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17 Jahre
Die beiden stehen sich einen Moment schweigend gegenüber. „Erkennst du mich nicht?“, fragt die Frau ernst. Sie hat ein schmales Gesicht und dunkle Augen. Marc ist irritiert. Im Auto sitzt noch ein Mädchen mit langen Haaren, vielleicht 17 Jahre, Marc bemerkt es, weil er zum Wagen schaut, um irgendwie eine Idee zu bekommen, was diese Frau hier vor der Tür von ihm will, aber ihm fällt nichts ein. Das Nummernschild ist aus dem Ausland. Er möchte etwas sagen, aber ihm fallen keine passenden Worte ein.
„Denise heiße ich, immer noch“, sagt sie dann knapp und triumphierend. In ihren Augen ist nun auch so etwas wie Spott. In seinem Kopf arbeitet es. Er schaut auf ihre lackierten Nägel. Denise? Scheiße, wie viele Denise kenne ich denn? Gar keine. Es scheinen Minuten zu vergehen, dabei sind es nur wenige Sekunden. Die Sonne blendet und irgendwo dröhnt ein Rasenmäher. Ja, doch, da war mal was, damals bei der Bundeswehr. Irgendein Dorffest. Die Erinnerung kommt langsam zurück. Die mit dem Leberfleck auf der festen Brust. Eine Affäre, völlig ohne Liebe, obwohl sie schon süß war, ein paar Mal flachgelegt, mein bester Kumpel Timo war so unglaublich scharf auf sie und hinterher schließlich sauer auf mich, weil ich sie abgeschleppt habe. Gevögelt habe ich sie in Vaters blauem Van, die große Karre ohne Rücksitze, als bei einer Zeltparty auf dem Dorf alle am Auto vorbei liefen und durch die beschlagenen Scheiben reingeschaut haben. Hinterher, wieder auf dem Fest, haben uns alle mit einem wissenden Grinsen angeschaut.
Die Bilder schießen ihm durch den Kopf, etwas neblig, aber durchaus greifbar, auf einmal ist alles wieder da. Klar und brutal, auch wenn es eine Ewigkeit her ist. Mittlerweile hat er sie erkannt. Sicher, sie ist älter geworden, aber es ist genau diese Denise von damals, keine Frage.
Völlig irre war das, aber lange her und schon vergessen, jedenfalls bis jetzt. Was will die hier, jetzt, nach all den Jahren?, geht es ihm durch den Kopf mit einer Mischung aus Ärger und Neugier. Die Sache war ja damals nach wenigen Wochen vorbei, es war wie ein Sommergewitter, heftig, aber kurz. Er war nach der Zeit beim Bund im Studium und auch weit weg, sie noch in der Schule, danach hatte er nie wieder was von ihr gehört, sein Interesse an ihr war weg, die Sache aus dem Gedächtnis gelöscht und Denise damit eigentlich komplett vergessen. Sie riecht gut. Wie hat sie früher gerochen? Weiß ich das noch?
Marc schwitzt. Er schaut sich um. Trotz kurzer Hose und T-Shirt ist ihm heiß. „Ja, schöne Überraschung, was Marc? Ich wollte dir deine Tochter zeigen, ich meine, die kennst du ja nicht. Das ist Sarah da im Auto.“, sagt sie. In seinem Kopf hämmert es, er hört sein eigenes Blut rauschen. Das kann nicht wahr sein, denkt er. Seine Gedanken werden jäh unterbrochen: „Wir haben die letzten Jahre in der Schweiz gelebt, sind jetzt aber wieder hier. Eigentlich wollte ich das alles nicht, wir sind super ohne dich ausgekommen, aber Sarah hatte irgendwann den Wunsch, dich wenigstens mal zu sehen.“ Das Mädchen – groß und etwas schlaksig - steigt nun auch aus dem Auto und kommt mit kleinen Schritten näher. Sie wirkt unsicher, schaut ihm aber suchend in die Augen. Sie gibt ihm schließlich die Hand, ohne dabei etwas zu sagen. Sieht sie etwa so aus wie ich, fragt Marc sich. Die drei stehen im Eingang des Hauses und keiner sagt etwas.
Eine Nachbarin mäht Rasen und blickt immer wieder interessiert rüber. Sie bleibt sogar stehen, aber das sieht Marc nicht. Er bemerkt auch nicht, dass seine Frau mittlerweile auf den Hof gefahren ist und dicht hinter dem staubigen Kleinwagen geparkt hat. Sie beginnt, den ganzen Einkauf auszupacken, während sie missmutig zu ihnen hinüber sieht. Aber Marc starrt auf das junge Mädchen und hat immer noch Mühe, einen klaren Gedanken zu fassen.
Sein kleiner Sohn springt vergnügt um beide Autos herum und ruft „Papa, Papa! Schau mal hier, meine neue Badehose!“ Plötzlich bleibt er vor ihnen stehen, eine bunte Badehose mit kleinen gelben Fischen darauf in der Hand und fragt: „Papa, wer ist das da?“.