich glaube, da kommt noch zum Vorschein, quasi die Genese der Geschichte, die ich in ganz vielen Versionen mit ganz viel Spaß an der Freude geschrieben habe. Und als dann irgendwann der Punkt kam, wo ich dachte: Das muss jetzt raus!, da habe ich Angst bekommen, dass niemand mich versteht.

Du erzählst hier ja nicht tatsächlich von damals - sondern die Perspektive die du jetzt hast, ist - Goslar, damals, aus der Sicht von heute.

Deshalb ist das ja auch richtig. Die Überschriften sind ja eigentlich auch improvisiert, die habe ich nachträglich eingebaut, weil:

Das Jahre später, warum steht das da? Du vertraust deiner eigenen Idee nicht, sonst müsstest du das da gar nicht hinschreiben. Berlin, heute - da steckt doch alles drin.
Warum muss man dem Leser so etwas immer derart ins Gesicht prügeln? Der Leser ist doch ein mündiger Mensch, der wird das schon erfühlen, erahnen, wenn es gut gemacht ist. Du musst es nicht runterdummen.

... ich die Befürchtung hatte, und das wurde mir auch von Leser/inne/n wiedergespiegelt, dass das Ganze einfach nur verwirrend ist. Deshalb habe ich lieber mehr Wörter als weniger Wörter benutzt. Ist natürlich blöd. Ich sollte das nicht mehr tun – irgendwie muss es ja einen Weg geben, die Geschichte so zu erzählen, dass sie verständlich ist und trotzdem nicht verdummt. Finde ich knifflig; das ist für mich kein Selbstläufer, und damit muss ich mich stärker auseinandersetzen.

Später erinnert sich Anton aber sofort an diesen Wodka, als sei da etwas total Magisches passiert. Davon lese ich hier nichts.

Stimmt, mir ist durch die Kommentare schon klargeworden, dass die Sache mit Simi und Anton, da passiert noch nichts. Diese Beziehung habe ich einigermaßen stiefmütterlich behandelt, und das ist ein echtes Versäumnis, das ich in der Überarbeitung nachholen werde. Vor allem, weil da noch viel drinsteckt, was für die Geschichte wichtig ist.

Das ist eigentlich echt fast ärgerlich, weil es eben deine Konstruktion so offenbart. Da gucke ich genau in das Gehirn der Geschichte, in das Gerippe eher, sehe die blanken Knochen, und danach zerbröselt alles.

Ich habe eine Weile gebraucht, um das zu kapieren, aber mit dem Arrangement der Szenen ergibt das total Sinn. Du sprichst noch eine andere Sache an, da habe ich mich wirklich geärgert, schließlich schreibe ich das gerne auch an andere Autor/inn/en:

Es ist, als ob du die schwierigen Parts, die, wo du hättest reingehen können, wo es schmerzhaft wird, einfach ausgespart hast, und an die Stelle hast du diesen Formalismus gestellt, wo du dem Leser suggerierst, es sei etwas Wichtiges passiert.
Aber du erzählst leider nur die Leerstellen. Ich würde mir wünschen, dass es da viel komplexer zu geht. Intimer.

Auch und vor allem an die Stellen zu gehen, wo es wehtut. Ich habe hier ja tatsächlich überall weggeblendet, oft aus reinen Pietätsgründen (seltsam, das sollte ich nicht tun). Das ist ein guter, wichtiger Punkt, und da werde ich nochmal rangehen, vor allem was Du sagst über Intimität, das leuchtet mir total ein.

Stell dir das mal als Film vor - da würdest du sagen, nee, alles too much. Kitsch, Drama, Tränendrüse.

Endlich sagt es mal einer. :D Ich muss sagen, ich habe da immer geschwankt, zwischen: Wow, das gefällt mir richtig gut, und: Wow, das ist krasser Kitsch. Das ist auch ein Problem meiner momentanen Schaffensphase, dass es mir selbst total schwerfällt, eine Position zu meinem Schreiben zu entwickeln. Ob mir das gefällt oder nicht, ich kann's immer nur für die nächste Sekunde sagen. In der übernächsten Sekunde stehe ich schon wieder ganz anders zum Text. Deshalb weiß ich jetzt auch nicht genau, wie ich diese Anmerkung gewichten soll; denn ich persönlich bin überrascht, dass es so lange gedauert hat, bis jemand hier "Kitsch!" geschrieben hat. :D

Gut finde ich, dass du experimentierst und dich an solche Formate herantraust, das ist immens wichtig, um weiterzukommen.

Ich hoffe ja, mit jeder Geschichte weiterzukommen. Momentan habe ich das Gefühl, dass ich durch mein Romanprojekt viel zu lange auf der Stelle getreten bin und viel Selbstvertrauen eingebüßt habe. Das ist ein Problem, an dem ich momentan arbeite.

Vielen Dank für Deinen Kommentar! Wenn ich Stellen nicht angesprochen habe, die Dir total wichtig vorkommen, dann ... weiß ich jetzt auch nicht genau, ich habe mir ursprünglich viel mehr als Zitat rauskopiert, konnte dann aber dazu nur heftig mit dem Kopf nicken. Heißt also nicht, dass es nicht angekommen wäre, nur dass ich nochmal sackenlassen muss.

Cheers,
Maria

 

Liebe @TeddyMaria ,

nachdem ich die Geschichte schon einmal vorab gelesen hatte, habe ich mir jetzt auch erst einmal die vielen Kommentare der anderen angesehen und gewartet, bis Du schon einige Änderungen umgesetzt hast.

Anton, ihr Bruder, schenkte mir zwei Finger breit ein.

Der Satz ist neu, nicht wahr? Ich hatte Anton nämlich beim ersten Lesen für Charlottes Ex-Freund gehalten. Ich fände übrigens:

»Ihr Bruder Anton schenkte mir …«

flüssiger zum Lesen.

Seine Augen sind dunkel. Erscheinen mir dunkler seit unserer Trennung.

Das finde ich komisch. »Seine Augen sind dunkel« ist eine Feststellung, die man bei einem bekannten Menschen nicht mehr macht. Oder Charlotte meint es im übertragenem Sinne, aber auch dann könnte der Satz weg und Du schreibst einfach: »Seine Augen erscheinen mir …« oder Du schreibst »Die Ränder unter seinen Augen …«, was eventuell sogar gemeint ist.

Ein Sehnsuchtsort. Ich komme nach Hause.

Den Sehnsuchtsort finde ich etwas pathetisch. Das "Ich komme nach Hause" reicht m.E. völlig.

Und noch folgende Gedanken zur Diskussion: Ich finde Chris’ Vorschlag gar nicht so falsch, mit dem Schreiben aus der Sicht verschiedener Charaktere. Man darf halt eine Schreibübung nicht mit mit einer fertigen Romanfigur verwechseln. Aber es kann durchaus hilfreich sein, sich zu überlegen, welche Eigenschaften eine Person haben soll und diese erst einmal abgekapselt in verschiedenen Situationen durchzuspielen, bevor man quasi alles zusammensetzt.

Du schreibst, Du möchtest, dass Simi diese Nüchterne ist. Mir kommt es beim Lesen so vor, als sei Simi ganz fern vom Geschehen. Vielleicht hat das bei mir heute trotzdem geklappt, weil ich beim Lesen über Kopfhörer »Under the Ivy« von Kate Bush gehört habe, was prima zu Deinem Text passte und mir die Emotionen vermittelt hat.
Grundsätzlich läuft man aber mit nüchternen Charakteren Gefahr, dass der Leser sie als »herzlos« empfindet. Dann stellt sich die Frage, warum die Person so nüchtern ist. Womöglich als Schutz? Dieses ließe sich dann gut vermitteln, indem man die Person im Gespräch nüchtern auftreten lässt, sie sich dann aber beispielsweise wegdreht und eine Träne wegwischt. Oder wie im letzten Satz, in dem sie von "Zuhause" spricht.
Im Kern ist es vermutlich das, was Chris’ meint. Der Leser kommt Charakteren näher, wenn sie menscheln. In dem Ratgeber, den ich gerade lese, steht, man sollte einer guten Charaktere mindestens eine Schwäche gönnen und umgekehrt. Jetzt mag man von Ratgebern halten, was man will, ich nehme das auch eher als Gedankenanregung oder Meinung, aber m.E. ist an diesem Rat etwas dran. Zu klare Charaktere wirken manchmal auch unglaubwürdig. Bei Simi schwanke ich. Es ist eher der Grundton der Geschichte, der mich glauben lassen will, dass Simi doch nicht so nüchtern ist, wie sie tut (und damit meine ich nicht ihren Wodkakonsum).

Im Übrigen gefällt das mir jetzt besser mit den Überschriften. Das macht die Verortung wirklich einfacher.

Ich bin dann gespannt, wie Du nun all die guten Ratschläge verarbeitest.

Liebe Grüße
Mae

 

Hi @Maedy

Ich freue mich, dass Du wieder reinschaust. War wirklich schön, dass Du mir vorab schon geholfen hast. :kuss: Umso schöner, wenn Du Dich erneut für die Geschichte interessierst.

Zunächst einmal die Kleinigkeiten:

Der Satz ist neu, nicht wahr? Ich hatte Anton nämlich beim ersten Lesen für Charlottes Ex-Freund gehalten. Ich fände übrigens:

Ich glaube, der Satz ist nicht neu. Aber hey. Über Deinen Vorschlag denke ich nach.

»Seine Augen sind dunkel« ist eine Feststellung, die man bei einem bekannten Menschen nicht mehr macht. Oder Charlotte meint es im übertragenem Sinne, aber auch dann könnte der Satz weg und Du schreibst einfach: »Seine Augen erscheinen mir …« oder Du schreibst »Die Ränder unter seinen Augen …«, was eventuell sogar gemeint ist.

An die Stelle muss ich dringend nochmal ran. Ist notiert!

Den Sehnsuchtsort finde ich etwas pathetisch. Das "Ich komme nach Hause" reicht m.E. völlig.

Hm, Du bist nicht die erste, die das sagt, und ich sehe diese Pathetik auch. Aber irgendwie gefällt es mir momentan noch ganz gut. :cry: Ich werde diese Stelle noch eine Weile anstarren und sie dann, so wie ich mich kenne, demnächst streichen.

Man darf halt eine Schreibübung nicht mit mit einer fertigen Romanfigur verwechseln. Aber es kann durchaus hilfreich sein, sich zu überlegen, welche Eigenschaften eine Person haben soll und diese erst einmal abgekapselt in verschiedenen Situationen durchzuspielen, bevor man quasi alles zusammensetzt.

Nee, das ist schon klar. Ich habe mich auf die Schreibübung ja auch tatsächlich gar nicht bezogen. Ich merke nur immer, dass mich Schreibübungen nicht voranbringen; zumindest bleibe ich meistens nicht am Ball, ärgere mich die ganze Zeit, während ich schreibe, und trete danach alles in die Tonne. Ich versuche, immer wieder gute Geschichten zu schreiben und probiere dabei viele unterschiedliche Ansätze aus. Für mich klappt das bisher sehr gut.

Hier zum Beispiel habe ich versucht, weniger plotgetrieben vorzugehen. Bei anderen Geschichten habe ich geübt, weniger geradlinig zu schreiben, und viele solcher Dinge habe ich schon ausprobiert. Das heißt, ich verpacke meine Übungen direkt in Geschichten. Bedeutet natürlich auch, dass ich am Ende mehr als eine Sache "üben" muss. Aber mich hat bisher jede Kurzgeschichte vorangebracht.

Du schreibst, Du möchtest, dass Simi diese Nüchterne ist. Mir kommt es beim Lesen so vor, als sei Simi ganz fern vom Geschehen.

Ich glaube, "nüchtern" für sich genommen ist nicht ganz das richtige Wort. Ich habe dieses Wort als Gegenteil von "leidenschaftlich" benutzt: Mir käme es komisch vor, eine leidenschaftliche Erzählerin leidenschaftlich vom Verlust ihrer besten Freundin erzählen zu lassen. Ich meine auch eher, dass Simi eine maßvolle Person ist: nicht aufbrausend, nicht sehr emotional, sie hat sich im Griff.

Das mit der Distanz zum Geschehen ist ein sehr wichtiger Hinweis. Daran werde ich arbeiten. Erstmal bringe ich noch eine Geschichte für eine Ausschreibung runter von meinem Schreibtisch, dann werde ich eine größere Überarbeitung machen.

Grundsätzlich läuft man aber mit nüchternen Charakteren Gefahr, dass der Leser sie als »herzlos« empfindet. Dann stellt sich die Frage, warum die Person so nüchtern ist. Womöglich als Schutz? Dieses ließe sich dann gut vermitteln, indem man die Person im Gespräch nüchtern auftreten lässt, sie sich dann aber beispielsweise wegdreht und eine Träne wegwischt. Oder wie im letzten Satz, in dem sie von "Zuhause" spricht.

Dazu, dass ich schrieb, dass Simi sich im Griff hat, passt natürlich dieser Einwand. Und es stimmt ja auch, dass sie am Ende eine Richtung findet. Ich glaube ja auch nicht, dass das Geschehen sie nicht mitgenommen hat. Das wollte ich auch gar nicht sagen. Aber sie lässt sich von Gefühlen nicht überwältigen.

Im Kern ist es vermutlich das, was Chris’ meint. Der Leser kommt Charakteren näher, wenn sie menscheln.

Ich dachte eigentlich, sie wäre schon menschlich. Aber das mit der Distanz zum Geschehen stimmt einfach; ich habe sie sehr zurückgenommen gestaltet. Sie tritt ja auch häufig in der Rolle der Beobachterin auf, mehr Randfigur als Hauptfigur.

Bei Simi schwanke ich. Es ist eher der Grundton der Geschichte, der mich glauben lassen will, dass Simi doch nicht so nüchtern ist, wie sie tut (und damit meine ich nicht ihren Wodkakonsum).

Und ich vermute so wie Du, dass sie diese Distanz zu Charlotte tatsächlich herstellt, um sich selbst zu schützen. Dieses Wachstum habe ich auch versucht zu zeigen, da sie ja erst wenig mit Charlotte redet, zumindest nicht über das Problem, und es schließlich direkt anspricht. Danach wird die Beziehung auch wieder enger. In diesem Sinne hat Simi ja eine Schwäche: Ihre Zurückhaltung ist eine Schwäche. Aber interessante Schwächen sind eigentlich ja auch Stärken. Finde ich zumindest. Diese Facetten habe ich versucht aufzuzeigen, aber das ist mir offenbar noch nicht so gelungen.

Nun ist das erzählerische Problem, dass das alles ja die vergangene Simi ist. Die heutige Simi erzählt von der vergangenen Simi. Und wie würde sie das erzählen? Das habe ich mich gefragt. Momentan tut sie es sehr vorsichtig, lässt viel aus, nimmt sich vor allem stark zurück. Inwiefern ich das ändere (denn daran arbeiten werde ich), weiß ich momentan noch nicht so genau.

Im Übrigen gefällt das mir jetzt besser mit den Überschriften. Das macht die Verortung wirklich einfacher.

Wundervoll! Ich denke, ich werde sie auch behalten, aber es gibt noch ein paar Probleme damit, mit denen ich mich beschäftigen muss. I'll make it work!

Danke, dass Du wieder da warst. Hat mich sehr gefreut!

Cheers,
Maria

 
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...
You know life can be long
You've got to be so strong
And the world she is tough
Sometimes I feel I've had enough

How can we go forward when we don't know which way we're facing?
How can we go forward when we don't know which way to turn?
How can we go forward into something we're not sure of?
Oh no, oh no“
aus: Lenno: “How“, auf „Imagine“(1971)


»Anton versteht nicht, wie hart es ist«, sagte sie. »Wie hart ich arbeite, um das zu erreichen, was ich will.«
[…]
Und Berlin war wie New York. Ein meilenweit entfernter Ort.
[…]
Vielleicht war Charlottes Seele nicht tief genug. Das hat ein Mitschüler mich später einmal gefragt: wie man sich aus lauter Oberflächlichkeit umbringen könne.

Gestern, beim letzten Maibock (Einbecker!, da wo der Urbocker herkommt und nun Baiern meinen, sie hätten den Bock erfunden ..., das Jodeln danach vielleicht ...), dacht' ich, mal wieder an der Gose vorbeizuschauen und da bin ich nochmal ... und zwomal mit den Alten - zunächst den ganz, und dann den Hinterwäldlern unter Hinerweltlern des vorigen Jahrtausends.

Kannten die ganz Alten keines Sehnsucht, die doch jeden und niemand überkommen kann? Tatsächlich taucht erst im mhd. das Wort „sensuht“ (das „h“ ist nicht das heutige Dehnungs-h, sondern der Reibelaut, den wir heute „ch“ schreiben, die Dehnung und Betonung der ersten Silbe germanistischer Zunge von Island bis Australien macht an sich das heutige Dehnungs-h teutscher Zunge entbehrlich).

„Sehnen“ meint ein (oft krankhaftes) schmerzliches Verlangen nach allem, was man gerade nicht ist oder hat und als „Fernweh“ getarnt, wo man gerade nicht ist, aber doch gerne wäre.

Tatsächlich taucht das Verb „sehnen“ auch erst im mhd. auf (lt. Grimmschen Wörterbuch) vor allem - „bis zur Abnutzung“ durch inflationären Gebrauch – im Minnesang, geschaffen und vorgetragenen von fahrendem Volk niederen Adels, (Dicht)Kunst war immer schon für die meisten „brotlose“ Kunst (es sei denn, zum Lobe Gottes). „Sehnen“ bezieht sich allsogleich auf die persönliche Pein und dem (bis zur Sucht ausgebildeten) Verlangen nach Liebe – und sei‘s die (Selbst-)Liebe zum eigenen Körper.

Die Farbsymbolik der Freundschaftsbänder

Ich hatte blaue und rosafarbene Fäden für Charlotte ausgesucht, Charlotte rote und grüne für mich.
will ich mal mit einer Ausnahme nicht die Farbsymbolik angehn (weiß doch jeder – dass grüne Farbe auch Vorsicht anmahnt, oder?), außer der blauen nämlich, wobei auch die Rolle der Lichtbrechung unberücksichtigt bleibt – denn sind Wasser (am deutlichsten beim Wässerchen im Glas) – nicht farblos und durchsichtig, wodkaglasklar sozusagen? – und doch steht das Blau für die Weite des Himmels (i. S. von sky und heaven) und das weite Meer, aber auch der Trunkenheit (was m. E. am besten der zerrissene blutjunge Rimbaud im „Trunkenen Schiff“ wie in den Versen der „Vokale“ ausgedrückt hat, in den letzten Zeilen der „voyelle – dem O zugeordnet, hören wir sogar die Posaunen von Jericho*).

Ich stelle mir also vor, ohne dass ich nach meinem ersten Besuch die neue Lage in den Vorrednern verfolgt habe - dass dort eine Freundin an einem modernen Schönheitsideal (Twiggy lässt sich schwerlich im Zeitalter des mobiles wählen) des Hungerhakens und vllt. der schwülstigen Lippen – kurz, einem Geschäftsmodell – zugrunde geht. Wobei auch so was simples wie eben das „Handy“ das kommunikative Verhalten ändert. ZB war – zumindest in meinem Bekanntenkreis – nicht üblich, für jedes Bissken zu telefoninieren. Telefonieren war teuer und verreisten etwa x und y, so konnte unterstellt werden, dass sie gut angekommen sind, wenn kein Anruf erfolgte, sondern irgendwann ein Kärtchen verschickt wurde. Wurde angerufen von unterwegs, war was Nennenswertes passiert. Heute aber ist des Plapperns kein Ende … und man hat Sorge, dass bei Stille was vorgefallen sein muss.

Paar Flusen (jeder Umbau bringt Neues mit sich)

»Schau mal nach Osten.« Sie streckte die Hand aus, als könnte sie damit die Wolken am Horizont beiseiteschieben. »Ich kann Berlin sehen.«
....
Ich sah mich im Zimmer um, als könne ich irgendwo die rettenden Worte finden. Den Satz,
Warum zunächst - m. E. korrekt, Konjunktiv irrealis und dann - wieder bei einer unwirklichen/-möglichen Situation Konjunktiv I?

»Dieses Low[...]Carb, denkst du, ich sollte das mal ausprobieren?«

Ich trinke den Wodka leer. Als ich mich aufstehe, dreht sich das Zimmer um mich.

Bis bald

Friedel

* „O, suprême Clairon plein de strideurs étranges,
Silences traversés des Mondes et des Anges:
– O l'Oméga, rayon violet de Ses Yeux!“

 

Hi @Friedrichard

Schön, dass Du wieder reinschaust. Mich hat mal wieder das Leben eingeholt, deshalb habe ich mich immer noch nicht an die große Überarbeitung dieser Geschichte gemacht. Trotzdem habe ich es geschafft, neue Flusen zum Aufheben zu produzieren. Das ist ja auch schonmal was. :lol: Danke fürs Raussuchen, habe alles sofort eingearbeitet!

„Sehnen“ bezieht sich allsogleich auf die persönliche Pein und dem (bis zur Sucht ausgebildeten) Verlangen nach Liebe – und sei‘s die (Selbst-)Liebe zum eigenen Körper.

Ich sehe die Sehnsucht gar nicht mehr so negativ, darum geht es ja auch für Simi in der Geschichte. Dass sie lernt, die Sehnsucht als etwas Positives zu empfinden. Früher fand ich den Spruch "Vorfreude ist die schönste Freude" total dämlich; heute verstehe ich ihn. Und mit Sehnsucht kann es ja auch so sein: In Charlottes Fantasie ist Berlin wunderschön. An der Realität zerplatzt diese Schönheit jedoch.

weiß doch jeder – dass grüne Farbe auch Vorsicht anmahnt, oder?
und doch steht das Blau für die Weite des Himmels (i. S. von sky und heaven) und das weite Meer, aber auch der Trunkenheit (

Danke für diesen Exkurs in die Farbsymbolik. Tatsächlich habe ich mich genauso wenig damit beschäftigt wie meine Prota (wobei, als Kind habe ich mich für Mangas interessiert; da ist das wichtig, ein paar Farbsymboliken zu kennen, und für meine Geschichte Gelber Papierdrachen habe ich mich vor allem mit den Farben Gelb und Rot beschäftigt). Umso erstaunlicher, dass ich "Vorsicht" für Simi und "Himmel, Meer und Trunkenheit" für Charlotte total passend finde. Aber vielleicht ist das auch das Gute an solchen "Lehren": Es findet sich immer etwas Passendes.

Ich stelle mir also vor, ohne dass ich nach meinem ersten Besuch die neue Lage in den Vorrednern verfolgt habe - dass dort eine Freundin an einem modernen Schönheitsideal (Twiggy lässt sich schwerlich im Zeitalter des mobiles wählen) des Hungerhakens und vllt. der schwülstigen Lippen – kurz, einem Geschäftsmodell – zugrunde geht.

Ich finde es wichtig zu verstehen, dass unser Schönheitsideal (das unserer Zeit und unserer Kultur) Charlotte nicht allein zugrunderichtet. Es spielt sicherlich eine Rolle, aber das ist nicht alles. Doch das ist etwas, womit ich mich in der Überarbeitung stärker auseinandersetzen möchte.

Telefonieren war teuer und verreisten etwa x und y, so konnte unterstellt werden, dass sie gut angekommen sind, wenn kein Anruf erfolgte, sondern irgendwann ein Kärtchen verschickt wurde. Wurde angerufen von unterwegs, war was Nennenswertes passiert. Heute aber ist des Plapperns kein Ende … und man hat Sorge, dass bei Stille was vorgefallen sein muss.

Puh ja, wem sagst Du das? Meine Mutter ist da so ambivalent. Letztes Jahr bin ich mit meinem Freund in den Niederlanden Fahrrad gefahren, und ich habe vorher gesagt, dass mein Handy die meiste Zeit ausgeschaltet sein wird, weil es nun einmal nicht überall Strom gibt. Daraufhin sie: Ja, als ich in eurem Alter war, konnten meine Eltern mich auch nicht überall erreichen. Kein Problem! Und was macht sie? Ruft regelmäßig meinen Freund an oder fragt ihn per WhatsApp-Nachrichten, wie es mir ginge. Da verstehe noch einer die Alten. Es ist aber auch nicht einfach.

So wie ja nix einfach ist, vor allem nicht das Schreiben. Ich vergrabe mich weiter in der Geschichte und versuche, nicht allzu viele neue Fehlerchen reinzumischen. Danke für Deinen Besuch!

Cheers,
Maria

 
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Liebe TeddyMaria,

ich habe bestimmt als eine der Ersten deine Geschichte gelesen, so etwa zwei Minuten nach dem Einstellen. Dann kam aber erst mal die Arbeit und als ich nachts zum Kommentar ansetzen wollte, war alles schon gesagt, was ich sagen wollte. Dachte ich mir, die Maria ist ja eine ganz eifrige bei der Überarbeitung, kommste später vorbei und guckst, ist ja auch schön, wenn dann noch Kommentatoren übrig sind. habe seither aber keinerlei Kommentare mehr verfolgt.
Was sofort auffällt, sind die Zeit-/Ortseinschübe. Ja, kann man machen. Und jetzt schreib ich direkt beim Lesen mit ...

An Charlottes achtzehntem Geburtstag trank ich Wodka. Anton, ihr Bruder, schenkte mir zwei Finger breit ein. Er rief nach ihr, fragte, ob sie auch etwas wollte, aber sie tanzte. Und wenn sie tanzte, konnte nichts sie erreichen. Die Hitze des Wodkas wanderte durch meinen Körper. Breitete sich bis in die Fingerspitzen aus.

Ich weiß nicht, ich mag den Einstieg nicht besonders. Das ist so brutal kurz. Da kommt nix auf, das kann nichts. Keine Athmo, keine Charakterisierung, keine Spannung. Und dann ist schon so kurz und Du hast auch noch zwei "Perspektiven" drin: zwei Sätze Ich - zwei Sätze Charlotte - zwei ich. Als ob da wer die Kamera nicht stillhalten könnte. Na ja, gibt ja gut Wodka auf der Party ;).

In unserer Schulzeit wanderten Charlotte und ich fast jede Woche auf den Brocken.
Sportlich. Und das auch noch, obwohl er doch so oft im Nebel hängt.

Trotz der schneidenden Kälte zogen wir die Handschuhe aus und knüpften unsere Fußbänder. Ich hatte blaue und rosafarbene Fäden für Charlotte ausgesucht, Charlotte rote und grüne für mich.
Die sind jetzt 18, ja? Nach der Wodkaparty? Okay.

»Schau mal nach Osten.« Sie streckte die Hand aus, als könnte sie damit die Wolken am Horizont beiseiteschieben. »Ich kann Berlin sehen.«
Ich schüttelte den Kopf. »Viel zu weit weg.«
»Ich kann es sehen.«
...
»Nee.« Charlotte beugte sich zur Seite und flüsterte mir ins Ohr: »Ich fahre nach Berlin.«
Mag ich. Aber ich hätte auch wirklich nichts dagegen, wenn die Szenen bisschen mehr Szenen wären und nicht nur Blitzlichter. Kaum eingelesen ist immer schon wieder zu Ende.
»Ich bin da«, sagte sie feierlich. »Ich bin in Berlin!«
Berlin als Sehnsuchtsort, das kommt bei mir total an. Mit so paar Worten.

»Anton versteht nicht, wie hart es ist«, sagte sie. »Wie hart ich arbeite, um das zu erreichen, was ich will.« Sie strich sich mit dem Handrücken über die geröteten Augen. »Er hat gesagt, er will mich nicht mehr sehen.«
...
»Ja, es ist harte Arbeit«, sagte ich. »Das Sterben.«
Und diesmal sagte sie nichts.
Diät und Sterben - ja, Magersucht liegt in der Luft. Und das mit ihrem Bruder setzt ihr zu.

Er ist ihr so ähnlich. Aber das ist das Letzte, was er hören will.
Warum? Er kann doch nicht loslassen?

»Vom Brocken aus kann ich Berlin sehen«, sage ich. »Das genügt.«
:)
Ich fuhr ins Krankenhaus und stand wie erstarrt im Zimmer, während die Mutter Charlottes Sachen zusammenräumte. Auf dem Nachtschrank lag der giftgrüne Apfel, den ich ihr an Silvester mitgebracht hatte.
Hat sie sich umgebracht? Obwohl sie noch Pläne und Träume hatte? Irgendwie macht nur Selbstmord für mich hier einen Sinn und eben auch gleichzeitig nicht.
Die Zugbremsen lösen sich zischend, und an der Scheibe zieht das blaue Schild vorbei. Das gleiche blaue Schild, das an jedem Bahnhof in Deutschland hängt, in Berlin aber immer ein bisschen blauer aussieht.
Ich liebe es! Best Satz!

Ich finde das hin und her ein bisschen unglücklich. Man muss das ja auch gar nicht so zerhaken. Jedes Mal muss ich mich erst mal wieder in Antons Küche einfinden. Und dann wieder in das letzte gemeinsame Schuljahr. Und wenn die beiden als Paar nach Berlin gegangen sind, dann kennt sie doch das Foto im Flur, sie hat in der Wohnung gelebt, warum also erstarrt sie dann davor? Das ist mir zu sehr Autor, zu wenig echtes Leben. Wenn er es jetzt erst neu aufgehangen hätte ... ja dann vielleicht.
Bisschen unklar bleibt mir nach wie vor die Beziehung von Anton und Charlotte. Simi ist/fühlt sich ja wie ihr Zwilling und sie erträgt es nicht, das Berlin, das Charlotte den Kopf verdreht hat. Sie muss da weg. Anton dagegen fühlt sich der Stadt und damit seiner Schwester verbunden. Das finde ich schon schön als Gedanken, aber so richtig will das auch nicht als Thema herhalten. Da wird viel angerissen, viel Blitzlicht, und für mein Empfinden zu viel mit drauf auf den Bildern. Oder zu wenig, je nachdem, was man alles erzählen will. Wenn Charlotte einfach an einer Krankheit oder nach einem Unfall sterben würde, der Verdacht nicht auf Magersucht gelenkt werden würde, wenn man sich also nicht auf Charlottes Geschichte fokussieren würde, sondern auf die der beiden am Leben gebliebenen und ihre unterschiedliche Art zu Trauern und das die Trauer ihre Liebe kaputt macht, da wäre doch genug übrig. Oder eben auf Chrlotte und ihren Drang nach Freiheit, nach der großen Welt, nach ... wo die beiden Mädchen eben so gar nicht gleich sind ... Ja, mir fehlt nach wie vor der Focus. Wahrscheinlich steht es hier schon irgendwo in den Kommentaren, aber ich habe sie ja extra nicht gelesen.

Da sind schon schöne Stellen drin, die mit wenig viel Emotionen erzeugen, nur irren die bisschen orientierungslos durch meine Lesezeit. Ich glaub, ich muss da jetzt nicht weiter drauf rumdatteln. Von mir aus dürfte der Text gern fünf Mal so lang sein. Ich mag die drei. Ich würde gern bisschen mehr Zeit mit ihnen verbringen;).

Liebe Grüße, Fliege

 

warum ich hier kurz dazwischen grätsche: Weil in beiden Komms das Wort Perspektive mMn. fälschlich oder zumindest missverständlich verwendet wurde.

Ja, Perspektive ist hier echt ein schlecht gewähltes Wort. Also ich meinte den Kameraschwenk vom inhaltlicher her. Insofern so eine Art Perspektivwechsel, ein innerer, keiner vom Erzähler - ach, mir fiel einfach kein Wort dafür ein :)

 

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