Begegnung zwischen den Jahren
Es war der 31. Dezember mittags. Ich war gerade bei meinem Mittagsmahl – traditionell gab es Currywurst mit Pommes Schranke. Da schien es, als wäre ein Pommes quer in meinem Hals stecken geblieben. Ich schluckte, ich hustete, ich klopfte mir gegen die Brust. Endlich rutschte der Pommes in meinen Magen. In meiner Speiseröhre blieb ein stechendes Gefühl. „Jetzt einen Blutwurz,“ dachte ich mir. Gerade als ich zur Minibar gehen wollte, läutete es an der Tür.
Mein Besucher kam mir seltsam vertraut vor, und das obwohl ich den Mann noch nie gesehen hatte – na, Mann konnte man es wohl kaum nennen, es war eher – „der Boandlkramer,“ fuhr es mir durch den Kopf.
Nachdem ich eine gefühlte Ewigkeit wie erstarrt im Türrahmen gestanden hatte, kam doch noch Bewegung in mich.
„Kommen Sie doch rein, hier draußen holen Sie sich ja noch den Tod, Hahaha – ha- ha...“ lachte ich hilflos.
„Sehen Sie, Herr Boandlkramer,“ sagte ich, während ich ihm einen Kaffee einschenkte, das passt mir gerade eigentlich überhaupt nicht. So kurz vor Silvester, Sie müssen wissen, ich hab für heute abend eine Karte beim Silvesterstadl mit Dinner, und ich muss mich doch noch vorbereiten.
Und für nächstes Jahr, was ja eigentlich schon morgen ist, habe ich mir noch so viel vorgenommen.
Den Crosstrainer habe ich mir jetzt endlich zugelegt, Anfang Dezember war doch so ein Spitzenangebot bei Mediamarkt. Hat sich doch gelohnt, dass ich so lang gewartet habe, letztes Silvester war ja mein guter Vorsatz, dass ich mehr für die Gesundheit machen will, und jetzt: Zack Bumm, halber Preis. Gut, dass ich abgewartet hab, man will sich ja was zurücklegen fürs Alter.
Ja, und ab morgen, also ab nächstes Jahr, wollte ich definitiv mit dem Training anfangen.“
Ich drückte meine Zigarette im Aschenbecher aus.
„Ja, ich weiß, was Sie sagen wollen. Rauchen ist der Sargnagel der Nation. Aber,“ beschwichtigte ich, „nächstes Jahr ist definitiv Schluss! Ich hab mir schon eine E-Zigarette besorgt, und ab morgen...“
Wir saßen eine Zeitlang schweigend da.
„Äh, wie wärs mit einem Kartenspiel?“ fragte ich. Wie ich darauf kam, war mir eigentlich nicht so ganz klar. Vielleicht wollte ich einfach nur das Schweigen brechen. So eisig, da konnte man ja förmlich erfrieren.
Nun, da keine Widerrede kam, stand ich auf und holte das Päckchen Karten aus der Vitrine. „Aber Vorsicht,“ sagte ich zu meinem Besuch, „beim Onlinepoker bin ich echt stark!“
Da fiel mir das Päckchen Karten aus der Hand auf den Boden, der Gras-Ober lag obenauf.
Na gut, dann eben nicht.
Draußen begann es zu dämmern. Ich ging zum Fenster und sah eine Zeitlang nachdenklich ins Abendrot.
„Die Hügel da oben, „ sagte ich, „von da aus hat man bestimmt eine spitzenmäßige Aussicht über das Tal, und bis in die Stadt rein. Da wollte ich immer schon mal rauf, wandern, oder einfach nur spazieren gehen. Mit dem E-Bike hab ichs bislang noch nicht so weit geschafft, sie wissen ja, der Termindruck...“
Mein Blick wanderte zur Uhr.
„Jetzt muss ich aber, es eilt schon“ sagte ich.
Ich sah meinen Besucher an. Er schien überhaupt keine Eile zu haben.
Vielleicht wollte er warten, bis ich zurück komme. Für einen Moment lang ging mir der Gedanke durch den Kopf, ihm das vorzuschlagen.
Aber dann könnte ich ja nicht mehr nach Hause kommen.
Eine verfahrene Situation.
Ich setzte mich wieder, und nahm mir einen Schluck Kaffee aus der Thermoskanne.
Ich sah wieder auf die Uhr. Sollte ich heute abend beim Dinner doch auf vegetarisch umbestellen?
Dann starb ich.