Aktion Kind
„Schreib’ doch mal ein paar Zeilen“, sagte sie und brachte mich damit in einen Konflikt, von dem sie nichts ahnen konnte und den ich mir vom Herzen gern erspart hätte. Nun sitz ich hier vor diesem grell scheinenden Monitor, eine jämmerliche Gestalt, die versucht unentwegt mit ihren Fingern auf die Tasten einzuhauen.
Wovon kann man denn so schreiben? Zum Beispiel von der Faszination, die ein jeder Gedanke in sich birgt. Allein das Nachdenken, über was etwas zu schreiben wäre, füllte ja schon die vorangegangenen Zeilen.
Ich möchte nicht vermeiden zu erwähnen, daß es mir in erster Linie um Formulierungen, weniger um Inhalte geht. Es ist jedoch weder spaßig noch einfach, inhaltlose Formulierungen zu fabrizieren, weil Ziel des Schreibens ist doch die Mitteilung und wer interessiert sich für solch Unspannendes, was mir gerade einfällt. Also, es hilft ja alles nichts: eine Story muß her!
Zunächst einmal stellt sich die Frage aus welchem Bereich die Story sein soll, welche Form ist angemessen, um brillante Formulierungen einbauen zu können?
Reißerisch, romantisch, dokumentarisch, blumig oder gar nicht?
Action verlangt, so glaube ich zumindest, einen disziplinierten, strengen und vor allem schnellen Stil, der in actiongeladenenen Sätzen so viel wie es nur eben geht, ausdrückt. Romantik stelle ich mir wesentlich einfacher vor. Die Darstellung der Stimmungen und Gefühle kann gar nicht ausgiebig genug sein. Hier stellt sich allerdings das Problem, daß ein Blinder über die Farbe Rot schreiben soll.
Dokumentarisch ist sachlich...ha ich hab’s: ich denke mir einfach etwas aus; was mir gerade in den Sinn kommt, hacke ich hier in das Textverarbeitungsprogramm und füge so Satz um Satz aneinander, bis schließlich einen spannende, rührende, gute Geschichte herausgekommen sein wird, die einen jeden Leser so faszinieren wird, daß er mich händeringend auffordern wird, dieses Buch an einen großen Verlag, zwecks Verlegung zu senden, nur um dann Freund eines reichen Mannes sein zu können. Ja, genau so werde ich es machen und ich fange jetzt an:
Wie lange hatte er auf diesen Moment gewartet und nun hat er ihn nur in einer Art Rauschzustand mitbekommen. Ganz allmählich werden seine Gedanken klar. Erst jetzt fällt ihm auf, daß seine Frau völlig erschöpft ist und aufgehört hat schmerzvoll zu keuchen und zu stöhnen. Stattdessen erklingt das summende Geschrei eines Neugeborenen. Sein erster Blick gilt nicht, wie er sich das vorgestellt hatte, dem Geschlecht, sondern dem noch käseverschmierten Gesicht, das gekrönt wird von einem dunkelhaarigen Flaum.
„Es ist ein Junge!“, die Hebamme versucht in ihre routinierte Stimmung etwas Begeisterung reinzulegen, wofür ihr der neue Papa sehr dankbar ist, obwohl er doch viel lieber der allererste gewesen wäre, der weiß, ob er Vater eines Sohnes oder einer Tochter ist. Das hätte ihm ein Gefühl von Vorsprung eingebracht.
Er hatte sich so fest vorgenommen, alles ganz genau zu beobachten, jedes Detail der Geburt und jeden Gedanken, der ihm beiwohnt. Die erste Frage, die sich ihm nun stellt, darüber ärgert er sich sehr, ist, wen er jetzt wohl mehr liebt: seine liebe Frau oder seinen wonneproppigen Sohn. Die Frage erschrickt ihn. Seine Frau liegt noch immer völlig erschöpft und durchnäßt auf der Liege, kein besonders ästhetischer Anblick. Zärtlich streichelt er ihr über den Kopf. Bea ist mehr als glücklich: „Tom, es ist ein Junge, ein Junge, ein kleiner Tom!“ „Ja, ein kleiner Tom“, mit gedankenverlorenem Blick auf sein Machwerk sieht er die Zukunft rosarot. Ein glückliches Elternpaar mit Sohn. Wie ein Super-Acht-Film läuft das Familienbild vor seinem geistigen Auge ab, als die Hebamme den kleinen Sproß der Mutter vorsichtig in die Arme legt.
Bloß nicht eifersüchtig werden, es ist ja eigentlich ihr Sohn, aber auch meiner, unser Sohn halt. Tom versucht auch diese Momente aufzusaugen, um möglichst lange davon zehren zu können. Plötzlich fühlt er sich aus der Situation herausgerissen. In unerreichbarer Entfernung sieht er Bea mit dem kleinen Tom im Arm, doch wo ist er selbst?
„Herr Wesse, Herr Wesse, es ist alles in Ordnung. Ihrer Frau und ihrem Kind geht es gut“ „Meiner Familie geht es gut“, stammelt Tom, dabei ist er sehr verwundert über den Begriff Familie, eigentlich über die Kombination „Meine Familie“
So hatte er sich das Ganze nicht vorgestellt. Und nun sieht er auf eine zwar freundlich blickende, aber schrullige Krankenschwester, die doch gar nichts mit seinem Sohn am Hut haben sollte. „Sie sind ohnmächtig geworden Herr Wesse, aber das ist schon viel härteren Vätern passiert. Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen. Ihre Familie ist wohlauf.“ „Tja, nun bin ich wohl wirklich umgekippt“, grinst Tom verlegen und bekommt als Trost ein herzliches und verständnisvolles Lächeln geschenkt.
„Ich fürchte, ihre Frau ist vor Erschöpfung schon eingeschlafen und ihren Sohn müssen wir ersteinmal herausputzen für die große neue Welt“ Fast hätte Tom geantwortet: „aber bitte ganz vorsichtig“, was er sich aber verkneift, denn schließlich ist sein kleiner Tom für sie zwar nur irgendeine Nummer aber ganz bestimmt nicht der erste Säugling den sie vorsichtigst „herausputzt“.
Ja genau so könnte die Geschichte weitergehen. Ist doch eigentlich auch ein schöner Stoff: Mann wird Vater. Wie sich ein werdender Vater fühlt, kann man sich eigentlich ganz gut vorstellen, allerdings bleibt mir hier die Furcht vor fehlender Authentizität; schließlich bin ich gar nicht Papa. Das ist jedoch nicht das ganze Problem, daß sich mir in den Weg stellt. Vielmehr weiß ich gar nicht, worum es in der Geschichte gehen soll. Möglich wäre, daß das Baby behindert ist und die frischgebackenen Eltern ihre Probleme damit ausfechten. Eventuell wäre dabei sogar ein leidenschaftliches Plädoyer für bedingungslose Kinderliebe herausgekommen. Die Augen schmerzen und mir ist danach zumute, ein Kind zu zeugen. Vera schläft schon, wenn ich mich geschickt anstelle, kann ich sie vorsichtig wecken.