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Arbeit, Mai und Tierschutzprojekt

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29.01.2013
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Arbeit, Mai und Tierschutzprojekt

Vielleicht gab es auf der Welt zu wenig Tiere, vielleicht gab es zu viel Zeit im Lehrplan, auf jeden Fall organisierte unsere talentlose Jahrgangsstufe ein Tierschutzprojekt. Man konnte freiwillig teilnehmen. Da es während der Unterrichtszeit war, nahmen alle teil.
Wir stellten uns auf der zentralen Einkaufsstraße auf mit Pappkartontieren und standen. Machten uns in den Augen der Bevölkerung lächerlich. Ich hatte einen Tiger, den musste ich davor selbst aus Pappkarton basteln. Der Tiger war unproportioniert und hatte nur zwei Pfoten. Er wurde in Afrika ausgerottet.
Eli aus der Parallelklasse stellte sich neben mir auf. Ich kannte sie schlecht, aber sie gruppierte sich trotzdem mit mir. Wollte von meinem Tiger profitieren, meinem Lebenswerk. Ich fragte sie aus, wo sie ihre Klamotten gekauft hatte, um aus ihrer Anwesenheit Nutzen zu ziehen. „Keine Ahnung. Überall“, antwortete Eli. Das war ihr Geheimnis. Wenn ich Geheimnisse hätte, würde ich sie ihr auch nicht verraten. Das hast du davon, Eli.
Wir tauften den Tiger Dschingis Khan. Dschingi. Wenn Dschingis Khan es wüsste, würde er sich im Sarg umdrehen. Der Frühling war rein, wie ein Bergsee. Die Sonne wärmte unsere jungen Herzen. Eli musste aufs Klo.
„Komm mit“, sagte sie.
„Und der Tiger?“
„Wir gehen schnell. Wir rennen.“
Sie zog mich an der Hand und wir rannten wie kleine Mädchen zum McDonald‘s und schubsten Passanten. Es war Mai. Mein Lieblingsmonat. Ich hatte gute Laune. Bin fast erstickt, meine Wangen brannten. Was für Kondition, herrlich. Was macht Schule aus lebensfähigen jungen Leuten. „Sie lief zur Toilette und verstarb am Herzinfarkt im zarten Alter von 16 Jahren.“
„Weißt du, was dir stehen würde?“, fragte mich Eli auf der Toilette in McDonald’s.
„Es würde dir stehen, wenn du deinen Pony gerade schneidest und deine Haare rot färbst. Dann würdest du aussehen wie so ein Pin-Up Girl.“ Sie drehte meinen Pony so ein, wie ich es ihrer Meinung nach schneiden sollte. Ich war immer noch am Ersticken. Sollte vielleicht weniger rauchen. Dann suchte sie einen passenden Rotton in der Umgebung. Das dauerte zu lange.
Als wir zurückkamen, sahen wir, dass Dschingi keinen Kopf mehr hatte. Vandalen hatten mein Lebenswerk ruiniert. Kein Wunder, dass die Natur ausstarb, bei so einer Einstellung. Ohne Kopf sah der Tiger aus wie ein schiefer Tisch. Wir stopften ihn in die Mülltonne und stellten uns zurück in die Tierschutzreihe. Alle standen mit Pappe, und wir standen einfach so da. Wie Nutten.
„Das macht nichts“, sagte Eli. „Wir symbolisieren Menschen. Menschen muss man auch schützen. Wir stehen hier für Menschenrechte, ja!“
Das sah ich genauso. Menschen waren wichtiger, und keiner schützte sie. Ich würde alle Tiger töten, wenn es sein müsste, damit ein einziger Mensch einen Tag länger leben könnte. Doch für Menschenschutz interessierte sich keiner, Passanten liefen an uns vorbei.
„Weißt du, warum sie uns nicht beachten?“, fragte Eli.
„Weil wir keinen Tiger mehr haben“.
„Nein. Weil sie nicht an uns denken. Vor dem Tiger würden sie stehen bleiben, wenn ein Tiger einen Platz in ihrem Unterbewusstsein hätte. Wenn sie sich um Tiger kümmern würden. Wir erreichen hier eigentlich nur die Leute, die sich auch so um Tiere kümmern, verstehst du?“ Eli hatte einen Hang zu Philosophie.
„Es ist schon interessant, Leute zu beobachten“, stellte ich nach einiger Zeit fest. Es stimmte nicht ganz. Wir waren hier nicht in Berlin. Die meisten Passanten waren langweilig und schlecht gekleidet.
„Ja… Wie sie vor sich hin laufen. Sie sehen niemanden. Uns sehen sie auch nicht. Weißt du warum? Man sieht nur das, woran man denkt. Ist es dir schon mal passiert, du denkst an jemanden, und dann triffst du diese Person ständig irgendwo?“
„Ja. Kein Wunder, in unserem Kaff“, sagte ich.
„Nein, das ist weil dir diese Person in der Menge auffällt, weil du sie sehen willst. Oder eben nicht sehen willst, dann siehst du sie auch ständig.“
„Und wenn es jemand Unbekanntes ist, der auffällt?“
„Auch. Ich glaube, man lernt nur die Leute kennen, die schon in deinem Unterbewusstsein existieren. Du stellst sie dir unbewusst vor, und dann triffst du die. Andere triffst du auch, aber auf die achtest du nicht. Die vergisst du. Das hat Freud gesagt.“
Das hatte Freud nicht gesagt, jedenfalls nicht so. Ich hatte Freud gelesen. Es war nicht sein Stil. Das hat sich Eli ausgedacht. Eli war klug. Die Bevölkerung hatte keine Schüler mit Pappkartontieren im Unterbewusstsein und missachtete uns. Deshalb war unsere Aktion sinnlos.
Eine Rentnerin kam zu uns und fragte, wie man zum Rathaus kommt. Dann bemerkte sie, dass wir jung und dumm waren und fragte andere Leute.
Zwei Jungs kamen und blieben stehen. Einer hatte tätowierte Oberarme und große Kopfhörer, der andere war ein Mulatte und hatte auch Kopfhörer. Sahen aus wie Hipster.
„What are you guys doing here?“, fragte uns der mit Tattoos. Sie waren Amis, man hat es gehört und gesehen. Amis haben immer diese fröhliche, singende Art zu reden. Und strahlen immer. Positive Menschen. Gewiss, nicht alle. Wahrscheinlich, nur solche, die Mädchen auf der Straße anlabern.
Ich erklärte dem Tätowierten, dass wir früher einen Tiger hatten, aber er wurde von unbekannten Schurken geköpft. Und in Afrika wurden Tiger von bösen Afrikanern gejagt. Mehr hatte ich ihm nicht zu sagen, aber er ging nicht. Stand da und schaute mich an. Und ich schaute ihn an.
Die Amis waren Musiker aus Kalifornien. Sie reisten durch Europa, um ihre Platte zu promoten. Das Promoten bestand darin, dass sie den Leuten auf der Straße ihre CDs andrehten. Ich mochte keinen Hip Hop und wollte keine CD kaufen.
„Ich schenke dir eine CD, wenn du mit mir ein Bier trinken gehst“, versprach der Tätowierte. Der Schwarze war längst verschwunden, er hatte kein Bock auf mich und Eli. Vielleicht war er sauer wegen den bösen Afrikanern. Der Tätowierte schaute mich an mit halbgeschlossenen Augen. Von oben nach unten. Ich mochte kein Bier und keinen Hip Hop, aber ich ging natürlich trotzdem mit ihm. Ich wollte irgendwohin gehen. Im Mai zieht es mich immer irgendwohin, in die unbekannte Weite. Mich zog es in die unbekannte Weite, und ihn in ein Bierzelt. Bierzelt war näher.
Mein neuer Bekannter hieß Sergio. Habe ich jedenfalls so verstanden. Er erzählte, was er in seinem fröhlichen Leben machte. Er hatte eine künstlerische Ader. Produzierte Musik und sonstigen Kram.
„Ich bin ein Designer, Mann. Ich designe Klamotten“, sang Sergio. Das ist brauchbar, dachte ich. Die Bevölkerung braucht Klamotten.
„Kannst du nähen?“
„Was, nähen? Neeeein.“ Er lachte. „Ich bin Designer, ich zeichne“.
Ich habe nicht verstanden, was sie machten, diese Jungs. Vor allem habe ich nicht verstanden, wovon sie lebten. Man muss doch von etwas leben, oder nicht? Vielleicht konnte man sich in Kalifornien von Sonne und Sand ernähren. Oder von Sonne und Liebe. Vielleicht konnte man dort am Strand schlafen und gezeichnete Kleidung tragen. Man wusste es nicht. Kalifornien war von Menschen unerforscht, es war eine andere Welt.
Ich wurde betrunken. Ich war schon den ganzen Tag betrunken gewesen von der Schwüle. Sergio war ein Junge von der schläfrigen Westküste, er war auch selbst schläfrig, und schön, und seine Tattoos waren auch schön. Die Luft hatte im Mai einen besonderen Klang. Alles war gut. Ich hatte vielleicht eine neue Freundin. Und vielleicht einen kalifornischen Rapper. Alles vielleicht. Ein durchaus gelungener Tag.
Am nächsten Tag schien die Sonne, und ich wollte besser werden. Die Schule hatte ich sowieso verschlafen. Was macht man, wenn man besser werden will? Geht man in ein Kloster? Ich ging zum Friseur und ließ meine Haare rot färben. Es war nicht so cool, wie Eli gesagt hatte. Sah nicht nach einem Pin-Up Girl aus. Sah aus nach mir mit roten Haaren.
Dann rief ich zwanzig Mal Sergio an, bis er ranging, und wir trafen uns in der Stadt. Sergio fand rote Haare gut. Sergio fand alles gut, denn er war bekifft. In Betracht der frühen Uhrzeit etwas verwunderlich, in Betracht seiner Person wiederum nicht. Wir gingen zu McDonalds, zu dem gleichen, zu dem ich mit Eli gerannt war. Dchingis Khans Reste verbarrikadierten immer noch die Mülltonne. Sergio erzählte, dass er einen Pitbull kaufen wollte. Sein Onkel hatte eine Farm mit Pitbullen, sagte er. Ich enteignete ihm seine Sonnenbrille und setzte sie mir auf. Im McDonald’s machten wir miteinander rum, wenn man es so nennen mag. Er hatte kein Bock, seine Zunge zu bewegen, er war bekifft. Ich schweifte in egozentrische Gedanken ab. Dachte darüber nach, wer ich war.
Ich war zynisch, infantil und empfindlich. Lachte demonstrativ über Dinge, über die man nicht lachen durfte. Das war immer so gewesen und das würde immer so bleiben. Ich änderte mich nicht. Ich habe sechzehn Mais erlebt und sie waren vergangen, und ich hatte nichts daraus gemacht. Ich wollte immer durch die Stadt laufen, und meine Füße taten weh, aber ich konnte nicht stehen bleiben.
„Sergio.“
„Mmmh?“ Nichts. Halte mich fest, sonst falle ich runter.
„I adore May.“
Er hielt mich nicht, und ich fiel unter den Tisch. Schmiss eine Cola um. Ich blamierte mich ständig in diesem McDonald’s.
„Sergio.“
„Was, Baby?“
„Ich habe beschlossen, Penner zu werden. Werde nachts auf der Bank im Park schlafen, und morgens mit dem Roller fahren und Flaschen sammeln.“
„Was, neeeein. Ist doch gefährlich, alleine im Park“.
„Nein, ist es nicht. Unser Park ist ruhig. Ruhig und schön.“ Das war der spießigste Park auf der Erde.
Ich wollte, dass Sergio mich trägt. Wollte weg vom Boden. Ein Vogel sollte ich sein und über der Erde fliegen. Ich wäre der letzte meiner Art. Es war ein seltsames Gefühl. Nicht im Bauch. In den Lungen. Ich konnte nicht atmen. Mir fehlte Sauerstoff. Ich sollte weniger rauchen. Weniger, weniger, weniger rauchen. Nur noch eine. Und Sergio wollte mich nicht tragen. Zu anstrengend.
„In deinem Alter hab ich geraucht, weil es cool war“, sagte er zu mir, anstatt mich zu tragen. So eine feine Andeutung. Ich rauchte nur, um mich zu beruhigen. Wollte entspannt und glücklich sein. Und Sergio sollte lieber die Fresse halten.
Frühling ging in den Sommer über. Asphalt blendete. Farben zerflossen. Wind zerzauste meine Haare, sie flogen mir ins Gesicht und klebten an den Lippen. Ich wackelte ein bisschen, weil ich nicht wusste, wohin ich lief. Fragte Fremde in Cafés nach Zigaretten. Menschen begegneten mir und blitzten im Bewusstsein auf, um dann für immer zu verschwinden.
Wir trafen Eli und ein anderes Mädchen. Perfektes Timing. Man traf sie sonst nie in der Stadt.
„Aaah. Ist das der Musiker von gestern? Hast du ein Date mit ihm?“
„Nein“, log ich. „Wir haben uns zufällig getroffen“. Warum? Weil es niemanden was anging, mit wem ich mich traf.
„Echt jetzt? Siehst du, genau das habe ich gemeint! Siehst du.“ Jetzt bestätigte sich ihre fragwürdige Theorie.
„Wir gehen heute Abend in den Park kiffen. Komm mit, Eli.“
„Ich will nicht kiffen.“
„Egal. Komm trotzdem.“
„Weiß nicht. Vielleicht.“
Vielleicht wollte ich, dass du kommst, Eli.
„Tschüss, Eli.“
Mir wurde schwindelig. Ich hing an Sergio, wie ein Sack, wir standen und liefen nirgendwohin. Sergio suchte seinen Kumpel. Er hieß Daniel oder so ähnlich. Ich vergaß es. Sergio wollte sein Handy aufladen und Daniel anrufen.
„Komm mit!“, sang er zu mir. „Gehen wir nach Hause“.
Sergio wollte sein Handy aufladen und vielleicht mit mir schlafen. Unsere Vorhaben gingen etwas auseinander. Sex mit Sergio traf meine Stimmung nicht. Meine Stimmung war gegen den Wind rennen. Oder Roller fahren.
Stattdessen saß ich auf dem Sofa in seiner Wohnung, legte die Beine auf den Tisch und wartete ab, was er machen würde. Streckte und beugte den großen Zeh. Beobachtete, wie Sergio das Ladegerät in sein Handy steckte. Freud hätte an dieser Szene seinen Gefallen.
Sergio telefonierte tatsächlich mit seinem Kumpel. Vielleicht hatte er sich vorgenommen, keine minderjährigen Schülerinnen zu ficken. Eine überaus löbliche Entscheidung. Vielleicht hatte er keine Lust, mich anzumachen. Ich könnte dann sagen: “Ach, mein Geliebter, ich weiß nicht…“ Dann müsste er mich überreden. Das wäre für ihn anstrengend. Vielleicht hatte er auch eine andere Stimmung, und ich verstand ihn nicht.
Sergios Kumpel tauchte wieder auf. Am Abend haben wir im Park gekifft. Ich lag auf der Bank und stellte mir vor, die Sterne wären kleine leuchtende Fliegen, die vor der Ausrottung in den Himmel geflohen waren. Sie sammelten Kraft. Irgendwann würden sie kommen und sich rächen.
Sergio und Daniel redeten miteinander. Sie wären ein süßes Pärchen. In ihrer Wortmelodie waren fast keine Konsonanten, und ich verstand sie nicht. Die Erde drehte sich um die Sonne und um die eigene Achse. Bei mir drehte sie sich noch in eine dritte, unbekannte Richtung.
Irgendein aufregender Gedanke entglitt mir. Entglitt, entglitt, entglitt …
Am nächsten Tag erfreute ich Schule wieder mit meinem Erscheinen. Kam zur dritten Stunde und ging gleich wieder. Ich konnte dort nicht sitzen.
Dann fuhren Sergio und sein Kumpel in eine andere Stadt. Wollten dort Leuten auf der Straße ihre CDs andrehen. Ich verabschiedete mich von ihnen am Bahnhof, küsste Sergio und ging nach Hause.
Etwas hat sich in mir verändert. Als ich mit Sergio rumgehangen war, hatte ich es nicht begriffen. Es war mir immer entglitten. Eine Neurose breitete sich in mir aus. Dann habe ich es verstanden.
Ich konnte nicht schlafen in dieser Nacht. Ich drehte mich tausend Mal im Bett um, stand tausend Mal auf, trank kaltes Wasser aus dem Wasserhahn. Öffnete Fenster. Rauchte, suchte einen Kaugummi in der ganzen verdammten Wohnung, weil die Zahnpasta leer war. Ich war furchtbar verliebt, und mir war schlecht. Meine Augen brannten, es war fünf Uhr morgens. Ich biss mir Fingernägel ab und merkte nicht, dass meine Finger bluteten. Ich war verliebt in Eli.

 

Hallo Schenja,

und herzlich Willkommen.

Ich finde dein Einstieg gut. Du hast irgendwie einen eigenen Stil, manchmal etwas wirr, abgehackt, aber er passt zur Geschichte. Die ist natürlich bittersüß, so eine Teenie-Love-Story, nur eben anders. Vielleicht bin ich da nicht der richtige Leser für, um so einen Text total abzufeiern, aber du fängst eine Stimmung ein, du ziehst mich mit in die Story, und das macht eben nicht jeder Text. Ich habe es in einem Rutsch gelesen. Das Ende ist stark, dieses Verzehren, hättest du vielleicht noch etwas ausbauen können. Einige Flüchtigkeitsfehler sind drin, aber nichts Arges. Mochte den Text, hat alles Potential.

Viel Spass hier noch, und Gruss

Jimmy

 
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Hallo Schenja und willkommen auf kg.de

Das ist eine der besten und coolsten Jugendstories und Einstiegstexte, die ich hier so gelesen hab.

Der Stil und die Gedanken darin sind voll interessant. Also … das wirkt irgendwie ausländisch auf mich an manchen Stellen, aber ich hab das Gefühl, du kannst coole Sätze schreiben. Und an manchen Stellen sind diese Sätze gerade cool, weil die ein bisschen ungewöhlich sind.

Am nächsten Tag erfreute ich Schule wieder mit meinem Erscheinen.

Sagt man das so :) Ich weiß nicht, aber ich mags.

Und das hier:

„What are you guys doing here?“, fragte uns der mit Tattoos. Sie waren Amis, man hat es gehört und gesehen. Amis haben immer diese fröhliche, singende Art zu reden. Und strahlen immer. Positive Menschen. Gewiss, nicht alle. Wahrscheinlich, nur solche, die Mädchen auf der Straße anlabern.

Ha! Das gefällt mir aber gut. :)


Und die Kiffer und so … Und wie man Djingis köpft. :)

Ich habs echt voll gern gelesen. Der Text hat auch Biss. Der ist nicht soft. Ich weiß nicht, was ich von dem letzten Satz halten soll .. aber egal. Echt guter Text, irgendwie ungewöhnlich, gedankenreich, intelligent.

Die Idee, dass man nur Leute kennt, die man unterbewusst kennenlernen will und alles … vielleicht sag ich noch mehr dazu. Bin gespannt was die anderen meinen.

MfG,

JuJu

 

Servus Schenja,

da ist uns hier im Forum vor wenigen Tagen eine in meinen Augen sehr vielversprechende Debütantin abhandengekommen, nach nur zwei Texten und einer Woche Mitgliedschaft war sie einfach wieder weg. Ihr Alter hatte sie mit fünfzehn angegeben, ich fand’s sehr schade um sie …
…und plötzlich tauchst du heute auf! Ein Wunder?

Keine Ahnung, wie alt du bist, möglicherweise jünger, als ich dich anhand der Qualität deines Textes einschätze. So mag ein Teenager wohl denken, sag ich mir, aber der könnte das nie mit so einer Souveränität geschrieben hinkriegen, oder doch?
Im Ernst, deine Geschichte, deine Sprache, dein Wortwitz, dein Erzählenkönnen haben mich ehrlich beeindruckt. So sehr, dass ich mich momentan um fünfunddreißig Jahre verjüngt fühle.

Das wollte ich dir jetzt einfach ganz schnell mal sagen, für einen ausführlichen Kommentar werde ich mir in den nächsten Tagen sicher Zeit nehmen (jessas, alleine diese vielen zitierwürdigen Stellen!).

Jetzt aber werde ich mir die Sonnenbrille auf die Nase setzen und noch ein bisschen durch die Stadt ziehen, ich fühle mich wie achtzehn nach deinem Text, kein Scheiß.

offshore

 

N'Abend Schenja,

Bin fast erstickt, meine Wangen brannten. Was für Kondition, herrlich. Was macht Schule aus lebensfähigen jungen Leuten. „Sie lief zur Toilette und verstarb am Herzinfarkt im zarten Alter von 16 Jahren.“
Ich würde den Teil in Anführungszeichen kursiv setzen, sonst verwirrt das.

Als wir zurückkamen, sahen wir, dass Dschingi keinen Kopf mehr hatte. Vandalen hatten mein Lebenswerk ruiniert. Kein Wunder, dass die Natur ausstarb, bei so einer Einstellung. Ohne Kopf sah der Tiger aus wie ein schiefer Tisch. Wir stopften ihn in die Mülltonne und stellten uns zurück in die Tierschutzreihe. Alle standen mit Pappe, und wir standen einfach so da. Wie Nutten.
Du hast Humor.

Das sah ich genauso. Menschen waren wichtiger, und keiner schützte sie. Ich würde alle Tiger töten, wenn es sein müsste, damit ein einziger Mensch einen Tag länger leben könnte. Doch für Menschenschutz interessierte sich keiner, Passanten liefen an uns vorbei.
Deine Protagonisten ist so was von eigenwillig! Hier gehen ihre Ideen mit ihr durch. (Das ist natürlich keine Kritik. ;))

„Auch. Ich glaube, man lernt nur die Leute kennen, die schon in deinem Unterbewusstsein existieren. Du stellst sie dir unbewusst vor, und dann triffst du die. Andere triffst du auch, aber auf die achtest du nicht. Die vergisst du. Das hat Freud gesagt.“
Das hatte Freud nicht gesagt, jedenfalls nicht so. Ich hatte Freud gelesen. Es war nicht sein Stil. Das hat sich Eli ausgedacht. Eli war klug. Die Bevölkerung hatte keine Schüler mit Pappkartontieren im Unterbewusstsein und missachtete uns. Deshalb war unsere Aktion sinnlos.
'missachtete' passt hier nicht so ganz, finde ich, es geht doch um das Gegenwort zu 'treffen'. Trotzdem wieder eine saucoole Stelle.

Dann bemerkte sie, dass wir jung und dumm waren und fragte andere Leute.
Dann kamen zwei Jungs und blieben stehen.
Das klingt schlecht wegen des doppelten Dann. Schreib doch: 'Zwei Jungs kamen und blieben stehen' und mach davor einen Absatz.

Und Afrika wurden Tiger von bösen Afrikanern gejagt.
in Afrika

Ich mochte kein Bier und kein Hip Hop, aber ich ging natürlich trotzdem mit ihm. Ich wollte irgendwohin gehen. Im Mai zieht es mich immer irgendwohin, in die unbekannte Weite. Mich zog es in die unbekannte Weite, und ihn in ein Bierzelt. Bierzelt war näher.
Viel lockerer kann man kaum erzählen, Kompliment.

Geht man in einen Kloster?
ein Kloster

Sein Onken hatte eine Farm mit Pitbullen, sagte er.
Falls du nicht den Joghurtfabrikanten meinst: Onkel.

Vielleicht wollte ich, dass du kommst, Eli.
Hier hat deine Geschichte einen Durchhänger, finde ich. Du erzählst auch nicht mehr so spritzig wie am Anfang. Und dieser Einschub wirkt etwas fehl am Platz. [Edit: Okay, jetzt habe ich das Ende gelesen - versteh schon, ist also doch richtig am Platz. Ich hätte es vielleicht anders eingebracht, vielleicht mit einer Geste oder irgendeinem Spruch.]

Entglitt, entglitt, entglitt…
Auch das könntest du streichen. Ich finde die Geschichte zum Ende hin wie gesagt etwas lustlos erzählt, da fehlen die Ideen vom Anfang.


Mir hat deine Geschichte auch gut gefallen, Schenja. Deine Erzählerin hat auch so etwas Wechselhaftes, schwankt zwischen frühreif / altklug mit abgeklärtem Blick auf die Welt und dem, was unter der coolen Oberfläche so brodelt. Die Geschichte lässt, wie ich finde, zum Ende hin etwas nach, aber das ist nicht so wichtig - du kannst auf jeden Fall gut erzählen, weiter so. ;)

Bis dann,
Sam

 

Hi Jimmy! Danke für den Kommentar! Flüchtigkeisfehler wurden gerade beseitigt. Die meisten jedenfalls :)

Hi Ernst! Es freut mich sehr dass die Geschichte Dir so gefallen hat! Zu meinem Alter- ich bin 21. Ich glaube aber, dass 16-jährige sich durchaus gut ausdrücken können, man darf sie nicht unterschätzen :D

Hi Sam! Danke für die vielen Korrekturen! War sehr hilfreich!

Hi Juju! Danke für den Kommi! Ich wurde als Ausländerin enttarnt. Oh no :D

 

Hallo Schenja,

und auch von mir, Willkommen!

Ich mochte die Geschichte auch gern. Und ich schließe mich JuJu an und sage, eine der besten Jugendgeschichten hier.

Der Text hat Tempo und ich mag deine Sprache. Das hat was abgehaktes, gestückeltes irgendwie, aber es zieht. Und da sind tolle Dinge drin. Ich such gleich noch ein paar Lieblinge raus.
Viel interpretieren und meta und so ist ja nicht. Muss auch nicht. Aber da kann man dann auch wenig zumText sagen, als, hat mir gefallen. Der letzte Satz mit Eli, der kommt mir ein bisschen so vor, als wäre drangehängt, damit der Leser nochmal was zum nachdenken hat. So eine Art Schockmoment, mit dem du ihn entlassen willst. Wirklich zum Rest passen, will er mir nicht. Aber egal. Irgendwie habe ich das Ding hier gern und verzeihe den letzten Satz :).

Ich fragte sie aus, wo sie ihre Klamotten gekauft hatte, um aus ihrer Anwesenheit Nutzen zu ziehen. „Keine Ahnung. Überall“, antwortete Eli. Das war ihr Geheimnis. Wenn ich Geheimnisse hätte, würde ich sie ihr auch nicht verraten. Das hast du davon, Eli.

:)

Was macht Schule aus lebensfähigen jungen Leuten. „Sie lief zur Toilette und verstarb am Herzinfarkt im zarten Alter von 16 Jahren.“

Die ist so hübsch schräg, deine Prota.

Alle standen mit Pappe, und wir standen einfach so da. Wie Nutten.

Schönes Bild.

„Auch. Ich glaube, man lernt nur die Leute kennen, die schon in deinem Unterbewusstsein existieren. Du stellst sie dir unbewusst vor, und dann triffst du die. Andere triffst du auch, aber auf die achtest du nicht. Die vergisst du. Das hat Freud gesagt.“
Das hatte Freud nicht gesagt, jedenfalls nicht so. Ich hatte Freud gelesen. Es war nicht sein Stil. Das hat sich Eli ausgedacht. Eli war klug. Die Bevölkerung hatte keine Schüler mit Pappkartontieren im Unterbewusstsein und missachtete uns. Deshalb war unsere Aktion sinnlos.

Großartig. Und wenn ich es mir überlege, vielleicht steckt hier doch eine Legitimation für den letzten Satzes drin.

Ich wollte irgendwohin gehen. Im Mai zieht es mich immer irgendwohin, in die unbekannte Weite. Mich zog es in die unbekannte Weite, und ihn in ein Bierzelt. Bierzelt war näher.

:D Sowas macht echt Spaß.

Vielleicht konnte man sich in Kalifornien von Sonne und Sand ernähren. Oder von Sonne und Liebe. Vielleicht konnte man dort am Strand hausieren und gezeichnete Kleidung tragen. Man wusste es nicht. Kalifornien war von Menschen unerforscht, es war eine andere Welt.

Ja, so ungefähr stelle ich mir das da auch vor ... Kalifornien ist mein persönliches Highlight.

Gern gelesen, Spaß gehabt und bin gespannte auf was noch so kommt.
Beste Grüße Fliege

 

Hi Fliege! Ich hab versucht, den Schluss zu verbessern, damit es in den Zusammenhang passt. Danke für den Hinweis :))

 
Zuletzt bearbeitet:

Herzlich Willkommen Schenja,

da haben die anderen schon recht, das ist wahrlich eine hübsche, jugendliche Erzählung mit guten Gedanken, vor allem, weil sie so anders sind, nicht alltäglich, auch Gedanken, die die Welt vielleicht nicht verändern, aber doch Gedanken, die man hat, die man sich macht, die einen beschäftigen, vor allem, wenn man jung ist. Und Sam hat das, glaube ich, recht passend formuliert: deine Ich-Erzählerin wechstelt in ihren Betrachtungen zwischen frühreif und altklug, sie ist arrogant, aber zugleich so ironisch, dass sie schon wieder sympathisch wirkt.

Den Einstieg fand ich wirklich gut. Das mit dem Tierschutzprojekt und dem selbst gebastleten Tiger, die Parallele zur Realität mit den Vandalen und die eigentliche Sinnlosigkeit hinter diesem Unterfangen. Die Beziehung zu Eli ist äußerst interessant, das ist so ein Nähe/ Distanzding, aber das Ende – auch wenn es mir gefällt – nehme ich dir nicht ab, dieses Gefühl, was sie fühlt, aber nicht benennen kann, als sie mit Sergio kiffend und küssend durch die Stadt zieht, das ist keine Liebe für Eli, das ist Weltoffenheit und Angst und mit älteren Männern spielen und Verrückte Dinge machen, aber keine Liebe. Nur an der Stelle, wo sie Eli mit zum Kiffen einlädt, das könnte eine Anspielung sein oder als sie gar nicht mit Sergio schlafen will – sondern gegen den Wind laufen, was ja auch gegen den Strom schwimmen heißen kann und eben zu Eli schwimmt und nicht zum Mr. California.

Sprachlich ist dein Text schizophren und das liebe ich an dieser Geschichte. Man weiß vielleicht, was als nächstes kommt, aber nicht, was sie dazu sagen wird und vor allem, wie sie es sagt. Sie ist lustig und intelligent, dann mal wieder das Gegenteil, aber sie ist immer interessant. Das ist ein schöner Effekt, den du da erzeugst, weil das etwas von einem Gedanken-Stenogramm hat. Damit meine ich jetzt kein Stream of consciousness, sondern, dass der Freud schön mitnotiert, nicht interpretiert, sondern einfach nur aufschreibt, das Unterbewusstsein mal zu Wort kommen lässt.

Ein paar Anmerkungen:

Ich fragte sie aus, wo sie ihre Klamotten gekauft hatte, um aus ihrer Anwesenheit Nutzen zu ziehen.
Und welchen Nutzen soll ihr das bringen?

Wenn Dschingis Khan es wüsste, würde er sich im Sarg umdrehen.
Also findet sie ihr Lebenswerk beschissen.

Als wir zurückkamen, sahen wir, dass Dschingi keinen Kopf mehr hatte. Vandalen hatten mein Lebenswerk ruiniert. Kein Wunder, dass die Natur ausstarb, bei so einer Einstellung.
Das ist ziemlich genial, dieser Vergleich.

Alle standen mit Pappe, und wir standen einfach so da. Wie Nutten.
Auch ich mag diesen Satz.

Eli hatte einen Hang zu Philosophie.
Vielleicht zur Philosophie?

Ich glaube, man lernt nur die Leute kennen, die schon in deinem Unterbewusstsein existieren.
Schöne Gedankengänge, die du da in die Sprechblasen klebst.

Eine Rentnerin kam zu uns und fragte, wie man zum Rathaus kommt. Dann bemerkte sie, dass wir jung und dumm waren und fragte andere Leute.
Yeah!

Man muss doch von etwas Leben, oder nicht?
leben

Vielleicht konnte man dort am Strand hausieren und gezeichnete Kleidung tragen.
Das Wort „hausieren“ fällt ein bisschen aus dem Stil deiner Geschichte, aber nicht weiter schlimm, weil gezeichnete Kleidung zu tragen, sehr geil ist!

Dchingis Khans Reste barrikadierten immer noch die Mülltonne.
Meinst du „verbarrikadieren“?

Ich enteignete ihm seine Sonnenbrille
Wortwahl: warum nimmt sie ihm die Sonnenbrille nicht einfach?

Ein Vogel sollte ich sein und über der Erde fliegen. Ich wäre die letzte meiner Art.
Wenn sich das auf den Vogel bezieht, hast du dich im Geschlecht geirrt.

Menschen begegneten mir und blitzten im Bewusstsein auf, um dann für immer zu verschwinden.
Wir trafen Eli und ein anderes Mädchen. Perfektes Timing. Man traf sie sonst nie in der Stadt.
Sehr gelungen, wie das noch einmal aufgreifst. Man sieht immer nur das, woran man denkt.

Stattdessen saß ich auf dem Sofa in seiner Wohnung, legte Beine auf den Tisch und wartete, was er machen würde.
Das klingt falsch, irgendwie. Wartete, was er machen würde. Wartete ab, was er machen würde. Wartete darauf, dass er irgendetwas machte. Oder?

Beobachtete, wie Sergio das Ladegerät in sein Handy steckt.
steckte

Ich lag auf der Bank und stellte mir vor, die Sterne wären kleine leuchtende Fliegen, die vor der Ausrottung in den Himmel geflohen waren. mir vor, die Sterne wären kleine leuchtende Fliegen, die vor der Ausrottung in den Himmel geflohen waren. Sie sammelten Kraft. Irgendwann würden sie kommen und sich rächen.
Auch das ist ein schöner Gedanke.

Entglitt, entglitt, entglitt…
Vor den drei Punkten immer (freilich gibt es Ausnahmen) ein Leerzeichen.

Am nächsten Tag erfreute ich Schule wieder mit meinem Erscheinen.
Am nächsten Tag erfreute ich die Schule wieder mit meinem Erscheinen.

Rauchte, suchte ein Kaugummi in der ganzen verdammten Wohnung, weil Zahnpasta leer war.
einen Kaugummi …
die Zahnpasta …


Das mit Eli würde ich noch deutlicher herausarbeiten, musst ja auch nicht mit dem Finger drauf zeigen, aber zwischen den Zeilen war es mir, was die Liebe zu Eli angeht, schon ziemlich leer. Der Titel hat mir nicht gefallen, der wirkt sehr lieblos und wird den sonderlichen Gedanken deiner Protagonisten in keinem Fall gerecht. „Sechnzehn Mais“ fände ich beispielsweise sehr interessant. Bin mir sicher, dass dir da etwas Besseres einfällt. Ansonsten ist deine Erzählung eine Geschichte, die vom Gefühl lebt und nicht von einer zentralen Idee oder einer bestimmten Handlung, deswegen kann ich gar nicht sagen, ob dir irgendetwas gelungen ist, von dem ich vermute, dass du es erreichen wolltest. Mir hat deine Geschichte jedenfalls gefallen! Kann mir gut vorstellen, dass da noch interessante Sachen von dir kommen.

Dir jedenfalls viel Spaß hier!

Beste Grüße
markus.

 
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Was ist denn da mit dem Ende passiert, liebe Schenja?

Ich konnte nicht schlafen in dieser Nacht. Ich drehte mich tausend Mal im Bett um, stand tausend Mal auf, trank kaltes Wasser aus dem Wasserhahn. Öffnete Fenster. Rauchte, suchte ein Kaugummi in der ganzen verdammten Wohnung, weil Zahnpasta leer war. Ich war furchtbar verliebt, und mir war schlecht. Meine Augen brannten, es war fünf Uhr morgens. Ich biss mir Fingernägel ab und merkte nicht, dass meine Finger bluteten. Ich war verliebt in Eli. Ich hatte mir immer so einer Eli vorgestellt, mit schönen Klamotten, und Zigaretten, und Philosophie. Sie war die ganze Zeit in der Parallelklasse gewesen, und ich hatte damals nie mit ihr geredet. Sie war so wie ich. Ganz sicher, sie war so, wie ich.

Ein perfekter letzter Absatz mit einem perfekten letzten Satz, das dachte ich mir schon vor ein paar Tagen beim ersten Lesen. Damals endete die Geschichte noch so:

Ich war verliebt in Eli.

Der Satz war doch perfekt. Ihn Schlusspointe zu nennen, wäre mir nicht in den Sinn gekommen, das würde, trotz der Überraschung, die er auslöst, seinem Zauber nicht gerecht, in dem Satz steckt für mich sozusagen das Herz der Geschichte drin.
Jetzt noch Erklärungen dranzuhängen, die mir obendrein irgendwie lieblos wirken, als wären sie nicht aus deiner Feder, also ich weiß nicht, ich find’s schade.
Beim ersten Lesen am Dienstag fand ich nämlich wirklich nichts zu beanstanden, habe das ja auch gleich beinahe überschwänglich bekundet.
Und bis auf die neu hinzugekommenen, in meinen Augen missglückten letzten drei Zeilen, bleibe ich bei meinem Urteil:
Ich finde die Geschichte toll geschrieben, vom Anfang bis zum Ende wie aus einem Guss. Debüttext hin oder her, für mich hast du eine ungewöhnliche, sehr sichere, sehr souveräne, ein bisschen freche und sehr eigenständige Art zu schreiben. Gefällt mir einfach.

Am nächsten Tag erfreute ich Schule wieder mit meinem Erscheinen., …
legte Beine auf den Tisch und wartete, …
… weil Zahnpasta leer war.

Den eigenwilligen Verzicht auf den Artikel bei manchen Substantiven, ob nun beabsichtigt von dir oder schlicht übersehen, fand ich, ja, charmant irgendwie. Die öde Schule wird quasi personifiziert, und Zahnpasta ist halt ein alter Bekannter, kein Spaß, so klingt es für mich. Ich sehe da keinen Veränderungsbedarf.

Da schon:

Ich mochte kein Hip Hop
Sagt ihr das so in Deutschland? Nicht: Ich mochte keinen Hip Hop?

Die Luft hatte im Mai einen besonderen Klang. Alles war gut. Ich hatte vielleicht eine neue Freundin. Und vielleicht einen kalifornischen Rapper. Alles vielleicht. Ein durchaus gelungener Tag.
Am nächsten Tag schien die Sonne, und ich wollte besser werden. Die Schule habe [hatte?] ich sowieso verschlafen. Was macht man, wenn man besser werden will? Geht man in ein Kloster? Ich ging zum Friseur und ließ meine Haare rot färben. Es war nicht so cool, wie Eli gesagt hatte. Sah nicht nach einem Pin-Up Girl aus. Sah aus nach mir mit roten Haaren.
Die Stelle mochte ich sehr.

Im McDonald’s machten wir miteinander rum, wenn man es so nennen mag. Er hatte kein Bock, seine Zunge zu bewegen, er war bekifft. Ich schweifte in egozentrische Gedanken ab. Dachte darüber nach, wer ich war.
Ich war zynisch, infantil und empfindlich. Lachte demonstrativ über Dinge, über die man nicht lachen durfte. Das war immer so gewesen und das würde immer so bleiben. Ich änderte mich nicht. Ich habe sechzehn Mais erlebt und sie waren vergangen, und ich hatte nichts daraus gemacht. Ich wollte immer durch die Stadt laufen, und meine Füße taten weh, aber ich konnte nicht stehen bleiben.
Die auch.

„Sergio.“
„Mmmh?“ Nichts. Halte mich fest, sonst falle ich runter.
„I adore May.“
Er hielt mich nicht, und ich fiel unter den Tisch. Schmiss eine Cola um. Ich blamierte mich ständig in diesem McDonald’s.
Perfekt.

Frühling ging in den Sommer über. Asphalt blendete. Farben zerflossen. Wind zerzauste meine Haare, sie flogen mir ins Gesicht und klebten an den Lippen. Ich wackelte ein bisschen, weil ich nicht wusste, wohin ich lief. Fragte Fremde in Cafés nach Zigaretten. Menschen begegneten mir und blitzten im Bewusstsein auf, um dann für immer zu verschwinden.

Sehr schön.
Und: Frühling ohne vorangestellten Artikel: klingt hier toll.

Ich lag auf der Bank und stellte mir vor, die Sterne wären kleine leuchtende Fliegen, die vor der Ausrottung in den Himmel geflohen waren. Sie sammelten Kraft. Irgendwann würden sie kommen und sich rächen.

offshores Lieblingsstelle, wen wundert‘s.
Sich bis auf vier Millimeter an den lauernden Kitsch heranwagen und, bevor der zuschnappen kann, die Kurve kratzen und ihm die Zunge rausstrecken. Wirklich gekonnt.

Die Geschichte bietet wenig Handlung und wenig Tiefsinn, na und?
Dafür viel Atmosphäre und die durcheinanderen Gefühle eines Teenagers bezaubernd authentisch beschrieben, noch dazu in einer Sprache, die mir wirklich gefällt.

Respekt, Schenja

offshore

 

Hi Markus! schizophren, hehe, das ist doch zu heftig, Schizophrenie ist eine schlimme Sache. Artikel werde ich gleich einfügen, es ist tatsächlich korrekter, wenn sie da sind.
Hi offshore! Wieso ist das Ende nicht gut? ich finde die letzten Sätze passend, vielleicht muss ich es irgendwie anders formulieren und an eine andere Stelle verschieben. Das passt doch zur Protagonistin, dass sie sich in eine Person verliebt, die ihr sehr ähnlich ist.
Artikel habe ich nicht mit Absicht weggelassen, bin einfach der deutschen Grammatik nicht mächtig :D Ich habe kein Gefühl dafür, wo das Weglassen der Artikel gut ist, und wo nicht. Es ist aber interessant, was Du da reininterpretiert hast :D

 

Hallo, ich nochmal,

also der letzte Satz, "Ich war verliebt in Eli", der ist so zart schmelzend und romantisch, der muss da eigentlich wieder hin. Das wäre ein feiner, eleganter Abgang. Das Neue wirkt so gestelzt.

Nur meine Meinung!:D

Gruss, Jimmy

 

Hallo Schenja,

dein unbekümmerter und frischer Umgang mit der Sprache hat mich beeindruckt. Das macht den Text stilistisch spannend, viele Formulierungen wirken in ihrer Eigenwilligkeit sehr unterhaltsam und auch sehr lustig, einfach weil sie altbekannte Dinge irgendwie anders und neu präsentieren. Zumal deine Erzählerin eine sanft ironische Sicht auf ihr Leben und ihre Mitmenschen hat. Der Text lebt nicht unbedingt vom Inhalt, sondern hat seine Stärken in der Art, wie der Inhalt dargeboten wird. Das finde ich wirklich gelungen. Die Geschichte ist witziger, als Vieles, was unter Humor steht. Ja, toller Einstieg, da freut man sich auf mehr von dir!

Rick

 

Schenja schrieb:
Ich wurde als Ausländerin enttarnt. Oh no

Schenja schrieb:
Artikel habe ich nicht mit Absicht weggelassen, bin einfach der deutschen Grammatik nicht mächtig Ich habe kein Gefühl dafür, wo das Weglassen der Artikel gut ist, und wo nicht. Es ist aber interessant, was Du da reininterpretiert hast.

Das hat nichts mit Hineininterpretieren zu tun, Schenja. Du lässt mich mit deinen winzigen Wort- und Satzmanipulationen Dinge einfach neu lesen, und es war im eigentlichen Sinn auch nicht grammatikalisch falsch, in meinen Augen zumindest. Ob du nun genuin deutschsprachig bist oder nicht, lässt sich aus deinen Antworten auf die Kommentare nicht eindeutig herauslesen, ist auch egal, aber dass du dich einer Grammatikschwäche bezichtigst, grenzt für mich schon an Koketterie, da muss ich echt lachen und dir sagen: wirf mal einen Blick ins Korrektur-Center des Forums, dort kannst du dir anschauen, wie man der deutschen Sprache so richtig wehtut …
Für mich macht dieses unbefangene, spielerische Jonglieren mit der Sprache den Reiz deiner Geschichte aus, und eben das hat offenbar auch Rick bewogen, sie zu empfehlen.

Rick schrieb:
Die Story ist frisch, unbekümmert und überzeugt auf eigenwillige Weise mit viel Sprachwitz. Mich beeindruckt der Stil, der so viele erfreuliche Besonderheiten bietet, …

Wäre Rick mir nicht zuvorgekommen, hätte ich es getan, ehrlich, das wäre mir eine Freude gewesen, nachdem du auch diese unnötigen drei Zeilen am Schluss wieder rausgehaut hast.
Ich wünsche mir wirklich, dass du dir beim Schreiben diese Unbekümmertheit und Originalität bewahrst und dich nicht von übereifrigen Sprachpuristen in eine Schablone pressen lässt, in die du einfach nicht hineinpasst.

Dein Gefühl für Sprache möchte ich Klavierspielen können, sag ich jetzt mal als Wiener.

offshore

 

Hey Schenja,

Mein neuer Bekannter hieß Sergio. Habe ich jedenfalls so verstanden.
Wahrscheinlich hieß er George.
Vielleicht konnte man sich in Kalifornien von Sonne und Sand ernähren. Oder von Sonne und Liebe. Vielleicht konnte man dort am Strand schlafen und gezeichnete Kleidung tragen. Man wusste es nicht. Kalifornien war von Menschen unerforscht, es war eine andere Welt.
Ich wurde betrunken. Ich war schon den ganzen Tag betrunken gewesen von der Schwüle. Sergio war ein Junge von der schläfrigen Westküste, er war auch selbst schläfrig, und schön, und seine Tattoos waren auch schön. Die Luft hatte im Mai einen besonderen Klang. Alles war gut. Ich hatte vielleicht eine neue Freundin. Und vielleicht einen kalifornischen Rapper. Alles vielleicht. Ein durchaus gelungener Tag.
Die Sätze scheinen eigentlich gar keinen Zusammenhang zu haben, die sind so wild aneinandergepuzzelt, ohne dass sie zu einander passen, aber das ist so schön an diesen Jugendgeschichten, find ich. Da hat jeder Satz seine Berechtigkeit. Es ist genauso wichtig, dass der Mai einen besonderen Klang hatte wie die Tatsache, dass sie gerade mit diesem fremden Typen, dem kalifornischen Rapper, ein Bierchen trinkt.
Ich schreibe auch gerne Jugendgeschichten, weil sie so schön chaotisch sein können, man kann drauf los tippen und am besten nicht nachdenken, erst beim zweiten Durchgang. Dann so etwas wie eine Ordnung reinbringen. Ein paar Sätze verstreuen, die das Ende schon andeuten.

Ich war furchtbar verliebt, und mir war schlecht. Meine Augen brannten, es war fünf Uhr morgens. Ich biss mir Fingernägel ab und merkte nicht, dass meine Finger bluteten. Ich war verliebt in Eli.

Das erinnert mich entfernt an eine Szene aus dem Film Dark Horse, wo der Protagonist seine ganzen Beschwerden aufzählt und die Freundin guckt ihn nur an und sagt: Vielleicht ist es die älteste Krankheit der Welt. Und er: Tuberkulose?
Sie: Nein, Liebe.
Und hier ist es auch so, sie interpretiert gleich mit ihrer pubertären Art, dass es eine Neurose sein muss, die sie hat, dabei sehnt die sich einfach nach diesem Mädel. Allgemein hat es mich so bisschen an Turn me on, dammit erinnert, auch ein skandinavischer Film, da rebelliert die Figur auch so bisschen, der Film hat wie dein Text viel Energie und man wünscht sich, dass es ne Richtung annimmt, aber am Ende verpufft es ein bisschen. Bei deiner Geschichte ist das ein bisschen anders, es ist schon in seiner chaotischen Form irgendwo stimmig. Pubertät ist aus den Augen des Betreffenden ein großes Drama und aus der Distanz viel Getue um Banales.
Na ja, hier ist es die Liebe - das ist natürlich alles andere als banal. ;)

Ich bin genau wie die anderen gespannt auf weitere Texte von dir. Willkommen im Forum.

JoBlack

 

Hey Rick! Vielen vielen Dank! Es freut mich, dass Du meinen Humor lustig findest :)
Hey Ernst! Die drei Zeilen am Schluss fandest du furchtbar, wie ich sehe :) Ich finde das Klavierspielen viel schwerer als das Schreiben, habe es selber vor Jahren aufgegeben.
Hi JoBlack!

Wahrscheinlich hieß er George.
hihi, daran habe ich nicht gedacht, coole Idee :)) Die Filme, die Du erwähnt hast, habe ich nicht gesehen, vielleicht schaue ich sie mir noch an. Ich kenne wenig Jugendfilme.
Pubertät ist aus den Augen des Betreffenden ein großes Drama und aus der Distanz viel Getue um Banales.
- so ist es :D
Hi Uwe! Danke! Es freut mich, dass man es nachvollziehen kann, das meiste ist ja eine Gedankenflut ohne Handlung.

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Schenja, als kleines Dankeschön für deinen netten Kommentar unter meiner Geschichte kommentier ich jetzt auch deine. Halt, das ist gelogen, ich wollte deine Geschichte ohnehin kommentieren, weil ich sie ausnehmend witzig finde. Ich glaube, dass mir gerade die Gedankenflut, wie du es in deiner letzten Antwort nennst, so gefällt, deine Geschichte ist so richtig schön gegen den Strich gebürstet.

Das Angenehme ist, wenn man mit seinem Kommentar erst später kommt, dass dann die anderen schon alles rausgezuzelt haben, was es zu kritisieren gibt, gab es aber ohnehin nichts Dolles, so dass man einfach nur noch genießen und loben und seine Gedanken dazu sagen kann.

Vielleicht gab es auf der Welt zu wenig Tiere, vielleicht gab es zu viel Zeit im Lehrplan, auf jeden Fall organisierte unsere talentlose Jahrgangsstufe ein Tierschutzprojekt. Man konnte freiwillig teilnehmen. Da es während der Unterrichtszeit war, nahmen alle teil.
Schon über deinen Anfang hab ich mich schief gelacht und gedacht, genau so ist es.

Wir stellten uns auf der zentralen Einkaufsstraße auf mit Pappkartontieren und standen. Machten uns in den Augen der Bevölkerung lächerlich. Ich hatte einen Tiger, den musste ich davor selbst aus Pappkarton basteln. Der Tiger war unproportioniert und hatte nur zwei Pfoten. Er wurde in Afrika ausgerottet.
Ich glaube, dass man über deine "Gedankenflut" so kichern muss, das liegt daran, dass du erstens schön respektlos bist, zweitens deine einander widerstrebenden Beobachtungen so nebeneinander stellst, auch wenn es nur Assoziationen sind und drittens eine sehr ironische Art hast, dadurch werden vermeintlich höhere Werte so wunderschön durch den Kakao gezogen.
Mir gefällt das wirklich gut, wie du das machst, ich musste dauernd kichern beim Lesen.

Ich kannte sie schlecht, aber sie gruppierte sich trotzdem mit mir.
Hier z. B. da verknüpfst du einfach Wörter, die man so nicht unbedingt miteinander verbinden würde.
Oder hier:
Wollte von meinem Tiger profitieren, meinem Lebenswerk.
Wenn man sich dann dieses zweipfotige Pappmonster dazu vorstellt. Oder hier:
Die Sonne wärmte unsere jungen Herzen. Eli musste aufs Klo.
Aufkommende Romantik wird durch deine Ironie im besten Sinne im Keime erstickt.
Es macht echt Spaß, das zu lesen, ich glaube, dass man sowas auch nicht lernen kann. Es gibt ja sonst sehr viel beim Schreiben, was man sich aneignen oder anüben kann. Hoffe ich jedenfalls. Aber das hier, das ist glaube ich einfach deine Eigenart. Bewahr dir das und pfleg es. Es ist was Tolles.

Frühling ging in den Sommer über. Asphalt blendete. Farben zerflossen. (...) Wir trafen Eli und ein anderes Mädchen. Perfektes Timing. Man traf sie sonst nie in der Stadt.
„Aaah. Ist das der Musiker von gestern? Hast du ein Date mit ihm?“
Das hat mich ein wenig verwirrt. Der erste Satz klingt so, als sei längere Zeit vergangen. Aber das stimmt ja wohl nicht, war nur ein Tag, wenn Eli sagt: "Ist das der Musiker von gestern".
Vielleicht wolltest du mit dem fetten Satz nur die Temperaturunterschiede ausdrücken. Naja, ist keine große Sache, aber da bin ich einfach hängen geblieben.

Was du für mich auch sehr gut heraugearbeitet hast, das ist ihre Verwirrung, wie sie sich wünscht, dass Sergio ihr den Ritter spielt und sie trägt. Wie sie gleichzeitig darüber froh ist, dass er nichts von ihr will, wie sie im Gespräch beim Treffen mit Eli reagiert. Das ist so schön indirekt gemacht, du fällst nicht mit der Tür ins Haus. Das mochte ich sehr gern.
Und wie all die anderen, das habe ich aber nur am Rande mitgekriegt, finde auch ich den Schluss sehr passend.
Dieser Satz ist die Idee, das Zugeständnis, auf den all ihr bewusstloses Rumgedenke hintreibt.
Eine wirklich goldige, witzige Geschichte über eine erste/oder zumindest frühe, etwas unerwartete Liebe.
Hat echt Spaß gemacht.
Viele Grüße
von Novak

 

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