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Alles bestens

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10.10.2006
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Alles bestens

Beim Zeitungslesen hab ich einen Schauer gespürt, so ein Ding, bei dem man sich kurz schüttelt und wenn es vorbei ist, dann muss man sich über den Nacken reiben, weil er ganz hart geworden ist.
Laura hat den Schauer bemerkt, mich über ihre Halb-Brille angesehen und gefragt: „Alles in Ordnung?“
Klar, bestens, hab ich gesagt, alles bestens. Was sollte auch nicht stimmen?
Ich habe die Zeitung schnell weiter geblättert, ein, zwei Seiten nur, weg von den Hochzeitsanzeigen, hin zu den Beerdigungen.

Sie räumt gerade zwei Teller, zwei Messer, einen Löffel und die Butterdose in die Spülmaschine. Ich kann ihren Po sehen und das struppelige Haar, das ihr in den Nacken fällt. Ihr Haar: Als wüsste es, wie es auszusehen hat, und doch, es entscheidet sich Tag für Tag aus freien Stücken dagegen.
Natürlich liebe ich Laura. Was man so Liebe nennt. Wenn sie nicht mehr da wäre, würde sie mir fehlen. Und ich bin gut zu ihr. Daran besteht kein Zweifel.
Die Frau, die ich ohne Zweifel liebe, klappt die Spülmaschine zu.
Ich sage Schatz, das kann ich doch machen und frage, ob sie sich nicht ausruhen wolle, ein paar Stunden Schlaf noch, die hätte sie sich auch mal verdient, ich erledigte den Einkauf. Das könne ich ruhig auch mal machen.
Sie fragt: „Stimmt was nicht?“
Ich greife an ihr vorbei an die Spülmaschine und drehe irgendein Drehrad bis ganz nach links. Bestens, sag ich, alles bestens. Ich gehe in den Flur, nehme meine Jacke vom Kleiderbügel und bin schon aus der Tür. Sie ruft mir nach: „Du hast gar keinen Einkaufszettel“, aber ich tue, als hätte ich nichts gehört und gehe schnell. Als ich schon auf der Straße bin, da höre ich sie noch mal rufen: „Es ist Sonntag.“ Aber jetzt bin ich schon auf der Straße.

Die Kirche sieht aus wie ein modernes Kunstwerk, irgendwelche Giebel und Winkel, wen kümmert das schon? Viel Glas von außen. Grüppchen, die zusammenstehen. Nicht sehr viele in meinem Alter, hat wohl keine Freunde mehr. Aber mir gehörten die Freunde damals auch nicht. Trotzdem finde ich das ganz gut. Rentner; Familien, die schon Kinder haben. Kleine Rotznasen in albernen Kleidern. Als es reingeht, mische ich mich in so einen Pulk, der Herr vor mir riecht nach Old Spice, der Typ hinter mir nach Bebe-Creme, aber das bilde ich mir bestimmt nur ein.
Draußen viel Glas, innen viel Holz, ich setze mich einfach mitten rein, hab vorher schon drauf geachtet, dass ich in der Mitte des Pulks bin, irgendwo abgeschlagen. Dass ich Mitte rechts sitzen kann, oder Mitte links, nicht im Gang, nicht in der ersten, nicht in der letzten Reihe.
Als ich sitze, lege ich meine Hände auf die Knie, ich habe dreckige Fingernägel, daran hab ich nicht gedacht. Meine Jacke passt auch nicht hier her. Ich bin kein Sonntagsmensch. Meine Hochzeit war ganz anders. Da hatte ich makellose Nägel. Auch keinen Marmeladengeschmack im Mund.
Ich schnüffle, es riecht nach Bebe-Creme. Sie wollte doch gar keine Kinder haben. Sie hat das vielleicht gesagt, ein oder zwei Mal, aber … sie wollte keine Kinder haben.
„Alles in Ordnung mit Ihnen?“, fragt mich der Old Spice-Typ.
Bestens, sage ich und ziehe die Nase hoch, alles bestens.
„Woher kennen Sie die Braut?“
Oh, frage ich, dies sei die Braut-Seite? Dann säße ich hier wohl falsch, aber jetzt noch einmal aufzustehen, das sei nicht in Ordnung, das bringe ja nur Unruhe hinein, Leute müssten mich hindurch lassen, nein, das ginge jetzt auch nicht mehr. Dann säße ich eben falsch, es werde dem jungen Glück keinen Abbruch tun.
Als der alte Mann noch mal zu sprechen ansetzt, frage ich ihn, ob er denn Witwer sei, frage es und drehe mich um, weg von ihm, hin zu dem Bebe-Typen und dann nage ich mitten in seine feiste Fresse meine Fingernägel makellos sauber.

Der Bräutigam steht schon am Altar. Auch eine Enttäuschung. Ich dachte, er hätte mein Gesicht, meine Größe, meine Schultern, was weiß ich. Irgendeinen Habitus, vielleicht eine kleine Macke, die ich von mir kenne. Dass sie mich ersetzt hat, durch eine schlechte Kopie. Durch eine Aldi-Version, die vielleicht auf Kinder steht oder den Müll raus bringt oder was weiß ich.
Aber nein, er könnte mir wohl kaum unähnlicher sein. Vielleicht nur, wenn er schwarz wäre oder ein Asiat oder ein Scheiß-Spanier.
Steht da blond und irgendwie arisch. So ein Typ, der seine Brieftasche am Arsch trägt und der auf seine Uhr guckt, irgendwie mit Schwung. So ein elaniger Elan-Wichser wie aus einem Kaffee-Spot, in dem der Sohn zwölf ist und der Vater fünfundzwanzig.
Hat bestimmt einen Sprachfehler, ein Drogenproblem oder fickt rum. Was will ich eigentlich hier?
Er solle mich durchlassen, sage ich zu dem Bebe-Typen. Ich säße hier falsch! Müsse auf die andere Seite.
Er zieht den Bauch ein und klappt die Beine unter die Sitzbank.
Ich stehe im Gang, halte mich an einer Bank fest, ich ducke mich, die Augen des Bräutigams starren in meinen Nacken, aber so nicht. Ich drücke meinen Rücken durch, streiche meine Jacke grade, mit makellosen Fingernägeln, und ich will mich umdrehen und schreien: „Ich hab sie vor dir gehabt!“ Vielleicht setz ich dann noch hinzu: „Und ich war gut, Adolf!“
Aber nein, das wäre furchtbar. Ich drücke meinen Rücken durch und gehe erhobenen Hauptes auf den Ausgang zu. In dem Moment setzt die Musik ein und ich weiß natürlich, was kommt.
Vanessa. Brautkleid. Ihr Vater.
Sie gehen auf mich zu, mit dem rechten Fuß voran.
Sie schaut auf ihre Füße, ihr Vater schaut auf mich. Sie hat einen Strauß in der Hand.
Ich gehe auf die beiden zu, auf die von der Braut abgewandte Seite gehe ich zu, gehe auf ihren Vater zu, streife ihn am Arm, als ich mich an ihm vorbeiquetsche, gehe mit schnellen Schritten raus, halte nur, weil ich es muss, an der Kirchentür an, schaue über meine Schulter. Vanessa schaut nicht zurück.
Bestens, sage ich zu mir, als ich draußen stehe. Alles bestens.

Laura sagt nichts. Sie hat sich nicht hingelegt, weiß der Geier, was sie gemacht hat. Sie fragt mich auch nichts. Sie sieht mich und geht in die Küche. Ich setze mich an den Esszimmertisch und blättere in der Zeitung, bis zu den Hochzeitsanzeigen. Bis zum Bild des glücklichen Brautpaares. Jemand hat Vanessas Zähne geschwärzt, ihr einen Schnurrbart gemalt und schwarze Pickel auf die Stirn.
Als ich hoch schaue, lehnt Laura im Türspalt und grinst ein Eichhörnchengrinsen.
„Bist du da echt rein mit deiner Jacke?“, fragt sie.
Ich nicke den Tisch an.
„Idiot“, sagt sie.
Ich nicke noch einmal.
„Alles klar?“, fragt sie.
Bestens, sage ich und stehe auf. Ich gehe zu ihr, streiche ihr über das Haar, das ja genau weiß, wie es auszusehen hat, und klatsche ihr auf den Po, vergrabe meine Finger in ihrer linken Pobacke, würde am liebsten ein Zeichen dort rein brennen. Alles bestens, sage ich und dann dränge ich sie gegen die Spülmaschine.

 

Hallo Detlev,

freut mich, dass du die Geschichte ausgegraben hast. Ich hab die dann auch nochmal gelesen und mag sie eigentlich immer noch, bis auf eine Stelle, das mit den Fingernägeln fand ich mittlerweile bisschen zu krass.

Ja, vielleicht die Zeitung von Samstag, aber ich glaub das Problem ist eher die Hochzeit am Sonntag. Da hab ich für den Gag da mit der Steigerung ("Heute ist Sonntag", wenn er einkaufen geht) ein bisschen die Logik vernachlässigt.

Freut mich, dass dir der Schluss gefällt, danke dir fürs Lesen und Kommentieren
Quinn

 

Hallo Quinn,
ich bin anscheinend die Einzige die diese Stelle absolut nicht kapiert, aber ich kapiere sie eben als Einzige absolut nicht ^^. Vielleicht kannst Du mir helfen.

drehe mich um, weg von ihm, hin zu dem Bebe-Typen und dann nage ich mitten in seine feiste Fresse meine Fingernägel makellos sauber.

Ansonsten find ich Deine KG sehr gelungen, besonders die Beschreibung des Rivalen und die Stelle, an der er der Braut + Vater entgegen kommt, witzig!

LG Damaris.


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Hi Quinn,

hat mir gut gefallen, deine Ich-Geschichte. Trotz der Kürze ergibt sich ein tiefes, stimmiges Profil der Hauptfigur, sprachlich schön, war mir ein Lesegenuss. :)

Beim Zeitungslesen hab ich einen Schauer gespürt, so ein Ding, bei dem man sich kurz schüttelt und wenn es vorbei ist, dann muss man sich über den Nacken reiben, weil er ganz hart geworden ist.
Laura hat den Schauer bemerkt, mich über ihre Halb-Brille angesehen und gefragt: „Alles in Ordnung?“
Klar, bestens, hab ich gesagt, alles bestens. Was sollte auch nicht stimmen?
Ich habe die Zeitung schnell weiter geblättert, ein, zwei Seiten nur, weg von den Hochzeitsanzeigen, hin zu den Beerdigungen.

Würde hier auch nur "hab" sagen, wie du es den ganzen Absatz über tust.

Ich sage Schatz, das kann ich doch machen und frage, ob ...

Sollte da nicht auch noch ein Komma rein, nach "ich sage"?

Als ich schon auf der Straße bin, da höre ich sie noch mal rufen: „Es ist Sonntag.“ Aber jetzt bin ich schon auf der Straße.

Würde die markierten Worte weglassen.

Sie gehen auf mich zu, mit dem rechten Fuß voran.

Sehr schön! :)

Ein, zwei Mal beginnst du Sätze mit "dass", ist halt so eine Sache, ich mag "dass- Sätze" gar nicht, sie geben dem Sprachfluss so einen eckigen, schablonenhaften Verlauf, ist aber Geschmacksache.
Kompliment. Toller Text!

Lg, Manuela :)

 

Hallo Quinn!

Die Geschichte hat mich mitgenommen, so ganz ins aufgewühlte
Innenleben des Protagonisten.

Diese launige Sprache:

Der Bräutigam steht schon am Altar. Auch eine Enttäuschung. Ich dachte, er hätte mein Gesicht, meine Größe, meine Schultern, was weiß ich. Irgendeinen Habitus, vielleicht eine kleine Macke, die ich von mir kenne. Dass sie mich ersetzt hat, durch eine schlechte Kopie. Durch eine Aldi-Version, die vielleicht auf Kinder steht oder den Müll raus bringt oder was weiß ich.
Aber nein, er könnte mir wohl kaum unähnlicher sein. Vielleicht nur, wenn er schwarz wäre oder ein Asiat oder ein Scheiß-Spanier.
Steht da blond und irgendwie arisch. So ein Typ, der seine Brieftasche am Arsch trägt und der auf seine Uhr guckt, irgendwie mit Schwung. So ein elaniger Elan-Wichser wie aus einem Kaffee-Spot, in dem der Sohn zwölf ist und der Vater fünfundzwanzig.
Hat bestimmt einen Sprachfehler, ein Drogenproblem oder fickt rum. Was will ich eigentlich hier?

Gefällt mir!

Das bringt mich ganz nah ran an den Mann.

Das mit der Hochzeit am Sonntag und der Sonntagszeitung...usw.,
mag so sein oder nicht.

Was mich am meisten gestört hat sind die schmutzigen Fingernägel.

Ich meine, es ist Sonntag, er hat gerade mit seiner Frau gefrühstückt, und
dass er gerade von einer Nachtschicht kam ist auch nicht ersichtlich.

Warum zum Teufel hat der Mann also dreckige Fingernägel?


Trotzdem, sehr gerne gelesen.

Gruß
Malina

 

Hey,

ihr grabt aber komische Geschichten wieder aus. Also die hier ist ja schon ziemlich flutschig glatt.

Damaris: Du hast das Ding vor 4 Jahren schon mal kommentiert damals und konntest dich jetzt halt nicht mehr dran erinnern, und ich geb zu, mir ging das ziemlich ähnlich. :)
Ich wusste nur noch, dass ich mir paar Mal Sprüche anhören musste, wie kitschig es wäre, Frauen gegen Spülmaschinen zu drängen!

Also vielen Dank, dass ihr die Geschichte noch mal besucht hat, stilistisch ist das halt eine Stimme und gib ihm, die Sprache soll da so eine aufgewühlte Unruhe darstellen. So etwas, wenn man mit voller Blase in eine wichtige Anhörung rein muss, deshalb ist das stilistisch auch nicht immer so schön.
Die „dreckigen Fingernägel“ sind hier ein Bild für die soziale Konvention, wenn man so will. Also die normative Kraft der Umgebung: Es wird von jedem erwartet, sich bei einer Hochzeit „anständig“ zu verhalten und er hat in der Situation diese Verpflichtung auch, will sich aber daraus befreien, auch wenn das sonst keiner mitkriegt, fühlt er sich da total „isoliert“ in der Situation. Er sticht heraus.

Die Fingernägel sind dreckig, weil … jo mei. Ich hab mir das gar nicht so überlegt eigentlich. :) Das ist wie mit der Hochzeit am Sonntag, die es gar nicht gibt, es muss halt … ehm, literarisch so sein. Ist es so unglaubwürdig, dass Männer zu ungünstigen Zeitpunkten dreckige Fingernägel haben?
Die müssen ja auch nicht total Gartenarbeit verkrustet sein, sondern wenn er da sitzt, merkt er halt, dass sie nicht makellos rein sind, also das ist schon was, das Leuten passiert, oder? Es soll halt seine Situation da beschreiben. Er hätte auch verschiedenfarbige Socken anhaben können, oder so. Er ist derangiert.

Der Satz mit dem Bebe-Gesicht, da kommen halt verschiedene Bilder zusammen in der Situation. Er will sich die Finger sauber knabbern, obwohl man das natürlich nie macht und da schon gar nicht; und alleine weil der andere Mann so „sauber“ im Gegensatz zu ihm, reicht das in der Situation schon um diese unfokussierten Zorn zu erregen.
Ich finde das ist schon eine Situation, die hässlich ist und nicht so gern in Geschichten gezeigt wird, aber ich find die schon durchaus menschlich.

Zu den „dass“-Sätzen, wenn das im Flow kommt, macht das nichts. Ich bin auch kein riesiger Fan davon, aber häufig sind die „Dass“-Sätze in einem verkürzten Satzbau am Anfang, weil man sich das „Ich denke“ spart. Deshalb halt ich es für keinen Stilbruch, sondern es zeugt auch von einem Stil, der sich der Umgangssprache annähert. Zu viele Inhaltssätze weisen oft auf einen förmlichen Zeitungsstil hin, (er sagte, dass …), aber es sind nicht immer Schablonen, Inhaltssätze können auch sehr dynamisch verwendet werden.

Draußen viel Glas, innen viel Holz, ich setze mich einfach mitten rein, hab vorher schon drauf geachtet, dass ich in der Mitte des Pulks bin, irgendwo abgeschlagen. Dass ich Mitte rechts sitzen kann, oder Mitte links, nicht im Gang, nicht in der ersten, nicht in der letzten Reihe.
Das ist z.B. einer der Sätze, die mit „dass“ anfangen, und das ist einfach eine stilistische Spielerei, da den Punkt zu setzen. Grammatikalisch ist das kein vollständiger Satz. Aber das ist ja nicht „schablonenhaft“, das ist kein schablonenhaft falsch verwendeter „dass“-Satz wie: „Dass er aufs Klo musste, verschwieg er“. Sondern das ist ein Satzbruch, ein sprachlicher Gag, man spart sich den Vorlauf noch mal, sondern hat hier diesen Gedanken „hab vorher schon drauf geachtet“ – dann noch mal in der Häufung.

Gruß und vielen Dank für die Kommentare!

Ich find's schon komisch, dass diese 7000 Zeichen Dinger immer noch mal wiederkommen, ich denke das geht bestimmt einigen Schreibern so, dass man selbst halt von den längeren mehr hat, die kleineren aber eher noch mal wieder angesehen werden.

Quinn

 

Hallo Quinn,
da siehst Du mal, wie nachhaltig mir diese Geschichte im Gedächtnis geblieben ist ;-)
Immerhin habe ich sie ein zweites mal direkt ausgewählt. Vielleicht liegt das aber auch nur am Titel. Falls mein Kommentar nach 3 Jahren darunter wieder auftaucht, würde ich an Deiner Stelle misstrauisch werden. Aber vielleicht habe ich dann erst alles kapiert ;-)
LG Damaris.
PS: Ich hatte schon damals nichts gegen das Drängeln an der Spülmaschine.

 

Schöne Geschichte. Es lohnt sich wirklich, mal die älteren Sachen zu lesen. Bei dir ist die Messlatte sehr hoch, und grade darum könnte man meinen, dass dies eine der schwächeren Geschichten von dir ("schwach" ist relativ), doch mir gefällt grade diese unaufdringliche Einfachheit. Liest sich sehr angenehm, entspannend. Ironie: Ich habe die Geschichte wegen Car... äh Hubrts Kommentar gelesen ;-)

MfG
Tim

 

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