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Allein
Wütend. Ich bin wütend.
Ich schabe energisch die Reste Lasagne von meinem Teller in die Mülltonne. Das Messer erzeugt dabei ein Geräusch, das mir Gänsehaut beschert. Während ich das Geschirr in den Spüler stopfe muss ich an ihre letzten Worte an mich denken.
‚Mach’s gut. Alles liebe.‘
Nach so langer Zeit bin ich nicht mehr wert als 18 Buchstaben. So viele Liebesschwüre, so viel Zuneigung, so viel Gemeinsamkeiten. Und nun ist nichts mehr davon da, von einem Moment auf den nächsten war alles vorbei. So sehr das Ende auch unausweichlich schien, getroffen hat es mich dennoch bis ins Herz. Wie um alles in der Welt soll es jetzt weitergehen? Wie soll ich sie jemals aus meinem Kopf bekommen? Wie soll ich all die Momente vergessen, die wir gemeinsam erlebt haben? Wie soll ich ihren Geruch vergessen und die Art und Weise wie sie mich immer angesehen hat, wenn wir im Bett lagen? Wie soll ich vergessen, dass wir diese spezielle Verbindung hatten, wenn sie imstande war, mich innerhalb ein paar Sekunden fallen zu lassen wie eine heiße Kartoffel?
Schwerfällig lasse ich mich auf einen Küchenstuhl fallen und massiere meine Stirn. Ein unangenehmes Pochen macht sich langsam dahinter bemerkbar und ich spüre ein Brennen in den Augen. Mir ist nach Heulen zumute, aber es kommen keine Tränen. Es geht einfach nicht.
Traurig. Ich bin traurig.
Während ich die nasse Wäsche aus der Waschmaschine nehme und in den darüber liegenden Trockner stopfe, denke ich an einen Abend, an dem wir gemeinsam gekocht hatten. Zwei frische Saiblinge, etwas Gemüse und eine Flasche ausgezeichneter Weißwein. Wir haben gelacht und geputzt und geschnitten und getrunken und uns geküsst und hatten am Küchenboden Sex, während der Fisch im Backrohr vor sich hin brutzelte. Ich denke an diesen Abend und eine unendliche Trauer überkommt mich. Ich versuche zu lächeln und mich an das Schöne an diesem Abend zu erinnern. Versuche, keine Bitterkeit aufkommen zu lassen darüber, dass ich, wenn ich nur ein wenig mehr Mumm gehabt hätte, viele weitere solche Abende hätte erleben können. Aber ich hab’s verbockt. Ziemlich sogar.
Ich stopfe nasse Wäsche in den Trockner, schließe die Tür, drehe das Einstellungsrad irgendwohin ohne es zu kontrollieren und schalte das Gerät ein.
Müde. Ich bin müde.
Das Alles kostet so unendlich viel Kraft. Ich habe versucht, es ihr recht zu machen. Habe versucht ihr zu geben, was ich geben konnte. Sie wollte immer mehr. Irgendwann waren da einfach keine Reserven mehr vorhanden. In all der Zeit, die wir zusammenwaren, habe ich immer alles gegeben. Ohne Rücksicht auf Verluste und aus vollem Herzen. Weil ich sie liebte. Weil ich wollte, dass sie sich gut fühlt. Geborgen. Gut aufgehoben bei mir.
Aber wem habe ich etwas vorgemacht?
Während ich mir langsam aber sicher der Tatsache bewusst wurde, dass diese Beziehung weit über ein normales Techtelmechtel gehen würde, war mir bereits klar, dass das Ende unausweichlich war und nicht schön sein würde.
Ich lege mich auf die Couch und schließe meine Augen. Ich fühle mich schrecklich, aber an Schlaf ist nicht zu denken. Ich sehe sie ständig vor mir. Ihr blondes Haar, ihre wunderschönen Augen, ihre herrlichen Brüste, ihr herzliches Lachen, ihren wunderschönen, runden Po, ihre langen Finger. Alles an ihr hat sich längst in mein Bewusstsein gebrannt. Es fühlte sich großartig an, in ihrer Nähe zu sein. Sie atmen zu hören. Ihre Hand auf meiner Brust zu spüren. Ihr dabei zuzusehen, wie sie sich zum Takt der Musik bewegt.
Und jetzt ist sie fort.
Während ich auf der Couch liege, öffnet sich die Wohnzimmertür und meine Tochter betritt den Raum. Ich spüre ihren Blick auf mir, öffne die Augen und lächle sie an.
Sie ist zehn Jahre alt aber man kann ihr nichts vormachen.
Sie fragt mich, ob alles okay ist.
Ich zwinkere ihr zu und breite meine Arme aus. Sie beugt sich zu mir runter und umarmt mich fest. Ich küsse sie auf die Wange.
Dann fragt sie mich, wann ihre Mutter kommt.
Ich sehe auf meine Uhr und teile ihr mit, dass sie sich verspäten wird. Notfall im Spital. Als Ärztin muss man da eben manchmal in den sauren Apfel beißen und länger bleiben. Ihre Portion Lasagne wartet im Kühlschrank auf sie.
Meine Tochter sagt mir, dass sie noch ein wenig lesen wird. Ich nicke ihr stumm zu.
Und während ich hören kann, wie sie in ihrem Zimmer in ihren Büchern rumblättert, rinnen endlich Tränen aus meinem Augenwinkel meine Backenknochen hinab und verschwinden im Microfaser-Stoff meiner Couch.
Ich schließe meine Augen und denke über das Leben nach und wie es einem manchmal in die Eier tritt.
Wütend. Ich bin wütend.