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Abschiedsfeier

Seniors
Beitritt
03.07.2004
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Anmerkungen zum Text

Ich danke Christophe, Sturek, Woltochinan und Friedel für ihre hilfreichen Kommentare. Mehrere Ereignisse hatten mir die Freude und Energie am Schreiben genommen. Jetzt habe ich einen ersten Schritt gewagt mit dieser kleinen Geschichte. Im zweiten Schritt will ich dann versuchen, Kommentare zu anderen Geschichten zu schreiben

Abschiedsfeier

Umgeben von hohen Tannen stand das Pflegeheim am Rand der kleinen Stadt. Hier geschah sehr wenig. Wer aus einem Fenster schaute, sah kleine Rasenflächen und Blumenbeete, dann aber dunkle Tannenwälder, vor denen die Siedlungshäuser des Ortes wie Spielzeug aussahen. Das interessanteste an der Aussicht waren Raubvögel, die über den Baumwipfeln schwebten und Ausschau nach Beute hielten.

Ich lebe seit einigen Jahren in dem Pflegeheim. Wie alle anderen Bewohner kann ich mich nicht mehr selbst versorgen und habe auch keine Angehörigen, die die Pflege leisten könnten. Wenn Sie einmal versucht haben, einen Menschen aus seinem Rollstuhl zu heben und in sein Bett zu legen, verstehen Sie, dass wir dankbar sind für die Schwestern und ihre technischen Hilfsmittel. In unserem kleinen Heim leben verschiedene Menschen mit verschiedenen Erkrankungen und Behinderungen. Aber sie sind meistens älter. Jüngere Bewohner sind nur ab und zu in Kurzzeitpflege hier.

Frau Walzer saß jeden Tag am Fenster in dem langen Gang, der alle Zimmer verband und schaute hinaus auf den dunklen Wald. Zu den Mahlzeiten kam sie spät, als ob sie sich von dem Blick nach draußen nicht losreißen konnte. Bei einem Spaziergang in den Gartenanlagen rund ums Heim oder bei einem der vielen Beschäftigungsangebote hatte ich sie noch nicht gesehen.

Wenn man den ganzen Tag nichts zu tun hat, kann das Leben schnell langweilig werden. Deshalb werden morgens und nachmittags verschiedene Beschäftigungsmöglichkeiten angeboten. Die Bewohner können zur Gitarre singen oder Basteleien erstellen, die meistens an die jeweilige Jahreszeit angelehnt sind. Es gibt Möglichkeiten, für das Abendessen Toast Hawaii vorzubereiten oder einen Salt zu schneiden. Es gibt Gesprächskreise und Geschichtenerzähler. Am Sonntag wird ein Gottesdienst im Fernsehen übertragen. Aber nicht auf die Geräte in den Zimmern, sondern auf einen großen Bildschirm im Gruppenraum.

Ohne Anleitung gibt es kaum Gespräche und manchmal denke ich: "Was soll man sich auch erzählen, wenn man nichts erlebt." Kaum jemand spricht über seine Krankheiten und dass ein Bewohner unter Scherzen leidet, kann man vielleicht an seinem Gesicht sehen, aber geredet wird nicht. Zwischen Mahlzeiten und Beschäftigungsangeboten sitzen die meisten Bewohner nebeneinander auf dem Freiraum vor den Treppen - und schweigen miteinander.

"Das ist doch langweilig, den ganzen Tag da alleine zu sitzen und auf den Wald zu schauen", sagte ich an einem sonnigen Nachmittag bei dem gemeinsamen Kaffeetrinken zu Schwester Ulrike.

"Ich denke nicht", entgegnete sie leicht lächelnd, "sie schaut, ob ihre Tochter endlich kommt und sie nach Hause holt."

"Na ja", dachte ich, "Sie wird ja kaum wieder so gesund werden, dass sie in ihre alte Wohnung zurückziehen kann. Soll sie sich halt mit Warten die Zeit vertreiben."

Zwei Jahre nach ihrem Einzug in das Heim verstarb Frau Walzer friedlich in der Nacht. "Nun hat sie ihre Tochter verpasst", platzte ich heraus, als Schwester Ulrike mich anzog und dabei erzählte, dass Frau Walzer gerade gestorben sei.

"Aber gar nicht", entgegnete Schwester Ulrike, "ihre Tochter hat Frau Walzer nach Hause gebracht."

Ich habe wohl recht dumm geschaut, bis Schwester Ulrike fortfuhr: "Das wissen die wenigsten hier, dass die Tochter von Frau Walzer vor fünf Jahren gestorben ist, Seitdem hat Frau Walzer auf sie gewartet."

Bei der Abschiedsfeier sangen wir die fröhlichen Volkslieder, die Frau Walzer ebenso ausgesucht hatte wie den Namen "Abschiedsfeier". Auch ihren Nachruf, den die Heimleiterin verlas, hatte sie selber verfasst. Ihr war ja genügend Zeit geblieben, sich auf die Heimkehr vorzubereiten.

Seitdem überfällt mich in der Nacht immer mal die Frage "Bin ich darauf vorbereitet, Abschied zu nehmen? Und gibt es dann eine neue Heimat, zu der ich komme?" Aber ich verdränge diese Gedanken schnell wieder. "Was soll's, sterben müssen wir alle, also lasst uns das Leben froh genießen."

 

Hallo @jobär,

ich habe deinen melancholischen kleinen Text gerne gelesen. In dieser Form handelt es sich eher um eine Anekdote als um eine Kurzgeschichte - im Grunde genommen lernt der:die Ich-Erzähler:in nur eine andere Lesart des Satzes "Sie wartet auf ihre Tochter".

Gleichzeitig hat diese Anekdote das Potenzial zu einer Kurzgeschichte - wenn sich etwas - evtl. der:die Protagonist:in selbst? - maßgeblich verändert. Wenn wir also z.B. erführen, was die Information, dass Frau Walzer auf ihre verstorbene Tochter, letztlich also auf den Tod, wartet, mit dem:der Protagonist:in macht, dann könnte daraus eine "ganze" Geschichte werden. So ist es ein schöner, melancholischer Schnappschuss.

So viel zum Text insgesamt, jetzt ein paar Details:

Leise wisperte der Wind in den Tannenzweigen. Aber das war hier im Heim nicht zu hören.
"Leise wispert der Wind" - ist Geschmackssache, ich würde es nicht machen. Zu nah an "Leise rieselt der Schnee" :D Und dann stellt sich die Frage: Wenn das im Heim nicht zu hören ist, warum erwähnst du es überhaupt? Welche Bedeutung hat es?


Das interessanteste waren die Raubvögel KOMMA die über den Baumwipfeln schwebten und Ausschau nach einem Mittagssnack hielten.
Das Wort "Mittagssnack" passt vom Ton her überhaupt nicht zum Rest des Textes, finde ich. Das hat so etwas Albernes.


"Nun hat sie ihre Tochter verpasst", war das Einzige KOMMA was mir einfiel.

Bei der Abschiedsfeier sangen wir die fröhlichen Volkslieder, die Frau Walzer ebenso ausgesucht hatte wie den Titel. Auch ihren Lebenslauf, den die Heimleiterin verlas, hatte sie verfasst. Ihr war ja genügend Zeit geblieben, sich vorzubereiten.
Welchen Titel?

Ist "Lebenslauf" hier das richtige Wort? Ein Lebenslauf ist ja in der Regel etwas sehr Nüchternes, Sachliches, auf das Wesentliche reduziert. Meinst du vielleicht einen Nachruf?

Der Text hat mir gefallen, @jobär. Ich bin selbst mehrmals pro Woche in einem Pflegeheim, vielleicht kommt er mir deshalb authentisch vor - ein Schnappschuss, eine Anekdote, die einen Aspekt des Alt-Seins einfängt. Aber: keine Kurzgeschichte, da keine richtige Entwicklung.

Viele Grüße!

Christophe

 

Hallo @jobär

Der Text hätte gut in die Rubrik „Flash Fiction“ gepasst. Für eine Kurzgeschichte ist mir hier der Plot zu sehr im Rudimentären steckengeblieben. Als Stimmungsbild funktioniert er meiner Meinung nach aber sehr gut: Leise Melancholie, die jede Rührseligkeit vermeidet. Hat mir insgesamt gefallen.

Hier noch Kleinigkeiten:

Leise wisperte der Wind in den Tannenzweigen. Aber das war hier im Heim nicht zu hören. Hier am Rande der kleinen Stadt geschah sehr wenig.
Gleich am Anfang bin ich gestolpert. Lautes Wispern ist schwer vorstellbar und außerdem: Wozu die Selbstverständlichkeit erwähnen, dass der Erzähler das Wispern der Tannenzweige im Heim nicht hört? Die ersten beiden Sätze könnten also komplett entfallen und stattdessen würde ich Frau Walzer gleich einführen, indem der Erzähler zum Beispiel ihrem Blick folgt und die Raubvögel beobachtet.

Es ist auch nicht klar, wer die Geschichte eigentlich erzählt. Vielleicht könntest du das mehr verdeutlichen. Ein Azubi, eine neue Pflegerin?

Das interessanteste waren die Raubvögel[ ]die über den Baumwipfeln schwebten und Ausschau nach einem Mittagssnack hielten.
Ein Komma fehlt.
"Aber gar nicht", entgegnete Schwester Ulrike, "sie hat sie nach Hause gebracht."
Missverständlich formuliert durch das doppelte „sie“. Dabei ist gerade diese Stelle doch wichtig für den Text. „Ihre Tochter hat sie nach Hause geholt." So würdest du auch den Bezug zum Anfang besser herstellen.

Grüße
Sturek

 

Hallo @jobär,

ich fang gleich mal mit den Unklarheiten an:

Leise wisperte der Wind in den Tannenzweigen. Aber das war hier im Heim nicht zu hören.
Kommt mir wie eine irrelevante Info vor.

Mittagssnack
Passt nicht zu Raubvögeln.

"Das ist doch langweilig, den ganzen Tag da zu sitzen und in die Landschaft zu schauen", sagte ich an einem sonnigen Nachmittag zu Schwester Ulrike. "Kaum", entgegnete Schwester Ulrike leicht lächelnd, "sie schaut, ob ihre Tochter endlich kommt und sie nach Hause holt."
Normalerweise sind die Kolleginnen per 'Du'. Mein Vorschlag: ... Nachmittag zu meiner Kollegin ...
"Kaum" entgegnete Ulrike ...
So wird auch die Dopplung vermieden.

"sie hat sie nach Hause gebracht." Ich habe wohl sehr dumm geschaut, bis Schwester Ulrike fortfuhr: "Die Tochter von Frau Walzer ist vor zwei Jahren gestorben und seitdem hat Frau Walzer gewartet."
Da musste ich sortieren, welches 'sie' sich auf wen bezieht. Wie soll ich mir das 'nach Hause bringen' vorstellen?

Dein Text kommt mir wie der Versuch einer Kurzgeschichte mit überraschender Wende vor. Gerade dort werden die von mir gestellten Anmerkungen relevant, der Effekt der Wende verpufft deshalb.
Generell gefällt mir die aufs Wesentliche beschränkte Erzählweise, die trotzdem eine gedämpfte Stimmung vermittelt.
Ich denke, der Text hat durchaus verdient, dass du daran noch etwas 'rumschraubst'. Viel Spaß dabei wünscht dir

Woltochinon

 

Das interessanteste waren die Raubvögel ...

Moin, @jobär,

zum Glück finden sich in unseren Breiten wenige „Aasgeier“ (und wenn, dann können sie nicht fliegen und stehen eher dem dann „ordentlich“ gekleideten „nackten“ Affen näher als anderen Lebewesen und zielen aufs Vermögen (incl. "Können") eines oder der Anderen), aber mir will Langweile

„… Aber soll sie sich halt so die Zeit vertreiben."
als Dein Thema erscheinen, die vor allem auch im Immergleichen lauert.

Das interessanteste waren die Raubvögel *die über den Baumwipfeln schwebten und Ausschau nach einem Mittagssnack hielten.
"Na ja", dachte ich, "sie wird gewiss nicht mehr zurück**können in ihre alte Wohnung.

"Nun hat sie ihre Tochter verpasst", war das Einzige* was mir einfiel.

* Komma
** zurückkönnen

Gern gelesen vom

Friedel

 

Ich danke Christophe, Sturek, Woltochinan und Friedel für ihre hilfreichen Kommentare. Mehrere Ereignisse hatten mir die Freude und Energie am Schreiben genommen. Jetzt habe ich einen ersten Schritt gewagt mit dieser kleinen Geschichte. Im zweiten Schritt will ich dann versuchen, Kommentare zu anderen Geschichten zu schreiben

 

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