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Amygdala
David Curtis saß mit seiner Frau auf der Veranda ihres Farmhauses. Die Sonne fiel schon über das Gemüsebeet her, doch da gab es nichts mehr, das der Mühe lohnte.
Zum Frühstück gab es Müsli mit Beeren. David schob seine Schüssel weg.
„Schon satt?“, fragte Liz.
„Das Zeug macht doch nicht satt. Rührei mit Speck. Das nenne ich Frühstück.“
„Du weißt, deine Cholesterin-Werte.“
David seufzte und griff nach der Zeitung.
„Hast du schon gehört? Die Randells wollen ihre Farm verkaufen.“
„Bist du sicher?“ David ließ die Zeitung sinken.
„Ja, ich hab Ruth gestern in der Stadt getroffen.“
David zuckte mit den Schultern. „Na, die müssen‘s ja wissen“, murmelte er.
„Wir sollten auch gehen, Dave.“
„Das hatten wir doch schon alles durch. Ich geh hier nicht weg.“
„Die Schafe fressen uns die Haare vom Kopf.“
„Wir verkaufen die Schafe und schaffen uns Alpakas an. Die sind genügsamer. Hab‘s durchgerechnet. Und bald regnet‘s, du wirst sehen. Dann sieht alles gleich anders aus.“
„Bald regnet‘s. Bald regnet’s. Das hör ich jetzt schon zwei Jahre!“
„Auf NBN haben sie ein Tiefdruckgebiet angesagt.“
Das Tiefdruckgebiet löste sich in heißer Luft auf und Liz wurde immer reizbarer. Die Schafzucht war ein Verlustgeschäft. Die Weiden waren längst verdorrt und das Futter musste mühsam mit dem Lastwagen herangeschafft werden. Gleichzeitig wuchsen die Preise für Futter, Treibstoff und Farmgeräte ins Uferlose. Die Bank saß ihnen im Nacken. Alles gute Argumente, die Farm aufzugeben und dem Beispiel der Randells zu folgen. Argumente, die Liz eines Abends, als sie auf der Veranda saßen, so vehement wie noch nie zuvor vortrug. David trank einen Schluck von seinem Whiskey, dann erwiderte er: „Meine Urgroßeltern sind schon um 1900 in die Gegend gekommen. Die haben die Farm aufgebaut. Ich bin hier aufgewachsen, Lizzy. Ich bin Farmer, kann nichts anderes. Das weißt du doch! Glaubst du, ich kann in der Stadt leben? Was soll ich da? Da ist es laut, hektisch, die Nachbarn trampeln einem auf den Füßen rum! Und dafür soll ich das alles hier aufgeben?“ Er machte eine weit ausholende Geste zum Horizont hin. Für seine Verhältnisse kam seine Antwort einer stundenlangen Rede gleich.
Du sturer Bock, dachte Liz. Die beiden Falten zwischen Daves Augenbrauen, die sie so gut kannte, hatten sich vertieft, seine Lippen, die sie nach all den Jahren immer noch küssten, waren fest zusammengepresst. Das Problem war, sie liebte diesen sturen Bock und konnte sich ein Leben ohne ihn nicht vorstellen.
„Wir schuften uns hier ab, ackern sechzehn Stunden am Tag, und wofür? Nicht mehr lange und alles gehört der Bank“, versuchte sie es nochmals, wusste aber schon die Antwort.
„Die Dürre kann nicht ewig dauern.“
Sie mühten sich weiter ab, reparierten Zäune, kümmerten sich um die Tiere, saßen nächtelang über Websites mit Langzeitwetterprognosen. Sie verkauften die Schafe mit Verlust und schafften sich Alpakas an, doch das änderte nichts. David arbeitete verbissen, Liz mechanisch wie ein Roboter. Sie wurde stiller, legte immer längere Pausen ein, starrte auf die mit verblichenem Gras bedeckten Hügel, auf die vereinzelten blattlosen Bäume, die sich in die ausgedörrte Erde krallten. Eines Morgens blieb Liz im Bett liegen und reagierte nicht auf Davids besorgte Fragen. Irgendwann stand sie auf und schleppte sich ins Wohnzimmer. „Ich kann nicht mehr!“, war alles, was sie sagte. Ihr Zustand verschlechterte sich. Sie aß nur mit viel gutem Zureden und brauchte morgens Stunden, um aufzustehen. David holte Doc Layton, und der bestätigte, was David schon ahnte. Der bei den Farmern der Gegend berüchtigte „Schwarze Hund“ hatte sich in die Seele von Liz geschlichen und es sich dort bequem gemacht. Doc Layton verschrieb ein Antidepressivum und empfahl: „Sie muss hier weg, in eine andere Umgebung.“
Nachdem der Doktor gegangen war, saß David noch lange am Bett neben seiner Frau. Ihr rotblondes Haar hing ihr wirr in die Stirn. Die Augen hielt sie geschlossen. Wie schmal ihr Gesicht geworden ist, dachte er. Er strich über ihre Hand und erinnerte sich an den Tag, an dem Liz auf die Farm gekommen war. Als Lady Rider brauste sie auf ihrer „Barbarian“ heran, ein City Girl aus Melbourne, das für ein paar Wochen an dem Hobby-Farming-Programm teilnehmen wollte. Dave hatte seine Farm für das Programm angemeldet, weil er jede helfende Hand gebrauchen konnte. Er verknallte sich sofort in Liz und konnte es kaum fassen, als er merkte, dass sie sich auch für ihn interessierte. Sie, die lebhafte, oft lachende rothaarige Schönheit. Was fand sie bloß an ihm, dem stoischen, unbeholfenen Farmer, der noch dazu zehn Jahre älter war als sie?
Da öffnete Liz die Augen. „Der Doc hat recht“, flüsterte sie. „Ruf unsere Tochter an. Es ist besser, wenn ich zu ihr ziehe. Nur für eine Weile, bis es mir besser geht.“
David nickte. Er hatte einen Kloß im Hals und konnte nichts sagen.
Ein paar Tage später kam ihre Tochter aus Melbourne mit ihrem roten Toyota Corolla, um Liz zu holen.
„Mach‘s gut, Dave“, sagte Liz zum Abschied.
„Lizzy, ich …“ David verstummte.
Plötzlich umarmte Liz ihn heftig, dann löste sie sich von ihm und stieg in das Auto zu ihrer Tochter. David sah der Staubfahne nach, sein Gesicht unter dem schüsselgroßen Schlapphut so rot und ausgedörrt wie der Boden seiner Farm. Dann blickte er zu den Alpakas. Ihr Summen war verstummt. Selbst dafür zu lethargisch dösten sie in der Hitze.
Ein paar Wochen später kam der Regen endlich. Ein Tiefdruckgebiet nach dem anderen jagte über die Gegend hinweg und entlud seine Fracht auch über Davids Farm. Die Natur trank gierig und nach ein paar Monaten war die vorherrschende Farbe der Gegend Spinatgrün. Die Alpakas summten wieder.
Als David Liz eines Tages anrief, wie er es regelmäßig tat, meinte er, die Zeit sei gekommen, ihr die entscheidende Frage zu stellen. „Wann kommst du zurück, Lizzy? Jetzt, wo die Dürre vorbei ist, können wir‘s schaffen. Sieh mal, wie‘s hier aussieht.“ Er hielt sein Smartphone so, dass Liz die sattgrünen Weiden sehen konnte.
Doch Liz druckste herum. Sie sei gerade aus dem schwarzen Loch herausgekrabbelt, habe in Melbourne einen Job gefunden. Wieder als Lehrerin zu arbeiten, mache ihr Spaß. Als David weiter in sie drang, rückte sie endlich damit raus: „Ich komm nicht mehr zurück, Dave. Auf der Farm geh ich kaputt.“
David umklammerte das Smartphone so fest, das die Sehnen seiner kräftigen Hand hervortraten. Einem ersten Impuls folgend, wollte er es auf den Boden werfen und darauf herumtrampeln. Er bezwang sich und legte nach ein paar belanglosen Worten auf. Von da an rief er Liz immer seltener an.
Als die Warndurchsagen im Radio kamen, machte sich David zunächst keine Sorgen. Das Feuer war weit weg und schlug eine Richtung ein, die ungefährlich war. Dann drehte der Wind und die Warnungen von ABC wurden dringlicher. Schließlich rief der Sender dazu auf, die Farmen rings um Nairne zu evakuieren.
David ignorierte den Aufruf und bereitete sich darauf vor, sein Heim gegen das Buschfeuer zu verteidigen. Er vergewisserte sich, dass die Zisterne gefüllt war, prüfte die Pumpen und installierte Wasserschläuche. Wände und Dach des Farmhauses wässerte er mit Schläuchen und Eimern und füllte die Regenrinnen. So vorbereitet fühlte er sich für den Kampf gewappnet. Am frühen Nachmittag bemerkte er Rauch, der aus den Hügeln in einiger Entfernung aufstieg, und es dauerte nicht lange, bis der Himmel vollkommen schwarz war. Ascheflocken, die immer zahlreicher wurden, rieselten zu Boden wie grauer Schnee. Dann hörte er ein merkwürdiges Geräusch, wie das ferne Heulen eines gewaltigen Tieres, das lauter und lauter wurde. Jetzt konnte er auch die Feuerwand sehen. Rasend schnell rollte sie auf ihn zu. Sie war mindestens zweihundert Fuß hoch, leuchtete grell orange und über ihr erhob sich eine doppelt so hohe Wand aus grau-schwarzem, wirbelndem Rauch. Das Geräusch war inzwischen so laut, dass es in den Ohren dröhnte, und hörte sich an, als würden ein halbes Dutzend Jumbo-Jets gleichzeitig starten. David erkannte, dass all seine Vorbereitung hier nichts nützen würde. Jetzt ging es nur noch darum, sein Leben zu retten. Für Flucht war es zu spät. Davids Herz raste, doch er fühlte keine Panik in sich aufsteigen, war nur hellwach. Er überlegte, welcher Zufluchtsort am besten geeignet wäre, und wählte die Werkstatt aus, da es dort kaum brennbares Material gab. Dort legte er sich flach auf den Steinboden und hielt so fast eine Stunde aus, während über ihm das Inferno tobte. Als er so auf dem Boden lag, nach Luft rang und das Wüten der Feuersbrunst hörte, kroch die Angst endlich doch in ihn hinein. Er hatte mal ein Bild von einem Brandopfer in der Zeitung gesehen. Sein Unterbewusstsein meinte, es sei passend, es nun wieder hervorzukramen. Er erblickte ein unförmiges schwarzes Ding mit verrenkten Stümpfen anstelle der Gliedmaßen, das die Zähne bleckte. In wenigen Minuten würde er bei lebendigem Leib verbrennen und genauso aussehen. Alles, was von ihm bliebe, wäre ein verkohlter Leichnam, der nur anhand der Zähne zu identifizieren war. Lizzy, seine Lizzy durfte ihn nicht so sehen. Ich will nicht sterben! Dieser eine Gedanke füllte sein Hirn irgendwann zur Gänze aus. Dann hatten sich die Mauern und der Fußboden so stark aufgeheizt, dass er sich wie in einem Backofen vorkam. Sein Verstand war indisponiert und seine Instinkte übernahmen. Weg, nur weg von hier, hin zur Garageneinfahrt! Wie ein Soldat im Krieg unter feindlichem Beschuss robbte er los, drückte sich mit Ellenbogen und Knien vorwärts, immer dicht über dem Boden, während Glutnester als rasende Feuerbälle rings um ihn her einschlugen und funkenstiebend zerbarsten. Er rang nach Luft, würgte, kämpfte gegen den quälenden Hustenreiz – der Rauch drang gnadenlos in seine Lungen. Er schaffte es zur Einfahrt und blieb dort liegen, bis das Feuer vorbei war.
Die Einwohner von Nairne dachten, David wäre im Feuer umgekommen, aber er überlebte – mit Verbrennungen an den Ellenbogen und Knien und Rauch in der Lunge.
Ob er Angst gehabt habe, fragte ihn später jemand. David antwortete nicht.
Äußerlich hatte sich David nicht verändert. Nicht mal seine Haare waren grauer geworden und sein faltiges Gesicht mit den zusammengekniffenen Augen wirkte abweisend wie immer.
Nach der Brandkatastrophe lebte er weiter allein auf seiner Farm zwei Meilen von der Stadt entfernt und zehrte von der Unterstützung der Regierung. In der Nähe seines abgebrannten Hauses hatte er ein aus Armeebeständen ausrangiertes Zelt aufgestellt und die Zisterne wieder auffüllen lassen. Ein Notstromaggregat, einen Gas-Campingkocher, ein Feldbett, einen Schlafsack, mehr brauchte er nicht. Hin und wieder tauchte er in den Geschäften des Ortes auf. Im „Whombat’s Whisk“ trank er zwei-, dreimal die Woche seine zwei Pale Ales und blieb meist für sich.
„Was willst du jetzt machen, Dave?“, hatte ihn der Barman mal gefragt.
„Keine Ahnung.“
„Du könntest zu deiner Frau nach Melbourne ziehen.“
„Ich geh hier nicht weg, Matt!“
„Aber deine Farm ist im Arsch.“
„Kann schon sein.“
Der Barman gab‘s auf.
Die anderen Gäste kümmerten sich nicht groß um David. Er hatte eine gewisse Berühmtheit erlangt, als die Story von seinem Überleben in der Zeitung stand, aber jeder hatte genug mit sich selbst zu tun. Bald redete niemand mehr über die Sache.
Eine Zeit nach der Brandkatastrophe tauchte im Pub wieder einmal ein Journalist auf. Er erkundigte sich nach David und der Barman deutete in eine Ecke, wo David alleine an einem Tisch saß.
„Kann ich mich mal einen Moment zu Ihnen setzen?“, fragte der Journalist, nachdem er sich vorgestellt hatte.
David zuckte mit den Achseln. Der Journalist nahm es als Zustimmung und setzte sich.
„Unsere Leser interessiert, wie Sie die Brandkatstrophe überlebt haben“, begann er. „Wie haben Sie das geschafft?“
„Hab ich doch alles schon ihren Kollegen gesagt. Zig Mal.“
„Ich weiß. Aber ich will eine richtige Story daraus machen. Ich will, dass die Leser begreifen, was Sie durchmachen mussten.“ Der Journalist kramte in seiner Jackentasche nach einer Zigarette und zündete sie an.
David sah das Flämmchen des Feuerzeugs und seine Augen weiteten sich. Er öffnete den Mund zu einem Schrei, doch kein Laut kam von seinen Lippen. Er schien erstarrt zu sein, aber dann schaffte er es, aufzustehen und aus der Kneipe zu flüchten.
Von da an mied David den Pub. Tagsüber dämmerte er meist in seinem Zelt vor sich hin. Er stand nur auf, um sich eine Büchse mit Bohneneintopf warm zu machen oder ein Bier zu holen. Gelegentlich rief Liz auf seinem Smartphone an. Sie sagte Sachen wie „Du siehst ja furchtbar aus“ und „Verkauf endlich und komm her“, er darauf „Mir geht’s gut“ und „Ich kann nicht in der Stadt leben“. Einmal deutete er an, dass er schlecht schlief. Liz bohrte nach und er wünschte, er hätte nichts gesagt. Gegen Abend wurde er von Unruhe ergriffen, wanderte rastlos über das Gelände seiner Farm. Versuchte, wach zu bleiben. Legte sich irgendwann doch auf sein Feldbett. Hoffte, diesmal verschont zu bleiben. Doch die Flammenwand raste auf ihn zu. Das Brüllen des Feuers. Der Rauch. Die Hitze. Die Blasen auf seiner Haut. Das Atmen, das immer schwerer fiel. Dann erwachte er schweißgebadet, spürte noch die Gluthitze. Sein Herz raste. Jeder Atemzug fühlte sich an, als würde er Rauch in seine Lungen ziehen, und der beißende Geruch nach verbranntem Holz verflog erst allmählich.
Kurz nach dem missglückten Interview des Journalisten kam Mr. Broderick in die Stadt. Mr. Broderick war ein dürrer Mann mit Halbglatze und Hornbrille. Er trug Anzug und Krawatte, als hätte er gerade erst das Büro seiner Bank verlassen. Er war aber Psychiater und erkundigte sich nach dem Weg zu Davids Anwesen. Dann fuhr er mit seinem schwarzen Ford raus zu ihm. Davids Anwesen war nicht mehr als ein Haufen Mauerreste auf einer mit Asche bedeckten Einöde. Verkohlte Baumgruppen, ehemals Eukalyptusbäume und Kiefern, standen herum und trauerten besseren Zeiten nach. Im Schatten eines Hügels entdeckte Broderick ein Armeezelt und steuerte darauf zu.
Er blieb vor dem Zelt stehen.
„Mr. Curtis?“, rief er, erhielt aber keine Antwort.
Mr. Broderick war nicht den weiten Weg von Adeleide herauf gekommen, um sich damit zufrieden zu geben. Er schlug die als Eingang dienende Zeltplane zurück und betrat das Innere. Drückende Hitze ließ ihn nach Luft schnappen und Schweißperlen traten auf Glatze und Stirn. Nachdem sich seine Augen an das Dämmerlicht gewöhnt hatten, entdeckte er in einer Ecke ein Bündel aus alten Säcken. Darauf lag ein Mann, der das Zeltdach anstarrte.
„Mr. Curtis?“
„Verschwinden Sie.“
Mr. Broderick sah sich nach einer Sitzgelegenheit um, zog eine Kiste heran und setzte sich. Nachdem er sich vorgestellt hatte, sagte er mit eindringlicher Stimme: „Ich kann Ihnen helfen, Mr. Curtis. Ihre Frau hat sich an unser Institut gewendet. Sie macht sich Sorgen um Sie.“
„Hau‘n Sie ab!“
„Geben Sie mir fünf Minuten. Danach lass ich Sie in Ruhe, wenn Sie es wünschen, versprochen. Glauben Sie mir, Sie werden es nicht bereuen. Einverstanden?“
Schweigen, dann, als Mr. Broderick sich schon erheben wollte: „Na gut.“
Mr. Broderick fuhr mit tiefer beruhigender Stimme fort: „Ich weiß, was Sie durchmachen. Ich behandle seit über zwanzig Jahren Patienten mit Angststörungen.“
„Und? Haben Sie denen helfen können?“
„Ich will ganz ehrlich zu Ihnen sein. Bis jetzt den wenigsten.“
„Was wollen Sie dann noch hier? Raus!“
„Moment, Moment. Ich hab noch drei Minuten. Also, unser Institut arbeitet mit der „Mayne Pharma Group“ zusammen. Das Unternehmen hat ein Medikament entwickelt, das sich noch in der Erprobung befindet. Propanolol. Und das kann die Amygdala beeinflussen. Das ist die für Angst zuständige Region des Gehirns. Die Substanz löscht das Angstgedächtnis. Es funktioniert und es gibt kaum Nebenwirkungen. Wir brauchen aber mehr Tests.“
„Sie wollen mich also als Versuchskaninchen. Nein danke.“
„Mr. Curtis, nach der Behandlung, für Sie übrigens komplett kostenlos, werden Sie alle ihre traumatischen Gefühle vergessen, die Sie während des Buschfeuers entwickelt haben.“
David seufzte und schließlich sagte er: „Na gut, was hab ich schon zu verlieren dabei.“
Er brauchte nicht lange, um seinen Rucksack zu packen.
Da ein Tankwart die beiden gesehen hatte, sprach sich rasch herum, dass David zusammen mit dem Psychiater die Stadt verlassen hatte. Zwei Wochen hörte man nichts von ihm, dann war David wieder da. Er wirkte kaum verändert, lächelte aber manchmal sogar und besuchte wieder den Pub. Auf Fragen antwortete er nur einsilbig, doch nach und nach kam heraus, dass er wegen seiner Angst vor Feuer behandelt worden war.
Eines Abends wollte es der Barman wissen. Nachdem er David sein Pale Ale eingeschenkt hatte, fragte er: „Sag mal, Dave, bist du wirklich geheilt?“
Als David nickte, nahm der Barman sein Feuerzeug, schnipste die Flamme an und zündete sich demonstrativ langsam eine Zigarette an.
David betrachtete die Flamme. „Gib dir keine Mühe“, meinte er nur. „Ich bin drüber weg.“
Viele Augen waren auf David gerichtet gewesen, die Kartenspieler am Tisch neben dem Tresen hatten ihr Spiel unterbrochen. Jetzt ging wie ein leiser Windzug ein kollektives Ausatmen durch den Pub.
„Hey Dave, du hast es wirkich geschafft.“ Der Barman grinste und bot David die Hand zum High Five.
„Sorry für das Feuerzeug eben, war saublöd von mir, aber ich wollt‘s einfach wissen.“
Ein Lächeln stahl sich auf Davids Gesicht. „Schon gut, Matt.“ Er schlug in die Hand ein.
Ein paar der Gäste klatschten. Ein rothaariger Miner vom Tisch der Kartenspieler stand auf, ging zum Tresen und hieb David mit seiner Pranke auf die Schulter. Andere kamen nach, umringten David und beglückwünschten ihn.
„Eine Runde aufs Haus!“, rief der Barman. Keinem fiel auf, dass Davids Hand zitterte, als er sein Glas hob.
Spät machte sich David auf den Heimweg. Er betrachtete die Wolken, welche die tief am Horizont hängende Sonne entflammt hatte, und zwang sich, weiter hinzusehen. Früher hätte er den Anblick schön gefunden. Früher war früher, jetzt war jetzt. Es wurde Zeit, die Tatsachen anzunehmen. Mit der Angst würde er leben müssen, genau wie damit, dass seine Farm Geschichte war und Lizzy nicht mehr kommen würde. Er durfte nicht so weiter machen. Die verdammte Farm verkaufen, das war der einzige Weg. Zu Liz. Irgendeinen Job in Melbourne annehmen. Es würde sich schon was finden.
Als er die Farm erreichte, erblickte er als erstes einen roten Toyota Corolla, dann Liz, die auf ihn zu lief.