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Am Zaun

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13.11.2002
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Am Zaun

Mit festgeketteten Händen einen Porno zu sehen, muss das gleiche sein- unbefriedigend.
Ich stehe vor ihr, den Arm erhoben, bereit, ihr eine Ohrfeige zu verpassen, die alle Lichter zum erlöschen bringen könnte. Aber im Rauchglas der Wohnzimmervitrine sehe ich nicht das flache Dreieck, das meine Hand hätte sein sollen: Ich sehe eine Faust, festgefroren in mit Worten vergifteter Luft. Sie schwebt dort, knochig und hart, und sie bleibt dort.
So ist es immer.
Sabines Waffen sind einfach besser. Paradox: Je häufiger sie ihre benutzt, um so schärfer werden sie. Und, um im kriegerischen Jargon zu bleiben, sie hat eine Geisel. Unsere Geisel.
Ihre...und meine.

»...........Jugendamt.....Verfügung........«, brüllt sie.
Erstaunlich. Ich starre auf ihren Lippenstift, während kleine Explosionen einer Wut vor meinen Augen zerbersten.
Mein Hirn, das träge Ding, filtert alles - alle Drohungen, jede noch so kreative Beleidigung, egal ob neu oder schon x-mal vernommen.
Jugendamt.
Verfügung.

Nur diese Worte verfangen sich zwischen den schnappenden Kiefern meiner Wut. Diese Worte sind nicht klein zu kriegen.
Ich kann alles sein: Sittenstrolch, Verbrecher, Trinker, Penner, Arbeitsloser, wahlweise Schwarzarbeiter, Rassist, Komiker.
All diese Rollen und ihre Kostüme stehen stets für mich parat, wann immer es Sabine beliebt. Momentan gebe ich den Berserker, weil mich niemand schneller dazu bringt, in diese Kutte zu schlüpfen.
Ein unbedachter Moment, und ich hatte den Arm erhoben, weil sie das negativste gesagt – ausgegespien- hatte, was ich kannte: Schlechter Vater.
Ich bin kein schlechter Vater.
Ich bin nur so gut als Vater, wie es der Präsident als Führer der USA wäre, wenn sie ihn auf Kuba festhalten würden. Auf Distanz schafft das niemand.
Distanz.
Klingt so technisch.
Distanz ist eine unbeleuchtete Haustür nachts um drei, während man auf ein kindliches Atmen aus dem Fenster über einem lauscht.
Distanz sind zwei Meter Teppichboden zwischen zwei Stühlen in einem Amtszimmer.
Distanz sind acht Schritte von der Bank, die einen wie einen Spaziergänger- und dem Zaun des Kindergartens, der einen wie einen Sittenstrolch erscheinen lässt.
Ich gehe. Wie immer.
Das Bild meiner Tochter, das ich im Kopf trage, erscheint mir manchmal vorm Einschlafen sehr stark koloriert, als wolle mein Geist etwas beleben, was nur auf Papier existiert.
Das Jugendamt ist die Stätte der berühmten drei Affen; Sie halten sich allesamt die Augen zu, damit der Mund offen bleiben kann. Für sie bin ich, was sie in mir sehen wollen.
Distanz sind 21 mal 29,7 Zentimeter, Behördenstempel unten rechts.

Ich sehe meine Tochter durch den Maschendraht ihres Kindergartens.
Sie spielt mit irgend etwas, aber von hier aus kann ich nicht erkennen, was es ist.
Ein Zaun. Die Welt ist schlecht, ich weiß.
Freiheit: Das ist für mich ein kleines Zimmer, in dem ein Plüschmond eine Melodie spielen kann. Die Biene Maja lacht von der Lampe, und die Barbie hat noch nasses Haar von ihrer Badepartie in der Wanne.
Ich bin ein Gefangener.
Meine Zelle ist der ganze Rest der Welt.

 
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Wenn ich das richtig mitbekommen habe, war diese Geschichte ein Art "Auftragsarbeit", ja?
Sie ist Dir gut gelungen. Die Bilder passen und sind eindrucksvoll, geben das Gefühl des Vaters sehr gut wieder.

Kurz und prägnant.

Womöglich gibt es noch ein paar Stellen, die überarbeitswürdig wären.

während kleine Explosionen einer Wut vor meinen Augen explodieren.
Fänd ich besser, wenn da nur einmal was explodiert, sprich entweder Explosionen oder explodieren.

Für sie bin ich, als was sie mich sehen wollen.

Der Satz gefällt mir nicht, klingt in meinen Ohren nicht gut. Fehlt da ein "das"?
Außerdem würde hier eine Antwort auf die Frage passen, glaub ich. Z.B. eine Bearbeitungsnummer, ein Mann, der seiner Familie Böses will oder oder oder. Ist aber nur so ne Idee.

Die letzten beiden Sätze gefallen mir sehr, obwohl eine Verbindung mittels Bindestrich vielleicht noch besser wäre.

Ja, genug kluggescheißert. ;)
Würd mich freuen, mehr derartiges von Dir zu lesen.

Bea

 

Yeah gotcha... du bist gut Jack.

Verdammt guter Text für den Anfang und wenn ich die Zeit bedenke, die du nur gebrauchst hast, muss ich mich glatt zurücknehmen, um nicht Neid ;) aufkommen zu lassen.

Ein paar unrunde Stellen hat der Text, es ist auch mehr eine Art gedankliche Welt, die du gut darstellst, als eine handlungsreiche Geschichte und dennoch passiert schon einiges.
Du hast und das freut mich riesig, genau verstanden, was ich gemeint habe: wenn du anfängst Gefühle darzustellen, bist du in der Lage Tiefgang in deine Geschichten zu bringen.
Bleib mutig! Ich glaube ganz fest an dich.

Lieben Gruß
lakita

Hey....und danke. :)

 

Jo_oder_so schrieb:
Deine Geschichte ist kein schnell heruntergeschriebenes "Auftragswerk",

Ich hoffe, Du meinst nicht, dass ich mit "Auftragsarbeit" gemeint hätte, dass der Geschichte der Tiefgang fehlen würde...
Ebenso wenig wie Lakita die Zügigkeit der Textentstehung negativ gedeutet hat.

Wir sind beeindruckt, nicht wahr, Lakita? :)

 
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Hallo zusammen.

Die Fehler werden sofort exekutiert...Verzeihung!
Es ist zwar eine "Auftragsarbeit", aber sie kommt von Herzen.

YZA: Allerdings habe ich das so nie erlebt. Ich habe einen Sohn, und es läuft..äh..passabel. Kein Hass, kein Zaun.
Ironie, ab und zu.


Vielen Dank!

 

Ok, da ich die Geschichte auch gelesen habe, kann ich genauso gut auch meinen Senf dazu geben.

Da ich die Diskussion zum Entstehen dieser Geschichte kenne und daher auch die (geringe) Zeit einschätzen kann, die Du dazu gebraucht hast: Hut ab!

Aber ich bin ein bisschen zwiegespalten. Der Anfang gefällt mir nicht so gut. Direkt in der ersten Zeile die Erwähnung von Pornos in einer Geschichte, in der es um einen Vater, sein Kind und das Sorgerecht geht, gefällt mir ehrlich gesagt nicht. Ich weiß, dass es als Bild gedacht ist. Aber hier würde ich mir lieber ein anderes aussuchen.
Auch sonst fand ich den Anfang nicht ganz gelungen. Er holpert ein kleines bisschen.

Ab dem "So ist es immer" gewinnt langsam alles an Gestalt. Wirklich freigeschwommen (vor allem auch sprachlich) hast Du Dich meines Erachtens aber erst später: Ab

Distanz ist eine unbeleuchtete Haustür nachts um drei, während man auf ein kindliches Atmen aus dem Fenster über einem lauscht.
gefällt mir der Rest ausgenommen gut. Hier kommen die Gedanken des Prots klar zum Ausdruck, fühlt man die Verzweiflung, wird das ganze Geschehen greifbar. Und hier passt auch jedes Bild perfekt. Für den zweiten Teil der Geschichte: :huldig: (ernst gemeint!)

 

Hallo Jack,

jenseits allen (bei mir zweifellos vorhandenen) Neids finde ich es ungeheuer spannend, wie du dich entwickelst. Ich denke, bald ist bei dir die kritische Masse erreicht, ab der man von dir mehr lesen wird als "nur" Kurzgeschichten in Onlineforen.

Schreib ein Buch, ich kaufs :)

Zum Text: Ich bin der gleichen Meinung wie Katzano zum ersten Absatz, das passt nicht in die Gedankenwelt eines Vaters, den die Sehnsucht zu seinem Kind kaputtmacht. Es ist ein Gag, und von daher besser in einer deiner witzigen Geschichten aufgehoben.

Ansonsten: Nichts zu kritteln, so oft ich auch nachlese. Das Gefühl kommt an.

Gruß
Heinz

 
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Hallo Jack!

Schön, daß Du auch einmal rubrikenfremdgehst, so muß ich es nicht tun, wenn ich Dich kritisieren will. :)

Deine Geschichte hab ich mit Bauchweh gelesen. Weil sie mir nach dem ersten Viertel wirklich sehr gut gefällt, aber der Anfang für mich viel zu viel Aggression und Gewaltbereitschaft vermittelt, sodaß ich mir schwer tu, mit dem Protagonisten wirklich mitzufühlen.
Eins ist mir auch nicht ganz klar: Ist die Frau, der er so gern eine runterhauen würde, die Mutter des Mädchens oder die Sozialarbeiterin des Jugendamtes?
Und wieso ist die Hand ein Dreieck?:

Aber im Rauchglas der Wohnzimmervitrine sehe ich nicht das flache Dreieck, das meine Hand hätte sein sollen: Ich sehe eine Faust, festgefroren in mit Worten vergifteter Luft. Sie schwebt dort, knochig und hart, und sie bleibt dort.
So ist es immer.
Ich würde seinen Schmerz nicht durch gerade noch unterdrückte Gewaltbereitschaft zeigen, denn dadurch liest es sich für mich so, als ginge es primär um den Streit zwischen dem Protagonisten und der Mutter des Kindes, was auch durch das Bezeichnen des Kindes als Geisel verstärkt wird. - Eventuell könntest Du ihn ja denken lassen, was er gerne machen würde, ohne daß er die Hand hebt - stattdessen könnte er sich die Gründe geistig vorbeten, warum er sich zurückhält.

Es ist halt leider so, daß es auch solche gibt, die sich den Kindern gegenüber auch nicht zurückhalten, und wer soll so in die Menschen hineinsehen können, daß er sagen könnte: "Naja, der Mann hat nur Aggressionen gegen seine Ex-Frau, aber dem Kind würde er niemals etwas tun." - Niemand könnte das. Deshalb können die Behörden nur auf solche Anzeichen von Gewalt reagieren. Auch, wenn sie damit viele schwer treffen und das sehr traurig für diejenigen ist.

Aber wie gesagt, das betrifft alles nur die ersten paar Sätze, der Rest gefällt mir ausgesprochen gut. Ganz besonders der Schluß, das Gefängnis, das überall außerhalb dieses Zimmers ist, ist ein sehr gelungenes Bild. :thumbsup:

Liebe Grüße,
Susi :)

 

Nachtrag zu meinem Kommentar:

Dazu, dass ich das erste Bild für diese Geschichte nicht ganz passend finde vielleicht noch ein Argument: Die Situation ist ja nicht einfach unbefriedigend. Sie ist zum Verzweifeln, zum Wahnsinnigwerden. Daher hinkt das Bild auch hinsichtlich des Gefühls, das es vermitteln soll. Zusätzlich zu dem, dass es mir inhaltlich in dieser Geschichte nicht so gut gefällt.

Und ich wollte noch sagen, was mich am ersten Teil ein bisschen stört, weil es ja blöd ist, zu sagen "fand ich nicht so gut", aber es nicht klar festzumachen.
Im ersten Teil ist der Prot für mich wahrlich kein Sympathieträger. Das Porno-Bild, die zum Schlag erhobene Hand - hier kann ich mit ihm und seiner Situation noch nicht richtig mitfühlen. Das kommt erst im zweiten Teil.

Was ich sprachlich bemängeln wollte, ist eigentlich rein subjektiv: Der erste Teil ist sehr abgehackt. Hier gibt es jede Menge Gedankenfetzen, kleine Puzzlestückchen. Das passt auch zu der Erzählperspektive, denn hier werden ja die Gedanken des Prots beschrieben. Ich mag halt lieber ausformulierte Sätze, einen klaren, durchgängigen Stil. Ist also im Grunde kein Manko der Geschichte oder des Stils, sondern eher meine persönliche Vorliebe.

Sodalle, nu hab' ich aber eigentlich alles gesagt. Insgesamt finde ich die Geschichte aber nach wie vor extrem gut. Und um das zu untermauern (damit nicht durch den langen Kritikpart der Eindruck entsteht, ich fände die Geschichte mies), hier noch meine Lieblingspassagen:

Distanz sind acht Schritte von der Bank, die einen wie einen Spaziergänger- und dem Zaun des Kindergartens, der einen wie einen Sittenstrolch erscheinen lässt.
Tolle Ambivalenz, klasse rübergebracht!

Distanz sind zwei Meter Teppichboden zwischen zwei Stühlen in einem Amtszimmer.
Ein Satz, den man gut und gerne eine Weile auf sich wirken lassen kann, weil mit diesen paar Worten so viel ausgesagt wird. Etwas, das mir nie gelingt.

Distanz sind 21 mal 29,7 Zentimeter, Behördenstempel unten rechts.
Auch hier steckt unglaublich viel drin. Perfekte Reduzierung auf das Wesentliche.

Freiheit: Das ist für mich ein kleines Zimmer, in dem ein Plüschmond eine Melodie spielen kann. Die Biene Maja lacht von der Lampe, und die Barbie hat noch nasses Haar von ihrer Badepartie in der Wanne.
Ich bin ein Gefangener.
Meine Zelle ist der ganze Rest der Welt.
Was soll ich sagen? Gerade auch diese Passage macht den Prot lebendig und lässt einen so mitfühlen und mitleiden, dass man am liebsten direkt Trost spenden möchte.

 

Hi Jack!

Mein Kompliment für diese Geschichte, die ein Thema behandelt, das ein gesellschaftliches Schattendasein führt. Das Kind als Geisel der Frau im Krieg gegen den (ehemaligen) Partner. Du beschreibst recht eindringlich die ohnmächtige Wut eines Vaters, der seine Pflichten ohne die dafür nötigen Rechte nicht erfüllen kann.

Den Kritikpunkten Katzanos zum ersten Abschnitt möchte ich mich anschließen und zusätzlich dazu noch zwei Kleinigkeiten anmerken.

Ein unbedachter Moment, und ich hatte den Arm erhoben, weil sie das negativste gesagt - ausgegespien - hatte, was ich kannte: Schlechter Vater.
... ausgespien ...

Das Jugendamt ist die Stätte der berühmten drei Affen; Sie halten sich allesamt die Augen zu, damit der Mund offen bleiben kann.
Dieser Vergleich ist mir zu schwubbelig, da sich nicht alle der berühmten "Drei Affen" die Augen zu halten, sondern nur einer (Mizaru) davon. Mikazaru bedeckt die Ohren und Mazaru den Mund. *klugscheiß*

Gefällt mir trotzdem!


Ciao
Antonia

 

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