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Auslaufmodelle
Die von gegerbter Lederhaut überzogenen Wangenknochen bewegen sich, bevor ein heiseres "Willkommen an Bord, Gnädige Frau" zu hören ist. Seine Zahnreihen sind teevergilbte Trümmer.
Der Kapitän reicht mir seine sehnige Hand zum Gruß. Seine makellos geschnittene Uniform verleiht seiner schlanken Gestalt etwas Würde. Er hat sich am Ende der Gangway vor mir aufgebaut. Im Hintergrund sein zerschundener Frachter mit dem Schiffsnamen Smaragd.
Die Schulterklappen mit den drei frischglänzenden Goldstreifen auf mitternachtsblauem Tuch bilden einen brutalen Kontrast zu diesem roststrotzenden Ungetüm aus Eisen und abblätternden Farbschichten.
Ich betrete sein Reich und tauche aus dem sandelholzigen Dunst eines altmodischen Rasierwassers in den stickigwarmen metallischen Ölgeruch hinein, der aus dem Maschinenraum empordringt.
"Bitte, hier den Gang entlang."
Ohne aufzublicken weiß ich, dass er erneut eine Verbeugung mit steifgehaltenem Oberkörper angedeutet hat und dabei fast die Hacken aneinanderschlägt. Ein lebendes Bündel Mensch, gehalten von einem Gerüst aus Traditionen. Seine rechte Hand ist mit dem üblichen Siegelring bestückt.
"Bitte nehmen Sie Platz."
Das Casino hat seine letzten Tage schon lange hinter sich gelassen. Totlackiertes Mahagoni, der Teppichboden faltenwerfend.
"Danke, ich stehe lieber."
Ich ziehe aus meinem Aktenkoffer einen Stapel Papiere, reiche sie den zittrigen Händen.
"Das erste Blatt vernichten Sie bitte jetzt in meinem Beisein, nachdem Sie es gelesen haben. Die Frachtpapiere und Zollerklärungen sind wie immer ausgestellt. Die Fässer befinden sich dieses Mal in eigens angefertigten Holzkisten. Die entfernen Sie bitte, bevor …, naja, Sie wissen schon, das Zeugs soll ja nicht auf dem Meer schwimmen. Wir haben einen Tipp bekommen, man wird Sie vielleicht kontrollieren."
"Verstehe."
Seine blauwässrigen Augen betrachten dienstbeflissen das oberste Blatt. Mundwinkel zucken, als zöge er an einer Pfeife, dann faltet er das Papier zu einem kleinen Päckchen und legt es in den Aschenbecher.
Rauch steigt empor, nachdem er es mit einem goldenen Feuerzeug entzündet hat.
Wieder so ein Klischee, denke ich. Gleich wird er eine Filterlose hervorholen oder eine Pfeife aus der Tasche ziehen. Seine Generation ist dabei, auszusterben.
Auslaufmodelle, die am Ende ihrer Tage den Nachdrängenden nur noch ihre lächerlich wirkenden Statussymbole entgegen stemmen können.
Stumm halte ich ihm den Geldumschlag hin, der sogleich in seiner Jackentasche verschwindet. Die jüngeren Kapitäne hätten jetzt nachgezählt.
"Wann können Sie auslaufen?"
"Das hängt davon ab, ob wir die Ladung noch verstaut bekommen, bevor die nächste Ebbe kommt. Mit dieser Ladung werden wir tüchtig Tiefgang haben auf der Elbe. Raus können wir nur mit der Flut und die ist in sechs Stunden."
"Nun, dann gute Fahrt", sage ich und verlasse das Offiziers-Casino.
Ich habe bereits einen Fuß auf der Gangway, als ich mich nochmals umdrehe. Er hat gerade hastig seine weißblaue Mütze aufgesetzt, um mich ordnungsgemäß zu verabschieden. Ich spiele die Komödie mit. Die unnahbare Diva reicht dem Gedrillten generös die Hand zum Abschied.
Eine behandschuhte Hand, ich liebe es nicht, Spuren zu hinterlassen.
Der schwarze 7er BMW wäre anderenorts vermutlich gar nicht aufgefallen. In dieser Stadt gab es genügend Betuchte, die sich solche Fahrzeuge leisten konnten.
Jetzt aber versperrte die Limousine am Fahrbahnrand des Jungfernstiegs parkend einer elfenbeinfarbenen Perlenkette von Taxis den Ausfahrtweg.
Schon von weitem wirkte das Fahrzeug wie eine Festung mit seinen getönten Scheiben, die keinen Blick ins Wageninnere frei gaben.
Bisher hatte kein Taxifahrer gewagt, diese Provokation davonzujagen.
Es funktioniert doch immer wieder, dachte ich, zeige Potenz und die Menschen sind eingeschüchtert.
Ich löste mich aus dem Fußgängerstrom, der stets vor dem Eingang des Alsterhauses seine höchste Dichte erlangt und schritt auf den Wagen zu. Ich hatte mich auf dieses Treffen gut vorbereitet, einen dunklen Hosenanzug mit weißer Bluse und als Halsschmuck eine dezent schimmernde Perlenkette gewählt, mich in ein klassisch, unaufdringlich duftendes Parfüm gehüllt und selbst bei den Pumps auf nicht zu hohe Absätze geachtet.
Ich verkörpere hanseatische Gediegenheit. So sind die Spielregeln, wenn man Geschäfte machen will.
Noch bevor ich mir darüber Gedanken machen konnte, ob ich auf das richtige Fahrzeug zuging, immerhin hätte es ja auch ein wartender Ehemann sein können, glitt die Scheibe der Beifahrertür herunter.
"Steigen Sie ein!"
Im Wageninnern empfing mich leise Musik, erfrischende Kühle und mein neuer Kunde, der sich mit einem grauen Bossanzug, glattrasierter Haut und eloquentem Stoppelhaarschnitt ebenso wie ich kostümiert hatte.
„Was halten Sie davon, wenn wir ein Stück fahren?“, fragte er, während mich seine Augen abtasteten.
Ich nickte und er fuhr Richtung Mönckebergstraße.
„Ich habe bereits im Telefonat angedeutet, dass ich quasi der Stellvertreter eines Konsortiums von Firmen bin, die allesamt an Ihren Diensten interessiert sind“, begann er umständlich. Er bog rechts in die Domstraße ein.
„Wir haben bislang einer anderen Firma diese Aufträge erteilt, aber sind offensichtlich an deren Kapazitätsgrenzen gestoßen.“
Ich verkniff mir ein Lächeln. Diese sogenannte andere Firma war keineswegs an ihre Grenzen gestoßen, sondern hatte eilig beschlossen, um der besseren Konditionen willen, eine neue Firma zu eröffnen und mich als einzige Mitarbeiterin einzusetzen.
„Um wieviel Tonnen geht es?“, fragte ich.
Er pfiff anerkennend, wir fuhren Richtung Rödingsmarkt.
„Tonnen? Sie geben sich wohl gar nicht erst mit kleineren Mengen ab, nicht wahr?“
Ich hatte ihn.
„Sagen Sie mir, um welchen Stoff es geht und ich sage Ihnen, wann er entsorgt wird und was es kostet.“
Ich zog meinen Aktenkoffer heran, die beiden Schlösser klackten.
Er bog am Baumwall links ab Richtung Hafencity.
„Erzählen Sie mir ein wenig über sich“, forderte er. „Sie sind, wie man mir berichtet, wohl sowas wie die Top-Stakeholderin der Firma, nicht wahr?“
„Oh, Sie schmeicheln mir“, erwiderte ich lächelnd und versuchte seinen kurzen Blick mit der Mimik einer Frau aufzufangen, die sich ihres Erfolges absolut sicher ist.
Was sollte ich ihm schon erzählen? Mein Beruf gehörte nicht zu der Sorte über die man breit berichtete. Im Grunde genommen war ich 24 Stunden am Tag nur mit einem einzigen Gedanken verbunden: Wo konnte man welchen Müll so elegant und genial billig unterbringen, dass er für Jahre verschwunden war.
Jeder Fleck dieser Erde, jedes noch so kleine Grundstück wurde unter diesen Bedingungen von mir taxiert. Eine ganz normale Baustelle zum Beispiel hatte Baugruben und Hohlräume vielfältiger Art. Platz für Müll, für ganz speziellen Müll, gut eingegraben, fest einbetoniert.
Ich war die Detektivin, die all diese Verstecke finden musste. Ein riesiges Spiel mit unbegrenzten, sich täglich neu eröffnenden Varianten.
„Mein Spezialgebiet ist der Marinebereich“, log ich. Natürlich fahndete ich regelmäßig im Hafen nach Opfern. Nach Kapitänen, die der Existenzbedrohung durch einen lukrativen Nebenverdienst zu entrinnen versuchten.
Aber passende Schiffe zu finden, das war nur ein winziger Ausschnitt meines Suchspiels.
Wir hatten die Speicherstadt erreicht und er parkte am Sandtorkai mit Blick auf das Fleet.
„Sehr gesprächig sind Sie ja nicht“, sagte er und stellte den Motor ab.
„Je weniger wir von einander wissen, desto sicherer für alle Beteiligten“, sagte ich kühl, ihn in seine Schranken weisend.
„Um welchen Stoff geht es?“, schob ich nach.
Ich wusste, was er gleich sagen würde, ich war gut präpariert.
„Rund 2000 Tonnen Radium 226 jährlich.“
Ich spürte seinen Blick auf mir. Er wollte sich an meiner Verblüffung weiden. Den Gefallen tat ich ihm nicht.
„Ich kenne nur eine Branche, bei der derartig viel anfällt", sagte ich. "Die Ölbranche. Offiziell werden zwar nur 300 Jahrestonnen eingeräumt, aber Insider wissen, dass das bei der Fördermenge nicht haltbar ist.“
Mein Wissen imponierte ihm. Er nickte anerkennend.
„Wieviel können Sie übernehmen?“, fragte er.
„Selbstverständlich alles bis auf die 300 Tonnen, die unter behördlicher Beobachtung stehen“, sagte ich und wusste, dass ich ihn mit dieser Antwort überrascht hatte.
Dann tat ich so, als ermittele ich den Preis, blätterte in diversen Unterlagen und schrieb zum Schluss etwas auf das Papier, das ich ihm reichte.
„Das kostet Sie eine Tonne“, sagte ich und ergötzte mich an dem Gefühl, ein unwiderstehliches Angebot unterbreitet zu haben.
Seine Augen verrieten seine Antwort, bevor er sie ausgesprochen hatte.
„Wo soll ich Sie absetzen?“, fragte er und startete den BMW.
„Danke, ich steige hier aus und mache noch einen kleinen Spaziergang zur Elbphilharmonie“, sagte ich.
„Ich schaue mir ab und zu gerne an, wo die braven Hamburger ihre Steuergelder verbrennen lassen.“