- Beitritt
- 26.10.2001
- Beiträge
- 1.572
... auf der Brücke schlägt mir Wind ins Gesicht.
... und auf der Brücke schlägt mir Wind ins Gesicht...
Ich laufe neben mir her, wie ein Hund seinem Herren folgt, ohne zu wissen, wohin es geht.Wind weht mir böig ins Gesicht. Wozu muss ich wissen, wohin der Weg am Ende führt? Ich bin losgegangen, ich gehe, ich werde irgendwo ankommen. Manchmal macht der Wind eine kurze Pause, nur um mich dann unvermutet von der anderen Seite anzuspringen. Ich torkele leicht hin und her, so, als hätte ich getrunken. Hab ich aber nicht. Noch nicht. Die Nacht ist schwarz. Kein Stern betrachtet meinen Weg.
Ich hatte noch vor drei Tagen gedacht, es würde nie mehr so sein wie früher, als wir uns noch verstanden, zusammen lachten, fluchten über die Ungerechtigkeit des Seins, uns zusammen betranken und alles war gut.
Nun ist Anna da. Seit fast vier Monaten, und seit vier Tagen weiß ich sicher, dass ich der Vater bin. Es tat unendlich gut, das zu wissen. Es war, als wärest du auf hoher See, seit Tagen und Wochen schon Sturm, der Himmel reißt plötzlich auf, und der Polarstern leuchtet ewig und eisig klar auf dich herunter. Du weißt wieder, wohin du segeln kannst. Die Dame vom Jugendamt hat dir gesagt, dass Annas Mutter im Krankenhaus sei... wegen einer Nervensache in der Seite hieß es. Dann sagte sie am nächsten Tag, es habe eine Operation gegeben, Anna wäre bei ihr im Zimmer, es ginge ihr gut, die Mutter sei noch etwas schwach.
Dienstag bin ich dann zum Amt um die Vaterschaft anzuerkennen.
Es war ein Gefühl wie Burgunder auf der Haut und in der Kehle.
Samtig, schwer, voll und angenehm.
Dienstag abend Hab ich mich endlich getraut, die Mutter meines Kindes zu besuchen.
Ich bin nicht gut in Krankenhausbesuchen.
Wir haben uns genähert, fast so wie früher, behutsam, aber diesmal ohne Angst, vielleicht eher getragen von liebevollem Respekt...
Und seit heute wissen wir beide dass du Knochenkrebs hast.
Anna liegt bei Großmutter im Bett und weint, weil sie nicht wie gewohnt bei dir im Bett schlafen kann.
Wenn ich nicht da bin, weinst du. Wenn ich da bin, lachst du.
Beides hat dir der Doktor verboten, wegen der Narbe, die durch deine Eingeweide zieht wie eine Zonengrenze.
„Ich bin eine schlechte Patientin“ sagst du, und beginnst zu kichern.
Ich bin ein schlechter Besuch, denn ich lasse dich gewähren. Aber jeder Moment ist aus Zeitlosem Gold.
Morgen bekommst du deine erste Chemo-, da willst du mich dann lieber nicht sehen, du meintest, du wärest dann verstrahlt wie ein Atomkraftwerk... ich muss grinsen. Es tut weh, fast so, wie dir das Lachen weh tun mag, nur woanders und nicht so doll wie bei dir, oder auch nicht?
Mein Auto beginnt viel zu schnell mit mir Nachhause zu fahren.
Es ist dunkel und Wind weht durch das Tal.
Ich muss noch mal unter Leute... Stille ist zu laut für mich, jetzt, in diesem Moment.
Die Stadt hält mich nicht länger als drei Bier mit Limo gemischt.
Erneut überquere ich den Fluss.
Es ist nur der Neckar, aber er könnte auch Styx heißen.
Ich laufe neben mir her, wie ein Hund seinem Herren folgt, ohne zu wissen wohin es geht und Wind schlägt mir ins Gesicht.