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Alles bestens
Beim Zeitungslesen hab ich einen Schauer gespürt, so ein Ding, bei dem man sich kurz schüttelt und wenn es vorbei ist, dann muss man sich über den Nacken reiben, weil er ganz hart geworden ist.
Laura hat den Schauer bemerkt, mich über ihre Halb-Brille angesehen und gefragt: „Alles in Ordnung?“
Klar, bestens, hab ich gesagt, alles bestens. Was sollte auch nicht stimmen?
Ich habe die Zeitung schnell weiter geblättert, ein, zwei Seiten nur, weg von den Hochzeitsanzeigen, hin zu den Beerdigungen.
Sie räumt gerade zwei Teller, zwei Messer, einen Löffel und die Butterdose in die Spülmaschine. Ich kann ihren Po sehen und das struppelige Haar, das ihr in den Nacken fällt. Ihr Haar: Als wüsste es, wie es auszusehen hat, und doch, es entscheidet sich Tag für Tag aus freien Stücken dagegen.
Natürlich liebe ich Laura. Was man so Liebe nennt. Wenn sie nicht mehr da wäre, würde sie mir fehlen. Und ich bin gut zu ihr. Daran besteht kein Zweifel.
Die Frau, die ich ohne Zweifel liebe, klappt die Spülmaschine zu.
Ich sage Schatz, das kann ich doch machen und frage, ob sie sich nicht ausruhen wolle, ein paar Stunden Schlaf noch, die hätte sie sich auch mal verdient, ich erledigte den Einkauf. Das könne ich ruhig auch mal machen.
Sie fragt: „Stimmt was nicht?“
Ich greife an ihr vorbei an die Spülmaschine und drehe irgendein Drehrad bis ganz nach links. Bestens, sag ich, alles bestens. Ich gehe in den Flur, nehme meine Jacke vom Kleiderbügel und bin schon aus der Tür. Sie ruft mir nach: „Du hast gar keinen Einkaufszettel“, aber ich tue, als hätte ich nichts gehört und gehe schnell. Als ich schon auf der Straße bin, da höre ich sie noch mal rufen: „Es ist Sonntag.“ Aber jetzt bin ich schon auf der Straße.
Die Kirche sieht aus wie ein modernes Kunstwerk, irgendwelche Giebel und Winkel, wen kümmert das schon? Viel Glas von außen. Grüppchen, die zusammenstehen. Nicht sehr viele in meinem Alter, hat wohl keine Freunde mehr. Aber mir gehörten die Freunde damals auch nicht. Trotzdem finde ich das ganz gut. Rentner; Familien, die schon Kinder haben. Kleine Rotznasen in albernen Kleidern. Als es reingeht, mische ich mich in so einen Pulk, der Herr vor mir riecht nach Old Spice, der Typ hinter mir nach Bebe-Creme, aber das bilde ich mir bestimmt nur ein.
Draußen viel Glas, innen viel Holz, ich setze mich einfach mitten rein, hab vorher schon drauf geachtet, dass ich in der Mitte des Pulks bin, irgendwo abgeschlagen. Dass ich Mitte rechts sitzen kann, oder Mitte links, nicht im Gang, nicht in der ersten, nicht in der letzten Reihe.
Als ich sitze, lege ich meine Hände auf die Knie, ich habe dreckige Fingernägel, daran hab ich nicht gedacht. Meine Jacke passt auch nicht hier her. Ich bin kein Sonntagsmensch. Meine Hochzeit war ganz anders. Da hatte ich makellose Nägel. Auch keinen Marmeladengeschmack im Mund.
Ich schnüffle, es riecht nach Bebe-Creme. Sie wollte doch gar keine Kinder haben. Sie hat das vielleicht gesagt, ein oder zwei Mal, aber … sie wollte keine Kinder haben.
„Alles in Ordnung mit Ihnen?“, fragt mich der Old Spice-Typ.
Bestens, sage ich und ziehe die Nase hoch, alles bestens.
„Woher kennen Sie die Braut?“
Oh, frage ich, dies sei die Braut-Seite? Dann säße ich hier wohl falsch, aber jetzt noch einmal aufzustehen, das sei nicht in Ordnung, das bringe ja nur Unruhe hinein, Leute müssten mich hindurch lassen, nein, das ginge jetzt auch nicht mehr. Dann säße ich eben falsch, es werde dem jungen Glück keinen Abbruch tun.
Als der alte Mann noch mal zu sprechen ansetzt, frage ich ihn, ob er denn Witwer sei, frage es und drehe mich um, weg von ihm, hin zu dem Bebe-Typen und dann nage ich mitten in seine feiste Fresse meine Fingernägel makellos sauber.
Der Bräutigam steht schon am Altar. Auch eine Enttäuschung. Ich dachte, er hätte mein Gesicht, meine Größe, meine Schultern, was weiß ich. Irgendeinen Habitus, vielleicht eine kleine Macke, die ich von mir kenne. Dass sie mich ersetzt hat, durch eine schlechte Kopie. Durch eine Aldi-Version, die vielleicht auf Kinder steht oder den Müll raus bringt oder was weiß ich.
Aber nein, er könnte mir wohl kaum unähnlicher sein. Vielleicht nur, wenn er schwarz wäre oder ein Asiat oder ein Scheiß-Spanier.
Steht da blond und irgendwie arisch. So ein Typ, der seine Brieftasche am Arsch trägt und der auf seine Uhr guckt, irgendwie mit Schwung. So ein elaniger Elan-Wichser wie aus einem Kaffee-Spot, in dem der Sohn zwölf ist und der Vater fünfundzwanzig.
Hat bestimmt einen Sprachfehler, ein Drogenproblem oder fickt rum. Was will ich eigentlich hier?
Er solle mich durchlassen, sage ich zu dem Bebe-Typen. Ich säße hier falsch! Müsse auf die andere Seite.
Er zieht den Bauch ein und klappt die Beine unter die Sitzbank.
Ich stehe im Gang, halte mich an einer Bank fest, ich ducke mich, die Augen des Bräutigams starren in meinen Nacken, aber so nicht. Ich drücke meinen Rücken durch, streiche meine Jacke grade, mit makellosen Fingernägeln, und ich will mich umdrehen und schreien: „Ich hab sie vor dir gehabt!“ Vielleicht setz ich dann noch hinzu: „Und ich war gut, Adolf!“
Aber nein, das wäre furchtbar. Ich drücke meinen Rücken durch und gehe erhobenen Hauptes auf den Ausgang zu. In dem Moment setzt die Musik ein und ich weiß natürlich, was kommt.
Vanessa. Brautkleid. Ihr Vater.
Sie gehen auf mich zu, mit dem rechten Fuß voran.
Sie schaut auf ihre Füße, ihr Vater schaut auf mich. Sie hat einen Strauß in der Hand.
Ich gehe auf die beiden zu, auf die von der Braut abgewandte Seite gehe ich zu, gehe auf ihren Vater zu, streife ihn am Arm, als ich mich an ihm vorbeiquetsche, gehe mit schnellen Schritten raus, halte nur, weil ich es muss, an der Kirchentür an, schaue über meine Schulter. Vanessa schaut nicht zurück.
Bestens, sage ich zu mir, als ich draußen stehe. Alles bestens.
Laura sagt nichts. Sie hat sich nicht hingelegt, weiß der Geier, was sie gemacht hat. Sie fragt mich auch nichts. Sie sieht mich und geht in die Küche. Ich setze mich an den Esszimmertisch und blättere in der Zeitung, bis zu den Hochzeitsanzeigen. Bis zum Bild des glücklichen Brautpaares. Jemand hat Vanessas Zähne geschwärzt, ihr einen Schnurrbart gemalt und schwarze Pickel auf die Stirn.
Als ich hoch schaue, lehnt Laura im Türspalt und grinst ein Eichhörnchengrinsen.
„Bist du da echt rein mit deiner Jacke?“, fragt sie.
Ich nicke den Tisch an.
„Idiot“, sagt sie.
Ich nicke noch einmal.
„Alles klar?“, fragt sie.
Bestens, sage ich und stehe auf. Ich gehe zu ihr, streiche ihr über das Haar, das ja genau weiß, wie es auszusehen hat, und klatsche ihr auf den Po, vergrabe meine Finger in ihrer linken Pobacke, würde am liebsten ein Zeichen dort rein brennen. Alles bestens, sage ich und dann dränge ich sie gegen die Spülmaschine.