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Veröffentlicht für die Challenge "Sandige Betten".
Am Fluss
Die engen Grenzen der Stadt liegen hinter mir und fühle mich frei, wie schon lange nicht mehr. Als würde ich mit der Stadt auch die alten Fesseln hinter mir lassen.
Vor mir die Uferstraße wirkt wie eine schlängelnde Verheißung. In zehn Minuten werde ich da sein, wenn die Wegbeschreibung stimmt. Nur noch zehn Minuten, denke ich. Niemand ist hier, der mich ausbremsen kann und ich beschleunige meinen Wagen.
Durch das offene Seitenfenster strömt kühle Abendluft ins Auto und ich lasse meinen Ellenbogen nach draußen ragen. Wie ein Teenie. Über dem Neckar bildet sich feiner Nebel und verzaubert die Aussicht. Die seltsame Freiheit der Gefühle ist neu für mich und verblüffend. Kein schlechtes Gewissen, nichts.
Im Autoradio singen Foolsgarden: And all that I can see is just another lemon tree. And I wonder, wonder. Ich muss lächeln. Die Frucht am Baum der Erkenntnis war weder Apfel noch Zitrone. Sie war ein Zeichen der Auflehnung. »Du sollst nicht singen!«, haben mir die Ältesten immer wieder eingetrichtert. »Musik verführt zu Übermut.« Heute lasse ich mich verführen. »I wonder how, I wonder why? Yesterday you told me 'bout the blue, blue sky«, singe ich schief und so laut ich kann. »And all that I can see, ist just a yellow lemon tree.« Vom Beifahrersitz greife ich den mitgebrachten Apfel. Das Fruchtfleisch ist fest und die leichte Säure prickelt auf den Lippen, als ich hineinbeiße. So schmeckt Freiheit. Ich kann mir das Grinsen nicht mehr verkneifen und ich will auch nicht.
Nach der übernächsten Kurve sehe ich den Wegweiser. Ich bremse ab und biege langsam in den kleinen Kiesweg ein, hinunter zum Campingplatz in den Auen. Eine Wiese am Fluss mit verlassenen Wohnwagen und alten Sanitäranlagen. Heute ist alles groß, alles schön. So müssen sich Drogen anfühlen. Hinter den Hügeln zeigen die Abendwolken ihr letztes Orange und direkt am Fluss steht ihr dunkelroter Espace. Mein Herz pocht und ich halte den Atem an. Ist das hier nur ein Traum? Aber nichts passiert. Also steige ich aus, schließe meinen Kombi ab und gehe zur Wiese. Wann bin ich zum letzten Mal so federnd gelaufen?
Neben dem Van flackert ein Lagerfeuer mit einem kleinen Kessel. Ich rieche das brennende Holz und eine Ahnung von Hühnersuppe. Und sehe Michelle. Sie beugt sich vor zum Kessel und für einen Moment bleibe ich stehen. In mir singen Schandmaul: Hätt‘ ich einen Pinsel, zu malen dein Antlitz ... Die Art, wie Michelle die Haare hinter ihr Ohr klemmt, die Fülle roter Locken, die über ihre Schulter hängen, die weiche Linie ihres Rückens, die konzentrierte Leichtigkeit ihrer Bewegungen … ich sauge ihren Anblick in mich auf. Die Sonne, die Sterne tragen Kunde von Dir. Jeder Lufthauch erzählt mir von Dir. Jeder Atemzug, jeder Blick … trägt Deinen Namen weit mit sich mit. Ich spüre die Sehnsucht wie ein Vibrieren im Bauch.
Jetzt dreht sie sich um. Sieht mich, springt auf und kommt mir entgegen. Ihr Lachen, ihre Stimme … »Schön, dass du da bist«, sagt sie und umarmt mich voll Wärme und Nähe. Wie sie mich fest hält. Das Vibrieren breitet sich weiter in mir aus. »Ja«, sage ich nur. Alle anderen Worte verschwinden in innerem Aufruhr.
Die frommen Mitglieder meiner Gemeinde würden verteufeln, was ich tue. »Du sollst nicht ehebrechen«, würden sie mir vorhalten. »Denn solches ist dem HERRN ein Gräuel.« Beinahe höre ich die raue Stimme des Ältesten. Und doch wird sie leiser und leiser. Jahre voller Gottesdienste, Bibelstunden, Bußübungen, Nächte voller Gebete verblassen in diesem Moment und ich weiß nicht, warum. Aber noch nie habe mich so lebendig und frei gefühlt, so glücklich.
»Heute bleiben wir brav, oder?«, fragt sie.
»Ich weiß es nicht,« sage ich, ohne nachzudenken. Lasse meine meine Hände über ihren Rücken nach unten gleiten und ehe ich richtig merke, was passiert, halte ich ihren Hintern in den Händen. Ihre Haut ist kühl und glatt und ich spüre, wie sie sich an mich schmiegt und leise seufzt. Dieses gehauchte Seufzen ist das erotischste Geräusch, dass ich je gehört habe und ich schmelze in ihre Umarmung hinein, vergesse alles, was früher war. Ich weiß nicht mehr wo sie anfängt und ich aufhöre.
Sie küsst mich und meine Lippen prickeln noch intensiver, als vorher. Dann spüre ich ihre Zunge. Sanft, zurückhaltend und ... fragend? Wurde ich je so sinnlich geküsst? Ihre Haare riechen nach Shampoo, Lagerfeuer und nach ihr selbst. Ich möchte mich in Ihr verlieren, schmiege mich an sie und jetzt wandert die Sehnsucht auch in mein Becken. Sie spürt wohl, was da passiert, denn sie lässt wieder dieses Seufzen hören. »Ist das für mich?«, fragt sie und wir müssen lachen.
»Komm mit!«, sagt sie und zeigt zum Feuer. »Ich hab‘ uns Suppe gemacht.«
Wir sitzen eng nebeneinander und essen aus einem Teller. Die Suppe ist heiß und wir pusten uns Löffel für Löffel kühl. Und küssen uns. So vertraut und so aufregend. Ich esse mit links, halte sie mit dem rechten Arm. Nie wieder loslassen. Es fühlt sich gut an und so richtig. Sie lehnt sich an mich und ich bin dankbar für den Baumstamm, auf dem wir so dicht bei einander sitzen.
Nach dem Essen schlendern wir zum Ufer. Der Neckar fließt langsam und wieder zieht Nebel über den Fluss. Um uns herum ist es still bis auf die Wellen. Hier ist niemand außer uns. Als wären wir für einen kostbaren Moment aus der Alltagswelt gefallen. Michelle dreht sich zu mir. Schweigend, als wolle sie die Stille nicht stören. Kann man hingebungsvoll stehen? Sie ist offen, wie eine Einladung. Ich küsse sie wieder. Erst auf die Lippen, dann am Hals. Und kann mich nicht mehr bremsen. Ich streife ihr Sweatshirt nach oben. Darunter trägt sie nichts. Im Halbdunkel sehe ich ihre weiße Haut, als würde sie leuchten. So glatt, so weich. Mit den Händen streiche ich über ihre Taille nach oben, berühre mit den Daumen vorsichtig die weiche Rundung ihre Brüste. Wieder seufzt sie. Leise, von tief innen.
»Komm!«, sagt sie und zieht mich mit zum Van. Sie öffnet die Klappe und wir klettern nach innen, ohne uns richtig voneinander lösen zu können. Dann schiebt sie den Schlafsack zur Seite und zieht mich an sich. Wieder streife ich ihr Sweatshirt nach oben und dieses Mal zieht sie es über den Kopf. Die Bewegung ist leicht und unfassbar schön. Ich habe keine Worte dafür. Statt dessen küsse ich wieder ihren Hals und sie lässt ihren Kopf sinken, hingebungsvoll und offen.
Und irgendwo in mir singen Foolsgarden: And I wonder, wonder …