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Begegnung mit der Wahrheit

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25.06.2002
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Begegnung mit der Wahrheit

Es waren die mit Abstand schrecklichsten Minuten meines kurzen Lebens. Es war, als fiel ein entsetztes Meer von stechenden Regentropfen auf mich ein. Es war, als stürbe ich bei vollem Bewusstsein. Es war, als mir die Wahrheit ihr Gesicht zeigte. Ein Gesicht, das mir die Welt von einem zum nächsten Augenblick vermieste; ein Gesicht, das mir seine kühlen Züge zeigte und mich das grausame Gefühl spüren ließ, dass ich an mir selbst ersticke.
Ich stand bei Einbruch der Dämmerung am Grabe meiner Großmutter. Friedhöfe hatten mir bis zu diesem Zeitpunkt nicht das geringste Gefühl der Unsicherheit hervorlocken können, nein, allzu oft genoss ich es, über das weiche Kiesbett zu schreiten und dem erhabenen Knirschen der Steine beizuwohnen, das vertrauensvoll eine zärtliche Bindung mit der genügsamen Stille einging. Doch nun sollte es anders kommen, sollte dieser sonst so angenehme Ort Zuschauer eines innerlichen Kampfesschauspiel werden. Vielleicht mag dies daran gelegen haben, dass ich zum ersten Mal allein dort war. Ich weiß es nicht. Jedenfalls überkam mich plötzlich und in rasender Geschwindigkeit ein tiefes Gefühl. Es wurde mir klar, wie erbärmlich ich bin, wie klein die Menschen sind. In einigen Jahren werde auch ich hier liegen, dachte ich, jämmerlich, wie ein getötetes Wild am Wegesrand, das seine letzten schweren Atemzüge getan hat. Ihm wurde keine Beachtung geschenkt. Meine Lieben werden mein Grab besuchen, klammern sich vielleicht an die Hoffnung, es gehe mir nun besser als zu Lebzeiten, versuchen, dem Schicksal des Menschen zu entgehen. Ich weine. Bitterlich. Sinke hinab auf Knien. Es regnet. Meine Wangen sind kühl. Die Kieselsteine bohren sich rücksichtslos in meine Knie. Warum leben? Nein, wir leben nicht! Unser ganzes Dasein ist ein einziges Sterben, ein pausenloses Fortschreiten bis zum bitteren Ende, bestimmt von einem höheren Ziel. Wir sind so klein, so eingeschränkt, wie es unsere Worte nicht beschreiben können. Wir streben nach Erfolg in unserem kleinen Kosmos, ohne uns darüber bewusst zu werden, wie sinnlos doch jedes Ziel sein muss, wenn wir hier enden. Zwanzig, vielleicht dreißig Jahre bleiben unsere jämmerlichen Reste der Nachwelt erhalten – dann sind wir auch in den letzten Gedankenfetzen ein Nichts. Traurige Wahrheit.
So muss sich der Tod anfühlen. Es ist, als bahnten sich die Regentropfen einen unaufhaltsamen Weg mitten in mein Herz hinein. Sie ist so grausam, diese Wahrheit, dieses Bewusstsein über die eigene Nichtigkeit. Ich renne. Einfach nur weg. Grässliche Momente. Bis ich mich beruhigte.
Ich liebe Friedhöfe.

 

Hallo Werther,
ich mußte gleich `mal nachsehen, was Du neu gepostet hast. Das Verhängnis (?) des Menschen, daß der Tod an uns anklebt, hast Du einfühlsam beschrieben. Der Schluß kommt überraschend, die Absatzgestaltung ist auch prima.
Vielleicht änderst Du noch "Kampfesschauspiel" durch anhängen eines - s - .

Tschüß ... Woltochinon

 

Danke, Woltochinon!
Ich würde mich sehr über weitere Meinungen und Reaktionen zu dieser Geschichte freuen, weil sie mir wirklich am Herzen liegt.

Liebe Grüße,
Werther

 

Ein uraltes Thema, das seit Anbeginn der Menschheit existiert. Schon um 950 v. Chr. schrieb ein weiser Mann:

"Alles ist vergänglich und vergeblich, sagte der Prediger, nichts hat Bestand, ja, alles ist völlig sinnlos! Der Mensch plagt sich ab sein Leben lang, doch was bringt es ihm ein? Hat er irgendeinen Gewinn davon? Generationen kommen und gehen, nur die Erde bleibt für alle Zeiten bestehen! (...)
Unaufhörlich fließen die Flüsse, sie alle münden ins Meer, und doch wird das Meer niemals voll."
"Ja, koste das Leben aus, ehe es zu Ende geht - so wie eine silberne Schnur zerreißt oder eine goldene Schale zerspringt, so wie ein Krug bei der Quelle zerbricht oder das Schöpfrad in den Brunnen fällt und zerschellt. Dann kehrt der Leib zur Erde zurück, aus der er genommen wurde; und der Lebensgeist geht wieder zu Gott, der ihn gegeben hat."

Der Autor dieser Worte, der sich hier bescheiden "Prediger" nennt, ist König Salomo. Salomo besaß wirklich alles, was nach menschlichem Empfinden ein "glückliches Leben" ausmacht: Weisheit, Reichtum, Macht, Gesundheit, Liebe, Freude... Doch hat er diese Dinge wirklich b e s e s s e n? - Nein, er wußte genau, daß er nichts von alldem festzuhalten vermochte, daß ihm alles einmal genommen werden würde:

"Alles war letztendlich sinnlos - als hätte ich versucht, den Wind einzufangen! Es gibt auf dieser Welt keinen bleibenden Gewinnn."

Wenn wir ehrlich zu uns selbst sind, dann weiß jeder von uns, daß er in Wahrheit rein gar nichts besitzt.

Die Liebe Deines Protagonisten zu Friedhöfen kann ich sehr gut nachvollziehen. Hier wird man unbarmherzig an die einzig bleibende Wahrheit unseres Lebens erinnert: Daß wir alle einmal sterben müssen und in dieser Welt in Vergessenheit geraten. Diese Erkenntnis schmerzt, aber kann auch eine heilsame Wirkung besitzen. Denn hier beginnen wir endlich, an den Oberflächlichkeiten des Alltagslebens zu kratzen und nach dem wirklichen Sinn zu fragen. Hier können wir eine Befreiung von unserer alltäglichen Lethargie, unseres Nicht-Nachdenken-Wollens erleben.

Ich selber kann hier mit Salomo gemeinsam sagen (selbst, wenn ich bei weitem nicht so weise bin, wie er):
Nur, wenn es einen Gott gibt, der sich noch heute um seine Schöpfung kümmert, können wir Hoffnung haben. Ansonsten wäre tatsächlich alles völlig sinnentleert.

Nachdenkliche Grüße von
Deya.

 

Danke für Deine Reaktion, Tadeya!

Du hast Dich sehr feinfühlig mit der Thematik auseinandergesetzt. Das treibt mich voran, wenn ich merke, dass ich jemanden zur Auseinandersetzung motiviert habe. Was allerdings die einzige Hoffnung angeht, die nur durch Gott existieren kann, muss ich Dir sagen, dass dem Protagonisten bei der"Begegnung mit der Wahrheit" jeglicher Glaube wie Schuppen von den Augen fällt. Er reduziert rational die Menschlichkeit auf das Natürliche ("getötetes Wild am Wegesrand") und schließt jede überirdische kontrollierende Instanz aus. Und darin besteht der vielleicht finale Dolchstoß dieser Wahrheit, nämlich in der Sinnlosigkeit, sich an eine Pseudo-Hoffnung zu klammern, die wie eine Seifenblase zerplatzt, sobald man ihre Oberfläche berührt.

Liebe Grüße,
Werther

 

Hallo Werther,

Du schreibst „ ... ein einziges Streben, ... bestimmt von einem höheren Ziel.“ An welches Ziel hast Du dabei gedacht?
Die Hoffnung der „Liebenden“, daß es dem Toten nun besser geht als zu Lebzeiten ist abhängig von der religiösen Einstellung. D.h.: Glaubt man an ein sofortiges Leben nach dem Tod, oder erst an eines nach einer späteren Auferstehung.
Gut in den Kontext paßt auch die Erwähnung des Verlangens des Menschen nach `weiterleben´ durch `nicht vergessen werden´ . Was tun die Leute nicht alles, um z.B. als `ewige Helden´ in Erinnerung zu bleiben.
Ich denke sogar, daß die Rekordsucht unserer Gesellschaft (selbst wenn`s der Weltmeistertitel im Ketschup- Baden ist) auf das Bestreben zurückzuführen ist, einmal etwas besonderes zu sein, oder gar über den Tod hinaus ein Zeichen zu setzen.

Tschüß... Siegbert

 

Hallo Werther,

dein Text hat mir außerordentlich gut gefallen.
Feinsinnig einerseits und doch hast du sehr dramatisch diese "Enttäuschung" dargestellt, die dein Protagonist erlebt bevor er den m.E. Kernsatz dieses Textes sagt:
"Unser ganzes Dasein ist ein einziges Sterben..."

Genau! Exakt das ist unser Leben und daran kann auch ein Gott, so er denn in der Vorstellung für manche Menschen existiert, nichts ändern.
Irgendwie begehen wir alle immer wieder den Fehler zu glauben, uns träfe das Ende nicht, jedenfalls noch nicht, nicht jetzt, vielleicht irgendwann, aber das ist weit weg.
Weit gefehlt!
Ich kann dir nicht erklären, weshalb wir doch so klugen Menschen immer unseren Tod nicht akzeptieren wollen. Wir teilen uns immer auf in einen Teil Leben und dann den Tod. Welche Unlogik.
Immer meinen wir, wir müßten unseren Tod irgnorieren, dabei sterben wir doch täglich.

Um wieviel reicher würden wir wohl unser Leben gestalten, wenn wir endlich mit dieser Erkenntnis auch praktisch umzugehen wüßten und nicht nur theoretisch philosophisch.
Als vor etwa einem Jahr unser geliebter kleiner Kater Moritz starb, ging es mir wie deinem Protagonisten.
Die Wahrheit raubte mir den Atem, stach mir ins Herz und sah seelenruhig zu wie ich verblutete.
Eine Erkenntnis hinterließ sie mir: das einzige was ich Mensch besitze, mein eigen nennen kann, ist nicht mein Leben, meine Zukunft, meine Vergangenheit, sondern nur "dieser Augenblick".

Liebe Grüße
lakita

 

Danke, lakita, für diese sehr schöne Meinung. Hat mich wirklich bewegt!! Es gibt mir unheimlich viel Kraft zu sehen, dass meine Geschichten, die aus meinem Herzen sprechen, Denkprozesse anregen und neue -wenn auch kleine- Horizonte eröffnen.

Ganz liebe Grüße,
Werther

 

Hallo Leser,

es ist im Moment bei mir so, dass ich mir unglaublich viele Gedanken über den Tod mache. Ich setze mich offensiv und bewusst damit auseinander, wobei mir die Kurzgeschichten sehr behilflich sind. Sie dienen mir dazu, jenes irgendwie zu verpacken, zu verarbeiten, womit ich im Alltag einfach nichz fertig zu werden scheine. So setze ich mich zumeist nachts an den PC, zünde mir eine Kerze an, lege eine traurige Platte auf und schreibe -sehr oft tränenreich- einfach runter, was mir durch den Kopf geht. So entstehen meine Geschichten, zumindest jene, die eine Art Gedankenflut sind. Unglaublich wichtig sind mir daher v.a. "Begegnung mit der Wahrheit" und "Lebensgeflüster", in denen ich sehr viel preisgebe.

Liebe Grüße,
Werther

 

Du beschäftigst dich mit dem Tod? Stell dir mal die frage, wieviel Lebendigkeit im Tod liegt? Isaac Asimov beschrieb eine Gesellschaft, deren Menschen Jahrhunderte leben konnten, sie degenerierten, verkümmerten in ihren steifen Gedanken. Was wäre, wenn es überhaupt keinen Tod geben würde? Stell dir nur mal vor, die Menschen könnten ab dem Mittelalter nicht mehr sterben, hey, wir würden immer noch unsere Zeit damit vergeuden, antike Fundstücke zu verbrennen. Der Tod sorgt für frischen Wind.
Das nimmt jetzt niemandem die Angst vor dem Tod, mir ja auch nicht, aber es ist notwendig anzuerkennen, daß der Tod Zivilisationsnotwendig ist.
Außerdem, ist die Unendlichkeit erstrebendwert? Ich würde sie nicht wollen, zusehen, wie all meine Freunde sterben, wie sich die Welt verändert und ich stehe allem machtlos gegenüber. Schau dir die Schwierigkeiten alter Menschen an, die heutige Welt zu verstehen und multiplizier das mit 100, dann weißt du, wie sich Unendlichkeit anfühlt.

 

Hallo zorenmaya!

Ich bin Dir sehr dankbar für diese Sichtweise, denn besonders Dein letzter Satz hat mich auf eine seltsame Art und Weise beeindruckt:

"Schau dir die Schwierigkeiten alter Menschen an, die heutige Welt zu verstehen und multiplizier das mit 100, dann weißt du, wie sich Unendlichkeit anfühlt."

Diese These klingt so einfach, ja fast kindisch, ist aber unglaublich wahr, und dafür bin ich Dir zu Dank verpflichtet!!

Sicher, Du hast Recht, wenn Du sagst, dass der Tod notwendig für die Veränderung der Zivilisation, der Gesellschaft sei. Doch die Sichtweise eines Menschen, der sich lediglich Gedanken über den Tod in seinem eigenen kleinen Kosmos macht, kann damit nicht verglichen werden. Diese Gedanken werden zu Sorgen, das nüchterne Sterben eines Individuums wird zum tragischen Weltuntergang. Der Mensch denkt stets egoistisch, ob in der Liebe, im Verhalten zu seinen Mitmenschen oder aber -und dort ganz besonders- in Bezug auf den Tod. Wir trauern um den Menschen am meisten, der uns die größten Vorteile gebracht hat. Wir leiden mit jenen am intensivsten, die uns zu dem gemacht haben, was wir sind. Drum kann der Mensch sich bei diesen Gedanken nicht mit dem Trost abfinden, dass der Tod für die Gesellschaft unerlässlich ist. Solange er selbst am Leben ist, soll jede Quelle seines individuellen Glücks aufrecht erhalten bleiben. Und der Gedanke an das Erschöpfen einer Quelle bringt großes Leid mit sich, welches umso größer ist, wenn die Quelle reich und kaum zu ersetzen ist.

Verstehe also "Begegnung mit der Wahrheit" bloß nicht als willkürlichen Gedankensturm über den Tod, der alles mit sich reißt, was im Kopf des Protagonisten und Erzählers gediehen ist, sondern fasse das Ganze auf als rein individuelle Verzweiflung über dem Tod, der genau dann sein schrecklichstes Gesicht zeigt, weit entfernt von jeglicher rationaler Bedeutung.

Ich würde mich über eine Rückmeldung freuen...
Liebe Grüße,
Werther

 

Hallo Werther,

deine Gefühle am Grab deiner Großmutter sind sehr schön beschrieben. Man liest es fertig und wartet aber doch, ob noch ein klein wenig Hinweise kommen, wie sie aufgelöst werden können.

Ich nehme einen Halbsatz aus deinem Text heraus, weil ich denke, dass hier etwas philosophisch nicht ausgeführt ist:

klammern sich vielleicht an die Hoffnung, es gehe mir nun besser als zu Lebzeiten

Eine Hoffnung, dir geht es besser nach dem Tod. Es gibt die Möglichkeit, dass es nach dem Tod weitergeht. Aber du entscheidest dich im Text überall wie selbstverständlich vorauszusetzen, dass es nicht weitergeht.

Warum leben? Nein, wir leben nicht! Unser ganzes Dasein ist ein einziges Sterben.

Ein bisschen Logik hierzu: Wenn es weitergeht, dann nicht mit dem Körper, weil der verrottet ja sichtbar. Alles Sichtbare verrottet. Alles Sichtbare ist das was von den Zwanziger-Jahren des Menschen anfängt zu sterben. Du gehst davon aus, dass der Mensch nur aus dem besteht was sichtbar ist, bzw. alles andere Gefühle, Gedanken etc. daraus hervorgeht, sonst müsstest du deine Geschichte aber komplett umschreiben.

Oder du müsstest konsequenter Weise schreiben:

klammern sich vielleicht an die vergebliche Hoffnung, es gehe mir nun besser als zu Lebzeiten

Sonst versprichst du einen Gedanken, den du nicht ausführst.

;)

Gruß, Michael

 

Hallo Michael!!

Danke für Deinen Beitrag, auch wenn ich mich gegen ein paar Punkte wehren muss:


TOP 1: Philosophische Ausführung und gedankliche Auflösung

Aus dem Stil und der Perspektive der Geschichte geht hervor, dass es sich hier keinesfalls um einen philosophischen Essay handelt:

1. Die Beschreibung ähnelt dem Sekundenstil, der quasi als Raffer allen Geschehens minutiös die Ereignisse unverschlüsselt präsentiert. Den Protagonisten überfallen mächtige Gefühle, die er niemals zuvor kennengelernt hat, und die sich als Wahrheit herausstellen. Der Umgang mit ihnen geschieht zunächst hilflos und wird erst mit der Zeit nahezu spielerisch. Doch man sollte nicht aus den Augen verlieren, dass der Protagonist lebendig (und NICHT rückwirkend!!) seine eigene Überwältigung durch die Begegnung zu vermitteln versucht. Es handelt sich nicht um eine Art Tagebucheintrag, sondern um erlebte Rede, die zwar im Präteritum geschrieben ist, jedoch nicht von der Zeit zwischen Erlebnis und Niederschrift beeinflusst wurde.

2. Deshalb kann und darf der Leser keine ausgefeilte Darstellung einer gesamten Interpretation erwarten, da der Protagonist -wenn auch schnell- hier erst einmal ein Grundgerüst dafür schafft. Und dazu ist die ungefärbte Erkenntnis (wie z.B. "Unser ganzes Dasein ist ein einziges Sterben") unerlässlich. Die Verknüpfungen, die dahinter stecken, werden ihm helfen aus dem Grundgerüst ein ansehnliches Haus zu errichten. Doch der Leser muss ihm eines geben: Zeit.


TOP 2: Theologie

Sicherlich ist ein großes Paradoxon zu erkennen: auf der einen Seite der christliche Friedhof, auf der anderen Seite die nahezu atheistische Erkenntnis des Protagonisten. Ja, er entscheidet für sich selbst gewiss, dass es nach dem Tod nicht weitergeht - und das ist hier legitim!! Du erwartest erneut, dass er in dieser Situation sämtliche philosophische Ausführungen unserer Zeit berücksichtigt. Aber er möchte sich ja gerade davon lösen und sich seine eigene Philosophie erschaffen - zumindest eine, die ihm in der Todesfrage eine Antwort geben kann. Und ob er nun die Theologie über Bord wirft oder nicht, ist wohl vollkommen ihm überlassen, oder??

Okay, ich würde mich über eine Rückmeldung freuen...

Liebe Grüße,
Werther

 
Zuletzt bearbeitet:

Lieber Werther !

Ich bin mit dir dort gestanden an dem Grab. Hab dich angeschaut und versucht deine Qual zu verstehen als Unbeteiligte hineingezogen in deine Betrachtungen.

Deinen im Gedanken an totes Wild aufgewühlten Griff an dein Herz durch welches sich die Regentropfen einen Weg bahnen habe ich mitverfolgt. Und ich sah aber auch wie das Rot sich vermischte mit dem Wasser. Es verband sich in wunderschönen Rottönen von dunkel bis hell, durchscheinend und wieder pulsierend kräftig. Wenn man dich sieht in dem Moment des blanken Entsetzens das dich ergriffen hat, diesem Akt der vermeintlichen Erkenntnis, wo du zu meinen glaubst da ist nichts mehr, nur subtrahierte Natur durch den letzten Atemzug auf den Punkt gebracht - da verliert sich aber doch auch all deine Jämmerlichkeit die du fühlst.

Denn ich erinnere mich an die wunderschönen Gedanken die du dir gemacht hast über den Kies, das erkannte erhabene Knirschen der Steine die eine Bindung mit der Stille eingehen. Wie wunderbar diese regennassen Gedanken sind.

Und wenn man diese zärtlichen Worte mit deinem Anblick des Erschütterten im Augenblick des Unglaubens an irgend etwas, eine Bindung eingehen lässt, dann denke ich, dass es sich lohnt dieses beständige Sterben als Leben zu betrachten, welches dir vieles geben kann, allein durch deine Betrachtungen außerhalb des Bannkreises von Nichtigkeit.

Mir hast du damit etwas gegeben,
nämlich ein Bild,
hervorgerufen durch deine Worte,
das mir selbst Trost ist.

Ganz besonders lieben Gruß an dich - schnee.eule

 

Hallo schnee.eule!

Einen ganz lieben Dank sende ich Dir für Deinen Beitrag, der mir zeigt, dass Du Dich höchst sensibel mit meiner Story auseinandergesetzt hast. Und das macht mich wirklich unglaublich stolz, zumal Du es in die Form einer ebenso bewegenden Fortsetzung aus anderer Perspektive in sehr schönem Stil gepackt hast.

Schön, dass Du diese "regennassen Gedanken" genauso magst wie ich. Viele, die mir auf "Begegnung mit der Wahrheit" geantwortet haben, versteckten sich nach wie vor hinter der allgemeinen Furcht vor den rationalen Gedanken mit dem Tod, vor der Erkenntnis, am Anfang und am Ende doch nur ein sterbendes Nichts zu sein.

Ich würde mich freuen, wenn Du auch meine anderen Geschichten begutachten und kommentieren würdest. Dabei lege ich Dir "Lebensgeflüster" besonders ans Herz, doch mich würden auch Deine Meinungen zu meinen anderen Werken brennend interessieren.

Danke nochmal,
Ganz liebe Grüße,
Werther

 

Re: Hallo Michael!!

Hallo Werther,

Geschrieben von Werther
Danke für Deinen Beitrag, auch wenn ich mich gegen ein paar Punkte wehren muss:


TOP 1: Philosophische Ausführung und gedankliche Auflösung

Aus dem Stil und der Perspektive der Geschichte geht hervor, dass es sich hier keinesfalls um einen philosophischen Essay handelt:

1. Die Beschreibung ähnelt dem Sekundenstil, der quasi als Raffer allen Geschehens minutiös die Ereignisse unverschlüsselt präsentiert. Den Protagonisten überfallen mächtige Gefühle, die er niemals zuvor kennengelernt hat, und die sich als Wahrheit herausstellen. Der Umgang mit ihnen geschieht zunächst hilflos und wird erst mit der Zeit nahezu spielerisch. Doch man sollte nicht aus den Augen verlieren, dass der Protagonist lebendig (und NICHT rückwirkend!!) seine eigene Überwältigung durch die Begegnung zu vermitteln versucht. Es handelt sich nicht um eine Art Tagebucheintrag, sondern um erlebte Rede, die zwar im Präteritum geschrieben ist, jedoch nicht von der Zeit zwischen Erlebnis und Niederschrift beeinflusst wurde.


Mir ist ein wenig unklar, was du damit meinst: "...und die sich als Wahrheit herausstellt." Der Mensch erfährt von seinen Gefühlen durch Wahrnehmung. So gesehen nimmt er alle Gefühle zunächst als Wahrheit an - er hat gar keine andere Wahl. Dann kann er sie durchdenken und erkennen, welche Bedeutung sie haben. Erkenntnis der Wahrheit ohne Denken gibt es nicht. Für mich ist deine Darstellung ein gefühlsmäßiger Umgang mit dem Thema - und da besteht die Gefahr, dass man an seinen Vorurteilen hängen bleibt.

2. Deshalb kann und darf der Leser keine ausgefeilte Darstellung einer gesamten Interpretation erwarten, da der Protagonist -wenn auch schnell- hier erst einmal ein Grundgerüst dafür schafft. Und dazu ist die ungefärbte Erkenntnis (wie z.B. "Unser ganzes Dasein ist ein einziges Sterben") unerlässlich. Die Verknüpfungen, die dahinter stecken, werden ihm helfen aus dem Grundgerüst ein ansehnliches Haus zu errichten. Doch der Leser muss ihm eines geben: Zeit.

Der philosophischer Grundsatz (Unser ganzes Dasein ...) führt meines Erachtens zu nichts weiter, als dass man den Tod als eine unüberwindliche Grenze ansehen muss (ganz ohne Theologie - reine Logik). Da kann gar nichts Fruchtbares zu dem Thema entstehen, außer der Verzweiflung des Protagonisten an einem unüberwindlichen Hindernis, dass er gedankliche nicht durchdringen kann und deswegen eben diesen Grundsatz wieder in Frage zu stellen, der ja mindestens zwei Vorurteile enthält. ;)

TOP 2: Theologie

Sicherlich ist ein großes Paradoxon zu erkennen: auf der einen Seite der christliche Friedhof, auf der anderen Seite die nahezu atheistische Erkenntnis des Protagonisten. Ja, er entscheidet für sich selbst gewiss, dass es nach dem Tod nicht weitergeht - und das ist hier legitim!! Du erwartest erneut, dass er in dieser Situation sämtliche philosophische Ausführungen unserer Zeit berücksichtigt. Aber er möchte sich ja gerade davon lösen und sich seine eigene Philosophie erschaffen - zumindest eine, die ihm in der Todesfrage eine Antwort geben kann. Und ob er nun die Theologie über Bord wirft oder nicht, ist wohl vollkommen ihm überlassen, oder??


Ersteinmal hatte meine Aussage meiner Meinung nach nichts mit Theologie zu tun. Mir geht es schlicht um eine allgemeinverständliche, logische Herangehensweise ans Thema Tod (eigene Philosophie, wenn du so willst). Z.B. die Frage: Grenze oder Übergang, bzw. dieses über 200 Jahre altes Vorurteil aufzuheben, dass es sich beim Tod sicher um eine Grenze handelt, die man denkerisch nicht durchdringen kann. Das hat uns Kant gebracht. :mad:

Für was sich dein Protagonist entscheidet steht ihm selbstverständlich frei. Wie intelligent das ist, das ist eine andere Frage. Wenn es auf Vorurteile aufbaut, dann ist es nicht besonders intelligent. Die Frage ist: willst du einen intelligenten Protagonisten oder nicht? :cool:

Viele Grüße, Dein Michael

 

hallo werther, ich habe mit großem interesse zuerst deine geschichte, dann die ganzen kommentare gelesen - vieles davon zweimal. vor allem die kommentare glitten für mich, als sehr nüchternen menschen, oft zuviel ins philosophisch/theoretische ab. ich mag es näher an der "praxis".

aus deinem profil entnehme ich, daß du zivildienstleistender bist. ich schließe daraus (vielleicht irrtümlich), dass du a) relativ jung bist und b) vielleicht in einem altenheim/krankenhaus arbeitest - und somit täglich mit dem phänomen TOD konfrontiert bist.

und jetzt rede ich als 56-jähriger einfach aus erfahrung: der tod, die endgültigkeit und die ungewisse antwort auf die frage nach dem danach macht junge menschen unsicher und erzeugt angst. das ist ganz natürlich und sicher auch richtig so. ich denke, mit zunehmender lebenserfahrung wird man erkennen, dass der tod einfach zum leben gehört. Lakita schreibt treffend (leider ist sie bei kg.de nicht mehr dabei):

Ich kann dir nicht erklären, weshalb wir doch so klugen Menschen immer unseren Tod nicht akzeptieren wollen. Wir teilen uns immer auf in einen Teil Leben und dann den Tod. Welche Unlogik.
- ich denke, je mehr wir uns mit dem tod beschäftigen und je mehr wir ihn akzeptieren, desto weniger müssen wir uns davor ängstigen. und desto natürlicher wird unser umgang mit dem tod.

ind deinem text kommt die ganze (tief in dir sitzende) angst, das entsetzen und deine unsicherheit, damit umzugehen sehr gut zur geltung. weil alles "von innen heraus" geschrieben ist, macht deine geschichte auch einen runden eindruck. die beschriebenen bilder passen genau zum text. schnee.eule hat dafür ein besonders gutes gefühl, finde ich - sie kann es einschätzen.
liebe grüße. ernst

 
Zuletzt bearbeitet:

Lieber Ernst,

Philosophisches muss nicht theoretisch sein, das kann überaus praktisch ins Leben eingreifen. Ich selbst würde nichts schreiben, von dem ich meine, es wäre etwas bloß Theoretisches.

Ich glaube viel eher, dass deine Aussage

und jetzt rede ich als 56-jähriger einfach aus erfahrung: der tod, die endgültigkeit und die ungewisse antwort auf die frage nach dem danach

mit einer gewissen Dogmatik an die Sache herangeht. Und Dogmatik ist nie praktisch, weil das Leben sich nicht an feste, willkürlich gewählte Grundsätze hält. Dogmatisch ist es, weil du zwei Dinge einfach so und ohne Begründung voraussetzt:

1) Der Tod ist eine Endgültigkeit
2) Die Frage nach dem danach ist ungewiss - nicht mit dem Denken zu erfassen.

Abgesehen davon, dass die beiden Aussagen widersprüchlich sind: Wenn der Tod endgültig ist, dann gibt es kein Danach, dann kann das auch nicht ungewiss sein: Es sind Vorurteile. Vielleicht sind sie richtig. Aber gerade das Verhalten der Menschen unmittelbar vor dem Tod lässt nicht erwarten, dass etwas für sie vollkommen Bedeutungsloses folgt - das Nichts wäre ja vollkommen bedeutungslos.

Ich denke ohne denkende Betrachtung - rein gefühlsmäßig - kann man gar nicht praktisch an dieses Thema herangehen.

Viele Grüße,
Dein Michael

 

da muss ich allerdings in 2 punkten widersprechen:

1)

weil das Leben sich nicht an feste, willkürlich gewählte Grundsätze hält.
- genau das lernt man im leben. genau genommen läuft das in 2 schritten ab (so habe ich es jedenfalls erfahren): zuerst wird einem beigebracht, daß das leben aus festen REGELN/GRUNDSÄTZEN besteht (elternhaus, schule, grundausbildung, militär....). Danach gewinnt man durch eigene erfahrungen, daß im leben wenig FESTES da ist - alles fließt.

2)

Abgesehen davon, dass die beiden Aussagen widersprüchlich sind: Wenn der Tod endgültig ist,
- ich behaupte nicht, daß der tod endgültig ist, sondern ich behaupte, daß es endgültig feststeht, daß wir alle irgend einmal sterben werden. so war das gemeint.

beste grüße. ernst

 

2) - ich behaupte nicht, daß der tod endgültig ist, sondern ich behaupte, daß es endgültig feststeht, daß wir alle irgend einmal sterben werden. so war das gemeint.

Das ist aber keine besonders spannende, bzw. weiterführende Aussage. Wir müssen auch irgendwann einmal schlafen, irgendwann essen, es warm haben - das steht auch alles endgültig fest. ;)

Praktisch ist alles, was weiterführt.

Gruß, Michael

 

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