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An einem Novembertag am Kleinen Wannsee

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29.01.2010
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An einem Novembertag am Kleinen Wannsee

Klirrend kalt brach der Tag, mit dem Morgengrauen des 21. November 1811 an. Im Gasthof „Stimmings Krug“ am Kleinen Wannsee waren zwei Fenster bis spät in der Nacht hell erleuchtet geblieben. Heinrich von Kleist und Henriette Vogel schrieben in ihren Zimmern Briefe an ihre Nächsten. Sie teilten ihren Entschluss mit, gemeinsam ein Bündnis auf ewig einzugehen. Oft und immer wieder hatten sie darüber gesprochen, in den zwei Jahren, seit sie eine zunehmend innige Freundschaft verband. Der Ehemann von Henriette, Friedrich Ludwig Vogel, genannt Louis, hatte zugestimmt, sie freizugeben, sich scheiden zu lassen.

Seit ihrer Ankunft waren sie den Wirtsleuten und den anderen Gästen durch ihre euphorische Stimmung aufgefallen. Wenn sie lauter miteinander sprachen, waren manch vertrauliche Worte zu hören. Wie in jugendlichem Übermut, obwohl sie anfangs der dreissig waren, zierten sie sich nicht ihre Gefühle zu zeigen. Bei Heinrich war dies ein sehr ungewöhnliches Verhalten, er der sonst eher reserviert und unterkühlt wirkte.

Nach dem Lichterlöschen war Heinrich noch lange wach gelegen, um zwischendurch wieder aufzustehen, ans Fenster zu treten und hinauszuschauen. Zu erkennen war nichts, doch liessen seine Gedanken ihm Bilder aufkommen. Es waren die zunehmenden Zwiespältigkeiten, die ihn seit dem vierzehnten Lebensjahr quälten. Damals musste er unter dem starken moralischen Druck der Familie ins renommierte Garderegiment eintreten. Nach sechs Jahren quittierte er zum Entsetzen seiner Familie den Dienst als Offizier, weil ihm das knechtisch-disziplinierte Wesen des Söldnerheeres missfiel. In seiner Familie war der Beruf als Soldat Tradition. Die von Kleists wurden stets hochdekoriert, darunter achtzehn gar als Generäle. Verzweifelt suchte er ob der gesellschaftlichen Missachtung, der er daraufhin anheimfiel, nach einer Möglichkeit, wieder Anerkennung und Wohlstand zu erlangen. Vergeblich! Wirtschaftliche Zwänge stellten sich gegen seine poetische Neigung. Die Sehnsucht nach einer Zweisamkeit von edlem Geiste kam immer wieder in Konflikt mit selbstzerstörerischen Gefühlen von Bindungsunfähigkeit. Was er in seine Werke einfliessen liess, war Teil eigener Lebenseinstellung. Es gab keine Liebe, die ewig hielt, keine Zärtlichkeit, die andauerte, keine Begierde, deren Flammen nicht wieder erloschen. Verbundenheit zeigte nur Dauer in einer rein geistigen und musischen Beziehung. In dieser Nacht durchlebte er in Gedanken diese und andere Spannungen noch einmal in allen Facetten. Vor wenigen Wochen wurden seine Artikel in den „Berliner Abendblättern“, die sich gegen den preussischen Staatskanzler Hardenberg richteten, durch die Zensur der Zeitung gestoppt. Als er dem preussischen Herrscherhaus sein letztes literarisches Stück überreichte, den „Prinzen von Homburg“, in dem der General in Ohnmacht fällt, stürzte er am Hof endgültig in Ungnade.
Auch Henriette fand vorerst keinen Schlaf. Sie hatte es sich lange schon ersehnt, diese Erlösung, und mit Heinrich wird es ihr nun gelingen. Dieser Mensch von edler Denkart, der Poet, mit dem sie eine tiefgeistige Verbundenheit zusammenschweisste. Es war die Musik, die sie vorerst einander näherbrachte. Alsbald erkannten sie die andern Gemeinsamkeiten und fühlten sich füreinander bestimmt. Ihrem Wunsch entsprechend erläuterte er ihr die Kriegskunst und lernte sie das Fechten. In der Gesellschaft sprach man von ihnen beiden als einem platonischen Paar ohne Leidenschaft. Dass ihr Äusseres nicht mit besonderen Reizen ausgestattet war und sie auch nicht dem Adel zugehörte, lastete man ihr an. Doch die Gerüchte taten ihr nichts an, sie wusste um die niedrigen Beweggründe derer, die sie streuten. Es waren Adam Müller, dessen Zuneigung einst von ihr nicht erhört wurde, und Marie von Kleist, eine Verwandte von Heinrich, die eine Verbindung von ihm ausserhalb des Adels aus Standesdünkeln für unwürdig hielt. Henriette hatte mit ihrem Gesang und ihrer reizvollen Art ein gewinnendes Wesen und als Gesellschafterin ein gewisses Ansehen. Ihre Kenntnisse von Musik und Kunst gaben ihren Gesprächen etwas Beflügelndes. Die Verbundenheit mit Heinrich war beständig, was anderen Frauen nicht gelang, erreichte sie. Mit diesen Gedanken fand sie dann doch einige Stunden Schlaf.

Heinrich klopfte an die Tür von Henriette. «Bist du schon wach, mein Herzchen?»
«Ja mein Herznärrchen, komm rein.» Sie rekelte sich im Bett, ihren geliebten Freund mit warmen Gefühlen empfangend. Heute würde ihr gemeinsamer grosser Tag werden. Sie rückte auf die Seite und hob die Bettdecke etwas an.
«Leg dich noch etwas neben mich, mein Liebster. Ich möchte diesen Moment noch auskosten.»
Heinrich, der schon voll bekleidet war, legte seinen Gehrock ab, setzte sich auf den Bettrand und zog die Schuhe aus.

Ein Blick nach draussen zeigte ihnen, das Wetter war verdriesslich. Ein unfreundlicher Tag, an dem niemand sich freiwillig länger als notwendig draussen aufhielt. Etwas Sonne wäre schön gewesen, die euphorische Stimmung welche sie beide beherrschte, das Gloriose ob diesem, ihrem Tag, unterstreichend. Doch es war November, ein Herbsttag, der mit seiner schärfsten Kälte der Natur seinen Lauf wies.
«Hast du es vorbereitet, mein Liebster?» Der Blick, mit dem sie ihn dabei fragend ansah, drückte sanft ihre ganze Erwartung auf das Kommende aus. Nicht ohne Furcht, aber doch einer Bestimmtheit, die keiner Kehrtwendung mehr Raum geben würde.
«Ja, mein Jettchen, der Triumphmarsch kann beginnen, der Vollzug in Angriff genommen werden», er nahm den Mantel zur Hand und schlug auf die innere Brusttasche, als Zeichen des Vorhandenseins wessen sie benötigten.
Sie fasste nach seiner Hand, sie liebevoll drückend, er umschloss die ihre fest.

Das Wasser plätscherte in leichten Wellen an das Ufer, in den Kieselsteinen vereinzelt Blasen bildend, kräuselnd sich wieder zurückziehend. Heinrich nahm einen ebenen Stein zur Hand und liess ihn mit flachem Wurf über das Wasser springen, bis er versackte. Henriette, fand Gefallen daran, tat es ihm gleich. Ein Spiel, das einem Wettkampf glich, der sich jedoch nicht exakt messen liess. Alsbald machten sie sich auch einen Spass daraus, dass der eine sich versteckte und der andere ihn suchte. Bei jedem Wiederfinden sich lachend in die Arme fallend, als ob die Frühlingstriebe um Monate zu früh ausgebrochen wären. Auch fanden sich ihre Hände wie zu einem Reigen und sie tanzten nach einer imaginären Musik.

Der Tagelöhner, welcher in einem offenen Unterstand handwerkliche Arbeiten verrichtete, beobachtete das Paar, wie es da miteinander schäkerten. Es war eine Unverfrorenheit, die die Beiden an den Tag legten. Kinder würde man bei überbordender Ausgelassenheit zu Anstand ermahnen, wenn nötig züchtigen. Da, sie liebkoste ihn gar. Der Herr wirkte erst unwillig, doch dann ging er darauf ein. Zum Gasthof wandten sie nie einen Blick, als ob sie keinen Bedenken hätten, gesehen zu werden, oder einfach fehlendes Schamgefühl. Er selbst war ja einfachen Standes, aber so was gebührte sich seiner Meinung nach auch für diese Herrschaften in der Öffentlichkeit nicht. Der Sittenzerfall dünkte ihn schon schlimm, in dem sich manche Leute überhaupt nicht zierten. Glücklicherweise ist es sehr kalt, das Ärgste würde er nicht mit ansehen müssen, waren seine Gedanken. Wenngleich, ein bisschen Neid, kam ihm schon auf.

Henriette und Heinrich waren hüpfend an einen Holztisch geeilt, der in Ufernähe stand, und setzten sich auf die Bank. Die Kälte wurde in dieser Stellung wieder spürbarer. Heinrich legte seine Arme wärmend um Henriette, die sich dankbar anschmiegte.
«Ich werde uns Kaffee und Rum bestellen, dies wärmt», sagte Heinrich. Er erhob sich und ging auf den Gasthof zu. Henriette warf ihm eine Kusshand nach.
Die Wirtsleute nahmen die Bestellung verwundert auf, heimlich kopfschüttelnd, dass dies am Ufer des Sees serviert werden sollte. Doch der Gast war König, einen solchen Wunsch zu erfüllen war wohl sonderlich, aber nicht unmöglich. Das Paar war in merkwürdiger Art verliebt, darin waren sie sich einig. Ihre Besessenheit konnten sie nur so deuten.
Der dampfende Kaffee tat gut, sich die klammen Hände daran wärmend. Ein Schuss Rum, immer wieder mal nachschenkend, trieb auch die inneren Geister noch stärker belebend an. In überschwänglicher Stimmung prosteten sie einander zu, bis die Karaffe geleert und die Kanne mit Kaffee nur noch einen Bodensatz zeigte.
Das Spiel begann von Neuem, noch ausgelassener nach diesen einheizenden Getränken. Im Grau am Himmel zeigte sich eine leichte Helle, eine schimmernde Ahnung der Sonne, ohne dass es der Kälte etwas anhaben konnte. Sie tanzten wieder zu einer Musik, deren lieblichen Klänge einzig in ihren Köpfen spielte. Im Tanzschritt schwebten sie nun davon, sich den Blicken des Taglöhners entziehend, eine Mulde weiter hinten hinabgehend.

Zwei Möwen liessen sich beim Tisch nieder, wo Henriette und Heinrich kurz zuvor noch vergnügt sassen. Sie suchten nach Nahrung, die Gäste an dieser Stelle manchmal achtlos wegwarfen. Doch hier gab es für sie nichts zu holen.

Henriette und Heinrich standen in der Senke, hielten einander an den Händen und blickten sich tief in die Augen. Ihr Gesicht zeigte ein Lächeln, während er sie forschend ansah, als lese er in ihren Augen, sich nochmals der Sache zu versichern. Was er darin fand, war ein Ja, ja, ja. Diesem Lächeln, eine gewisse Bitterkeit schwang wohl auch mit, konnte er sich nicht entziehen, das forsche schwand aus seinem Antlitz, das bejahende Lächeln seines Einverständnisses trat an dessen Stelle.
«Ja Heinrich, mein Herzensnärrchen, meine Einsamkeit, mein Schiff, ich will mit dir diese Reise antreten, die uns die grosse Erfüllung bringt.»
«Ich auch Täubchen, mein Herzchen, Herzallerliebstes. Ja, auch ich bin bereit zu dem, das ich mir schon lange ersehnte. Mit dir gemeinsam diesen Weg zu gehen, zur Erfüllung unserer beider innigstem Wunsch.»
Ihre Arme umschlossen sich und ihre Gesichter neigten zueinander, zu einem letzten Kuss.
Heinrich drehte sich leicht ab, tastete mit der Hand in die Brusttasche und zog die durchgeladene Pistole heraus. Er hielt den Lauf auf ihre Brust, dorthin wo ihr Herz schlug. Der Schuss hallte durch die kalte Stille, in der Nähe flogen Wasservögel auf.
Seine Hand spürte das Blut an ihrem Rücken. Henriette war tot, ihre Sehnsucht erfüllt.
Langsam beugte sich Heinrich mit Henriette in den Armen zu Boden, sie ins Gras bettend, und legt sich neben sie. Der Pistolenlauf im Mund nach oben richtend, sich der Wirkung des gewählten Schusskanals ins Gehirn sicher, drückte Heinrich ab, auch er seiner lang währenden Sehnsucht nun endlich folgend.

 

Anmerkung zur Geschichte:

Kleistsche Arkaden - insgeheim hätt' ich dergleichen bei seinem Jubelfeste schon erhofft

Diese Worte von Friedrichard vom 9. März 2011, im Kommentar zu einem andern Stück von mir, gaben mir Anstoss den Namen von Kleist nochmals aufzugreifen. Ich benutzte den Familiennamen einst zweckentfremdend und fiktiv im blinden Spiegel des Narziss.
Mit diesem kleinen Text zum 200. Todestag von Heinrich von Kleist am 21. November 2011 sei die Familie von Kleist wieder ins rechte Licht gerückt. Ich beschränkte mich auf die Umschreibung der Gefühle, die Heinrich von Kleist den Tod willkommener erscheinen liessen als das Leben, ohne diese zu werten. Ihm in einer Kurzgeschichte gerecht zu werden, ist kein leichtes Vorhaben. Historische Fakten entnahm ich dem Archiv der Brandenburger Kleist Ausgabe http://www.textkritik.de/bka/bka.htm. Die Gedanken, Gespräche und die Form seines euphorischen Verhaltens vor dem Tod als auch das seiner Partnerin hingegen sind rein fiktiv.

Wie ich erst bei der Aufarbeitung für diese KG Kenntnis erhielt, nahm die Idee, die letzten Stunden von Heinrich von Kleist und Henriette Vogel fiktiv aufzuzeichnen, auch die Schriftstellerin Tanja Langer auf. Im April 2011 erscheint von ihr, „Wir sehen uns wieder in der Ewigkeit“, im Verlag dtv, als Taschenbuch und E-Book.
Aufgrund dieses Umstandes dachte ich erst daran, die Idee dieser Kurzgeschichte zu verwerfen, dann entschied ich mich doch dafür, aber ohne den kurzen Vorabdruck von Tanja Langer einzusehen.

 

Ein Eigenzitat - ich werd mir immer wieder gern selbst historisch, und ich verrat wohl nix zuzugeben: auch ich bin eitel, wenn auch nicht mit Föhn, Rasur, Haarschnitt ... etc

.Kleistsche Arkaden - insgeheim hätt' ich dergleichen bei seinem Jubelfeste schon erhofft
Diese Worte von Friedrichard vom 9. März 2011, im Kommentar zu einem andern Stück von mir, gaben mir Anstoss den Namen von Kleist nochmals aufzugreifen.
... und hätte doch auch eine Erwartungshaltung erzeugen können, denn da würden keine Monstersätze erzeugt, sonder Wortkaskaden ... Nach einem ersten, eher flüchtigen Lesen.

Aber ich komm drauf zurück, 's ist keine Drohung!

Gruß

Friedel

 

Salü Anakreon,

dann will ich mal wieder ein wenig meckern. Zum Inhalt:
Ziemlich nüchtern-distanziert handelst du das Drama zw. Heinrich und Henriette ab und reduzierst all die romantischen Gefühle auf Herzchen und Herznärrchen. Ihre Krankheit, seine Verzweiflung, die Liebe, die Not dieser gesellschaftlich unmöglichen Beziehung, lässt du in der Euphorie der letzten Nacht gipfeln. Das ist mir etwas zu skizziert und zu beiläufig. Da hätte sich der Tagelöhner (z.B.) doch noch ein paar Gedanken mehr machen und ausmalen können, meine ich.
Zum Text:

Die Sehnsucht nach Zweisamkeit im Widerstreit zu seinen selbstzerstörerischen Gefühlen von Bindungsunfähigkeit.
Das ist sehr gebündelt, so in einem Satz. Daraus könntest du drei Sätze machen.
durch die Zensur der Zeitung gegenüber gestoppt.
durch die Zensur gestoppt reicht m.E.
den „Prinzen aus Homburg“,
Prinz von Homburg
Sie hatte es sich lange schon ersehnt, diesen Befreiungsschlag, und mit Heinrich wird sie es nun finden.
Sie hatte sich diesen Befreiungsschlag lange ersehnt, mit Heinrich wird er ihr nun gelingen > finden ist hier nicht genial. :D
Alsbald die andern Gemeinsamkeiten sensorisch erkennend und wie füreinander bestimmt diese deutend. Ihrem Wunsch entsprechend erläuterte er ihr die Kriegskunst und lernte sie das Fechten.
Das ist arg verknorzelt.
Alsbald erkannten sie die andern Gemeinsamkeiten und fühlten sich füreinander bestimmt. Ihrem Wunsch entsprechend erläuterte er ihr die Kriegskunst und lernte sie das Fechten.
> lehrte sie das Fechten es sei denn, sie ist bei einem Fechtmeister gewesen, um das Fechten zu lernen.
Die liebevolle Bindung mit Heinrich, die beständig war, was anderen Frauen nicht gelang, war ihnen Vollendung.
> war ihre Vollendung oder war für sie die Vollendung
bis die Karaffe geleert und die Kanne mit Kaffe
Kaffee
deren lieblichen Klänge einzig in ihren Köpfen spielte.
deren liebliche Klänge
Heinrich sich leicht abdrehend, tastete mit der Hand in die Brusttasche, sie mit durchgeladener Pistole herausziehend. Der Lauf zielte auf ihre Brust, den Punkt fixierend, an dem ihr Herz schlug. Seine Hände am Rücken spürten das Blut, welches die Verletzung durch die durchschlagende Kugel in ihrem Körper erzeugte. Henriette war tot, ihre Sehnsucht erfüllt.
Geh doch in die Dramatik rein, z.B.:
Heinrich drehte sich leicht ab, tastete mit der Hand in die Brusttasche und zog die durchgeladene Pistole heraus. Er hielt den Lauf auf ihre Brust, dorthin, wo ihr Herz schlug. Der Schuss hallte durch die kalte Stille, in der Nähe flogen Wasservögel auf.
Seine Hand (> eine Hand genügt, die andere hält ja die Pistole) spürte das Blut in ihrem Rücken. Henriette war tot, ihre Sehnsucht erfüllt.

Soweit!
Geniess den herrlichen Frühlingstag und herzlichen Gruss,
Gisanne

 

Am 1. Oktober 1992 verblüffte mich auf der Fahrt ins Emsland die Radionachricht vom Tode der Petra Kelly durch die Hand ihres Lebensgefährten, dem ehemaligen General Gerd Bastian. Niemand hätte einen „kollektiven“ Selbstmord gerade bei den beiden erwartet und Zweifel bestehen noch heute. Tragende und konsequente Säulen der grünen Bewegung waren beseitigt.
Bei Weitem nicht die gleiche Wirkung wie der vorgenannte Fall für die politische Welt der frühen 1990-er hatte der hier von Anakreon dargestellte kollektive Selbstmord in der literarischen Welt, denn Kleist war in der Welturaufführung des Zerbrochenen Kruges zu Weimar durchgefallen, sein literarischer Ruf beschädigt – unter sanfter Leitung des geheimen Rates von Goethe, der als Hofschranze erfolgreich zu intrigieren wusste.

"Gott, mein Vater im Himmel! Du hast dem Menschen ein so freies, herrliches und üppiges Leben bestimmt. Kräfte unendlicher Art, göttliche und tierische, spielen in seiner Brust zusammen, um ihn zum König der Erde zu machen. Gleichwohl, von unsichtbaren Geistern überwältigt, liegt er, auf verwundernswürdige und unbegreifliche Weise, in Ketten und Banden; das Höchste, von Irrtum geblendet, läßt er zur Seite liegen, und wandelt, wie mit Blindheit geschlagen, unter Jämmerlichkeiten und Nichtigkeiten umher. ...", beginnt das Gebet des Zoroasters, erschienen auf der Titelseite der ersten Ausgabe der in Anakreons erwähnten Berliner Abendblätter, hgg. und verfasst von Kleist, ohne die oft gefürchteten Wortkaskaden.

Es ist,

lieber Anakreon,

der Text eine Geschichte, die einiges an berechtigter Information gibt und die Tat zu erklären versucht, gleichwohl eine bemühte Geschichte, oft durch Unkonzentriertheit bedingt, aber auch mit allzu vielen Hilfsverben (die durchs nicht immer notwendige Plusquamperfekt noch gesteigert werden), und überhaupt entbehrlichen Wörtern (Personalpronomen zB) oder ganzen Passagen (dass die Nacht zB finster sei). Auffällig aber auch die vielen Substantivierungen. Im einzelnen – ohne Anspruch auf Vollständigkeit, dafür in der Reihenfolge ihres Auftretens im Text:

Sie teilten ihren Nächsten ihren Entschluss mit, …
Besser, das zweite Personalpronomen durch den Artikel ersetzen, denn wessen Entschluss könnten die beiden sonst noch bekannt geben?
Und ebenso hier:
…, zierten sie sich nicht ihre Gefühle sichtbar zu zeigen.

Der Ehemann von Henriette, Friedrich Ludwig Vogel genannt Louis, …
Letzteres vielleicht auch Ausdruck des Kleist’schen Franzosen-Hasses, sah er Frankreich doch konsequenterweise (spätestens mit der Kaiserkrönung Buonapartes) als Nachfolger Roms an und somit als Gefahr für Mitteleuropa östlich des Rheines (Hermannschlacht)

Auch wenn dies zu dieser Zeit eigenwillig wirkte.
Wüsste der geneigte Leser das nicht oder lebt einer im Glauben, Zebrastreifen gäbe es naturgewollt und immer schon?

Immer wieder kleinere Versuche, ein Satzkaskäthchen anzubringen, die den Unwillen vor allem der google-Generation erzeugen könnte, wenn’s Schema SPO überschritten wird:

Heinrich war nach dem Lichterlöschen in der Nacht noch lange wach gelegen, zwischendurch wieder aufgestanden, ans Fenster getreten und hatte hinausgeschaut.
Warum die Substantivierung, weil Kleist mal beamtet war? Das Nacht ist, wissen wir. Vllt. feiner: „Nachdem die Lichter gelöscht waren, hatte Heinrich noch lange wach gelegen, um zwischendurch wieder aufzustehen, ans Fenster zu treten und hinauszuschauen.“ Im Folgesatz könnte der Beisatz wegfallen

Verzweifelt suchte er ob der gesellschaftlichen Missachtung, der er daraufhin anheimfielKOMMA nach einer Möglichkeit, …

Weitgehend vergeblich.
Warum das Attribut? Ein „Vergeblich“ mit Ausrufezeichen wäre dagegen wie ein Schrei!

Der Zwang zur wirtschaftlichen Existenz stand im Gegensatz zu seiner poetischen Neigung.
Wie auch dieser Satz, ließe sich Fortsetzen. Wieder beherrscht Substantivierung den Satz, obwohl ich im Augenblick nur Wirtschaft & Existenz einsparen könnte: „Wirtschaftliche Zwänge widersprachen [-strebten / stand] seiner poetischen Neigung“, um beim nächsten Satz zusammenzubrechen.

Es war die Musik gewesen, die sie vorerst einander näherbrachte.
Hier ließe sich ohne Weiteres das Partizip einsparen (wobei ich die „Partizipienreiterei“ für ein wesentliches Stilelement nicht nur bei Dir halte).

Ihrem Wunsch entsprechend erläuterte er ihr die Kriegskunst und lernte sie das Fechten.
Da ist wohl „lernen“ und „lehren“ miteinander verwechselt …

Es waren Adam Müller, dessen Zuneigung einst von ihr nicht erhört wurdeKOMMA und Marie von Kleist, eine ...

Henriette hatte mit ihrem Gesang und ihrer reizvolle Art als Gesellschafterin jedoch ein gewisses Ansehen.
reizvolle + n

… schlug auf die innere Brusttasche, als Zeichen des Vorhandenseins dessen was sie benötigten.
Einfacher vllt.: „ …, als Zeichen des Vorhandenseins, wessen sie benötigten.“ In jedem Fall aber Komma und Genitiv.
HenrietteKOMMA die Gefallen daran fand, tat es ihm gleich.

… einen Spass daraus, dass der eine sich versteckte und der andere ihn sucht.
sucht + e
…, heimlich kopfschüttelnd, dass dies am Ufer des Sees serviert werden soll.
besser vllt: soll + (t)e

Der Schuss war durch die kalte Stille gehallt, Wasservögel in der Nähe flüchteten.
Warum vollendet, warum Plusquamperfekt? Wenn der Schuss vorbei ist, flieht kein Vogel mehr, außer er flöge eh gerade aus anderem Grunde.

Der Pistolenlauf im Mund nach oben richtend, …
Ein letzte Unkonzentriertheit (Artikel!) …

Kurz: viel gäbe es zu thun und mich jucket’s in den Fingern, an dem einen oder andern Kaskäthchen in einem ersten, aber sanften Berühren mich zu versuchen, freilich aus Sicht des unverstandnen, weil zu früh gekommnen und gegangnen und darum unverstandnen Dichters, der sich nach einem freien und einfachen – wenn’s sein musste, bäuerlichen – Leben sehnte und da er sein Scheitern erkannte, sich selbst richtete als höchstem Akt der Freiheit überhaupt.

Gruß

Friedel

 

Salü Gisanne

dann will ich mal wieder ein wenig meckern.

Ich ahnte es doch, wie konnte ich mich nur an Kleist vergreifen und dann mich noch selbst unter Zeitdruck setzen? Mein Zeitplan lag, als die Idee aufkam, bei acht Monaten, anschliessend bei elf Tagen.

Ziemlich nüchtern-distanziert handelst du das Drama … ab und reduzierst all die romantischen Gefühle auf Herzchen und Herznärrchen. … Das ist mir etwas zu skizziert und zu beiläufig. Da hätte sich der Tagelöhner (z.B.) doch noch ein paar Gedanken mehr machen und ausmalen können, meine ich.

Es ist wohl doch etwas zu arg herabgebrochen, zu schmucklos. Ich werde mir da nochmals vertiefte Gedanken machen, wie es hierin mehr Ausdruck gewinnen kann. Die Krankheit von Henriette Vogel, Gebärmutterkrebs, wurde in manchen Quellen übrigens angezweifelt, während andere ihre Erscheinung als todkrank bewerteten. Stimmungsschwankungen und religiöse Fantastereien sollen Ausdruck davon gewesen sein.
Deine Idee, den Gedanken des Taglöhners mehr aufzubürden, gefällt mir gut. Gemäss den historischen Quellen äusserte er sich einzig dahin gehend, dass sie am Ufer trotz des unwirtlichen Wetters schäkerten. Da die nicht verifizierbaren Teile aber rein fiktiv sind, lässt es reichlich Spielraum.

Die Sehnsucht nach Zweisamkeit im Widerstreit …

Das ist sehr gebündelt, so in einem Satz. Daraus könntest du drei Sätze machen.


Da habe ich die Widersprüche in ihm wohl zu sehr konzentriert. Seine Persönlichkeit war komplex, seine politischen Ansichten brisant und in einer Kurzgeschichte kaum fassbar. Dennoch, die Fokussierung, welche ich daraus ableitete, bedarf ein paar Sätze mehr, da geb ich dir recht..

durch die Zensur gestoppt reicht m.E.

Vollkommen. Beim Studium der alten Quellen habe ich mich da selbst übertölpelt und versucht es möglichst original einzubringen.

Prinz von Homburg

Peinlich die falsche Titelsetzung, normalerweise prüfe ich solche stets nochmals. :shy:

Sie hatte sich diesen Befreiungsschlag lange ersehnt, mit Heinrich wird er ihr nun gelingen > finden ist hier nicht genial.

Auch da, gelingen ist zweifellos eine schönere Formulierung. Mein Genius war da wohl arg im Keller. Doch an und für sich gefällt mir die Bezeichnung Befreiungsschlag auch noch nicht, ich sinniere noch am treffenden Wort, welches Gefühl es für Henriette bedeuten musste.

Das ist arg verknorzelt.
Alsbald erkannten sie die andern Gemeinsamkeiten und fühlten sich füreinander bestimmt. Ihrem Wunsch entsprechend erläuterte er ihr die Kriegskunst und lernte sie das Fechten.
> lehrte sie das Fechten es sei denn, sie ist bei einem Fechtmeister gewesen, um das Fechten zu lernen.

Da sitze ich zerknirscht ob diesem Fauxpas, lernen/lehren. Ja der ganze Satz ist etwas unglücklich.

Geh doch in die Dramatik rein, z.B.:
Heinrich drehte sich leicht ab, tastete mit der Hand in die Brusttasche und zog die durchgeladene Pistole heraus. Er hielt den Lauf auf ihre Brust, dorthin, wo ihr Herz schlug. Der Schuss hallte durch die kalte Stille, in der Nähe flogen Wasservögel auf.
Seine Hand (> eine Hand genügt, die andere hält ja die Pistole) spürte das Blut in ihrem Rücken. Henriette war tot, ihre Sehnsucht erfüllt.

Ich stimme dir zu, mehr Dramaturgie erträgt dieser Moment. Ich werde versuchen mich der Welt eines Schlingensief anzunähern, auch wenn Welten dazwischen liegen.

Ich danke dir für deine feinsinnige und präzise Kritik. Es ist mir Anreiz, die Inhalte des Stücks nochmals sorgfältig zu überdenken und es für den Leser anzureichern. Vorab werde ich die groben Fehler eliminieren, mir für die gesamte Überarbeitung aber etwas mehr Zeit nehmen.

Heute Nachmittag ist das Buch von Tanja Lange vorzeitig eingetroffen, doch einzusehen wage ich es nicht, bis mein Text überarbeitet ist. Ich nehme an, sie füllt diesen Abschnitt völlig anders.

Ein Marienkäfer turnt unter dem Licht der Schreibtischlampe und auf dem Bildschirm herum, sich wohl am Frühling erfreuend.

Liebe Grüsse

Anakreon


*​

Lieber Friedel

auch ich bin eitel, wenn auch nicht mit Föhn, Rasur, Haarschnitt ... etc

Ich finde es schön, wenn Eitelkeit als Freude sein Selbst wahrnimmt, nur ein Zuviel wird bedrohlich, wie Narziss schon erfahren musste. Diese etc-Mode kommt mir doch bekannt vor, aber damals leisteten sie sich noch einen Döschwo.

Aber ich komm drauf zurück, 's ist keine Drohung!

Sicherheitshalber habe ich mich doch schon mal warm angezogen – zeitlos modisch - und harre der Wortkaskaden, die da auf mich hereinstürzen.

Zwischenzeitlich sind sie nun angekommen, die Arkaden wanken.

verblüffte mich … die Radionachricht vom Tode der Petra Kelly durch die Hand ihres Lebensgefährten, dem ehemaligen General Gerd Bastian.

Petra Kelly und Gerd Bastian sind eine gute Analogie zu dem von Kleist inszenierten Lebensdrama. Dass ich nicht daran dachte. Ihre Motive sind nicht bekannt, ihre nächste Umgebung, soweit mir aus der Erinnerung bekannt, nahmen keine entsprechenden Auffälligkeiten oder Äusserungen wahr. Bei politischen Persönlichkeiten (vgl. z. B. Barschel) kommt leicht die Vermutung auf, es könnten fremde Hände im Spiel gewesen sein. Ich vermutete damals eher einen Bilanzsuizid eines ungewöhnlichen Paares.

Bei Weitem nicht die gleiche Wirkung wie der vorgenannte Fall für die politische Welt der frühen 1990-er hatte der hier von Anakreon dargestellte kollektive Selbstmord in der literarischen Welt, denn Kleist war in der Welturaufführung des Zerbrochenen Kruges zu Weimar durchgefallen, sein literarischer Ruf beschädigt – unter sanfter Leitung des geheimen Rates von Goethe, der als Hofschranze erfolgreich zu intrigieren wusste.

Die ungewollten Doppelsinnigkeiten nehmen ihren Lauf. Hätte ich der einen Niederlage einen ausschlaggebenden Wert erteilt, hätte Kleist die Karaffe zerschlagen. Doch der intrigante Hofschranz, dessen Werk ich schätze und als Mensch trotz seiner Fehler respektiere, hat einst ein Gedicht verfasst: Anakreons Grab. Das müsste mich eigentlich sehr nachdenklich stimmen.

das Gebet des Zoroasters, erschienen auf der Titelseite der ersten Ausgabe der in Anakreons erwähnten Berliner Abendblätter, hgg. und verfasst von Kleist, ohne die oft gefürchteten Wortkaskaden.

Der Zoroaster-Text war auch einer meiner Gedanken. Ich verzichtete darauf, um den Lesern nicht mehr als nötig anstrengende Altertümlichkeiten darzulegen.

der Text eine Geschichte, die einiges an berechtigter Information gibt und die Tat zu erklären versucht, gleichwohl eine bemühte Geschichte, oft durch Unkonzentriertheit bedingt,

Wie vorstehend bereits an Gisanne erwähnt, sehe ich eine Überarbeitung vor. Weiser wäre es wohl gewesen, statt mich einem unerwarteten Zeitdruck auszusetzen, den Gedanken an diesen Text zu verwerfen. Da mich Beelzebub trieb, werde ich die Suppe nun aber auslöffeln.
In einem Punkt muss ich dir jedoch widersprechen, eine Erklärung (Deutung) ihrer Motivationen suchte ich nicht, sondern war bemüht, nur Indizien aufzuzeigen.

Für deine zahlreichen Hinweise danke ich dir. Ich werde diese allesamt prüfend in einem ersten Gang vorab berücksichtigen, da eine insgesamte Überarbeitung noch ansteht, dann sicherlich auch noch anderes neu bemänteln.

Kurz: viel gäbe es zu thun und mich jucket’s in den Fingern, an dem einen oder andern Kaskäthchen in einem ersten, aber sanften Berühren mich zu versuchen

Dass es dich in den Fingern juckt, versteh ich, wurdest du da doch ungewollt zum Inspirator. Aber untersteh dich, der Text ist kein Copywrite-Spiel. Wenn er seine endgültige Fassung gefunden hat, kann dann meinetwegen jedermann damit tun, was er will.

Zu Kleist liesse sich vieles einbringen, sein kurzer Versuch als Bergbauer in der Schweiz war da nur eine Kapriole, doch deren gibt es so manche. In einer Kurzgeschichte ihn in seinem ganzen Wesen einzufangen ist unmöglich. Es soll insofern nur eine, dafür die letzte Episode seines Lebens sein, wobei die Fiktionen mit einigen historischen Fakten einen Reigen tanzen, ohne jeglichen Wahrheitsanspruch.

Gruss

Anakreon

 
Zuletzt bearbeitet:

..., der Text ist kein Copywrite-Spiel,
was ich auch so sehe,

lieber Anakreon,

aber doch noch ein kleiner Kürzungsvorschlag: Im Abschnitt

Seit ihrer Ankunft ...
wären mE die Kosenamen entbehrlich, insoweit sie ja weiter unten in wörtlicher Rede wieder auftauchen:
«Bist du schon wach mein Herzchen?»
«Ja mein Herznärrchen, komm rein.» ... usw.
Der Absatz sähe dann etwa so aus:
Seit ihrer Ankunft waren sie den Wirtsleuten und den anderen Gästen durch ihre freudige, ja euphorische Stimmung aufgefallen. Wenn sie lauter miteinander sprachen, waren manch vertrauliche Worte hörbar. ... Wie jung verliebte, obwohl sie anfangs der dreissig waren, zierten sie sich nicht ihre Gefühle zu zeigen

Gruß & schönes Wochenende wünscht der

Friedel

 
Zuletzt bearbeitet:

Lieber Friedel

Seit ihrer Ankunft ...

wären mE die Kosenamen entbehrlich, insoweit sie ja weiter unten in wörtlicher Rede wieder auftauchen:


Da hast du recht, es reicht schon wenn die Kosenamen dann im weiteren Verlauf, sich mit einer ihnen eigenen Komik, einbinden. Henriette nannte den Heinrich ja eigentlich Herznarrchen, das klang mir zu sehr nach Schnarchen, weshalb ich verneudeutscht ein Herznärrchen daraus machte. Originale sind es im Übrigen aber schon, wie ihre Anwender.

Danke für den Hinweis.

Gruss & auch dir ein schönes Frühlingswochenende

Anakreon

 

Henriette nannte den Heinrich ja eigentlich Herznarrchen, das klang mir zu sehr nach Schnarchen, weshalb ich verneudeutscht ein Herznärrchen daraus machte,
was legitim ist und Vorbilder im großen CF Meyer und seinen historischen Erzählungen hatte und im übermächtigen Gottfried Keller, der ja sogar das Falkenlied "modernisierte", indem er nicht nur einfach ins Neudhochdeutsche seiner Zeit übersetzte (obwohl das klassische Mittelhochdeutsch ja dem Allemannischen näher ist, als dem späteren Sächsischen Kanzleistil, der Vorlage des Neuhochdeutschen wurde durch Luther), sondern auch die Metrik kongenial an die Moderne anpasste. Beide verzichteten auf "alte" Sprache.

Gruß

Friedel

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Anakreon,

Kleist hab ich unter mutiger Autor gespeichert - ist der nicht bei 'ner preussischen Prinzessin in Ungnade gefallen, weil er seinen Offizier in einem Drama hat weinen lassen? Ah ja, Wiki klärt auf, dass es sogar der Prinz von Homburg ist. Okay, den find ich gut.

Chapeau für dein Vorhaben! Die letzten Stunden auszuleuchten ... so eines bekannten Schriftstellers ... Du schreibst ja, dass die letzten Stunden fiktiv sind, Euphorie und Verzückung, also ich find die Vorstellung möglich, dass jemand, der sein ganzes Leben keinen Platz findet und arg mit sich zu kämpfen hat, ohne je auf einen grünen Zweig zu kommen, froh über den Entschluss sein kann, sich umzubringen und der Quälerei ein Ende zu machen.

Ja, ja, aber das wär nur die eine Seite, vermute ich. Ich vermisse hier die Angst vor Tod und Schmerz. Die in vollständiger Verzückung durchs Erdenreich taumeln zu lassen wirkt etwas naiv, es fällt schwer, auch zur damaligen Zeit, mir einen Menschen vorzustellen, der sich in Ekstase das Licht ausbläst. Kann natürlich auch an meiner mangelnden Vorstellungskraft liegen.
Aber mich hätte auch eher der Widerstreit von Lebensproblemen und Lebenswunsch interessiert -> die Hin- und Hergerissenheit zwischen dem gefassten Entschluss und der Angst vor dem Tod. Um den Leser auf die Kleistschen Abgründe einzustimmen wäre vielleicht eine fiktive Episode a la Kant-Krise besser geeignet als die nüchterne Beschreibung seines Lebens.

Grüße
Kubus

 

Hallo Kubus

Danke für das Kompliment, die letzten Stunden von Kleist zu thematisieren. Es war weniger Mut, der mich antrieb, einen kleinen Lebensabschnitt eines bekannten Autoren aufzugreifen, als wohl etwas Leichtsinn. Bei kalkulierter Vernunft hätte ich das Thema weit von mir gewiesen, bewusst, dass ein solches Unterfangen geeignet sein kann mich zu blamieren.
Aus den Zeugenaussagen über die letzten Tage ist bekannt, dass sie in einem euphorischen Zustand waren, aber nicht was zwischen ihnen gesprochen wurde. Unter Zeitdruck fand ich dann auch keine Quelle, die ihr euphorisches Verhalten über das Schäkern hinaus näher beschrieb. Aber das gab mir Spielraum, dies einer eigenen und eigenwilligen Interpretation anheimzustellen.

Angst vor Tod und Schmerz ist natürlich ein ganz wesentlicher Aspekt, wenn Menschen an ihrem Dasein verzweifeln. Der Lebenserhaltungstrieb ist enorm stark. Für viele ist auch die Ungewissheit abschreckend, was der Tod wirklich bedeutet. Es können verschiedenste Ursachen und Motive dahinter stehen, warum sich jemand das Leben nimmt. Bei diesen beiden vermute ich aber einen rationalen Bilanzsuizid, der sie den Tod als annehmbarer als das weitere Leben sehen liess. Kleist hatte aufgrund seiner Lebensgeschichte und seines Temperaments wahrscheinlich eine depressive Neigung, ein gewisser Lebensüberdruss quälte ihn anscheinend schon länger. Die Euphorie, also ein fast ekstatischer Zustand, kann auch Ausdruck ihrer Angst sein. Zugleich aber ermöglichend, diesen Schritt überhaupt auszuführen. Ob die Euphorie nur durch ihre gedanklichen Vorstellungen angetrieben war oder ob sie es mit irgendwelchen Substanzen unterstützten, weiss ich nicht.
Insofern habe ich deren Innenleben nur aus deren euphorischer Sicht geschrieben, die ihnen sicher auch innewohnende Unsicherheit oder Angst, welche sie wahrscheinlich verdrängten, ebenso unterschlagend.

Die Aufdeckung der vertieften Gründe und die psychologische Entwicklung dazu, warum die beiden sich für ihren Schritt entschieden, wäre ein sehr weites Gebiet. Es umfassend zu deuten, würde wahrscheinlich ein ganzes Buch füllen. Aber du hast schon recht, das Hin- und Hergerissensein ob ihrer Lebensprobleme wäre auch ein Aspekt gewesen, der allein schon eine Geschichte bildet. Aber vielleicht wagt sich da jemand anders daran, dies zu fassen.

Danke Dir für deinen Kommentar. Deine Einschätzung war mir interessant und hat mich gefreut.

Gruss

Anakreon

 

Noch'en Hinweis:

Die ganze Not Kleists kommt im letzten Brief zum Ausdruck, den Kleist an seine Cousine geschickt hat

[Stimmings »Krug« bei Potsdam, den 21. Nov. 1811]

"Meine liebste Marie, wenn Du wüßtest, wie der Tod und die Liebe sich abwechseln, um diese letzten Augenblicke meines Lebens mit Blumen, himmlischen und irdischen, zu bekränzen, gewiß Du würdest mich gern sterben lassen. Ach, ich versichre Dich, ich bin ganz selig. Morgens und abends knie ich nieder, was ich nie gekonnt habe, und bete zu Gott; ich kann ihm mein Leben, das allerqualvollste, das je ein Mensch geführt hat, jetzo danken, weil er es mir durch den herrlichsten und wollüstigsten aller Tode vergütigt. Ach, könnt ich nur etwas für Dich tun, das den herben Schmerz, den ich Dir verursachen werde, mildern könnte! Auf einen Augenblick war es mein Wille mich malen zu lassen; aber alsdann glaubte ich wieder zuviel Unrecht gegen Dich zu haben, als daß mir erlaubt sein könnte vorauszusetzen, mein Bild würde Dir viel Freude machen. Kann es Dich trösten, wenn ich Dir sage, daß ich diese Freundin niemals gegen Dich vertauscht haben würde, wenn sie weiter nichts gewollt hätte, als mit mir leben? Gewiß, meine liebste Marie, so ist es; es hat Augenblicke gegeben, wo ich meiner lieben Freundin, offenherzig, diese Worte gesagt habe. Ach, ich versichre Dich, ich habe Dich so lieb, Du bist mir so überaus teuer und wert, daß ich kaum sagen kann, ich liebe diese liebe vergötterte Freundin mehr als Dich. Der Entschluß, der in ihrer Seele aufging, mit mir zu sterben, zog mich, ich kann Dir nicht sagen, mit welcher unaussprechlichen und unwiderstehlichen Gewalt, an ihre Brust; erinnerst Du Dich wohl, daß ich Dich mehrmals gefragt habe, ob Du mit mir sterben willst? - Aber Du sagtest immer nein - Ein Strudel von nie empfundner Seligkeit hat mich ergriffen, und ich kann Dir nicht leugnen, daß mir ihr Grab lieber ist als die Betten aller Kaiserinnen der Welt. - Ach, meine teure Freundin, möchte Dich Gott bald abrufen in jene bessere Welt, wo wir uns alle, mit der Liebe der Engel, einander werden ans Herz drücken können.
- Adieu."

Man könnte also kurz meinen: Happiness is a warm gun!

Überhaupt spielt in solchen Geschichten die (unerfüllte) Beziehung zu den Frauen und die Inflation an unerfüllter Liebe eine entscheidende. Beim zur Melancholie und Depressionen neigenden Gottfried Keller grenzt es schon ans wunderbare, dass nur die Verlobte Selbstmord beging und der Meister sich dem Trunke ergab - und da war er schon der angesehne und staatstragende Zürcher.

Gruß

Friedel

 

Boah, ich hab echt überlegt, ob ich die Epoche miteinbeziehen soll, dacht dann aber, Romantik hin oder her, es kann einfach nicht sein, das tatsächlich jemand sich die letzte Stufe derart verklärt. Gut, Anakreon, dann fehlts meiner Kritik an der Euphorie jetzt echt an Boden, hm, lass ich meinen Wunsch nach Ausleuchtung von Hin- und Hergerissenheit als den egoistischen eines Lesers mit eingeschränkter Vorstellungskraft stehen. Danke, Friedrichard, fürs Brief-Posten, ein faszinierender Einblick, der Kleist war schon 'ne komische Nudel, wen der wohl alles gefragt hat nach Interesse an gemeinsamem Selbstmord. Der Happiness-Spruch passt hier aber nicht so richtig! Wie auch immer ...

Bis dann
Kubus

 

Lieber Friedel

Du greifst im Fundus kleistschen Nachlasses, nach Perlen der dichterischen Briefe. Das freut mich, wenn die Geschichte zu Impulsen anregt. Ja, zu seiner Cousine hatte Kleist ein sehr inniges Verhältnis, das durch seine Beziehung zu Henriette nicht nachhaltig getrübt war, wie es in seinem letzten Brief an Marie auch zum Ausdruck kommt. Das Trennende war, wie er da schreibt, eine fehlende Bereitschaft von ihr mit ihm diesen Weg zu beschreiten. Aufgrund von Hinweisen zu dieser Zeit halte ich es aber für denkbar, dass noch mehr zwischen ihnen stand. Als er diesen Brief schrieb, sah er bereits euphorisch dem gewählten Abgang entgegen. Dass er sie gerne auch als Wegbegleiterin zur Seite gehabt hätte, gibt dem Ganzen – wenn auch nicht überraschend – eine besondere Komponente seines Todeswunsches. Zugleich erschliesst es einmal mehr, wie Komplex sein Wesen war, desto tiefer man gräbt. Es gibt da Ambivalenzen, auch in seinem Verhältnis zu den Frauen, die sich wahrscheinlich nicht mit letzter Gewissheit entschlüsseln lassen.
Die Art der Beziehung von Kleist zu Henriette Vogel habe ich inzwischen im überarbeiteten Textentwurf etwas relativiert, das allzu zärtlich wirkende zurückgebunden. Doch die Form ihrer Zuneigung unterschied sich nicht so sehr von andern Paaren aus ihrer Zeit. Es gab damals viele eheliche Zweckbindungen.
Dein Bezug zu Gottfried Keller und seiner Luise finde ich ja recht interessant. Man könnte in den Leben vergangener Literaten noch so einiges ans Tageslicht holen, das eigenartige Licht- und Schattenspiele wirft. Das Verhältnis von Max Frisch zu den Frauen etwa wurde etwa kürzlich thematisiert. Er gehört zu jenen verblichenen Literaten, die Anreize bieten, sie im Nachhinein in ihrem ganzen Wesen noch vielseitig entschlüsseln zu wollen, jenes schürfend, das sie selbst nicht offenlegten.


Lieber Kubus

Bei der Betrachtung von Kleist muss man seine Zeit gedanklich einbeziehen, auch wenn sie uns sich letztlich nicht gänzlich nachvollziehbar sein wird. Betrachtet man etwa das Leben von Goethe seinem Zeitgenossen, so gibt es da doch auch so manche Sonderlichkeiten, die einem nachdenklich machen oder schmunzeln lassen. Verschrobenheiten sind besonders auch in der Lyrik von damals erkennbar, sie zeigt eben deren Denkweise und ihr Weltbild.

Aus eben diesem Grund passte die Geschichte auch einzig in „Historik“. Ein zu verklärtes Bild seiner Handlung wollte ich damit nicht bieten, aber doch den Gefühlen, welche ihn in diesen Stunden bewegt haben könnten, nahekommen, wenngleich es in diesen Teilen fiktiv ist.

Gruss

Anakreon

 

Doch die Form ihrer Zuneigung unterschied sich nicht so sehr von andern Paaren aus ihrer Zeit. Es gab damals viele eheliche Zweckbindungen,
ist natürlich korrekt,

lieber Anakreon,

und wenn man bedenkt, dass Kleist nicht nur Mathe, sondern vor allem Philosophie studiert hat und sich zeitlebens dafür interessierte, dann ahnt man, dass nicht nur Kant, sondern auch Fichte ihn beeinflusste - und welche Rolle Frau & Ehe dort spielen. Hinzu kommen die gewaltigen gesellschaftlichen Veränderungen, von denen Kleist wusste, dass er - oder genauer: seine Generation das Ende der Änderungen (beim Tippen hat mich gerade Ende / Ände... irritiert) gar nicht erleben würde.

Wen's interessiert: unterm Kleistportal sind nicht nur Werke und Briefe, sondern auch mehr oder weniger ausführliche Aufsätze u. a. auch zum Kleist'schen Verhältnis zu Frauen eingestellt:

http://www.kleist.org/

Zu Marie K. muss man wissen, dass sie wesentlich älter als Kleist war und da sicherlich auch sowas wie eine Muttersehnsucht bei ihm durchbrach.

In einem Aufsatz - keine Ahnung mehr, von wem & wo - wird sogar Die Verlobung in St. Domingodirekt mit dem Selbstmord in Beziehung gebracht, wobei Kleist sich sicherlich nicht auf frz. Seite sieht ...

Ihr lieben Leut
Dass wärs für heut!

Gruß

Friedel

 

Hallo Anakreon,


ich fand deinen "Leichtsinn" ;) gar nicht mal so schlecht.

Du hast mir mit dieser Geschichte geschickt die kleistsche Biographie etwas näher gebracht und schon allein dafür hat es gelohnt.

Was mich einerseits erfreute, aber andererseits auch störte, ist die von dir gewählte Sprache.
Sie wirkt ältlich, was ich nicht im negativen Sinne meine, sondern im Sinne der Anpassung an die damalige Zeit.
Ich glaube auch, dass du damit erreicht hast, dass ich mir alles wunderbar vorstellen konnte.
Mir hat die völlige Abwesenheit von Aufgeregtheit der beiden Figuren gefallen.

Was mich an deiner Sprache störte, sind keineswegs die langen Satzformate, die bin ich zu lesen schon von Berufs wegen gewöhnt. Nein, es sind solche Sätze, wie diese z.B.:

das Gloriose ob diesem, ihrem Tag, unterstreichend.
vielleicht: das Gloriose unterstrich ihren Tag?

Sie fasste nach seiner Hand, sie liebevoll drückend, er umschloss die ihre fest.
Sie fasste nach seiner Hand, drückte sie liebevoll. Er umschloss die ihre fest.

in den Kieselsteinen vereinzelt Blasen bildend
in den Kieselsteinen bildeten sich vereinzelt Blasen.

Praktisch ab gut der 2. Hälfte deiner Geschichte kommen diese grammatikalischen Lebendigkeitsbremsen durchweg vor. Ich schreib sie dir nicht alle auf, du weißt ja, welche ich meine und wie ich es textlich schöner fände.

Mir kommt es so vor als würdest du Kleist und seine Liebe bereits mit der Sprache betäuben wollen.

Was dir gut gelungen ist, ist die Motivation der beiden. Ich stelle mir zwei reife Persönlichkeiten vor, die, vielleicht mag auch ein gewisser Anteil an Melancholie eine Rolle spielen, sich wie Seelenverwandte gefunden haben.
Mir fehlt, aber Kubus hat dies ja auch schon korrigiert, keineswegs das dramatische Verhalten, die Verstörtheit, die der Wunsch, sich selbst zu töten vielleicht bei einigen auslöst. Erst recht fehlt mir nicht die Verzweiflung, die Niedergedrücktheit, denn diese beiden Menschen begreifen ihren Freitod als genau das, was der Begriff besagt: sie nutzen die einzige Freiheit in ihrem Leben, nämlich die, sich das Leben nehmen zu dürfen. Das ist in deiner Geschichte erspürbar und deswegen finde ich sie gut.

Das einzige, was mir nicht nachvollziehbar ist, ist der Hinweis, dass Henriette sich in der Fechtkunst unterweisen lässt, ein doch für die damalige Zeit eindeutig männlicher Sport, nicht wahr?
Ist es Ausdruck ihrer unverblümten, absoluten Hingabe an Heinrich?
Die Faszination, etwas gegen die Norm zu tun? Sozusagen schon der erste Hinweis auf das, was später folgt? Da schwimme ich in meiner Interpretation, aber mach dir keine Sorgen, die Ufer sind nah. :D


Am Ende erinnert mich deine Geschichte an die Worte Freitod und Todessehnsucht in ihrer wahrhaftigen Bedeutung.

P.S. Hast du mittlerweile gewagt, einen Vergleich deiner Geschichte mit der von Frau Langer anzustellen? Welchen Aspekt stellt sie ins Rampenlicht?

Lieben Gruß
lakita

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Lakita

Das freut mich, dass dieser Abstecher in den kleinen und letzten Ausschnitt von Kleists Leben dir seine Biografie etwas näher brachte und du dies als Gewinn wertest.

Ich hoffte bei diesem historischen Rückblick, dass mein antiquierter Sprachstil, der schon vielseitig polarisierende Reaktionen auslöste, sich hier unbemerkter einfügen könnte.

Mir kommt es so vor als würdest du Kleist und seine Liebe bereits mit der Sprache betäuben wollen.

Aber er ist natürlich auch nicht jene von Kleist und seiner Zeit. So mag es sein, da ich teilweise auch Elemente von damals sprachlich einbezog, es eine eigenwillige Konstellation ergab. Ich werde mich mit zeitlichem Abstand dann nochmals damit auseinandersetzen. Vorab vielleicht einige besänftigende Umformulierungen vornehmen. Die Restauration insgesamt aber erst vornehmen, wenn auch eine emotionale Distanz, welche dieses Hineindenken in seine Situation mit sich brachte, sich abgesetzt hat.

Was dir gut gelungen ist, ist die Motivation der beiden.

Da bin ich froh. Es war mir das Wesentlichste, ihre Lebensanspannung, welche unter den Vorboten ihrer Zeit stand, zu fassen. Ihre Idealisierung einer Nichtexistenz, welche sie in den letzten Stunden betäubend ergriffen haben musste, einzufangen.

Das Motiv, weshalb Henriette sich von Heinrich in der Fechtkunst unterrichten liess, war in den von mir eingesehenen Quellen nicht weiter ersichtlich. Möglicherweise war es ein Ausdruck von Hingabe an ihn. Aus Biografien anderer Frauen bemerkte ich, dass es in früheren Jahrzehnten und Jahrhunderten immer solche gab, die den gesellschaftlichen Formen ihrer Zeit widersprachen. In geringeren oder massiveren Ausbrüchen ihren persönlichen Ausdruck suchten.

Am Ende erinnert mich deine Geschichte an die Worte Freitod und Todessehnsucht in ihrer wahrhaftigen Bedeutung.

Ja, entfernt hatten sie annähernd Gedanken von Jean Améry vorab genommen, der dies vor fünfunddreissig Jahren als philosophischen Diskurs aufarbeitete (Hand an sich legen, Verlag Klett-Cotta).

Leider fand ich die Zeit noch nicht, das Buch von Tanja Langer zu lesen. Ich habe aber inzwischen die Stelle überflogen, als sie sich zum See begaben, um es auszuführen. Sie hat den Fokus weniger auf diese Momente gesetzt, ausführlicher dafür die letzte Nacht. Amüsanterweise ergab sich eine Parallele, wie sie Kiesel in den See warfen. Dies hatte ich als damals möglichen Zeitvertreib fantasiert. Sie kam anscheinend zu gleichem Gedanken. Ansonsten ist es anders, ohne sich aber zu schneiden. Sie hat übrigens einen sehr schönen Schreibstil, wie mir aufgefallen ist. Ich hoffe bald wieder mehr Musse zu finden, mehr zu lesen. Ihr Buch liegt auf dem Stapel, die vordringlich fällig sind.

Danke dir für deine positive Kritik. Es lässt mir den Gedanken zu, dass es doch nicht so abwegig war, dieses Geschehen aufzugreifen.

Liebe Grüsse

Anakreon

Späterer Nachtrag:

Die gröbsten Lesehemmnisse, soweit ich sie als solche wahrnahm, sollten nun behoben sein.

 
Zuletzt bearbeitet:

Mich hat's denn noch einmal in den Fingern gejuckt und eine Antwort auf Deine Frage,

liebe Lakita,

lgrüß Dich Anakreon -

Du wirst mir verzeihn, dass ich mich wieder einmisch -

Das einzige, was mir nicht nachvollziehbar ist, ist der Hinweis, dass Henriette sich in der Fechtkunst unterweisen lässt, ein doch für die damalige Zeit eindeutig männlicher Sport, nicht wahr?
Ist es Ausdruck ihrer unverblümten, absoluten Hingabe an Heinrich?
lässt sich nach den letzten Briefen mit ziemlicher Sicherheit bejahen.

Das totale Kunstwerk

Zum Straucheln brauchts doch nichts als Füße.
Kleist, Der zerbrochene Krug​

Hölderlin wie Kleist hielten nach einem Wort aus den unzeitgemäßen Betrachtungen die „sogenannte“ deutsche Bildung nicht aus. Flüchtete der Ältere in Katatonie, so der sieben Jahre jüngere in seinen einzigen Erfolg - den Selbstmord.

Der Doppelselbstmord vom 21. November 1811 ist die einzig geglückte Inszenierung des Dichters Heinrich von Kleist, dem ansonsten alles misslungen wäre. Spätestens während der Beschäftigung mit dem Werke Kants geriet Kleist in eine Krise, dachte erstmals an Selbstmord. Der, dessen Werk die Welt nicht zeigt, wie sein solle, sondern wie sie sei, und Gewalt und Zwang in einer dem schlichten Gemüt gewalttätigen, weil schier uferlosen Sprache schildert, äußert sich im August 1801 „Ich will mich nicht mehr übereilen – tue ich es noch einmal, so ist es das letzte Mal – denn ich verachte entweder alsdann meine Seele oder die Erde, und trenne sie.“

Wie zuvor auch beim zerbrochenen Krug, der bis dahin einzigen gelungenen Komödie deutscher Zunge – die gleichwohl bei der Uraufführung in Weimar unter der Regie Goethes durchgefallen ist, hielt doch nicht nur der Dichterfürst den jungen Mann aus preußischer Offiziersfamilie im Grunde für einen nichtsnütz’gen Wirrkopf – findet er eine erste Anregung zur Tat in einem Gemälde. In französischer Kriegsgefangenschaft, Kleist wird der Spionage verdächtigt, erblickt er zu Châlons-en-Champagne - damals Châlons-sur-Marne genannt und ehemals das antike Catalaunum und somit ein Ort weltgeschichtlichen Ranges – die sterbende heilige Magdalena des Simon Vouet und wird überwältigt. In einem Brief von 1807 an die geliebte ältere Cousine Marie heißt es: "In einer der hiesigen Kirchen ist ein Gemälde, schlecht gezeichnet zwar, doch von der schönsten Erfindung, die man sich denken kann, und Erfindung ist es überall, was ein Werk der Kunst ausmacht. Denn nicht das, was dem Sinn dargestellt ist, sondern das, was das Gemüt, durch diese Wahrnehmung erregt, sich denkt, ist das Kunstwerk. Es sind ein paar geflügelte Engel, die aus den Wohnungen himmlischer Freude niederschweben, um eine Seele zu empfangen. Sie liegt, mit Blässe des Todes übergossen, auf den Knien, der Leib sterbend in die Arme der Engel zurückgesunken. Wie zart sie das zarte berühren; mit den äußersten Spitzen ihrer rosenroten Finger nur das liebliche Wesen, das der Hand des Schicksals jetzt entflohen ist. Und ein Blick aus sterbenden Augen wirft sie auf sie, als ob sie in Gefilde unendlicher Seligkeit hinaussähe: Ich habe nie etwas Rührenderes und Erhebenderes gesehen."

In der todkranken, zwei Jahre jüngeren und seelenverwandten Henriette Vogel findet er endlich seine Partnerin, die ihm gelegentlich „zum Erschießen schön“ singt.

Den 10. Nov. 1811 schreibt Kleist der Cousine einen Brief voller Poesie: „Deine Briefe haben mir das Herz zerspalten, meine teuerste Marie, und wenn es in meiner Macht gewesen wäre, so versichre ich Dich, ich würde den Entschluss zu sterben, den ich gefasst habe, wieder aufgegeben haben. Aber ich schwöre Dir, es ist mir ganz unmöglich länger zu leben; meine Seele ist so wund, dass mir …,

wenn ich die Nase aus dem Fenster stecke, das Tageslicht wehe tut,
das mir darauf schimmert. Das wird mancher für Krankheit und überspannt halten; nicht aber Du, die fähig ist, die Welt auch aus andern Standpunkten zu betrachten als aus dem Deinigen. [Da] … ich mit Schönheit und Sitte, seit meiner frühsten Jugend an, in meinen Gedanken und Schreibereien, unaufhörlichen Umgang gepflogen, bin ich so empfindlich geworden, dass mich die kleinsten Angriffe, denen das Gefühl jedes Menschen nach dem Lauf der Dinge hienieden ausgesetzt ist, doppelt und dreifach schmerzen.“
Am 19. d. M. heißt es: „Meine liebste Marie, mitten in dem Triumphgesang, den meine Seele in diesem Augenblick des Todes anstimmt, muss ich noch einmal Deiner gedenken und mich Dir, so gut wie ich kann, offenbaren: Dir, der einzigen, an deren Gefühl und Meinung mir etwas gelegen ist; alles andere auf Erden, das Ganze und Einzelne, habe ich völlig in meinem Herzen überwunden. Ja, es ist wahr, ich habe Dich hintergangen, oder vielmehr ich habe mich selbst hintergangen; wie ich Dir aber tausendmal gesagt habe, dass ich dies nicht überleben würde, so gebe ich Dir jetzt, indem ich von Dir Abschied nehme, davon den Beweis. Ich habe Dich während Deiner Anwesenheit in Berlin gegen eine andere Freundin [Henriette Vogel] vertauscht; aber wenn Dich das trösten kann, nicht gegen eine, die mit mir leben, sondern, die im Gefühl, dass ich ihr ebenso wenig treu sein würde, wie Dir, mit mir sterben will. Mehr Dir zu sagen, lässt mein Verhältnis zu dieser Frau nicht zu. Nur so viel wisse, dass meine Seele, durch die Berührung mit der ihrigen, zum Tode ganz reif geworden ist; dass ich die ganze Herrlichkeit des menschlichen Gemüts an dem ihrigen ermessen habe, und dass ich sterbe, weil mir auf Erden nichts mehr zu lernen und zu erwerben übrig bleibt. Lebe wohl! Du bist die allereinzige auf Erden, die ich jenseits wieder zu sehen wünsche. Etwa Ulriken? - ja, nein, nein, ja: es soll von ihrem eignen Gefühl abhangen. Sie hat, dünkt mich, die Kunst nicht verstanden sich aufzuopfern, ganz für das, was man liebt, in Grund und Boden zu gehn: das Seligste, was sich auf Erden erdenken läßt, ja worin der Himmel bestehen muss, wenn es wahr ist, dass man darin vergnügt und glücklich ist. Adieu! - Rechne hinzu, dass ich eine Freundin gefunden habe, deren Seele wie ein junger Adler fliegt, wie ich noch in meinem Leben nichts Ähnliches gefunden habe; die meine Traurigkeit als eine höhere, festgewurzelte und unheilbare begreift, und deshalb, obschon sie Mittel genug in Händen hätte mich hier zu beglücken, mit mir sterben will; die mir die unerhörte Lust gewährt, sich, um dieses Zweckes willen, so leicht aus einer ganz wunschlosen Lage, wie ein Veilchen aus einer Wiese, heraus heben zu lassen; die einen Vater, der sie anbetet, einen Mann, der großmütig genug war sie mir abtreten zu wollen, ein Kind, so schön und schöner als die Morgensonne, um meinetwillen verlässt: und Du wirst begreifen, dass meine ganze jauchzende Sorge nur sein kann, einen Abgrund tief genug zu finden, um mit ihr hinab zu stürzen. - Adieu noch einmal! -"
Und am 21. d. M. aus Stimmings Krug: „Meine liebste Marie, wenn Du wüsstest, wie der Tod und die Liebe sich abwechseln, um diese letzten Augenblicke meines Lebens mit Blumen, himmlischen und irdischen, zu bekränzen, gewiss Du würdest mich gern sterben lassen. Ach, ich versichre Dich, ich bin ganz selig. Morgens und abends knie ich nieder, was ich nie gekonnt habe, und bete zu Gott; ich kann ihm mein Leben, das allerqualvollste, das je ein Mensch geführt hat, jetzo danken, weil er es mir durch den herrlichsten und wollüstigsten aller Tode vergilt. Ach, könnt ich nur etwas für Dich tun, das den herben Schmerz, den ich Dir verursachen werde, mildern könnte! … Kann es Dich trösten, wenn ich Dir sage, dass ich diese Freundin niemals gegen Dich vertauscht haben würde, wenn sie weiter nichts gewollt hätte, als mit mir leben? … Ach, ich versichre Dich, ich habe Dich so lieb, Du bist mir so überaus teuer und wert, dass ich kaum sagen kann, ich liebe diese liebe vergötterte Freundin [Henriette] mehr als Dich. Der Entschluss, der in ihrer Seele aufging, mit mir zu sterben, zog mich, ich kann Dir nicht sagen, mit welcher unaussprechlichen und unwiderstehlichen Gewalt, an ihre Brust; erinnerst Du Dich wohl, dass ich Dich mehrmals gefragt habe, ob Du mit mir sterben willst? - Aber Du sagtest immer nein - Ein Strudel von nie empfundner Seligkeit hat mich ergriffen, und ich kann Dir nicht leugnen, dass mir ihr Grab lieber ist als die Betten aller Kaiserinnen der Welt. - Ach, meine teure Freundin, möchte Dich Gott bald abrufen in jene bessere Welt, wo wir uns alle, mit der Liebe der Engel, einander werden ans Herz drücken können.
- Adieu.“

An gleichen Tage an die Halbschwester, die ihn alimentiert hat: „Ich kann nicht sterben, ohne mich, zufrieden und heiter, wie ich bin, mit der ganzen Welt, und somit auch, vor allen anderen, meine teuerste Ulrike, mit Dir versöhnt zu haben. …, Du hast an mir getan, ich sage nicht, was in Kräften einer Schwester, sondern in Kräften eines Menschen stand, um mich zu retten: die Wahrheit ist, dass mir auf Erden nicht zu helfen war. Und nun lebe wohl; möge Dir der Himmel einen Tod schenken, nur halb an Freude und unaussprechlicher Heiterkeit, dem meinigen gleich: das ist der herzlichste und innigste Wunsch, den ich für Dich aufzubringen weiß. / Stimmings bei Potsdam / d. - am Morgen meines Todes.“

An den befreundeten Kriegsrat Peguillhin gehen die folgenden prophetischen Zeilen: „Mein sehr werter Freund! Ihrer Freundschaft die Sie für mich, bis dahin immer so treu bewiesen, ist es vorbehalten, eine wunderbare Probe zu bestehen, denn wir beide, nämlich der bekannte Kleist und ich befinden uns hier bei Stimmings, auf dem Wege nach Potsdam, in einem sehr unbeholfenen Zustande, indem wir erschossen*da liegen, und nun der Güte eines wohlwollenden Freundes entgegen sehn, um unsre gebrechliche Hülle, der sicheren Burg der Erde zu übergeben. Suchen Sie liebster Peguilhen diesen Abend hier einzutreffen und alles so zu veranstalten, dass mein guter Vogel möglichst wenig dadurch erschreckt wird, diesen Abend oder Nacht wollte Louis seinen Wagen nach Potsdam [schicken], um mich von dort, wo ich vorgab hinzureisen, abholen zu lassen, dies möchte ich Ihnen zur Nachricht sagen, damit Sie die besten Maßregeln darnach treffen können. Grüßen Sie Ihre von mir herzlich geliebte Frau und Tochter viel tausendmal, und sein Sie teurer Freund überzeugt daß Ihre und Ihrer Angehörigen Liebe und Freundschaft mich noch im letzten Augenblick meines Lebens die größte Freude macht.“ Dem aufmerksamen Leser wird trotz des Kleist’schen Stiles auffallen, dass dieser Brief nicht von der Hand des Dichters stammt, denn er endet mit
„Ihre A. Vogel“

Wiewohl die junge Mutter und der notorisch erfolglose Dichter niemals eine körperliche Beziehung eingegangen sind, im Geistigen sind sie eins geworden – vielleicht ein Grund, dass Henriette A. Vogel den atypischen Wunsch für eine Frau hatte, dass sie im Fechten und strategischen Denken geübt werde.
Am 20. November, einem Mittwoch, es war kalt, hinterlegten die beiden triumphierenden Todessehnsüchtigen in der Gesindestube der Frau Vogel die letzten Briefe.

Die Lage der Toten am Wannsee ist der sterbende heilige Magdalena nachgestellt. Das Gemälde findet sich heute im Musée des Beaux-Arts in Besançon.

Quellen:
Briefe und Stücke nebst diversen Aufsätzen aus dem Kleist-Archiv Sembdner, Heilbronn
div. Beiträge aus dem Feuilleton der Zeit Nr. 2 vom 5. Jan. 2011
Und unter http://freitod.50g.com/
Reinhold Steig: Heinrich von Kleist’s Berliner Kämpfe, Berlin, Stuttgart 1901
Peter Michalzik: Seelen unterwegs zum Himmel, Frankfurter Rundschau und
Heinrich von Kleists und Henriette Vogels gemeinsamer Freitod als Muster-Suizid, NZZ 18. 4.2011

Die Rechtschreibung wurde der aktuellen angepasst.

Gruß

Friedel

 

Lieber Friedel

Mit Schmunzeln nahm ich dein vertieftes Forschen, das die Geschichte am Kleinen Wannsee auslöste, zur Kenntnis. Ich hätte nie gedacht, dass der kleistsche Esprit im blinden Spiegel des Narziss erstmals und eher zufällig eingebracht, sich in diesem Gedenkjahr, wie Steinwürfe im Wasser, fortsetzen würden.

Die von dir hier eingebrachten Briefe vermögen dem Leser sicher noch vertiefter Kleists Befindlichkeit vor seinem Tode näher bringen. Nicht unbedingt verstehen, aber ihn so erfahren, wie er war. So finde ich es denn eine sehr schöne Ergänzung.

Gruss

Anakreon

 
Zuletzt bearbeitet:

Ich denke, dass Du bestenfalls einen Entschluss bei mir ausgelöst, der sich bei mir verfestigt, verwirklicht zu werden und was böte sich da besser nach dem Shakespeare der Novelle und vollender der (bürgerl.-) realistischen Erzählung - der ja in Wirklichkeit ins dramatische Fach gewollt hätt' - den Dramatiker sich vorzunehmen, der die Novelle auf einen Schlag auf zuvor nicht gekanntes Niveau im deutschen Sprachraum brachte? Aber erst ist mal die Generation zuvor, personifiziert durch Hamann dran

Hallo Anakreon,

ich bin den – wie ich finde - verbesserten Text einmal durchgegangen und hätte das eine und andere anzubringen in der Reihenfolge seines Auftritts, dass die spätere Arbeit nicht gar zu umfangreich würd':

Der Ehemann von Henriette, Friedrich Ludwig VogelKOMMA genannt Louis, hatte zugestimmt, …

Wenn sie lauter miteinander sprachen, waren manch vertrauliche Worte hörbar.
Der Satz ist durchaus in Ordnung und im gesprochenen Wort korrekt, insofern mag das, was jetzt folgt, an sich entbehrlich (vielleicht hörte ich mich auch nur allzu gerne, was beim Schreiben aber ausgesprochen paradox wäre) sein.

Aber das Adjektiv bar steht in den germanischen Sprachen synonym zum bloß und bedeutet dann nackt / entblößt /unbedeckt, woraus sich die Bedeutung deutlich / offenkundig entwickelt bis hin im Geldverkehr zum „sofort verfügbar“. Eine andere etymologische Linie leitet das Suffix von der alten Bedeutung tragen / bringen ab, wie es noch im Gebären (ahd. giberan, mhd. gebern) anklingt – hat aber den gleichen Effekt, wie die vorher genannte Mythe: Prä- und Suffixbildung verwandeln Substantive in Adjektive: Bläck Fööss reduzierten sich hierorts zu barfuß, was Furcht einflößt ist einfach furchtbar. Nun werden auch Verben zu Adjektiven, aber fürs Verb hören bedeutet die Verwandlung so viel wie „was gehört werden kann“, also zu dem [er]läuternden einleitenden Nebensatz eigentlich eine Verdoppelung, - entweder im Nebensatz oder im angefügten Hauptsatz. Ich selbst fände darum eine Konstruktion wie etwa „Wenn sie lauter miteinander sprachen, waren manch vertrauliche Worte[zu hören]“, Worte also, die eigentlich nicht für andere Ohren bestimmt waren, als angenehmer.

…, zierten sie sich nichtKOMMA ihre Gefühle zu zeigen.
Du weißt schon: K 117, 2.

Warum wählt man immer wieder die scheinbar einfache Lösung beim Infinitivsatz, die sich bei den vielfältigen Ausnahmen als Fehlerquelle & Fußfalle erweist, und setzt grundsätzlich bei Infinitvsätzen ein Komma. Die Regel des Nichtsetzens kann, muss aber nicht angewendet werden.

… in den „Berliner Abendblätter[n]“, …
Ich würde Eigennamen beugen, der Prinz F. v. Homburg wenige Zeilen später zeigts eh an, Du auch.

… Paar ohne eine jegliche Leidenschaft.
Bei „ohne einer jeglichen“ ist entweder das Zahlwort oder das Pronomen, vielleicht sogar beides entbehrlich, denn beides ist mehr als keins, ob „ohne eine“ oder „ohne jegliche“, „ohne Leidenschaft“ sagt’s doch schon. Mein Beispiel wäre an sich "in keinster Weise" - aber das Ruhrgebiet stirbt aus, wird wieder Sumpf und Auenwald, wenn die Opelaner in den Schwarzwald abzögen und Sueben würden ... oder doch Alamannen ...
«Bist du schon wach mein Herzchen?»
Kleist hat Satzzeichen scheinbar willkürlich gebraucht. Sie dienten ihm aber auch als Regieanweisung. Hier bin ich mir sicher, hätte er ein Komma gesetzt …

Heute würde ihr gemeinsamer grosser Tag werden.
Säh’ ich gern vermieden, aber warum nicht einfach Futur oder gar Präsens: „Heute wird ihr gemeinsamer grosser Tag werden. / Heute ist ihr gemeinsamer grosser Tag“, denn wenn einer konsequent bis zum Exzess wäre (auch literarisch), dann HvK!

…, glorios unterstreichend. . Doch es war …
Zwischen die Sätze hat sich ein Punkt verirrt.

…, beobachtete das Paar, wie sie da miteinander schäkerten.
Mag sein, dass der Tagelöhner so spräche, wie ja auch öfters als korrekt „ … das Mädchen …, die …“ konstruiert wird, aber das Personalpronomen zum Paar, auf das es sich bezieht, wäre hier es.

…, die sich dankbar an ihn anschmiegte.
An als Vorsilbe ist m. E. entbehrlich.

Die Wirtsleute nahmen die Bestellung mit Verwunderung zur Kenntnis …
Da ließe sich Substantivierung (Stil, der in Büros gepflegt wird, wo man auch jedes beliebige Tun tätigt …) eindämmen: „Die Wirtsleute nahmen die Bestellung verwundert auf …“

Doch der Gast war König undKOMMA einen solchen Wunsch zu erfüllenKOMMA war wohl sonderlichKOMMA aber nicht unmöglich.
No comm...

„An sich“ stört die Verwendung der Partizipien mich wenig, ließe sich eh nicht vermeiden und wozu soll’s so etwas geben, wenn’s nicht zu brauchen wäre?, wie ich auch finde, dass ein individueller Stil allem einheitlichen Geplapper vorzuziehen ist. Letztlich aber will ich dann doch auf die Partizipititis vor allem gegen Ende eingehen: halten / blicken / forschen und dann geballt versichern / lesen – im folgenden Satz ließe sich einiges vermeiden:

Henriette und Heinrich standen in der Senke, einander an den Händen haltend und sich tief in die Augen blickend. Ihr Gesicht zeigte ein Lächeln, während er sie forschend ansah, wie in ihren Augen sich nochmals der Sache versichernd lesend.
Etwa durch geringe Umstellung: „Henriette und Heinrich standen in der Senke, hielten einander an den Händen und blickten sich tief in die Augen. Ihr Gesicht zeigte ein Lächeln, während er sie forschend ansah, als lese [alt.: läse] er in ihren Augen, sich nochmals der Sache zu versichern.“

Aber das wäre nur ein Vorschlag, das Wetter ist zu trocken & warm und nicht nur Hunde lechzen nach Leckerchen … Das könnte dem frischen, grünen Laub eine frühe, ungeliebte Farbe verheißen ...

Gruß

Friedel

 

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