Abschiedsfeier
Leise wisperte der Wind in den Tannenzweigen. Aber das war hier im Heim nicht zu hören. Hier am Rande der kleinen Stadt geschah sehr wenig. Das interessanteste waren die Raubvögel die über den Baumwipfeln schwebten und Ausschau nach einem Mittagssnack hielten. Frau Walzer saß jeden Tag am Fenster und schaute hinaus.
"Das ist doch langweilig, den ganzen Tag da zu sitzen und in die Landschaft zu schauen", sagte ich an einem sonnigen Nachmittag zu Schwester Ulrike.
"Kaum", entgegnete Schwester Ulrike leicht lächelnd, "sie schaut, ob ihre Tochter endlich kommt und sie nach Hause holt."
"Na ja", dachte ich, "sie wird gewiss nicht mehr zurück können in ihre alte Wohnung. Aber soll sie sich halt so die Zeit vertreiben."
Es war zwei Jahre nach ihrem Einzug in das Heim, als Frau Walzer in der Nacht verstarb. "Nun hat sie ihre Tochter verpasst", war das Einzige was mir einfiel.
"Aber gar nicht", entgegnete Schwester Ulrike, "sie hat sie nach Hause gebracht."
Ich habe wohl sehr dumm geschaut, bis Schwester Ulrike fortfuhr: "Die Tochter von Frau Walzer ist vor zwei Jahren gestorben und seitdem hat Frau Walzer gewartet."
Bei der Abschiedsfeier sangen wir die fröhlichen Volkslieder, die Frau Walzer ebenso ausgesucht hatte wie den Titel. Auch ihren Lebenslauf, den die Heimleiterin verlas, hatte sie verfasst. Ihr war ja genügend Zeit geblieben, sich vorzubereiten.