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Alles Maya

Wortkrieger-Team
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09.12.2016
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Alles Maya

»Da draußen ist jemand«, bemerkte ich, als ich in Lillis und Ganga Jis Küche stand und durch das kleine Fenster mit dem abgeblätterten Holzrahmen lugte. Eine elfenähnliche Gestalt bewegte sich zwischen den Pinienzweigen durch den Dunst, unter dem die Bergkette des Himalaya verschwamm wie auf einem unscharfen Foto.
Erst als die Gestalt näher kam, erkannte ich, dass es eine junge Touristin in einem weißen Sari war. Neben ihr stapfte ein hochgewachsener Typ in einem bunten Batikhemd barfuß durch das vertrocknete Gras. Die beiden erreichten das Haus, standen unentschlossen davor und sahen sich suchend um. Dann gingen sie zum Nebengebäude, in dem Lilli und Ganga Ji ihr Café hatten.
Lilli sah ebenfalls aus dem Fenster, rollte mit den Augen, spitzte die Lippen und viertelte die nächste Kartoffel.
»Wir haben heute zu«, verkündete sie in einem Ton, als hätte ich das in Zweifel gezogen. »Es ist viel zu heiß zum Arbeiten, und Ganga und ich haben schon lange keinen freien Tag mehr gehabt. Außer dir und Arjun will ich heute niemanden sehen.« Sie wischte sich mit dem Unterarm den Schweiß von der Stirn.
»Lass mich mal machen«, besänftigte ich sie. »Ich krieg die schon abgewimmelt.«

Im abgedunkelten Wohnzimmer war es etwas erträglicher als in der Küche. Während ich mit nackten Füßen über den kühlen Betonboden auf die Haustür zusteuerte, fragte ich mich, warum ich mich immer wieder um Lilli kümmerte. Wir waren eine Zeit lang zusammen gereist, und sie hatte mir verschwiegen, dass sie Drogen über die Grenze nach Nepal schmuggeln wollte. Kurz darauf reiste ich alleine weiter und Lilli blieb wegen Ganga Ji in Nordindien, redete in ihren E-Mails von spiritueller Weiterentwicklung und schien auch nicht darüber gestolpert zu sein, dass Ganga Ji sie sofort heiraten wollte. Mittlerweile waren zehn Jahre vergangen. Ich hatte mich mit meinem Freund Arjun in Südindien niedergelassen und irgendwann nicht mehr an die beiden gedacht. Bis mir auf einer Reise durch den Norden eine Broschüre über die zehn chilligsten Plätze Indiens in die Hände fiel. Auf Seite drei lachten Lilli und Ganga Ji mich plötzlich an. Sie standen hinter einem notdürftig zusammengeschusterten Holztresen und schienen sich nicht verändert zu haben. Lilli zog wie immer beim Lachen die Nase kraus und hielt eine Kuchenform in die Kamera. Sie trug ein dunkelrotes weites Hemd. Ganga Ji sah nach wie vor aus wie Bin Laden und hielt mit leicht abwesendem Blick die Teigrolle hoch. Ich musste unwillkürlich lachen und schlug Arjun vor, bei den beiden vorbeizuschauen.

Als ich die schwere Holztür über den Boden schabte, erschrak ich. Die Touristen standen direkt vor mir und waren gerade im Begriff, zu klopfen.
»Hiii«, flötete die Elfe und strahlte mich an.
»Hi«, ließ auch das Batikhemd vernehmen.
Während ich noch überlegte, wie ich sie am besten loswerden könnte, rauschten sie schon an mir vorbei zur Terrasse durch, als wären sie da zu einer Party eingeladen. Zögernd folgte ich ihrem lachenden Geplauder nach draußen.
Vielleicht sind es Freunde von Ganga, die Lilli gar nicht kennt, schoss es mir durch den Kopf. Aber jetzt war es sowieso zu spät, sie noch abzuwimmeln.
Sie nahmen gerade auf der wackeligen Holzbank Platz, als ich herauskam. Das Wellblechdach über der Terrasse knackte in der Hitze. Obwohl es bereits Mitte Juli war, ließ der Monsun immer noch auf sich warten. Die Luft war so trocken, dass ich beim Sprechen aufpassen musste, nicht zu husten.
Arjun hing auf einem Plastikstuhl, wippte mit einem Bein über der Armlehne und sah die Touristen unbeeindruckt aus seinen großen dunklen Augen an. Dann nickte er ihnen kurz zu und wischte weiter auf dem Display seines Smartphones herum. Ganga Ji saß im Schneidersitz auf dem Boden aus getrocknetem Kuhdung und stopfte sein Chillum. Mit glasigem Blick fixierte er den Sari der Elfe.
»Wo kommt ihr her?«, fragte ich mit leicht belegter Stimme, räusperte mich und setzte mich etwas ungelenk an das andere Ende der Bank.
»Wir kommen aus Amerika«, antwortete das Batikhemd. »Ich bin Johnny und das ist Jenny. Wir sind grad drei Wochen durch den Himalaya gereist und da hat uns jemand von diesem Bergdorf hier erzählt, und dass wir unbedingt ins Boom-Café gehen müssen.«
»Wir haben heute zu!«, rief Lilli aus der Küche.
»Yeah, das haben wir gemerkt«, versicherte Johnny. »Aber unten im Dorf haben sie uns gesagt, dass ihr gleich nebenan wohnt und wir euch auch da besuchen können.«
Lilli antwortete nicht, aber ich glaubte, sie etwas lauter mit den Tellern klappern zu hören.
»Aber schön, dass du trotzdem kochst«, setzte Johnny nach.
»Naja, wir müssen an unserem freien Tag ja schließlich auch essen.«
Die Elfe rutschte auf der Bank hin und her und sah immer wieder zu Ganga Ji hinüber, der nach wie vor ihren Sari anstarrte.
»Was guckt der denn so?«, raunte sie dem Batikhemd zu.
»Wahrscheinlich gefällst du ihm«, mutmaßte das Batikhemd. »Die indischen Männer sind Machos, da ist die Frau nichts wert.«
»Was soll das denn heißen?«, zischte die Elfe nun gar nicht mehr elfenhaft. »Nur, weil ich ihm gefalle, bin ich nichts wert?«
»Nein, nicht weil du ihm gefällst. Weil er dich so anstarrt.«
»Aber er starrt nicht mich an, sondern meinen Sari.«
»Und was ist da drunter?«
Die Elfe sah an sich hinab.
»Aber das ist doch ein Sadhu, also ein heiliger Mann«, behauptete sie dann. »Den interessieren weltliche Dinge nicht.«
»Bom Bolenath!«, rief Ganga Ji wie auf's Stichwort in den milchigen Himmel hinein, um den Gott Shiva wissen zu lassen, dass er bereit war, das Chillum zu rauchen. Er umschloss es mit beiden Händen und berührte mit dem Ende seine sonnengegerbte Stirn. Arjun kniete sich vor ihn und gab ihm Feuer. Dichte Qualmwolken stiegen auf.
»Das ist heiliger Rauch«, begann die Elfe ehrfürchtig. »Die Sadhus huldigen damit Shiva. Im Reiseführer steht, dass Kiffen ihnen bei der Meditation hilft und das Ego auflöst. Deshalb müssen die auch den ganzen Tag rauchen. Für die ist das ein Gelübde zur spirituellen Vereinigung mit dem Kosmos und keine Flucht vor der Realität, wie bei uns. Die Realität, so wie wir sie kennen, gibt es im spirituellen Sinn nämlich gar nicht. Das ist alles Maya, eine Illusion.«
Ich sah mich auf der Terrasse um, die wie ein Schiffswrack am Hang hing. Von der verwitterten Hauswand blätterte die mintgrüne Farbe ab. Ganga Ji reichte das Chillum an Arjun weiter und strich sich über den langen schwarzen Bart.
Besonders weltlich wirkte das nicht, da gab ich der Elfe im Stillen Recht. Aber offenbar stand im Reiseführer nichts darüber, dass viele Sadhus diese Show nur rissen, um Touristen zu beeindrucken. Wenn sie die Illusion wollten, sollten sie sie haben.

Eine Zeit lang war nur das Summen der Fliegen und ab und zu ein Tirili der Mobiles zu hören, die Lilli überall aufgehängt hatte. Letzteres aber nur, wenn die Luft sich dazu bequemte, einen trägen Seufzer zu tun. Jenny verströmte einen Duft nach Ariel, während sie mit entrücktem Lächeln die entschwundene Bergidylle betrachtete. Erst als Ganga Ji begann, ihren Sari zu bemurmeln, wurde sie aus dem Moment gerissen und sah ihn mit großen Augen an.
»Was will er?«, wandte sich Johnny gehetzt an Arjun. Es klang mehr wie ein Vorwurf als eine Frage.
»Er spricht ihr sein Beileid aus.«
»Sein Beileid? Wieso das denn? Etwa wegen mir?«
Arjun kicherte. »Nein, nicht wegen dir.«
»Wieso denn dann?«
»Weil nur Witwen weiße Saris tragen, deshalb.«
Johnny wirkte erleichtert. Doch dann fiel ihm wohl ein, dass das ein schlechtes Omen sein könnte und warf Jenny einen missbilligenden Blick zu.
»Was? Oh nein!«, rief Jenny und hielt sich die flache Hand vor den Mund. »Das tut mir wirklich sehr leid, ich hoffe, ich habe eure Gefühle nicht verletzt!«
»Nein. Bei uns ist ja niemand gestorben.« Ohne ihn anzusehen, reichte Arjun das Chillum an Johnny weiter, nahm seine Fake-Ray Ban-Sonnenbrille vom Kopf und setzte sie sich auf die Nase. Sein breites Grinsen zeichnete Grübchen auf seine Wangen, als er sich auf dem Stuhl zurücklehnte. Dann übersetzte er Ganga Ji auf Hindi, was passiert war.
»Ah«, ließ Ganga Ji vernehmen und sagte seinerseits etwas auf Hindi. Er konnte zwar englisch, wollte es die Touristen aber nicht wissen lassen.
»Was hat er gesagt?«, fragte Johnny und sah Ganga Ji nach, der sich auf den Weg in die Küche gemacht hatte.
»Ach so.«
»Was?«
»Er hat ach so gesagt.«
»Ach so.«
»Ja. Ach so.«
»Mehr nicht?«
»Nein. Mehr nicht.« Arjun lachte sein jungenhaftes Lachen.
Johnny kräuselte die Stirn, schien sich aber mit der Antwort zufrieden zu geben, denn er sagte nichts mehr. Ich wollte Jenny zulächeln, aber sie zupfte mit gesenktem Blick am Rock ihres Beerdigungsoutfits herum.
Kurz darauf kam Ganga Ji auf die Terrasse zurück. Er breitete ein großes, mit Elefantenmotiven bedrucktes Tuch auf dem Boden aus und begann, Aluminiumteller und Becher darauf zu verteilen.
Jenny sah kurz zu ihm hinüber und beugte sich dann zu Johnny hinunter, der es sich mittlerweile auf der Hundedecke auf dem Boden bequem gemacht hatte.
»Vielleicht stören wir«, flüsterte sie.
»Shanti Shanti – ganz ruhig.« Johnny machte eine beschwichtigende Handbewegung. »Die laden uns ein. So ist das hier in Indien. Da kannst du nicht mit deinem westlichen Denken rangehen.«
Jennys Gesichtszüge wurden so weich, als hätte sie gerade ihr Neugeborenes in den Arm gelegt bekommen.
»Mein Gott! Alles ist so anders als bei uns!«, brach es aus ihr heraus. »Ich hab hier so viel zu lernen! In Amerika würde das doch niemand machen, Fremde einfach so zum Essen einladen.«
»Ja, hier kannst du eine Menge lernen«, dozierte Johnny. »Die ticken hier komplett anders als wir. Viel sozialer.«
Lilli kam mit einer brennenden Zigarette im Mundwinkel auf die Terrasse geschlurft. Sie hatte einen abgerissenen Stofffetzen in den Händen, den sie als Topflappen verwendete, und stellte einen großen Edelstahlkochtopf neben das Tuch. Dann klatschte sie jedem mit einer Kelle einen großen Haufen Reis, Kartoffeln und Linsenbrei auf den Teller. Jenny kniete sich vor das Tuch, legte die Handflächen aneinander und verbeugte sich vor ihrem Essen. Johnny tat es ihr gleich. Wir anderen fingen schon mal an.
»Lebst du schon lange in Indien?«, wandte Jenny sich nach einer Weile an Lilli.
»Ja.«
»Und bist du viel gereist, bevor du dich hier niedergelassen hast?«
»Ja.«
»Und wo warst du überall?«
Lilli seufzte. »Das kann ich aus dem Stegreif jetzt so nicht sagen.«
»Hast du das Gefühl, du hast dich verändert, seit du hier lebst?«
»Bestimmt.« Lilli sah in die Runde und deutete auf den Topf. »Möchte noch jemand?«
Ganga Ji schüttelte den Kopf, griff nach der Aluminiumkanne mit Wasser und begann, sich damit über seinem Teller die Hände zu waschen. Arjun und ich lehnten ebenfalls ab.
»Wir möchten auch nichts mehr«, sagte Johnny. »Kannst abräumen.« Er wandte sich an Ganga Ji und sah ihm beim Händewaschen zu wie ein Biologe, der eine seltene Tierart beobachtete.
»Das ist hypnotisch«, schwärmte er.
»Ja, er lebt ganz im Moment«, bemerkte Jenny. »Vergangenheit und Zukunft gibt es für ihn nicht.«
»Frag ihn, ob er mir das beibringen kann!«, forderte Johnny Arjun auf, ohne Ganga Jis Hände aus den Augen zu lassen. »Aber warte! Warte! Ich will das filmen! Kann ich das filmen?« Sein Blick huschte zwischen Arjun und Ganga Ji hin und her.
Nachdem er die Erlaubnis erhalten hatte, holte Johnny sein I-Phone aus der schmuddeligen Umhängetasche und schaltete die Kamera ein. »Also. Fertig?« Er filmte Ganga Jis Hände. »Arjun, kannst du Ganga Ji fragen, ob er mir das beibringen kann?«
Arjun wandte sich an Ganga Ji und einen Moment lang feixten die beiden. Ich war ebenfalls kurz davor loszuprusten und schaute Lilli an. Aber Lilli schüttete mit zusammengepressten Lippen die Reste aus dem Topf auf ein Stück Zeitungspapier und rief nach Balthasar, dem Hund.
»Was sagt er?«, wollte Johnny von Arjun wissen.
»Er fragt, ob du dir noch nie die Hände gewaschen hast.«
»Quatsch, das mein ich doch nicht«, Johnny schaltete die Kamera aus. »Sondern ich will wissen, wie er den Moment so intensiv auskostet.«
»Er ist einfach faul«, erklärte Arjun. »Schließlich war das vorhin nicht sein erstes Chillum heute.«
Ich fing an zu lachen, aber niemand stimmte mit ein. Also verstummte ich und streichelte mechanisch Balthasars Fell.
Eine dunkle Wolke hatte sich auf die Baumwipfel am Hang gelegt. Gerade als ich beschloss, Lilli damit aufzuheitern, dass es bestimmt bald regnete, schaltete sich Jenny ein.
»Hast du dich spirituell weiterentwickelt, seitdem du hier lebst?«, hörte ich sie fragen und schloss die Augen. Ich war mir sicher, dass Lilli ihr an die Gurgel gegangen war, wenn ich sie wieder aufmachte. Aber Lilli zog nur eine Zehner-Packung Zigaretten der Marke Capstan aus ihrem BH und zündete sich eine an.
»Manchmal ist das Spirituellste, was man tun kann, jemandem zu sagen, dass er sich verpissen soll«, sagte sie beiläufig und blies den Rauch in die Luft.
Für einen Augenblick schienen alle den Atem anzuhalten und starrten Lilli an. Die Mobiles tirilierten. Ich sah zu Arjun hinüber, aber er erwiderte meinen Blick nicht. Ganga Ji hörte auf, sich die Essensreste aus den Zähnen zu pulen und ließ das Streichholz sinken.
»Das hab ich nicht ganz verstanden.« Jenny stieß ein Gackern aus.
»Jajaaa«, sagte Lilli. »Ich versteh auch so manches nicht.«
Tirili.
»Ich werd mal abwaschen«, murmelte ich und sammelte das Geschirr ein. Als ich in die Küche kam, hatte ich das Gefühl, ich würde den Kopf in einen Ofen stecken. Das kalte Wasser kam warm aus der Leitung. Die dunkle Wolke hatte sich fast ganz vor die Sonne geschoben, und ich bauchte einige Sekunden, mich im diffusen Licht zurechtzufinden.
Ich spülte so langsam wie möglich und rechnete fest damit, dass Arjun gleich kommen und mir helfen würde, so, wie er es immer tat. Aber Arjun kam nicht. Also atmete ich einmal tief durch und ging wieder nach draußen.
Arjun saß mit Johnny und Ganga Ji auf der anderen Seite der Terrasse und wollte gerade das nächste Chillum anrauchen. Ich trat von einem Bein auf das andere und fragte mich, ob er vorhatte, hier Wurzeln zu schlagen. Lilli hatte sich eine weitere Zigarette angesteckt und sah missmutig zu den Männern hinüber. Jenny warf ihr verstohlene Blicke zu, aber Lilli tat so, als würde sie es nicht bemerken. Ich setzte mich neben sie und strich ihr kurz über den Rücken.
»Ich möchte manchmal einfach nur meine Ruhe haben und nicht ständig Leute um mich«, jammerte sie.
Obwohl wir deutsch sprachen, hatte Jenny offenbar begriffen, worum es ging und erhob sich zögernd. Sie strich sich das Haar hinters Ohr, ging mit gesenktem Kopf zu Johnny, zupfte ihn am Ärmel und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Johnny reichte das Chillum an Ganga Ji weiter, stand betont lässig auf und klopfte sich die Hundehaare von der Pluderhose. Jenny verneigte sich vor Ganga Ji.
»Es war so nett von euch, uns einzuladen«, rief sie mit einem verächtlichen Seitenblick auf Lilli. »Ich kann so viel von eurer Kultur lernen.«
Johnny klopfte Ganga Ji auf den Rücken. »Das war echt cool von dir, Mann. Danke.«

Als sie die Haustür hinter sich geschlossen hatten, warf Ganga Ji Arjun einen vielsagenden Blick zu und sagte etwas zu ihm auf Hindi. Dann glucksten die beiden in sich hinein.
»Worum geht’s?«, wollte ich wissen.
»Kulturunterschiede«, klärte Arjun mich auf.
»Die da wären?«
»In Indien würde niemand auf die Idee kommen, sich bei Fremden einfach zum Essen einzuladen.«
»Nein.« Ganga Ji schüttelte den Kopf. »Ich hab schon überlegt, ob ich Geld von denen nehme.«
»Ihr habt wirklich ein stabiles soziales Netz bei euch im Westen, wenn es normal ist, jeden zum Essen einzuladen«, fuhr Arjun fort.
Ich öffnete den Mund, um etwas zu sagen, aber Lilli kam mir zuvor.
»Es regnet!«, rief sie.
Wenige Sekunden später trommelten dicke Tropfen auf das Wellblechdach.
»Mit jedem Chillum habe ich Shiva um Regen gebeten!« rief Ganga Ji. »Und letztendlich hat er mich erhört.«
Zur Bestätigung zuckte ein Blitz vom Himmel, der von einem scheppernden Donner begleitet wurde.
»Lasst uns lieber reingehen und alle Stecker rausziehen«, schlug Lilli vor.
»Ja«, sagte ich und folgte den anderen ins Haus. Auf der Schwelle drehte ich mich noch mal um und sah die Regentropfen mit den Mobiles tanzen.
Wenn es die ganze Nacht durchregnet, haben wir morgen bestimmt eine klare Sicht, dachte ich.

 

Hola Chai,

langsam wird’s Zeit, dass ich mich Deiner Story nähere. Weil ich zu wissen glaube, dass Du einleuchtende Anmerkungen der Kommentatoren aufgreifst und ggf. umsetzt, dürfte der Text nach womöglichen Korrekturen jetzt der alleingültige sein. Oder steht noch eine Überarbeitung bevor? Schließlich schreibst Du an Raindog:

... danke für dein Lob! Tja, die trampeligen Touristen. Ich werde mir alle Mühe geben, sie bei der Überarbeitung zumindest teilweise als subtilere Trampel darzustellen. Mal schauen, ob mir das gelingt.
Aber wie auch immer – mir gefällt die Geschichte, so wie sie ist, sehr gut. Für mich hattest Du das rechte Maß bei der Gestaltung der Figuren (Lilly ist unschlagbar!).
Beim Lesen habe ich immer besonders witzige und originelle Sprüche kopiert, um die dann in meinem Komm unterzubringen, z.B.:
... zündete das Chillum an. Dichte Qualmwolken stiegen auf.
„Das ist heiliger Rauch“, begann die Elfe ehrfürchtig.
Für die ist das ein Gelübde zur spirituellen Vereinigung mit dem Kosmos und keine Flucht vor der Realität, wie bei uns.
Die Realität, so wie wir sie kennen, gibt es im spirituellen Sinn nämlich gar nicht. Das ist alles Maya, eine Illusion.“

Aber unterm Strich waren es zu viele – da hätte ich die halbe Geschichte kopieren können, und das spricht eindeutig dafür, dass der Text gut gewürzt ist.
Ich finde die charmante Gegenüberstellung beider Kulturen gelungen. Feiner Sarkasmus spricht für eine gesunde Erdung der Autorin, und ich sehe auch, wie viel Feinarbeit da drinnen steckt. Da haste viel Gesammeltes verarbeitet und zu einer runden Sache geformt. Also von mir Double Thumbs Up!

Und auch noch ein Dankeschön für den Glückwunsch zur Empfehlung. Ja, da hat man wieder Bock für die nächste Geschichte!
Du hast Dir ja sozusagen das Indien-Monopol zur literarischen Ausbeutung gesichert, das find’ ich auch ganz schön clever.

Beste Grüße!
José

 

Hola josefelipe,

wow, so eine tolle Kritik von dir! Ehrlich gesagt, hat sie mich etwas überrascht, denn es tauchen dieselben Figuren auf wie in meiner letzten Geschichte, aber diesmal scheinen sie dich tatsächlich gepackt zu haben. Das freut mich natürlich sehr!

"Der Text dürfte der alleingültige sein" schreibst du. Nein, das ist immer noch das Original. Ich bin da nicht so schnell. Muss die Anregungen erstmal sacken lassen und mich dann noch mal ransetzen. Man wird also in den nächsten Wochen erneut von Lilli&Co hören.

Dass du fast den ganzen Text hättest kopieren können, um deine Lieblingsstellen rauszusuchen, ehrt mich natürlich sehr!

Also, lieber Jose, noch mal vielen vielen Dank für das Double Thumbs up ( ich habe ja nach all der Zeit immer noch nicht begriffen, wie die Smiley's und Zitate funktionieren, aber was soll's ...)

Deine Geschichte steht selbstverständlich auch noch auf meiner Liste. Ich hoffe, dass ich in den nächsten Tagen dazu komme, dir einen Kommentar zu schreiben. Bis dahin erstmal liebe Grüße von mir.

 

Hola Chai,

Chai: schrieb:
... eine tolle Kritik von dir! Ehrlich gesagt, hat sie mich etwas überrascht, denn es tauchen dieselben Figuren auf wie in meiner letzten Geschichte, ...
In „Ein Geschenk von Shiva“ dieselben Figuren? Kann mich nicht erinnern, dort Jenny und Johnny begegnet zu sein:schiel:. Aber woran es genau liegt, dass mir die Geschichte so gut gefällt, könnte ich nicht mit Bestimmtheit sagen. Vielleicht schien mir diesmal Dein Humor noch geschliffener. Spielt aber keine Rolle – ich bleibe eh einer Deiner Stammleser.

Dass du fast den ganzen Text hättest kopieren können, um deine Lieblingsstellen rauszusuchen ...
Den halben.
... da hätte ich die halbe Geschichte kopieren können ...
(Aber das soll das Kompliment in keiner Weise schmälern!)

Ich hoffe, dass ich in den nächsten Tagen dazu komme, dir einen Kommentar zu schreiben.
Mach Dir mal keinen Stress, liebe Chai. Das soll nicht zur Pflicht werden (Schreibste mir, schreib ick dir) – besonders dann nicht, wenn es mal nix war mit der aktuellen Geschichte.
Schweigen wird immer als höflich empfunden.

Chai: schrieb:
Man wird also in den nächsten Wochen erneut von Lilli&Co hören.
Das will ich schwer hoffen. Deine Fans sind bereit!

José
PS: Ich schicke den Post noch so spät ab, dann hast Du ihn zum Frühstück:).

 

Hola josefelipe,
mit deiner Post zum Frühstück hat es gleich doppelt so gut gemundet. Vielen Dank für den Appetitanreger. Ja, Jenny und Johnny waren zum ersten Mal dabei, die hatten mit Shivas Geschenk nichts zu tun, aber Lilli ist nicht neu, und die fandst du diesmal unschlagbar. Aber wie auch immer, es freut mich nach wie vor, dass all die Jennys, Johnnys und Lillis dich begeistern konnten. Und was deine Geschichte angeht: Denk ja nicht, ich würde dich verschonen, wenn sie mir nicht gefiele! Ha! Wo kämen wir denn da hin! Nein nein, so war das nicht gemeint. Man kann es sich vielleicht schwer vorstellen, aber auch hier in Goa gibt es sowas wie Alltagsstress. Und ich wollte damit eigentlich nur sagen, dass es deshalb so lange dauert, weil ich mir Zeit nehmen will.

Einen schönen Tag dir, und bis bald.
Chai

 

Hallo Chai,

ohne hier vieles rauszuzitieren, muss oder besser gesagt, muss ich sagen, dass deine Geschichte super ist!
Ich habe mich bemüht etwas zu finden, was ich als Verbesserungspotenzial vorschlagen könnte. Da kämen mir lediglich die vielen Vergleiche in den Sinn. Das ist zwar eine grundsätzlich gute Sache, allerdings kommt das vielleicht ein Tick zu häufig vor :)

Ansonsten eine sehr große Wortvielfalt, eine genau vorzustellende Landschaft samt Personen. Das Chillum Rauchen hat mich auch des öfteren zum Schmunzeln gebracht. Das weiße Kleid - und das was darunter liegt^^ - war nett, die Konversation zwischen den Personen... eine Geschichte, die ich wirklich sehr gerne gelesen habe.

Wenn es dir vermutlich auch nicht viel weiterhilft - ich fands super!

Viele Grüße

Federkrieger

 

Hallo Chai,

deine Geschichte ist eine von denen, die mir durch die Lappen gegangen war, was das Kommentieren betrifft. Gut, dass Federkrieger sie nochmal raufgeholt hat. Ich will dir einfach nur ein großes Kompliment aussprechen: Ich habe mich wirklich sehr amüsiert. Es war toll, Lilli und Ganga Ji wiederzutreffen. (Allen Neu-Lesern empfehle ich noch die Geschichte davor.) Die Touristen sind großartig. Lilli ist der Hammer. Und ich finde, dass dein Schreiben sich sehr weiter entwickelt hat. Gerne mehr!

Liebe Grüße von Chutney

 

Lieber Federkrieger,

über Komplimente freue ich mich immer! Muss einem ja nicht immer weiterhelfen ... Nein, im Ernst, ich habe mich naürlich "trotzdem" über deinen Kommentar gefreut. Gerne mehr davon ... Danke fürs Lesen und Kommentieren.
Liebe Grüße von Chai


Liebe Chutney,

auch dir vielen lieben Dank für den tollen Kommentar! War ganz überrascht, dass die Geschichte nochmal hochgespült wurde und freue mich natürlich sehr! Und, dass sich meine Schreibe verbessert hat, ist immer schoen zu hoeren.

Viele liebe Grüße von Chai

 

Hallo liebe Wortkrieger,

ich habe jetzt noch mal an dem Text herumgewurschtelt, mich schweren Herzens von den meisten Vergleichen getrennt und versucht, einige eurer Verbesserungsvorschläge unterzubringen. Vielleicht mag ja der eine oder andere noch mal drüberschauen.

Liebe Grüße von Chai

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Chai, eine schöne Geschichte hast Du da geschrieben. Was mir schon mal gut gefällt, ist das ungewöhnliche Setting, diese exotische Kulisse, wenn Du so willst. Handwerklich gut ist auch die Wahl einer in sich geschlossenen Szene, also das gemeinsame Essen, zu dem sich dann ungebetene Gäste einfinden und auch das Unbehagen, das in dieser Situation bei den verschiedenen Personen entsteht, hast Du schön eingefangen. Solche Missverständnisse, die etwas mit kulturellen Vorurteilen zu haben, sind ja immer ein bisschen lustig und peinlich zugleich. Das eignet sich gut für die literarische Verarbeitung, hat allerdings auch einen kleinen Haken. Dazu später mehr.

Ein paar kritische Gedanken:

Neben ihr stapfte ein hochgewachsener Typ in einem bunten Batikhemd barfuß durch das vertrocknete Gras … »Hi«, ließ auch das Batikhemd vernehmen.

Ich finde es nicht immer leicht, literarische Techniken von modischen Effekten zu unterscheiden. Diese Art, erst einen Protagonisten mit einem Kleidungsstück oder einem anderen Merkmal der Erscheinung bzw. des Verhaltens vorzustellen und später so als Person zu benennen, ist meiner Ansicht nach eher ein unbefriedigender modischer Tick. Seit das zum ersten Mal aufgetaucht ist, wimmelt es in Texten von Formulierungen wie:

Die Jogginghose fand das lustig … / Die Augenbraue gab mir die Hand … / Das schiefe Lächeln wollte noch einen Drink …

Wenn man das zum ersten Mal liest, ist es originell. Wenn man es häufiger liest, fragt man sich, was das eigentlich bedeutet, wenn immerzu Menschen auf ihre mehr oder weniger lächerlichen Äußerlichkeiten reduziert werden.

Eine andere Sache ist diese spezielle Sorte von lustiger Situation, die immer entsteht, wenn einander fremde Kulturen zusammenprallen und Missverständnisse sich entwickeln. Eine Sonderform ist gegenüber traditionellen Völkern das Unterstellen spiritueller Motive, die sich dann meist als ganz banale Alltagsdinge herausstellen. Diese Form wurde besonders bekannt durch unzählige witzige Stories, bei denen Weiße und Indianer aufeinandertreffen, und die Indianer ihren Spaß mit den abwegigen Vorstellungen der Weißen haben, die sich nach Karl May Manier irgendwelchen romantischen Idealisierungen hingeben. Problem ist nur, dass dieses Feld so intensiv beackert wurde. Ich finde es immer noch amüsant, aber frisch ist es eben nicht mehr.

Ganga Ji sah nach wie vor aus wie Bin Laden

Das ist definitiv problematisch. Stell Dir vor, Du willst einen Onkel von Dir in einer Geschichte vorstellen und schreibst: Onkel Eberhardt sah nach wie vor aus wie Adolf Hitler. Das schafft eine so mächtige negative Assoziation, daran kommt kein Leser vorbei. Bin Laden mag nicht bei jedem Leser so drastische Gefühle auslösen, aber das ist in der Literatur trotzdem ein Tabu, außer, es geht Dir nicht lediglich um das Äußere, sondern Du willst tatsächlich diese Assoziation nutzen. Das ist hier aber nicht der Fall, glaube ich.

Dann eine letzte Sache. Auf den ersten Blick ist das ja schön rund, wenn der Titel lautet Alles Maya und wir dann sehen, wie kulturelle Vorurteile eine Situation entstehen lassen, die zumindest von einer Seite aus völlig falsch eingeschätzt wird. Das liest sich erst einmal wie die perfekte Entsprechung des Titel, nachdem alles Maya, also Illusion sei. Der Haken ist nur, dass weder das brahmanistisch/ hinduistische noch das buddhistische Maya diese Art von Alltagsmissverständnissen meinen.

Auch der Erste Hauptsatz der Thermodynamik ist Maya. Nun muss man es philosophisch ja nicht so weit treiben, aber mich lässt es zumindest ein wenig unbefriedigt zurück, denn in diesem Sinne empfinde ich den Titel mit seinem Bezug zu Alltagsirrtümern als fehlerhaft oder übersehe ich da was?

Trotz dieser kritischen Gedanken hab ich es gern gelesen und würde mich über weitere Geschichten vom Subkontinent freuen.

Gruß Achillus

 

Hallo Achillus,

erstmal vielen herzlichen Dank fuer dein positives feedback und die kritischen Anmerkungen dazu. Ich werd's mal der Reihe nach durchgehen:

- ..." Hi", liess auch das Batikhemd vernehmen ..." Hier sagtest du, das waere eine Modeerscheinung, Menschen auf ein Verhaltens/Klamottenmerkmal zu reduzieren und waere - weil es so oft gebraucht wird - nicht mehr so originell. Da hast du sicher recht, und ich will ja auch nicht wie jemand klingen, der die Witze anderer ewig widerkaeut. Gelesen hab ich das natuerlich auch schon mal, aber es war mir nicht klar, dass das offenbar ein - mittlerweile weniger origineller - running gag ist. Ich lass das jetzt mal sacken und guck, ob ich's noch aendere.

- Das Thema des Kulturclashs ist nicht mehr frisch und schon sehr oft abgearbeitet, sagst du. Natuerlich hast du auch damit recht, nur, was ist heutzutage noch frisch? Is alles schon mal da gewesen, und ich denke, es kommt ganz darauf an, was man grundsaetzlich draus macht.

- ..."Ganga Ji sah nach wie vor aus wie Bin Laden ..." Problematisch, sagst du hier. Zumal es ja nur um das Aeussere geht und nichts darauf hindeutet, dass Ganga Jis Persoenlichkeit sich auf Bin Laden bezieht. Der Vergleich mit Onkel Eberhard, der aussieht wie Adolf Hitler - sehr lustig uebrigens - hat mir das nochmal verdeutlicht. Ich werde die Szene also ein bisschen umschreiben, so dass deutlich wird, dass Ganga Jis Aeusseres eben ein wenig an Bin Laden erinnert und das nicht so einfach hinrotzen. Das schuert - wie du mit dem Hitler-Vergleich gezeigt hast - einerseits Erwartungen, die nicht erfuellt werden, und andererseits kommt es zu drastisch rueber, was eigentlich nicht meine Absicht war. Danke, dass du mich darauf aufmerksam gemacht hast.

- zur Ueberschrift, bzw. der Verwendung des "Maya" im Text. Hier bist du darueber gestolpert, dass ich es auf Alltagsmissverstaendnisse bezogen habe, obwohl es das nicht meint.
Ich denke, das hast du missverstanden. (Ha! Da sind wir ja gleich beim Thema). Maya heisst zwar grundsaetzlich Illusion, aber nicht, dass die Welt nicht real ist und nur der menschlichen Phantasie entspringt. Es heisst, dass die Welt zwar existiert, aber nicht so ist, wie sie scheint, limitiert durch die eigene Wahrnehmung, Erfahrung, Bewertung.
Oft wird diese Art von Illusion mit einer Zaubershow verglichen, in der die Dinge zwar da sind, aber eben nicht so, wie sie vom Publikum wahrgenommen werden. Das kann sich also auch - oder gerade - auf alltaegliche Dinge beziehen, die unter einem bestimmten Blickwinkel wahrgenommen, durch diesen auch bewertet und deshalb fuer wahr gehalten werden. In meinem Text habe ich das auf die Wahrnehmung verschiedener Kulturen aufeinander bezogen, wobei jede ihren Ansatz fuer richtig und wahr haelt.

So, lieber Achillus, nochmal herzlichen Dank fuer die gruendliche Auseinandersetzung mit meinem Text, und dass du ihn gerne gelesen hast.

Liebe Gruesse von Chai

 

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