„Morgen“
Es ist sonnig, acht Uhr fünfunddreißig mitten im November. Café, Café, Wäscherei, Kiosk, Seitenstraße, Imbiss, Café. Stadt, immer und immer wieder. Alle 8 Minuten schiebt sich eine Straßenbahn zwischen Autos und Radfahrern durch. Meistens sehe ich davon morgens zwei Stück.
Mein lila Patagonia Rucksack rutscht mir fast von der rechten Schulter, was mich 1/3 meines noch zu heißen Americanos kostet. Die zehn Prozent Arabica und dreiundzwanzig Komma drei Prozent Robusta auf meinen nun braun-weißen Adidas stehen mir großartig. Ich stecke mein iPhone zumindest kurz in die Hosentasche. Mit links kann ich ohnehin nicht tippen. Ich mache gleich einfach eine Sprachnachricht. Oder ich schreibe später. Oder Abends.
Der Rest der noch immer heißen drei Euro vierzig Arabica-Robusta Mischung möchte mir schließlich noch mindestens einmal meine Zunge verbrühen. Ich führe den Pappbecher im Tempo eines null-drei-drei Gaffel Wiess an meinen Mund. So schnell stehen sonst nur Menschen nach einer Flugzeuglandung auf, wenn dieses freiheitsgefährdende Anschnallzeichen endlich ausgeht. Ich frage mich für eine Sekunde etwas zu ernsthaft, wann die FDP diesen Fauxpas endlich in ihren Wahlprogrammen adressiert. Um das zu erfahren, müsste ich mal wieder ein Wahlprogramm youtuben. Die Frage taucht bestimmt in keinem Wahl-O-Mat auf.
Nach dem unabsichtlichen Versuch, meinen Kaffee in eins runterzustürzen, würde ich jetzt gern in ein Croissant beißen. Dann hätte ich dieses auflösende Gefühl nicht mehr auf der Zunge. Aber es gab nur noch Fransbrötchen. Die sind mir morgens zu süß. Vielleicht gibt es noch eines in der Caféteria. Freue mich schon drauf, meine Karte aufzulegen und zuzusehen, wie der Mann, von dem ich nicht weiß, wie er heißt, obwohl ich ihn jeden Tag mehrfach sehe und grüße, mit einer dieser Grill-Bäcker-Zangen versucht, mein Croissant aus der aufdringlichen Nachbarschaft belegter Käse- und Schinkenbrötchen zu befreien.
Egal. Eigentlich muss das gar nicht sein mit dem Croissant. Und das mit dem Kaffee auch nicht. Ich könnte einfach 15 Minuten früher aufstehen und in meiner zu großen Altbauwohnung an meinem zu kleinen Küchentisch frühstücken. Günstiger, ungefährlicher, gesünder, aber eben auch früher.
Ich wäre gern so jemand, der sich morgens mit dem ersten Kaffee auf die Couch setzt und den Moment genießt. Dann würde ich sicher auch noch in Ruhe irgendein informativ komprimiertes Morning Briefing hören und wüsste, was so passiert in der Welt. Nur das wesentliche verpackt in verdauliche Happen und zugeschnitten auf meine ganz persönliche Aufmerksamkeitsspanne von sieben Sekunden. Eigentlich sehe ich mich Zeitung lesend, aber scheinbar legt mein Unterbewusstsein Wert darauf, eine Gewisse Portion Restrealismus in mein morgendliches Gedanken-Downhill einfließen zu lassen.
So jemand bin ich nicht. Werd ich auch nicht mehr, hoffe ich und halte meine Zugangskarte auf die dafür vorgesehene Auflagefläche, bevor ich die Drehtür der Vereinzelungsanlage mit aller Kraft von mir wegdrücke. Genau so stelle ich es mir vor, wenn Ewen McGregor in StarWars Episode 1 irgendwelche Dinge mithilfe der Macht wegschiebt, die selbstverständlich mit ihm ist. Irgendwie träger, als es sein sollte. Da hilft auch der Kaffeebecher nicht, in dem sich immer noch ein mehr als anständiger Rest wiederfindet.
Ich nicke dem Pförtnern zu. Man kennt sich.
„Morgen“.