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Anamee
Es schmerzte.
Anamee krümmte sich im Schutz des dichten Exomyzelgebüschs zusammen und hielt sich den zuckenden Unterleib. Glühende Klingen schienen in ihren Innereien zu rotieren und dieses Gefühl kam der Realität recht nahe. Sie presste ihren Atem durch zusammengebissene Kiefer.
Schreien, mehr wollte sie momentan nicht, aber schon ein lautes Seufzen konnte fresswütige Phagen anlocken.
Fast so gefräßig wie ihre lieben Kleinen.
Die Babys durchbissen die Außenwand ihres Uterus und begannen, sich seitlich durch ihren Fettschweller zu fressen. Anamee konnte die Krämpfe nicht mehr kontrollieren und ihre Beine knickten weg. Das Wunder der Geburt, dachte sie, während die Konturen des Schleimwalds vor ihren Augen verschwommen. Sie blinzelte die Flüssigkeit weg.
Keine Tränen. Noch nicht.
Mehrere Minuten lag sie da, aufgedunsen, mit zitternden Flanken. Einmal entfuhr ihr ein tonloses Keuchen, als eines ihrer Kinder an ihren Beckenknochen stieß, aber dann in die richtige Richtung weiterbohrte. Schwangerschaftshormone hatten den Panzer an ihrem Unterleib aufgeweicht, damit er nicht splitterte.
So musste sich eine reife Frucht kurz vor dem Platzen fühlen
Schließlich vernahm sie ein dumpfes Plumpsen, dann ein weiteres und eine gnädige Taubheit breitete sich in ihrem Körper aus.
Die Neugeborenen schrieen nicht, ihre Stimmbänder würden erst in ein paar Jahren funktionsfähig werden. Eine kleine genetische Vorsichtsmaßnahme, denn vorher war es mit ihrer Intelligenz nicht weit her. Auf Calshar hieß ein Mensch zu werden in erster Linie Fressen.
Die Kinder krochen in das Blickfeld ihrer Mutter. Sie waren bereits geschickte Krabbler auch wenn ihr Panzer noch nicht ausgehärtet war. Nur ein flüchtiger Schild aus Pheromonen schützte Anamee jetzt vor ihrem Nachwuchs. Von den messerscharfen Mundwerkzeugen, die noch wenig mit einem menschlichen Gebiss gemein hatten, troff das abgereicherte Blut von Anamees Fettschwellern.
Wenn die Geburtswunden nicht schnell genug wieder zuwuchsen, würde in wenigen Tagen ein Pilzgebüsch aus ihr hervorbrechen, nachdem es vorher ihre Innereien verflüssigt hatte. Darauf konnte sie genauso verzichten wie vom eigenen Nachwuchs zerrissen zu werden.
Sie betrachtete die kleinen Monster, die sie hervorgebracht hatte und für einen Moment fühlte sie ziemlich unmütterlichen Abscheu.
Das Wissen um die eigene Natur war nicht immer nur ein Vorteil. Aber was blieb einem Menschen auf Calshar denn übrig? Das Wissen war der Fluss aus dem man trank. Es war gewissermaßen flüssig.
Ein Mensch zu werden hieß fressen. Ein Mensch zu sein hieß Tränen vergießen zu können.
Die Babys warteten unruhig. Wenn ihnen Anamee nicht innerhalb von ein paar Minuten gab, was sie verlangten, würden sie ein Leben lang wilde Tiere bleiben.
Nun gut. Anamee verdrängte die Schmerzen vergangener Tage und die Qualen der letzten Minuten und bereitete sich auf die Lacrimations-Trance vor.
In ihrem Kopf sprangen chemische Fabriken an und synchronisierten sich allmählich mit ihren Nervenbahnen. Elektrochemische Übersetzer übertrugen das Blitzgewitter ihrer Gedanken auf Transkriptorproteine während sie sich auf die Erinnerungen und Erfahrungen ihres Lebens konzentrierte. Trägermoleküle wanderten in ihre Tränendrüsen. Kurzlebiges, flüssiges Wissen entstand.
Sie beugte sich zum ersten Neugeborenen hinunter.
Kloinaa, dachte sie, während es mit harten Fängen die Tränen von ihrer Wange schabte. Falls es überlebte, würde es ein Mädchen werden.
Lutanoo, flößte sie dem Jungen ein.
Die Babys schleckten die Flüssigkeit in spezielle Speichertaschen. In ein paar Jahren, wenn sie sich genug Gehirnmasse angefressen hatten, würden sie die Geschenke ihrer Mutter verarbeiten können.
Als die Tränen versiegt waren, schüttelte sie die Benommenheit der Trance ab. Anamee rieb sich den juckenden Unterleib und warf noch einen letzten Blick auf die Krabbler.
Dann floh sie vor ihrer Brut in den Schleimwald.
Diese Kinder waren kein Zufall oder ein Beitrag für das, was von der Menschheit auf Calshar noch übrig war.
Nur wenige Monate zuvor befand sich Anamee in den matschigen Weiten eines Hefesumpfes. Der blanke Hunger hatte schließlich über den gesunden Menschenverstand gesiegt. Niedere Pilze kämpften zwar nicht, wenn man sie aufaß, aber genau deshalb trieben sich auch einige Makrophagen gerne hier herum, träge amöboide Giganten, aber dafür sehr, sehr klebrig. Wer erst mal ihre Verdauungssäfte am Hintern hatte, floss bald den Weg hinunter, Panzer hin oder her.
Der Himmelsring hob sich als dunkles Band gegen den Nebel ab. Anamee kniete gerade vor einem Tümpel und schlürfte nahrhaftes und vor allem wehrloses Protein in sich hinein, als sie im Myzelgebüsch eine Bewegung bemerkte. Sofort sprang sie auf und klappte ihre Klauen hervor, bereit zum Kämpfen oder wahrscheinlicher zur Flucht. Aber es war kein Phage, sondern ein merkwürdig weißes Bündel, was aus dem Dickicht hervorrollte.
Das Etwas entpuppte sich als eine humanoide Gestalt, die langsam auf sie zukroch. Eine merkwürdig glatte Hülle bedeckte seinen gesamten Körper mit Ausnahme des Kopfes, jedoch deutete ein metallener Ring an seinem Hals darauf hin, das dort etwas fehlte. Unzählige dünne Auswüchse sprossen aus seinem Schädel und seine Haut hatte eine vollkommen falsche Farbe. Sie sah weich aus, als ob sie keinen Panzer hätte. Als es aber den Kopf hob, lag auf seinem Gesicht unverkennbar menschliche Qual.
„Was bist du?“, fragte sie.
Das Wesen röchelte nur und Anamee fragte sich, ob sie nicht doch lieber weglaufen sollte. Aber ganz offensichtlich lag es im Sterben und noch kurz vor seinem Tod einem intelligenten Wesen zu begegnen, war ein seltenes Privileg. Niemand wusste, wie viel vom menschlichen Wissensschatz jedes Jahr einfach wegstarb, ohne dass es jemanden gab, der es weitertragen konnte. Vom moralischen Standpunkt aus gesehen, war sie verpflichtet, die Erinnerungen dieses merkwürdigen Weichlings zu retten, ganz abgesehen von der Neugier, die in ihr wuchs.
Der Legende nach lief der Prozess der Lacrimation im Augenblick des Todes ganz automatisch und ohne Trance ab. Anamee hatte noch nie die Tränen eines Sterbenden getrunken und sie stellte erstaunt fest, das sie keinen Ekel bei dem Gedanken empfand.
Die Atemzüge des Wesens wurden flacher, seine Augen blickten sie flehend an. Als sie sich ihm näherte, sah sie auch die Trübung seiner Linse und den weißlichen Ausfluss auf seinen Lippen, die charakteristischen Anzeichen einer Pilzinfektion.
Anamee leckte an seiner Wange. Die Haut war tatsächlich so nachgiebig wie eine Sporenkapsel, leicht rau und außerdem staubtrocken.
Sie hielt inne. Ein dünner Feuchtigkeitsfilm bedeckte seine Augen, aber sie konnte weder angeschwollene Drüsen noch irgendwelche Tränen entdecken. War das ganze doch nur ein Mythos?
Der Weichling keuchte noch einmal und erschlaffte. Seine Pupillen erweiterten sich zu einem dunklen Schlund. Jetzt oder nie, dachte Anamee.
Vorsichtig saugte sie etwas Flüssigkeit von seinem Augenlid.
Sie schmeckte Salz, sonst nichts. Keiner der Transkriptoren in ihrem Mund reagierte. Der Tropfen, den sie getrunken hatte, war genauso tot, wie der Weichling.
Nur mit Mühe widerstand sie der Versuchung, sich die eigenen Klauen in den Hinterleib zu bohren. Die Geburtswunden heilten, ja, aber sie juckten auch zum wahnsinnig werden. Anamee schüttelte sich, fluchte lautlos und trabte weiter.
Der Schleimwald lichtete sich und gab den Blick auf den Himmel frei. Um diese Jahreszeit war der Hochnebel dünn genug, so dass man die Einzelheiten des Ringes sehen konnte. Das Band aus orbitalen Trümmerbrocken hob sich deutliche gegen den Hintergrund hervor. Ab und zu blitzte ein Lichtreflex auf.
Der Ring war ein relativ zuverlässiges Mittel zur Orientierung, aber Anamee blickte trotzdem kurz auf ihren Kompass, nur um sicherzugehen. Der Kompass war eines der wenigen technologischen Artefakte, die sie mit sich führte, sie hatte ihn zusammen mit anderem Schrott aus einer von Sporenfängern überwucherten Gebäuderuine buchstäblich herausgekratzt. Sie hatte das unnütze Zeug monatelang mit sich herumgeschleppt, bis sie eine andere Wanderin namens Isalimee getroffen hatte, mit der sie die Hälfte der Geräte gegen ein paar Tropfen des alten Wissens tauschen konnte. Ein Großteil des Gerümpels erwies sich sowieso als defekt, eine Projektilwaffe zum Beispiel und viele kleine Computerdinger, die früher anscheinend das Denken übernommen hatten.
Anamee steckte den Kompass zurück in ihre Umhängetasche und schritt in die karger werdende Landschaft hinaus.
Wenn die Begegnung mit dem Weichling ein Zufall war, dann grenzte das Zusammentreffen mit dem Alten an ein Wunder. Es geschah keine Woche später und Anamee hatte schon seit Tagen das Gefühl, verfolgt zu werden. Sie saß gerade auf einem pilzfreien Stein und untersuchte wieder einmal die seltsame weiße Hülle, die der Fremde anstatt eines Panzers getragen hatte, als der Wanderer aus dem Myzelgebüsch trat.
Man sah ihm sein Alter sofort an, der gebückte Gang, das matte Schwarz seiner Panzeroberfläche und die enormen Tränensäcke unter seinen Augen sprachen Bände. Nach Anamees Schätzung würde nicht mehr allzu viel Zeit vergehen, bevor er in die ewigen Hefegründe einzog.
„Grüße, Wanderer! Die Tränen meiner Mutter nannten mich Anamee“, sagte sie und kreuzte die Arme, wie es die gute alte Höflichkeit gebot.
„Grüße, Wanderin!“, antwortete er. „Die Tränen meiner Mutter tauften mich Meniloo.“
Er humpelte langsam näher. Sie konnte nicht ganz erkennen, wie viel davon gespielt war. Es musste den Alten ziemlich viel Kraft gekostet haben, mit ihr Schritt zu halten. Jedenfalls hielt er sich nicht mit dem üblichen Geplänkel auf, sondern deutete mit verkrümmten Klauen auf ihre Beute.
„Darf ich dich fragen, wo du das her hast?“
„Das hier?“ Anamee überlegte kurz, aber der sterbende Weichling war wahrscheinlich keine Erfahrung über die man gewinnbringend verhandeln konnte. „Das habe ich bei einem Toten gefunden. Einem seltsamen weichen Menschen.“
„Weich…“, murmelte Meniloo. „Du meinst, er hatte keinen Panzer?“
War hier doch noch ein Handel drin? Anamee wedelte mit dem Fetzen. „Nein. Nur das hier.“
Auf dem Gesicht des Alten schien die Sonne aufzugehen. „Ein Basismensch!“, flüsterte er. „Nach all den langen Jahren!“
Anamee horchte auf. Was hatte der alte Knacker da eben gesagt?
„Weißt du etwas über diesen Weichling? Gibt es noch mehr von ihnen?“
Der Alte grinste. „Einer der wenigen Vorteile des Alters ist es, das man eine Menge sehr alten Wissens gesammelt hat. Ja, ich weiß mehr, als du dir vielleicht vorstellen kannst.“
Meniloos Pheromonausstoß hatte sich plötzlich erhöht. Anamee klickte misstrauisch mit den Zähnen.
„Was verlangst du für dieses Wissen? Ich habe Erinnerungsfragmente eines Phagenjägers. Die Geographie der südlichen Schimmelfelder. Oder einen Kompass. Und ein funktionierendes Bogenmesser.“
Der Alte winkte ab. „Nein danke, kein Interesse.“
Schleimdreck, dachte Anamee. Sie wollte mehr über den Weichling, Basismenschen oder Was-auch-immer wissen, es ließ sie nicht mehr los. Verflucht sei ihre Neugier.
„Was willst du dann?“
Er hüstelte und kam noch ein paar Schritte näher.
„Ich weiß dass eine junge Frau wie du einen besseren Partner finden kann.“, sagte er und hatte zumindest den Anstand ein bisschen verlegen zu klingen. „Aber ich hatte in den letzten Jahrzehnten nicht allzu viele Gelegenheiten, meinen Beitrag zur Erhaltung der Art zu leisten.“
Darum ging es also. Der alte Sack hatte also immer schön seine Samenpakete gepackt, sie aber keiner Frau unterschieben können. Kein Wunder, seine besten Jahre waren seit Ewigkeiten vorbei und wahrscheinlich war er nicht einmal damals besonders attraktiv gewesen.
Der Begattungsvorgang war zwar weder für Mann noch für Frau besonders aufregend, aber mit dem Bewusstsein zu sterben, weder Gene noch Wissen weitergegeben zu haben, war auch nicht gerade erstrebenswert.
„Ich soll deine Nachkommen austragen? Ist es das was du als Gegenleistung willst?“
Anamees Stimme zitterte leicht. Sie hatte noch nie Kinder gehabt, aber das biologische Wissen, das ihr ihre Mutter mitgegeben hatte, reichte aus, ihren Panzer kribbeln zu lassen.
Meniloo nickte. „Wärst du dazu bereit?“
Anamee dachte an gefräßige kleine Krabbler. Dann dachte sie an den Weichling und an ihre Enttäuschung über das Schweigen seiner Tränen.
Es würde ein Leben lang wie Phagensaft an ihr brennen, wenn sie diese Chance nicht nutzte.
Schließlich willigte sie ein.
Nach etlichen Tagen Wanderung näherte sich Anamee der Grenze zum Hochland. Sie hatte die trüben Wasser des Flusses an der schmalsten Stelle durchquert, aber einen Umweg genommen, um die phagenverseuchten Schimmelfelder zu meiden. Nun wurde der Boden trockener, regelrecht feinkörnig, ein merkwürdiges Gefühl unter den Füßen. Hier kannte sie sich nicht mehr aus und musste sich von fremden Tränen leiten lassen.
Trotzdem war man nie vor Überraschungen sicher.
Wie Peitschen schnellten die Fanghyphen aus dem Untergrund und wickelten sich um ihre Beine. Anamee wurde unsanft von den Füßen gerissen und schlug der Länge nach hin. Kleine Kiesel spuckend fuhr sie herum. Weitere Fäden schlängelten sich aus dem Sand hervor und ohne Zweifel würde bald der Gallertkörper folgen. Wieso wollte eigentlich alles auf der Welt nichts anderes als einen enzymatisch zersetzen und dann aufsaugen?
Sie versuchte sich mit einer Hand in den sandigen Boden zu krallen, während sie mit der anderen auf die Hyphen einhackte.
Zwecklos. Die dünnen Fäden waren stärker als sie wirkten. Mit ihren Klauen ließ sich nichts machen. Hektisch griff sie in ihre Tasche, kramte das Bogenmesser heraus und betete, dass die Batterie nicht gerade jetzt aufgab. Hinter ihr begannen kleine Fontänen von Verdauungssäften aus dem Boden zu sprudeln.
Ein sonnenheller Lichtbogen spannte sich zwischen den Klingenpolen, nur um gleich darauf wieder zu erlöschen. Schimmelfraß. Anamee schüttelte verzweifelt das Messer, während sie unaufhaltsam nach hinten gezogen wurde. Dann endlich ein neues Flackern. Sie hieb auf die Pilzhyphen ein und durchschnitt sie nahezu widerstandslos. Dann rappelte sie sich auf und sprang gerade noch rechtzeitig zur Seite.
Der Sand brodelte wütend, aber die amputierten Fäden zogen sich in den Untergrund zurück. Nur die abgeschnittenen Enden zuckten orientierungslos an ihren Beinen.
Nachdem Anamee sie abgeschüttelt hatte, verharrte sie und betrachtete das Messer. Erschaffen von Basismenschen vor sehr langer Zeit. Meniloos Wissen über diese merkwürdigen Kreaturen war in der Tat so umfangreich, dass sie mehrere Stunden gebraucht hatte, um es in sich aufzunehmen. Sie hatten es längst hinter sich gebracht und der Alte hatte sich mit einem Ausdruck sentimentaler Freude auf dem Gesicht verzogen, vermutlich in die Sümpfe um zu sterben, da saß sie immer noch da und staunte, fast so wie jetzt.
Basismenschen gab es schon sehr lange, vielleicht seit Millionen von Jahren. Sie zogen immer wieder aus, um neue Welten zu erschließen, so wie sie nach Calshar gekommen waren.
Meniloo wusste auch einiges über ihre Biologie. Zum Beispiel fraßen sich ihre Babys nicht aus der Mutter heraus. Eine himmelschreiende Ungerechtigkeit, wie Anamee fand.
All die uralten Bauwerke und Geräte, die man manchmal fand, stammten von ihnen. Seit Hunderten von Jahren hatte man keinen Basismensch mehr auf dem Planeten gesehen. Ein Krieg, eine Katastrophe, irgendetwas hatte sie vertrieben. Der mächtige Himmelsring war ein Überbleibsel dieses Irgendetwas.
Aber auch Meniloo wusste nicht, ob die heutigen Menschen auf Calshar von diesen Weichlingen abstammten. Anamee konnte sich das kaum vorstellen. Der Gedanke, mit diesem Wesen, das unter ihren Blicken so jämmerlich an ein paar mikroskopischen Pilzen verendet war, verwandt zu sein, erschien ihr absurd. In Meniloos Erinnerungen tauchten einige merkwürdige Begriffe wie Genetik auf, aber auch er hatte keinen Schimmer gehabt, was damit gemeint sein könnte.
Die Landschaft wurde immer öder und schroffer, die bunte Schleimflora kam mit der Trockenheit nicht klar. Der Kompass und Meniloos Erinnerungen verstanden sich hingegen prächtig. Anamee zog sich über Felsen und ignorierte den Sand, der in ihren Gelenken knirschte. Leere, halbversunkene Betonschalen und Fahrzeugwracks ragten aus dem Geröll. Der Ring stand genau über ihr. Es konnte nicht mehr weit sein.
Eine Brücke zwischen Himmel und Calshar sollte es geben, der Alte hatte es selbst gesehen. Ein Kabel, das vom Boden zum Himmelsring hinaufführte. Damals, vor dreißig Jahren, war dort alles still und verlassen gewesen. Aber mindestens ein Basismensch war auf Calshar gewesen. Wie, wenn nicht über die Brücke, sollte er hierher gekommen sein?
Anamee kletterte, kroch und keuchte. Schließlich gelangte sie an den oberen Rand der Felsenkette. Nur wenig mehr als ein Meter trennte sie von den kantigen Bergrücken. Sie verhakte sich mit ihren Klauen in der Kante und zog sich an ihr hoch.
Der Ausblick war berauschend, nicht zu vergleichen mit den nebligen Sumpfniederungen. Die Luft war kristallklar und die Sonne schien auf ihren Panzer. Vor ihr erstreckte sich eine Wüstenebene, deren Horizont flimmernd in den Himmel überging.
Genau dort zog sich ein hauchdünner schwarzer Strich zum Ring hinauf. Sein unteres Ende verblasste in der heißen Luft, aber er war eindeutig da.
Sie schwang den Unterleib über die Kante und zuckte nur kurz zusammen, als sich das Erbe ihrer Babys für einen Moment bemerkbar machte.
Anamee kontrollierte den Wasservorrat in ihrer Tasche, Kompass, Bogenmesser und getrocknete Hefekapseln.
Sie lächelte. Es war machbar. Dann sah sie wieder in die Ferne.
Genau in diesem Moment begann ein winziger Punkt am Kabel im Sonnenlicht zu blinken. Und er bewegte sich abwärts.