- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 28
Arbeitslos
„… und daher muss ich Ihnen leider mitteilen, dass wir beschlossen haben, uns mit sofortiger Wirkung von Ihnen zu trennen… Änderung der Firmenstruktur und –philosophie… wäre freundlich, wenn Sie jetzt gleich alles übergeben…. Ihre privaten Sachen vom Arbeitsplatz entfernen…. bis Ende des Vertrages freigestellt… wohlwollendes Zeugnis… nach Hause… wünsche Ihnen alles Gute für die Zukunft.“ Händeschütteln, kurzes Winken, die Tür fällt ins Schloss.
Ich sitze im Wagen, starte unbewusst den Motor und registriere kaum, wie mein Körper alle notwendigen Dinge tut, um mich durch den ruhigen Vormittagsverkehr in Richtung Heimat zu geleiten. Ich bin betäubt. Bruchstückhaft hallen wirre Satzfragmente immer und immer wieder durch den Kopf. „…mit sofortiger Wirkung, alles Gute … vom Arbeitsplatz trennen… nach Hause…“ Achtzehn Jahre in leitender Funktion, achtzehn Jahre mit Herz die Firma durch dick und dünn begleitet, oft genug das Privatleben hinten an gestellt und nun innerhalb von fünfzehn Minuten einen Schlussstrich drunter gezogen. Ein paar leere Phrasen, ein aus der Tür drängender Händedruck, ein Spießrutenlauf durch Freunde und Mitarbeiter. Entsetzte, mitleidige und hintergründig grinsende Gesichter begleiten mich bis zum Ausgang und starren mich, im Wagen sitzend, auch kilometerweit entfernt, noch weiter an.
„Du hättest es wissen müssen, es gab genug Anzeichen, dass man Personal bereinigen wird. Warum kamst du nicht auf die Idee, dass du erst recht verzichtbar bist? An dir spart man obendrein am meisten Geld. Zentrale Leitung heißt, dass man vor Ort keine Leitung mehr braucht, dich nicht braucht.
Dankbarkeit? Für achtzehn Jahre tollen Einsatz? Du bist auch achtzehn Jahre toll bezahlt worden. Moral? Unmenschlichkeit? Weil man mit fünfzig keinen Job mehr bekommt? Man muss es mal aus betriebswirtschaftlicher Sicht sehen. Eine Abfindung, ein halbes oder ein ganzes Jahresgehalt, und dann nichts mehr. Vielleicht als Ersatz einen jungen dynamischen Akademiker, direkt von der Uni. Verdient nicht mal die Hälfte, lässt sich noch formen, ist leichter zu dirigieren. Und es rechnet sich, in vielerlei Hinsicht. Der Angsteffekt bei allen anderen Mitarbeitern eher positiv zu bewerten. Also, was spricht schon dafür, dich alten Esel zu behalten? Du hast dich um die Firma verdient gemacht, warst loyal. Okay. Du hast dir also dein Gehalt verdient. Normal, oder? Loyalität erwartet man vom Mitarbeiter, Loyalität ist selbstverständlich, ist was für Einzelpersonen. Nicht aber für die Firma, bei der gelten betriebswirtschaftliche Kriterien.“
Zuhause. Auf dem Tisch steht der Karton aus dem Büro, mit dem Bild der Frau und den Kindern, das du vom Sideboard genommen hast. Der Briefbeschwerer, die privaten Karteikarten, Messer, Gabel, Salzstreuer und weiter Kleinigkeiten. Privatleben auf zwanzig mal dreißig Zentimeter. Noch immer die Satzfragmente ´mit sofortiger Wirkung´ im Kopf. Sechs Monate freigestellt, sechs Monate bis zur Arbeitslosigkeit. Es sei denn, ich finde bis dann eine Stelle. Aber wer stellt einen Über-Fünfzig-Jährigen ein?
Was wird die Frau sagen, die Kinder? Arbeitslos. „Mein Mann ist arbeitslos.“ „Mein Vater ist arbeitslos.“ Peinlich so ein Geständnis. Gesellschaftlich abgestürzt. Die Nachbarn werden fragen: „Ich sehe Sie so oft zuhause in letzter Zeit. Haben Sie Urlaub?“
„Oooch, das ist ja schlimm. Was machen Sie denn nun? Das Arbeitslosengeld ist doch nur ein Almosen. Ist ihr Haus denn schon bezahlt? …“
Vier Monate später. Im Briefkasten erneut zwei Absagen, Hamburg und Ulm. Siebenundvierzig sind es nun insgesamt, siebenundvierzig kleine Tode. „…haben Sie Verständnis für unsere Entscheidung und sehen Sie darin keine negative Beurteilung Ihrer persönlichen und fachlichen Qualifikation… danken für Ihr Interesse an unserem Unternehmen… blablabla.“
Mein Gott, keiner will jemanden, der Erfahrung, Durchsetzungsvermögen, Jahre im Fach hinter sich hat.
Wieder ins Internet, wieder alle 22 Job-Suchmaschinen in den Favoriten durchwühlen, wieder nach einem Angebot suchen, in dem nicht explizit eine Altersangabe (…bis max. 40) steht. Das zarte Pflänzchen Hoffnung gießen. Neue Blätter nachwachsen lassen. Im Postamt kennt man mich schon. „Na, wieder zwei? Sie sind aber fleißig. Trotzdem noch keinen Erfolg gehabt?“ Die junge Frau formuliert es mit Mitgefühl in der Stimme. Mir bleibt ein leichtes Kopfschütteln im Gehen. Nur nicht ein längeres Gespräch, womöglich mit ein paar Leuten in der Schlange hinter mir.
Arbeitsamt. Heute zumindest keinen Bekannten getroffen. Formulare ausgefüllt. Endlose Fragen beantwortet. „Sie haben also nicht gegen die Kündigung geklagt? Einen Aufhebungsvertrag? Das wird leider als Vorteilsnahme gewertet, sie haben gegen Geldleistung der Kündigung zugestimmt. Da werden Sie mit einer Sperre rechnen müssen.“ Dann kamen Job-Angebote, alle Stellen schon längst besetzt. Trotzdem eine freundlich formulierte Antwort ans Arbeitsamt.
Die Arbeitslosigkeit rückt näher. Wieder Job-Suchmaschinen, wieder das Gießen der Pflanze Hoffnung.
Tagesroutine. Dann: „Der Vater von Hanne ist auch arbeitslos geworden.“ Die Tochter sagt es mit leiser Stimme; ich weiß, sie will mit dieser Katastrophenmeldung Trost spenden. Sie hilft mit dem Elend anderer. Aber es ist nur ein Leidensgenosse, kein Trost.
Wieder Briefkasten, wieder ein kleiner Tod – Absage aus Frankfurt. Halt. Firma Schäfer. Der Umschlag zerfleddert beim Öffnen. „“…würden uns freuen, Sie am 01.12. um 15 Uhr zu einem ersten Gespräch in unserem Haus willkommen zu heißen…“
Meine Hände zittern, der Brief fällt vor mich, ich setze mich, bleibe eine halbe Stunde am Tisch, allein und schweigend.
Noch fünf Minuten. Wie soll ich bei diesem Gespräch „normal“ erscheinen? Bin bereits jetzt verkrampft. Eine lockere Konversation führen, womöglich noch scherzhaft und geistreich blitzschnell antworten. Dabei keine Schweißperlen auf der Stirn, trockene Hände. Die Zukunft hängt von diesen Minuten ab. Es gilt, die Einstellung zu zeigen, die man hätte, wenn man sich nicht bewerben müsste. Als wäre mir egal, was das Gegenüber denkt, vergessen die letzten vier Monate innerer Selbstzerfleischung, ich habe keine Familie, deren Leben von meinem Auftreten abhängt, kein Haus, das verkauft werden muss, wenn ich arbeitslos werde, ich habe keine Probleme damit, mich anzulügen. Ich wische mir den Schweiß von der Stirn, rücke die Krawatte zurecht, ein letzter Blick in den Rückspiegel des Wagens. Dann nehme ich meine Unterlagen, gehe an das Tor, setze ein cooles Lächeln auf und drücke auf den Knopf unterhalb des vornehm aussehenden Firmenschildes.