Was ist neu

Berlin bei Nacht

Seniors
Beitritt
08.07.2012
Beiträge
896
Zuletzt bearbeitet:

Berlin bei Nacht

Noch bevor Christian Stammer den Stettiner Park erreichte, packte ihn jenes Gefühl der Erschöpfung und Niedergeschlagenheit, das er in seinen Sitzungen als Tatortdepression bezeichnet hatte. Stammer hörte das im Morgenwind flatternde Absperrband, hörte den Funkverkehr aus den Streifenwagen. Dort, wo am Eingang des Parkgeländes ein paar Beamte schweigend in der Dämmerung standen und den Spezialisten der Spurensicherung bei ihrer Arbeit zuschauten, dort lauerte der Abgrund.
»Morgen, Christian.« Man konnte Brasch und Reckling ansehen, dass es kein guter Morgen werden würde. »Die Jungs von der Spusi sind gleich so weit.«
»Was haben wir?«
»Mädchen oder junge Frau«, erwiderte Brasch. »Wahrscheinlich erdrosselt. Wurde kurz nach fünf gefunden.«
»Keine Hinweise auf ihre Identität?« Stammer verfolgte, wie die Kriminaltechniker im Schein ihrer Arbeitslampen einen bleichen Körper umkreisten, der zusammengekrümmt unter einem Schwarzdornstrauch lag.
»Naja, nichts Definitives zumindest.«
»Heißt?«
Brasch rieb sich das Kinn. »Auf ihrem Oberschenkel steht Asylantenhure, mit einem Marker geschrieben.«
Stammer streckte den Rücken. Irgendwo zwischen den Schulterblättern knackte ein Wirbel. »Schon was zum möglichen Todeszeitpunkt bekannt?«
»Ich habe erst kurz die Leichenflecken sehen können«, sagte Reckling. »Schätze, sie ist etwa seit zwei Stunden tot. Genauer kann ich es erst nach der Untersuchung sagen.«
Stammer schaute auf die Uhr an seinem Handgelenk. »Also, gegen vier.«
In diesem Moment zuckte ein Blitzlicht auf und riss den Körper der Toten aus dem Schattenspiel der Arbeitsleuchten. Der schimmernde Leib schwebte ein, zwei Sekunden lang im Dunst des anbrechenden Tages, dann löste sich das Nachbild auf.
Als Stammer kurz darauf neben der Leiche stand, spürte er, wie ihn die Kräfte verließen, mit denen er seit Jahren gegen all die Dummheit und Niedertracht ankämpfte, die Leben und Tod in dieser Stadt bestimmten. Er hatte es satt. Er hatte es so satt, sich mit den Motiven von Leuten zu befassen, die bereit waren, einem Nachbarn für ein paar Geldscheine den Schädel einzuschlagen. Er hatte es satt, sein Leben mit der Jagd nach Mördern und Vergewaltigern zu verschwenden, die es immer geben würde, egal, welche Strategien die Gesellschaft entwickelte.
»Verdammt jung, die Kleine.« Reckling hockte sich zu der Leiche. Er setzte seine Arbeitstasche ab, öffnete sie und holte ein Paar Latexhandschuhe heraus.
»Also gut«, sagte Stammer, und nachdem er die in krakeligen Großbuchstaben geschriebene Schmähung betrachtet hatte, warf er einen Blick auf die Reifenspuren, die von der Straße aus dicht an den toten Körper heranführten. »Brasch, was siehst du?«
Brasch räusperte sich. »Unbekleidete Tote, etwa sechzehn oder siebzehn Jahre alt. Liegt auf der linken Seite, beide Beine angewinkelt, embryonalartige Stellung.« Es klang, als redete er zu sich selbst. »Arme hinter dem Rücken gefesselt, schwarzer Kabelbinder an den Handgelenken.«
Stammer, die Hände in den Hosentaschen, starrte auf das Mädchen hinab. Es wurde Zeit, sich einzugestehen, dass er sich verirrt hatte. Wie konnte es nur so weit kommen? Wann war er zu dem Mann geworden, der seinen Job hasste? Offenbar erteilte ihm das Schicksal die gleiche Lektion, die das Leben seines Vaters ruiniert hatte.
»Herkunft beziehungsweise ethnische Zughörigkeit dem ersten Eindruck nach ...« Brasch unterbrach sich und sagte leise zu Reckling: »Ich tippe auf Naher Osten. Was sagst du?«
Reckling, der dem Mädchen gerade die blutverklebten Haare aus dem Gesicht strich, hielt inne und sagte: »Seh ich auch so.«
Die Beiden wechselten einen Blick.
»Mach weiter«, sagte Stammer.
»Ich kenne die Gegend und den Park.« Brasch sah sich um. »Tagsüber hoch frequentiert. Touristen-Hotspot. Morgens sind hier viele Leute unterwegs, die zu den Öffentlichen wollen. Seltsam, dass die Leiche hier abgeladen wurde.«
In der Tat. Dass die Kleine nicht hier im Park so zugerichtet worden war, lag auf der Hand. Man hatte dieses Mädchen misshandelt und getötet und dann abgeladen wie einen Müllsack. Dazu passten die Reifenspuren. Stammer versuchte, sich den Schock vorzustellen, den der Fund des toten Körpers ausgelöst haben musste. Das Ganze wirkte wie eine Provokation.
»Als ich noch bei der Sitte war, hatten wir hier ein paar Nachteinsätze.«
Stammer sah ihn an. »Weshalb?«
»Es gab da zwei, drei Luden, die abends ihre Mädchen hier laufen ließen.«
»Hier?«
»Ja, gibt 'ne Menge verborgener Ecken im Park und so viele Ausgänge wie in einem Karnickelbau.«
»Verstehe.«
»Die Reifenspuren könnten vom Täter stammen«, sagte Brasch. »Er fährt rückwärts die Einfahrt hoch, zieht die Tote aus dem Wagen und lässt sie hier liegen.«
»Und weiter?«
»In diesem Fall würden sich Spuren im Wagen befinden, vielleicht an den Sitzen ...«
»Was siehst du noch?«
»Der Körper der Toten weist massive Verletzungen auf, die ihr wahrscheinlich durch Schläge oder Tritte zugefügt wurden. Die rechte Schulter ist ausgerenkt, an der Wange klebt Blut.«
»Schon gut.« Stammer winkte ab. »Den Teil übernimmt der Doc.«
»Naja«, sagte Brasch. »Sieht verdammt nach einem Null Sechsundvierzig aus, mit anschließendem Mord.«
Stammer atmete geräuschvoll aus. »Richtig.«
»Ich kontaktiere die Jungs von der Sitte. Vielleicht kennen die sie.«
Ein Mann aus dem Team der Kriminaltechniker trat zu ihnen.
»Wurden irgendwelche Kleidungsstücke gefunden?«, fragte Stammer.
»Nein, gar nichts«, erwiderte der Mann. »Wir suchen den Park jetzt großräumig ab.«
»Okay. Wie sieht's mit Spuren aus? Schuhabdrücke?«
»Wir haben ein paar lausige Abdrücke. Bei dem Untergrund ... mache ich mir da keine großen Hoffnungen. Aber es gibt ja diese Reifenspuren hier.«
»Ein Transporter?«, fragte Stammer.
»Ja, gut möglich«, gab der Kriminaltechniker zurück. »Sieht nach einem Leicht-LKW-Reifen aus.«
Er zeigte auf die Nummerntafeln am Boden direkt neben der Toten. »Wir konnten außerdem ein bisschen Kleinkram sicherstellen. Zigarettenstummel, Streichholzreste und ein Papiertaschentuch. Könnte alles schon länger hier liegen.«
Stammer nickte. »Trotzdem. Gleich ins Labor damit. Vielleicht haben wir einen Treffer beim DNA-Check.«
Nachdem der Mann von der Spurensicherung gegangen war, wandte sich Stammer an Brasch: »Kümmere dich um die Koordination der Passanten- und Anwohnerbefragungen. Ich will wissen, ob irgendjemand was gehört oder gesehen hat. Verdächtige Personen, Fahrzeuge, das ganze Programm. Schärfe den Kollegen ein, dass sie sich nicht einfach abwimmeln lassen sollen. Wenn hier heute Nacht irgendwo eine Wagentür geknallt hat, will ich es wissen. Und lass im Kommissariat die Vermisstenmeldungen der letzten Tage prüfen.«
»Okay, bin schon weg.«
»Warte.«
»Ja?«
Stammer senkte die Stimme. »Reckling soll dir nachher aus der Gerichtsmedizin ein paar Fotos vom Gesicht des Mädchens schicken. Benutze nicht die Fotos von hier. Du nimmst dir vier oder fünf Leute, und ihr checkt die Flüchtlingsunterkünfte. Beginnt mit denen in der Nähe, also Prenzlauer Berg und Mitte. Wendet euch an die Betreuer. Vielleicht erkennt sie jemand.«
»Alles klar.«
Stammer hockte sich zu Reckling, der den Hals des toten Mädchens untersuchte.
»Was sagt der Rechtsmediziner?«
»Geschlossene Strangmarke und Stauungsblutungen. Ich tippe auf Erdrosseln mit einem Seil, das dann mit einem Stock oder Stab zugedreht wurde.«
»Scheiße.«
»Ja. Die Marke ist deutlich, aber nicht scharf abgegrenzt. Ich vermute, die Schlinge hat sich mehrfach gelockert und wurde dann wieder zugezogen.«
»Abwehrbewegungen?«
»Möglich«, erwiderte Reckling. »Oder der Killer hat sie gefoltert.«
Stammer ließ seinen Blick über den geschundenen Körper des Mädchens wandern. »Sind diese Spuren das, wofür ich sie halte?«
»Ja, angetrocknete Spermareste und Speichelfäden«, sagte Reckling. Er stand auf und ging um die Leiche herum. »Hier hinten, an den Beinen, vermischt mit all dem Blut, das ist Kot.«
»Hm.«
»Der Abgang von Urin und Kot ist typisch bei allen Strangulationsarten.«
Reckling rückte seine Brille zurecht. »Trotzdem kommen auch andere Todesursachen in Frage«, sagte er. »Du siehst ja die Hautabschürfungen und Hämatome. Bei solchen Blutunterlaufungen in der Brust- und Bauchregion sind schwere innere Verletzungen nicht unwahrscheinlich.«
Stammer hob den Blick von der Toten und betrachtete seinen Kollegen. Es war schwer einzuschätzen, was in Reckling vorgehen mochte. Der Mann hatte in seinem Berufsleben Hunderte von Toten gesehen. Doch Stammer konnte sich nicht vorstellen, dass ein Fall wie dieser den Arzt völlig kalt ließ, dass dieses Mädchen in den Augen des Mediziners lediglich eine fachliche Herausforderung darstellte.
»Ich nehme gleich jetzt eine Reihe von Abstrichen«, sagte Reckling. »Blut, Urin, Sperma, Kot.«
Stammer erhob sich. »Okay.«
»Danach werde ich jemanden rufen, der mir hilft, die Leiche umzudrehen. Du musst nicht bleiben. Ich gebe dir nachher den vorläufigen Bericht. Gründlich kann ich sie sowieso erst untersuchen, wenn ich sie auf dem Tisch habe. Du musst nicht warten.«
Stammer zog ein Klappmesser aus seiner Manteltasche. Er ging um den Körper des toten Mädchens herum und öffnete das Messer. Reckling beobachtete ihn schweigend.
Mit einem Schnitt löste Stammer die Fessel an den Handgelenken des Mädchens.
»Ich bleibe und helfe dir, sie umzudrehen«, sagte er.

Die Tenpoint Carbon Fusion verschoss Pfeile mit einer Geschwindigkeit von mehr als einhundert Metern pro Sekunde. Dennoch gelang einigen Tieren das Kunststück, dem heranrasenden Pfeil auszuweichen. Thomas Rasske nannte sie Ducker, und er hatte ein Gespür für die verfluchten Biester. Es waren die argwöhnischen Beobachter, die Zögerer und Trippler, chronisch nervöse Tiere, die genau im Moment des Schusses einen Satz machten und dem Jäger einen sicheren Kill verdarben. Doch Rasske wusste, wie man mit ihnen umzugehen hatte. Ihm hüpfte so ein Ducker nicht einfach davon.
Während er den Jährlingsbock durch das Zielfernrohr seiner Armbrust anvisierte, genoss Rasske die vertrauten Empfindungen des Jagdfiebers. Da perlte etwas das Rückgrat empor, ein lustvoller Schauer, die Vorfreude darüber, den Abzug durchzudrücken und den Pfeil davonschwirren zu sehen. Dieser Rehbock dort lag bereits als Kadaver im Laub, daran bestand kein Zweifel. Nichts würde das verhindern.
Das Reh stand unter den tief herabhängenden Ästen einer Fichte und hob witternd den Kopf. Irgendetwas beunruhigte den Bock. Doch Rasske hatte sich gegen den Wind herangepirscht. Schließlich war er kein Anfänger, seine Abschussliste konnte sich sehen lassen. Elf oder zwölf Rehe, einige Stücke Rot- und Damwild, sogar einen verfluchten Keiler hatte er zur Strecke gebracht. Und das alles mitten im Biosphärenreservat, mit einer Waffe, die man frei im Sportfachhandel oder im Internet erwerben konnte. Das bewies so einiges: Jeder hatte die Freiheit, alles zu tun. Jeder hatte die Möglichkeit, zu nehmen, was immer man wollte. Vorausgesetzt, man ließ sich nicht die Birne weichquatschen, von diesen Kanaillen, die meinten, das Sagen zu haben.
Beim Wildern in der Schorfheide bestand der entscheidende Trick darin, die Beute im Wald zurückzulassen. Klar wurden andauernd Idioten erwischt, die glaubten, man könnte eine blutige Hirschkeule quer durch den Forst schleppen. Doch Rasske jagte nicht, um sich am Abend ein Stück Fleisch in die Pfanne zu hauen. Er jagte, um den Kopf frei zu bekommen und um die Sinne zu schärfen. Besonders nach Nächten wie der letzten zog es ihn in den Wald. Das Rascheln der Zweige und Blätter, das Grün von Fichten und Kiefern, der Geruch des Buchenlaubs – all das half ihm, wieder zu sich selbst zu finden.
Die Amis nannten es Jumping the String, wenn Wild dem Pfeil eines Bogens oder einer Armbrust davon sprang. Doch die Bezeichnung passte nicht, wie Rasske wusste. In Wahrheit bestand die erste Bewegung eines Duckers in einem Abtauchen, so schnell, dass das Auge kaum folgen konnte. Aus diesem Grund schob Rasske den Leuchtpunkt seines Jagdvisiers jetzt auch tief nach unten, hinter das Blatt des Bocks und dann noch ein gutes Stück abwärts.
Diese Beute würde ihn nicht austricksen. Rasske holte sich, was er wollte. Immer. Brauchte er Geld, wusste er, wie man es beschaffte. Brauchte er einen Kampf, wusste er, wie man das arrangierte. Und brauchte er einen Fick, dann fand sich auch da eine Lösung. Hin und wieder ließ sich das alles auch in einer einzigen Session miteinander verbinden. Dann traf er sich mit den Jungs und machte einen drauf.
Rasske atmete aus und suchte den Druckpunkt des Abzugs. Mit einem Zischen schnellte der Pfeil davon, und die Leuchtnocke zog eine orangefarbene Spur durch den Halbschatten des Waldes. Der Bock vollführte einen abrupten Sprung. Er setzte zur Flucht an, doch schon einen Augenblick später wälzte er sich als zuckendes Bündel im Herbstlaub. Rasske beobachtete, wie das Tier vergeblich versuchte, wieder auf die Beine zu kommen. Der Todeskampf würde ein paar Minuten dauern, aber die Sache war gelaufen.
Rasske schulterte die Armbrust und ging langsam auf das Reh zu. Mehr als einmal hatte er die Panik in den Augen seiner Beute gesehen, und dieser Anblick löste zwei seltsam widersprüchliche Empfindungen in ihm aus: Erregung und Ekel.
Während er aus den Augenwinkeln verfolgte, wie der Bock hilflos mit den Hinterläufen in die Luft schlug, näherte sich Rasske dem Pfeil, der einige Zentimeter tief im Waldboden steckte. Ein sauberer Treffer demnach, hatte glatt das Herz und beide Lungen durchschlagen. So sah Präzision aus, und war diese Fähigkeit, sein Vermögen, zielstrebig und effizient zu handeln, nicht auch der Grund für seine Überlegenheit? Es lag doch auf der Hand, dass er besser war, als all die Schwachköpfe, die ein durchschnittliches Leben in Routine und Monotonie führten. Die nicht wussten, was es bedeutete, sein eigener Herr zu sein.
Rasske wandte sich dem sterbenden Tier zu, dessen Flanken von Krämpfen geschüttelt wurden. »Das war's für dich«, sagte er und zog sein Jagdmesser.

Stammer hatte im Kommissariat gerade den Mantel abgelegt, da meldete sich bereits die Chefetage. Hartweg, der Kommissariatsleiter, war der geborene Politiker. Bei Stammers Kollegen galt er dennoch als respektabler Mann. Offenbar hatte er auf seinem Karriereweg noch niemandem in den Rücken geschossen, und das zeugte von Charakter.
»Bis auf Weiteres leiten Sie die Ermittlungen«, sagte der Kriminaldirektor am Telefon mit einer Betonung, die ahnen ließ, dass ihm der Fall Kopfschmerzen bereitete. »Schließen Sie sich mit der Staatsanwaltschaft kurz, und passen Sie bei der Pressemitteilung auf. Ich möchte nicht, dass Begriffe wie Asylant oder Flüchtling fallen.«
»Ist klar.«
»Hat die Spurensicherung im Park noch was gefunden?«
»Nichts, was sich irgendwie mit der Toten in Verbindung bringen lässt.«
»Okay, halten Sie mich auf dem Laufenden.«
»Sicher.«
»Und noch was, Stammer.«
»Ja?«
»Sie haben heute Abend einen Termin.«
»Ich weiß.«
»Tischen Sie mir morgen nicht die Ausrede auf, dass Sie wegen des Falls zu beschäftigt waren.«
Nachdem er aufgelegt hatte, wählte Stammer die Nummer von Brasch.
»Wie sind die Anwohnerbefragungen verlaufen?«
»Ist bislang nicht viel bei rausgekommen. Ein Rentner meint, er hätte am Abend einen dunkelgrünen Lieferwagen vor dem Park stehen sehen.«
»Klingt nach Grünflächenamt. Überprüfe, wann die das letzte Mal im Park gearbeitet haben und ob die solche Transporter verwenden.«
»Okay.«
»Was ist mit den Passanten? Der Typ, der sie gefunden hat ...«
»Ist sauber. Hat sonst niemanden gesehen. Auch von den anderen Leuten, die in der Nähe waren, kam nichts Verwertbares.«
Da legte jemand ein totes Mädchen im Stettiner Park ab, blutig geprügelt und vergewaltigt, und kein Mensch hatte etwas gehört oder gesehen. Es war zum Verzweifeln. Braschs Freunde bei der Sitte wussten ebenfalls nichts. Niemand dort kannte die Kleine.
»Die Vermisstenmeldungen?«
»Nichts bei den aktuellen. Ich lasse jetzt die Meldungen des letzten Monats prüfen.«
»Gut. Hat dir Reckling die Fotos geschickt?«
»Yep. Vier Leute sind schon unterwegs. Ich fahre jetzt zum Flüchtlingsheim in der Danziger.«
»Okay. Schön sachte. Die Geschichte könnte uns um die Ohren fliegen.«
»Ist klar. Was hat der KL gesagt?«
»Hat mir die Leitung der Ermittlungen übertragen. Ich gehe gleich rüber zum Staatsanwalt und dann in die Pathologie.«
»Gut, bis später, Christian.«

In der Hütte sah es furchtbar aus, und das überraschte Rasske nicht. Gegen zehn Uhr hatte er kurz mit Wallack telefoniert und konnte sich deshalb vorstellen, wie die frühen Morgenstunden hier verlaufen waren. Die Geschichte stank zum Himmel. Er fühlte es in den Knochen, die Sache konnte zum Problem werden. Es waren gute Jungs, aber sie brauchten ihn. Ohne ihn machten sie Fehler. Nach dem verpatzten Deal waren sie offenbar noch einmal hergekommen, um weiter zu pokern und zu saufen. Danach hatte sich jeder von ihnen in seine Wohnung verdrückt.
Rasske sah sich um und fluchte. Es hasste soviel Chaos und Dreck. Er musste den Jungs noch eine Menge beibringen. Dass ein Mann nicht unter den Tisch kotzte, egal wie betrunken er war. Dass man am Morgen nach einer Party Ordnung schaffte. Und dass man niemals unvorbereitet so eine verfluchte Nacht-und-Nebel-Aktion durchzog.
Aber verdammt noch mal, war die ganze Scheiße nicht auch seine eigene Schuld? Hätte er, der Alpha, nicht die Pflicht gehabt, bis zum Ende dabei zu bleiben?
Rasske rieb sich den Nacken. Er fluchte abermals, machte ein paar Schritte durch den Raum. Diesen Stall auszumisten, das konnte gut zwei Stunden dauern. In einer Kiste unter dem Spültisch fand er eine Packung mit Müllbeuteln. Während er Bierflaschen und Getränkedosen aufsammelte und durchweichte Pappschachteln samt Essenresten in Müllsäcke beförderte, gingen ihm die Bilder der vergangenen Nacht durch den Kopf. Das war schon eine verdammt gute Session. Soviel Spaß hatten sie alle zusammen lange nicht mehr gehabt. Ein paar geile Kämpfe waren dabei gewesen. Selbst Wallack, ein Bulle von einem Mann, hatte einmal am Boden gelegen, und das sollte etwas heißen.
Ein Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus, als sein Blick auf den schwarzen Kapuzenpulli fiel, der zerrissen und verdreckt in einem Winkel der Hütte lag. Diese Schlampe ... ein echter Glückstreffer. Ja, so sah es aus, das gute Leben. Frei, selbstbestimmt. Ihm und den Jungs schrieb niemand vor, was sie zu tun und zu lassen hatten. Sie lebten ihren eigenen Kodex. Sie durchschauten die Lügen, und sie waren auf die kommende Katastrophe vorbereitet. Dabei ging es nicht nur um das Horten von Lebensmitteln und Wasser, um das Bunkern von Ausrüstung, von Diesel und Medikamenten. Überleben war eine Frage der geistigen Einstellung. Und die konnte man nicht einfach an- und ausschalten.
All die Spinner, die glaubten, sie wären bereit, weil sie ein paar Vorräte angelegt und einen Survivalkurs besucht hatten, verstanden nicht, dass letztlich nur diejenigen überleben würden, die bereits jetzt nach dem Kodex handelten. Es machte keinen Sinn, auf die Katastrophe zu warten.
Rasske packte ein paar Müllsäcke und brachte sie nach draußen. Auf dem Schotterweg vor der Hütte stand der alte Van, den sie alle seit Jahren benutzten. Gemeinschaftseigentum gewissermaßen. Rasske öffnete die Seitentür.
»Scheiße nochmal.« Der Boden des Laderaums im Inneren des Transporters war blutverschmiert. Rasske schlug mit der Faust auf das Dach des Lieferwagens. Diese Idioten hatten nicht mal den Van gesäubert.

Zuerst nahm man das Beißen scharfer Reinigungsmittel wahr, dann folgte der Geruch des Todes. Ein süßlicher Dunst, der einen metallischen Geschmack auf der Zunge hinterließ. Oder bildete Stammer sich das nur ein? Obwohl er viele Male hier unten vor dem eingemauerten Seziertisch gestanden hatte, um Recklings Analysen zu hören, frustrierte ihn die Gerichtsmedizin wie am ersten Tag.
Todeszeit, Todesart, Todesursache – damit befasste sich der Arzt, wenn eine Leiche vor ihm auf der Stahlplatte lag, und die Gespräche zwischen dem Ermittler und dem Pathologen in diesen Kellerräumen kreisten in Endlosschleifen bei jedem Toten aufs Neue um diese zermürbenden drei Fragestellungen.
Reckling, in Kittel und schwerer grüner Schürze, begrüßte Stammer mit den Worten: »Das wird dir nicht gefallen, Christian.«
Im Schein der Untersuchungslampen wirkte die Haut der Toten fahl und beinahe transparent. Stammer wusste, was es bedeutete, wenn man auf Recklings Tisch landete. Nach der äußeren Leichenschau wurde der Thorax mit einer Rippenschere aufgeschnitten, die Organe der Brust- und Bauchhöhle entnommen, gewaschen, begutachtet und gewogen. Mit Hilfe der Oszillationssäge öffnete Reckling den Schädel, nachdem er Kopfhaut und Gesicht abgezogen hatte. Er schnitt das Gehirn in Scheiben, suchte nach Tumoren und anderen Auffälligkeiten. Am Ende wurden Haut und Gewebe glattgezogen, die Organe zurück in den Körper gelegt und Hohlräume mit Papier ausgestopft. Eine letzte Naht schnürte das Paket zusammen. Und dieses Bündel aus Fleisch und Knochen hier war gestern noch ein lebendiger Mensch, ein Mädchen mit Plänen, Hoffnungen, Absichten.
»Was gibt's, Doc?«
»Also der Reihe nach«, begann Reckling und setzte seine Brille ab. »Geschätzter Todeszeitpunkt - nach Begutachtung der Leichenflecken, der Leichenstarre und Messung der Rektaltemperatur - war heute Nacht zwischen vier und fünf Uhr.«
Stammer betrachtete das Gesicht des Mädchens. Es war ein bleiches, schönes Gesicht, mit sanften Zügen, und von ein paar kleineren Blessuren abgesehen, wirkte es unverletzt. Reckling hatte die Augen der Toten geschlossen. Blendete man den Anblick des misshandelten Körpers aus, konnte man auf die Idee kommen, dieses Mädchen würde irgendwann einfach wieder erwachen, sich die Stirn reiben und sagen: Hey, das war ein mieser Traum.
Mit einer Geste, die auf den Hals der Toten wies, fuhr der Arzt fort: »Dem Abdruck der Strangmarke zufolge, wurde sie mit einer durchgehenden Schlinge erdrosselt, und da ich an ihrem Nacken einige Polypropylen-Kunstfasern gefunden habe, tippe ich auf so etwas wie eine dicke Reepschnur oder ein Abschleppseil im Durchmesser von vierzehn bis achtzehn Millimetern.«
»Du sagtest vorhin etwas von Lockerungen und mehrfachem Festziehen der Schlinge.«
»Ja, möglicherweise wurde sie aufgrund der Mangeldurchblutung des Gehirns ein paar Mal bewusstlos, dann hat man sie wahrscheinlich einfach wieder aufwachen lassen.«
»Wie kommst du darauf?«
»Schließe ich aus dem Gesamtbild. Ich denke, dass die Strangulation sehr lange dauerte, mehrere Stunden womöglich.«
Stammer presste die Lippen zusammen.
»Ich habe Arme und Beine abgetastet«, sagte Reckling, als Stammers Telefon klingelte.
»Moment, Doc - ja, ich höre.«
»Schlechte Nachrichten.« Es war Brasch. »Die Flüchtlingsunterkunft in der Kremmener Straße brachte den Treffer. Eine Betreuerin von Jugendlichen ohne Eltern hat sie erkannt.«
»Okay.«
»Das Mädchen heißt Nesrin Rahmani, kommt aus Afghanistan, siebzehn Jahre alt.«
»Wurde sie sicher erkannt?«
»Absolut. Die Betreuerin sagte, dass sie gestern Abend zu einer Aikido-Schule im Brunnenviertel wollte, um dort ein Probetraining zu machen. Seitdem wurde sie im Flüchtlingsheim nicht mehr gesehen.«
»Hat man nach ihr gesucht?«
»Nein, ziemliches Chaos dort. Für die Betreuer ist es schwer, den Überblick zu behalten.«
»Okay, schick mir die Adresse der Aikido-Schule. Wir treffen uns dort in einer Stunde.«
Reckling betrachtete Stammer einen Augenblick lang. »Noch mehr schlechte Nachrichten?«
»Ja. Der KL wird durchdrehen ... Okay, mach weiter.«
»Also, wir schicken sie gleich in die Radiologie, aber du kannst sicher sein, dass wir auf den Bildern multiple Knochenbrüche sehen werden. Und das waren nicht nur Schläge mit der Hand. Sieh dir diese Prellungen an. Ich denke, sie wurde mit einem Stock oder einem Knüppel geschlagen.«
»Was noch?«
»Nun, letztlich ist sie in Folge der Strangulation erstickt, aber ich habe außerdem Rupturen an Milz und Leber gefunden. Das führte zu inneren Blutungen. Diese Verletzungen wurden meiner Ansicht nach durch Schläge, Tritte und Hiebe verursacht.«
»Was hast du zum Null Sechsundvierzig?«
»Wie vermutet«, erwiderte Reckling. »Sie wurde vergewaltigt. Ich habe Zeichen für gewaltsame Penetrationen gefunden, vaginal und anal. Die Abstriche vom Fundort sind bereits im Labor und die Proben, die ich eben genommen habe, sind auch unterwegs. Aber dem Gesamteindruck nach vermute ich, dass es mehrere Täter waren.«
»Verdammte Scheiße.«
»Naja, es ist noch nicht amtlich, aber es sollte mich sehr wundern, wenn es anders wäre. An ihrem Körper habe ich Blut von mehreren Personen gefunden, drei verschiedene Blutgruppen. Es ist nicht gesagt, dass dieses Blut von den Tätern stammt, aber ...«
»Ich verstehe.«
»Wir müssen einfach sehen, was die DNA-Proben des Spermas ergeben.«
»Zu dem Marker irgendwas Besonderes?«
»Nein, das war ein gewöhnlicher Permanentmarker mit wasser- und abriebbeständiger Tinte. Kriegst du in jedem Supermarkt.«
Stammer atmete schwer aus.
»Verstehe«, sagte er nochmal. »Wer war Zeuge der Obduktion?«
»Mein Assistent«, antwortete Reckling.
»Gut. Erinnere den Mann an seine Verschwiegenheitspflicht. Das hier darf unter keinen Umständen bekannt werden. Nicht, bevor wir die Sache aufgeklärt haben.«

Wallack und Müller zogen die Köpfe ein.
»Seid ihr völlig irre?« Rasske trat gegen die Wand der Baracke, dass die Scheiben in den Fenstern klirrten. »Tot? Und ihr habt sie in dem scheiß Park abgeladen?«
»War nicht geplant, Tom«, erwiderte Wallack. »Wir wollten zur Übergabe, aber dann ...«
Rasske starrte ihn finster an.
»Auf der Fahrt hat Katz sie noch mal richtig rangenommen«, sagte Müller. »Hinten im Van.«
»Er war total dicht«, ergänzte Wallack. »Dabei muss es passiert sein.«
»Und warum, verdammte Scheiße, habt ihr ihn nicht daran gehindert?«
»Also ich ... ich war auch ziemlich breit«, gab Müller zurück. Er steckte sich eine Zigarette an und spuckte auf den Boden. »Du kennst ja Katz. Manchmal ist der ...«
Rasske konnte es nicht fassen. Diesen Pennern war nicht zu helfen.
»Du hast mir vorhin gesagt, dass der Deal mit den Tschechen geplatzt ist.«
Wallack nickte.
»Und da war dir entfallen, dass ihr die Schlampe gekillt habt?«
»Ich nicht«, sagte Wallack. »Wie gesagt, Katz hat sie fertiggemacht.«
Rasske spürte ein dumpfes Ziehen in der Magengrube. Stráský, ging es ihm durch den Kopf.
»Scheiße, ich dachte, die Tschechen hätten die Aktion abgeblasen.«
Müller schüttelte den Kopf und zog die Schultern hoch. Er schien etwas sagen zu wollen, schwieg aber.
Marek Stráský gehörte zu den skrupellosesten Männern, die Rasske in seinem Leben kennengelernt hatte. Der Typ bezahlte gutes Geld für elternlose Flüchtlingskids und verschacherte sie dann für noch mehr Geld irgendwo in Osteuropa. Es hieß, dass er nicht lange fackelte, wenn jemand so dumm war, ihm auf die Nerven zu gehen. Und in einen Mordfall verwickelt zu werden, den die Presse breitwalzte, würde ihm sicher nicht schmecken.
Rasske fluchte bei dem Gedanken, dass er selbst sich die Frage stellen musste, weshalb er das alles nicht verhindert hatte. Er dachte an den Moment zurück, als er in der vergangenen Nacht auf seine Enduro gestiegen war, müde vom Prügeln, Pokern und Ficken, sattgefressen und ziemlich betrunken. Das Mädchen diesen drei Schwachsinnigen zu überlassen, war ein Fehler gewesen.
»Katz ist ausgerastet«, sagte Wallack. »Wollte sie unbedingt loswerden. Gleich im Stettiner.«
»Diese verdammte Nutte wird uns in Schwierigkeiten bringen«, sagte Rasske. »Da wette ich drauf.«
Ein totes Flüchtlingsmädchen im Stettiner Park – das würden die Bullen nicht ignorieren. Und so verkommen und unfähig der ganze Staatsapparat dieses Landes auch war, jetzt konnte die Sache gefährlich werden.
»Ihr macht den Van sauber. Aber gründlich.«

Während Stammer im Nieselregen über den Parkplatz des Kommissariats ging, fragte er sich, ob es bei ihm eine definitive Belastungsgrenze geben mochte, eine Sollbruchstelle, die ihn eines Tages zwingen würde, aufzuhören. Bei seinem Vater hatte es diesen Schalter gegeben. Statt Verbrecher aufzuspüren oder Kinder, die auf dem Strich gelandet waren, zu ihren Eltern zurückzubringen, saß der früh gealterte Mann nun auf der Bank vor seinem Haus irgendwo in der Brandenburger Pampa und resümierte sein misslungenes Leben.
Stammer steuerte seinen schwarzen Volvo durch das Stadtzentrum. Berlin hatte einen heißen Sommer hinter sich, und obwohl es bereits überall auf den Straßen, Alleen und Plätzen nach Herbst roch, lastete nachmittags ein Rest von Augustschwüle über den inneren Bezirken. Sommer - das war für Stammer der Gestank schnell verwesender Leichen. Seit der ersten Hitzewelle Ende Mai hatte er ein gutes Dutzend Tatorte betreten. Näherten sich die Temperaturen der Dreißig-Grad-Marke, blähte der im Körperinneren ansteigende Gasdruck die Toten im Handumdrehen zu Fäulnisbomben auf. Der Anblick und Geruch eines toten Menschen, dem Fäulinisempyhseme die Bauchdecken platzen ließen und den Inhalt von Enddarm und Blase nach außen beförderten – das konnte man nicht einfach nach Dienstschluss hinter sich lassen. Oder ging es nur Stammer so? War er schlicht nicht hart genug für diesen Job? Möglicherweise gab es da eine Verbindung zu seinem Vater. Möglicherweise besaßen sie beide eine Art Versager-Gen, einen angeborenen Makel, der sie daran hinderte, die Arbeit zu tun, für die sie bezahlt wurden.
Als Stammer am vereinbarten Treffpunkt ankam, war Brasch schon vor Ort.
»Ist noch geschlossen«, sagte er und wies mit einem Nicken auf die Eingangstür der Aikido-Schule. »Das erste Training beginnt um sechzehn Uhr.«
Stammer spähte durch die Glasscheiben der Fensterfront. »Gut, lass uns zum Chinesen gehen. Hab seit heute früh nichts gegessen.«

»Okay, war ein Fehler«, sagte Katz und grinste. »Die Sache ist etwas außer Kontrolle geraten. Bin eben ein leidenschaftlicher Typ.«
Niemand am Tisch lachte. Katz sah sich in der Hütte um und nickte anerkennend.
»Ey, ihr habt die Bude wieder auf Vordermann gebracht. Stark. Also, wenn ich noch was tun kann ...«
»Und was sollte das mit dem Edding?«
Katz' Blick huschte zu Müller und Wallack.
»Sie haben es mir erzählt«, sagte Rasske. »Also. Was sollte der Scheiß?«
»War nur so ne Idee, Tom«, erwiderte Katz und kratzte sich am Kopf. »Einfach, um zu zeigen, wie man mit denen umgehen sollte.«
Für ein paar Augenblicke herrschte tiefes Schweigen in der Hütte. Es war so still, dass man den Regen hören konnte, der auf das Dach niederging.
»Verstehe. Deshalb kippst du sie auch in dem verdammten Park raus, statt die Leiche verschwinden zu lassen.«
Rasske durchbohrte Katz mit einem eisigen Blick. Dieser Mann war nicht einfach nur unfähig. So viel Schwachsinn grenzte an Sabotage, an Verrat.
»Ist dir klar, wie so eine Ermittlung nach Vergewaltigung und Mord abläuft?« Rasske sprach mit ruhiger Stimme. Er musste diese Geschichte regeln und zwar so, dass es alle kapierten.
Katz zuckte mit den Schultern. »Wen kümmert's? War ne Schlampe aus Afghanistan.«
»Die Bullen können bei Mord nicht einfach wegsehen, du Idiot.«
»Hey, alle jammern, dass immer mehr von denen her kommen. Millionen von Irakern, Syrern und Afghanen. Glaub nicht, dass die Bullen der Nutte eine Tränen hinterher weinen.«
Dieser Penner war wirklich das Letzte.
»Den Bullen ist die Schlampe völlig egal«, bestätigte Rasske. »Aber die werden Druck bekommen und zwar gewaltigen Druck. Wenn die Geschichte öffentlich wird, beginnt eine verdammte Hetzjagd auf uns.«
»Tom hat recht«, sagte Müller. »Du hättest sie im Van in Ruhe lassen sollen.« Wallack nickte.
»Und noch was«, sagte Rasske. »Marek wird Amok laufen. Oder glaubst du, dieser Schwanzlutscher freut sich darüber, dass du die Bullen direkt zu ihm führen könntest?«
Katz wollte etwas erwidern, doch Rasske hob die Hand und sagte: »War nicht dein erster Fehler. Von uns allen bist du der Einzige, der wegen Vergewaltigung gesessen hat.«
»Und?«
Rasske erhob sich und machte ein paar Schritte durch den Raum.
»Was, wenn die Bullen deine DNA im System haben?« Im Grunde war das reine Spekulation, aber dieser Typ stellte eine Gefahr für sie dar.
»Mann, das ist mehr als zehn Jahre her.«
»Und wenn sie dich finden, finden sie uns.«
Katz hob die Hände. »Tom, du weißt, dass ich das Maul halten würde.«
Rasske zog die Glock ohne Eile.
»Hey Tom, das ... das kannst du nicht tun.« Katz starrte ihn entgeistert an. »Das ... war doch nur so 'ne verfickte Asylantenschlampe.«
Müller und Wallack erhoben sich und traten ein paar Schritte zurück.
»Du hast es versaut«, sagte Rasske. Aus der Mündung seiner Pistole zuckte ein Feuerstoß, und Katz kippte seitlich vom Stuhl.

Stammer beobachtete, wie Brasch eine Frühlingsrolle nach der anderen verdrückte.
»Hast du immer noch nicht genug?«
Brasch hob die Schultern. »Die Portionen hier sind zu klein. Der reinste Beschiss.«
Sie waren die einzigen Gäste des Restaurants. Aus den Lautsprecherboxen klingelte leise ein chinesischer Singsang. Es roch nach Currypulver und Koriander.
»Wie lief es beim Staatsanwalt?«, fragte Brasch.
»Gut so weit. Pisst uns nicht aufs Beet. Ist auch nicht scharf auf hysterische Schlagzeilen.«
Die Staatsanwaltschaft stimmte mit dem Kommissariat darin überein, dass der Fall aus ermittlungstaktischen und politischen Gründen höchste Diskretion erforderte. Stammer hatte klargemacht, was passierte, falls die Medien die Sache so aufblasen würden, wie das im Winter bei der angeblichen Vergewaltigung einer jungen Russin passiert war. Wenn sich die öffentliche Meinung derart aufheizte, wurde nicht nur die Arbeit der Ermittler sehr viel schwieriger.
»Wir könnten uns vor gefakten Hinweisen nicht retten, und jeder Arsch hatte eine Meinung«, brummte Brasch.
Stammer nippte an seinem Tee und versank in Gedanken. Bislang hatten sie nicht viel. Immerhin kannten sie ihre Identität. Das war der natürliche Ansatzpunkt für alle weiteren Nachforschungen.
»Hast du im Flüchtlingsheim nachgefragt, ob sie Ärger hatte? Gab es Streit mit anderen Bewohnern oder sonst irgendwas?«
Brasch schüttelte den Kopf, wischte sich die Lippen mit einer Serviette und sagte: »Nichts dergleichen. Ich habe mit der Leitung telefoniert. Die Kleine soll sehr umgänglich gewesen sein. Hatte mit niemandem Stress.«
»Wissen die im Flüchtlingsheim, wo ihre Eltern sind?«
»Beide tot«, erwiderte Brasch. »Auch der Rest ihrer Familie. Umgekommen bei der Bombardierung ihres Dorfes. Nesrin war Waise.«
»Nenn sie nicht beim Vornamen.«
Brasch warf die Serviette auf den Tisch. »Ist nur so, dass mir die Sache gewaltig stinkt.«
»Geht mir auch so.« Stammer rieb sich die Schläfen.
»Wenn ich mir vorstelle, was das wohl für eine Kindheit war«, fuhr Brasch fort. »Was sie erlebt hat.«
»Ja.«
»Und dann kommt sie hier her und stirbt auf diese Weise. Vor ihrem achtzehnten Geburtstag.«
Stammer schob den Ärmel sein Sakkos zurück und warf einen Blick auf die Uhr.
»Kurz vor vier«, sagte er. »Lass uns gehen.«

»Bitte setzen Sie sich, ich bin gleich wieder da«, sagte Pierre Scarron zu den beiden Ermittlern. Stammer fasste ihn scharf ins Auge. Der Mann ging auf die fünfzig zu, wirkte aber erstaunlich fit. Ein Blick auf die Unterarme des Aikido-Meisters und man wusste, dass man sich besser nicht mit ihm anlegte. War das der Killer, den sie suchten?
Von der Tee-Ecke aus konnte man das Training auf den Matten des zentralen Übungsraums verfolgen. Scarron, der einen weißen Judoanzug mit schwarzem Hakama trug, stand bei seinen Schülern und erteilte einige Anweisungen.
Stammer hatte sich die Schule anders vorgestellt, mehr wie ein Gym, in dem Leute schreiend Kicks und Schläge austeilten. In diesen Räumlichkeiten hingegen herrschte eine ungewöhnlich friedliche Atmosphäre. Es war ein Ort konzentrierter Übung. Die Bewegungen der Schüler waren sanft und gleichmäßig.
»Bitte entschuldigen Sie«, sagte Scarron, als er sich zu Brasch und Stammer an den Tisch setzte. »Im nächsten Monat stehen die Prüfungen an. Es gibt noch viel zu tun.«
»Wir haben ein paar Fragen zu einer jungen Frau, die gestern bei Ihnen ein Probetraining machen wollte«, begann Brasch.
Scarron nickte. »Ich weiß, wen Sie meinen.«
»Ihr Name ist Nesrin Rahmani.«
»Ja.«
»Dann war sie hier?«
»Stimmt. Sie hat das Probetraining absolviert.«
Stammer beobachtete Scarron mit wachsendem Interesse. Anders als die meisten Menschen, die von einem Beamten der Kriminalpolizei befragt wurden, zeigte der Mann keinerlei Nervosität. Er wirkte entspannt und aufgeräumt, als er berichtete, wie ihn ein paar Tage zuvor eine Sozialarbeiterin kontaktiert und den Trainingstermin für Nesrin vereinbart hatte.
»Wie sollte das mit der Bezahlung des Trainings laufen?«, fragte Brasch. »Ich meine, Sie betreiben hier eine kommerzielle Schule. Die kleine Rahmani war mittellos.«
Stammer registrierte, wie sich Scarrons Augen verengten. Offenbar hatte er Braschs Patzer bemerkt.
»Eine Probetraining ist für beide Seiten unverbindlich. Ich erlebe ständig, dass Leute einmal beim Training mitmachen und sich dann nie wieder blicken lassen.«
»Und trotzdem haben Sie sicher Optionen besprochen«, beharrte Brasch. »Möglichkeiten einer dauerhaften Trainingsteilnahme.«
»Ich sagte der Betreuerin, dass ich auf die Schulgebühren verzichten würde, wenn Nesrin genug Geld für Trainingskleidung und Ausrüstung zusammenbekäme.«
»Und?«
»Die Betreuerin sagte mir, dass es dafür einen öffentlichen Topf gäbe, und sie würde es hinbekommen.«
Brasch hatte einen Notizblock aus seiner Manteltasche gezogen und kritzelte nun mit einem Bleistift darin herum.
Stammer machte eine Handbewegung zu den Trainierenden hin, die jetzt auf den Matten verschiedene Griff- und Wurftechniken übten.
»Das sieht alles sehr elegant aus«, sagte er. »Funktionieren diese Techniken auch in der Wirklichkeit?«
Scarrons Blick folgte der Geste. Er beobachtete seine Schüler ein paar Augenblicke lang und lächelte dann. »Ich fürchte nicht, so wie sie es jetzt machen.«
Dann sah er wieder zu Stammer. »Aber ich weiß, wie Sie es meinen.«
»Ja, ich frage mich einfach, ob sich das für Menschen eignet, die in einem gefährlichen Umfeld leben.«
»Die Kunst der Selbstverteidigung steht beim Aikido nicht im Vordergrund, zumindest nicht in dem Sinne, wie Sie es sich wahrscheinlich vorstellen.«
Stammer hob die Augenbrauen. »Und das bedeutet?«
»Aikido ist ein Lebensweg«, erwiderte Scarron. »Ich denke, dass wir uns vor unserem Stolz, vor unserer Ungeduld und Gier mehr in Acht nehmen müssen als vor anderen Menschen.«
Stammer und Brasch wechselten einen Blick.
»Was ist mit ihr passiert?«, fragte Scarron. »Mit Nesrin.«
Stammer sah ihn nachdenklich an. Dann sagte er: »Wir haben sie heute morgen drüben im Stettiner Park gefunden. Sie wurde ermordet.«
Einige Momente des Schweigens vergingen. Vom Trainingsraum her waren die Aikidoka zu hören. Das Rascheln ihrer Anzüge mischte sich mit einem dumpfen Knallen, wenn sie sich gegenseitig auf die Matten warfen.
»Das scheint Sie nicht sehr zu beeindrucken«, sagte Brasch schließlich.
»Da täuschen Sie sich«, antwortete Scarron. »Aber leider ist Gewalt nichts Neues für mich. Ich bin in den Pariser Banlieues aufgewachsen.«
Stammer wurde nicht schlau aus dem Mann. Er konnte ihn einfach nicht lesen.
»Wie wirkte sie auf Sie?«, fragte Brasch. »Ich nehme an, Sie beobachten eine neue Schülerin sehr genau. Glauben Sie, dass sie in Schwierigkeiten steckte?«
»Auf mich machte sie nicht den Eindruck, dass sie Angst hatte, wenn Sie darauf hinaus wollen.« Scarron überlegte einen Moment lang. »Sie war sehr aufmerksam«, fuhr er fort, »machte ihre Sache gut. Sie wollte wieder kommen.«
»Wann hat sie die Schule verlassen?«, fragte Stammer.
»Das war gegen halb neun. Wir standen hier noch kurz an der Tür und haben gesprochen.«
»Erinnern Sie sich an ihre Kleidung, also Mantel oder Jacke, Hose und so weiter?«
»Ja. Sie trug Sneaker, Jeans und einen schwarzen Hoodie.«
»Keine Jacke? Oder einen Mantel?«, fragte Stammer nach.
»Nein, sicher nicht.«
Brasch blätterte eine Seite seines Notizbuches um. »Dieser Kapuzenpulli«, sagte er. »Hatte der irgendeinen Aufdruck?«
»Ja«, sagte Scarron, und Stammer sah, wie sich seine Züge verfinsterten. »I love Berlin, mit rotem Herz.«

Wallack setzte den Blinker und bog in einen Waldweg ab, der nordwestlich des Werbellinsees mehrere Kilometer tief in die Eichheide führte. Das Licht der Schweinwerfer schnitt durch die Dunkelheit, und es war, als rückten die Stämme der Eichen, Buchen und Fichten eng an den Lieferwagen heran.
»Scheiße, ist das finster«, sagte Wallack und schaltete einen Gang runter.
»Ich kapier immer noch nicht, wieso ihr die Nutte in dem verdammten Park rausgeschmissen habt«, sagte Rasske. Er drehte sich auf dem Beifahrersitz nach hinten und warf Müller einen zornigen Blick zu.
Müller, der am Boden des Lieferwagens hockte und sich an einem Griff an der Wand festhielt, zuckte die Schultern. »Wie gesagt, Katz ist durchgedreht.«
»Genau«, sagte Rasske verächtlich. »Und ihr habt ihm dabei zugesehen.«
»Er wollte sie sofort loswerden«, sagte Wallack. »Dachte wohl, dass er die Bullen mit dem Spruch auf die falsche Spur schickt.«
»Spruch?«
»Naja, wegen Asylantenhure und so«, rief Müller von hinten.
Rasske rieb sich die Stirn. »War ja ein genialer Einfall.«
Wallack hob die gewaltigen Schultern, während er nach vorn durch die Frontscheibe starrte. »Ehrlich gesagt, habe ich kaum noch was mitbekommen.«
Die Typen waren kreuzblöde. Der Grund, weshalb sie bislang nicht aufgeflogen waren, bestand darin, dass sie unnötiges Aufsehen vermieden hatten. Im Vorjahr wurden deutschlandweit etwa achttausend minderjährige Flüchtlinge als vermisst gemeldet. In diesem Jahr mochten es noch einmal deutlich mehr gewesen sein. Entscheidend war, dass die Bullen dieses massenweise Verschwinden nicht in den Griff kriegen konnten. Und mal ehrlich: Wen juckte das Schicksal, irgendeiner vierzehnjährigen Fatima, die hier keine Verwandten hatte? Niemanden interessierte so eine Asylantenfotze, vorausgesetzt, man übertrieb es nicht. Vorausgesetzt, man prügelte, fickte und würgte sie nicht zu Tode. Vorausgesetzt, man kippte sie nicht mit Blut, Pisse und Wichse beschmiert in einem Berliner Volkspark auf die Wiese.
»Ich hab den Tschechen nur 'ne SMS geschickt, dass die Nutte hin is, und sie nicht kommen sollen«, sagte Wallack.
Rasske atmete tief durch. Sicher wusste Stráský auch bereits, wie sich die Idioten ihrer Leiche entledigt hatten. Und falls nicht, würde es kaum lange dauern, bis er davon Wind bekam. Und dann ...
»Okay, halte da vorn.«
Nach dem Wallack den Motor abgestellt hatte, umgab sie abendliche Stille. Im Scheinwerferlicht des Vans glitzerte der Spiegel eines pechschwarzen Weihers.
»Mach das Licht aus«, sagte Rasske.
Müller ließ ein kehliges Lachen hören, als er die Kette durch den Hohlblockstein zog. »Direkt traditionell, die Bestattung.«
Rasske stand am Ufer des kleinen Waldsees, zog ein Päckchen Gauloises aus der Jacke und beobachtete, wie Müller und Wallack den Leichnam samt Stein ins Wasser trugen.
»Noch weiter rein«, sagte er und steckte sich eine Zigarette an. »Bis zur Steilkante. Dort, wo es richtig tief wird.«
Dann lauschten sie dem Geräusch zerplatzender Luftblasen, und die Sache war erledigt.

»An die beiden Fotos vom Dalai Lama im Vorraum kann ich mich gar nicht erinnern«, sagte Stammer und nahm Platz.
Maribel Fabra setzte sich lächelnd ihm gegenüber in ihren Sessel. »Klarer Fall von selektiver Wahrnehmung«, sagte sie. »Die Fotos hingen schon immer da.«
»Sind Sie gläubige Buddhistin?«
Fabra lachte, und Stammer betrachtete ihre schönen Zähne und die Grübchen auf ihren Wangen.
»Ja, das ist eine erstaunlich schwierige Frage.«
»Tatsächlich?«
»Sagen wir es so: Ich glaube an die buddhistische Psychologie.«
Stammer nickte, obwohl er nur raten konnte, was das bedeuten mochte. Die Sitzungen mit der Psychotherapeutin waren Qual und Wohltat zugleich. Natürlich erleichterte es ihn, über seine schwierige Arbeit zu sprechen, über all das Elend, das ihm der Beruf des Mordermittlers Tag für Tag vor Augen führte. Andererseits beschränkte sich Fabra nicht auf den Job eines Heulkissens, sondern fragte nach, forschte und kundschaftete ihn aus. Mit ihrer sanften, aber beharrlichen Art der Gesprächsführung schob sie sich in jeder Sitzung ein wenig tiefer in seine Seele, um ... Ja, weshalb eigentlich?
»Ich habe von der Toten im Stettiner Park gehört«, sagte sie und schlug die Beine übereinander.
Stammer nickte. Klar, dass der Fall innerhalb weniger Stunden im Kommissariat die Runde gemacht hatte. Und hier saßen eine Menge Cops auf der Couch.
»Eine üble Sache«, sagte er. »Junge Frau aus Afghanistan, naja, eigentlich noch ein Mädchen.«
»Wie stark belastet Sie der Fall?«
»Sie kommen heute aber schnell zum Punkt, Maribel.«
Fabra lächelte kurz und sah ihn dann wieder ernst an. In ihrem Blick lag keinerlei Schärfe oder Härte, aber es fühlte sich an, als ob sie ihm direkt hinter die Stirn schaute, direkt ins Hirn - eine Empfindung, die ebenso unangenehm wie erregend war.
»Der Tod des Mädchens geht mir an die Nieren«, sagte Stammer. »Genauer gesagt, wie die Kleine den Tod fand. Wir glauben, dass sie von drei oder vier Männern stundenlang vergewaltigt und gefoltert wurde.« Und wie immer, wenn er hier war, führten ihn die frustrierenden Erlebnisse, die er tagtäglich als Polizist machte, zu grundsätzlichen Überlegungen. Wie konnte man den Glauben an die Welt, an die Menschen, an diese Stadt aufrechterhalten, wenn der Blick hinter die Kulissen doch zeigte, dass überall Gier, Dummheit und Brutalität herrschten?
Stammer sprach davon, wie sehr es ihn anödete, Verwalter all des Wahnsinns zu sein, nicht mehr als ein Beamter, der Verbrechen untersuchte und Kriminelle hinter Gitter brachte, die doch nur Platz machten, für die nächste Generation von Halsabschneidern und Kinderfickern.
»Maribel, Sie werden mir dabei nicht helfen können, fürchte ich.«
»Nein?«
»Tja, sehen Sie, all das steckt im Menschen«, sagte Stammer mit einer Stimme, die die Endgültigkeit der Feststellung unterstrich. »Das sind wir. Ich sehe diese Stadt bei Nacht. Ich sehe, was sich die Menschen gegenseitig antun, wenn sie die Chance dazu haben.«
Fabra nickte. Sie schaute ihn an, als erwartete sie irgendeine weitere Erklärung.
Stammer hob die Schultern. »Das ist der Mensch. Doch die meisten Leute sehen es einfach nicht. Ich meine, Ihnen muss ich das nicht erzählen. Sie kennen sicher eine Menge Beispiele.«
Fabra schien nachzudenken.
»Sehen Sie das anders?«, hakte Stammer nach.
»Ich versuche, beide Seiten zu sehen«, erwiderte sie. »Sie beschreiben da ein Bild, das sich aus den Erfahrungen Ihres Berufes ergibt.«
Stammer nickte.
»Dieses Bild ist die eine Seite«, fuhr Fabra fort. »Doch es gibt noch die andere.«
»Nämlich?«
»Das sind Sie als derjenige, der dieses Bild sieht.«
Stammer hob die Augenbrauen. »Und?«
»Sie sehen diese Welt bei Nacht, wie Sie sagten. Und Ihre Beobachtungen sind ganz sicher korrekt. Aber ist es andersherum nicht ebenso wahr?«
»Was meinen Sie?«
Fabra sah ihn mit ihren sanften, dunklen Augen an und sagte: »Ich erlebe hier jeden Tag, dass Menschen etwas über sich selbst lernen. Dass sie etwas verstehen. Ich sehe Tränen. Ich sehe manchmal, dass Menschen voller Scham und Reue auf ihre eigenen Handlungen zurückblicken.«
Stammer winkte ab. »Klar, irgendwann heulen sie.«
Er sah, wie Fabra blinzelte und sich in ihrem Sessel ein wenig nach vorn beugte.
»Manchmal ist da sogar so viel Scham«, sagte sie, »dass Menschen damit beginnen, ihr ganzes Weltbild zu verändern.«
»Trotzdem, im Kern ändern sich Menschen nicht«, beharrte Stammer.
Die Psychologin betrachtete ihn einen Moment lang nachdenklich und sagte dann: »Christian, was glauben Sie, weshalb sind Sie hier bei mir?«
»Naja, ich denke, es ist kein Geheimnis, dass ich deprimiert bin«, erwiderte Stammer. »All der Stress und der ganze Mist, den ich jeden Tag sehe. Ich denke, es ist so etwas wie ein Burnout.«
In diesem Moment spürte Stammer, wie ihm etwas die Luft abdrückte. Es war, als presste ein eiserner Ring seinen Brustkorb zusammen. Das Gesicht der Psychologin war auf einmal sehr nahe, doch ihre Stimme kam aus weiter Ferne. »Christian, konzentrieren Sie sich. Sie sind hier bei mir, weil wir über das sprechen müssen, was vor zwei Monaten in diesem Lagerhaus am Nordhafen passiert ist.«
»Hm?«
»Sie haben im Dienst einen Mann erschossen, Christian. Erinnern Sie sich nicht daran?«

»Was soll das heißen, suspendiert?«
»Scheiße, Brasch. Suspendiert heißt suspendiert.«
Die Reklamelichter der Friedrichstraße glitten sanft dahin. Stammer ließ das Fenster der Fahrerseite herunter und sog gierig die feuchte Nachtluft ein.
»Aber wieso, verdammt noch mal?« Braschs Stimme im Lautsprecher klang heiser.
»Ich ... ich hatte einen kleinen Aussetzer bei Fabra.«
»Bei der Polizeipsychologin?«
»Ja.«
»Was ist passiert?« Passiert war, dass Stammer einen tödlichen Schuss auf den zwanzigjährigen Mehmet vergessen hatte. Vergessen, verdrängt, verleugnet. Die Neun-Millimeter-Kugel für den Meth-Dealer mit einer Knarre, die sich als Gaspistole herausstellte. Das zerschossene Gesicht eines jungen Mannes, der nicht mal eine Vorstrafe besaß. Das Blut, das sich schwarz und sämig auf dem Betonboden der Lagerhalle ausbreitete.
Im Lautsprecher knackte es. »War es wegen der Geschichte am Nordhafen?«
Stammer schluckte. »Ja.«
»Scheiße, das kann sie doch nicht machen.«
»Kann sie«, gab Stammer zurück. »Ist sogar ihre Pflicht. Ich bin raus. Minimum sechs Wochen.«
»Okay.«
Stammers Hand ging zum Schaltpult.
»Wir kriegen die Schweine, Christian. Ich halte dich auf dem Lauf...«

Es war merkwürdig, aber Katz fehlte ihm. Nicht, dass er seine Persönlichkeit vermisst hätte. Aber der leere Stuhl nervte ihn so sehr, dass Rasske mitten im Pokerspiel aufsprang und ihm einen Tritt verpasste. Müller und Wallack beobachteten ihn schweigend.
»Ihr hättet euch niemals auf diesen Blitzdeal einlassen dürfen.«
Müller nahm einen Schluck aus seiner Flasche. »Der Anruf kam so gegen drei. Wir dachten, das wäre ne glatte Sache.«
»Stockbesoffen wart ihr!«
»Is vorbei, Tom. Lass gut sein«, sagte Wallack und steckte sich eine Zigarette an.
Rasske wollte gerade etwas darauf erwidern, als die Tür aufgestoßen wurde. Noch bevor einer der Drei eine Waffe ergreifen konnte, waren sieben oder acht Männer in die Hütte gestürmt. Ihre Schläger rauschten durch die Luft, und das Geräusch brechender Knochen erfüllte den Raum.
Während der Boden auf ihn zu kippte, sah Rasske, wie Wallack in die Knie ging, die Arme schützend erhoben, obwohl sein Gesicht nur noch ein schwarzer Klumpen war.
Rasske kroch in seinem Blut über die Dielen, vorbei an Müller, der an die Wand der Hütte gelehnt mit ausgestreckten Beinen da saß, als schaute er der Szene aus dem Innern seines zertrümmerten Schädels zu.
Rasske spürte, wie ihn eine Hand packte und zur Tür schleifte. Jemand drehte ihn auf den Rücken. Er fühlte das harte Holz der Türschwelle im Genick, und als sein Hinterkopf nach unten kippte, sah er die Sterne am wolkenfreien Himmel. Die Männer verließen die Hütte ohne Eile. Einer von ihnen wandte sich um und spuckte ihm ins Gesicht. Rasske betrachtete einen Moment lang die Profilsohle des Stiefels, der über ihm schwebte. Dann verschluckte ihn die Nacht.

 

Hallo Goldene Dame, vielen Dank fürs Lesen und Deinen Kommentar.

...ich kann das sehr gut verstehen, die ständige Konfrontation mit Gewalt erfordert ein Sich abgrenzen können. Ich könnte auch nicht mein Leben lang Tote betrachten müssen

Ich kenne nur wenige Leute, die es schaffen, ihre Arbeit bei Dienstschluss abzuhaken. Die meisten nehmen sie mit nach Hause, und das ist natürlich, denke ich. Dass gerade die vermeintlich strahlenden Helden in Wirklichkeit ein ziemlich kaputtes Seelenleben haben, ist in den letzten Jahrzehnten im Krimi- und Ermittlergenre immer häufiger aufs Tapet gekommen. Mittlerweile ist der alkoholkranke, unter der Scheidung von seiner Frau leidende Detective geradezu ein Genre-Archetypus.

Es scheint mir trotzdem ein treffendes Bild zu sein, bedenkt man die Arbeitsverhältnisse von Mordermittlern, das, was sie zu sehen bekommen. Ich frage mich auch manchmal, was es aus einem Menschen macht, der berufsbedingt so häufig hinter die bürgerliche Fassade von Leuten schaut, die auf den ersten Blick ganz normal wirken, sich dann aber als Mörder und Vergewaltiger entpuppen.

Ich denke, das wird das Menschenbild eines solchen Ermittlers aushöhlen. Darum ging es mit auch in dieser Geschichte und im Titel.

Vielen Dank für Deine vielen Hinweise. Die eine oder andere Formulierung wird noch rausfliegen bzw. verbessert werden.

Tja, und was die Frage des Umgangs mit all den dunklen Seiten des Menschen betrifft, da bin ich ebenso hin- und hergerissen wie Du. Einerseits provoziert Mordlust und Brutalität in uns die Rachlust. Wir wollen den Täter über die Klinge springen lassen. Andererseits ist das Böse aber eben auch ein sehr alter Teil des menschlichen Erbes: Eines der aggressivsten hochentwickelten Säugetiere, der Schimpanse, ist unser direkter Verwandter im Tierreich. Für mich ist die Frage nach der dunklen Seite des Menschen auch immer eine Frage nach dem menschlichen Ursprung.

Vielen Dank, Goldene Dame, für Deine Zeit!

Gruß Achillus


Hey Holg, danke für Deinen weiteren Kommentar. Dass eine Hauptfigur der Geschichte vor dem Ende suspendiert wird, ist sicher ungewöhnlich. Aber wenn man den Fall des toten Mädchens einfach als Scharnier zwischen zwei parallelen Erzählungen begreift, die einerseits Stammer und seinen Kollaps beschreiben und andererseits die letzten Stunden im Leben von Rasske, macht das alles schon seinen Sinn, finde ich.

Es gab außer Dir noch andere Stimmen, die meinten, man könnte diesen Kollaps von Stammer nicht so richtig nachvollziehen, der käme zu unvermittelt. Ebenso, wie der finale Überfall auf Rasske. Ich verstehe das. Beim Überarbeiten werde ich diese Aspekte ein wenig genauer herausarbeiten. Vielleicht ist das dann auch für Dich akzeptabel. Aber, dass Stammer aus dem Fall rausfliegt, ohne dort zu einem Ergebnis zu gelangen, finde ich nach wie vor eine konsequente Aussage: Viele unserer Handlungen verlaufen im Sand, und oft zeigt sich, dass wir das momentane Thema unseres Lebens in der falschen Richtung vermuten, dass in Wirklichkeit gerade etwas ganz anderes passiert.

Vielen Dank für Deine Zeit und Deine Gedanken, Holg!

Gruß Achillus

 

Hallo Achillus,

schon (d)“Ein normaler Fall“ hat mir gut gefallen, nun endlich ein neuer Krimi von dir :read:

Mit deinen Kenntnissen bzgl. Kriminalistik usw. hast du mir ja auch schon bei meiner Geschichte ausgeholfen. Hier sehe ich, dass du dich auch mit „Pfeil und Bogen“ auskennst.
Leider ist aber das, ich meine den Absatz mit der Jagd, eine Stelle die zu sehr herausragt, nicht richtig in den Flow passen will. Als hättest du deine eigene Jagderfahrung verewigen wollen. Ist mir nur so aufgefallen. :Pfeif:

Textliches:

die polizeilichen Absperrungen am Stettiner Park erreichte, packte ihn jenes Gefühl der Erschöpfung und Niedergeschlagenheit, das er in seinen Sitzungen als Tatortdepression bezeichnet hatte. Stammer hörte das im Morgenwind flatternde Absperrband,
Arbeitslampen … Arbeitsleuchten
Die Doppelungen Absperr- und Absperr- sowie Arbeits- und Arbeits- ließen sich bestimmt vermeiden.

Die Beiden wechselten einen bedeutungsvollen Blick.
Die beiden

Wurde kurz nach fünf gefunden
Wer hat sie denn gefunden?
Warum wird das erst im dritten Absatz/Teil erwähnt? Ich habe damit gerechnet (Klischee?), dass das gefragt wird.

»Hier hinten, an den Beinen, vermischt mit all dem Blut, das ist Kot.«
»Ich verstehe.«
»Der Abgang von Urin und Kot ist typisch bei vielen Strangulationsarten.«
„Ich verstehe“: Wenn es er doch versteht, warum wird es dann erklärt?

Christian Stammer
Tüt-tüt-tüt!!! Verwechslungsgefahr mit Christian Thanner, dem Partner von Schimanski

Und so verkommen und unfähig der ganze Staatsapparat dieses Landes auch war, jetzt konnte die Sache gefährlich werden.
Würde einen Bindestrich verwenden:
Und so verkommen und unfähig der ganze Staatsapparat dieses Landes auch war - jetzt konnte die Sache gefährlich werden.
Außerdem meine ich hier in diesem Sozio-Krimi die Einflüsse von Mankell zu erkennen ...

Als Stammer am vereinbarten Treffpunkt ankam, war Brasch schon vor Ort.
»Ist noch geschlossen«, sagte er und wies mit einem Nicken auf die Eingangstür der Aikido-Schule. »Das erste Training beginnt um sechzehn Uhr.«
Wieso wussten sie nicht, wann das Training beginnt? Stümperhafte Ermittler :lol:

Im Vorjahr wurden deutschlandweit etwa achttausend minderjährige Flüchtlinge als vermisst gemeldet. In diesem Jahr mochten es noch einmal deutlich mehr gewesen sein. Entscheidend war, dass die Bullen dieses massenweise Verschwinden nicht in den Griff kriegen konnten. Und mal ehrlich: Wen juckte das Schicksal, irgendeiner vierzehnjährigen Fatima, die hier keine Verwandten hatte? Niemanden interessierte so eine Asylantenfotze, vorausgesetzt man übertrieb es nicht. Vorausgesetzt, man prügelte, fickte und würgte sie nicht zu Tode. Vorausgesetzt, man kippte sie nicht mit Blut, Pisse und Wichse beschmiert in einem Berliner Volkspark auf die Wiese.
Hier höre ich zu sehr den Autoren heraus.
Außerdem wirkt das wie ein Copy and Paste (Ersetze Flüchtlinge durch Jugendliche) aus deiner o.g. Story :hmm:
Was ja nicht schlimm ist, scheint es ja ein Leitbild oder eine wiederkehrende Botschaft von dir zu sein. Du hast wenigstens eine! Eine gute!

Nach dem Wallack
Nachdem

Was haben die Gauner denn falsch gemacht dass sie von den Tschechen totgeprügelt werden?
Hier hätte ich ein wenig mehr Butter bei den Fischen erwartet.

Fand es schade, dass es so schnell/abrupt zu Ende war.
Hätte mir gewünscht, Stammers Auszeit wäre wieder vorbei und er ermittelte weiter am Fall.
Das Ende … ja. Ich will nicht sagen, dass ich es unbefriedigend halte. Schließlich wurden die Schuldigen bestraft – was will man mehr. :lol:
Stammer hat den Fall nicht lösen können (davon gehe ich jetzt mal aus), aber das wird er ja gewohnt sein.
Aber:
Das ruft nahezu nach einer Fortsetzung, in der der Fall der Tschechen hochkommt und darüber der Tod der Gauner in der Hütte aufgedeckt wird. In der nächsten Fortsetzung dann die Verbindung der Gauner zum Mord an das Mädchen. Das wäre doch was, hm? :shy:

Habe deinen Krimi sehr gerne gelesen. Liest sich flüssig. Professionell geschrieben. :thumbsup:
Eine wirkliche tolle Geschichte. Leider kam mir sonne mit der Empfehlung zuvor.
Vielen Dank für das Lesevergnügen.

Schönes Wochenende und liebe Grüße,
GoMusic

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo GoMusic, schön, dass Du reingeschaut hast.

Mit deinen Kenntnissen bzgl. Kriminalistik usw. hast du mir ja auch schon bei meiner Geschichte ausgeholfen. Hier sehe ich, dass du dich auch mit „Pfeil und Bogen“ auskennst.
Leider ist aber das, ich meine den Absatz mit der Jagd, eine Stelle die zu sehr herausragt, nicht richtig in den Flow passen will. Als hättest du deine eigene Jagderfahrung verewigen wollen. Ist mir nur so aufgefallen. :Pfeif:

Guter Hinweis. Du weißt ja selbst, dass man in der eigenen Geschichte zu tief drin steckt, um solche Details zu sehen. Ich hatte gehofft, mit der Jagd Rasskes Charakter zu zeigen. Er ist rücksichtslos, pfeift auf die Regeln. Das Jagen nur der Sache wegen kennzeichnet einen Zug seiner Persönlichkeit fand ich.

Die Doppelungen Absperr- und Absperr- sowie Arbeits- und Arbeits- ließen sich bestimmt vermeiden.

Ja, darauf hat Jimmy schon hingewiesen. Werde ich machen.

Wer hat sie denn gefunden? Warum wird das erst im dritten Absatz/Teil erwähnt? Ich habe damit gerechnet (Klischee?), dass das gefragt wird.

Der erste Abschnitt ist mir ohnehin ein bisschen zu lang und zu detailliert. Ich habe deshalb einige Infos weggelassen, die man in der Realität sicher diskutiert hätte. Beispielsweise, die Info über den Mann, der zur Straßenbahn wollte, um zu seiner Arbeit zu fahren und das Mädchen gefunden hat. Mal sehen, ob ich das wieder reinnehme.

»Hier hinten, an den Beinen, vermischt mit all dem Blut, das ist Kot.«
»Ich verstehe.«
»Der Abgang von Urin und Kot ist typisch bei vielen Strangulationsarten.« „Ich verstehe“: Wenn es er doch versteht, warum wird es dann erklärt?

Weil das »ich verstehe« sich darauf bezieht, was es ist und nicht warum es dort ist. Ich hatte mir die Leiche schmutzig, von Prellungen verfärbt, blutbeschmiert vorgestellt, so dass der Rechtsmediziner meint, Stammer auf die Kotspuren hinweisen zu müssen. In der Realität wird ein Forensiker einem Ermittler nicht erklären müssen, was bei einer Strangulation passiert. Aber dieses Wissen kann ich beim Leser nicht voraussetzen. Wenn man sich anhört, wie sich Experten unterhalten, versteht man häufig nur die Hälfte. Das ist dann in Krimidialogen ein bisschen problematisch, denn das klingt eben nie ganz echt. Aber ich weiß da keine Abhilfe.

Christian Stammer Tüt-tüt-tüt!!! Verwechslungsgefahr mit Christian Thanner, dem Partner von Schimanski

Kenne ich nur vom Hören-Sagen, weil ich nie Tatort sehe. (Ich habe vor zwei Wochen mal für zwanzig Minuten reingeschaut und war entsetzt über die miese Qualität der Dialoge. Die klingen echt immer noch so gestelzt, ausgedacht und unecht, wie in den Fernsehserien der 80iger Jahre, fand ich.)

Würde einen Bindestrich verwenden: Und so verkommen und unfähig der ganze Staatsapparat dieses Landes auch war - jetzt konnte die Sache gefährlich werden. Außerdem meine ich hier in diesem Sozio-Krimi die Einflüsse von Mankell zu erkennen ...

Danke für die Hinweise. Ja, Mankell mag ich sehr.

Im Vorjahr wurden deutschlandweit etwa achttausend minderjährige Flüchtlinge als vermisst gemeldet ... Hier höre ich zu sehr den Autoren heraus. Außerdem wirkt das wie ein Copy and Paste (Ersetze Flüchtlinge durch Jugendliche) aus deiner o.g. Story. Was ja nicht schlimm ist, scheint es ja ein Leitbild oder eine wiederkehrende Botschaft von dir zu sein. Du hast wenigstens eine! Eine gute!

Klingt vielleicht etwas zu formal. Inhaltlich war es wichtig, um zu zeigen, wie das Geschäftsmodell von Rasske und den Tschechen funktioniert. Die thematische Ähnlichkeit zur anderen Geschichte war nicht beabsichtigt. Offenbar beschäftigt mich die Sache, da haste recht.

Was haben die Gauner denn falsch gemacht dass sie von den Tschechen totgeprügelt werden?
Hier hätte ich ein wenig mehr Butter bei den Fischen erwartet.

Das stimmt. Ist zu vage. Werde ich in der Überarbeitung nachbessern. Die Tschechen handeln nach dem gleichen Prinzip wie Rasske, der erkennt, dass die Inkompetenz von Katz gefährlich ist.

Fand es schade, dass es so schnell/abrupt zu Ende war. Hätte mir gewünscht, Stammers Auszeit wäre wieder vorbei und er ermittelte weiter am Fall. Das Ende … ja. Ich will nicht sagen, dass ich es unbefriedigend halte. Schließlich wurden die Schuldigen bestraft – was will man mehr.
Hm, das Ende passt vielen nicht so ganz. Ich denke, das muss ich so hinnehmen, weil Stammers Suspendierung eben einen ungewöhnlichen Bruch erzeugt.

Das ruft nahezu nach einer Fortsetzung, in der der Fall der Tschechen hochkommt und darüber der Tod der Gauner in der Hütte aufgedeckt wird. In der nächsten Fortsetzung dann die Verbindung der Gauner zum Mord an das Mädchen. Das wäre doch was, hm?

Stimmt, das wäre was. Aber das widerspräche den Forumsregeln, denke ich, denn die Geschichten hier sollen ja in sich abgeschlossen sein und dürfen sich nicht auf andere Geschichten beziehen, wenn ich es richtig verstehe.

Habe deinen Krimi sehr gerne gelesen. Liest sich flüssig. Professionell geschrieben.
Eine wirkliche tolle Geschichte. Leider kam mir sonne mit der Empfehlung zuvor.
Vielen Dank für das Lesevergnügen.

Danke für das Lob, GoMusic und für Deine Zeit und Deine Hinweise.

Gruß Achillus

 

Hallo Achillus,

Ich habe vor zwei Wochen mal für zwanzig Minuten reingeschaut und war entsetzt über die miese Qualität der Dialoge. Die klingen echt immer noch so gestelzt, ausgedacht und unecht, wie in den Fernsehserien der 80iger Jahre, fand ich.)
Du sagst es :D

Zitat von GoMusic
Das ruft nahezu nach einer Fortsetzung, in der der Fall der Tschechen hochkommt und darüber der Tod der Gauner in der Hütte aufgedeckt wird. In der nächsten Fortsetzung dann die Verbindung der Gauner zum Mord an das Mädchen. Das wäre doch was, hm?

Du:
Stimmt, das wäre was. Aber das widerspräche den Forumsregeln, denke ich, denn die Geschichten hier sollen ja in sich abgeschlossen sein und dürfen sich nicht auf andere Geschichten beziehen, wenn ich es richtig verstehe.

Wenn du es so machst, wie hier in dieser Gescheuchte – warum nicht?
Was ich meine: Du hast ja hier auch so etwas wie eine Vorgeschichte: Die Sache im Lagerhaus am Nordhafen. Das hätte ja schon zwei Stories vorher geschehen können, die Besuche bei der Psychologin schon eine Story früher beginnen können.

Du bist ja auch ein großer Mankell-Fan. Er macht es doch ähnlich. Wallanders Geliebte aus Russland(?) taucht ja später nochmal auf. Auch werden mindestens zwei Parallelgeschichten als Fortsetzungen erzählt: Seine Tochter und sein Vater. Und trotzdem ist jede Folge alleinstehend, in sich verständlich und schlüssig.

Ich weiß, dass du das auch könntest und würde mich sehr freuen, wenn du es zum Teil einer Serie machen würdest. :thumbsup:

Schönen Tag noch.

Liebe Grüße,
GoMusic

 

Hey GoMusic!

Wenn du es so machst, wie hier in dieser Gescheuchte – warum nicht?
Was ich meine: Du hast ja hier auch so etwas wie eine Vorgeschichte: Die Sache im Lagerhaus am Nordhafen. Das hätte ja schon zwei Stories vorher geschehen können, die Besuche bei der Psychologin schon eine Story früher beginnen können.

Du bist ja auch ein großer Mankell-Fan. Er macht es doch ähnlich. Wallanders Geliebte aus Russland(?) taucht ja später nochmal auf. Auch werden mindestens zwei Parallelgeschichten als Fortsetzungen erzählt: Seine Tochter und sein Vater. Und trotzdem ist jede Folge alleinstehend, in sich verständlich und schlüssig.

Ich weiß, dass du das auch könntest und würde mich sehr freuen, wenn du es zum Teil einer Serie machen würdest.


Die Idee ist sicher verlockend. Allerdings habe ich ja schon HIER eine Serie am Laufen, und die ist im Grunde genommen noch nicht beendet. Mal sehen, worauf ich so Lust habe. In diesem Jahr gab es viele andere Sachen, um die ich mich kümmern musste. Da kam das Schreiben ohnehin etwas kurz. Ich lass es mir durch den Kopf gehen.

Vielen Dank für Deine Ideen!

Gruß Achillus

 

»Scheiße, das kann sie doch nicht machen.«
»Kann sie«, gab Stammer zurück. »Ist sogar ihre Pflicht. Ich bin raus. Minimum sechs Wochen.«
»Okay.«
Stammers Hand ging zum Schaltpult.
»Wir kriegen die Schweine, Boss. Ich halte dich auf dem Lauf...«

Wenn man gerade „Gehen, ging, gegangen“ liest und zuvor "Erschlagt die Armen!" - kann man dann noch hieran schweigend vorbeigehen,

lieber Achillus?,

selbst wenn man das Genre meidet, weil es von der Prämisse ausgeht, Verbrechen geschähen, um aufgeklärt zu werden. Wäre dem so, sie wären Hilfeschreie wie die Vorankündigung eines Suicidgefährdeten. Aber dann die Überraschung durch einen Beamten, der an seinem Tun und Lassen zweifelt, gar zu zerbrechen droht und hirnrissige Gegner, die meinen

..., mit einer Waffe, die man frei im Sportfachhandel oder im Internet erwerben konnte. Das bewies so einiges: Jeder hatte die Freiheit, alles zu tun. Jeder hatte die Möglichkeit, zu nehmen, was benötigt wurde. Vorausgesetzt, man ließ sich nicht die Birne weichquatschen, von diesen Kanaillen, die meinten, das Sagen zu haben.
Die der Erde abgewandte Seite des Mondes.

Haha, da kennt aber der Schweden-Krimiverehrer (GoMusic?)kein Pardon - weil er nicht den Knäckebrotkrimi kennt und Schweden bereits auf der Roten Liste der bedrohten Arten steht.

Keine Frage, die Empfehlung ist berechtigt, aber die Herzchen ganz oben - große Güte, ein unpassenderes Symbol gibt's wohl nicht für Ziggas und für diese Empfehlung!

Das bei 15 Seiten Manuskript Sitzfleisch und anhaltende Konzentration nebst Kondition notwendig sind, steht ja auch außer Zweifel sind. Darum letzte Flusen vorletzter Hand wahrscheinlich -

in der Reihendfolge ihres Auftritts:

..., packte ihn jenes Gefühl der Erschöpfung und Niedergeschlagenheit, das er in seinen Sitzungen als Tatortdepression bezeichnet hatte.
Schöne Zusammenfügung „Tatortdepression“, muss man vor der sonntäglichen Glotze einpflegen … Aber wird die von Herrn Stammer nicht mehr verwendet?

»Morgen, Boss.« Man konnte Brasch und Reckling ansehen, dass es kein guter Morgen werden würde.
Warum das gedoppelte werden in Präsens und Konjunktiv, wo doch der Konj. I „dass es kein guter Morgen werde“ genügte?

»Die Jungs von der Spusi sind gleich so[...]weit.«
»Also, gegen [v]ier.«
„Gegen vier immer klein, da eigentlich immer ein Attribut, in dem Fall zu „Uhr“
..., die von der Straße aus dicht an den toten Körper heran führten.
Heranführen ein Wort

So[...]viel Spaß hatten sie alle zusammen lange nicht mehr gehabt.
Soviel ich weiß, ist hier „so viel“ eine unbestimmte Mengenangabe und keine Konjunktion wie hierselbst am Anfang des Satzes.

… Permanentmarker mit wasser-[...]und abriebbeständiger Tinte.
Erkenn ich immer schlechter, dass an solchen Stellen ein Leerzeichen fehlt. Hier hat's aber geklappt (geprüft, bestätigt und jetzt bekanntgegeben)
..., zu ihren Eltern zurück zu bringen, saß der früh gealterte Mann nun auf der Bank ...
zurückzubringen

»Gut so[...]weit. Pisst uns nicht aufs Beet.
Soweit ich das sehe ... auseinander, analog des so viel weiter oben, jetzt aber ...
Fast vergessen, ein Komma ist da noch zwischenzusetzen, nicht nur weil's die Umkehrung des "so wweit, so gut ist.

Der Mann ging auf die Fünfzig zu, …
Wie weiter mit der Uhrzeit, fünfzig klein, denn eigentlich „auf die fünfzig Jahre zu“

»Ich denke, dass wir uns vor unserem Stolz, vor unserer Ungeduld und Gier mehr in Acht nehmen müssen[...] als vor anderen Menschen.«
Komma muss weg, weil tatsächlich nur ein Vergleich

»Das war gegen halb [n]eun.
Jetzt wirds langweilig. Siehe weiter oben!

Niemanden interessierte so eine Asylantenfotze, vorausgesetzt[,] man übertrieb es nicht.
Beim zwoten Versuch klappt‘s doch!
Vorausgesetzt, man prügelte, fickte und würgte sie nicht zu Tode.

»Der Anruf kam so gegen [d]rei.
Du weißt schon ...

und damit Gratulation und bis demnächst!

Friedel

 

Hallo Friedel,

vielen Dank für Deine Hinweise und Korrekturen. Ich habe die meisten Hinweise gleich umgesetzt. Ein paar Punkte muss ich noch sacken lassen. Beispielsweise:

Man konnte Brasch und Reckling ansehen, dass es kein guter Morgen werden würde. Oder:
Man konnte Brasch und Reckling ansehen, dass es kein guter Morgen werde.

Mal rein vom Wortklang her empfinde ich die zweite Variante zwar als eleganter, aber trotzdem auch ein wenig überzogen. Ein bisschen zu gewählt.

Ja, und Du hast natürlich recht, von Tatortdepression spricht Stammer dann im Text gar nicht mehr. Anfangs war es so gedacht, dass ihm nur diese Situationen, die Tatorte und Leichenfunde an die Nieren gehen, er aber bei den Ermittlungen gut funktioniert. Während des Schreibens stellte sich dann aber heraus, dass Stammer seine Depression an den Tatorten bzw. Fundorten besonders intensiv spürt, aber auch sonst schwer angeschlagen ist.

Noch kurz zu Shumona Sinha, deren Roman ja auch von Gewalt im Kontext von Migranten handelt: Mich fasziniert, wie schnell andere Menschen zur Projektionsfläche von Schwierigkeiten werden, die wir mit unserem eigenen Leben haben. Der Versuch, die Gewalt gegen andere durch Rationalisierungen zu rechtfertigen, wie z.B. dass man uns die Arbeit wegnimmt, unsere Städte unsicher macht, unsere Regeln und Sitten verletzt – das alles wirft die Frage danach auf, was denn nationale Identität überhaupt sein soll.

Davon abgesehen hänge ich der ganz und gar unpopulären Ansicht an, dass die Europäer mit dieser Krise nur das bekommen, was sie selbst angezettelt haben. Man kann nicht ernsthaft glauben, eine jahrhundertelange koloniale Ausbeutung plus nachfolgende jahrzehntelange Destabilisierung und Ressourcenplünderung würde langfristig ohne Konsequenzen bleiben. Irgendwie scheint das Sehen historischer Kontexte unmodern geworden zu sein. Aber vielleicht bin ich da schief gewickelt.

Herzlichen Dank, Friedel!

Gruß Achillus

 

Ein paar Punkte muss ich noch sacken lassen. Beispielsweise:

Man konnte Brasch und Reckling ansehen, dass es kein guter Morgen werden würde. Oder:
Man konnte Brasch und Reckling ansehen, dass es kein guter Morgen werde.

Selbst der frühe Vormittag ist dem frühen Morgen noch Zukunftsmusik (wenn auch näher als das Abend(b)rot,

lieber Achillus,

dass vom Futur bis Konjunktiv alles drin ist, selbst das (historische) Präsens, dass es kein guter Morgen wird/werde/würde. Selbst der morgendliche Gruß ließe sich verwenden, wenn man jemanden ansieht, dass das Adjektiv nicht stimmen wird im "guten Morgen!" Aber da gehört dann schon eine Portion Selbstironie dazu, die auch ein Mittel der Selbstverteidigung sein kann - und sei's vor dem eigenen Job.

Tschüss

Friedel

 

Hallo Achillus

Ich habe deine Geschichte schon vor einigen Tagen gelesen, bin aber nicht zum Kommentieren gekommen. Jetzt sehe ich, du hast gestern einige Änderungen vorgenommen - ich hab das nicht mehr mit der Version abgeglichen, die ich gelesen habe.

Einerlei, meine Hauptkritikpunkte wurden schon genannt. Mir kam die Geschichte mit Mehmet und der Suspendierung zu sehr aus dem Nichts, ebenso der Überfall der Tschechen. Das fand ich beides nicht gut vorbereitet und zu abrupt, aber ich will da gar nicht länger drauf rumreiten, weil es ja schon genannt wurde und du was dazu geschrieben hast.

Der Hauptgrund, der eigentliche Grund, warum ich überhaupt kommentiere, ist, weil ich dir ein großes Kompliment machen möchte. Die Geschichte ist toll erzählt, das fand ich eine sehr kurzweilige Unterhaltung, und trotz der Länge fand ich es schade, als die Geschichte zu Ende war. Ganz ehrlich, auf dem Niveau könnte ich einen ganzen Roman verschlingen. Tolle Sprache, sehr gut dosierte und abwechslungsreich eingestreute Hintergrundinformationen (was Recherche angeht bist du eh top), spannende und authentische Figuren ... ja. Das ist wirklich gut, und das wollte ich dir gerne sagen. Jemand hatte es in den Kommentaren schon erwähnt, ich finde auch gegenüber deinen ersten Geschichten, die du hier eingestellt hast, hast du dich merklich weiterentwickelt.

Zum Ende: Ich gehöre auch zu denen, die nicht ganz glücklich damit sind. Ich hab kein Problem damit, wenn die Erwartung des Lesers nicht erfüllt wird (vielleicht kennst du Dürrenmatt "Das Versprechen", der hatte da am Ende auch einen Twist, der den Regeln des traditionellen Krimis widersprochen hat), aber vor allem die Sache mit den Tschechen wirkt einfach unausgereift auf mich. Da hätte ich mir mehr Hintergrundinformationen gewünscht, mir war auch das Motiv der Tschechen nicht klar und die Beziehung zu Rasskes Gruppe. Wenn sie (die Tschechen) nicht wollen, dass die Polizei auf sie aufmerksam wird, warum töten sie dann eine ganze Gruppe? Ich hätte mir hier zum Beispiel auch ein Ende vorstellen können, bei dem die "Bösen" eben nicht bestraft werden, sondern davonkommen.

Zu Stammer: Die Geschichte mit dem erschossenen Dealer kommt auch sehr plötzlich. Die einzige Andeutung, die mir im Nachhinein einfällt, ist der Hinweis auf den Termin seitens seines Chefs. Aber sonst war da glaub nicht viel - oder ich hab es überlesen, und mir würde es beim zweiten Lesen eher auffallen. Hier hätte ich mir vielleicht noch die eine oder andere Andeutung mehr gewünscht, sodass man am Ende als Leser denkt - ach das war es, was den Stammer die ganze Zeit so fertig gemacht hat. Dass er einen solchen Vorfall komplett verdrängt, ist schon harte Kost, und lange wirkt er halt wie der niedergeschlagene, desillusionierte und hoffnungslose Polizist, den man auch aus anderen Krimis kennt. Dass da so viel mehr dahintersteckt, habe ich während des Lesens nicht geahnt - und ich frage mich, ob das Ende dann eine andere Wucht für mich entfaltet hätte. Ist schwierig, vielleicht hätte ich dann das Gefühl gehabt, dass es sich besser in die Geschichte einfügt. Mich hätte zum Beispiel eine Szene aus Stammers Privatleben - im Nachhinein - viel mehr interessiert als das Verhör mit dem Aikido-Meister (oder gerne auch zusätzlich).

Nichtsdestotrotz - das hat mein Lesevergnügen nicht gemindert. Wirklich tolle Geschichte, Achillus, großes Kompliment!

Grüsse,
Schwups

 

Hallo Schwups, vielen Dank für Deinen Kommentar. Ich habe mich sehr darüber gefreut. Die Änderungen von gestern betrafen erst mal nur ein paar Rechtschreib- und Kommafehler, die Friedel gefunden hatte. Die überarbeitete Version des Textes kommt demnächst. Dabei werden dann die Tötung von Mehmet und die Reaktion der Tschechen etwas genauer beleuchtet.

Der Hauptgrund, der eigentliche Grund, warum ich überhaupt kommentiere, ist, weil ich dir ein großes Kompliment machen möchte. Die Geschichte ist toll erzählt, das fand ich eine sehr kurzweilige Unterhaltung, und trotz der Länge fand ich es schade, als die Geschichte zu Ende war. Ganz ehrlich, auf dem Niveau könnte ich einen ganzen Roman verschlingen. Tolle Sprache, sehr gut dosierte und abwechslungsreich eingestreute Hintergrundinformationen (was Recherche angeht bist du eh top), spannende und authentische Figuren ... ja. Das ist wirklich gut, und das wollte ich dir gerne sagen. Jemand hatte es in den Kommentaren schon erwähnt, ich finde auch gegenüber deinen ersten Geschichten, die du hier eingestellt hast, hast du dich merklich weiterentwickelt.

Das höre ich gern. Vielen Dank für Lob und Kompliment. Eine wichtige Inspiration in meinem Lernprozess war das Forum, nicht nur hinsichtlich der Kommentare für meine eigenen Geschichten, sondern auch, was die Auseinandersetzung mit Literatur überhaupt betrifft. Ich konnte und kann da sehr viel mitnehmen.

Wenn sie (die Tschechen) nicht wollen, dass die Polizei auf sie aufmerksam wird, warum töten sie dann eine ganze Gruppe?

Diese Frage habe ich mir auch gestellt. Das ist so eine grundsätzliche Geschichte: Verbrechen, um ein Verbrechen zu vertuschen. Die Mafia lässt einen Kronenzeuge erledigen und belastet sich damit aufs Neue. Ich denke, wenn man erst einmal in diesem Sumpf drin ist, geht es immer nur noch um Vorsprung. Es geht nicht mehr darum, keine Spuren zu hinterlassen, sondern nur noch darum, die dringendsten Probleme zuerst zu lösen.

Die Tschechen sehen in der Gruppe von Rasske ein solches Problem. Deshalb soll Rasske beseitigt werden. Tote Zeugen und Mittäter reden eben nicht. Wenn die Polizei auf Rasskes Spur kommt, und das werden sie früher oder später, dann endet eben dort die Fährte, so rechnen es sich die Tschechen aus.

Es gibt aber noch einen zweiten Aspekt: Die Wut über die Unfähigkeit von Rasske und seinen Leuten. Im Grunde vollziehen die Tschechen das gleiche Manöver wie Rasske es mit Katz macht: Derartiges Versagen grenzt an Verrat.

In meiner Überarbeitung werde ich diesen Aspekt noch etwas besser hervorheben.

Danke für Deine Hinweise, Schwups.

Gruß Achillus

 

Lieber Achillus,
irgendwann habe ich es nicht mehr geschafft, die Kommentare zu lesen, ich weiß also nicht, ob mein Bedenken nicht schon geäußert wurde.

Ich beziehe mich der Einfachheit halber mal auf Schwups Kommentar, weil er den Text nennt, der mir auch sofort eingefallen ist, als ich deine Geschichte las: Dürrenmatts "Das Versprechen".

Es ist nicht leicht, Texte zu schreiben, deren Thema die Sinnlosigkeit des Tuns oder der Motive der Hauptperson sind. Ich weiß noch, wie ich mal ordentlich Haue einfahren musste, als ich einen solchen Text geschrieben hatte. Gut, vielleicht hatte ich es ja auch ungeschickter gemacht als du, aber was ich auf jeden Fall festhalten will, mit solchen Enden, mit solchem Bruch zur Leseerwartung gibts immer irgendwo Ärger, der Leser fühlt sich enttäuscht, in die Irre geführt, weil man ja vom Genre einen ganz anderen Fortgang gewohnt ist.

Dürrenmatt löst es in seinem "Versprechen", wenn ich mich recht erinnere, so, dass er gleich zu Beginn sein Thema einengt in der Rahmenhandlung mit dem Doktor, Gerechtigkeit hätte im Krimi rein dramaturgische Bedeutung, käme eben nicht immer zum Zuge im wirklichen Leben, sondern der Zufall sei es, der dirigiert. Ich hab das alles nicht mehr supergenau in Erinnerung, aber ich weiß noch, dass Dürrenmatt den Mörder an einem Verkehrsunfall sterben lässt, so dass der Kommissar ihn eben nicht schnappen kann.
Obwohl Dürrenmatt das so vorbereitet, gab es bei Lesern immer wieder genügend Entrüstung, das weiß ich noch aus meinem Berufsleben.

Ich persönlich habe mit dem Erwartungsbruch kein Problem. Im Gegenteil.
Vorausschicken möcht ich noch, dass ich mit dem unmittelbaren Ende, also der Tötung von Rasske und seinen Leuten null Problem habe, ich finde auch nicht, dass du das stärker ausführen müsstest.
Ich fand das Überraschende, also dass Gerechtigkeit (auf eine sehr perfide und perverse Weise natürlich) doch "zum Zuge kommt" gerade gut.
Ich habe mit dem Bruch der Lesererwartung schon deshalb kein Problem, weil schließlich ist es ja ein neues Thema, was man am Wickel hat, eben nicht die Lösung eines Falles, sondern die Sinnlosigkeit eines Strebens, nicht das Verbrechen mit seiner Aufdeckung, sondern die Person mit ihrem Motiv und ihrem Streben. Hier in Person des Kommissars, dem der Mord an dem Mädchen nahe geht, der den Fall gelöst sehen will, aber mit ganz anderen Geistern kämpft, die er nur auf den neuen Fall überträgt. So lese ich zumindest im Ansatz.

Jetzt kommt mein Bedenken. Du schilderst die depressive Sicht des Kommissars, man kann sich sein Leid vorstellen, seine Erschöpfung spüren. Und natürlich darf man nicht erfahren, woher diese tatsächlich rühren. Soweit alles klar.
Was mir allerdings ziemlich stark fehlt, das ist eine Verzahnung zwischen seiner Situation, also dem Verdängen des Schusses auf Mehmet und dem Fall des Mädchens und Stammers Stellung dazu. Ich spüre leider nicht, dass dieser Fall eine ganz besondere Bedeutung für ihn bekommt. Ich spüre zwar, dass sein Zustand besorgniserregend ist, sogar so, dass er den Termin bei der Therapeutin wahrnehmen muss, sonst würde der Chef ihn ja nicht daran erinnern, also klar, da merke ich, es ist was im Busch. Ich spüre, dass ihm die Arbeit immer mehr zusetzt, auch bei diesem Fall. Aber, was ich auf jeden Fall auch spüren sollte bei diesem Ende und dem Thema, das du ja eigentlich am Wickel hast, das ist eine stärkere Getriebenheit - gerade bei diesem Fall. Etwas, das sein Trauma und die Art, wie er es innerpersonell bewältigt, mit der Art, wie er den Fall sehen und lösen will, verbindet.

Ich hoffe, ich hab mich ein bisschen verständlich machen können, es war nämlich so, dass ich die ganze Zeit überlegt habe, was mir da fehlt. Und das, obwohl ich ein großer Coen-Freund bin und ein Freund von Dürrenmatt sowieso.

Stammer, die Hände in den Hosentaschen, starrte auf das Mädchen hinab. Es wurde Zeit, sich einzugestehen, dass er sich verirrt hatte. Wie konnte es nur so weit kommen? Wann war er zu dem Mann geworden, der seinen Job hasste? Wann war er der Einzelgänger geworden, der seine Tage damit verbrachte, durch einen Sumpf aus Scheiße zu waten, nur um schließlich zu der Erkenntnis zu gelangen, dass die Schlechtigkeit des Menschen ein unausrottbares Übel dieser Welt darstellte?
Eine Möglichkeit wäre es, ihn denken zu lassen, dass diese Sicht sich ein klein wenig zumindest relativieren würde, wenn er diesen einen Fall wenigstens lösen könnte. Ob ihm dann vielleicht wohler wäre. Und gerade dann, wenn er denkt, das wäre es, diesen Fall MUSS er lösen, dann wird er aus dem Verkehr gezogen.
Dann kriegt das alles amS jedenfalls eine noch viel stärkere Wucht.

Nicht vergessen wollte ich aber auch, dir zu sagen, dass die Geschichte ganz wunderbar geschrieben ist. Das klingt jetzt so nebenbei, ist aber überhaupt nicht so gemeint, sondern ganz im Gegenteil, deine Geschichte ist so richtig professionell gemacht. Und spannend. Und hat mich von Anfang bis Ende gefesselt. Großes Kompliment dafür. Ich hab zwischendrin immer mal wieder gedacht, Herrschaftszeiten, wenn ich nicht wüsst, das ist der Achillus, das könnt auch glatt einer von meinen gekauften Krimis sein.

Alles Gute für dich und bis bald mal wieder hofft Frau Novak

 

Hallo Achillus

Ist schon ein paar Tage her, seit du deinen Text gepostet hast und er zurecht eine Menge Lob erfahren hat. Leider konnte ich nicht früher antworten und die Kommentare habe ich auch nicht gelesen, mag also sein, dass sich manches wiederholt.

Genug der Einleitung :) Atemlos trifft meine Leseerfahrung am ehesten. Ich hab das Ding verschlungen und he mehr ich davon gelesen habe, desto öfter habe ich geschaut, wie viel noch übrig ist vom Text und war enttäuscht, dass ich mich so rasant dem Ende genähert habe. Tragisch für mich und dumme für dich, wär besser gewesen, du hättest einen richtigen Roman draus gemacht, der Stoff und die Art der Erzählung hätte das mehr als erlaubt. Ich war regelrecht enttäuscht, als die Geschichte zu Ende war, ja sogar verärgert, weil sie einfach mit einem miesen Mordkommando endete, anstatt all die Verwicklungen freizulegen und die Charaktere in der Tiefe zu zeigen, die du angerissen hast. :thumbsup:

Und jetzt, du wirst es ahnen, kommt ein klein wenig Kritik grundsätzlicher Art. Klar, die Charaktere stechen glasklar hervor, luzide und realistisch. Dennoch frage ich mich, ob das nicht eine Projektion meiner eigenen Erfahrungen als Konsument von Krimis in Büchern und Filmen sind. Da sind die Kommissare und wie die sich auch nennen, ebenso desillusioniert und am Rande des Zusammenbruchs, schwere Trinker usw., viele sind psychotisch, haben andere Ausprägungen, je nach Drehbuchautor oder Schriftsteller. Aber sind die echt? Gibt es die oder sind das Kunstfiguren, die sich Mankell und co ausgedacht haben? Und du, greifst du einfach auch altbekannte Charaktere zurück? :Pfeif:

Im Gegensatz zu älteren Texten von dir verfusselst du dich nicht in exotischen Einzelheiten (außer beim Pathologen) … guter Rhythmus prägt den Text, das ist klasse.

Scheiß drauf, ich habe es wie gesagt sehr gerne gelesen und freue mich auf deinen Berlin-Thriller. Bitte mehr davon, auch wenn es keine große Literatur wird, großartige Unterhaltung ist es allemal. :read:

Viele Grüße
Isegrims

 

Hallo Achillus,

ich habe eigentlich schon alles zu deiner Geschichte gesagt, und es wurde auch schon sehr viel über verschiedene Aspekte deiner Story diskutiert hier, v.a. auch über das Ende. Ich habe bloß gearde Isegrims Kommentar gelesen und da ist mir noch etwas eingefallen, ich weiß nicht, ob du das in der Art schon mal durchdacht hast (ein Argument gegen dein derzeitiges Ende).

Folgendes: Ich habe mal irgendwo in der Storytelling-Theorie gelesen, eine Grundmotivation, weswegen Menschen Geschichten konsumieren wollen, ist, weil sie die Figuren richtig kennenlernen wollen. Wie kann man dem Leser jetzt eine Figur zeigen, sodass er das Gefühl hat, sie vollständig und in seiner kompletten Tiefe zu kennen?
Die Umsetzung sieht/liest man oft, aber mir war das bis dato nicht klar. Es geht darum, deine Prots in eine Konstellation bzw. in einen Konflikt zu werfen, der sie bis auf die Knochen in eine Zwickmühle, ein moralisches Dilemma stellt - plakativ: Spiderman muss sich zwischen seinem Mädchen, das in die Tiefe fällt, und einer entgleisten S-Bahn, die droht, ins Meer zu fahren, entscheiden. Das ist auch für den Leser der Moment der größten Spannung: Wie entscheidet er sich? Hier zeigt sich, wer der Prot tatsächlich ist - selbst, wenn er bis dato große Sprüche gerissen hat, zeigt sich hier, aus was er wirklich gemacht ist, ob er feige, edel, etc. ist. Erst nach einer solchen Konfliktsituation, in der dein Prot in eine "Zwickmühle" oder einem extrem harten Konflikt gestellt wurde, hat man als Rezipient dieses Gefühl, dass man wirklich weiß, wer das ist.
So zumindest die Theorie, dass du ohne eine solche Situation nie die 100% an Figurenempathie erzeugen kannst. Das hältst du dem Leser eben mit deinem Ende hier vor - zu zeichnest die Figuren davor gut, keine Frage, aber eine wirkliche knallharte Konfliktsituation, in der es eine Entscheidung zu treffen gilt, da kommen deine Prots nie hin, und, abgesehen von einem Showdown/Highlight, der das ganze Zugespitzte auflöst, habe ich als Rezipient eben auch nicht diese Situation, in der ich deine Prots zu 100% kennenlernen darf - ich glaube, das ist auch ein Punkt, weswegen viele Leser hier das Ende schade und unter den Möglichkeiten finden. Mit einem "Showdown" oder einer Konfliktlösung, die aus deinen Prots herauswächst, hättest du eben auch gleichzeitig dieses Moment, in der man deine Figuren bis aufs Mark kennenlernt. Klar, ist unter der Rubrik "Kurzgeschichte", aber es hätte ebenso gut eine geschlossene Erzählung sein können.

Ist mir eben eingefallen, vllt kannst du ja was draus mitnehmen.

Gruß
zigga

 

Hallo Novak,

vielen Dank für Deinen Kommentar. War schön, Deine Gedanken zum Text zu lesen, denn Du kennst ja bereits meine ersten Versuche.

Was das Ende betrifft, so kann ich beide Seiten verstehen, also diejenigen, die sich eine geradlinige Auflösung, vielleicht mit klassischer Pointe und Showdown wünschen und auch diejenigen, die den Bruch zu schätzen wissen.

Du hast geschrieben, dass Dir der Zusammenhang zwischen der Tötung von Mehmet und dem Fall des Mädchens fehlt bzw. die Bedeutung nicht klar wird, die dieser Fall für Stammer hat. Ich stimme Dir da zu. Das Problem beim Schreiben ist in diesem Punkt, dass diese Tötung im Dienst ja erst als Bombe in der Therapiesitzung platzen soll. Ich konnte das also vorher nicht direkt erwähnen.

Tatsächlich wird Stammer nicht so sehr von dem Fall des Mädchens belastet, der zwar grausam ist, aber eben nur eine Grausamkeit unter vielen, die Stammer im Laufe seiner Dienstjahre zur Kenntnis nehmen musste. Seine Tatortdepression ist nicht nur ein normaler Burnout, sondern eine Folge seiner Verdrängung, so sehe ich das jedenfalls.

Deinen Hinweise finde ich sehr hilfreich, denn mir ist schon klar, dass das beim Lesen irritieren kann. Ich werde das bei der Überarbeitung berücksichtigen.

Vielen Dank, Novak, für Dein Lob zum Text. Freut mich sehr, das zu lesen.

Beste Grüße
Achillus


Hey Isegrims,

vielen Dank, dass Du reingeschaut und kommentiert hast. Freut mich sehr, dass Du den Text spannend fandest. Diesen Hinweis, man hätte einen Roman draus machen können/ sollen, habe ich mittlerweile auch aus dem Freundeskreis gehört. Da ist sicher was dran. Als ich begonnen habe, an der Geschichte zu arbeiten, hatte ich noch eine klassische Auflösung vor Augen, aber beim Schreiben gab es plötzlich den Punkt, wo ich es anders enden lassen wollte. Frustrierender, düsterer. Leider habe ich damit auch einige Leser verprellt.

Was Deine Gedanken zur Projektionen bzw. Vorahnungen zu den Charakteren betrifft, das kann ich gut nachvollziehen. Jemand, der ein Genre (Krimi z.B.) gut kennt, versteht die Strickmuster solcher Geschichten. Das ist natürlich, denke ich. Wenn man viele Thriller gelesen und als Film gesehen hat, ist man nicht mehr so schnell zu beeindrucken oder zu überraschen.

Der psychisch angeknackste Ermittler ist meiner Einschätzung trotzdem ein Fortschritt hin zu mehr Realismus. Wenn wir ganz klassische Detektive nehmen wie Sherlock Holmes, Miss Marple, Hercule Poirot oder Philip Marlowe, dann sind das zwar meist schrullige Typen, aber nie wirklich gebrochene Charaktere. Sie wirken heil in einer Welt, die zwischen gut und böse changiert.

In der modernen Lesart funktioniert das nicht mehr. Moderne Autoren sehen die Welt meiner Empfindung nach düsterer. Es ist nicht lediglich die kriminelle Unterwelt, die in das ansonsten gute, rechtschaffende Leben hineinreicht. Vielmehr ist die gesamte Gesellschaft von Kriminalität durchzogen, auch wenn einige Verbrechen (große Bevölkerungsschichten systematisch verarmen zu lassen) mit staatlicher Genehmigung stattfinden. So ist der gebrochene Held für mich durchaus eine realistische Figur.

Vielen Dank für Deine Gedanken und Hinweise zum Text, Isegrims.

Beste Grüße
Achillus


Hey Zigga,

schön, dass Du nochmal reinschaust. Dein Spiderman-Beispiel gefällt mir richtig gut. Darüber werde ich eine Zeitlang nachdenken. Die Frage ist, ob ich den Konflikt so zuspitzen kann, ohne dass die Glaubwürdigkeit der Geschichte leidet. Werde ich mir auf jeden Fall Gedanken zu machen.

Dass Stammer so sang- und klanglos abdankt, ist natürlich frustrierend. Vielleicht sollte man ihn noch bei irgendeiner extremen Handlung zeigen. Aber passt das zu seinem Charakter? Bin da gerade unsicher. Ich habe den Text jetzt ein wenig liegenlassen, um Abstand zu bekommen. Mal sehen, wie die Überarbeitung läuft.

Vielen Dank, Zigga, für Deine Gedanken zum Text.

Beste Grüße
Achillus

 
Zuletzt bearbeitet:

Hi, Achillus,

ich habe die Geschichte heute zweimal gelesen. einmal als Kritiker, aber zuerst als Leser, da habe ich Vieles genossen. betrifft die stimmungsvolle Gesamtatmosphäre der Geschichte, die Düsterkeit lichtloser Nacht, die du hier zum Teil ans Licht zerrst. betrifft auch die beiden Haupt-Figuren, eigentlich Gegensätze, treffen sie nie aufeinander, kämpfen nicht, was durchaus hätte geschehen können, sondern werden letztlich beide vom Moloch gefressen, dem Dämon der Stadt.
da ist Stammer, ein Mordkommissar, der stark an seinem Berufsalltag leidet, an dem, was hier als "Nacht" bezeichnet wird, oder sogar daran zugrunde gehen könnte.
weil er vom Vater das falsche Genmaterial mitgeliefert bekam, aus dem falschen Holz geschnitzt ist;
weil er den ständigen Kontakt mit den menschlichen Abgründen und der Dunkelheit nicht mehr auszuhalten imstande ist;
wegen des Todesfalls, wo er einen jungen Kleindealer erschoss ...

du lieferst einige Anhaltspunkte mit, nach meiner Zählart drei, alles vorstellbar, aber vielleicht wäre es gut, einen Punkt weniger zu haben, und möglicherweise auch seine Motivation für Arbeit und Leben zu beleuchten, bzw Stammers Hafen oder Haltepunkt zu skizzieren, um den Protagonisten nicht in absoluter Dunkelheit zu begraben. wenn ich mich richtig erinnere, ist der völlig allein, hat keinen Mensch und keinen Ort, keine innere Idee. Nichts, was ihm Kraft gibt.
der Komissar erinnert mich sehr an Wallander. es schimmert so ein Wunsch durch, zu helfen, etwas sinnvolles, sinnstiftendes zu tun, aber das ist glaub ich nicht konkret auserzählt, das lese ich zwischen den Zeilen.
gleichzeitig, und das wird Wort im Text, stellt sich der wortkarge Held die Frage nach dem Scheitern, ob es überhaupt Sinn macht, was er tut, da die Serie der Gewaltverbrechen nicht abreißt.
möglicherweise ist seine Weltsicht eine Art der déformation professionelle, wie seine Psychologin später andeutet, die ihm von ihren Erfahrungen mit der 'Tagseite' des Menschlichen erzählt.
hier - das lese ich wieder herein - macht es den Eindruck, als wäre er nicht nur nicht imstande, den Schrecken aufzuhalten, und würde daran leiden. sondern als würde es in unseren Zeiten zunehmend schlimmer und schrecklicher werden - egal, was sich die Gesellschaft ausdenkt, um für ein friedliches Miteinander zu sorgen.
mich hat dieses Gesamtszenario schon bei Wallander interessiert, und ich hab's für möglich gehalten, aber als ich seine Bücher las, sah die Welt noch etwas anders aus, so 2006 bis 2010 circa. mittlerweile hat sich die Welt in kurzer Zeit relativ stark verändert, und nicht zu ihrem Vorteil, denke ich.
das ist für mich die Kernaussage hier, wie du es ja auch im Titel benennst: das Leben bei Nacht, ein Gefangensein in den Dunkelheiten und Abgründen des Menschen. alle sind hier in der Dunkelheit gefangen, ob direkt oder indirekt, ob sie das wissen oder nicht, ob eingebildet oder tatsächlich.

das betrifft im Text die Gesellschaft als Ganzes, deren Gegen-Mechanismen als nicht funktionierend behauptet werden - und zwar intressanterweise von Stammer und Rasske, dem Anit-Helden und seinem Antagonisten, die nie aufeinandertreffen. sehr schöne Komposition übrigens, denn die Spannung ist da, und die wäre sicher nicht so groß sein, wenn's ne klassische Räuber-und-Gendarm-Geschichte wäre.

diese Gefangenschaft betrifft in meiner Lesart aber auch (fast) alle Einzelnen.
entweder dem Recht des Stärkeren folgen, keine Ethik, Moral, kein Code; oder wie Stammer und sein alter Herr davon fertig gemacht wurden und werden, dass alle dem Recht des Stärkeren folgen.
(fast) alle sind hier Opfer.
Food, wie es heißt.
die jugendliche Geflüchtete ist ein Opfer der strunzdummen Bande des cleveren Rasske.
Rasske und dessen Bande werden Opfer eines ominösen tschechischen Killerkommandos, deren Organisation kaum in den Konturen sichtbar wird, deren effektives und gnadenloses Vorgehen auf organisierte Kriminalität deuten könnte
Stammer ist Opfer von alldem, ein indirektes Opfer, die Umstände und Zustände fressen ihn von innen auf.

das ist schon eine sehr düstere Skizze berlinerischer Verhältnisse. als Ausnahmen in diesem Tanz der lebenden Toten fallen mir spontan nur der Aikido-Lehrer ein, die Psychologin und (eingeschränkt) Stammers Mitarbeiter - das sind die einzigen, in meiner Erinnerung, die wirken, als wären sie eigenständige Wesen und außerhalb der Nahrungskette, nicht direkt oder indirekt gefangen von der Nacht.

da gibt uns der Text ja auch so zwei kleine Ideen mit auf den Weg, wie ein Leben möglich wäre, trotz der behaupteten Dunkelheit (die ja möglich ist, wer weiß schon was Gesichertes von den wahren Zuständen in den Großstadtkomissariaten, was Mord, Sitte, Drogen, O.K. mitkriegen müssen).
der Aikido-Lehrer spricht davon, dass die wahren Feinde die eigenen Untugenden seien, weswegen Aikido nicht 'nur' Kampfsport sei, sondern vor allem ein Lebensweg. mit dem mensch sich zum Herren der eigenen Existenz machen kann und so viel Freiheit erreicht, wie möglich ist, weil dort nicht das Außen der Feind ist, sondern das Innere, die eigenen Untugenden. also das ist meine Lesart und eine Einschätzung, die ich teilen würde.

an der Art, wie der Aikido-Lehrer auf die Befragung durch Stammer reagiert, spürte ich als Leser, dass er eine herausragende Figur in seiner Andersheit ist, obwohl nur Nebenfigur in der Geschichte. sein Satz mit der Gewalt gefiel mir nicht, passte mir gar nicht! mag er Gewalt gewohnt sein, aus der schlimmsten Vorstadt von Paris oder Marseille stammen, egal! jemand, der so einen Weg einschlug, wie er, so gleichgültig über den Tod eines sympathischen jungen Mädchens reden lassen, nee. dann am Ende des Gesprächs aber trotzdem zornig werden, als ihm das mit dem Herz-Hoodie einfällt. das störte mich sehr an dem Auftritt dieser Figur. mag übergenau wirken, aber ich finde ihn auch in dieser Geschichte sehr gelungen. deswegen der strenge Maßstab.

die eine andere Figur, die in meiner Erinnerung der Textperspektive einen Lichtblick gibt, ist die Psychologin. aber deren Licht wirkt weniger stark, schließlich ist das ihr Job, sie muss unermüdlich darauf hinweisen, dass der Schatten ohne das Licht nicht existieren könne.
sie bekommt dafür Geld und ist - glaub ich -sogar Polizeipsychologin. daher wirkt ihr Lichtblick nicht annähernd so stark wie der des Aikido-Lehrers, bei dem die Weltsicht wie selbstverständlich aus ihm heraus kommt. der überraschend angetroffen wird, sich nicht vorbereiten konnte, sondern einfach sagte, was ihm auf der Zunge lag und der trägt sein Herz auf der Zunge, weil er nichts zu verbergen hat, mit sich und Umwelt im Einklang ist bzw die Konflikte aushalten kann.

ist schon viel Kommentar geworden. war so nicht geplant. ich hab noch Notizen, Textarbeit, auf die verzichte ich erst mal, damit meine Kritik nicht allzu lang wird. aber zu einem muss ich jetzt noch was sagen, weil der relativ viel Raum im Text kriegte: Rasske.

hm, Rasske.
wirkt auf mich wie jemand, der Nietzsche oder Stirner gelesen hat, oder ihre Epigonen und Nachfolger. ich nehme an, alles, was die damals erdachten, ließe sich mittlerweile auch indirekt aus unserer Kultur rauskristallisieren. oder er brauchte gar keine Erziehung. vielleicht gibt es einfach so einen Menschentypus.
ein Mensch, für den nur sein Wille zählt und wie der durchzusetzen wäre. kein Mitgefühl, keine Zugehörigkeit, keinen erkennbaren Code oder eine Philosophie - emotional ist es ihm gleichgültig, ob das Mädchen getötet wurde oder er selbst ein Mitglied der eigenen Bande, den Mörder, tötet, weil der nach dem Mord und an sich ein Risiko darstellt.
Rasske kriegt seine Momente, als er - mein ich - eingeführt wird. die Jagd und seine Gedanken und Eindrücke dazu, das hat meines Erachtens was, das über den brutalen Willen zu Gewalt und Unterdrückung hinausgeht, die ansonsten fast alles kennzeichnen, was wir über die Bande erfahren.

ich meine, da sind so Momente drin, wo er Ansätze hat, etwas feiner gezeichnet zu werden. der Jagd-Teil ist jedenfalls ein Textabschnitt, wo nach und nach ahnbar wird, mit was für einem Ausnahmemensch wir es hier zu tun haben. ein Abschnitt, der aus dem Gesamttext zu fallen scheint, wegen seiner Länge und vermeintlichen Irrelevanz für die Hauptgeschichte, aber das stimmt nicht.
die illegale Jagd lässt sich als Metapher für's Textganze lesen.

trotzdem: entweder ich hätte Rasske gerne etwas feiner gezeichnet erlesen, oder es ist im Text angelegt und nicht richtig ausgeführt. im Rückblick hat er sowohl Merkmale von Nietzsches Lust an Kampf und herrschen als auch von Stirners "Der Einzige und sein Eigentum": bei Stirner ist jeder für sich selbst der oder die Einzige und alle Welt und jeder Mensch ist das Eigentum des Einzigen, mit dem er verfahren kann, wie er will.
er kann sic h nehmen, was er will, weil er ein Alpha ist, das dominante Männchen, so sieht er das, so steht's im Text.
was da so beschrieben wird von den Aktionen von ihm und seiner Bande wirkt aber teils zu sehr nach tumben Männlichkeitsritualen, als dass das mit meinem Bild von ihm zusammen passen würde. nicht wegen der angedeuteten Brutalität, sondern wegen der Stumpfheit.

Anfang und Mitte habe ich gern gelesen, teils sehr gern. Krimis sind auch deswegen spannend, weil sie uns an alle Orte mitnehmen, die wir normalerweise nicht ohne Weiteres sehen können. und jeder muss antanzen. so lässt sich ein Querschnitt durch alle möglichen Gesellschaftsschichten und Milieus abbilden - was der Autor eben so an Figuren und Umfeldern braucht, um den Plot auszuerzählen und das deutlich zu machen, was ihn bewegt.
mir hat die Figurensprache zum großen Teil gut gefallen, auch ihre Interaktionen.

ich würde Stammer und Rasske etwas nachjustieren, manche Dialogzeilen umformulieren und habe noch ein paar Notizen bzgl einiger Textstellen, Vorschläge, was ich jeweils für besser hielte. reiche ich bei Interesse nach.

zum Ende war die Geschichte nicht mehr gut, sondern wurde faszinierend. die Geschichte zerfällt wie die Wirklichkeit von Stammer oder Berlin bei Nacht durch seine Augen gesehen. obwohl Anti-Held und Antagonist aufgebaut werden, treffen sich die beiden nicht. der Mord wurde nicht von Rasske begangen, sondern von einem seiner Gefolgsleute, dafür erschießt Rasske ihn. die Tschechen tauchen am Rande auf, werden erwähnt, bevor sie Rasskes Bande stürmen. ich hätte das aber als bedeutungslose Information abgetan. Stammer sitzt bei einer Psychologin, die indirekt gleich zu Beginn eingeführt wird, als er von Tatortdepression spricht, raffiniert. und nachdem er sie endlich leibhaftig trifft, nach diesem Gespräch kriegen wir mit, dass Stammer erfolgreich verdrängte, vor wenigen Wochen jemand umgebracht zu haben - was nachträglich seine ganze Wahrnehmung und Perspektive hinterfragt.

die eigentlichen Protagonisten / Gruppen in Krimigeschichten, Räuber und Gendarm, treffen hier nie aufeinander, obwohl alles in die Wege geleitet wird und wir verfolgen können, wie die Maschinerie auf beiden Seiten in Gang gebracht wird. und so wie der Mord ausgeführt wurde, von betrunkenen Idioten, scheint es keine Frage, dass zumindest der eigentliche Täter geschnappt wird. aber bevor die Polizei soweit kommt, irgendwas zu ermitteln, wird die brutale Bande von einem noch gefährlicheren Akteur zerstört. in der beschleunigten Gegenwart haben die Bullen nicht mal Zeit, ihre Täter zu finden, bevor schon das nächste Verbrechen geschieht, das die Täter zu Opfern macht. die Schnelligkeit, Gefährlichkeit und Unberechenbarkeit der zeitgenössischen Welt wird hier sehr deutlich.

Gangster haben die Neigung dazu, zu glauben, sie wären die Größten. hat verschiedene Gründe, die meisten liegen auf der Hand. aber es gibt immer einen noch größeren Fisch.

und wer außerhalb des Gesetzes sein schnelles Geld machen will, muss oft mitkriegen, dass es da eben auch keinen Schutz mehr gibt, ganz im Gegenteil. if you're in the game, you gotta play the game.
wer andere als Food sieht, reiht sich selbst in die Logik der Nahrungskette ein und wird fast immer das Food von jemand anderem werden. weil außerhalb des Gesetzes natürlich keine Freiheit ist, wie manche glauben, sondern das Recht des Stärkeren, was meistens eine ungleich viel größere Unfreiheit bedeutet, als sich an die Gesetze und Konventionen zu halten. weil sich dort letztendlich alles dem momentan Stärksten unterordnet. bei 500 Millionen Bewohnern der EU ist das wahrscheinlich nie derjenige, der sich gerade für unverwundbar und den Größten hält.

hier, in der Geschichte, wird mE mit Erwartungshaltungen gespielt und doppelte Böden machen immer neue Wendungen plausibel. ab einem bestimmten Zeitpunkt las ich sehr gespannt weiter, weil ich ständig überrascht wurde und buchstäblich alles Mögliche passieren konnte.
eine gute Geschichte, mir sagt diese Atmosphäre sehr zu, mir gefällt das Design der Handlungsplätze und die Sprache, beim Erzähler und den meisten Figuren. ich halte die Haupt- und Nebenfiguren für sinnvoll besetzt.
ab dem Zeitpunkt, wo meine Erwartungshaltungen enttäuscht werden und die Geschichte 'auseinanderfällt', gefällt sie mir sehr gut, was sie insgesamt zu einer sehr guten Geschichte macht, denn um 'Berlin bei Nacht' wirksam auseinanderfallen zu lassen, muss es ja erst mal aufgebaut werden. starker Text.

Kubus

 

Hallo Kubus,

vielen Dank für Deinen Kommentar. Natürlich schätze ich jede Rückmeldung zu meinen Texten, auch die ganz kurzen Leseeindrücke, aber eine so tiefgehende Analyse ist schon was Besonderes. Ich habe mich sehr darüber gefreut.

Deine Einschätzung zu Stammer teile ich. Der ist ziemlich allein. Ich hatte ursprünglich vor, ihn noch bei einer Fahrt aufs Land zu zeigen, wo er seinen Vater besucht und die Beiden sich ein wenig unterhalten. Das wäre dann auch eine Möglichkeit gewesen, Stammer ein bisschen mehr Licht zu geben. Ich fand es dann aber alles zu viel und zu weit weg von der Story.

Und ja, Stammer hat den Wunsch, etwas Sinnvolles zum Großen und Ganzen beizutragen, aber er ist auch frustriert von den Schwierigkeiten seines Jobs. Ich stelle ihn mir als jemanden vor, der Kriminalität nicht als Einzelphänomen betrachtet, sondern grundlegend an der Gesellschaft, am Menschen überhaupt zweifelt.

Und scheinbar besitzt er dafür gute Gründe. Anlass zum Heulen gibt es reichlich in dieser Welt. Es ist das Opfer-Sein, das Du beschreibst, das jedem Menschen immer wieder die Grenzen aufzeigt – Opfer der Umstände, Opfer der Gier und des Egoismus anderer, Opfer der eigenen Unwissenheit, der eigenen Schwächen.

Und genau wie Du schreibst, sind die Psychologin und der Aikido-Meister als Gegenentwürfe angelegt, denn ich glaube daran, dass es einen Ausweg aus dem Dilemma gibt. Und dieser Ausweg hängt mit der Sichtweise auf das eigene Sein und die Welt zusammen. Man kann der Opfer-Rolle entkommen. Für Stammer ist dieser Ausweg aber vorerst nicht in Reichweite, denn er verwendet seine psychischen Energien darauf, den tödlichen Schuss zu verdrängen, den er abgefeuert hat.

Den von Dir monierten Satz des Aikido-Meisters habe ich mir noch mal angeschaut und etwas verändert. Ich denke, es passt jetzt besser. Die Psychologin ist als "Professionelle" natürlich ein bisschen verdächtig, aber ich glaube mittlerweile wirklich, dass es Leute in diesem Job gibt, die ihre Sache richtig gut machen.

Rasske hast Du auch gut beschrieben. Ich sehe ihn als jemanden, der unter der Vorstellung leidet, sich in ein System einfügen zu müssen, das er als schwach empfindet. Er versteht nicht, dass Stärke und Schwäche relative Faktoren in allen Beziehungskonstellationen sind, sondern betrachtet sie als absolute Tatsachen. Er will stark sein, und sein Mittel sowie sein Prüfstein ist der Kampf bzw. die Jagd. Ich freue mich sehr darüber, dass Du die Jagd nicht als irrelevant betrachtest. Ich wollte eben damit ein bisschen zeigen, wie Rasske tickt.

Wenn Du zu Stammer und Rasske noch Hinweise hast, würde ich mich freuen, die zu hören. Ich habe meine Überarbeitung des Textes fertig, schau mir aber gern noch an, was Du ändern würdest. Ich habe mich darauf konzentriert, die Tschechen etwas mehr zu beleuchten, damit das Ende nicht ganz so unvermittelt daherkommt.

Meine Idee mit der tschechischen Mafia war so, wie Du beschreibst, dass es eben in dieser Welt der Gangster immer noch den größeren Fisch gibt, der noch härter und erbarmungsloser zuschlägt. Mir hat auch gefallen, dass die Intentionen von Stammer völlig unterlaufen werden. Am Ende zeigt sich, dass er ein ganz anderes Problem hat, als den Täter zu schnappen. Er muss sich selbst erst einmal wieder auf die Reihe kriegen.

Vielen Dank, Kubus.

Gruß Achillus

 
Zuletzt bearbeitet:

II / II

Hi, Achillus, hier die angekündigte Detailkritik. ich habe noch mal extra nachgefragt, ob du Interesse hast, weil der erste Kommentar schon so lang wurde. es sind in dem Text viele Sätze, Metaphern und manchmal ganze Absätze, die mir gut oder sehr gut gefallen. das habe ich meistens nicht gesondert erwähnt, sondern mich auf die Kritik konzentriert.

Noch bevor Christian Stammer die polizeilichen Absperrungen am Stettiner Park erreichte, packte ihn jenes Gefühl der Erschöpfung und Niedergeschlagenheit, das er in seinen Sitzungen als Tatortdepression bezeichnet hatte.

relativ komplizierter Einstiegssatz, der aber auch einiges transportiert. vor allem der Vorgriff auf Sitzungen und Tatortdepression macht neugierig, ist spannend. sehr guter Start

Stammer hörte das im Morgenwind flatternde Absperrband, hörte den aus den offenen Streifenwagen dringenden Funkverkehr.

Vorschlag zur Verknappung: [...], hörte den Funkverkehr aus den Streifenwagen.

»Ich habe mir nur kurz die Leichenflecken angesehen«

... habe erst kurz die Leichenflecken sehen können ... / klingt sonst, als habe der nur so halb interessiert und oberflächlich gekuckt.

Genauer kann ich es dir erst nach der Untersuchung sagen.«

"dir" kann weg

In diesem Moment zuckte ein Blitzlicht auf und riss den Körper der Toten aus dem Schattenspiel der Arbeitsleuchten. Der schimmernde Leib schwebte ein, zwei Sekunden lang im Dunst des anbrechenden Tages, dann löste sich das Nachbild auf.

starkes Bild. Poesie von Licht und Dunkelheit. zeigt auch wie schnell die Erinnerung verblassen kann, in der Geschwindigkeit des rasenden Stillstands unserer Metropolen. Warhols Satz von den fünf Minuten Ruhm passt nicht mehr in die beschleunigte Gegenwart, mittlerweile ist es in vielen Fällen vllt nicht mal mehr ne Minute.

Als Stammer kurz darauf neben der Leiche stand, spürte er, wie ihn die Kräfte verließen, mit denen er sich seit Jahren all der Dummheit und Niedertracht widersetzte, die Leben und Tod der Menschen in dieser Stadt bestimmten.

Vorschlag: ... mit denen er seit Jahren gegen die Dummheit und Niedertracht ankämpfte ... / "der Menschen" ersatzlos streichen

Er hatte es so satt, sich mit den stumpfsinnigen Motiven von Leuten zu befassen, die bereit waren, einem Nachbarn für ein paar Geldscheine den Schädel einzuschlagen.

"stumpfsinnig" ersatzlos streichen. Dummheit steht im Satz davor. das Adjektiv ergibt sich auch aus dem Kontext

Er hatte es satt, sein Leben mit der Jagd nach Mördern und Vergewaltigern zu verschwenden, die es allem Anschein nach immer geben würde, egal, welche Präventivstrategien die Gesellschaft entwickelte.

verschwenden anstatt verwenden - wegen seiner Depression, ergibt Sinn für mich.
die es immer geben würde - im trüben Lichte seiner Depression gesehen kann das in dem Kontext 'allem Anschein nach' gestrichen werden.
anstatt Präventivstrategien einfach Strategien - gibt ja viele Strategien zur Bekämpfung von Gewaltverbrechen, sind nicht alle präventiv. wirkte in dieser schlichten Form auch näher an der Figur für mich, realistischer.

»Also gut«, sagte Stammer, und nachdem er die in krakeligen Großbuchstaben geschriebene Schmähung betrachtet hatte, warf er einen Blick auf die Reifenspuren, die von der Straße aus dicht an den toten Körper heranführten. »Brasch, was siehst du?«

an der Stelle noch mal Asylantenhure schreiben? du verwendest vorher auch an anderen Stellen das Mittel der Wiederholung, hier fände ich es sehr passend, auch weil Schmähung in meinen Ohren viel zu weich klingt für das Wort.

großartig finde ich das "Brasch, was siehst du?" - deutet so Vieles an: Arbeitsweise, Verhältnis zwischen den beiden und führt elegant zur Beschreibung des Wahrgenommenen. und das alles denkbar knapp und lebensnah.

Es wurde Zeit, sich einzugestehen, dass er sich verirrt hatte. Wie konnte es nur so weit kommen? Wann war er zu dem Mann geworden, der seinen Job hasste? Wann war er der Einzelgänger geworden, der seine Tage damit verbrachte, durch einen Sumpf aus Scheiße zu waten, nur um schließlich zu der Erkenntnis zu gelangen, dass die Schlechtigkeit des Menschen ein unausrottbares Übel dieser Welt darstellte? Offenbar erteilte ihm das Schicksal die gleiche Lektion, die das Leben seines Vaters ruiniert hatte.

denkbar falschester Ort für so eine Selbstreflektion, am Tatort, wo er einsatzfähig sein muss. fand ich erst falsch gesetzt. jetzt bin ich mir nicht mehr sicher. ließe sich auch anders lesen: dieses Verhalten deutet schon an, wie sehr ihn die Tötung des Dealers aus der Bahn warf.

Wann war er der Einzelgänger geworden, der seine Tage damit verbrachte, durch einen Sumpf aus Scheiße zu waten, nur um schließlich zu der Erkenntnis zu gelangen, dass die Schlechtigkeit des Menschen ein unausrottbares Übel dieser Welt darstellte?

aber den Satz würde ich mir umformuliert wünschen. viel zu komplex und detailliert um auch nur Näherungsweise als Gedanke durchzugehen. "durch einen Sumpf aus Scheiße waten" klingt nach Klischee, nach Stirb Langsam-Sprech, unterschreitet dein sprachliches Niveau.

nur um schließlich zu der Erkenntnis zu gelangen, dass die Schlechtigkeit des Menschen ein unausrottbares Übel dieser Welt darstellte?

so könnte jemand denken, der über Stammer nachdenkt, aber nicht er selbst in dieser Situation. in Hinsicht auf die Gedankenverlorenheit des Kommissars, die ja zeigt, wie stark er aus der Bahn geworfen wurde, passt so eine analytische Betrachtung von sich selbst und seiner Situation mE gar nicht. vielleicht ließe sich das anders lösen? dass zB er sich daran erinnert, wie die Psychologin am Ende einer Sitzung so was über Stammers Weltsicht sagte

»Herkunft beziehungsweise ethnische Zughörigkeit dem ersten Eindruck nach ...« Brasch unterbrach sich und sagte leise zu Reckling: »Ich tippe auf Naher Osten. Was sagst du?«
Reckling, der dem Mädchen gerade die blutverklebten Haare aus dem Gesicht strich, hielt inne und sagte: »Seh ich auch so.«
Die Beiden wechselten einen bedeutungsvollen Blick.

subtil die Brisanz wegen der Herkunft dargestellt, gefällt mir.

Morgens sind hier viele Leute unterwegs, die zum Bus wollen oder zur Tram oder zur U-Bahn.

einfach: zu den Öffentlichen oder so ähnlich. noch nie gehört dass jemand alles aufzählt, was von so einem Verkehrknotenpunkt fährt

Überraschend, dass die Leiche hier abgeladen wurde.«

hm, überraschend? vllt eher so was wie: Seltsam, dass ... / könnte eine Spur sein, dass ... / könnte eine falsche Spur sein, dass ...

In der Tat. Dass die Kleine nicht hier im Park so zugerichtet worden war, lag auf der Hand. Man hatte dieses Mädchen misshandelt und getötet und dann abgeladen wie einen Müllsack.

In der Tat / Tatsächlich. Die Kleine war nicht so im Park zugerichtet worden. Man hatte sie misshandelt, getötet und weggeworfen (wie Müll).

Es gab da zwei, drei Zuhälter, die hier ihre Mädchen abends auf die Piste schickten

"auf die Piste schicken" kenne ich nicht. / die abends hier "ihre Mädels laufen ließen." / auf den Strich schickten. die Polizisten mit denen ich zu tun hatte, verwendeten szenetypische Sprache, nicht die bürokratischen Bezeichnungen. Zuhälter in Berlin - Lude. insgesamt bspw: "Es gab ein paar Luden, deren Mädels hier liefen."

»Was siehst du noch?«

gut gelöst. wie das immer weiter aufgerollt wird, durch das so schlichte Fragen.

»Sieht verdammt nach einem Null Sechsundvierzig aus, mit anschließendem Mord.«
Stammer atmete geräuschvoll aus. »Richtig.«

auch sehr gut. da schafft die nüchterne Benennung Distanz zum grausigen Geschehen. als stärkste Gefühlsregung das laute Ausatmen. sehr kraftvoll wegen der Subtilität.

Schuhabdrücke und so weiter?«

nicht "und so weiter" - so lax. mein V.: "Schuhabdrücke, Kippenstummel, irgendwas?" das irgendwas trägt mE schon was Verzweifeltes in sich, das Stammer charakterisiert, mit wie wenig verwertbaren Spuren die Polizei in solchen Fällen oft arbeiten muss.

Bei dem Untergrund ... ich mache mir da keine großen Hoffnungen

Bei dem Untergrund ... mache ich mir keine großen Hoffnungen

Liegt allerdings alles vielleicht schon länger hier.«

Könnte alles schon länger hier liegen

Schärfe den Kollegen ein, dass sie sich nicht einfach abwimmeln lassen sollen. Wenn hier heute Nacht irgendwo eine Wagentür geknallt hat, will ich es wissen. Und lass im Kommissariat die Vermisstenmeldungen der letzten Tage prüfen.

V.: Die Kollegen müssen hartnäckig sein [...] Prüf die Vermisstmeldungen. / mittlerer Satz gefällt mir

Reckling soll dir nachher aus der Gerichtsmedizin ein paar Fotos vom Gesicht des Mädchens schicken. Benutze nicht die Fotos von hier. Du nimmst dir vier oder fünf Leute, und ihr checkt die Flüchtlingsunterkünfte. Beginnt mit denen in der Nähe, also Prenzlauer Berg und Mitte. Wendet euch an die Betreuer. Vielleicht erkennt sie jemand.

sagt Stammer wirklich "checkt"? oft wissen ehrenamtliche Flüchtlingshelfer, selbstorganisierte Freiräume bzw Flüchtlinge selbst mehr als die großen Player wie BAMF und dessen Dienstleister, Betreiber von Flüchtlingsunterkünften, das DRK, oder die Flüchtlingsräte. in Hamburg würde man beim Protestzelt von Lampedusa nachfragen, wenn es um Afrikaner ginger, auch Embassy of Africa genannt; bei der Karawane vllt, wenn es sich um Menschen aus dem Nahen Osten geht. da könnte mit etwas Recherche einiges an Realitätsnähe hinzugewonnen werden. in Berlin war ja auch einer der Skandale rund um rechte Heimleitungen - ich weiß nicht, ob ein Kommissar einfach dort nachfragen ließe.. vllt doch, ich weiß es nicht. aber die anderen, informellen Strukturen können ruhig mit in den Blick genommen werden.

Sind diese Schneckenspuren das, wofür ich sie halte?«

hm, Schneckenspuren als Bezeichnung für Sperma passt mir als Begriff in Stammers Sprache hier nicht.

Es war schwer einzuschätzen, was in Reckling vorgehen mochte. Der Mann hatte in seinem Berufsleben Hunderte von Toten gesehen. Doch Stammer konnte sich nicht vorstellen, dass ein Fall wie dieser den Arzt völlig kalt ließ,

erstaunlich viele Freunde, die so Jobs machen wie Rettungssanitäter, Krankenschwestern und Ärzte, meinen übereinstimmend, dass das meiste tatsächlich fachlich routiniert bearbeitet werden kann und muss. und dass es aber Fälle gibt, wo das nicht möglich ist. da wird immer wieder von zu Tode gekommenen Kindern gesprochen, aber Tötungen, besonders grausame Tötungen eventuell mit Vergewaltigung und Folter, gehört sich dazu. als Arbeitssoziologe haben wir vor allem in den Bereichen geforscht, und ich eben auch die Bekannten ausgequetscht.

V. - anstelle von

Es war schwer einzuschätzen, was in Reckling vorgehen mochte.
so was wie - Stammer musste daran denken, was in Reckling vorgeht. // schließlich ist es nicht seine Aufgabe, einzuschätzen wie der Arzt darauf reagiert. wenn er es doch tut, dann weil etwas in Stammer ihn dazu bringt.

»Ich nehme gleich jetzt eine Reihe von Abstrichen«, sagte Reckling. »Blut, Urin, Sperma, Kot.

Knapper, weniger formell: "Ich nehme alle Abstriche."

»Danach werde ich jemanden rufen, der mir hilft, die Leiche umzudrehen. Du musst nicht bleiben. Ich gebe dir nachher den vorläufigen Bericht. Gründlich kann ich sie sowieso erst untersuchen, wenn ich sie auf dem Tisch habe. Du musst nicht warten.«
Stammer fischte ein Klappmesser aus seiner Manteltasche. Er ging um den Körper des toten Mädchens herum und öffnete das Messer. Reckling beobachtete ihn schweigend.

"Du musst nicht bleiben. / Du musst nicht warten." - gefällt mir sehr, lese ich wieder subtile Verweise auf das Verhältnis der beiden rein sowie auf Stammers psychischen Zustand.
Klappmesser nicht aus der Tasche "fischen" lassen. zog, fingerte ... der symbolische Akt, die Fesseln nach dem Tod zu durchschneiden ist sehr ausdrucksstark, gerade weil er so wenig aufmerksamkeitsheischend beschrieben ist. dass Reckling ihn schweigend beobachtet ist eine feine, doppelbödige Information.

»Ich bleibe und helfe dir, sie umzudrehen«, sagte er.

jeder entscheidet selbst, wie viel er sich zumutet. Stammer leidet unter dem Allgemeinen und dem Konkreten, sieht aber trotzdem genau hin.
auch inhaltlich guter Abschluss des ersten Teils mit Stammer

-------------------------------------------------------

Das bewies so einiges: Jeder hatte die Freiheit, alles zu tun. Jeder hatte die Möglichkeit, zu nehmen, was benötigt wurde

perfekt in der Einfachheit. nur der letzte Nebensatz stört mich, benötigt klingt nicht nach einem Alphakrieger. V: Jeder hatte die Möglichkeit, das zu nehmen, was er will.

Brauchte er einen Kampf, wusste er, wie man das arrangierte.

V: Brauchte er einen Kampf, suchte er sich Einen.

Und brauchte er einen Fick, dann fand sich auch da eine Lösung
(ohne Und)
Brauchte er einen Fick, suchte er sich Eine.

Hin und wieder ließ sich das alles auch in einer einzigen Session miteinander verbinden. Dann traf er sich mit den Jungs und machte einen drauf, dass es krachte.

V: Wenn's gut lief, ging alles zusammen in einer Session. // den letzten Satz vllt umformulieren? dass es krachte klingt so nach Stammtisch, so sprechen Rasskes Spießgesellen

-----------------------------------------------------------------

Die Geschichte könnte uns wie eine Bombe um die Ohren fliegen.«

Die Geschichte könnte uns um die Ohren fliegen.« Bombe ergibt sich aus dem Kontext, das Weglassen täte dem Dialog mE an verschiedenen Stellen gut.

Aber verdammt noch mal, war die ganze Scheiße nicht auch seine eigene Schuld? Hätte er, der Alpha, nicht die Pflicht gehabt, bis zum Ende dabei zu bleiben?

passt nicht zu dem Bild, das ich mir von Rasske gemacht habe. wenn er als Alpha überhaupt eine Pflicht hätte, dann nur, damit seine Gang das macht, was sie soll. das aber gehörte dann dazu geschrieben.

Diesen Stall auszumisten, das konnte gut zwei Stunden dauern. In einer Kiste unter dem Spültisch fand er eine Packung mit Müllbeuteln. Während er Bierflaschen und Getränkedosen aufsammelte und durchweichte Pappschachteln samt Essenresten in Müllsäcke beförderte, gingen ihm die Bilder der vergangenen Nacht durch den Kopf

er ist Alpha und Putze zugleich - für seine idiotischen Anhänger? kann er nicht einfach einen anrufen, aus dem Bett brüllen und ihm dabei zusehen, wie der Ordnung schafft? wenn er schon an Erziehung denkt, stelle ich mir die eher so vor.

Diese Idioten hatten sich nicht einmal die Mühe gemacht, den Van zu säubern.

Diese Idioten hatten nicht mal den Van gesäubert.

frustrierte ihn die Gerichtsmedizin heute noch ebenso wie am ersten Tag.

frustrierte ihn die Gerichtsmedizin wie am ersten Tag.

em Pathologen in diesen Kellerräumen kreisten in einer zermürbenden Endlosschleife bei jedem Toten aufs Neue um diese nüchtern wirkenden drei Fragenstellungen.

dem Pathologen in diesen Kellerräumen kreisten in Endlosschleifen bei jedem Toten aufs Neue um diese zermürbenden drei Fragestellungen.

Und dieses Bündel aus Fleisch und Knochen hier war gestern noch ein lebendiger Mensch, ein Mädchen mit Plänen, Hoffnungen, Absichten.

fuck. gut geschrieben

Hey, das war ein mieser Traum.

wow, was für ein mieser Traum. / heftig. krasser Albtraum

dicke Reepschnur

Reep ist ja ein Name für ein Seil, kenne ich aus der Schifffahrt. auf der Reeperbahn wurden früher die langen, starken Seile gedreht, daher der Name. gibt es die Kombi Reep-Schnur wirklich? Schnur ist ja ein dünnes Seil. dicke Reepschnur klingt in meinen Ohren sehr seltsam und widersprüchlich.

Und ihr habt sie in dem Scheiß Park abgeladen?

scheiß Park

Diesen Pennern war nicht zu helfen. Wie hatte er sich nur so in ihnen täuschen können?

so ähnlich hatte er sie ja schon eingeschätzt. da vielleicht noch mal deutlich machen, dass die bestimmte entscheidende Unterschiede im Handeln nicht begreifen - und Rasske das so nicht sah bzw wahrhaben wollte. so ist das jetzt ne logische Schwachstelle. die sind ja auch seit Jahren gemeinsam unterwegs.

Das Mädchen diesen drei Schwachsinnigen zu überlassen, dafür gab es keine Entschuldigung.

das war ein Fehler / Entschuldigungen braucht er nicht (so wie ich ihn lese / offenbar an einigen Stellen anders als du ihn angelegt hast bzw wie er in der Geschichte entstanden ist)

Diese Schwanzlutscher kannten keine Ehre und fackelten nicht lange.

kennt Rasske Ehre, hab ich da was überlesen?

V: Die fackelten nicht lange und hinterließen mit Sicherheit keine Spuren, die man zu ihnen zurück verfolgen könnte. (wäre auch ein Hinweis darauf, dass die zur O.K. gehören, der größere Fisch)

Dieser Penner war wirklich das Letzte

V: Dieser Penner war wirklich zu dumm zum Leben. //

»Was, wenn die Bullen deine DNA im System haben?« Im Grunde war das reine Spekulation, aber dieser Typ stellte eine Gefahr für sie dar.
»Mann, das ist mehr als zehn Jahre her.«

meine Recherchen haben ergeben, dass man nach zehn Jahren einen Antrag stellen kann, dass die eigene DNA-Probe bei der Polizei vernichtet wird.

»Hey Tom, das ... das kannst du nicht tun.« Katz starrte ihn entgeistert an. »Das ... war doch nur so ne verfickte Asylantenschlampe.«
Müller und Wallack erhoben sich und traten ein paar Schritte zurück.
»Du hast es versaut«, sagte Rasske. Aus der Mündung seiner Pistole zuckte ein Feuerstoß, und Katz kippte seitlich vom Stuhl.

das passt wieder zu meinem Rasske-Bild

Die Staatsanwaltschaft stimmte mit dem Kommissariat darin überein, dass der Fall aus polizeitaktischen Gründen höchste Diskretion erforderte.

V: ermittlungstaktischen und politischen Gründen

Wenn sich die öffentliche Meinung derart aufheizte, wurde die Arbeit der Ermittler schwierig.

V: Wenn sich die öffentliche Meinung derart aufheizte, wurde nicht nur die Arbeit der Ermittler sehr viel schwieriger.

»Wir können uns vor gefakten Hinweisen nicht retten, und jeder Arsch hatte eine Meinung«, brummte Brasch.

»Wir könnten uns vor gefakten Hinweisen nicht retten, und jeder Arsch hätte eine Meinung«, brummte Brasch.

»Wir konnten uns vor gefakten Hinweisen nicht retten, und jeder Arsch hatte eine Meinung«, brummte Brasch.

Nesrin war Waise.«
»Nenn sie nicht beim Vornamen.«

die sagen die ganze Zeit "Kleine" zu ihr, aber dann soll sie einer nicht beim Vornamen nennen. versteh ich nicht

»Wenn ich mir vorstelle, was das wohl für eine Kindheit war«, fuhr Brasch fort. »Was sie erlebt hat.«
»Ja.«
»Und dann kommt sie hier her und stirbt auf diese Weise. Vor ihrem achtzehnten Geburtstag.«

das habe ich in der Flüchtlingsarbeit so oft gedacht. jahrelang, Dutzende Schicksale. von unseren Schützlingen sind auch mehrere gestorben, teils unter dubiosen Umständen. freilich nicht wie hier beschrieben. jedenfalls hat diese fortdauernde Erfahrung mein Welt- und Menschenbild nachhaltig verändert. hab mich mit der halben Familie verstritten. unglaublich, wie sehr viele Westler rumheulen, mit an den Haaren herbei gezogenen Ängsten, und sich als Opfer inszenieren, während die wahren Opfer, Schutzsuchende in existenzieller Not, in den meisten Fällen nie zur Ruhe kommen. selbst wenn sie den harten Weg hierher schafften und einen Aufenthaltstitel haben.

Ein Gedanke zuckte durch Stammers Kopf. War das der Killer, den sie suchten?

den ersten Satz braucht es nicht. kannste den Lesern zutrauen

Die Bewegungen der Schüler flossen sanft und gleichmäßig dahin.

Die Bewegungen der Schüler wirkten / waren sanft und gleichmäßig.

»Im nächsten Monat stehen die Prüfungen an, da gibt es noch eine ganze Menge zu tun.«

»Im nächsten Monat stehen die Prüfungen an. Es gibt noch viel zu tun.«

»Aikido ist ein Lebensweg«, erwiderte Scarron. »Ich denke, dass wir uns vor unserem Stolz, vor unserer Ungeduld und Gier mehr in Acht nehmen müssen als vor anderen Menschen.«

für mich der zentrale Satz der Geschichte

»Das scheint Sie nicht sehr zu beeindrucken«, sagte Brasch schließlich.
»Ich bin in den Pariser Banlieues aufgewachsen«, antwortete Scarron. »Gewalt ist nichts Neues für mich.«

wie geschrieben, das geht für mich gar nicht.

»Ja«, sagte Scarron und Stammer sah, wie sich seine Züge verfinsterten. »I love Berlin, mit rotem Herz.«

und dann doch die Verfinsterung? nee..

Die Typen waren kreuzblöde.

insgesamt werden sie sehr oft als idiotisch, kreuzblöde, strunzdumm etc bezeichnet. ich glaube, weniger wäre mehr :)

Der Grund, weshalb sie bislang nicht aufgeflogen waren, bestand darin, dass sie unnötiges Aufsehen vermieden hatten. Im Vorjahr wurden deutschlandweit etwa achttausend minderjährige Flüchtlinge als vermisst gemeldet. In diesem Jahr mochten es noch einmal deutlich mehr gewesen sein.

aus Rasskes Sicht ein ideales Szenario. so was im Westeuropa unserer Zeit.

Stammer sprach davon, wie sehr es ihn anödete, Verwalter all des Wahnsinns zu sein, nicht mehr als ein Beamter, der Verbrechen untersuchte und Kriminelle hinter Gitter brachte, die doch nur Platz machten, für die nächste Generation von Halsabschneidern und Kinderfickern.

"anödete" - ehrlich, das soll sein Gefühl beschreiben? passt gar nicht zu meinem Bild von Stammer.

Ihre Schläger rauschten durch die Luft, und das widerliche Geräusch brechender Knochen erfüllte den Raum.

ohne "und" & "widerlich"

Rasske kroch in seinem Blut über die Dielen, vorbei an Müller, der an die Wand der Hütte gelehnt mit ausgestreckten Beinen da saß, als schaute er der Szene aus dem Innern seines zertrümmerten Schädels zu.

starkes Bild

Dann verschluckte ihn die Nacht.

und so knapp im Gegensatz zum ersten Satz. toller Abschluss!

Kubus

 

Sooo ... Habe es endlich geschafft, den Text zu überarbeiten. Die wichtigsten Änderungen sind, dass die tschechischen Gangster jetzt nicht mehr ganz so nebulös daherkommen. Der letzte Akt dürfte somit zwar immer noch überraschend sein, aber ein wenig nachvollziehbarer als zuvor.

Ich habe einige verdächtige Formulierungen rausgeworfen oder geändert. Bei der Textarbeit gab es eine Menge Kleinkram. Dazu habe ich viele Hinweise aus den Rückmeldungen aufgegriffen und umgesetzt. Ich denke, das Ganze ist jetzt ein bisschen runder und liest sich flüssiger. Vielen Dank an alle Kommentatoren.

Hey Kubus, vielen Dank für die Arbeit, die Du Dir gemacht hast. Ich weiß das sehr zu schätzen. Von Deinen Hinweisen habe ich fast alles umgesetzt, oft war es die Verknappung, die dem Text gut getan hat. Manchmal habe ich aber auch bei den charakterisierenden Beschreibungen so nachgebessert, wie Du es empfohlen hast. Das war eine große Hilfe.

Gruß Achillus

 

Hi Achillus,

ich würde ja gerne jetzt auf deine Änderungen eingehen, und das wäre insofern nicht mal ganz undenkbar, als ich die - oder eine - frühere Version sogar gelesen habe. Aber das ist inzwischen zu lange her.

Ich kann dir immerhin sagen, dass ich den Schluss für sich genommen, um den es ja einige Diskussion gab, ganz stimmig finde. Mehr muss da nicht hin, finde ich.
Trotzdem komme ich mal mit so ein paar Überlegungen dazu, die mir im Kopf herumgehen.
Erst mal die Beschreibung der Szene: Den plötzlichen Umschwung finde ich gut, auch dass es dann schnell zur Sache geht und schnell vorbei ist. Geräusche von brechenden Knochen, Gesichter, die nur noch schwarze Klumpen sind usw., das ist dann allerdings nicht unbedingt das, was ich am liebsten lese. Aber kann man machen. Allenfalls ganz am Ende könnte ich es reizvoll finden, noch was wegzunehmen, so dass es endet:

Einer von ihnen wandte sich um und spuckte ihm ins Gesicht.
Was dann noch kommt, rundet zwar gut ab, setzt einen Punkt und all das, aber es ist eben auch relativ gewöhnlich: Er kriegt noch einen Tritt, damit auch wirklich Ende sein kann. Wie gesagt: so ne Überlegung, was man vielleicht auch probieren könnte.

Mehr wurmt mich eigentlich, dass diese Racheaktion überhaupt so prominent am Schluss steht, also an der Stelle, wo klassischerweise die Guten gewinnen. Aber so eine richtig gute Tat vollbringen die Schläger ja nicht gerade ...

Außerdem stand im Raum, dass Stammers Vergehen spät angesprochen und nicht weitergeführt wird. Ich frage mich, ob nicht auch nach der Racheaktion erst richtig rauskommen könnte, dass Stammer einen erschossen hat. Also das hier:

»Was ist passiert?« Passiert war, dass Stammer einen tödlichen Schuss auf den zwanzigjährigen Mehmet vergessen hatte. Vergessen, verdrängt, verleugnet. Die Neun-Millimeter-Kugel für den Meth-Dealer mit einer Knarre, die sich als Gaspistole herausstellte. Das zerschossene Gesicht eines jungen Mannes, der nicht mal eine Vorstrafe besaß. Das Blut, das sich schwarz und sämig auf dem Betonboden der Lagerhalle ausbreitete.
Im Lautsprecher knackte es. »War es wegen der Geschichte am Nordhafen?«
um die Info dazwischen erst mal kürzen: »Was ist passiert? War es wegen der Geschichte am Nordhafen?«
und die Info dazwischen dann ganz am Schluss bringen. Ich weiß nicht, ob das funktionieren kann bzw. was du beachten müsstest, damit es funktioniert. Aber ich könnte mir vorstellen, dass das gerade nach der Selbstjustiz-Szene eine ganz gute Wirkung haben könnte. Und dann steht Stammer mit seinem Problem am Schluss, nicht die im Grunde weniger interessante Vollstreckung.

Ja, soviel also zum Ende. Ansonsten kann ich nur sagen, dass ich die Geschichte wirklich gut gemacht fand, schön erzählt, spannend, und was man eben sonst Gutes über eine Geschichte sagen kann :)
Die Einfälle zur Veranschaulichung haben mir alle gut gefallen, manche besonders gut, wenngleich Dinge wie

Irgendwo zwischen den Schulterblättern knackte ein Wirbel.
mir beinahe schon zu verspielt erscheinen. Aber für einen Krimi passt das meinem Eindruck nach.

Besten Gruß
erdbeerschorsch

 

Hallo Erdbeerschorsch,

vielen Dank dafür, dass Du die Geschichte noch mal angeschaut hast. Deine Gedanken zum Ende gefallen mir gut. Ich frage mich, wie wichtig es mir ist, dass der Leser zweifelsfrei sieht, dass Rasske mit dem abschließenden Tritt gewissermaßen hingerichtet wird. Ich lass mir das auf jeden Fall durch den Kopf gehen.

Dann die Reihenfolge der aktuell letzten und vorletzten Szene. Ich finde das nicht abwegig, aber es fällt mir sehr schwer, dazu eine klare Position zu beziehen. Mittlerweile ist die Geschichte ein halbes Jahr alt, und ich habe innerlich mit dem Text abgeschlossen. Du kennst das sicher – man weiß, dass ein Text nicht perfekt ist, aber man betrachtet die Ecken und Kanten eben als zu dem Ganzen zugehörig. Trotzdem danke für den Hinweis, ich muss das mal sacken lassen. Gut gefällt mir dabei auf jeden Fall, dass die Kamera dann in der letzten Szene Stammer zeigen würde. Er hätte gewissermaßen das Schlusswort.

Erdbeerschorsch, danke für Deine Mühe und Deine Gedanken.

Beste Grüße
Achillus

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom