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Bei Nacht und Nebel

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28.11.2014
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Bei Nacht und Nebel

Das Licht der Scheinwerfer strich über das Tor und ihnen sprangen die neongelben Zeichen in die Augen. Jemand hatte sie auf die grünen Flügel ihres Eingangstores gesprayt.
Jörn trat hart auf die Bremse und der Motor soff ab. Nun war es also passiert, ging es Theresa durch den Kopf. Das waren keine Graffiti. Runen waren das, genau wie die auf dem neuen Schild am Dorfeingang. ‚Magyarország a magyaroké’ – Ungarn den Ungarn! Diese Parole der Rechten hallte in Theresas Ohren, während Jörn und sie einen Moment wortlos verharrten.

Theresa gab sich einen Ruck und stieg aus. Je näher sie ihnen kam, umso größer und aggressiver erschienen ihr die grellen, eckigen Zeichen. Sie öffnete das Tor und Jörn fuhr in die Garage. Beim Schließen des rechten Flügels berührte Theresa versehentlich die Schrift. Die Farbe war noch weich und klebte an ihrem Finger. Während sie versuchte, ihn mit einem Taschentuch zu säubern, schaute sie auf den Weg, der von einer Lampe schwach beleuchtet ins Dorf führte. Nichts. Niemand war zu sehen. Auch die Fenster der Nachbarhäuser waren dunkel. Natürlich, dachte sie, es war nach zwei. Alle schliefen.

„Kommst du endlich?“
Jörn hatte die Eingangstür aufgeschlossen und wartete. Das Haus lag im Dunkeln, Wolken hatten sich vor den Mond geschoben und nur die Laterne am Nebengebäude tauchte den Hof und die alten Walnussbäume in ein diffuses Licht.

Schweigend betraten sie das Haus.
„Wer macht denn nur so was?“, fragte Theresa.
„Jugendliche, verrückte Jugendliche.“ Jörn verfehlte den Haken und der Mantel fiel zu Boden.
Er hob ihn auf. „Mach dir keine Gedanken. Das wird sich aufklären.“ Er drehte sich zu ihr. „Und bitte, fang nicht wieder an, dir irgendwas einzureden. Das sind nur blödsinnige Schmierereien.“ Er hängte den Mantel auf und wandte sich zur Küche. „Ich hol mir noch ein Bier.“ Er gab ihr einen flüchtigen Kuss. „Ich brauch noch einen Moment. Geh du ruhig schon schlafen.“
„Ja.“
Erst als Jörn schon in der Küche war, fiel es ihr ein: „Gute Nacht, Schatz. Schlaf gut.“
„Ja, du auch.“

Theresa stand unschlüssig vor dem Spiegel. Sicher hatte Jörn recht und es waren nur ein paar dumme Jugendliche, die sich einen Scherz erlaubt hatten. Sie löste die Spange aus ihrem Haar. Aber warum dann diese Zeichen? Sie hielt in der Bewegung inne.

Ihr Spaziergang am letzten Sonntag fiel ihr ein. Sie ging oft diesen Weg, der vom Parkplatz in den Wald führte. Er stieg nur sanft an und es war angenehm, ihm zu folgen. Meist waren sie hier allein und sie konnte den Hund von der Leine lassen.
An diesem Tag stand ein Pick-up neben dem Forstschild. Zwei Männer in braun-grüner Tarnkleidung waren damit beschäftigt, längliche Gegenstände abzuladen. Forstarbeiter, war Theresas erster Gedanke. Aber am Sonntag? Drei weitere Autos kamen und auch aus ihnen stiegen junge, ähnlich gekleidete Männer. Jetzt erst fielen Theresa die breiten Lederkoppel und Schulterriemen auf. Ein mulmiges Gefühl beschlich sie. Sie zog die Leine stramm und schneller als gewohnt liefen sie in den Wald.

Als sie nach einer Stunde zurückkamen, hatte Theresa die Männer vergessen und war erstaunt, dass nun mehr als zehn Autos auf dem Parkplatz standen. So viele hatten hier noch nie geparkt. Von den Männern war nichts mehr zu sehen. Sie mussten irgendwo im Wald sein. Alles war ruhig wie immer.

Sie hatte Jörn davon erzählen wollen, dann aber nicht mehr daran gedacht.
Jetzt, vor dem Spiegel, hatte sie die Szene wieder vor Augen. Das war nichts Offizielles. Wo gab es das, dass Soldaten sonntags im Privatauto zu einer Übung kamen?

Es hätte auch keinen Sinn gehabt, Jörn von ihrem Erlebnis zu erzählen. Von ihrem Unbehagen über die neue politische Situation wollte er nichts wissen. Sie solle aufhören, alles immer so zu dramatisieren. Das Land gehöre zur EU. Und solange das so sei, brauche sich niemand irgendwelche Gedanken zu machen.

Die Katze hatte sich in ihrem Korb neben dem Bett eingerollt. Theresa spürte, dass sie nicht so schnell einschlafen würde und stellte den kleinen Fernseher an. Die Diskussion über den neu gewählten amerikanischen Präsidenten lenkte sie einen Moment ab, dann schob sich das grüne Tor mit den grellgelben Zeichen wieder davor. Das waren keine Graffiti. Das waren Zeichen, wie sie jetzt überall zu sehen waren.

Theresa hatte Ildikó, ihre Nachbarin, gefragt:
„Sagt ihr wirklich Runen dazu?“
„Ja, auch.“ Ildikó wollte es damit bewenden lassen, spürte aber wohl, dass das Theresa nicht genug war und fuhr beinahe trotzig fort: „Das versteht ihr nicht. Wir sind stolz darauf. Das war unsere eigene Schrift, bevor wir die lateinischen Buchstaben übernehmen mussten.“
Theresa fühlte sich immer auf dünnem Eis, wenn sie mit Ildikó über Politik sprach. Einerseits fand sie es angenehm, jemanden zu haben, der so gut Deutsch sprach. Andererseits gab es seit dem Referendum gegen die Aufnahme von Flüchtlingen Momente, in denen Theresa spürte, dass sie bei dem, was sie ihrer Nachbarin sagte, wachsam sein sollte.

Im deutschen Fernsehen liefen jetzt Nachrichten. Der scheidende und der neue Präsident hatten sich getroffen und es schien, als würde wohl doch nicht alles so schlimm werden.
Sicher machte sie sich auch mit den Schriftzeichen verrückt.
Die rassistisch motivierten Übergriffe hätten seit der Wahl deutlich zugenommen, sagte der Nachrichtensprecher. Theresa drückte die Fernbedienung.

Im Zimmer war es noch nicht völlig dunkel. Die Wolken hatten sich verzogen und hinter den kahlen Zweigen der Bäume sah Theresa die milchige Scheibe des Mondes.
In den letzten Jahren war alles immer schöner geworden, dachte sie. Auch die Stallgebäude hatten sie erneuern lassen. Das ganze Anwesen hatte jetzt etwas Gediegenes. So hatte Jörn es sich vorgestellt, als er beschloss, den Hof, der kurz vor dem Verfall stand, wieder zu neuem Leben zu erwecken. Er hatte in Szeged ein paar Jahre als Geschäftsführer einer deutschen Firma gearbeitet und kurz, bevor er sich zur Ruhe setzen konnte, dieses halbverfallene Gebäude entdeckt. So hatte sich die Frage, ob sie zurückkehren würden, wie von selbst erledigt. Natürlich spielte auch das bessere Klima eine Rolle.

Theresa hörte Jörn ins Badezimmer gehen und rückte im Bett ein wenig zur Seite. Sie horchte, wartete aber vergebens. Sie schloss die Augen.
Zuerst waren es Schmierereien an Türen, dann klirrende Fensterscheiben, dann brannten Häuser. Wie oft hatte sie früher ihren Schülern erzählt, dass das erst der Anfang gewesen war.

Theresa wälzte sich auf die andere Seite. Sie musste damit aufhören. Jörn hatte recht, sie steigerte sich gerne in etwas hinein. Vielleicht sollte sie ein Glas Wein trinken? Das half meistens, wenn sie nicht gleich einschlafen konnte. Sie stand auf, zog den Bademantel über und ging ins Wohnzimmer.

Jörn hatte sich noch ein weiteres Bier geholt. Er saß im Sessel und hatte die Füße hochgelegt. Der Fernseher war dunkel.
„Kannst du nicht schlafen?“
„Nein.“ Theresa goss sich ein Glas Wein ein, setzte sich ihm gegenüber und legte die Hände auf seine Füße.
„Was machen wir, wenn die uns hier nicht mehr wollen?“
Jörn sah auf das Bier in seiner Hand. „So weit sind wir noch lange nicht.“
„Ich möchte dann lieber nach Hause. Das halte ich nicht aus.“

Jörn schaute auf das Fenster zum Hof. „Keine Ahnung, was das soll. Wahrscheinlich wird es das Beste sein, wenn wir das Tor einfach überstreichen lassen.“
Klar, dachte Theresa, einfach alles übertünchen.
„Damit ist nichts gewonnen", sagte sie.
Sie unterdrückte ihre aufkommende Gereiztheit und fuhr leise fort: „Wenn die das ernst meinen, dann wiederholen die das. Glaubst du nicht auch?“
Jörn sah sie an. „Ja … Kann schon sein … Keine Ahnung.“ Er schaute zum Telefon. „Ich könnte versuchen, Ferry zu erreichen. Vielleicht hat er Nachtschicht und ist im Einsatz?“
„Und, was soll das bringen?“
„Immerhin ist das fremdes Eigentum, was die beschädigt haben. Das ist auch hier strafbar.“
Jörn nahm einen Schluck, lehnte sich zurück und schloss die Augen.

Theresa betrachtete ihn. Er wirkte jünger, als er war. Der Job hatte ihn nicht verschlissen. Es war gut, dass er hier noch eine neue Aufgabe gefunden hatte und sogar seinen Lebenstraum verwirklichen konnte. Schon immer war es sein Wunsch gewesen, aus einer heruntergekommenen Ruine wieder etwas richtig Tolles zu machen. Und so präsentierte es sich jetzt auch. Das alte Gutshaus mit dem großen Innenhof und der schönen Gartenanlage dahinter wirkten, als warteten sie auf den Fotografen eines Immobilienmagazins.
Wenn Jörn gefragt wurde, ob er sich vorstellen könne, zurück nach Deutschland zu gehen, war seine Antwort stets, dass das hier sein Alterssitz sei und er hier sterben wolle. Theresa hielt sich in letzter Zeit bei diesem Thema zurück. Sie war froh, wenn sie niemand nach ihrer Meinung fragte.

Ihre Nachbarn waren nette Leute. Tiefe Freundschaften waren in den Jahren nicht entstanden, aber man ging aufmerksam miteinander um. Irgendwann hatte Theresa von Ildikó auf Facebook eine Freundschaftsanfrage erhalten und dann festgestellt, dass ihre Nachbarin ziemlich aktiv war: Kaum eine Woche verging, in der sie nicht ein neues Kochrezept einstellte. Daneben verlinkte sie in letzter Zeit aktuelle Zeitungsmeldungen. Am Anfang war Theresa neugierig auf Ildikós politische Meinung gewesen, aber dann hatte sie sich entschieden, auf ‚nicht mehr abonnieren’ umzustellen. Diesen populistischen Scheißdreck, wie sie es in Gedanken nannte, brauchte sie nicht.

Jörn stand auf.
„Ich geh dann mal. Du solltest dich auch hinlegen. Das ganze Grübeln hat keinen Sinn."

Die Wirkung des Weins ließ auf sich warten. Theresas Blick fiel auf den Drogerieschrank mit den vielen weißen Emaille-Schildchen, auf denen die lateinischen Namen der Kräuter, Blüten und Samen standen. Er war aus massiver Eiche und es hatte drei Männer gebraucht, ihn vom Umzugswagen ins Haus zu wuchten. Vielleicht konnte man ihn stehen lassen? Die Leute hier liebten solche Antiquitäten.
Im Moment wirkte er recht kahl. Nur der silberne Leuchter, den sie von ihrer Mutter geerbt hatte, stand noch darauf. Theresa hatte das verblühte Herbstgesteck runtergenommen. In der nächsten Woche würde sie mit der Weihnachtsdekoration beginnen. Aber machte das überhaupt noch Sinn?

Sie saß noch eine Weile, ging dann rüber, legte sich neben ihren schlafenden Mann und schaute zum Hoffenster. Der Mond war nicht mehr zu sehen, aber es war immer noch hell und die Bäume vor dem Fenster hatten etwas Schattenrissartiges – wie eine Theaterkulisse.

Irgendwas war los im Hof. Theresa öffnete die Haustür. Ferry war gekommen. Auch er trug jetzt Braun-grün. Sie lief auf ihn zu, griff nach seinem Arm. Mit einer brüsken Bewegung schüttelte er ihre Hand ab und drehte sich weg.
Sie schaute sich verzweifelt um, wusste nicht, an wen sie sich wenden sollte. Am Fenster stand Ildikó und lächelte ihr zu. Doch als Theresa auf sie zulief, verwandelte sich ihr Lächeln in ein kaltes Grinsen. Triumphierend hob sie den silbernen Leuchter in die Höhe und schwenkte ihn hin und her.
Stimmen erklangen hinter Theresa. Sie drehte sich um und sah Nachbarn am geöffneten Tor stehen. Rhythmisch johlten und klatschten sie in die Hände. So sehr sie sich bemühte, Theresa verstand nicht, was sie grölten.
Mit quietschenden Bremsen stoppte der Pick-up vor dem Tor. Die Männer aus dem Wald sprangen raus, knallten die Türen und lösten die hintere Klappe.
Jörn kam aus dem Haus; gebeugt wie ein alter Mann ging er an ihr vorbei. Er trug immer noch seinen Schlafanzug. Als er das Tor erreichte, richtete ein Junge die Spraydose auf ihn. Grellgelbe Farbe rann dickflüssig über die Streifen des Pyjamas.
Theresa stand wie gelähmt. Um sie herum war plötzlich Stille. Von irgendwoher löste sich eine Melodie, die wogend lauter und lauter wurde.

Theresa erwachte. Ihr Kopf tat ihr nur widerstrebend den Gefallen, Traum und Wirklichkeit voneinander zu trennen. Zurück blieb dumpfe Angst, zu der das Hellblau und Rosa des Novemberhimmels einen fast tragischen Kontrast bildeten.
Jörn war schon aufgestanden. Der auf- und abschwellende Anfang von Griegs ‚Morgenstimmung’ wurde quälender und Theresa griff nach ihrem Handy. Es war Ildikó.

„Hallo Ildikó.“ Theresa schob sich umständlich ans Kopfende, um aufrecht sitzen zu können.
„Morgen Theresa. Habt ihr es schon gesehen?“
„Ja. Als wir zurückgekommen sind.“
„Sieht schlimm aus.“
„Kann man so sagen.“
„Es ist Lack, Autolack.“
„Ist das nicht ganz egal, was das ist?“
Theresa bereute ihre Schroffheit. Gefasster fuhr sie fort:
„Ildiko, kannst du mir sagen, warum jemand so etwas tut?“
„Palinka. Schnaps. Ich weiß es nicht. Ich weiß nicht, warum die beiden das gemacht haben.“
Theresas Kopf dröhnte. „Welche beiden?“
„Na, die Kovacs-Brüder.“
„László und Sàndor?“ Theresa kannte die Zwillinge. Ihr Vater betrieb im Ort eine kleine Autowerkstatt „Was haben die gegen uns?“
Ildikó schien ihre Frage nicht gehört zu haben. „Die sind in irgend so einem Verein. Wahrscheinlich kommt alles daher?“
„Was?“
„Das mit den Zeichen.“
Theresas nächtliche Gedanken kehrten zurück und drängten aus ihr heraus.
„Ildikó, kannst du mir sagen, was das alles mit uns zu tun hat? Warum gerade wir? Was haben wir falsch gemacht? Was haben wir euch getan? Warum will man uns hier weg …?“ Ihre Stimme überschlug sich und wurde von einem Schluchzen erstickt.
Es dauerte einen Moment, bis Ildikó wieder etwas sagte.
„Theresa, beruhige dich … Das hat doch mit euch nichts zu tun. Wie kommst du denn nur auf so was?“
„Wie ich darauf komme? Das fragst du noch?“
Sekunden vergingen.
Durch den Tränenschleier sah Theresa ein Eichhörnchen, das auf einen weit ausladenden Ast geklettert war. Es verharrte einen Moment und drehte den Kopf, als überlege es, wohin es nun solle. Mit einem gewagten Sprung erreichte es das Dach der Scheune.
Ildikó sprach jetzt lauter, eindringlicher: „Also, Theresa! Was hast du dir da nur eingeredet? Wir sind doch Nachbarn. Gute Nachbarn. All die Jahre. Wie kommst du darauf, dass irgendjemand euch hier nicht will? … Ihr seid doch keine Flüchtlinge. Das alles hat doch mit euch nichts zu tun. Kein Mensch will, dass ihr weggeht.“
„Ja, aber warum dann gerade unser Tor?“
Auf der anderen Seite blieb es einen Moment still.
„Hör mir zu Theresa: So ist das doch gar nicht… Jedes Tor hier in unserer Straße …“ Sie machte eine Pause und begann noch einmal: „Hör mir zu: Alle Tore haben sie beschmiert. Alle! … Die Jungs haben einfach viel zu viel getrunken. Und dann hatte wohl jemand die Idee mit der Mutprobe … Frag mich nicht, warum sie gerade Runen genommen haben. Wahrscheinlich wissen sie das selber nicht. Dumme Jungen eben.“
Wieder schien sie darauf zu warten, dass Theresa sich äußerte.
„Wie kommst du nur darauf, dass wir etwas gegen euch haben? Ihr seid doch Deutsche. Kein Mensch will euch was. Euch doch nicht!“

Theresa legte das Handy neben sich. Ihre Glieder schmerzten und in ihren Ohren hämmerte Ildikós: ‚Euch doch nicht’. Sie rieb mit dem Handrücken über die Augen und atmete tief durch. Der Knoten begann sich zu lösen. Es war ja alles gar nicht so schlimm. Ein dummer Jungenstreich – nichts weiter.

In der Küche klirrte es. Theresa hörte einen Fluch. Jörn musste etwas aus der Hand gefallen sein. Etwas war kaputtgegangen.

 

Hallo barnhelm,

ich versuche um deiner Geschichte besser auf den Grund zu gehen eine Dreiteilung:

1. (Realer?) Hintergrund

2. Dynamisch Erzähltes

3. Subtile Details

Sicher sind die 3 Bereiche nicht frei von Schnittmengen untereinander, aber ich halte die Herangehensweise für passend, da das übliche Schema Zusammenfassung, Abstraktion, Interpretation hier irgendwie nicht so richtig greift, wenn ich mir die Spezifik deiner Geschichte so anschaue. Du arbeitest viel weniger mit einer Symbolik, die Geschichte lebt eher von der Realbezugsdynamik, von einer Sogwirkung, die gerade weil sie nicht klar umrissen ist, flexibel in einer gewissen Reichweite auf die Psyche wirken kann, während du zahlreiche Fragen aufwirfst, die in diesem Effekt aufgehen und/oder ihn noch verstärken. Dieser Effekt wird dann in die genannten Unterscheidung aufgespalten, die dann den Boden für die Interpretation bietet, aber auch diese ist grob vorab überschlagen nicht direkt möglich, stattdessen bündeln sich einzelne Aspekte zu einer Fragestellung, die die Geschichte am Ende sogar konterkariert und dadurch meiner Ansicht nach noch verstärkt, weil die Auflösung der Fragen wenig überzeugend daherkommt. Ein geniales Stilmittel meiner Meinung nach, aber ich will konkret werden.


1. (Realer) Hintergrund

Die Geschichte hat eindeutig aktuellen Bezug, selbstredend die Flüchtlingskrise, spielt aber, wie kurze Recherche ergeben hat, in Ungarn. Darauf verweist der an einer Stelle genannte Ort Szeged ebenso wie der Name der Nachbarin, der germanischen Ursprungs ist und gleichzeitig aber ungarisch. Zunahme der Kriminalität aus Rassismus werden erwähnt, aber es wird konkreter, das Klima aufgeladen durch die politische Debatte wird geschildert, dass die tendenziell eher im Fokus stehende Protagonistin Hemmungen hat über Politik zu reden, gerade gegenüber der fremdartigen menschlichen Umgebung, auch wenn diese - exemplarisch durch die Nachbarin verkörpert - sogar gut deutsch spricht. Die Hetze die Teilweise in den sozialen Netzwerken vorkommt wird ebenfalls angeschnitten .

In der Geschichte nicht direkt erwähnt werden die Tatsachen, dass Ungarn Übergangsstation der Flüchtlingsströme nach Deutschland war und dass dort ein neues Mediengesetzt existiert, dass in der Kritik ist. Außerdem war Viktor Orbán wenig gesprächsbereit im Bezug auf Flüchtlingsaufnahme und wird beschuldigt, die Menschenrechte in Ungarn zu schwächen.


2. Dynamisch Erzähltes

Zu diesem Bereich zählt zu allererst das wichtigste äußere Element der Geschichte, das Symvbol, das keines ist bzw. als solches nicht gedeutet werden kann, weil es vage bleibt: die Runen. Deren Auftreten markiert den Start der Dynamik wird von den beiden Protagonisten reflektiert, aber in der Hauptsache von Theresa weiter getragen, aber auch die Nachbarin ist bis zu einem gewissen Grad involviert. Zunächst nehmen die beiden Hauptcharaktere diesen Auslöser wahr, dann folgt ein Diskurs zwischen den beiden, während sich Jörn aber mit formelhaften,aber prinzipiell vernünftigen Versicherungen explizit auf Recht(sstaat) und überregional garantierte Standards der EU verlässt, findet Theresa keine Ruhe. Der Bezug auf die Reichsprogromnacht ist eine sehr wirkungsvolle Analogie an dieser Stelle, aber auch sonst stoßen die Symbole eine Spirale der Angst in Theresa an, die sie zwar als solche erkennt, aber tendenziell dennoch nicht unter Kontrolle hat. Sie schildert ihre Sorgen Jörn, aber der bleibt bei seiner Einschätzung. Was aber ihre Sorge deutlich substantiell macht, ist die Organisation die hinter den Männern steht, die im Wald irgendwelche dubiosen Treffen veranstalten, ein Hinweis darauf, dass politische Gruppen sich bündeln und radikalisieren. Dies entlädt sich bis hinein in die Bevölkerung, wenn offensichtlich wird, dass zwei bekannte Jugendliche die Runen überall im Dorf mit Autolack an die Wände gemalt haben.


3. Subtile Details

Die Substanz mit der die Runen am Anfang gemalt wurden klebt an Theresas Händen, das ist zwar schwer direkt zu deuten, hat aber eine belastende Tendenz, die sich Theresa nicht eingestehen will, zumindest reagiert sie gereizt, wenn die Nachbarin die Substanz konkret erwähnt.

Das folgende Zitat

Sie saß noch eine Weile, ging dann rüber, legte sich neben ihren schlafenden Mann und schaute zum Hoffenster. Der Mond war nicht mehr zu sehen, aber es war immer noch hell und die Bäume vor dem Fenster hatten nun etwas Schattenrissartiges – wie eine Theaterkulisse.

ist interessant, weil es den Ort der Handlung aus einem unbekannten Blickwinkel darstellt, denn die beiden liegen bereits im Bett und können somit nicht die Landschaft sehen, auf den Punkt gebracht wird das Ganze dann noch durch den Vergleich mit dem Theaterkulisse, so als würde sich wie auf einer Bühne ein intendiertes Schauspiel ereignen.

Das alltägliche Missgeschick von Jörn am Ende ist eine Hinweis auf einen Verlust von Sicherheit, der zwar nur banal daherkommt, aber im Kontrast zu der Beruhigung von Theresa durch die Nachbarin den bedrohlichen Unterton aufrecht erhält.


Interpretation

Die ganze Geschichte ist fiktiv und gewinnt dadurch einen intentionalen Charakter, der ganz andere Überlegungen nahe legt als ein reales Geschehen. In diesem Fall habe ich das Gefühl, dass die Protagonisten bewusst aus Deutschland ausgelagert wurden, um das Gefühl des Ausländerdaseins gerade für unseren Sprachraum plastisch zu machen. Vieles spricht dafür, etwa gleich am Anfang die Wendung:

Nun war es also passiert, ging es Theresa durch den Kopf.

Obgleich in der dortigen Gesellschaft anerkannte Individuen verliert Theresa den Kopf auf Grund der nicht erklärbaren Bedrohung, die sich in den Runen ausdrückt. Durch die Wahl des Schauplatzes wird also das ganze Szenario der Angst vor der vormals freundlichen Umgebung für die deutschen Leser fühlbar, und auch wenn die Angst in letzter Konsequenz vielleicht übertsteigert daherkommt, ist diese Übersteigerung menschlich und verständlich.

Sie wird plausibel dargestellt und man selbst fragt sich, was das alles zu bedeuten hat und im Rahmen des Hintergrundes stellt man sich Fragen.

Außerdem: Die Bevölkerung, bzw. explizit die Nachbarin weiß viel zu genau Bescheid über die Aktion mit den Runen, das impliziert eine enge Vernetzung über Medien und sonstiges.

Das ist wohl einer der wichtigsten Zwecke der Geschichte. Aber viel interessanter ist die Auflösung, die keine ist: als Deutsche sind die Protagonisten nicht betroffen und Theresa ist dadurch beruhigt. Das aber wiederum wirft unmittelbar die Frage auf, was mit den anderen ist. Die Bedrohung ist akut, zwar nicht für die Deutschen, aber sehr wohl für Ausländer, mit denen man, durch das Geschilderte ergriffen, jetzt nicht nur theoretisch, sondern sehr persönlich mitfühlen kann. Das ist gewiss auch so von dir beabsichtigt, denn wie auch das erwähnte Detail bezüglich Jörn ganz am Ende andeutet, ist gar nichts vorbei, der sichere Rahmen ist in Gefahr, die Gesellschaft wie sie existiert ist in Gefahr und es ist angeraten, dagegen vorzugehen und Menschlichkeit gegenüber den Gefährdeten zu zeigen. Die Geschichte lässt den Leser sensibilisiert zurück und ist damit Literatur in einem sehr zweckvollen Sinn. Gefällt mir.

Das dürfte das Wichtigste gewesen sein.

Beste Grüße

Bael

 
Zuletzt bearbeitet:

Lieber Bael,

zuerst danke ich dir für deinen ausführlichen Kommentar zu meiner Geschichte. Du hast dich sehr stark mit ihr auseinandergesetzt und hast sie für mein Empfinden eher interpretiert, als – wie sonst hier üblich – eine kritische Analyse abzugeben, die Schwächen und Stärken aufzeigt. Ich glaube, dass ich deshalb auf deinen Text am besten antworte, wenn ich deiner Deutung meine Intention gegenüberstelle und die beiden miteinander vergleiche.

Die Geschichte hat eindeutig aktuellen Bezug, selbstredend die Flüchtlingskrise, spielt aber, wie kurze Recherche ergeben hat, in Ungarn.

Beides kann ich nur bestätigen. Ich lebe meist in Ungarn, habe aber auch noch eine Wohnung in Deutschland, und halte mich dort mehrmals im Jahr auf.

In der Geschichte nicht direkt erwähnt werden die Tatsachen, dass Ungarn Übergangsstation der Flüchtlingsströme nach Deutschland war und dass dort ein neues Mediengesetzt existiert, dass in der Kritik ist. Außerdem war Viktor Orbán wenig gesprächsbereit im Bezug auf Flüchtlingsaufnahme und wird beschuldigt, die Menschenrechte in Ungarn zu schwächen.sprächsbereit im Bezug auf Flüchtlingsaufnahme und wird beschuldigt, die Menschenrechte in Ungarn zu schwächen.

Es ist alles richtig, was du schreibst. Ich könnte sehr viel dazu sagen, das sollte aber diesmal nicht mein Thema sein. Im letzten Jahr habe ich in einem Blogeintrag dazu etwas geschrieben.

Deinen Ausführungen unter dem Punkt ‚Dynamisches Erzählen’ kann ich zustimmen. So hatte ich mir die Zusammenhänge gedacht.

Auch die Details hast du in meinem Sinne gedeutet. Freut mich, dass das so rübergekommen ist. Allerdings hatte ich bei der Farbe, die an dem Finger kleben bleibt, eigentlich keinen symbolischen Hintergedanken, kann dir in deiner Deutung aber durchaus folgen.

Das alltägliche Missgeschick von Jörn am Ende ist eine Hinweis auf einen Verlust von Sicherheit, der zwar nur banal daherkommt, aber im Kontrast zu der Beruhigung von Theresa durch die Nachbarin den bedrohlichen Unterton aufrecht erhält.

Ja, so war meine Intention.

Und auch das war mir wichtig:

… denn wie auch das erwähnte Detail bezüglich Jörn ganz am Ende andeutet, ist gar nichts vorbei, der sichere Rahmen ist in Gefahr, die Gesellschaft wie sie existiert ist in Gefahr und es ist angeraten, dagegen vorzugehen und Menschlichkeit gegenüber den Gefährdeten zu zeigen.

Wenn das die Botschaft ist, die von meinem Text bleibt, dann bin ich zufrieden mit ihm. So ist auch meine Haltung.

Vielleicht noch kurz zum Hintergrund meiner Geschichte. Sie ist natürlich fiktiv, das siehst du richtig. Aber kein Detail in ihr ist erfunden, selbst die Schmierereien auf den Toren nicht. Allerdings passierte so etwas schon vor Jahren. Erst als sich herausstellte, dass auch viele andere Tore in der Nacht besprüht worden waren, löste sich bei uns die Beklemmung. Damals handelte es sich allerdings um (ganz normale) Graffitis.

Bael, ich danke dir für deinen Kommentar. Ich bin sehr beeindruckt von der Sensibilität, mit der du meinen Text gedeutet und mein Anliegen erkannt hast.

Liebe Grüße
barnhelm

 

Hallo barnhelm,

deie Geschichte ist sehr realistisch und da ich diese Realität jeden Tag um mich herum erlebe, ist sie für mich letztlich eine der vielen verstörenden Nachrichten. Vor allem der Satz am Ende

Es war ja alles gar nicht so schlimm.
hat mich angesichts der Erlebnisse der Prota doch aufgeregt und - frei nach Martin Niemöller - fiel mir zu der Geschichte ein kleines "Gedicht" ein:

Als sie gegen die Flüchtlinge gehetzt haben,
hab ich nichts gesagt. Ich war ja kein Flüchtling.

Als sie gegen die Schmarotzer gehetzt haben,
hab ich nichts gesagt. Ich war ja kein Schmarotzer.

Als sie gegen die Kommunisten gehetzt haben,
hab ich nichts gesagt. Ich war ja kein Kommunist.

Als sie gegen die Ausländer gehetzt haben,
war niemand mehr da, der hätte etwas sagen können.

Liebe Grüße

Jobär

 

Lieber jobär,

dieses Gedicht von Martin Niemöller trifft genau das, was ich mitschwingen lassen wollte in meiner Geschichte. Auch mir ist es im letzten Jahr oft durch den Kopf gegangen. jobär, danke für deinen Kommentar.

Liebe Grüße
barnhelm

 

Liebe @barhelm,

die Auswirkungen der Weltpolitik auf das konkrete Leben der Menschen sind dein Thema. Und die skizzierst du anhand deines fiktiven deutschen Paares in Ungarn. Ihre Idylle, mit Herzblut gestaltet und liebevoll gehegt, ist bedroht. Die Frau, Theresa, sieht frühe Anzeichen, ihr Mann, Jörn, beschwichtigt, weil er um jeden Preis in Ungarn seinen Lebensabend verbringen möchte.

Um jeden Preis? Dies bleibt offen, der Schluss deiner Geschichte setzt jedenfalls ein Fragezeichen.

Schön die direkten, aber auch subtilen Hinweise, von Orbans (bislang noch) gescheiterten Gesetzesvorlagen bis zu den Statements der freundlichen einheimischen Nachbarn (Ildiko), die doch nicht wirklich Freunde sind. Und Runen sind eben was anderes als Graffitis.

Sehr gut hat mir die entlarvende Rede von Ildiko gefallen:

..."Wie kommst du nur darauf, dass wir etwas gegen euch haben? Ihr seid doch Deutsche. Keine Mensch will euch was. Euch doch nicht!"

Da schwingen viele Konnotationen mit, geschichtliche wie aktuelle.

Du hast den Schluss sehr dezent gestaltet. Vielleicht könnte man ihn etwas verstärken, damit er nicht untergeht. Schließlich ist er die Quintessenz deiner Geschichte.

Ein Vorschlag:

In der Küche klirrte es. Theresa hörte einen Fluch. Jörn musste etwas aus der Hand gefallen sein. Etwas Kostbares war kaputtgegangen.

Vielleicht ist dir das aber auch zu sehr mit der Nase draufgestoßen.

Sehr schöne Geschichte mit politischer Botschaft. Das gelingt nicht jedem.

Herzliche Grüße
wieselmaus

 

...die Auswirkungen der Weltpolitik auf das konkrete Leben der Menschen sind dein Thema.

So ist es, liebe wieselmaus. Die zwischenmenschlichen Beziehung interessieren mich zwar auch sehr, aber es fällt mir schwer, sie so darzustellen, dass es Leser auch mitreißen könnte. Deshalb bleib ich bei meinem Leisten;).

Und es freut mich ganz besonders, dass dir meine Geschichte gefallen hat.

Da schwingen viele Konnotationen mit, geschichtliche wie aktuelle.

Ja, da sollte einiges mitschwingen, was ich nicht explizit ansprechen wollte. Wenn es funktioniert, umso besser.

Danke für deine Anregung, was den Schluss angeht. Ich habe ihn erst einmal ein wenig geändert. Vielleicht fällt mir noch etwas dazu ein. Das ‚Kostbares’ wollte ich nicht übernehmen. Das scheint mir, da Theresa ja nicht sehen kann, um was es sich handelt, ein wenig zu stark.

Nachdem ich nun meinen Text eingestellt habe, kann ich mich auch wieder den anderen widmen. Es gibt ja wirklich schöne Geschichten zu lesen - und deine gehört dazu.
wieselmaus, ich wünsche dir einen schönen Tag und weiterhin fröhliches Kommentieren.

Liebe Grüße
barnhelm

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Barnhelm,

ich finde, das ist eine handwerklich gelungene Geschichte. Wirkt sehr rund auf mich. Trotzdem überzeugt sie mich nicht ganz. Oder es ist eine Geschmackssache. Mal sehen.

Du führst die Protagonistin und ihren Konflikt glaubhaft, lebendig und anschaulich ein. Ich kann mir das alles gut vorstellen. Auch die Interaktion zwischen Theresa und Jörn finde ich nachvollziehbar. Sie ist stark beunruhigt. Ihm gibt es auch zu denken, aber er demonstriert Ruhe und Gelassenheit.

Das Ganze wird dann weitergeführt und aufgelöst durch die Beschreibung der aktuellen Stimmung im Dorf. So weit ich es verstanden habe, spielt die Geschichte in Ungarn. Fremdenangst und Fremdenhass hat die ehemals freundschaftliche Nachbarschaft infiziert und nun machen sich auch die deutschen Protagonisten darüber Sorgen, ob sie noch willkommen sind.

Und da zeigt sich wieder, was wir alle ja wissen: Ausländer ist nicht gleich Ausländer. Es sind vorrangig die armen, mittellosen Ausländer, gegen die sich der Hass richtet. Weil die was von unserem Kuchen abhaben wollen. Weil die uns was wegnehmen wollen.

Das macht als Geschichte alles durchaus Sinn, aber ich finde es einen Tick zu brav und zu konventionell. Zu geradlinig vielleicht. Protagonisten werden interessant, wenn sie uns Menschen eben nicht in Normal-Null-Position zeigen, sondern Außergewöhnliches denken, sagen, tun oder verkörpern. Ich glaube, das liegt daran, dass wir in diesen außergewöhnlichen Protagonisten unsere eigenen außergewöhnlichen Seiten sehen können.

Wir wollen nicht den Anteil unserer selbst sehen, der sich brav an die Regeln hält, abends vor dem Schlafengehen artig seine Kleider zusammenlegt und immer rechtzeitig seine Steuererklärung abschickt. Selbst wenn wir zu achtzig Prozent konventionell sind, wollen wir Protagonisten sehen, die es nicht sind, denn das ist der Ort in uns selbst, wo die Kreativität steckt, wo das Leben sich verändern kann.

Theresa und Jörn sind brave Bürger, aber eben nicht viel mehr. Die rasten nicht aus, schreien nicht rum, hauen nicht mit der Faust auf den Tisch, sondern reagieren innerhalb der Spannbreite von ängstlich bis besonnen. Das macht sie als Protagonisten nicht sehr attraktiv, finde ich.

Warum sie nicht ein bisschen schräger, ein bisschen irrationaler zeigen. Warum sie als Mäuschen darstellen? Gäbe es nicht auch andere Varianten mit der beschriebenen Situation umzugehen?

Ich lese gerade mal wieder Homo Faber von Max Frisch und dabei fällt mir auf, was sein Schreiben von rein handwerklich ordentlichem Schreiben unterscheidet. Es ist die Darstellung von außergewöhnlichen Perspektiven in scheinbar vertrauten Situationen. Als würde er die Essenz einer Situation in ein oder zwei markanten Sätzen zusammenfassen.

Langfristig könnte ich mir vorstellen, dass Du an diesen Dingen noch feilen kannst (gilt genauso für mich selbst), also nicht nur handwerklich sauber zu schreiben – das machst Du sehr gut – sondern jetzt noch prägnanter und genauer. Suche den ungewöhnlich klaren Ausdruck, das unverwechselbare Bild. Natürlich nicht in jedem Satz oder Absatz, aber doch mehrmals pro Text.

Das ist alles Kritik auf hohem Niveau, will heißen, Du hast für mein Empfinden alle Basics gemeistert und kannst Dich jetzt an die richtig schwierigen Dinge wagen, wenn Du das möchtest.

Beste Grüße
Achillus

 
Zuletzt bearbeitet:

Liebe barnhelm,

ich habe es dir schon mal gesagt, glaube ich, aber ich gehe die Gefahr ein, mich zu wiederholen: Deine Art zu schreiben trägt mich immer ganz sanft voran. Das mag ich.

Ein paar winzige Kleinigkeiten:

Drei weitere Autos kamen und auch aus ihnen stiegen junge, ähnlich gekleidete Männer. Jetzt erst fielen Theresa die breiten Lederkoppel und Schulterriemen auf. Ein mulmiges Gefühl beschlich sie. Sie zog die Leine stramm und schneller als gewohnt liefen sie in den Wald.
Da war ich kurz verwirrt. Laufen die Männer in den Wald oder Theresa und ihr Hund? Beim zweiten Durchlesen erschließt es sich, aber vielleicht kannst du das noch klarer formulieren. Ich finde, diese Sätze wirken ein bisschen schwammig und durcheinander.


Sie griff nach ihrem Handy, dass immer lauter zu werden schien. Es war Ildikó.
"griff nach ihrem Handy, das immer lauter zu werden schien."

Inhaltlich war das sehr interessant. Anfangs fragte ich mich, warum hängt sich Theresa denn so an diesen Runen auf? Dann habe ich mich in ihre Lage versetzt und konnte ihr Unwohlsein immer besser verstehen. Vielleicht wird es auch dadurch verstärkt, dass ihr Mann so lässig reagiert. Da wünscht man sich als Frau doch eher jemanden, der einen an sich drückt, zuhört und bespricht, wie man diese Sache regeln könnte. Ich verstehe sehr gut, dass Theresa sich da im Stich gelassen fühlt. Für mich fühlt sich die Beziehung der beiden sowieso ein wenig brüchig an.

Die Auflösung hat eine gute Pointe. Okay, wir waren nicht gemeint, aber macht das die Sache denn wirklich besser?

Gerne gelesen!
RinaWu

 

Lieber Achillus,

du legst den Finger in die Wunde. Ich weiß genau, was du mit dem, was du mir schreibst, meinst. Das ist mein Problem: Ich bin eigentlich kein Geschichtenschreiber. Diese Literarizität, die auch ernst offshore immer wieder einfordert, ist genau das, was den Unterschied macht. Und da tue ich mich sehr schwer. Ich kann auf einer sachlichen Ebene ganz gut Probleme durchdenken und sie zu Papier bringen, bewundere aber jeden, der das mit Geistesblitzen, Witz, guter Metaphorik und anderen zündenden Ideen hinbekommt, von der sprachlichen Kreativität einmal ganz abgesehen.
Das heißt nicht, dass ich es deinem Vorschlag entsprechend nicht auch versuchen werde. Aber ich sehe gerade bei den Texten, die ich in den letzten Tagen hier lese, wie das Schreiben und Fabulieren dem einen leicht fällt und er gute Ideen sprachlich und inhaltlich umsetzt, und andere sich bemühen, aber manches doch dann recht gewollt rüberkommt. Vermutlich, um das Letztere zu vermeiden, begebe ich mich lieber in die sichere Ecke. Aber ich werde deine Worte in meinem Herzen bewegen – mal sehen, vielleicht kann ich sogar noch an meiner jetzigen Geschichte ein wenig basteln.

Auf jeden Fall danke ich dir wie immer für deine hilfreichen und anregenden Gedanken.


Liebe Grüße
barnhelm

 
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Hallo barnhelm,
ich war neugierig, ob da immer noch „Schweinwerfer“ steht (viertes Wort). Mach' das bitte weg, obwohl „Schweinwerfer“ nach einer guten Waffe für den Einsatz gegen Nazis klingt. Würde ich gerne einmal ausprobieren! Aber im Ernst, deine Geschichte ist wertvoll und wichtig. Ob sie auch unterhaltsam ist, darüber wurde ja oben schon spekuliert. Du weißt doch: „Prodesse et delectare“! Noch besser hätte es mir gefallen, wenn die Handlung in den neuen Bundesländern, zum Beispiel in Mecklenburg-Vorpommern, gespielt hätte, wo es ja ganze Nazi-Dörfer gibt. Aus naheliegenden Gründen ist es bei dir hier Ungarn. Das ist sehr interessant und brisant. Ich bin ab und zu in Tschechien und erlebe die Menschen dort als höflich und angenehm, politische Gespräche vermeide ich aber tunlichst. So etwas habe ich auch in deiner Geschichte gefunden. Als Deutscher im Ausland fühlt man sich manchmal eingeschränkt, so wie es auch eine Auslandsdeutsche in Spanien, die ich gut kenne, erlebt. Das ist aber nichts im Vergleich zu dem Hass, der armen Flüchtlingen aus Kriegsgebieten und Wirtschaftsflüchtlingen (fast ein Schimpfwort) entgegenschlägt. Ungarische Runen habe ich recherchiert. Ich frage mich manchmal, was die armen Vorfahren verbrochen haben, dass ihre Schriftzeichen heute dermaßen übelst konnotiert sind. Das ist wie bei den nordischen Runen, seit Hitler. Und wer seine Hunde Odin und Wotan nennt, gilt als Nazi, obwohl den nordischen Göttern kein Vorwurf gemacht werden kann. Vielleicht braucht die Geschichte noch etwas anderes als nur diese Runen, mir fehlt ein wenig Handlung (das schreibt der Richtige). Das ist aber Klagen auf hohem Niveau, die handwerkliche Qualität deines Textes wurde ja bereits an anderer Stelle gewürdigt.
Ich bin gespannt, ob sich der Text noch entwickelt, Gruß,
Bjoern

 
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Liebe RinaWu, lieber Bjoern Klaras und liebe Bea Milana,

ich hab den Morgen damit verbracht, meine Geschichte um einen Traum zu ergänzen. Ob das nun besser ist oder nicht, überlasse ich euch und eventuellen anderen Lesern. Auch Achillus Kommentar spukte mir gestern noch lange im Kopf herum.

Jedenfalls ist mir die Zeit ein wenig durch die Finger gerutscht und ich muss mich jetzt erst mal Mann und Hund zuwenden. Auf eure Kommentare werde ich morgen antworten.

Liebe Grüße
barnhelm

 

Hallo barnhelm!

Ich schließe mich RinaWu bedingungslos an: Auch mir hat dein Schreibstil sehr gefallen. Der ist nicht zu aufdringlich und fast ein bisschen passiv, aber mir gefällt das, weil du eine gute Balance schaffst zwischen dem, was deine Prota beobachtet, und den Dingen, die ihr durch den Kopf gehen.

Allerdings finde ich, dass du es dir – meiner Meinung nach – stellenweise ein bisschen kompliziert machst mit den Sätzen. Es gibt ja wie zum Beispiel in der Umgangssprache einen gewissen Rhythmus, dem sich alle anpassen und wehe, wenn eine Person aus der Reihe tanzt, weil sie beispielsweise noch die ganze Zeit im Präteritum oder Plusqualmeffekt redet – zugegeben, das Beispiel ist ein wenig weiträumig. Für mich – oje, jetzt komme ich noch weiter vom Thema ab – hat jede Geschichte, jeder Text, aber vor allem jedes Buch seinen eigenen Rhythmus. Das sage ich jetzt extra so, weil ich beim Lesen von deiner Geschichte manchmal (!!) das Gefühl hatte, dass sich deine Formulierungen von dem „Gewohnten“ wegbewegen und mir die Formulierungen dadurch teilweise ein bisschen ungelenk vorkamen. Weißt du, was ich meine?

Vielleicht hilft ein kleines Beispiel:

Beide verharrten einen Moment wortlos, dann gab Theresa sich einen Ruck und stieg aus.
Hier hatte ich beim Lesen das Gefühl, dass es „Beide verharrten einen Moment wortlos, dann gab sich Theresa einen Ruck und stieg aus.
Dadurch, dass du das ‚sich‘ (reflexiv nennt man das, glaube ich?! :Pfeif: nach den Namen stellst, bezieht es sich mehr auf Theresa. Wahrscheinlich ist das in diesem Falle auch passender, weil dem Leser dann indirekt klar wird, dass es jetzt nur noch um sie geht, aber mein Gefühl sagt mir, dass man ‚sich‘ eigentlich weiter vor schieben müsste.

Man würde ja auch nicht sagen: „Ich gehe nach Hause bald“, oder?

Jörn verfehlte den Haken und sein Mantel fiel auf den Boden. Er hob ihn auf und sah Theresa an: „Mach dir keine Gedanken. Das wird sich aufklären.“ Er machte eine Pause, schaute ihr in die Augen. „Und bitte, fang nicht wieder an, dir irgendwas einzureden. Das sind nur blödsinnige Schmierereien.“ Er hängte den Mantel auf und wandte sich zur Küche. „Ich hol mir noch ein Bier.“ Er drehte sich zu ihr und gab ihr einen Kuss. „Ich brauch noch einen Moment. Geh du ruhig schon schlafen.“
Mit diesem Abschnitt konnte ich mich nicht so ganz anfreunden. Der ist zwar insgesamt souverän geschrieben, aber er könnte meiner Meinung nach noch besser ausschauen, wenn du entweder einen der kleinen Sätzchen zwischendrin raus streichst oder mehr zwischen der Struktur der Sätze variierst (wenn man aufmerksam liest, dann beginnt jetzt fast jeder Zwischensatz mit „Jörn verfehlte, machte...“ oder „Er hängte...“) Da muss man allerdings aufpassen, sonst klingt’s beim Lesen gekünstelt.
Vielleicht fällt dir auch noch etwas ein, um eins von den beiden ‚ihr’s zu vermeiden. So zum Beispiel in etwa: „Er drehte sich um und gab ihr einen Kuss“... Okay, das klingt jetzt auch nicht wirklich gut, aber zumindest würdest du damit die Doppellung umgehen.

Das waren keine Graffiti.
Müsste es hier nicht „Graffitis“ heißen? Ich weiß, man sagt eigentlich auch Graffito und Graffiti, aber fehlt da nicht ein Mehrzahl-s?

Theresa hatte Ildikó, ihre Nachbarin, gefragt:
Ich nehme mal diesen Satz, um zu verdeutlichen, was mir sonst noch aufgefallen ist. Ich finde, du beginnst deine Geschichte recht unterhaltsam, deinen Schreibstil habe ich ja schon angesprochen, driftest aber irgendwann in so eine Art „Vorvergangenheit“ (erzählerisch, das hat nichts mit den Zeitformen zu tun) ab, bei der ich das Gefühl hatte, dass sie stellenweise ein bisschen die Fahrt & und auch Spannung aus der Geschichte nimmt. Das Ganze erinnert dann ein wenig an einen Bericht, da würde ich an manchen Stellen nochmal ein bisschen rumexperimentieren!
Mit einem Beispiel, oje, im Erklären bin ich echt eine Pflaume -
Als sie nach einer Stunde zurückkamen, hatte Theresa die Männer vergessen und war erstaunt...
Ich nehme mal „Als ich am nächsten Morgen erwachte,...“ und „Beim Erwachen am nächsten Morgen,...“
Ich weiß nicht, ob es noch jemandem so geht, aber mir kommt der zweite Satz irgendwie gegenwärtiger vor, obwohl er im Prinzip ja auch im Präteritum steht.
... Ulla!

Wiegesagt, sehr gerne gelesen!
Ein paar ganz kleine Pünktchen also nur, aber vielleicht kannst du mit denen ja etwas anfangen (ansonsten verkrümeln sie sich in eine Ecke und werden alt und kriegen graue Haare ;)).

Viele Grüße,
SCFuchs


Ps: Gerade sehe ich, dass du die Geschichte über Nacht überarbeitet hast, ich hatte sie also gestern Abend gelesen, vielleicht ist nicht mehr alles ganz aktuell...

 

Liebe RinaWu,

ich danke dir dafür, dass du bei mir reingeschaut hast. Mir fällt es sehr schwer, anders als ‚sanft’ zu schreiben. Nach ein paar Kommentaren werde ich mich aber noch einmal hinsetzen und versuchen, vielleicht ein wenig mehr Pfeffer in das Ganze zu bringen. Gestern habe ich den Text schon ergänzt und hoffe, ihn nicht verschlimmbessert zu haben.

Anfangs fragte ich mich, warum hängt sich Theresa denn so an diesen Runen auf? Dann habe ich mich in ihre Lage versetzt und konnte ihr Unwohlsein immer besser verstehen. Vielleicht wird es auch dadurch verstärkt, dass ihr Mann so lässig reagiert.

Grundsätzlich bin ich von der Idee ausgegangen, dass allein die Schmiererei (Graffiti z.B.) am eigenen Tor dazu führt, dass sich ein beklommenes Gefühl einschleicht. So in etwa: Da will uns jemand was. Und wenn dann auch noch etwas Politisches dazu kommt, dann schleicht sich da auch schnell so etwas wie Angst ein. Kein Ahnung, ob sich das allen so mitteilt. Es ist eben schon das ganze Drumherum, der Abbau der Demokratie, das Erstarken rechtsradikaler Kräfte, Parolen wie ‚Deutschland den Deutschen’ oder hier im Land ganz konkret geäußert ‚Ungarn den Ungarn’, was den Hintergrund für diese diffuse Angst bildet. Vielleicht sollte ich diesen Aspekt noch stärker betonen. Dazu kommt natürlich diese persönliche Ebene, die du anführst: Er macht die Augen zu, lässt das alles nicht an sich heran. Vielleicht hat er ja recht, denn – wie z.B. Bea Milana sagt, Deutsche in dieser gesicherten Existenz haben wohl eher nichts zu befürchten. Aber dazu später mehr.

Das ‚dass’ habe ich ausgebessert.

Liebe Rina, danke für deinen Kommentar. Ich wünsche dir ein schönes 1. Advent-Wochenende.

Liebe Grüße
barnhelm


Lieber Bjoern Klaras,

auch dir danke fürs Kommentieren.

Leider verstehe ich deine erste Bemerkung nicht.

ich war neugierig, ob da immer noch „Schweinwerfer“ steht (viertes Wort). Mach' das bitte weg, obwohl „Schweinwerfer“ nach einer guten Waffe für den Einsatz gegen Nazis klingt.

Kannst du mir das ein bisschen genauer erklären? ‚Scheinwerfer’ gibt es natürlich auch im Theater, aber was stört dich hier an dem Wort?

Prodesse et delectare
Ich versuche mein Möglichstes zu tun. Wie schon im Kommentar zu Achillus gesagt, bewundere ich die, denen erstens gute Geschichten einfallen und die sie zweitens auch packend umsetzen können. Damit tue ich mich eher schwer. Aber ein Teil dieser alten Forderung liegt auch nicht in meiner Hand. Niemand kann nämlich garantieren, dass sein Text jedem etwas bringt bzw. ihn unterhält. Was ich versuchen kann, das ist, die Anregungen meiner Kommentatoren anzunehmen.

Ich bin gespannt, ob sich der Text noch entwickelt

Ja, das bin ich auch.

Liebe Grüße
barnhelm

 
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In meinem Browser lese ich immer noch "Schweinwerfer", das erste "w" muss weg!
Oder zeigt mein Browser eine veraltete Version?
Ich meine das vierte Wort deiner Geschichte.
Gruß, Bjoern

Postskriptum: Ich sehe, dass du es jetzt verbessert hast. Gott sei Dank!

 

Bjoern Klaras,

wie blind muss man eigentlich sein!:D
Danke dir. Aber das ist wieder einmal ein gutes Beispiel dafür, wie unser Gehirn automatisch Fehler korrigiert und wir sie somit wieder und wieder übersehen.

Liebe Grüße an dir, der du ja auch zu den Frühaufstehern zu gehören scheinst.

Liebe Grüße
barnhelm

 
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Theresa hatte Ildikó, ihre Nachbarin, gefragt:
„Sagt ihr wirklich Runen dazu?“
„Ja, auch. Weißt du, das war unsere Schrift, bevor wir die lateinischen Buchstaben übernehmen mussten.“

Ist Irmela Mensah-Schramm schuldig?, heißt es seit einiger Zeit nicht nur in der Presse. Die über 70-jährige hatte nämlich Hass-Schmierereien an Bauwerken übermalt und wurde zu, wenn ich es richtig in Erinnerung hab, zu 1.800 € Bußgeld wegen Sachbeschädigung verurteilt, als wäre nicht die Sachbeschädigung und Verletzung des mehr oder weniger guten Geschmacks bereits durch die Schmiererei entstanden.

An diese Berliner Nachricht wurde ich beim Lesen nicht erst erinnert durch die Bemerkung

„Immerhin ist das fremdes Eigentum, was die beschädigt haben. Das ist auch hier strafbar“
in Deiner wie immer guterzählten Geschichte,

liebe barnhelm,

die – wie kann‘s bei mir anders sein – auch in den Namen schon kräftig aufträgt und Zeichen setzt: Ildico, das Hildchen [ahd. hiltja = Kampf] germanistischer Zunge, das schon in der Hochzeitsnacht ihren frischgekürten Gatten, das Väterchen Attila ermordet haben soll, weil der nun wiederum ihre Brüder umgebracht … Naja,eine Variante zum Nibelungenlied und seiner Gefolgschaftstreue, die ja wieder fröhlich Urständ feiert.

Du weißt, was ich meine.

Dabei hat das lockere Mundwerk schon früh die wahrscheinlich korrektere Handlung angezeigt in den Versen „Attila, der Hunnenkönig, trank zu viel und aß zu wenig. Darum starb er nicht im Kampf, sondern an ‘nem Magenkrampf.“ Nicht verschwiegen werden darf, dass noch im zehnten Jahrhundert unserer Zeitrechnung der gemeine Mitteleuropäer die Magyaren/Ungarn für Nachkommen der in alle Himmelsrichtungen verjagten Hunnen hielt.

Theresa bildet den Gegensatz zu der historischen Ildico, weil dem modernen Menschen gleich die Mutter Theresa einfällt und so eine andere Art von wohltuendem Gegensatz bildet, als die mutmaßlich korrektere Namensdeutung. Womit ich‘s dabei belassen will. Nun ist mir auch durch die hierorts verewigte ...ela auch der Rest der Geschichte schon ziemlich ähnlich untergekommen, wenn sie mich immer wieder fragt, warum ich nix sagen würde – gerade, wenn in meinen Augen Flachsinn auf der anderen Seite blüht. In dieser Woche, genau gestern nämlich, hab ich sie endlich rumgekriegt, nicht jedem popeligen Umzug der neonationalistischen Gruppierung „gegen den politischen Wahnsinn“ nachzulaufen. Weil gerade dadurch wird diesem aus dem benachbarten Essen herüberschwappendem maximal 90 Personen zählenden Klübchen von Blubo-Anhängern viel zu viel Aufmerksamkeit geschenkt, wenn es grölend durchs Städtchen marschiert. Dem einen oder andern pöbelnden Flachsinnigen sollte man dennoch schon mal eins auf die ... Naja.

Aber zu Deinem Text, bei dem mir zum erstenmal so richtig auffällt, wie nah er mit der Substantivierung bei der Verwaltungssprache liegt und wie eng er an der Schulgrammatik klebt.

Nehmen wir den ersten Satz

Das Licht der Scheinwerfer strich über das Tor und ihnen sprangen die neongelben Zeichen in die Augen.

Fünf Substantive nebst zugehörigen Artikeln (Σ 10), zwo Verben und zwo Adverben (streichen über, springen … in), ein Personalpronomen, ein Adjektiv (neongelb), und eine Konjunktion, 10/17, über 50 % Substantivierung. Nun ist 17 wahrlich keine berauschende Grundgesamtheit – aber wird es sich ändern in der banalen Feststellung
Jemand hatte sie auf die beiden grünen Flügel ihres Eingangstores gesprayt
oder wenn Jörn (= norddt. für Georg, den Landmann/-wirt) bremst.
Eine militärische Übung konnte das nicht gewesen sein.
Schön im geschichtlichen Zusammenhang die Nähe des Partizips mit dem Verb ver-wesen. Aber hier nun
Wie oft hatte sie früher ihren Schülern erzählt, dass das erst der Anfang gewesen war.
hätte ein Konjuktiv "wäre" (zumal Du ja Th. Aussge referierst) die Schulgrammatik um ein Hilfsverb befreit.

... rassistisch motivierten Übergriffe hatten seit der Wahl deutlich zugenommen, sagte der Nachrichtensprecher.
Hat der wirklich im Indikativ geredet? Üblicherweise verwenden Nachrichten bei statistischen Größen das vermutende "soll(en) ..."

Theresa hatte das Gefühl, dass er das nun schon ein paar Mal gesagt hatte.
Schon allein wegen des bloßen Gefühls drängt sich hier der Konjunktiv auf ...

„So[...]weit sind wir noch lange nicht.“
Soweit ich weiß, wird hier so weit auseinandergeschrieben, weil es eben ein unbestimmte Aussage über Zeit/Raum ist, auf jeden Fall aber keine Konjunktion.

„Ja[...]… Kann schon sein … Keine Ahnung.“
Welcher Buchstabe könnte schom am "ja" fehlen?

und zum Schluss wirstu von Denglish überrascht, wenn es heißt

Aber machte das überhaupt noch Sinn?
dabei "hätte" es doch im nhd. durchaus Sinn.

Gern gelesen vom

Friedel

 

Liebe Barnhelm,

mir gefällt das sehr gut, dass man jetzt gleich am Anfang erfährt, wo diese Geschichte spielt und auch, dass die Runen eine Bedeutung bekommen. Das Thema in ein anderes Land zu verlegen, so dass Deutsche ungewohnterweise die "Opfer" sind oder zu sein scheinen ist eine interessante Blickrichtung. Interessant finde ich auch dass es schon einen Haken gibt, an dem sich Theresas Sorge festmacht. Sie scheinen immer noch etwas fremd zu sein in diesem Land, besonders Theresa. Da sie wenig Nähe zu den Menschen hat, selbst ihrer Nachbarin gegenüber ein gewisses Misstrauen hegt, kann sie sich umso leichter in ihre Gedanken hineinsteigern. Im Grunde sind die Schmierereien auch ein bisschen Ausdruck ihres wachsenden Unbehagens. Sie lebt eher Jörns Traum mit. Und so gibt es auch eine Fremdheit zwischen den Partnern.
Ich finde das Telefonat zwischen den beiden Frauen toll geschrieben.

„Hör mir zu Theresa: So ist das doch gar nicht… Jedes Tor hier in unserer Straße …“ Sie machte eine Pause und begann noch einmal: „Hör mir zu: Alle Tore haben sie beschmiert. Alle! … Die Jungs haben einfach viel zu viel getrunken. Und dann hatte wohl jemand die Idee mit der Mutprobe … Frag mich nicht, warum sie gerade Runen genommen haben. Wahrscheinlich wissen sie das selber nicht. Dumme Jungen eben.“

Das ist sehr lebensecht. Überhaupt, Theresas Verzweiflung, die sie zuerst kaum zuhören lässt und wie Ildikó langsam begreift, was überhaupt bei Theresa los ist, ihre Fassungslosigkeit, das hast du in diesem Dialog wunderbar gezeigt.

„Wie kommst du nur darauf, dass wir etwas gegen euch haben? Ihr seid doch Deutsche. Kein Mensch will euch was. Euch doch nicht!“

Das ist eine heftige Stelle. Deutsch sein, Geld haben. Wäre sie keine Deutsche hätte Ildikò vermutlich doch etwas gegen sie. Trotzdem ist auf dieser Basis eine Beziehung entstanden.
Am Ende enttarnt Theresas Misstrauen diese nachbarschaftliche Verbundenheit und kränkt damit womöglich auch Ildikó. So deute ich auch den letzten Satz.

In der Küche klirrte es. Theresa hörte einen Fluch. Jörn musste etwas aus der Hand gefallen sein. Etwas war kaputtgegangen.

Es hatte schon vorher einen Sprung.
Und bei klirrendem Geräusch in Zusammenhang mit diesem Thema musste ich auch an die Reichskristallnacht denken. So ein ferner Nachhall.

Eine Kleinigkeit:

Theresa bereute ihre Schroffheit. Gefasster fuhr sie fort:
„Ildiko, kannst du mir sagen, warum jemand so etwas tut?“
„Palinka. Schnaps. Ich weiß es nicht. Ich weiß nicht, warum die beiden das gemacht haben.“
Theresas Kopf dröhnte. „Welche beiden?“

Vielleicht könnte man den ersten Satz mit einem anderen Wort anfangen lassen, z.B. "Sofort bereute Theresa ihre Schroffheit."

Spannend, wie du ein politisches Thema in eine private Beziehung hineinwirken lässt.

Liebe Grüße von Chutney

 

Liebe Bea Milana,

danke für deine beiden Kommentare. Wie du gesehen hast, hat mir besonders dein erster sehr geholfen und ich bin noch mal an den Text herangegangen und habe eine ganze Menge Änderungen vorgenommen. Im Moment läuft mir leider die Zeit ein wenig davon (klingt komisch für jemanden im Ruhestand), aber mein Engagement bei den Wortkriegern muss ein wenig zurücktreten hinter anderen Sachen. Deshalb fasse ich mich kurz:

Du hast gesehen, dass ich auf deine Anregung hin den Anfang geändert habe und die Geschichte nun besser zu verorten ist. (Hätte ich eigentlich auf selber drauf kommen können.)

Bei den Runen habe ich kein Bild.

Ich glaube, seit ungefähr drei oder vier Jahren stehen an den meisten ungarischen Ortschaften neben bzw. hinter den normalen Schildern mit den Namen des Dorfes oder der Stadt andere, auf den in dieser alten ungarischen Kerb- oder Keilschrift ebenfalls der Name des Ortes angegeben wird. Das ist eine populistische Maßnahme und so ähnlich wie im Sozialismus Chemnitz plötzlich Karl-Marx-Stadt heißen musste, haben sich hier wohl extreme Rechte durchgesetzt, bzw. die herrschende Partei ist ihnen zuvorgekommen. Das passiert ja nicht nur in Ungarn, dass bürgerliche oder konservative Parteien aus machtpolitischen Gründen den Rechten ihre Forderungen abnehmen.

Im wirklichen Leben kreisen die Gedanken Fragen tatsächlich immer wieder um einen Punkt und beschäftigen uns. Aber in einer Geschichte möchte ich das nicht ständig wiederholt gesagt bekommen.

Hier hab ich kräftig abgespeckt und dabei versucht, auch auf deine weiteren Hinweise einzugehen.

Bea, besonders dein zweiter Kommentar zeigt mir, dass du gut informiert bist. Dieses Aus für die wichtigste linke Zeitung war eine durch und durch undemokratische und rigide Aktion, die direkt und ausschließlich dazu da war, kritische Journalisten mundtot zu machen. Nur leider wie immer: Die Rektion aus der Bevölkerung bleibt aus, man nimmt das alles hin, weil es leider an politischem Bewusstsein fehlt und man mit der eigenen Existenzsicherung genug zu tun hat. So ist das leider. Es ließe sich noch sehr viel zu dem Thema sagen, doch das wäre OT.

Bea, danke für deinen sehr hilfreichen Kommentar.

Liebe Grüße
barnhelm

@FCFuchs, @Chtuney, Friedrichard, euch schreibe ich später. Diesmal läuft mir wirklich die Zeit davon.

 

Liebe barnhelm,

ich habe meinen Kommentar gestern angefangen, als der Anfang/die Geschichte noch anders war. Jetzt bin ich leider zu spät, möchte aber dennoch meine Meinung zur „alten“ Version hinterlassen.
(Ehrlich gesagt fand ich persönlich die vorherige Version besser.)

Ich mochte es, dass

  • es erst später klar wurde, dass die beiden Deutschen Ausländer in Ungarn sind. So war das mit den Runen am Anfang recht nebulös.
  • die Bedeutung der Runen/Schrift nicht richtig klar wurde.
  • die Sache mit dem Referendum wie eine Fiktion wirkte (da ich dachte, es spielt in Deutschland)

Weiteres, wo ich denke, das unverändert blieb:

Schon immer war es sein Wunsch gewesen, aus einer heruntergekommenen Ruine wieder etwas richtig Tolles zu machen.
So ähnlich wurde es vorher schon mal gesagt. Könnte man eindampfen/kürzen.

Am Fenster stand Ildiko
Ildikó. Hast du später nochmal.

Ich habe deine Geschichte gerne gelesen. Hat mir auch in der Überarbeitung gefallen. :thumbsup:

Wünsche dir ein schönes Wochenende.

Liebe Grüße,
GoMusic

 

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