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Jedes Lebewesen, jedes Objekt ist mit jedem anderen Wesen und jedem anderen Objekt verbunden, wie durch unsichtbare Fäden. Ich sehe ein schlichtes Haus, die Wände aus Papier, der Rest Holz. Es steht in einem Garten, Steine liegen davor. Einige Steine sind etwas größer, kleinere liegen unbeachtet daneben. Ich stehe daneben, ich als Einzelperson - und ich bin der kleine Stein. Genauso wie der kleine Stein auch alle größeren ist, und diese ich sind.
Wenn es warm ist, die Sonne scheint und die Menschen sich in ihrem Licht entspannen wollen, legen sie sich an Strände oder auf Wiesen. Dabei wählen sie Orte, die auf ihre Bedürfnisse zugeschnitten sind, also weißer Sand und kurzer Rasen, beides angenehm weich für ihre Haut, damit auch ja nichts weh tut.
Ich trage nur eine kurze Hose, und ich lege mich flach auf den Bauch, auf die Steine vor dem Haus. Ich drehe den Kopf, mein linkes Ohr berührt den Boden und hört zu. Der Geruch des Steines erreicht meine Nase. Seine Wärme brennt überall auf meiner Haut, unangenehm zuerst, aber schnell gewöhne ich mich daran. Ich drehe mich auf den Rücken und sehe Staub an meinen Beinen haften. Er glitzert wie kleine Kristalle.
Der Stein als harte, drückende Empfindung wird ergänzt durch den groben Sand, durch den ich etwas später zur Wiese hinter dem Haus gehe. Er ist geharkt, meistens in eine Richtung, aber an manchen Stellen hat der Gärtner auch ovale Muster geformt. Auf der Wiese wachsen hohe Gräser, viel natürlicher als in den Parks in der Stadt. Insekten fliegen dazwischen umher, und dickere Pflanzen pieken in meine Fußsohlen. Ich gehe in die Mitte der Wiese, das Haus ist viele Meter vor mir, hinter mir stehen Bäume und Sträucher.
Wieder lege ich mich hin, wieder zuerst auf den Bauch, rieche den Duft des Grases, sehe das Grün leuchten, die Fliegen, Hummeln, Bienen und Mücken meinen Kopf umschwirren und von Blüte zu Blüte fliegen. Ich strecke die Arme von mir, schließe die Augen und höre dem Leben zu. Ich werde schläfrig, und erst als ich denke, mein Rücken hat fürs erste genug Licht abgekriegt und ist bestimmt schon ganz rot geworden, drehe ich mich um.
Ich stelle mir vor, wie ich mich auf diese Weise liegen sehe - ob ich es überhaupt könnte, so eingedeckt wie ich von den Pflanzen bin. Aus meinen Armen und den Beinen wachsen Wurzeln, die sich in den Boden schieben. Sie verschlingen sich mit denen der Pflanzen und werden immer größer, bis sie die Bäume und Sträucher erreichen.
Ich bin der Baum, der am höchsten in den Himmel ragt, und ich bin das Kleeblatt, das dem Wanderer Glück bringt. Ich bin das Gänseblümchen, das die Hummel besucht, und ich bin der Grashalm, der mein Gesicht kitzelt. Meine Augen sind geschlossen, trotzdem sehe ich. Farben, orange und blau und gelb und rot. Ich habe mich immer gefragt, woher diese kommen. Fällt das Licht durch das Augenlid, das es bricht und es dann auf meine Netzhaut fallen lässt? Die Hummel lässt Blütenstaub an mir zurück. Meine Flügel lassen ein Summen erklingen. Meine Blätter wogen im Wind. Der Wanderer pflückt mich und hofft, dass seine Wünsche in Erfüllung gehen.
[ 05.05.2002, 21:31: Beitrag editiert von: Mario D. ]