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Serie Anna Irene – Wie man eine Pflanze in Linz ausreißt und in Wien in eine Vase stellt-18

Seniors
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20.11.2001
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Anna Irene – Wie man eine Pflanze in Linz ausreißt und in Wien in eine Vase stellt-18

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Anna Irene hält eine Tasche in der einen Hand, mit der anderen die Türen auf, während Frau K. und Onkel Joe beidhändig bepackt durch diese hindurch gehen. Es sind zwei schwere, selbstschließende Metalltüren im Abstand von rund zweieinhalb Metern, beide mit undurchsichtig gemusterten, dicken Glaseinsätzen. Anna Irene beeilt sich, die zweite aufzuhalten, und läßt dann auch diese, wie schon die erste, einfach los, als Frau K. wie aus einer Kanone geschossen faucht:
»Bist du verrückt?! Lass doch die Türen nicht so zuknallen! Muss uns hier gleich jeder hören!?«
Sie gehen ein paar Meter über einen Gang mit roten Türen, Frau K. sperrt eine davon auf. Durch einen winzigen Vorraum gelangt Anna Irene in das kleine Zimmer von zirka zwei mal drei Metern, das sie ab jetzt bewohnen wird. Ein in verschiedenen Brauntönen gestreiftes Bett, ein zweitüriger Kleiderschrank und ein kleiner Schreibtisch, unmoderne Standardmodelle mit Buchenfurnier, sowie ein Waschbecken mit orangem Vorhang, um es zu verstecken; Frau K. steht in der Tür und füllt den Raum mit strengen Worten: »Es ist ja hoffentlich klar, dass du hier leise zu sein hast. Hier wohnen alte Leute, die alle ein schweres Leben hinter sich haben, und ich möchte nicht meine Stelle wegen dir gefährdet sehen.« Sie schaut, wie sie immer schaut, wenn sie ihre innere Wut am liebsten an Anna Irene auslassen würde, aber dann riskieren würde, dass irgendjemand es mitbekommt. »Und jetzt pack deine Sachen aus.«
Auch, nachdem Frau K. bereits wieder draußen ist, bleiben ihre Worte in der dicken Luft stehen. Sie hängen zwischen Anna Irene und der Zimmerdecke wie ein versteinertes Mobile.

Anna Irenes Blick schweift kurz aus dem Fenster, sie nimmt einen eingezäunten Rasen wahr, wie sie ihn bereits auf der anderen Seite des Hauses gesehen hat, wo sie durch den Personaleingang gekommen sind. Hinter dem Zaun ist ein Weg, auf dem alte Leute spazieren gehen, einige mit seltsamen Gehhilfen, die Anna Irene noch nie zuvor gesehen hat. Sträucher und ein hoher Holzzaun begrenzen den Weg zur anderen Seite. Vielleicht ist ja dahinter ein Spielplatz … Sie beginnt, ihr Gewand auszupacken und einzuräumen.
Wie das jetzt wohl ist, in Linz, wenn ich nicht mehr da bin? Ob ich den anderen Kindern fehle? …
Sie will nicht daran denken, wie sie durch diese Übersiedlung von ihren Freunden getrennt wurde.
Ich bin hier ganz weg von allen, die ich mag … ausgesperrt …
Anna Irene überlegt, wie schnell das alles ging. Wie ihre Mutter arbeitslos wurde und diesen Altenhilfe-Kurs vom Arbeitsamt bekam, die Telefonate, die sie mit Tante Dora führte, ihr plötzliches Engagement in der Partei und schließlich die Nachricht, sie könne in Wien zu arbeiten beginnen.
Wie schön wäre es jetzt zuhause; ich könnte in den Hof gehen und würde ganz bestimmt ein paar der anderen Kinder treffen, könnte Liesi abholen… Da ist ja mein Gummi zum Gummihüpfen – aber was soll ich alleine schon damit anfangen? … Und ohne Freunde komme ich hier wahrscheinlich nur selten hinaus; wenn ich nicht einmal weiß, wo ich hingehen kann … Ich hab hier nur die Mutti, und das ohne Onkel Joe …
Onkel Joe, in dessen Anwesenheit ihr Frau K. nie richtig weh getan, sie nie an den Haaren gerissen oder gegen die Badewanne gestoßen hat.
Ich muss schauen, dass ich so brav bin, dass sie mich in Ruhe lässt. Ich muss nur einfach alles tun, was sie will; ein braves Mädchen sein. Ich muss mich einfach anstrengen, damit sie nichts zu schimpfen hat.
Und dann erinnert sie sich plötzlich an eine Szene aus einem Western, den sie schon vor ein paar Jahren heimlich im Fernsehen gesehen hat: Ein Mann wird an den Händen gefesselt hinter einem Pferd hergeschleift.
Wieso fällt mir das denn jetzt ein?
Die letzten Stück´ Unterwäsche verschwinden in dem Schrank und sie verschließt ihn. Das erste, worüber sich Anna Irene hier freuen kann. Ich kann meinen Kasten zusperren, sodass die Mutti nicht hinein kann!
Ein Kleiderschrank als Geheimnisträger. Das bringt sie in Gedanken wieder zurück zu ihren Freunden, denen sie nicht sagen wollte, dass sie in ein Pensionistenheim ziehen würde. Welches Kind lebt denn schon in einem Pensionistenheim?
Sie schämte sich und wollte den Fragen ausweichen, wollte nicht sagen, dass Onkel Joe, den manche für ihren Vater hielten, gar nicht mitkommt, um nicht für ihre komische Familie ausgelacht zu werden; nicht einmal, dass Frau K. in einem Pensionistenheim zu arbeiten beginnt, wollte sie erwähnen, um nur ja nicht von der Personalschlafstelle zu plaudern. Da erinnerte sie sich mit einem Mal an die Wohnung der alten Frau, bei der sie während der Kindergartenzeit einige Nachmittage verbracht hatte; so lange, bis der Kontakt von Frau K. beendet worden war, weil diese Leihoma gleich mit dem Geschirrschwamm Anna Irenes bananeverschmierten Mund abgewischt hatte. Dann gab sie ihre heimliche Sehnsucht nach dieser Architektur als Antwort: »Wir ziehen in eine Wohnung, in der man im Kreis durch die Räume laufen kann. Da wird mir meine Mutti nichts mehr tun können, wenn ich immer ins nächste Zimmer renn´ und sie mich nicht erwischt, weil ich schneller bin als sie …«
Die glauben jetzt bestimmt alle, dass es mir hier gut geht … Wenn sie diese beiden spiegelgleichen Mäuselöcher hier sehen könnten …

Am Nachmittag zeigt Frau K. Anna Irene und Onkel Joe das Pensionistenheim. Am Ende des »Personaltraktes« müssen sie durch eine Tür. Frau K. bleibt stehen, legt ihre Hand auf die Türschnalle, schaut Anna Irene streng und belehrend an und sagt: »Du hast hier zu den Leuten ›Guten Tag‹ zu sagen. Dass das klar ist. Und zwar laut, weil viele schwerhörig sind.« Sie wirft einen unsicheren Blick zu Onkel Joe und meint: »Dir brauch ich das ja eh nicht sagen…«
Dann öffnet sie die Tür, geht hindurch, Onkel Joe und Anna Irene hinterher. Ein paar alte Frauen beobachten von einer wenige Meter entfernten Sitzecke das Geschehen und wenden ihre Köpfe zu den dreien. Frau K. ruft jeder einzeln lautstark und mit einem aufgesetzten Lächeln »Guten Tag!« zu. Anna Irene und Onkel Joe, einen Meter hinter ihr gehend, grüßen ebenfalls laut. Die alten Damen freuen sich, grüßen zurück und lächeln kopfnickend.
Eine Frau mit zittrigen Händen und zittrigem Kopf spricht Frau K. mit ebenso zittriger Stimme an, ob sie die Dame sei, die fürs Basteln und Singen zuständig sein wird, sie würden alle schon so warten, dass es bald los geht, und ob dieses hübsche Mäderl denn ihr Töchterl sei. Anna Irene wird von allen begutachtet. Sie bemüht sich, freundlich zu lächeln, so, wie sie es von Frau K. gelernt hat. Dabei hat sie das Gefühl, als hätte sie ein schweres Brett auf dem Kopf liegen, unter dem sie hervorlugt.
Danach führt Frau K. die beiden zu allen wichtigen Räumlichkeiten, in geschäftiger Wichtigtuerei vorauseilend, während die Gänge sich mit »Guten Tag!«-Rufen füllen.
Ich würd mich so gern unsichtbar machen können…, denkt Anna Irene. Die Mauer um sie herum, deren Außenseite eine glänzend lackierte Herzeige-Fassade mit einem freundlichen Dauerlächeln zieren soll, schließt sich Stein für Stein immer höher. Die Rolle, die sie spielen soll, ist Anna Irene unangenehm, und doch bleibt ihr nichts anderes übrig.

Am Abend des Sonntags fährt Onkel Joe wieder zurück nach Linz. Angst und Leere ziehen als Dauergast in Anna Irene ein, sie traut sich kaum zu atmen, um keinen falschen Ton von sich zu geben, fühlt sich bedroht von Frau K.s Nähe, unsicher in jeder Bewegung. Anna Irene überlegt gerade, ob sie ihr Buch zur Hand nehmen soll, als Frau K. wieder drohend im Türstock steht. »Hab ich nicht deutlich genug gesagt, dass du mit ›Guten Tag!‹ zu grüßen hast?! Was fällt dir eigentlich ein, einfach mit ›Grüß Gott‹ zu grüßen?!«
Aber ich wollte doch nur einmal nicht das Gleiche sagen, wie alle anderen …
»Na?!«, fordert Frau K. eine Antwort.
»Ja…«
»Was heißt ›Ja‹, ich will wissen, was du dir dabei gedacht hast!«
»Nichts…« Geh bitte wieder aus dem Zimmer …
»Schreib dir das jetzt hinter die Ohren! Wir grüßen nicht mit einem Kirchengruß! Wir sind Sozialisten und grüßen mit ›Guten Tag!‹! Auch der Verwalter hier ist Sozialist, nicht auszudenken, wenn dem sowas aus deinem Mund zu Ohren kommt! Wie wir dann dastehen. – Wenn ich das noch einmal höre, dass du so grüßt«, ihre Stimme wird nun ganz theatralisch, »dann gnade dir Gott!«

Kurz danach ist es mucksmäuschenstill in den beiden Zimmern. Anna Irene liegt auf ihrem Bett und versucht, ein Buch zu lesen, doch ihre Augen wandern nur über die Zeilen, ohne aufzunehmen, was da geschrieben steht. Nach einer Weile ertappt sie sich dabei, wie sie gedankenversunken ins Leere schaut. Damit Frau K. nichts davon bemerkt, blättert sie geräuschvoll um.
Dieses Bett hat überall so viele Kanten … wenn mich Mutti mit dem Kopf dagegen wirft, kann ich bestimmt tot sein … Ich muss da irgendwas zum Drüberlegen finden, damit das weicher wird …

In der Früh muss sich Anna Irene erst waschen und anziehen, bevor sie und Frau K. zum Frühstück in den kleinen Saal gehen.
Zuhause in Linz war das viel gemütlicher, da konnte ich im Pyjama frühstücken …
Im kleinen Saal stehen zwölf kleine, quadratische Tische, die meisten einzeln und mit je vier Sesseln bestückt. Drei Tische bilden eine kleine Tafel, darauf sind zwei gegenüberliegende Plätze mit Tellern, Besteck und Häferln gedeckt. In der Mitte stehen ein Teller mit Wurst und Käse, je zwei Portionspackungen Butter, Honig und Marmelade und ein Korb voll Brot und Semmeln. Frau K. und Anna Irene nehmen Platz, kurz darauf erscheint eine Frau in hellblauem Arbeitsmantel und weißer Schürze aus der nebenan gelegenen Teeküche. Auf der anderen Seite der Teeküche befindet sich der große Saal, in dem die alten Leute frühstücken. Sie begrüßt die beiden, fragt, was sie trinken möchten, und geht, um die Getränke zu holen.
»Warum können wir eigentlich nicht auf den vorderen Plätzen sitzen? Die sind doch viel näher zur Küche«, will Anna Irene von Frau K. wissen.
»Da sitzt die Familie Weißmüller, das sind die Verwalter des Pensionistenheimes. Die sind nur jetzt noch auf Urlaub. Und ich hoffe, du weißt dich dann zu benehmen, wenn sie wieder da sind. Sie haben zwei sehr wohlerzogene …«
Da kommt die Dame mit den Getränken wieder und fragt Anna Irene, als hätte sie das Thema aus der Luft abgelesen: »Kennst du schon die Ruth und die Doris?«
»Nein…«
»Ihr werdets euch sicher gut verstehen. Sind zwei nette Mädchen, nur ein bisserl jünger als du«, gibt sie noch aufmundernd lächelnd Auskunft, bevor sie zu ihrer Arbeit im großen Saal zurückkehrt.
Frau K. weiß gleich zu berichten: »Die Ruth soll ja lauter Einser in der Schule haben. Auf so ein Mädchen kann man richtig stolz sein.« Ein vorwurfsvoll fordernder Blick von Frau K. trifft Anna Irene.
Ich will sie gar nicht kennenlernen …
Eine Weile sitzen die beiden stumm gegenüber und essen.
Ich sollte mich vielleicht doch fürs Internat entscheiden … So schlimm wird das schon nicht sein – andere Kinder überleben es ja auch … Dann könnte ich ins Gymnasium gehen … Wieso hat sie mich eigentlich noch nie nach meiner Entscheidung gefragt, seit sie mir erzählt hat, welche Möglichkeiten ich habe? Sie hat mir damals erklärt, was eine Ganztagsschule ist, weil ich es nicht wusste, und seither nichts mehr dazu gesagt … Vielleicht kann ich mir das Internat ja noch anschauen … Vielleicht gehört das ja zu den vielen Sachen, die wir zu erledigen haben … Vielleicht sollte ich sie doch einmal fragen? … Aber ich trau mich nicht … Sie wird es ja bestimmt irgendwann von selbst wissen wollen …
Schließlich fasst sie aber doch ihren Mut zusammen: »Ich möchte das gern probieren mit dem Internat, kann ich mir das einmal anschauen?«
»Na, jetzt ist es zu spät. Als ich dich gefragt habe, hast du nur für die Hauptschule Interesse gezeigt. Mittlerweile ist das fixiert. Außerdem kann man sowas nicht einfach ›probieren‹.«
Wieso hat sie mich nicht noch einmal gefragt? »Wieso …«, begann sie, musste aber gar nicht fertigsprechen:
»Weil man sich nicht alles ewig lange überlegen kann. Und wenn du so langsam im Denken bist, dann ist es ohnehin besser, wenn du nur in die Hauptschule gehst.«
»Ich bin nicht langsam im Denken, ich wollte…«
»Na glaubst du vielleicht, ich mach das jetzt alles wieder rückgängig? Was sollen sich denn die für eine Meinung bilden von mir?!« Sie bemerkt ihre steigende Lautstärke und spricht gedämpft weiter: »Vom ersten Klassenzug der Hauptschule kannst du auch nach der Vierten noch umsteigen oder eine berufsbildende höhere Schule besuchen, wenn du gute Noten hast. Außerdem ist die Ganztagsschule ein sehr guter Schulversuch, für den besonders die Sozialisten eingetreten sind. Die Schule kann also nicht schlecht sein. Tante Dora kennt auch den Direktor dort.«
Tante Doras gute Beziehungen machen mir alles kaputt.

Tagsüber erkundet Anna Irene auf ihren Rollschuhen die nähere Umgebung. Hinter dem Holzzaun, wo sie sich einen Spielplatz erhofft hatte, befindet sich eine riesige Autowerkstatt, die, wie sie am nächsten Haus erfährt, dem ÖAMTC gehört. Die Straße ist eine doppelte Allee, jede Fahrtrichtung hat ihre eigenen Bäume, aber weit und breit sieht Anna Irene keinen Spielplatz. Alte Häuser, die schon mindestens hundert Jahre dastehen, Hundehaufen, alte Menschen. Sie wünscht sich nach Linz, nach Hause, zu ihrem Spielplatz, zu ihren Freunden. Auf der anderen Seite des Pensionistenheimes befindet sich der Fußballplatz eines unbekannten Vereins, dahinter eine lange Mauer. Am Ende der Mauer zweigt links eine Straße ab, die nicht sehr einladend und schon gar nicht nach Spielplatz aussieht, auf der anderen Seite sieht sie ein Umspannwerk und geradeaus eine große Kreuzung und eine Brücke, die über Bahngleise führt, und sie denkt, da dreh ich lieber wieder um, bevor ich nicht mehr zurück finde…
Sie fährt noch einmal die Allee entlang und entdeckt in einer Seitengasse einen italienischen Eissalon, kauft sich ein Eis und sieht dem herzlich lächelnden, sehr jungen Eisverkäufer in seine dunklen, Wärme ausstrahlenden Augen. Hier spürt sie einen Menschen und holt sich bis zum Ende der Ferien nun jeden Tag ein Eis, selbst, wenn sie eigentlich gar keines möchte. Wenn sie in diese warmen Augen schaut, spürt sie sich selbst, und die Sehnsucht nach Geborgenheit, die in ihr wohnt, tut weh. Aber so sehr es auch weh tut, es ist ein schönes Gefühl, sich selbst zu spüren. Bin ich jetzt verliebt?
Die beiden wechseln ein paar Worte, er fragt, warum sie immer alleine sei, sie antwortet, weil sie gerade erst hierher übersiedelt ist, und: »Ist der Eissalon im Winter zu?«
»Ja, im Oktober fahre ich nach Italien, in meine Heimat.« Er sieht, wie Anna Irenes Blick traurig wird, und fügt wie zum Trost und mit einem Lächeln hinzu: »Aber nächstes Jahr komme ich wieder.« Er zwinkert und hält ihr ihren Eisbecher entgegen.

Zu Mittag wird im Keller gegessen – dort befindet sich der Personalspeiseraum, zwischen Großküche und Wäscherei. Übereinanderhängende Tabletts mit Namensschildern in metallenen Schrankwägen. Fertig portioniertes Essen auf Warmhaltetellern. Kein »bitte mehr Sauce« oder »kann ich noch einen Knödel haben«. Kuchen als Nachspeise, von denen sie kein Stück nachnehmen kann, wenn sie ihr zufällig schmecken.
Auch hier muss Anna Irene vielen ihr fremden Menschen einen guten Tag wünschen, denn sie alle werden die Arbeitskollegen von Frau K.
Mineralwasserflaschen stehen auf den Tischen. Anna Irene mag kein Mineralwasser und fragt Frau K.: »Gibt es da auch etwas anderes zu trinken?«
»Oben am Gang, da, wo der Billardtisch steht, ist ein Automat. Da kannst du dir etwas holen.« Frau K. fischt eine Zehn-Schilling-Münze aus ihrer Geldbörse und gibt sie Anna Irene. Als sie aufsteht, richten sich zahlreiche Blicke auf sie und folgen ihr, mangels anderer Unterhaltung, bis sie bei der Tür draußen ist. Auf dem Gang durch den Keller trifft sie niemanden, atmet erleichtert durch, geht die Stufen hinauf. Der Aufzug steht zwar mit offenen Türen da, aber Frau K. hat ihr verboten, ihn zu benützen, da er für die alten Leute gedacht ist, und während sie fährt, könnte jemand anderer unnötig darauf warten. Sie würde es zwar jetzt nicht mitbekommen, aber ich weiß ja nicht, wer mich oben aussteigen sieht und es ihr vielleicht sagt…
Bis sie bei dem Getränkeautomaten ist, grüßt sie fünfmal ein lautes, deutliches »Guten Tag!«. Als eine Dame nicht reagiert, wiederholt sie ihren Gruß lauter. Damit es hinterher nicht heißt, ich hätte nicht gegrüßt… Am Rückweg begegnet sie nur drei ihr fremden alten Menschen, die sie lächelnd pflichtgrüßt, als wäre sie ihnen etwas schuldig, bevor sie wieder in den Keller zu ihrem Essen geht. Wieder richten sich zahlreiche Blicke auf sie, während sie den Raum betritt. Es sitzen jetzt um einige Menschen mehr hier, als zuvor. Anna Irene ist sich nicht sicher, wen davon sie bereits mit einem »Guten Tag!« beglückt hat und wen nicht. Sie fühlt sich wie bei einer Prüfung, bei der sie nichts weiß, grüßt vorsichtshalber zu jedem Tisch, wo sie jemand ansieht, und fühlt sich gleichzeitig unheimlich dumm, weil sie nun bestimmt jemanden doppelt gegrüßt hat.
Als sie sich setzt, bemerkt sie wieder dieses Gefühl, als läge ein Brett auf ihrem Kopf. Wie ferngesteuert gibt sie Frau K. die drei Schilling Retourgeld.
Einige am Tisch Sitzende fühlen sich scheinbar verpflichtet, Interesse an Anna Irene zu zeigen:
»Gefällt es dir hier?«
»Ja…« Was soll mir hier gefallen?
»Freust du dich schon, die Ruth und die Doris kennenzulernen? Ihr werdet euch sicher gut vertragen.«
»Ja, wir werden sicher viel Spaß haben.« Eigentlich will ich sie überhaupt nicht kennenlernen, die können mir gestohlen bleiben, wenn sie in allem nur besser sind, und so wohlerzogen…
»Freust dich schon auf deine neuen Schulkollegen?«
»Ja, und die Schule soll ja ganz super sein.« Ich will wieder zurück, in meine alte Schule, wo meine Freunde sind und die Liesi. Warum sollte ich mich auf die neuen freuen?
»Hast du die Gegend schon ein bisserl erkundet?«
»Ja, mit den Rollschuhen.« Nur Kinder habe ich noch keine gefunden. Und keinen Spielplatz. Es gibt hier nichts für mich.
»Hast du auch schon die Hasen im Garten gesehen?«
»Nein …« Könnt ihr mich bitte endlich in Ruhe lassen?
»Die werden dir gefallen!«
Anna Irene lächelt. Die Frau wendet sich Frau K. zu und sagt: »Die müssen´S ihr schon zeigen, die sind ja so süß!« Dann sieht sie Anna Irene mit einem Blick an, als wäre sie vier Jahre alt und würde bestimmt beim Anblick der Hasen vor Freude außer sich geraten. Aber vielleicht liegt es ja auch nur daran, dass Anna Irene das Gefühl des Vor-Freude-außer-sich-Geratens noch nie kennenlernen durfte, weil ihr jedes schöne Erlebnis durch Frau K. vergällt wurde. Irgendetwas fand sich immer, weshalb sie hinterher schimpfen, stoßen und an den Haaren reißen durfte oder den Umgang mit Menschen, die Anna Irene lieb gewonnen hatte, zu unterbinden wusste.
»Ja, das ist eine gute Idee, die werden wir nachher gleich anschauen!«, antwortet Frau K. in künstlicher Freundlichkeit.

Der Weg zu den Hasen führt den ganzen Gang durch das eine Haus, durch die mittig liegende, beide Gebäude verbindende Empfangshalle und den halben Gang durch das zweite Haus. Obwohl es mehrere Türen in den Garten gibt, ist nur diese aufgesperrt. Da hätten wir doch sicher auch durch den Keller gehen können … Irgendwann bekomme ich einen Muskelkater in den Wangen vom vielen »Guten Tag«-Sagen …
Als die beiden neben dem Hasengehege stehen und Frau K. glaubt, sie müsse Anna Irene darauf hinweisen, wie herzig die Hasen mit den Nasen schnuppern, stürzen sich einige alte Frauen auf sie, umringen sie und nageln sie mit Fragen fest. Belangslose Fragen, wie sie Anna Irene bereits im Personalspeiseraum über sich ergehen lassen musste, und solche, die sie in die Rolle eines kleinen Mädchens zwingen. Und Feststellungen wie: »Du hast ja eine ganz liebe Mutti.«
Anna Irene vergisst, zu lächeln; der Wunsch, zu widersprechen, steht ihr ins Gesicht geschrieben. Aber es fällt ihr nicht auf, und so kommt es überraschend, als Frau K. beim Zurückkehren zur Personalschlafstelle plötzlich nach ihren Haaren greift, sie in ihr Zimmer zieht und dort aufs Bett stößt. Das Holzbrett!, denkt Anna Irene erschrocken und fängt sich mit den Armen ab. Frau K. schaut mit überlegenem Blick auf sie herunter und, statt wie gewohnt zu schreien, zischt sie nur »Du …«, hebt drohend die Hand, schaut giftig und geht nach nebenan, in ihr Zimmer mit spiegelverkehrter Einrichtung.

Das Wochenende vergeht sehr schnell. Onkel Joe kommt, sie gehen alle gemeinsam in den Wienerwald spazieren und schauen sich die Stadt an. Nach außen machen sie den Eindruck, als wären sie eine ganz normale Familie.
Anna Irene bleibt keine Zeit, um mit Onkel Joe allein zu sein. Wieso kann ich nicht ein bisschen Ruhe von ihr haben? Sonst ist sie doch auch fast nie irgendwohin mitgegangen…
Bevor sie sich voneinander verabschieden, machen sie aus, dass am nächsten Wochenende Frau K. und Anna Irene nach Linz fahren. Vielleicht besuchen wir dann jemanden, da fährt sie bestimmt nicht mit …

Am nächsten Morgen sitzt die Familie Weißmüller bereits beim Frühstückstisch, als Frau K. und Anna Irene in den kleinen Saal kommen.
Es folgt ein sechsfaches »Guten Morgen!« in verschiedenen Tonlagen und ein gegenseitiges Vorstellen mit Händeschütteln und ein paar der üblichen Fragen an Anna Irene. Dann setzen sich alle.
Während des Frühstücks unterhalten sich Herr Weißmüller und Frau K. über ihren Arbeitsbeginn.
Ruth und Anna Irene werfen sich prüfende Blicke zu. Wenigstens muss ich mit der nicht reden, solange sich die über die Arbeit unterhalten … Die ist viel zu fein und brav, meine Freundin wird die sicher nicht. Niemals wird mir die meine Liesi ersetzen …
Doris schmiert Butter auf eine halbe Semmel und bedeckt sie anschließend mit Zucker. Wenn ich das machen würde, bekäme ich nachher geschimpft…
Herr Weißmüller fällt durch seine übertriebene Nettigkeit auf und dadurch, dass er beim Reden beinahe singt und konstant bis fast zu den Ohren grinst. Der wirkt so gekünstelt, das ist alles nicht echt …
Seine Frau ist ein eher ruhiger Typ. Beim Verabschieden nach dem Frühstück sagt sie zu Anna Irene: »Wenn du willst, kannst du gern zu Ruth und Doris kommen. Du brauchst nur anläuten, gleich die Tür neben eurer ist unsere.«

Mehr aus Pflichtgefühl als aus wirklichem Interesse, und weil sie ohnehin nichts Besseres zu tun hat, läutet Anna Irene wenig später tatsächlich an der Tür und Doris öffnet. Die Weißmüllers haben hier eine große Wohnung, jedes der Mädchen hat ein eigenes Zimmer und vom Wohnzimmer gibt es einen direkten Ausgang in den hinteren Garten, in dem keine alten Leute sind. Das ist unfair, dass wir nur so kleine Zimmer haben, und die so eine große Wohnung … Hier herinnen kann man vergessen, dass man in einem Pensionistenheim ist …
Den Vormittag verbringen sie bei Gesellschaftsspielen und nach dem gemeinsamen Mittagessen im Personalspeiseraum zeigen Ruth und Doris Anna Irene den restlichen Keller. Lagerräume gibt es da, vollgeräumt mit Möbeln, für die die alten Leute bei ihrem Einzug keinen Platz hatten. Da warten die Möbel, bis die Leute ganz gestorben sind … Dazwischen findet sich ein Kegelspiel, bei dem die Kugel an einer Schnur hängt. Sie spielen eine Weile, dann gehen sie weiter. In der Großküche dürfen sie überall hin und alles ansehen. Riesige Kochtöpfe, Förderbänder und Frauen, die Gemüse so schnell wie im Zeitraffer zerschneiden.
Danach spielen sie Tennis auf dem Platz, der eigentlich für Lieferantenfahrzeuge gedacht ist. Es gibt sogar Halterungen für ein Netz, das Ruth und Doris holen und festmachen. Erst gefällt es Anna Irene und Ruth meint sogar, dass sie ganz gut spiele, aber nach einer Weile bemerkt Anna Irene einen unangenehmen Geruch. »Da stinkt´s«, sagt sie naserümpfend.
»Das ist die Entlüftung vom Leichenkammerl«, stellt Doris unbekümmert fest.
Anna Irene bekommt eine Gänsehaut. »Die werden hier gelagert?«
»Naja, manchmal dauert es schon zwei, drei Tage, bis sie abgeholt werden«, weiß Ruth, »überhaupt im Sommer fangen sie dann manchmal zu stinken an.«

In der Nacht wird Anna Irene von einem Alptraum wach. Sie weiß nicht mehr genau, was sie geträumt hat, aber es hatte mit dem Tod und den Leichen zu tun. Ich hab den Tod eingeatmet … und dieses Leichenkammerl ist sicher nicht mehr als zehn Meter von mir entfernt … mir graust … Ich will hier nicht sein … So schön war es in Linz … ich will wieder zurück … Wieso hat sie sich nicht in Linz eine Arbeit gesucht?
Anna Irene weint unter ihrer Decke, ganz leise, damit Frau K. sie nicht hören kann.
Die Sendung im Fernsehen hab ich durch die Übersiedlung auch verpasst … wo Liesi und ich zu sehen waren … wie sie uns wegen dem Zaun interviewt haben, der trennend zwischen unsere Häuser gestellt wurde … Weil die SPÖ sich dagegen eingesetzt hat, sollten wir unsere Meinung sagen … dass wir wegen dem Zaun nun einen Umweg gehen müssen, wenn wir uns sehen wollen … Liesi war auf der einen Seite, ich auf der anderen … und jetzt … Wenn ich bloß an diese Sendung gedacht hätte in der ganzen Hektik … die Mutti hat es gewusst und mich nicht erinnert … Und jetzt wäre ich so froh, wenn es nur dieser blöde Zaun sein würde, der mich von Liesi trennt …

 
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Kann gelöscht werden, bezog sich nur auf den Titel, der ist mittlerweile geändert. Danke. ;)

 

Gut geschrieben, für meinen Geschmack aber an vielen Stellen zu explizit. Ich habe das Gefühl, daß einer Interpretationsfreiheit die Fesseln angelegt sind.

Schade fand ich, daß die beiden Töchter des Verwalters von der Protagonistin nicht bewertet werden. Sicher, da ist die Ankündigung, Frau K.s "Einsen"-Bemerkung, ihre Abneigung. Aber daß dann wirklich keinerlei Eindruck bei der Protagonistin entstehen will, ist mir zu unbefriedigend. Zwei Möglichkeiten wollen mir hier spontan einfallen.

Textkram:

  • beide 08-15 mit Buchenfurnier - Die Formulierung "08-15" gefällt mir nicht. Das geht auch besser.
  • Warmhalteschrankwägen - Plural von "Wagen" ist "Wagen".

 

Hallo Susi,
bei jeder deiner AI-Geschichten stelle ich mir nach vollendeter Lektüre die Frage, warum ich meine Lesegewohnheiten über den Haufen werfe und Texte lese, die mich als Leser nicht einfach fesseln, sondern vielmehr einschnüren, bis ich keine Luft mehr bekomme. Die Antwort ist wohl nicht so einfach - es liegt an der extrem kalten Sprache, die mich in vielen anderen Texten vermutlich ärgern würde, hier jedoch die einzig passende literarische Stimme ist. Es liegt sicher auch am vorzüglichen Stil, der kurz, aber prägnant beschreibt und somit das Geschehen direkt beschreibt, anstatt schwammig oder ausschweifend zu werden.
Die klare Trennung zwischen "Gut" und "Böse" sehe ich auch weiterhin nicht als Schwachpunkt: Aus meiner Sicht wird diese Geschichte, diese Reihe aus der Ebene eines von der Situation überforderten Kindes erzählt. Und deshalb wirken deine Geschichten auf mich weitaus ehrlicher als dämliche Storys, wo Sechsjährige reden, als besäßen sie die Lebenserfahrung eines 80jährigen und die Zunge von Marcel Reich-Ranicky.
Deine Irene IST ein Kind, und das ist gut so!

Was bleibt mir abschließend zu sagen: Wenn du deine Geschichten nicht endlich in einem einzigen Manuskript sammelst und einem Verlag anbietest, bist du selber Schuld. :D
Ehrlich: Wenn deine Geschichten nicht veröffentlichungswürdig sind, welche dann?

 

Hallo lieber Häferl,

diesen Teil der Serie finde ich in sich sehr rund und gelungen. Ein bisschen ist es, als lernte AI erstin Wien auch das Positive in Linz zu sehen, ihre Freunde zu schätzen, als sie sie vermisst. Allein in der Fremde, eingekerkert zwisschen alten Leuten fühlt sie sich ihrer Mutter noch mehr ausgeliefert. Ich stelle mir vor, dass die Ängste sie nicht sehen lassen konnten, dass in der Verpflichtung zur Stille, in der Hellhörigkeit des Pensionistenheimes und in der Vorsicht der Frau K, ja nicht unangenehm aufzufallen, auch ein Schutz für sie lag. Denn wenn Anna Irene still zu sein hatte, dann muss sich auch Frau K selbst dann hüten, wenn sie nur zu hören, nicht aber zu sehen sein könnte.

Ein paar Anmerkungen noch:

Sie schaut, wie sie immer schaut, wenn sie ihre fast immer vorhandene innere Wut
Und dann erinnert sie sich plötzlich an eine Szene aus einem Western, den sie schon vor ein paar Jahren heimlich im Fernsehen gesehen hat, in dem ein Mann an den Händen gefesselt hinter einem Pferd nachgeschliffen wird.
in der ein Mann ... (bezieht sich eher auf die Szene als auf den Western)
Ich würde dir allerdings raten, das anders auszudrücken. Vorschlag:
Und dann erinnert sie sich plötzlich an eine Szene aus einem Western, den sie schon vor ein paar Jahren heimlich im Fernsehen gesehen hat: ein Mann wird an den Händen gefesselt hinter einem Pferd hergeschliffen.
Sie legt die letzten Stück Unterwäsche in den Schrank
mE Stücke
erinnerte sich an die Wohnung der alten Frau, bei der sie im Kindergarten eine Zeit lang den Nachmittag verbracht hatte
"im Kindergarten" ist eher eine Orts- als eine Zeitangabe. Dass man es oft so sagt, wenn man "während der Kindergartenzeit" meint macht es leider nicht richtiger.
»Wir ziehen in eine Wohnung, in der man im Kreis durch die Räume laufen kann. Da wird mir meine Mutti nichts mehr tun können, wenn ich immer ins nächste Zimmer renn´ und sie mich nicht erwischt, weil ich schneller bin als sie …«
Etwas, was mir bisher nie klar war. Wussten ihre Schulfreundinnen, wie Frau K. mit Anna umgeht?
»Hab ich nicht deutlich genug gesagt, dass du mit ›Guten Tag!‹ zu grüßen hast?! Was fällt dir eigentlich ein, einfach mit ›Grüß Gott‹ zu grüßen?!«
Diese Frage/Ausrufezeichenkombination hätte ich wohl bei jedem anderen als unmöglich angemerkt. Kann man das wirklich orthografisch so setzen?
Wenn ich das noch einmal höre, dass du so grüßt«, ihre Stimme wird nun ganz theatralisch, »dann gnade dir Gott!«
Das empfinde ich ja schon fast als plumpe Paradoxie. ;)
Tante Dora kennt auch den Direktor dort.«
Erst im Anschluss daran würde ich diesen Satz platzieren.
Tante Doras gute Beziehungen machen mir alles kaputt.
Da warten die Möbel, bis sie dann ganz gestorben sind
Liest sich irgendwie, als ob die Möbel sterben.
wo Liesi und ich zu sehen waren … wie sie uns wegen dem Zaun interviewt haben, der zwischen unsere Häuser gestellt wurde
rettet dem Dativ?

Lieben Gruß, sim

 

Hallo Claus, Rainer und sim!

Danke euch dreien fürs schnelle Lesen und kommentieren! War echt überrascht, gleich drei Antworten vorzufinden, da die Geschichte doch ein bisserl länger geworden ist. :)

Claus schrieb:
Schade fand ich, daß die beiden Töchter des Verwalters von der Protagonistin nicht bewertet werden.
Da hatte ich Bedenken wegen der Länge. Eigentlich wollte ich ursprünglich die Szene im Keller und beim Tennisspielen noch ausweiten, aber ich hatte das Gefühl, die Geschichte würde dann zu einem Gummiband, drum hab ich das kurz gehalten.
Irgendwie finde ich, paßt es auch so, da das richtige Kennenlernen ja erst später stattfindet. Vorerst ist vor allem Ruth eher eine Bedrohung, hoffe, das kommt halbwegs rüber? – Aber nenn mir bitte mal die beiden Möglichkeiten, die Dir spontan einfallen, dann kann ich ja drüber nachdenken. ;-)

Die Formulierung "08-15" gefällt mir nicht. Das geht auch besser.
Hast Du einen Vorschlag, der mir mindestens so gefällt, wie »08-15«?

Plural von "Wagen" ist "Wagen".
Vorsicht Falle: Österreichisch: Wägen :p (lt. Duden auch süddt.)


Rainer, :kuss: für Deine Worte!

Wenn du deine Geschichten nicht endlich in einem einzigen Manuskript sammelst und einem Verlag anbietest, bist du selber Schuld.
Ehrlich: Wenn deine Geschichten nicht veröffentlichungswürdig sind, welche dann?
Ich hab das ja auch immer noch vor. Aber ich will keine halben Sachen machen. Die Geschichten brauch ich noch, um das alles selbst zu verarbeiten, damit ich die »Anna Irene« von mir weg bringe und zu einer eigenständigen Person mache. Später nehm ich die Ausdrucke der Geschichten, zerschneide sie auf einzelne Ereignisse, klebe sie auf eine lange, 80 cm breite Papierrolle (die hab ich schon seit Jahren und mich immer gefragt, wofür die überhaupt gut sein soll…) und ergänze die Ereignisse um wichtige, in den Kommentaren zur Sprache gekommene Details und das, was mir nachträglich noch einfällt oder eingefallen ist, sowie um ein paar andere Kleinigkeiten, was sozusagen eine Zeitschiene ergibt, und dann mal ich die Flüsse und Nebenflüsse drauf, die dann den Roman ergeben, den ich dann vermutlich recht schnell schreiben werde, da er ja gut vorbereitet ist. Und frühestens, wenn ich damit zur Hälfte fertig bin, ist die Zeit, zu einem Verlag zu gehen. :)


sim schrieb:
Hallo lieber Häferl
Ich sehe, Du nimmst meine Bitte, mich nicht gemeinsam mit Deiner und meiner Mutter in den Topf mit der Aufschrift »Frau« zu werfen, sehr ernst. :D

diesen Teil der Serie finde ich in sich sehr rund und gelungen.
*freu*

Ein bisschen ist es, als lernte AI erstin Wien auch das Positive in Linz zu sehen, ihre Freunde zu schätzen, als sie sie vermisst.
Hm, ich hoffe, das bezieht sich nur auf diese Geschichte… Wenn das nur in dieser Folge so wirkt, stört es mich nicht, da es für die Geschichte als solche paßt, aber ich hoffe doch, in den anderen Folgen schon rübergebracht zu haben, daß die Freunde schon vorher wichtig waren? Erinnere Dich zum Beispiel an die Szene bei der alten Spinnerei (ich glaub, das war in »Schäfchenzählen«), oder insbesondere auch die letzten beiden Folgen und »Anna Irene und die Kinder aus Linz-Kleinmünchen«, gut, in letzterer kommt auch viel Negatives, ist vielleicht ein bisserl zu konzentriert…

Ich stelle mir vor, dass die Ängste sie nicht sehen lassen konnten, dass in der Verpflichtung zur Stille, in der Hellhörigkeit des Pensionistenheimes und in der Vorsicht der Frau K, ja nicht unangenehm aufzufallen, auch ein Schutz für sie lag. Denn wenn Anna Irene still zu sein hatte, dann muss sich auch Frau K selbst dann hüten, wenn sie nur zu hören, nicht aber zu sehen sein könnte.
Einerseits ja, andererseits nein. Aber ich will jetzt nicht zu viel auf die nächsten Folgen vorgreifen. ;-)

»fast immer vorhandene« hab ich ersatzlos gestrichen, »ein Mann wird an den Händen gefesselt hinter einem Pferd hergeschliffen« hab ich übernommen, danke. :-)
Die »Stück« haben ein Apostroph bekommen, die Kindergartenzeit hab ich umformuliert und die dadurch entstandene Zeit-Wiederholung bekämpft.

Etwas, was mir bisher nie klar war. Wussten ihre Schulfreundinnen, wie Frau K. mit Anna umgeht?
Das ist eine gute Frage. Daß allgemein unter den Kindern in der Siedlung über diverse Erziehungsmaßnahmen gesprochen wurde, hab ich schon in den oben bereits erwähnten Folgen untergebracht, daß es Kinder mit Hausarrest gab zum Beispiel, oder den Harald, der einfach davonlief, um keine abzubekommen, usw. Dadurch war es irgendwie auch wieder normal, und Anna Irene hat die Mißhandlungen auch meistens nur als Geschimpft-Bekommen bezeichnet.
Ich glaube, da ist unter Kindern ein sehr großer Spielraum zwischen Audruck und Verstehen. Wenn jemand erzählt hat, er sei geschlagen worden, hat Anna Irene sich darunter ein Prügeln vorgestellt, vielleicht war es aber nur eine Ohrfeige. Genauso kann »Haarereißen« verschieden verstanden werden. Jemand, der solcherlei Gewalt nicht kennt, versteht darunter vielleicht ein kurzes Ziehen und kann sich nicht vorstellen, daß man auch so an den Haaren gerissen werden kann, daß man gar nicht anders kann, als mitzukommen in den letzten Winkel, wo man dann irgendwo dagegen fliegt.
So gesehen kann ich überhaupt nicht sagen, wie Anna Irenes Erzählungen bei den anderen angekommen sind.

Diese Frage/Ausrufezeichenkombination hätte ich wohl bei jedem anderen als unmöglich angemerkt. Kann man das wirklich orthografisch so setzen?
Wenn man Frau K.s Ton kennt, muß man sie setzen, Orthografie hin oder her…;)

Das empfinde ich ja schon fast als plumpe Paradoxie.
Ja, das ist es, aber es wirklich eine Originalparadoxie. ;-) Das kommt heraus, wenn man Sozialist nicht aus Überzeugung ist, sondern weil man sich davon Vorteile erhofft (die gab es ja in Wien, besonders damals, zuhauf, die beste Anlageform waren 35 Schilling SPÖ-Mitgliedsbeitrag pro Monat, da konnte kein Bausparvertrag mithalten).

Erst im Anschluss daran würde ich diesen Satz platzieren.
Der Tip ist verdammt gut, danke! :)

Liest sich irgendwie, als ob die Möbel sterben.
Heißt jetzt »bis die Leute ganz gestorben sind«

rettet dem Dativ?
Das möcht ich gern so lassen, weil es die Gedanken einer Elfjährigen sind, die grammatikalisch nicht immer ganz korrekt sind. :-)


Danke nochmal Euch dreien,

alles Liebe,
Susi :)

 

Hallo Susi!

Mir erscheint dieser Teil ebenfalls sehr rund. Allein der Titel hat es mir angetan.

Mir ging es etwas anders als sim, ich hatte schon das Gefühl, dass AI weiß, was sie an ihren Freundinnen hat - selbst vor dem Umzug. Dass sie sie hier so vermisst, ist ganz logisch, heißt aber nicht, sie habe sie vorher nicht wargenommen ... für mich kommt die Wichtigkeit (Liesi erwähnst Du in mehreren Folgen) schon vorher deutlich raus.

»Hab ich nicht deutlich genug gesagt, dass du mit ›Guten Tag!‹ zu grüßen hast?! Was fällt dir eigentlich ein, einfach mit ›Grüß Gott‹ zu grüßen?!«
:lol: tut mir leid. ;) aber ... das ist so grotesk, ich hab recht lachen müssen.

liebe Grüße
Anne

 

Ein bisschen ist es, als lernte AI erstin Wien auch das Positive in Linz zu sehen, ihre Freunde zu schätzen, als sie sie vermisst.

Hm, ich hoffe, das bezieht sich nur auf diese Geschichte…

Hallo Häferl,

ja, das bezieht sich nur auf diese Geschichte.:)

Lieben Gruß, sim

 

Liebe Anne!

Danke fürs Lesen und Dein Lob! :)

Mir erscheint dieser Teil ebenfalls sehr rund. Allein der Titel hat es mir angetan.
:) *freu*

tut mir leid. aber ... das ist so grotesk, ich hab recht lachen müssen
Das muß Dir nicht Leid tun, wäre ja schlimm, wenn alles nur traurig wäre. ;)

sim schrieb:
ja, das bezieht sich nur auf diese Geschichte
Da bin ich aber erleichtert, danke! :)

Liebe Grüße,
Susi

 

Lieber Blackwood!

Ich freu mich ganz riesig über Deinen Kommentar! Danke! :)

Hm, der Titel gefällt Dir nicht… Bei dieser Geschichte wollte mir auch wirklich keiner einfallen. Sonst weiß ich den Titel meistens nach den ersten paar Sätzen, bei dieser Folge war die Geschichte schon fertig und ich wußte ihn immer noch nicht, erst beim Posten ist mir dieser notgedrungen eingefallen…;)
Weißt Du einen besseren? :hmm:

Ansonsten hab ich fast alle Deine Anregungen umgesetzt, außer:
– Den vorwurfsvoll fordernden Blick hab ich gelassen, da er mehr fordernd war, ebenfalls so zu werden.
– »Essenswagen« wäre mir nicht eindeutig genug, das könnte auch so ein kleineres Ding mit zwei Fächern sein. Hab die Stelle aber trotzdem leicht geändert.
– »weil es nicht viele schöne Erlebnisse gibt, an die sie sich erinnern kann?« – das würde dann so klingen, als könnte sie sich bloß nicht daran erinnern

Nicht dass das jetzt wichtig wäre, aber es verwirrte mich etwas, dass Frühstück und Mittagessen in offensichtlich verschiedenen Räumen stattfinden?
Ja, beim Frühstück waren ja nur die Verwalterfamilie, Frau K. und Anna Irene, das Mittagessen war auch für den Rest des Personals (und vermutlich deshalb im Keller, damit sie von den Alten während des Essens Ruhe haben, aber so genau weiß ich das nicht. ;)).


Das klingt jetzt blöd, ich weiß – aber Onkel Joe kommt mir in dieser Geschichte einfach viel zu kurz. Er wird doch gefragt haben, ob sich Anna Irene eingelebt hat, wie es ihr gefällt; Du kannst hier den inneren Konflikt, den Du zuvor im Speisesaal beschrieben hattest, viel deutlicher heraus bringen oder zumindest nochmals anschneiden.

Naja, es geht mir ein bisschen so, als würde ich Onkel Joe in der Geschichte auch schon mit vermissen…

Den Absatz hab ich ganz bewußt so kurz gehalten, weil Anna Irene ja auch praktisch nichts von ihm hatte. In Linz gab es, auch wenn die beiden nirgends gemeinsam hinfuhren, immer Zeit, etwas miteinander zu spielen, wenn Frau K. beispielsweise in der Küche war und kochte. Dort gab es zwar auch eine Gemeinschaftsküche, aber am Wochenende wurde dann meist im Restaurant gegessen, also alles mit Frau K., und gerade das Sitzen und Warten im Restaurant war ja furchtbar… Also, ich glaub, ich schau mir das am Wochenende noch einmal an. Das gilt auch für die Stelle mit dem Zaun. :)


Und ach ja: sim’s „Hallo lieber Häferl“ – köstlich!!!
Hehe…:D

Danke nochmal für Deine Mühe,
liebe Grüße,
Susi :)

 

Liebe Susi,

wie versprochen nun meine Kritik zu deiner Anna Irene-Geschichte. :)
Es fehlen mir zwar die Zusammenhänge zu den anderen Teilen, da ich nur ein paar vereinzelte Geschichten deiner Reihe gelesen habe; im Großen und Ganzen denke ich aber, dass man dem Inhalt auch ohne Vorkenntnisse folgen kann.

Sprachlich ist der Text gut geschrieben, und auch die inhaltliche Idee fand ich, obwohl ich allgemein phantastische Geschichten bevorzuge, interessant. Ich hatte den Eindruck, Qualität zu lesen.

Es ist mir gelungen, mich gut in Anna Irene hineinzuversetzen, was sicherlich dein Verdienst als Autorin ist. Ich konnte ihre Leere und Einsamkeit, die sie in dem Pensionistenheim und bei der übertrieben strengen Frau K. fühlt, nachvollziehen und Mitleid mir ihr empfinden. Ein Leben ist das nicht, was Anna Irene da durchmachen muss. Zumindest kein angenehmes Leben ...

Vor allem die kursiv gesetzten Gedankengänge gefielen mir gut, insbesondere an der Stelle, als Anna Irene das Gegenteil von dem sagt, was sie denkt, und du beides nebeneinander gegenübergestellt hast.

Wie cbrucher hätte aber auch ich gerne gewusst, was Anna Irene über die anderen Kinder denkt, nachdem sie sie kennengelernt hat. Solltest du dich entschließen, den Text noch einmal nachzubearbeiten, könnte man diesbezüglich noch den einen oder anderen erweiterten Gedankengang mit einfügen.

Ich habe gehofft, dass sich in Anna Irenes aussichtsloser Lage durch die anderen Kinder doch noch so etwas wie Freundschaft ergeben könnte ... vielleicht in der Fortsetzung?
Mit dem Eisverkäufer, der eh nicht in Anna Irenes Altersstufe ist, wird sich wohl kein längerfristiger Kontakt ergeben.

Ein paar Wörter sind mir aufgefallen, die mir nicht geläufig sind – aber ich bin nunmal kein Österreicher. :D

Der Titel ist lang, vielleicht zu lang für eine Kurzgeschichte, allerdings glaube ich nicht, dass es eine allgemeine Vorschrift über die Länge eines Titels gibt und ich bin der Meinung, er passt sehr gut zum Inhalt und erweckt außerdem die Neugierde des Lesers. Somit erreicht er sein Ziel. Und es gibt ja auch (populäre) Filme mit derartig langen Titeln.

Mal die anderen Kritiken noch genauer ansehen ...

Der Text lässt kaum Interpretationsmöglichkeiten, okay, aber da du die Story aus Anna Irenes eigener, subjektiver Sicht schilderst, macht das meines Erachtens auch nichts. Obwohl die Geschichte nicht in der Ich-Form geschrieben ist, beschreibst du doch Anna Irenes Gedankengänge, man liest den Text nicht ganz als unbeteiliger Beobachter, sondern man identifiziert sich mit deiner Protagonistin.

Die Länge passt meines Erachtens.

Ebenso wie Rainer bin auch ich der Meinung, dass du mit deinen Anna Irene-Storys eine veröffentlichungswürdige Reihe mit großer Engagement und Ausdauer zusammenbringst und ich würde an deiner Stelle, sobald die Reihe abgeschlossen ist, sie mal einem Verlag vorlegen. Die Chancen auf Erfolg sind zwar gering, aber sag niemals nie – Rainer oder porcupine haben ja auch schon eine Buchveröffentlichung geschafft. ;)
Eventuell würde ich an deiner Stelle auch mal deine anderen Kurzgeschichten bei passenden Ausschreibungen einreichen (in einem anderen Thread hab ich gelesen, dass du das bisher noch nicht oder kaum gemacht hast) – wenn du bereits derartige Veröffentlichungen vorzuweisen hast, vergrößert das die Chancen, auch mal einen kompletten Roman beim einem Verlag unterzubringen.

Ein paar Details, die mir noch ins Auge gefallen sind:

während die erste mit lautem Knall von selbst hinter ihr zu fällt. Vor Schreck kann sie nicht richtig reagieren und läßt auch die zweite fallen, als Frau K. wie aus einer Kanone geschossen faucht:
»Bist du verrückt?! Lass doch die Türen nicht so zufallen! Muss uns hier gleich jeder hören!?«
Sie gehen ein paar Meter über einen Gang mit roten Türen, dann sperrt Frau K. eine davon auf
Wiederholungen

Sie trauert um die Freundschaften in Linz [...]
Sie legt die letzten Stück´ Unterwäsche in den Schrank und verschließt ihn. [...]
Sie kann ihre Geheimnisse jetzt mit einem Kleiderschrank teilen. [...]
Sie wollte den Fragen ausweichen
Gleich beginnende Absätze
Sie legt die letzten Stück Unterwäsche in den Schrank
Stücke
Ich kann meinen Kasten zusperren, sodass sie nicht hinein kann!
Bezug fehlt – wer ist mit "sie" gemeint?

Viele adventliche Grüße,

Michael :)

 

Lieber Michael!

Danke fürs Lesen und Deinen Kommentar zu der Geschichte! :) Verzeih bitte, daß meine Antwort jetzt ein bisserl gedauert hat, aber dafür hab ich die Geschichte auch gründlich überarbeitet.
Da ich ziemlich viel geändert hab, zähle ich es nicht einzeln auf – würde mich freuen, wenn Du die Geschichte nun noch einmal lesen könntest. :)

Daß Du sie interessant fandest und mitfühlen konntest, freut mich sehr, und auch Dein »Eindruck, Qualität zu lesen«, baut mich auf.


Ich habe gehofft, dass sich in Anna Irenes aussichtsloser Lage durch die anderen Kinder doch noch so etwas wie Freundschaft ergeben könnte ... vielleicht in der Fortsetzung?
Mit dem Eisverkäufer, der eh nicht in Anna Irenes Altersstufe ist, wird sich wohl kein längerfristiger Kontakt ergeben.
Ja, in der Fortsetzung entwickelt sich »so etwas wie Freundschaft« (sehr treffende Worte). Mit dem Eisverkäufer ergibt sich zwar kein näherer und auch kein längerfristiger Kontakt, trotzdem war er sehr wichtig – sowas wie ein Frostschutzmittel. Wenn man die ganze Serie betrachtet, muß es irgendwann auffallen, daß Anna Irene immer die Menschen verliert, die sie mag, und da gehört er dazu, weshalb er für die Geschichte auf jeden Fall wichtig ist.


Eventuell würde ich an deiner Stelle auch mal deine anderen Kurzgeschichten bei passenden Ausschreibungen einreichen (in einem anderen Thread hab ich gelesen, dass du das bisher noch nicht oder kaum gemacht hast)
Ja, da hast Du richtig gelesen, ich hab erst einmal an einem Wettbewerb teilgenommen. Dafür hab ich verschiedene Ausreden, die alle ein bisschen zutreffen, heute ziehe ich diese: Ich tu ja auch sonst kaum etwas für mich… Ich bräuchte jemanden, der mich dazu zwingt.

Liebe Grüße,
Susi :)

 

Liebe Susi,

wie versprochen hab ich deine Geschichte nun ein weiteres Mal gelesen. :read:
Leider hab ich den Erstausdruck nicht mehr verfügbar, mit dem ich vergleichsweise detaillierter auf die Änderungen hätte eingehen können; aber ich kann ich dir zumindest noch mal eine Gesamtkritik zu deiner überarbeiteten Anna Irene-Geschichte abgeben. :)

Obwohl die Geschichte dem Leser kaum eigene Interpretationsmöglichkeiten lässt, liegt der Kern des Inhalt meines Erachtens in Anna Irenes subjektive Empfindungen und Gedanken über ihr neues Leben in der kalten, freudlosen und einsamen Umgebung – und die hast du dem Leser anschaulich dargestellt. Es wird sehr deutlich, dass Anna Irene hier auf Dauer nicht glücklich werden kann, sollte sie nicht doch noch liebe Menschen in ihrem Alter finden, die sich mit ihr gut verstehen – eine geringe Hoffnung. Anna Irene kann einem wirklich Leid tun und ich glaube, keiner der Leser würde gerne mit ihr tauschen wollen.

Vor allem der strengen Frau K. würde ich dabei gerne mal meine Meinung sagen, wenn ich könnte. :D
Ist sie eigentlich Anna Irenes (Stief-)Mutter? Oder nur eine Bekannte? Hier fehlt mir etwas der Zusammenhang, der vermutlich durch die anderen Episoden ersichtlicher wird. Und warum wird ihr Name eigentlich immer mit einem einzelnen Buchstaben abgekürzt?

Dass sich in der Fortsetzung doch »so etwas wie Freundschaft«, aber keine wirkliche Freundschaft ergibt, kann ich mir sehr gut vorstellen.
Wenn man keinen lieben Menschen an seiner Seite hat, versucht man wohl notgedrungen, mit Gleichaltrigen Kontakte zu knüpfen, um der Einsamkeit, die Anna Irene spüren muss, zu entkommen, auch wenn die Interessen und Charaktere / das Verhalten der anderen Kinder nicht ganz mit ihren eigenen zusammen passen. Was bleibt einem aber anderes übrig?

Sprachlich bin ich diesmal über keine Stellen geholpert.

Ich hoffe, meine Anmerkungen sind weiterhin hilfreich für dich. Wenn du noch Fragen zur ein oder anderen Änderung oder allgemein hast, frag einfach.

Viele neujährliche Grüße,

Michael :)

 

Hallo Häferl,

jetzt habe ich in aller Ruhe diese Geschichte gelesen und wundere mich, dass sie mich nicht aus der Ruhe gebracht hat. Sie ist so kühl, sezierend geschrieben, die kurzen Sätze, die kursiven Aussagen - man nimmt automatisch diesen besonderen, distanzierten Blickwinkel an. Aber gerade dies macht den Text ansprechend, weil gezeigt wird, `wie es ist´, solidarische Gefühle mir nicht aufgezwungen werden.

Besonders beeindruckend finde ich die Szene, als das Kind feststellt, wie kantig das Bett ist...
Das Bett, der Ort für Wärme, Geborgenheit, dann diese ganz pragmatische Handlung, ohne Gefühlsausbrüche.


»Schreib dir das jetzt hinter die Ohren! Wir grüßen nicht mit einem Kirchengruß! Wir sind Sozialisten und grüßen mit ›Guten Tag!‹! Auch der Verwalter hier ist Sozialist, nicht auszudenken, wenn dem sowas aus deinem Mund zu Ohren kommt! Wie wir dann dastehen. – Wenn ich das noch einmal höre, dass du so grüßt«, ihre Stimme wird nun ganz theatralisch, »dann gnade dir Gott!«

Das könnte man als Paradebeispiel für gedankenlose Dummheit bezeichnen.

Tja, natürlich hoffe ich, dass die Pflanze in der Vase doch noch Wurzeln getrieben hat.

Zwei Kleinigkeiten:

»Oben am Gang, da, wo der Billard-Tisch steht, ist ein Automat - Billardtisch.

wenn dem sowas aus deinem Mund zu Ohren kommt! - so was.

LG,

tschüß... Woltochinon

 

Lieber Woltochinon!

Danke fürs »in aller Ruhe«-Lesen meiner Geschichte und Deinen Kommentar, über den ich mich wirklich sehr gefreut hab :) – ganz besonders darüber:

…wundere mich, dass sie mich nicht aus der Ruhe gebracht hat. Sie ist so kühl, sezierend geschrieben, die kurzen Sätze, die kursiven Aussagen - man nimmt automatisch diesen besonderen, distanzierten Blickwinkel an. Aber gerade dies macht den Text ansprechend, weil gezeigt wird, `wie es ist´, solidarische Gefühle mir nicht aufgezwungen werden.

Genau das ist auch das, was ich will, und es freut mich sehr, daß Du das so empfunden und formuliert hast. :)

Auch Deine Bemerkungen zum Bett und zum »Paradebeispiel für gedankenlose Dummheit« :D haben mich gefreut.


Tja, natürlich hoffe ich, dass die Pflanze in der Vase doch noch Wurzeln getrieben hat.
Naja, Wurzelprothesen. Die richtigen sind dort geblieben, wo sie immer waren. Ich sag ja auch immer, ich bin kein Wiener, ich wohne nur hier. ;)

»sowas« will ich nicht trennen, aber den Billardtisch hab ich ausgebessert. Danke dafür. :)


Lieber Michael!

Danke fürs nochmalige Lesen! :)
T´schuldige, daß ich mich erst jetzt wieder melde, in den Ferien bin ich geistig nicht ganz da, äh, ich meine, da bin ich nicht so konzentriert. ;-)


Obwohl die Geschichte dem Leser kaum eigene Interpretationsmöglichkeiten lässt,
– Die Interpretationsmöglichkeiten liegen außerhalb der Geschichten, in anderen Kindern, bei denen man vielleicht die eine oder andere Parallele findet. Zum Beispiel haben in den vier Jahren Volksschule meines Sohnes insgesamt fünf Kinder (aus einer Klasse mit 20 Kindern, das ist ein Viertel!) die Klasse wegen Übersiedlung verlassen – und kein einziger von ihnen hat vorher mit den Schulkollegen darüber gesprochen, keiner hat sich verabschiedet, alle waren von heute auf morgen einfach weg. Daß sie nicht darüber gesprochen haben, kann entweder daran liegen, daß sie es selbst bis dahin gar nicht wußten, oder auch daran, daß sie nicht darüber sprechen konnten, weil sie es erst verarbeiten mußten und verdrängt hatten (was meistens dann der Fall ist, wenn die Situation mit Angst verbunden ist, und sei es nur Angst vor dem Neuen).


ich glaube, keiner der Leser würde gerne mit ihr tauschen wollen.
Das wäre dann ziemlich pervers, wenn das jemand wollen würde. Aber andere haben auch genug in ihrem Rucksack drin. ;-) Und es geht ja auch nicht ums Tauschen, sondern zum Beispiel darum, den Blick zu schärfen. Es soll sich niemand mehr nichts dabei denken, wenn er sieht, wie Kinder zum Beispiel bevormundet oder ungerecht behandelt werden. Wer sein Kind zum Beispiel auf der Straße zusammenschreit, der schlägt es zuhause mit ziemlicher Sicherheit auch. Und wenn Du das, was Du Frau K. gerne sagen würdest, bei nächster Gelegenheit – am besten öffentlichkeitswirksam – so einem Vater oder so einer Mutter sagst, dann hab ich eins meiner Ziele erreicht. Es ist auch für die Kinder wichtig, daß sie mitbekommen, daß andere Leute anders denken und nicht alles richtig finden, was die Eltern tun. Das giftet diese Leute überhaupt besonders, wenn man direkt zu den Kindern sagt, daß sie einem Leid tun, weil sie solche Eltern haben – hab ich schon einige Male gemacht…

Ist sie eigentlich Anna Irenes (Stief-)Mutter? Oder nur eine Bekannte? Hier fehlt mir etwas der Zusammenhang, der vermutlich durch die anderen Episoden ersichtlicher wird. Und warum wird ihr Name eigentlich immer mit einem einzelnen Buchstaben abgekürzt?
Ja, sie ist die Frau, die Anna Irene in die Welt gesetzt hat. Die Abkürzung hat sie, weil ich das andere Wort in den Geschichten nicht verwenden will. Eigentlich stammt die Abkürzung aber aus meinen gerichtlichen Stellungnahmen, die ich fast drei Jahre lang geschrieben habe – da wollte ich den Namen nicht immer ausschreiben und hab es mir so angewöhnt, was ich dann ganz praktisch und brauchbar fand, als ich mit den Geschichten begonnen habe.

Dass sich in der Fortsetzung doch »so etwas wie Freundschaft«, aber keine wirkliche Freundschaft ergibt, kann ich mir sehr gut vorstellen.
Wenn man keinen lieben Menschen an seiner Seite hat, versucht man wohl notgedrungen, mit Gleichaltrigen Kontakte zu knüpfen, um der Einsamkeit, die Anna Irene spüren muss, zu entkommen, auch wenn die Interessen und Charaktere / das Verhalten der anderen Kinder nicht ganz mit ihren eigenen zusammen passen. Was bleibt einem aber anderes übrig?
Richtig, es war immer noch besser, mit Ruth und Doris spielen zu können, als wenn gar keine Kinder dort gewesen wären, auch, wenn es keine richtige Freundschaft wurde, sondern mehr eine Zweckgemeinschaft.


Ich hoffe, meine Anmerkungen sind weiterhin hilfreich für dich.
Bisher waren sie es jedenfalls. Danke dafür! Würde mich natürlich freuen, wenn Du mir auch weiterhin so hilfreiche Anmerkungen schreibst, ich werd dann mal mit der nächsten Folge zu schreiben beginnen… :)


Viele neujährliche Grüße,
Danke, und dasselbe auch Dir und Wolto!


Liebe Grüße Euch beiden,
Susi :)

 

hallo susi,

jetzt habe ich den bislang letzten teil gelesen (wann kommt 19? schneller! schneller! oder sind wir dir als leser nicht gut genug? *smile*)

in diesem teil merke ich, dass du dich vom geschehen persönlich distanzierst. der inhalt ist immer noch schockierend, wobei aber eher die angst von anna aus geschehnissen der vergangenheit genährt wird. distanziert, weil anfangs konnte der leser das leid viel deutlicher fühlen. im teil 18 hingegen, wahrscheinlich auch dadurch begünstigt, weil die misshandlungen sich sehr gemindert haben, erlaubst du anna eine gehörige portion ironie. wann schon konnte ein anna irene leser lachen? hier kann er es!

2 mal 3 meter, ich musste doch erst mal innehalten und mir vorstellen, wie dort ein bett, ein schrank, ein kleiner schreibtisch und noch ein waschbecken platz finden können, und wie viel platz noch für annas auslauf übrig ist *smile*.
der 2. gedanke, den ich bekommen habe, war, dass im altersheim anna bestimmt nicht misshandelt werden kann. vielleicht ist sie geschützt.

Anna Irenes Blick schweift kurz aus dem Fenster, sie nimmt einen eingezäunten Rasen wahr, wie sie ihn bereits auf der anderen Seite des Hauses gesehen hat, wo sie durch den Personaleingang gekommen sind. Hinter dem Zaun ist ein Weg, auf dem alte Leute spazieren gehen, einige mit seltsamen Gehhilfen, die Anna Irene noch nie zuvor gesehen hat. Sträucher und ein hoher Holzzaun begrenzen den Weg zur anderen Seite.

"anderen Seite" ist doppelt. vielleicht kannst du das erste "anderen Seite" weglassen. der hinweis mit dem personalingang müsste eigentlich reichen.

einen schrank, den anna abschliessen kann, konnte ich nicht glauben, dass k das zulassen würde

»Du hast hier zu den Leuten ›Guten Tag‹ zu sagen. Dass das klar ist. Und zwar laut, weil viele schwerhörig sind.« Sie wirft einen unsicheren Blick zu Onkel Joe und meint: »Dir brauch ich das ja eh nicht sagen…«

wenn man den ernsten hintergrund nicht kennen würde, könnte man denken, die geschichte gehört in die rubrik humor; ein reisser nach dem anderen *smile*!

»Schreib dir das jetzt hinter die Ohren! Wir grüßen nicht mit einem Kirchengruß! Wir sind Sozialisten und grüßen mit ›Guten Tag!‹! Auch der Verwalter hier ist Sozialist, nicht auszudenken, wenn dem sowas aus deinem Mund zu Ohren kommt! Wie wir dann dastehen. – Wenn ich das noch einmal höre, dass du so grüßt«, ihre Stimme wird nun ganz theatralisch, »dann gnade dir Gott!«

wieder komisch. die sozialistin spricht von gottes gnade

Damit Frau K. nichts davon bemerkt, blättert sie geräuschvoll um.

au backe!

dem ÖAMTC gehört.

was ist denn das?

Am Ende der Mauer zweigt links eine Straße ab, die nicht sehr einladend und schon gar nicht nach Spielplatz aussieht, auf der anderen Seite sieht sie ein Umspannwerk und geradeaus eine große Kreuzung und eine Brücke, die über Bahngleise führt, und sie denkt, da dreh ich lieber wieder um, bevor ich nicht mehr zurück finde…

hinter "aussieht" solltest du einen neuen satz beginnen

Hier spürt sie einen Menschen und holt sich bis zum Ende der Ferien nun jeden Tag ein Eis, selbst, wenn sie eigentlich gar keines möchte.

ich habe in den vorherigen episoden nicht gelesen, wie anna zu geld steht. bekam sie taschengeld? vielleicht von onkel joe? hat sie gespart? jeden tag ein eis kostet auch schon ein bisschen!

Bis sie bei dem Getränkeautomaten ist, grüßt sie fünfmal ein lautes, deutliches »Guten Tag!«. Als eine Dame nicht reagiert, wiederholt sie ihren Gruß lauter. Damit es hinterher nicht heißt, ich hätte nicht gegrüßt…

echt ulkig *smile*

Mehr aus Pflichtgefühl als aus wirklichem Interesse, und weil sie ohnehin nichts Besseres zu tun hat, läutet Anna Irene wenig später tatsächlich an der Tür und Doris öffnet.

hmh - das klingt nicht überzeugend

Das ist unfair, dass wir nur so kleine Zimmer haben, und die so eine große Wohnung

dabei sind wir doch alle sozialisten *smile*

Den Vormittag verbringen sie bei Gesellschaftsspielen und nach dem gemeinsamen Mittagessen im Personalspeiseraum zeigen Ruth und Doris Anna Irene den restlichen Keller. Lagerräume gibt es da, vollgeräumt mit Möbeln, für die die alten Leute bei ihrem Einzug keinen Platz hatten. Da warten die Möbel, bis die Leute ganz gestorben sind … Dazwischen findet sich ein Kegelspiel, bei dem die Kugel an einer Schnur hängt. Sie spielen eine Weile, dann gehen sie weiter. In der Großküche dürfen sie überall hin und alles ansehen. Riesige Kochtöpfe, Förderbänder und Frauen, die Gemüse so schnell wie im Zeitraffer zerschneiden.

hier bekommst du die selbe kritik, wie bei der neuen lehrerin. zuerst schreibst du von annas angst und abneigung - und wenn sie sich dann den neuen menschen konfrontiert siehst, gibst du keine erklärung, ob und warum annas einstellung sich geändert hat. was denn nun? ist die neue lehrerin auch nett? sind die beiden kinder doch nett?

also - schöne herzzerreissene geschichten - ich freue mich auf 19.
eine frage vorab, bis zu welchem alter wirst du schreiben?

bis dann

barde

"Auch, nachdem Frau K. bereits wieder draußen ist, bleiben ihre Worte in der dicken Luft stehen. Sie hängen zwischen Anna Irene und der Zimmerdecke wie ein versteinertes Mobile."

schön!

 
Zuletzt bearbeitet:

überarbeitete Version:

Anna Irene hält eine Tasche in der einen Hand, mit der anderen die beiden schweren, selbstschließenden Türen auf, während Frau K. und Onkel Joe beidhändig bepackt hindurch gehen. Anna Irene beeilt sich, von der einen Tür zur anderen zu kommen, und läßt beide zufallen. Da faucht Frau K.: »Bist du verrückt? Lass doch die Türen nicht so zuknallen! Muss uns hier gleich jeder hören!?«
Sie gehen ein paar Meter über einen Gang, wo Frau K. eine der roten Türen aufsperrt. Durch einen kleinen Vorraum gelangt Anna Irene in das winzige Kammerl, das sie ab jetzt bewohnen wird. Frau K. hat das gleiche Zimmer, nur seitenverkehrt eingerichtet. Ein in verschiedenen Brauntönen gestreiftes Bett, ein Kleiderschrank und ein Brett zwischen Schrank und Fenster, das als Schreibtisch dient, sowie ein Waschbecken, welches in einer Wandnische hinter einem orangen Vorhang versteckt ist. Frau K. füllt den Raum mit strengen Worten: »Es ist ja hoffentlich klar, dass du hier leise zu sein hast. Hier wohnen alte Leute, die alle ein schweres Leben hinter sich haben, und ich möchte nicht meine Stelle wegen dir gefährdet sehen.« Sie schaut, wie sie immer schaut, wenn sie ihre innere Wut am liebsten an Anna Irene auslassen würde, aber dann riskieren würde, dass irgendjemand mitbekommt, wie sie mit ihrer Tochter umgeht. Selbst, als Frau K. bereits wieder draußen ist, bleiben ihre Worte in der dicken Luft hängen wie ein versteinertes Mobile.

Anna Irenes Blick schweift kurz aus dem Fenster, sie nimmt einen eingezäunten Rasen wahr, wie sie ihn bereits beim Personaleingang gesehen hat. Hinter dem Zaun ist ein Weg, auf dem alte Leute spazieren gehen; einige mit seltsamen Gehhilfen, die Anna Irene bisher nicht kannte. Sträucher und ein hoher Holzzaun begrenzen den Weg zur anderen Seite. Vielleicht ist ja dahinter ein Spielplatz … Sie beginnt, ihr Gewand auszupacken und einzuräumen.
Wie das jetzt wohl ist, in Linz, wenn ich nicht mehr da bin? Ob ich den anderen Kindern fehle …?
Sie will nicht daran denken, wie sie durch diese Übersiedlung von ihren Freunden getrennt wurde.
Ich bin hier ganz weg von allen, die ich mag … ausgesperrt …
Anna Irene überlegt, wie schnell das alles ging. Wie ihre Mutter arbeitslos wurde und diesen Altenhilfe-Kurs vom Arbeitsamt bekam, die Telefonate, die sie mit Tante Dora führte, ihr plötzliches Engagement in der Partei und schließlich die Nachricht, sie könne in Wien zu arbeiten beginnen.
Wie schön wäre es jetzt zuhause; ich könnte in den Hof gehen und würde ganz bestimmt ein paar der anderen Kinder treffen, könnte Liesi abholen… Da ist ja mein Gummi zum Gummihüpfen – aber was soll ich alleine schon damit anfangen? … Und ohne Freunde komme ich hier wahrscheinlich nur selten hinaus; ich weiß ja nicht einmal, wo ich hingehen könnte … Ich hab hier nur die Mutti, und das ohne Onkel Joe … Onkel Joe, in dessen Anwesenheit Frau K. Anna Irene nie richtig weh getan, sie nie an den Haaren gerissen oder gegen die Badewanne gestoßen hat.
Ich muss einfach nur schauen, dass ich brav bin. Muss nur alles machen, was sie will und wie sie es will; ein braves Mädchen sein. Ich muss mich einfach nur anstrengen, damit sie nichts zu schimpfen hat.
Plötzlich hat sie eine Szene aus einem Western im Kopf, den sie vor ein paar Jahren heimlich im Fernsehen gesehen hat: Ein Mann wird, an den Händen gefesselt, hinter einem Pferd hergeschleift.
Wieso fällt mir das denn jetzt ein?
Die letzten Wäschestücke verschwinden im Schrank und sie verschließt ihn. Das erste, worüber sich Anna Irene hier freuen kann. Ich kann meinen Kasten zusperren, sodass die Mutti nicht hinein kann!
Ihren Freunden in Linz wollte sie nicht sagen, dass sie in ein Pensionistenheim zieht. Sie schämte sich und wollte den Fragen ausweichen, wollte nicht sagen, dass Onkel Joe, den manche für ihren Vater halten, gar nicht mitkommt, um nicht womöglich für ihre komische Familie ausgelacht zu werden; sie erinnerte sich an die Wohnung der alten Dame, bei der sie früher manchmal nach dem Kindergarten war. Anna Irene mochte diese Oma, nur durfte sie nicht mehr hin, nachdem Frau K. wegen einer Nichtigkeit mit ihr gestritten hatte. Seit sie deren Wohnung kannte, wünschte sie sich genau so eine und gab den Kindern ihren Wunschtraum als Antwort: »Wir ziehen in eine Wohnung, in der man im Kreis durch die Räume laufen kann. Da wird mir meine Mutti nichts mehr tun können, wenn ich immer ins nächste Zimmer renn´ und sie mich nicht erwischt, weil ich schneller bin als sie …«
Die glauben jetzt bestimmt alle, dass es mir hier gut geht … Wenn sie dieses Mausloch hier sehen könnten …

Am Nachmittag zeigt Frau K. Anna Irene und Onkel Joe das Pensionistenheim. Am Ende des »Personaltraktes« müssen sie durch eine Tür. Frau K. bleibt stehen, legt ihre Hand auf die Türschnalle, schaut Anna Irene streng an und sagt: »Du hast hier zu den Leuten ›Guten Tag‹ zu sagen. Dass das klar ist. Und zwar laut, weil viele schwerhörig sind.« Frau K. wirft einen unsicheren Blick zu Onkel Joe und meint: »Dir brauch ich das ja eh nicht sagen …«
Dann öffnet sie die Tür, geht hindurch, Onkel Joe und Anna Irene hinterher. Ein paar alte Frauen beobachten von einer wenige Meter entfernten Sitzecke das Geschehen und drehen ihre Köpfe zu den dreien. Frau K. ruft jeder einzeln lautstark und mit einem aufgesetzten Lächeln »Guten Tag!« zu. Anna Irene und Onkel Joe, einen Meter hinter ihr gehend, grüßen ebenfalls laut. Die alten Damen freuen sich, grüßen zurück und lächeln kopfnickend.
Eine Frau mit zittrigen Händen und zittrigem Kopf spricht Frau K. mit ebenso zittriger Stimme an, ob sie die Dame sei, die fürs Basteln und Singen zuständig sein wird, sie würden alle schon so darauf warten, dass es bald los geht, und ob dieses hübsche Mäderl denn ihr Töchterl sei. Anna Irene wird von allen begutachtet. Sie bemüht sich, freundlich zu lächeln, so, wie sie es von Frau K. gelernt hat. Dabei hat sie das Gefühl, als hätte sie ein schweres Brett auf dem Kopf liegen, unter dem sie hervorlugt.
Danach führt Frau K. die beiden zu allen wichtigen Räumlichkeiten, in geschäftiger Wichtigtuerei vorauseilend, während die Gänge sich mit »Guten Tag!«-Rufen füllen.
Ich würd mich so gern unsichtbar machen können …, denkt Anna Irene. Die Mauer um sie herum, deren Außenseite eine glänzend lackierte Herzeige-Fassade mit einem freundlichen Dauerlächeln zieren soll, schließt sich Stein für Stein immer höher. Die Rolle, die sie spielen soll, ist Anna Irene unangenehm, und doch bleibt ihr nichts anderes übrig.

Am Sonntagabend fährt Onkel Joe wieder zurück nach Linz. Angst und Leere bleiben zurück, Anna Irene traut sich kaum zu atmen, um keinen falschen Ton von sich zu geben. Sie fühlt sich von Frau K.s Nähe bedroht, ist unsicher in jeder Bewegung. Anna Irene überlegt gerade, ob sie ihr Buch zur Hand nehmen soll, als Frau K. wieder drohend im Türstock steht. »Hab ich nicht deutlich genug gesagt, dass du mit ›Guten Tag!‹ zu grüßen hast?! Was fällt dir eigentlich ein, einfach mit ›Grüß Gott‹ zu grüßen?!«
Aber ich wollte doch nur einmal nicht das Gleiche sagen, wie alle anderen …
»Na?!«, fordert Frau K. eine Antwort.
»Ja…«
»Was heißt ›Ja‹, ich will wissen, was du dir dabei gedacht hast!«
»Nichts…« Tu mir bitte nichts … Geh bitte wieder aus dem Zimmer …
»Schreib dir das jetzt hinter die Ohren! Wir grüßen nicht mit einem Kirchengruß! Wir sind Sozialisten und grüßen mit ›Guten Tag!‹! Auch der Verwalter hier ist Sozialist, nicht auszudenken, wenn dem sowas aus deinem Mund zu Ohren kommt! Wie wir dann dastehen. – Wenn ich das noch einmal höre, dass du so grüßt«, ihre Stimme wird nun ganz theatralisch, »dann gnade dir Gott!«

Kurz danach ist es mucksmäuschenstill in den beiden Zimmern. Anna Irene liegt auf ihrem Bett und versucht, ein Buch zu lesen, doch ihre Augen wandern nur über die Zeilen, ohne aufzunehmen, was da geschrieben steht. Nach einer Weile ertappt sie sich dabei, wie sie gedankenversunken ins Leere schaut. Damit Frau K. nichts davon bemerkt, blättert sie geräuschvoll um.
Dieses Bett hat überall so viele Kanten … wenn mich Mutti mit dem Kopf dagegen wirft, kann ich bestimmt tot sein … Ich muss da irgendwas zum Drüberlegen finden, damit das weicher wird …

In der Früh müssen Anna Irene und Frau K. zum Frühstück in den kleinen Saal gehen.
Zuhause in Linz war das viel gemütlicher, da konnte ich im Pyjama frühstücken …
Im kleinen Saal stehen zwölf kleine, quadratische Tische, die meisten einzeln und mit je vier Sesseln bestückt. Drei Tische bilden eine kleine Tafel, darauf sind zwei gegenüberliegende Plätze mit Tellern, Besteck und Häferln gedeckt. In der Mitte stehen Wurst und Käse, Butter, Honig und Marmelade und ein Korb voll Brot und Semmeln. Frau K. und Anna Irene nehmen Platz, kurz darauf erscheint eine Frau in hellblauem Arbeitsmantel und weißer Schürze aus der nebenan gelegenen Teeküche. Auf der anderen Seite der Teeküche befindet sich der große Saal, in dem die alten Leute frühstücken. Sie begrüßt die beiden, fragt, was sie trinken möchten, und geht, um die Getränke zu holen.
»Warum können wir eigentlich nicht auf den vorderen Plätzen sitzen?«, will Anna Irene von Frau K. wissen. »Die sind doch viel näher zur Küche.«
»Da sitzt die Familie Weißmüller, das sind die Verwalter des Pensionistenheimes. Die sind nur jetzt noch auf Urlaub. Und ich hoffe, du weißt dich dann zu benehmen, wenn sie wieder da sind. Sie haben zwei sehr wohlerzogene …«
Frau K. bricht ihren Satz ab, weil die Dame mit den Getränken wiederkommt und Anna Irene fragt, als hätte sie das Thema aus der Luft abgelesen: »Kennst du schon die Ruth und die Doris?«
»Nein…«
»Ihr werdet´s euch sicher gut verstehen. Sind zwei nette Mädchen, nur ein bisserl jünger als du«, erklärt sie mit aufmunderndem Lächeln, bevor sie zu ihrer Arbeit im großen Saal zurückkehrt.
Frau K. weiß gleich zu berichten: »Die Ruth soll ja lauter Einser in der Schule haben. Auf so ein Mädchen kann man richtig stolz sein.« Ein vorwurfsvoll fordernder Blick von Frau K. trifft Anna Irene.
Ich will sie gar nicht kennenlernen …
Eine Weile sitzen sich die beiden stumm gegenüber und essen.
Ich sollte mich vielleicht doch fürs Internat entscheiden … So schlimm wird das schon nicht sein – andere Kinder überleben es ja auch … Dann könnte ich ins Gymnasium gehen … Wieso hat sie mich eigentlich noch nie nach meiner Entscheidung gefragt, seit sie mir erzählt hat, welche Möglichkeiten ich habe? Sie hat mir damals erklärt, was eine Ganztagsschule ist, weil ich es nicht wusste, und seither nichts mehr dazu gesagt … Vielleicht kann ich mir das Internat ja noch anschauen … Vielleicht gehört das ja zu den vielen Sachen, die wir zu erledigen haben … Vielleicht sollte ich sie doch einmal fragen? … Aber ich trau mich nicht … Sie wird es ja bestimmt irgendwann von selbst wissen wollen …
Schließlich nimmt sie aber doch ihren Mut zusammen: »Ich möchte das gern probieren mit dem Internat, kann ich mir das einmal anschauen?«
»Na, jetzt ist es zu spät. Als ich dich gefragt habe, hast du nur für die Hauptschule Interesse gezeigt. Mittlerweile ist das fixiert. Außerdem kann man sowas nicht einfach ›probieren‹.«
Wieso hat sie mich nicht noch einmal gefragt? »Wieso …«, begann Anna Irene, musste aber gar nicht fertigsprechen:
»Weil man sich nicht alles ewig lange überlegen kann. Und wenn du so langsam im Denken bist, dann ist es ohnehin besser, wenn du nur in die Hauptschule gehst.«
»Ich bin nicht langsam im Denken, ich wollte…«
»Na glaubst du vielleicht, ich mach das jetzt alles wieder rückgängig? Was sollen sich denn die für eine Meinung bilden von mir?!« Sie bemerkt ihre steigende Lautstärke und spricht gedämpft weiter: »Vom ersten Klassenzug der Hauptschule kannst du auch nach der Vierten noch umsteigen oder eine berufsbildende höhere Schule besuchen, wenn du gute Noten hast. Außerdem ist die Ganztagsschule ein sehr guter Schulversuch, für den besonders die Sozialisten eingetreten sind. Die Schule kann also nicht schlecht sein. Die Dora kennt auch den Direktor dort.

Tagsüber erkundet Anna Irene auf ihren Rollschuhen die nähere Umgebung. Hinter dem Holzzaun, wo sie sich einen Spielplatz erhofft hatte, ist die Werkstatt eines Autofahrerclubs. Die Straße ist eine schöne Allee, aber weit und breit sieht Anna Irene keinen Spielplatz. Alte Häuser, die schon mindestens hundert Jahre dastehen, Hundehaufen, alte Menschen. Sie wünscht sich nach Linz, nach Hause, zu ihrem Spielplatz, zu ihren Freunden. Auf der anderen Seite des Pensionistenheimes befindet sich ein Fußballplatz, dahinter eine lange Mauer, an deren Ende eine Straße abzweigt, die nicht sehr einladend und schon gar nicht nach Spielplatz aussieht. Gegenüber sieht sie ein Umspannwerk und geradeaus eine große Kreuzung und eine Brücke, die über Bahngleise führt. Da dreh ich lieber wieder um, bevor ich nicht mehr zurück finde …
Sie fährt noch einmal die Allee entlang und entdeckt in einer Seitengasse einen italienischen Eissalon, kauft sich ein Eis und sieht dem herzlich lächelnden, sehr jungen Eisverkäufer in seine dunklen, Wärme ausstrahlenden Augen. Hier spürt sie einen Menschen und holt sich bis zum Ende der Ferien nun jeden Tag ein Eis, selbst, wenn sie eigentlich gar keines möchte. Wenn sie in diese warmen Augen schaut, spürt sie sich selbst, und die Sehnsucht nach Geborgenheit, die in ihr wohnt, tut weh. Aber so sehr es auch weh tut, es ist ein schönes Gefühl, sich selbst zu spüren. Bin ich jetzt verliebt?
Die beiden wechseln ein paar Worte, er fragt, warum sie immer alleine sei, sie antwortet, weil sie gerade erst hierher übersiedelt ist. Nach einer kurzen Pause fragt sie: »Ist der Eissalon im Winter zu?«
»Ja, im Oktober fahre ich nach Italien, in meine Heimat.« Er sieht, wie Anna Irenes Blick traurig wird, und fügt wie zum Trost und mit einem Lächeln hinzu: »Aber nächstes Jahr komme ich wieder.« Er zwinkert und reicht ihr den Eisbecher.

Zu Mittag wird im Keller gegessen – dort befindet sich der Personalspeiseraum, zwischen Großküche und Wäscherei. Übereinanderhängende Tabletts mit Namensschildern in metallenen Schrankwägen. Fertig portioniertes Essen auf Warmhaltetellern. Kein »bitte mehr Sauce« oder »kann ich noch einen Knödel haben«. Kuchen als Nachspeise, von denen sie kein Stück nachnehmen kann, wenn sie ihr zufällig schmecken.
Auch hier muss Anna Irene vielen fremden Menschen einen guten Tag wünschen, denn sie alle werden die Arbeitskollegen von Frau K.
Mineralwasserflaschen stehen auf den Tischen. Anna Irene mag kein Mineralwasser und fragt Frau K.: »Gibt es da auch etwas anderes zu trinken?«
»Oben am Gang, da, wo der Billardtisch steht, ist ein Automat. Da kannst du dir etwas holen.« Frau K. fischt eine Zehn-Schilling-Münze aus ihrer Geldbörse und gibt sie Anna Irene. Als sie aufsteht, richten sich zahlreiche Blicke auf sie und folgen ihr, mangels anderer Unterhaltung, bis sie bei der Tür draußen ist. Auf dem Gang durch den Keller trifft sie niemanden, atmet erleichtert durch, geht die Stufen hinauf. Der Aufzug steht zwar mit offenen Türen da, aber Frau K. hat ihr verboten, ihn zu benützen, da er für die alten Leute gedacht ist, und während sie fährt, könnte jemand anderer unnötig darauf warten. Sie würde es zwar jetzt nicht mitbekommen, aber ich weiß ja nicht, wer mich oben aussteigen sieht und es ihr vielleicht sagt …
Bis sie bei dem Getränkeautomaten ist, ruft sie fünfmal ein lautes, deutliches »Guten Tag!«. Als eine Dame nicht reagiert, wiederholt sie ihren Gruß lauter. Damit es hinterher nicht heißt, ich hätte sie ignoriert … Am Rückweg muss sie nur drei alten Menschen Gutes für den Tag wünschen, als wäre sie ihnen etwas schuldig, bevor sie wieder in den Keller zu ihrem Essen kommt. Wieder richten sich zahlreiche Blicke auf sie. Es sitzen jetzt mehr Menschen hier als zuvor. Anna Irene ist sich nicht sicher, wen davon sie bereits beglückt hat und wen nicht. Sie fühlt sich wie bei einer Prüfung, bei der sie nichts weiß, grüßt vorsichtshalber zu jedem Tisch, wo sie jemand ansieht, und fühlt sich gleichzeitig unheimlich dumm, weil sie nun bestimmt jemanden doppelt angesprochen hat.
Als sie sich setzt, bemerkt sie wieder dieses Gefühl, als läge ein Brett auf ihrem Kopf. Wie ferngesteuert gibt sie Frau K. die drei Schilling Retourgeld.
Einige mit ihnen am selben Tisch Sitzende fühlen sich scheinbar verpflichtet, Interesse an Anna Irene zu zeigen:
»Gefällt es dir hier?«
»Ja…« Was soll mir denn hier gefallen?
»Freust du dich schon, die Ruth und die Doris kennenzulernen? Ihr werdet euch sicher gut vertragen.«
»Ja, wir werden sicher viel Spaß haben.« Eigentlich will ich sie überhaupt nicht kennenlernen, die können mir gestohlen bleiben, wenn sie in allem nur besser sind, und so wohlerzogen …
»Freust dich schon auf deine neuen Schulkollegen?«
»Ja, und die Schule soll ja ganz super sein.« Ich will wieder zurück, in meine alte Schule, wo meine Freunde sind und die Liesi. Worauf sollte ich mich hier denn freuen?
»Hast du die Gegend schon ein bisserl erkundet?«
»Ja, mit den Rollschuhen.« Nur Kinder habe ich noch keine gefunden. Und keinen Spielplatz. Es gibt hier nichts für mich, ich gehöre nach Linz.
»Hast du auch schon die Hasen im Garten gesehen?«
»Nein …«
»Die werden dir gefallen!«
Anna Irene lächelt. Die Frau wendet sich Frau K. zu und sagt: »Die müssen´s ihr schon zeigen, die sind ja so süß!« Daraufhin sieht sie Anna Irene mit einem Blick an, als wäre sie vier Jahre alt und würde bestimmt beim Anblick der Hasen vor Freude völlig außer sich geraten. Aber vielleicht liegt es ja auch nur daran, dass Anna Irene das Gefühl des Vor-Freude-außer-sich-Geratens noch nie kennenlernen durfte, weil ihr jedes schöne Erlebnis durch Frau K. vergällt wurde. Irgendetwas fand sich immer, weshalb sie hinterher schimpfen, stoßen und an den Haaren reißen durfte oder den Umgang mit Menschen, die Anna Irene lieb gewonnen hatte, zu unterbinden wusste.
»Ja, das ist eine gute Idee, die werden wir nachher gleich anschauen!«, antwortet Frau K. in gekünstelter Freundlichkeit.

Der Weg zu den Hasen führt den ganzen Gang durch das eine Haus, durch die mittig liegende, beide Gebäude verbindende Empfangshalle und den halben Gang durch das zweite Haus. Obwohl es mehrere Türen in den Garten gibt, ist nur diese aufgesperrt. Da hätten wir doch sicher auch durch den Keller gehen können … Irgendwann bekomme ich einen Muskelkater in den Wangen vom vielen »Guten Tag«-Sagen und Lächeln …
Als die beiden neben dem Hasengehege stehen und Frau K. glaubt, sie müsse Anna Irene darauf hinweisen, wie herzig die Hasen mit den Nasen schnuppern, stürzen sich einige alte Frauen auf sie, umringen sie und nageln sie mit Fragen fest. Belangslose Fragen, wie sie Anna Irene bereits im Personalspeiseraum über sich ergehen lassen musste, und solche, die sie in die Rolle eines kleinen Mädchens zwingen. Und Feststellungen wie: »Du hast ja eine ganz liebe Mutti.«
Anna Irene vergisst, zu lächeln; der Wunsch, zu widersprechen, steht ihr ins Gesicht geschrieben. Aber es fällt ihr nicht auf, und so kommt es überraschend, als Frau K. beim Zurückkehren zur Personalschlafstelle plötzlich wortlos nach ihren Haaren greift, sie in ihr Zimmer zieht und dort aufs Bett stößt. Das Holzbrett!, denkt Anna Irene erschrocken und fängt sich mit den Armen ab. Frau K. schaut mit überlegenem Blick auf Anna Irene hinunter und, statt wie gewohnt zu schreien, zischt sie nur »Du …«, hebt drohend die Hand, schaut giftig und geht nach nebenan, in ihr spiegelverkehrtes Zimmer.

Das Wochenende vergeht sehr schnell. Onkel Joe kommt, sie spazieren alle gemeinsam in den Wienerwald und schauen sich die Stadt an. Nach außen machen sie den Eindruck, als wären sie eine ganz normale Familie.
Anna Irene bleibt keine Zeit, um mit Onkel Joe allein zu sein. Wieso kann ich nicht ein bisschen Ruhe von ihr haben? Sonst ist sie doch auch fast nie irgendwohin mitgegangen …
Bevor sie sich voneinander verabschieden, machen sie aus, dass am nächsten Wochenende Frau K. und Anna Irene nach Linz fahren. Vielleicht besuchen wir dann jemanden, da fährt sie bestimmt nicht mit …

Am nächsten Morgen sitzt die Familie Weißmüller bereits beim Frühstückstisch, als Frau K. und Anna Irene in den kleinen Saal kommen.
Es folgt ein sechsfaches »Guten Morgen!« in verschiedenen Tonlagen und ein gegenseitiges Vorstellen mit Händeschütteln. Nach den üblichen Fragen an Anna Irene setzen sich alle.
Während des Frühstücks unterhalten sich Herr Weißmüller und Frau K. über ihren Arbeitsbeginn.
Ruth und Anna Irene werfen sich prüfende Blicke zu. Wenigstens muss ich mit der nicht reden, solange sich die über die Arbeit unterhalten … Die ist viel zu fein und brav, meine Freundin wird die sicher nicht. Niemals wird mir die meine Liesi ersetzen …
Doris schmiert Butter auf eine halbe Semmel und bedeckt sie anschließend mit Zucker. Wenn ich das machen würde, würde Mutti nachher wieder schimpfen …
Herr Weißmüller fällt durch seine übertriebene Nettigkeit auf und dadurch, dass er beim Reden beinahe singt und konstant bis fast zu den Ohren grinst. Der wirkt so gekünstelt, das ist alles nicht echt …
Seine Frau ist ein eher ruhiger Typ. Beim Verabschieden nach dem Frühstück sagt sie zu Anna Irene: »Wenn du willst, kannst du gern zu Ruth und Doris kommen. Du brauchst nur anläuten, gleich die Tür neben eurer ist unsere.«

Anna Irene hat nicht gelernt, Einladungen abzulehnen, sie sieht es als ihre Pflicht an, anzuläuten, was sie wenig später auch macht. Doris öffnet. Die Weißmüllers haben hier eine große Wohnung, jedes der Mädchen hat ein eigenes Zimmer und vom Wohnzimmer gibt es einen direkten Ausgang in den hinteren Garten, in dem keine alten Leute sind. Das ist unfair, dass wir nur so kleine Zimmer haben, und die so eine große Wohnung … Hier herinnen kann man vergessen, dass man in einem Pensionistenheim ist …
Den Vormittag verbringen sie bei Gesellschaftsspielen, und nach dem gemeinsamen Mittagessen im Personalspeiseraum zeigen Ruth und Doris Anna Irene den restlichen Keller. Lagerräume gibt es da, vollgefüllt mit Möbeln, für die die alten Leute bei ihrem Einzug keinen Platz hatten. Da warten die Möbel, bis die Leute ganz gestorben sind…? Dazwischen findet sich ein Kegelspiel, bei dem die Kugel an einer Schnur hängt. Sie spielen eine Weile, dann gehen sie weiter. In der Großküche dürfen sie überall hin und alles ansehen. Riesige Kochtöpfe, Förderbänder und Frauen, die Gemüse so schnell wie im Zeitraffer zerschneiden.
Danach spielen sie Tennis auf dem Platz, der eigentlich für Lieferantenfahrzeuge gedacht ist. Es gibt sogar Halterungen für ein Netz, das Ruth und Doris holen und festmachen. Erst gefällt es Anna Irene und Ruth meint sogar, dass sie ganz gut spielt, aber nach einer Weile bemerkt Anna Irene einen unangenehmen Geruch. »Da stinkt´s«, sagt sie naserümpfend.
»Das ist die Entlüftung vom Leichenkammerl«, stellt Doris unbekümmert fest.
Anna Irene bekommt eine Gänsehaut. »Was? Die werden hier gelagert?«
»Naja, manchmal dauert es schon zwei, drei Tage, bis sie abgeholt werden«, weiß Ruth, »überhaupt im Sommer fangen sie dann zu stinken an.«

In der Nacht wird Anna Irene von einem Alptraum wach. Sie weiß nicht mehr genau, was sie geträumt hat, aber es hatte mit dem Tod und den Leichen zu tun. Ich hab den Tod eingeatmet … und dieses Leichenkammerl ist sicher nicht mehr als zehn Meter von mir entfernt … mir graust … Ich will hier nicht sein … So schön war es in Linz … ich will wieder zurück … Wieso hat sie sich nicht in Linz eine Arbeit gesucht? Sie hat es nicht einmal probiert …
Anna Irene weint unter ihrer Decke, ganz leise, damit Frau K. sie nicht hören kann.
Die Sendung im Fernsehen hab ich durch die Übersiedlung auch verpasst … wo Liesi und ich zu sehen waren … wie sie uns wegen dem Zaun interviewt haben, der trennend zwischen unsere Häuser gestellt wurde … Weil die SPÖ sich dagegen eingesetzt hat, sollten wir unsere Meinung sagen … dass wir wegen dem Zaun nun einen Umweg gehen müssen, wenn wir uns sehen wollen … Liesi war bei den Aufnahmen auf der einen Seite des Zauns, ich auf der anderen … und jetzt … Wenn ich bloß an diese Sendung gedacht hätte in der ganzen Hektik … die Mutti hat es gewusst und mich nicht erinnert … Und jetzt wäre ich so froh, wenn es nur dieser blöde Zaun wäre, der mich von Liesi trennt …

 

Lieber Barde!

jetzt habe ich den bislang letzten teil gelesen
Danke Dir dafür! Habe die Geschichte jetzt gründlich überarbeitet und ein wenig gekürzt. :)
wann kommt 19? schneller! schneller! oder sind wir dir als leser nicht gut genug? *smile*
Eigentlich wollte ich Nr. 19 im Urlaub fertigschreiben, hatte aber gerade mal Zeit, zwei Geschichten zu überarbeiten – ein echter Streß, so ein Urlaub. :D

in diesem teil merke ich, dass du dich vom geschehen persönlich distanzierst. der inhalt ist immer noch schockierend, wobei aber eher die angst von anna aus geschehnissen der vergangenheit genährt wird. distanziert, weil anfangs konnte der leser das leid viel deutlicher fühlen.
Die Misshandlungen waren schon noch da, aber ich deute sie meistens nur mehr an, da ich von mehreren Kritikern immer wieder gehört habe, dass es nicht so toll ist, wenn ich das immer wiederkäue. Aber es paßt so auch ganz gut zur Serie, denn erstens war es vorübergehend nicht mehr ganz so schlimm (wie etwa die Stecknadeln) – sie beschränkte sich auf ihre Lieblingsmethoden Haarereißen und irgendwo dagegenstoßen, außerdem war es weniger häufig – anfangs gab es ja kaum einen Tag, wo es nicht ausartete. Zweitens ist es aber auch so, daß man bei so einer Erziehung eben als kleines Kind das Fürchten lernt, um sich später so richtig gut fürchten zu können und aus Angst gehorcht; oder es zumindest versucht.
Und es ist auch so, daß hier und in den nächsten Folgen etwas anderes in den Vordergrund tritt, nämlich die Benützung von Anna Irene als Herzeigeobjekt zum Zweck der Befriedigung von Frau K.´s Anerkennungsbedürfnis. Daß sich Anna Irene dafür so widerstandslos benützen läßt (sie antwortet zum Beispiel auf Fragen ganz anders, als sie denkt/fühlt), ist bereits Folge der angstmachenden Gewalt.

im teil 18 hingegen, wahrscheinlich auch dadurch begünstigt, weil die misshandlungen sich sehr gemindert haben, erlaubst du anna eine gehörige portion ironie. wann schon konnte ein anna irene leser lachen? hier kann er es!
Die Ironie ergibt sich manchmal von selbst durch das, was Frau K. sagt, wie zum Beispiel die »Dann gnade dir Gott«-Szene. So eine Aussage ist ja aus sich heraus schon ironisch, da muß ich gar nichts dazu tun. So lustig es aber auch klingt, Frau K. meinte das ernst.

2 mal 3 meter, ich musste doch erst mal innehalten und mir vorstellen, wie dort ein bett, ein schrank, ein kleiner schreibtisch und noch ein waschbecken platz finden können, und wie viel platz noch für annas auslauf übrig ist *smile*.
Zwischen dem 90 cm breiten Bett und dem Schrank war jedenfalls höchstens ein Meter Platz, also kommt meine Schätzung schon ungefähr hin: da bleiben 60 cm Tiefe für den Schrank. Einzig das Waschbecken war in einer zusätzlichen Wandnische, die ich bei der Länge nicht mitberechnet, jetzt aber den Text entsprechend umgebessert habe.

der 2. gedanke, den ich bekommen habe, war, dass im altersheim anna bestimmt nicht misshandelt werden kann. vielleicht ist sie geschützt.
Ähm:
Anna Irene vergisst, zu lächeln; der Wunsch, zu widersprechen, steht ihr ins Gesicht geschrieben. Aber es fällt ihr nicht auf, und so kommt es überraschend, als Frau K. beim Zurückkehren zur Personalschlafstelle plötzlich nach ihren Haaren greift, sie in ihr Zimmer zieht und dort aufs Bett stößt. Das Holzbrett!, denkt Anna Irene erschrocken und fängt sich mit den Armen ab. Frau K. schaut mit überlegenem Blick auf sie hinunter und, statt wie gewohnt zu schreien, zischt sie nur »Du …«, hebt drohend die Hand, schaut giftig und geht nach nebenan, in ihr spiegelverkehrtes Zimmer.
Habe da noch ein »wortlos« eingefügt. Wie gesagt, es ist jetzt (eigentlich: vorübergehend) nicht mehr so schlimm, aber dennoch ist die Gewalt da; und vor allem die Angst davor.

einen schrank, den anna abschliessen kann, konnte ich nicht glauben, dass k das zulassen würde
Sie hat ihn ja nicht ausgesucht, er stand schon da drinnen. Allerdings zieht Anna Irene den Schlüssel nicht ab. Vorläufig zumindest … ;)

hier bekommst du die selbe kritik, wie bei der neuen lehrerin. zuerst schreibst du von annas angst und abneigung - und wenn sie sich dann den neuen menschen konfrontiert siehst, gibst du keine erklärung, ob und warum annas einstellung sich geändert hat.
Es geht dabei vor allem um die vielen Trennungen, die von Geburt an das Leben von Anna Irene bestimmen. Wenn Du dich an die erste Folge, die zur Zeit nicht online ist, erinnerst, kam Anna Irene nach der vorzeitig eingeleiteten Geburt wegen der Gelbsucht von Frau K. in ein Kloster, wurde also sofort von der »Mutter« getrennt. Dann kam sie wieder zurück – was eine Trennung von den Klosterschwestern (von denen ich mittlerweile überzeugt bin, daß sie sich wohl sehr nett gekümmert haben) bedeutet hat. Dann kam die Scheidung und damit die Trennung vom Vater, der Schwester und der väterlichen Oma. Und es kamen und kommen noch einige gewaltsame bzw. schmerzvolle Trennungen …
Sobald sich Beziehungen vertieft haben, wurden sie wieder zerrissen. Es ist nicht einfach, sich von Freunden trennen zu müssen und sofort andere an deren Stelle zu akzeptieren, die einem einfach so vorgesetzt werden und nichts mit den alten gemeinsam haben. Und es war ja mehr oder weniger der Zwang da, daß sich Anna Irene mit Ruth und Doris verstehen soll. Sie wollte ja natürlich, daß Frau K. mit ihr zufrieden ist, um ihr keinen Grund zum »Schimpfen« zu geben. Man baut dann eben eine Fassade auf, spielt das Theater um des ersehnten Friedens willen mit, obwohl man das, was man darstellt, nicht wirklich ist.

eine frage vorab, bis zu welchem alter wirst du schreiben?
Ich bin noch nicht bei der Hälfte – mehr verrat ich jetzt noch nicht. ;)

Danke nochmal fürs Lesen und Kritisieren,

liebe Grüße,
Susi :)

 

hallo susi,

ich hoffe, du hattest einen erholsamen urlaub.


ich habe einige punkte gefunden.
der eine rkitikpunkt bleibt trotz deiner erklärung bestehen. anna unternimmt etwas mit den beiden schwestern. sie zeigen ihr die versteckten kindgerechten orte, spielen gesellschaftsspiele und unterhalten sich. dass MUSS anna überrascht haben - die zeit mit den beiden ist angenehmer verlaufen, als anna es erwartet hat. natürlich darf sie abstriche machen - ihre liesi wird nie zu ersetzen sein.

Anna Irene hält eine Tasche in der einen Hand, mit der anderen die beiden schweren, selbstschließenden Türen auf, während Frau K. und Onkel Joe beidhändig bepackt hindurch gehen. Anna Irene beeilt sich, von der einen Tür zur anderen zu kommen, und läßt beide zufallen. Da faucht Frau K.: »Bist du verrückt? Lass doch die Türen nicht so zuknallen! Muss uns hier gleich jeder hören!?«
Sie gehen ein paar Meter über einen Gang, wo Frau K. eine der roten Türen aufsperrt.

4 mal "Tür" Da war noch eine weitere, drei Meter weiter, und sie versucht den Spagat, beide Durchgänge freizuhalten. oder Anna Irene beeilt sich mit einem Satz zur anderen zu kommen.. das letzte "Türen" solltest du vielleicht mit "Zugängen" ersetzen.

Durch einen kleinen Vorraum gelangt Anna Irene in das winzige Zimmer, das sie ab jetzt bewohnen wird. Frau K. hat das gleiche Zimmer, nur seitenverkehrt eingerichtet.

"Zimmer" ist doppelt. vielleich "Kammer"?

sie erinnerte sich an die Wohnung der alten Frau, bei der sie früher manchmal nach dem Kindergarten war. Anna Irene mochte diese Frau, nur durfte sie nicht mehr hin, nachdem Frau K. wegen einer Nichtigkeit mit ihr gestritten hatte.

3 mal "Frau". du vermeidest das synonym "Anna Irenes Mutter" für "Frau K", also ist das 3. "Frau" erzwungen. die erste "alte Frau" könnte auch eine "alte Dame" sein. das 2. "diese Frau" könnte auch "diesen Menschen" heissen.

Seit sie deren Wohnung kannte, wünschte sie sich genau so eine und gab den Kindern ihren Wunschtraum als Antwort: »Wir ziehen in eine Wohnung, in der man im Kreis durch die Räume laufen kann.

"Wohnung" ist doppelt. das 1. "Wohnung" könnte auch "Heim" heissen oder ganz um schreiben: Nachdem Seit dem sie gesehen hat, wie gemütlich (schön) sie lebt, wünschte ...

Anna Irene hat nicht gelernt, Einladungen abzulehnen, sie sieht es als ihre Pflicht an, anzuläuten, was sie wenig später auch macht.

ja, das ist besser!

inhaltlich ist die geschichte unverändert. du hast mal eine (mir) unbekannte abkürzung raus genommen und einige stilistische änderungen, aber der rext ist beibehalten. so ist die geschichte noch genauso gut, wie sie vorher war.

da ich von mehreren Kritikern immer wieder gehört habe, dass es nicht so toll ist, wenn ich das immer wiederkäue.

wenn die misshandlungen nicht aufgehört haben, dann ist es inhaltlich falsch, sie nicht mehr zu erwähnen. das wiederkäuen ist sicherlich unangenehm, besonders weil das geschehene den leser berührt. dennoch ist es notwendig. du hast verschieden möglichkeiten, das selbe zu wiederholen, was du ja auch angewendet hast.

"Das Unvermeidbare" - das als geraffte version der misshandlung,

"Anna Irene tastet ihre Stirn ab und erfühlt eine Beule, die sie sich für ihre Untat verdient hat." - das als zeitsprung version, die nur das ergebnis der misshandlung erzählt.
so kannst du es wenigstens stilistisch abfangen - inhaltlich aber gar nicht, ohne das zu erzählene zu verfälschen.

viel erfolg weiterhin.

bis dann

barde

 
Zuletzt bearbeitet:

Lieber Barde!

Danke für dieses prompte nochmalige Lesen! :)

ich hoffe, du hattest einen erholsamen urlaub.
Ich erhole ich mich gerade davon … :lol:

Hm, das mit den Türen: Ich hab dem zweitürigen Schrank sein Adjektiv genommen und Frau K. steht nicht mehr in der Tür, sondern füllt den Raum einfach so mit Worten. Aber die Türen am Beginn krieg ich nicht weg, auch Deine Vorschläge gefallen mir da leider nicht.

anna unternimmt etwas mit den beiden schwestern. sie zeigen ihr die versteckten kindgerechten orte, spielen gesellschaftsspiele und unterhalten sich. dass MUSS anna überrascht haben - die zeit mit den beiden ist angenehmer verlaufen, als anna es erwartet hat.
Ich sehe nicht, warum es sie überrascht haben sollte – es ist einfach, wie es ist. Auch finde ich die Orte eigentlich nicht besonders kindgerecht: Ein Kegelspiel macht das Möbellager eines Pensionistenheims noch nicht zu einem Spielplatz, auch eine Großküche ist das nicht, selbst wenn die Leute darin nett sind, und im Leichenduft Tennis zu spielen finde ich eher pervers als kindgerecht. ;)

Ich hoffe, Du bist jetzt nicht enttäuscht, weil ich noch einen Vorschlag nicht annehme, aber »Seit dem sie gesehen hat, wie gemütlich (schön) sie lebt, wünschte ...« sagt nicht das aus, was ich sagen will. Es geht nicht darum, daß die Wohnung gemütlich oder schön war, sondern daß man durch die Anordnung der Räume im Kreis laufen konnte, also nirgends in die Enge getrieben werden, sondern immer flüchten konnte. Ein Zimmer mit nur einer Tür ist eine Sackgasse.
Deine anderen Anmerkungen hab ich aber berücksichtigt. :)

"Anna Irene tastet ihre Stirn ab und erfühlt eine Beule, die sie sich für ihre Untat verdient hat." - das als zeitsprung version, die nur das ergebnis der misshandlung erzählt.
Es gab keine solchen Spuren, wie eine Beule. Frau K. war immer drauf bedacht, daß man nach außen hin nichts bemerkt – Schläge auf den Kopf oder ins Gesicht gab es nicht. Haarereißen sieht man nicht, und wenn Anna Irene wo dagegengestoßen wurde, fiel sie so gekonnt, daß es bestenfalls mal am Rücken blaue Flecken gab, die niemand sah. Aber selbst, wenn sie jemand gesehen hätte: körperliche Züchtigung war damals noch nicht verboten, alles, was Frau K. gemacht hat, war damals völlig legal …

wenn die misshandlungen nicht aufgehört haben, dann ist es inhaltlich falsch, sie nicht mehr zu erwähnen. das wiederkäuen ist sicherlich unangenehm, besonders weil das geschehene den leser berührt. dennoch ist es notwendig.
Du hast sicher Recht, und meistens deute ich sie ja auch an, nur nicht mehr so detailliert. Andererseits soll natürlich das Gewicht nicht ausschließlich auf körperlicher Gewalt liegen, denn die psychische Gewalt soll dadurch nicht in den Schatten gestellt werden. Psychische Gewalt tut viel mehr weh, weil sie die bleibenden Schmerzen hinterläßt, während körperliche Schmerzen schnell vergehen. Wobei natürlich hinter körperlicher Gewalt immer auch psychische Gewalt steckt, aber psychische Gewalt bedingt keine körperliche.
Es gibt viele Eltern, die sich zwar selbst einen Orden an die Brust heften, weil sie ach so gewaltfrei erziehen, meinen damit aber nur die körperliche Gewalt, während sie gar nicht merken, wie sehr sie ihr Kind psychisch unter Druck setzen und demütigen, oder einfach ihre Bedürfnisse nicht wahrnehmen.

So, jetzt aber genug, sonst wirds ein Referat, und das soll es nicht. ;)

Liebe Grüße,
Susi :)

 

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