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Am Yerinat

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19.05.2015
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Am Yerinat

Die Frühlingssonne der Taiga lacht auf Agafja herab. Bald werden auf den Wiesen die Blumen blühen und zeigen wird die Schöpfung, dass es Gott gefällt. Sie blinzelt und hört auf das Flüstern der Geister im Wind, der Ahnen, der Toten. In der Nacht war das Bärenjunge mit seiner Mama zu Besuch. Der grelle Blitz der Signalpistole hat sie in die Wälder zurückgejagt.

Agafja schlägt das Kreuz, kniet, berührt mit der Stirn das Polster, das vor der Ikone liegt, steht auf, beginnt von vorne, zählt mit, sieben Wiederholungen müssen es werden. Man muss sich rein halten um der Seele willen, damit die Gebete zum Himmel steigen, kein Unglück passiert. Nüsse, Honig, die Früchte der Erde, der Sträucher und Bäume sind an den Fastentagen erlaubt. Sie betrachtet das Bild der Brüder, schwarzweiß, aber sie erkennt ihre Blicke, ihr Lächeln. Die Gräber liegen nebeneinander, einfache Holzkreuze, oben der Balken im rechten Winkel, unten schräg, wie es die alte Kirche vorschreibt. Man hat ihr ein Foto geschickt. Sie sind in der Fremde begraben, weit weg.

An den Samstagen geht sie zum Fluss, um zu fischen. Sie holt das Netz aus dem Schuppen, den Köcher, die Köder, hat den Eimer dabei. Beim Schließen der Tür bricht ein Stück Holz vom Rahmen. Sie zieht den Splitter heraus, Blut quillt aus der Wunde. Dann steckt sie den Finger in den Mund und leckt daran, schmeckt sich selbst, all das, was in ihr fließt, die Flüssigkeit, die alles zusammenhält. Um die Blutung zu stillen, reißt sie etwas Gras aus, kaut es, spuckt auf den Finger. Die Mutter hätte die Wunde mit Kräuterpaste eingerieben. Agafja betrachtet ihre Hände, die Erdreste, die sich unter den Nägeln gesammelt haben.

Der Yerinat wird Schmutz und Blut entfernen, wie er Körper und Seelen reinigt. Die Sonne steht noch nicht hoch. Am Himmel wandern ein paar Wolken. Der Fluss führt das Schmelzwasser der Berge, reißt Bäume, Äste, die Kadaver ertrunkener Tiere mit sich. Wo die Strömung am stärksten ist, kräuselt sich das Wasser. Wenn man zu den Bergen schaut, erkennt man, dass hier viel mehr und viel höhere Häuser stehen als in allen Städten der Welt. Agafja hat gesehen, was sie Zivilisation nennen, und ist zurückgekommen nach Kharkassien.

Als sie die Senke am Ufer erreicht, hört sie einen Sokol rufen, sieht seinen Schatten auf der anderen Uferseite über den Bäumen segeln, riecht das Wasser des Yerinat. Vielleicht bekommt sie einen Hecht oder einen Taimen zu fassen, ein paar Rotaugen werden es gewiss.

Ihre Brüder holten die besten Fische aus dem Fluss. Es ist lange her, mehr als fünfzig Jahre, vielleicht war's im Sommer des Jahres 7472 nach Adam, als die Sonnentage bis in den Herbst anhielten. Sie sieht Dmitri vor sich, wie er ins Wasser stürmt, sich dem fließenden Wasser entgegenstemmt, das Netz auswirft. Er hat damals die Wette mit Savin gewonnen. Die Brüder sprachen tagelang von nichts anderem, als von dem Plan, den Fluss zu durchschwimmen, heimlich, denn es war verboten. Nur der Vater durfte auf die andere Seite. Als Kinder hatten sie sich vorgestellt, dass dort Einhörner durch das Gras sprängen und Riesenschmetterlinge in allen Farben flögen, es einen Baum gäbe, dessen Wurzeln die Welt umspannten und der Geist der Mutter über die Wiesen und Bäume segelte. Eines Tages zeigte Dmitri zum Fluss und sagte, dass es ein guter Tag sei, den Fluss zu besiegen. Savin lachte ihn aus.

„Das schaffst du nie.“
„Wetten, dass ich es schaffe, wetten. Ich bin stärker als der Fluss und winke dir von der anderen Seite aus zu.“
„Nimm doch das Floß und setz über, ist viel einfacher.“
„Du wirst schon sehen, ich schwimme wie ein Fisch.“
„Du stinkst jedenfalls wie einer.“
„Na warte!“
„Keiner darf auf die andere Seite. Der Vater hat’s verboten.“
„Was soll da schon besonderes sein?“
„Der Teufel, wer weiß.“
Agafja schrie Dmitri an: „Und wenn du doch nicht so stark bist, die Strömung dich mitreißt, was dann?“
„Ach, lass mich, du bist ein Mädchen, hast keine Ahnung von gar nichts. Ich bin ein Mann, der Fluss kann mir nichts.“
„Und wenn doch?“
„Ihr sichert mich, dann kann gar nichts passieren.“

Dmitri hatte einen kräftigen Oberkörper, wuchernde Haare auf Brust und Rücken, Arme wie die Äste, Beine wie die Stämme der großen Eschen, die verborgen im Wald wuchsen. Er streifte das Leinenhemd ab. Agafja hatte es mit einem Sud aus Käfer- und Lausblut gefärbt, schwarz, wie er es sich gewünscht hatte. Dmitri stand in Unterhosen da und machte sich bereit, kreiste mit dem Becken, beugte die Knie. Savin knotete das Seil um seinen Bauch. Dmitri warf sich mit einem Schwung ins braune, aufgewühlte Wasser, bereit, den Widerstand des Stromes zu brechen, seine ganze Kraft dagegen zu setzen. Anfangs wurde er mitgezogen, mit einmal tauchte er unter, aber dann erschien sein Kopf wieder an der Oberfläche. Dmitri probierte es gegen die Strömung, aber er vermochte bloß auf der Stelle zu verharren und gab nach einigen Versuchen das Zeichen, dass er kapitulierte. Savin zog Dimitri heraus. Als er aus den Fluten stieg, perlten die Tropfen auf seiner Haut ab, das Haar war zerzaust, er schüttelte sich, grinste und die Worte sprudelten aus ihm heraus:
„Kein guter Tag heute. Ein Krampf, kaum war ich losgeschwommen. Eiskaltes Wasser. Habe ich nicht erwartet.“
Savin schwieg, klopfte ihm dann auf die Schultern und sagte: „Du hast es versucht, das ist schon was. Sobald der Yerinat weniger Wasser führt, die Fische so weit oben schwimmen, dass man sie sieht, schwimmen wir zusammen rüber. Ich will wissen, was es auf der anderen Seite gibt.“
Dmitri schüttelte die Hand des Bruders: „Abgemacht, Savin. Wär‘ doch gelacht, wenn wir beide das nicht schaffen.“

Sie sprachen nicht mehr davon, bis es Sommer wurde, der Pegel des Yerinat sank, sodass man bis zum Grund schauen, Soma beobachten konnte, die sich im Schlamm eingruben. Außerdem war der Vater in den Bergen.
Dmitri und Savin steckten ihre Messer und das Kreuz in den umgeschnallten Beutel, falls der Teufel ihnen begegnen würde. Auf der Haut der Brüder spiegelte sich die Sonne, als sie losliefen und in das Wasser glitten. Sie kraulten um die Wette. Dmitri setzte sich ab, der Fluss plätscherte laut, als wollte er Beifall leisten. Nachdem er aus dem Wasser gestiegen war, winkte er Agafja zu, grinste über beide Ohren und streckte seinem Bruder die Hände entgegen, als dieser das Ufer erreichte. Dmitri hatte gewonnen, Savin auf gewisse Weise auch. Agafja hörte sie singen, beten und im Wald verschwinden und wartete lange, bis sie wieder erschienen.

Irgendwann waren sie zurückgeschwommen, ganz langsam, denn der Yerinat ist ein Freund. Sie erzählten, dass sie eine Weile die Gegend erkundet, weder Riesenschmetterlinge noch Einhörner gefunden haben. Nichts sei anders, hier und dort. Kaum waren sie zurück, da zog Savin etwas aus dem Beutel: „Ich besuche die Mama“, sagte er und lief zum Grab unweit des Stalls. Er legte einen kleinen Ast und ein paar Eschenblätter auf den Grabstein, der von Lapislazulieinsprengseln durchzogen ist, als wären es Wurzeln. Agafja hörte ihn weinen und der Mutter erzählen, dass er den Baum entdeckt, von dem sie erzählt habe und sein Laub sie wärmen und beschützen werde.

In der Nacht heulen die Wölfe, aber den Yerinat durchschwimmen sie nicht.
Agafja war mit dem Floß seither einige Mal auf der anderen Seite, ohne etwas Besonderes zu finden, auch den Baum nicht. Sie blickt zum Himmel, zieht die Schuhe aus, watet durch den Schlamm und wirft das Netz in die Fluten.

 

So, lieber @erdbeerschorsch, jetzt habe ich einige Stellen überarbeitet und bin zunächst zufrieden mit dem Ergebnis. Vielen Dank für die Anregungen, den Text zu verbessern, das hat dem Text geholfen.

wie die anderen Kommentatoren fand ich den Text auch wirklich schön zu lesen, kenne aber den größeren Kontext nicht, den es offenbar gibt (?).
Das Ganze ist als Auszug aus einem Romanmanuskript entstanden. Ein Handlungsstrang erzählt den Tagesablauf von Agafja Lykowa, einer Einsiedlerin im Süden Sibiriens, deren Familie 1937 dorthin geflohen ist und die dreißig Jahre lang unentdeckt blieben. Mittlerweile ist die einzige Überlebende eine Art russische Ikone.
Hier ein YouTube dazu (gibt ne Menge Dokus über sie:
Was ist eigentlich passiert? Ist überhaupt etwas passiert oder waren sie halt irgendwann alt? Die Frage würde ich wahrscheinlich friedlich im Hintergrund schlummern lassen, aber dann kommt da dieses Datum:
ich deute das nur an, würde den Rahmen sprengen und braucht es für die Geschichte auch nicht, meine ich. Dmitri ist an einer Lungenentzündung gestorben, Savin an Nierenversagen, nachdem sie den Fluss überquert und in die Zivilisation gezogen sind.

Und jetzt werde ich das nicht mehr los: Was hat es damit auf sich, was ist das für eine Zeit, wie weit ist das von uns weg? Zivilistationszusammenbruch? Umweltkatastrophe? Irgendwas muss diese merkwürdige Zahl doch andeuten.
Die Lykows gehörten zu den Altgläubigen (Raskol), einer Abspaltung der russisch-orthodoxen Kirche, sie berechnen die Jahre nach Adam. Ich finde das Fremde, Rätselhafte darf man ruhig spüren beim Lesen.
Das könntest du vielleicht irgendwie glattbügeln. (Am wenigsten aufwändig wäre "und" statt Komma, da wäre etwas mehr Abstand zum Atemholen, aber ob das auch die beste Lösung ist?)
Ich habe jetzt den Vorschlag von @Friedrichard übernommen, obwohl der Satz dadurch psalmodierend klingt, hat er einen guten Rhythmus
Find ich auch schwer vorstellbar, dass da gleich das Blut quillt.
na ja, probier's aus: wenn du den Splitter rausziehst, quillt es schon
Das Eisen gefällt mir nämlich auch nicht.
habe ich entfernt
verstehe ich nicht ganz. Sind die Berge die Häuser? Kann sein, aber warum? Und wenn: Warum braucht es Zeit, das zu erkennen? Ist doch unmittelbar klar, dass die Berge höher sind. Also ich würde sagen, ohne "schnell" wäre es besser.
Selbst wenn das Bild ein wenig schief sein mag, entsteht ein greifbarer Vergleich. (habe ich anderer Stelle schon erwähnt: ist ein Bild, das Agafja selbst in einer Doku erzählt)
aber nicht. Schreib doch einfach Falke.
mm, Sokol ist auch ein schöner Name
Ausgelutschte Bilder sind ja nicht gerade dein Markenzeichen, da bleibt genug Plastisches, wenn du das weglässt (oder, vielleicht noch schöner, verfeinerst).
habe ich verändert, ob's jetzt besser ist?

Dmitri hatte einen kräftigen Oberkörper, wuchernde Haare auf Brust und Rücken, Arme wie die Äste, Beine wie die Stämme der großen Eschen, die verborgen im Wald wuchsen.

Weil er aber abgetrieben wird, ist das womöglich zu riskant. Dann würde es Sinn machen, dass er es gegen die Strömung versucht, und das klappt nicht. Also: Verstehe ich was falsch oder sollte es heißen: er probierte es gegen den Strom?
auch die Stelle habe ich geändert

Ach, und das Deshalb ist auch raus.

viele Grüße aus dem Abendfluss
Isegrims

"Die Frühlingssonne der Taiga lacht auf Agafja herab. Es werden bald auf den Wiesen die Blumen blühen und zeigen* wird die Schöpfung, dass es Gott gefällt."
der Satz, den du vorschlägst, klingt so vertrackt geheimnisvoll, dass er schon wieder gut ist, also habe ich ihn übernommen.

Dank des Projektes Gutenberg brauchte ich nicht alle Fackeln durchzuschauen. Hier die Hinweise zu Karl Kraus
wow, was man von Karl Kraus lernen kann! vielen Dank für den Link, @Friedrichard,
wie immer sehr hilfreich, danke auch für die Zeit, die du investiert hast.

Liebe Grüße
Isegrims

 

Hi Isegrims,

weil ich gerade hier bin, hak ich mal in zwei Punkten noch kurz nach, so lange es frisch ist.

Merci für die Aufklärung:

Die Lykows gehörten zu den Altgläubigen (Raskol), einer Abspaltung der russisch-orthodoxen Kirche, sie berechnen die Jahre nach Adam.
Vor diesem Hintergrund wirkt die Geschichte natürlich noch mal ganz anders. Weil du aus Agafjas Perspektive schreibst, kannst du das in dem Rahmen kaum erklären. Ist wohl auch nicht weiter schlimm, es ist sogar ein besonderes Erlebnis, die Geschichte vor und nach der Hintergrundinfo zu lesen. Dann ginge dann auch verloren, wenn du alles ausschreiben würdest.

Trotzdem halte ich dagegen:

Ich finde das Fremde, Rätselhafte darf man ruhig spüren beim Lesen.
Das Fremde spürt man eh. Durch die hohe Jahreszahl gehst du die Gefahr ein, dass man sich fragt, ob das ein Zukunftsszenario sein soll. Das ist, würde ich behaupten, die hauptsächliche Wirkung. Kaum einer wird sagen: Aha, 7274 nach Adam, sieh da, Altgläubige! Ich würd also immer noch sagen, weg mit der Zahl - es sei denn, du willst absichtlich damit spielen, dass man an ein Zukunftsszenario denken kann (das hat vielleicht auch seinen Reiz ...).

Und hierzu:

Find ich auch schwer vorstellbar, dass da gleich das Blut quillt.
na ja, probier's aus: wenn du den Splitter rausziehst, quillt es schon
Sicher, danach quillt Blut. Du schreibst aber:
Blut quillt aus der Wunde. Sie zieht den Splitter heraus
Und in dieser Reihenfolge bleibt es für mich befremdlich.

Besten Gruß
erdbeerschorsch

 

Schön, dass du noch mal vorbeischaust, @erdbeerschorsch!

Vor diesem Hintergrund wirkt die Geschichte natürlich noch mal ganz anders. Weil du aus Agafjas Perspektive schreibst, kannst du das in dem Rahmen kaum erklären. Ist wohl auch nicht weiter schlimm, es ist sogar ein besonderes Erlebnis, die Geschichte vor und nach der Hintergrundinfo zu lesen.
Ich glaube die Geschichte funktioniert (mittlerweile) auch ohne den Hintergrund, aber wer sich mit Agafja etwas beschäftigt, hat einen zusätzlichen Blick auf das, was ich erzähle.
Durch die hohe Jahreszahl gehst du die Gefahr ein, dass man sich fragt, ob das ein Zukunftsszenario sein soll. Das ist, würde ich behaupten, die hauptsächliche Wirkung. Kaum einer wird sagen: Aha, 7274 nach Adam, sieh da, Altgläubige! Ich würd also immer noch sagen, weg mit der Zahl - es sei denn, du willst absichtlich damit spielen, dass man an ein Zukunftsszenario denken kann
Hab darüber schon nachgedacht, aber die Unschärfe bringt eine zusätzliche Ebene, die LeserInnen sich eröffnen können, wenn sie wollen. Was ich beschreibe, ist auf gewisse Weise zeitlos.

Liebe Grüße
Isegrims

 

Ich noch mal, @Isegrims,

du schreibst:

ich deute das nur an, würde den Rahmen sprengen und braucht es für die Geschichte auch nicht, meine ich. Dmitri ist an einer Lungenentzündung gestorben, Savin an Nierenversagen, nachdem sie den Fluss überquert und in die Zivilisation gezogen sind.

Und in deiner Geschichte schreibst du:

Irgendwann waren sie zurückgeschwommen, ganz langsam, denn der Yerinat ist ein Freund.

Hm. Und du schreibst auch:

Nichts sei anders, hier und dort.

Und weißt du, was ich da gelesen habe? Dass sie zurückgekommen sind, ja, aber nicht mehr als die, die sie waren, sondern als ... Ach, mir fällt jetzt keine poetische Umschreibung ein :D Also ganz naturalistisch: Ich habe das so gelesen, dass sie gestorben sind während ihres Abenteuers, dass der Yerinat nur ihre Leichen zurückgebracht hat.

Aber auch, dass das eigentlich keine größere Rolle spielt, weil: Nichts ist anders, hier und dort, und deshalb ist es auch egal, ob sie als Körper zurückkommen oder als etwas, das über die stoffliche Ebene hinausgeht, als "Geister", und das hätte meiner Ansicht nach auch wunderbar in den mystischen-fremden, von Glauben durchzogenen Rahmen gepasst.

So richtig hab ich das in Wahrheit natürlich nicht so gelesen ... Weil danach schreibst du ja auch:

Kaum waren sie zurück, da zog Savin etwas aus dem Beutel: „Ich besuche die Mama“, sagte er und lief zum Grab unweit des Stalls. Er legte einen kleinen Ast und ein paar Eschenblätter auf den Grabstein, der von Lapislazulieinsprengseln durchzogen ist, als wären es Wurzeln.

Was ja wieder sehr ... stofflich ist. Und du hast da ja auch etwas vor Augen, wie es scheint, etwas Größeres, das auch auf einem realen Hintergrund fußt, vielleicht hast du deshalb auch keine Lust auf Gespenster-Unsinn, aber ich wollte dir diese Lesart mal noch da lassen, vielleicht gefällt sie dir ja, vielleicht lässt du Savin den kleinen Ast seiner Mama ja direkt in die Hand drücken, dort oder hier ...

Bas

 

Hallo @Bas

und Dankeschön!

Ach, mir fällt jetzt keine poetische Umschreibung ein :D Also ganz naturalistisch: Ich habe das so gelesen, dass sie gestorben sind während ihres Abenteuers, dass der Yerinat nur ihre Leichen zurückgebracht hat.
abgesehen von der Lesart (es gibt keine falschen): etwas stirbt immer, wenn wir einen Fluß überqueren, den wir bisher nicht durchschwimmen konnten, so geht's auch Dmitri und Savin.
Aber auch, dass das eigentlich keine größere Rolle spielt, weil: Nichts ist anders, hier und dort, und deshalb ist es auch egal, ob sie als Körper zurückkommen oder als etwas, das über die stoffliche Ebene hinausgeht, als "Geister", und das hätte meiner Ansicht nach auch wunderbar in den mystischen-fremden, von Glauben durchzogenen Rahmen gepasst.
und die Geister ziehen hierhin und dorthin, wie die Erinnerungen, dazu braucht man gar keinen Glauben. Bei Agafja mischt sich alles mögliche, Götter und Geiste.
Ich habe eine Doku gesehen, da steht sie im Wasser, um nach den Netzen zu schauen und erzählt den Studenten, die sie besuchen, dass die Apokalypse damit beginnt, dass die Menschen Chips eingepflanzt bekommen, die sie kontrollieren.
vielleicht hast du deshalb auch keine Lust auf Gespenster-Unsinn, aber ich wollte dir diese Lesart mal noch da lassen, vielleicht gefällt sie dir ja, vielleicht lässt du Savin den kleinen Ast seiner Mama ja direkt in die Hand drücken, dort oder hier ...
auch das geht ineinander über: Savin nimmt die Verbindung zu seiner Mutter auf, eine Traumvorstellung, mag sein.
Ich denke manchmal an meine Großmutter. Sie ist seit vielen Jahren tot. Am Sterbebett sagte sie mir, sie wolle mir ein Schutzengel sein. Seither muss ich nur die Augen schließen und sie ist da.

Liebe Grüße aus der Geisternacht
Isegrims

 

..., denn der Yerinat ist ein Freund.

Vielleicht ist die orthodoxe Kirche ursprünglicher als vor allem die alleinseligmachende und viel näher am Ursprung aller Religion, dem Ahnenkult, dem zugleich die Natur beseelt ist, was natürlich dem ökonomisch erwünschten, „aufgeklärten“ Single-Haushalt fremd sein muss, wenn jemand mit seinen Vorfahren kommuniziert, da hat das fließende Gewässer neben seinen realen Vorzügen (Nahrung, Reinigung, Verkehrsweg), als Grenze - zugleich für die Trennung von Lebenden und Toten (Styx ist sicherlich älter als die olympische Familie), insofern hat die Geschichte auch etwas mythisches,

lieber Isegrims,

und man kann sie auch mehr als ein drittes Mal lesen (und jede Änderung kann auch Flusen gebären, dann ist aber auch gut, bevor ich lästig werde):

Es ist lange her, mehr als fünzig Jahre, vielleicht war's im Sommer des Jahres 7472 nach Adam, …

als die Sonnentage bis in den Herbst anhielten. Sie sieht Dmitri vor sich, wie er ins Wasser stürmt, sich dem fließenden Wasser entgegen stemmt, das Netz auswirft.
ein Wort, entgegenstemmen

Wenn wir jetzt noch den Klimawandel einbeziehen und wissen, dass der Permafrostboden absehbar Methan freisetzen wird, find ich ein abschließendes Zitat von Walter Benjamin nicht unangemessen: „Es gibt ein Bild von Klee, das Angelus Novus heißt. Ein Engel ist darauf dargestellt, der aussieht, als wäre er im Begriff, sich von etwas zu entfernen, worauf er starrt. Seine Augen sind aufgerissen, sein Mund steht offen und seine Flügel sind ausgespannt. Der Engel der Geschichte muss so aussehen. Er hat das Antlitz der Vergangenheit zugewendet. Wo eine Kette von Begebenheiten vor uns erscheint, da sieht er eine einzige Katastrophe, die unablässig Trümmer auf Trümmer häuft und sie ihm vor die Füße schleudert. Er möchte wohl verweilen, die Toten wecken und das Zerschlagene zusammenfügen. Aber ein Sturm weht vom Paradiese her, der sich in seinen Flügeln verfangen hat und so stark ist, dass der Engel sie nicht mehr schließen kann. Dieser Sturm treibt ihn unaufhaltsam in die Zukunft, der er den Rücken kehrt, während der Trümmerhaufen vor ihm zum Himmel wächst. Das, was wir den Fortschritt nennen, ist dieser Sturm.“ Walter Benjamin: Über den Begriff der Geschichte IX

Friedel

 

Lieber Friedel,

Vielleicht ist die orthodoxe Kirche ursprünglicher als vor allem die alleinseligmachende und viel näher am Ursprung aller Religion, dem Ahnenkult, dem zugleich die Natur beseelt ist, was natürlich dem ökonomisch erwünschten, „aufgeklärten“ Single-Haushalt fremd sein muss, wenn jemand mit seinen Vorfahren kommuniziert,
Wozu nennen wir es Religion, wenn wir doch nichts mehr suchen als eine Heimat in uns? Der Zugang zur Natur, den Vorfahren, all dem, was war, erklärt, was ist und sein wird.
und man kann sie auch mehr als ein drittes Mal lesen (und jede Änderung kann auch Flusen gebären, dann ist aber auch gut, bevor ich lästig werde):
Hochwillkommen wie immer!
Aber ein Sturm weht vom Paradiese her, der sich in seinen Flügeln verfangen hat und so stark ist, dass der Engel sie nicht mehr schließen kann. Dieser Sturm treibt ihn unaufhaltsam in die Zukunft, der er den Rücken kehrt, während der Trümmerhaufen vor ihm zum Himmel wächst. Das, was wir den Fortschritt nennen, ist dieser Sturm.“ Walter Benjamin: Über den Begriff der Geschichte IX
Was für ein Zitat! Ja, wenn erst das Paradies (das gar nicht einmal in jeder Hinsicht schön und unbeschwert sein muss) zerstört ist, dann steht es schlecht um unsere Welt, dann naht, was Agafja Apokalypse nennen würde.

viele Grüße vom Waldesrand
Isegrims

 

Hi @Gulya

great that you appreciate the story and the mood of the Siberian nature that I would like to capture in it.

Тhis story is really great! Unfortunately I have to translate it to English.
well the possibilities to translate stories via browsers are getting better: good news!
I believe that it should be also (like other stories about Agafya) translated to Russian. Literary translation. To pass all the beauty of the narratives.
good to know: maybe one day you will find the stories about Agafja and Lykow family translated into Russian, thanks for the encouragement
The interest of the ex-Soviet people to any news about Agafya (the only one alive from the Lykovs' Family) is still great. Therefore, I believe that the fictional stories about Lykovs' life would be of great interest for them.
interesting to know that we western people don't know anything about while the Lykovs are kind of famous in ex-soviet-union

Enjoy your day, if sunny or not
Isegrims

 

@Gulya schrieb:
Übersetzung ins Deutsche via Online-Übersetzer:

Diese Geschichte ist wirklich toll! Leider muss ich es ins Englische übersetzen. Ich glaube, dass es auch (wie andere Geschichten über Agafya) ins Russische übersetzt werden sollte. Literarische Übersetzung. Um die ganze Schönheit der Erzählungen zu übergeben. Das Interesse des Ex-Sowjetvolkes an Nachrichten über Agafya (die einzige lebende aus der Familie der Lykovs) ist immer noch groß. Daher glaube ich, dass die fiktiven Geschichten über Lykovs Leben für sie von großem Interesse wären. Okay, für uns.
Zum besseren Verständnis!

 

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