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Wenn Emily spielt

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16.02.2009
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Wenn Emily spielt

Am Tag, an dem die Erde untergehen sollte, schwebte Emily schon frühmorgens über der Sonorawüste. Gleich nach dem Aufwachen hatte sie den Rechner eingeschaltet und ihr Lieblingsspiel gestartet, „Gugelerde“. War im Gleitflug über die Kakteenwälder gesegelt, über das dichte Buschland und die staubigen, steinigen Ebenen der Sonora, die sie von den Spazierfahrten mit Daddys klapprigem Jeep kannte. Aber auch an diesem Morgen: keine Spur von Daddy. Dabei hatte Mami ihn doch in die Wüste geschickt.
Das erzählte Mami jedenfalls immer, wenn Emily nach ihm fragte, und dabei lächelte sie, aber auf eine komische, irgendwie gemeine Art, die Emily nicht ganz verstand. Mit vier Jahren, sagte Mami dann immer, und nenn’ mich doch nicht immer Mami sondern lieber Mel oder wenigstens Melanie, ja, Pixel?, mit fünf Jahren kannst du das auch noch gar nicht verstehen. Dabei verstand Emily schon eine Menge, wie sie fand. Womit sie absolut Recht hatte.

Zum Beispiel verstand sie, wie Mamis Computer funktionierten. Davon gab es eine ganze Menge; in jedem Zimmer ihres alten Lehmhauses standen oder lagen ein paar herum. Emily kannte inzwischen die meisten von ihnen. Vor allem den, auf dem Gugelerde lief, Tag und Nacht, wann immer Emily es wollte, wann immer ihre kleinen Finger zu kribbeln begannen und herumklickern wollten. Am liebsten gleich nach dem Aufwachen, so wie an diesem Tag, wenn Mami – okay: Mel – noch im großen Zimmer unter ihrer kratzigen Indianerdecke schlief, die schwarzen Haare verwuschelt wie ein wirbelnder Dornstrauch, umgeben von kleinen Ton- und Messingpfeifchen und bunten CD-Hüllen, die fast alle den gleichen Namen trugen, irgendwas mit „Pink“ am Anfang. Es war das erste Wort, das Emily zu schreiben gelernt hatte: das Passwort für Mamis großen Rechner, die Zauberformel, mit der der leuchtende, sanft rotierende Globus im Fenster erschien. Ihre Eintrittskarte nach Gugelerde.

Emily liebte das Britzeln, das all die Kabel und Stecker und Kästchen rings um den Rechner verströmten. Das Sirren der kleinen Ventilatoren, wenn sie die Maschine startete. Vor allem aber das Knistern und Kribbeln, wenn das große Fenster zu leuchten begann. Und wenn sie ihre Hand ausstreckte und ihre Fingerspitzen die Fensterscheibe fast berührte, dann schien es ihr, als ob das Kribbeln auf sie übersprang, ihren Körper ganz einhüllte. Und als ob alles, was sie im Fenster sähe, lebendig würde. Ein großer, kribbelnder Erdball. Und irgendwo in dem Gekribbel: Daddy. Ganz sicher. Auch, wenn Mami immer wieder den Kopf schüttelte und sagte: Was du da siehst, sind doch alles nur alte Fotos, Pixel. Da ist kein Mensch drauf zu sehen.

Jetzt schwebte Emily 1000 Fuß über dem Hopi-Canyon, klickte mit der Maus auf das Menü mit dem künstlichen Horizont und kippte das Panorama langsam auf sich zu, so dass sie in die Schlucht hineinschwebte. 600 Fuß zeigte der Höhenmesser an, langsam, langsam, 300 Fuß, 150 – nah genug, um Autos zu erkennen. Langsam glitt sie an den Felswänden entlang und staunte, wie diese sich seit ihrem letzten Besuch vor drei Tagen verändert hatten. Die glatten grauen Wände des Canyons trugen jetzt bunte Streifen, leuchteten in Ocker, Umbra, Karmesinrot – die Farben der Erde; das hatte ihr Daddy und Mel bei einer Wanderung im Canyon einmal beigebracht. Die Farben, in denen auch Mel meistens herumlief. Und Emily genauso: „Mein Hopi-Mädchen“, sagte Mel und lächelte verzückt, wenn sie ihrer Tochter die türkis Ketten und Armbänder anlegte und den braun-weißen Poncho überwarf, der schwer auf Emilys Schultern lag.

Neu in der Computerlandschaft waren nicht nur die Farben, sondern auch das Relief im Innern der Schlucht. Die unablässigen Baumeister von Gugelerde, die sich Emily als Klone ihrer Mutter vorstellte, nur sehr viel kleiner, hatten offenbar wieder ein paar Quadratkilometer Arizona modelliert: Felsvorsprünge, Spalten und Nebenarme des Canyon, in die Emily nun neugierig hineinglitt.

Neugier: Noch so eins dieser Erwachsenenwörter, die sie verstand und doch nicht verstand. Neugier hat noch niemandem geschadet, sagte Mami manchmal, wenn Emily am Computer saß und fragte und fragte und sie immer noch neue Fragen fand, die Mel geduldig beantwortete, wenn auch manchmal nur mit einem abwesenden „Mm-mh, Pixel.“ Brad, Mamis neuer Freund, erklärte das mit der Neugier ganz anders.

Wenn Brad zu Besuch kam und Emily am Bildschirm entdeckte, vom Kribbeln und Britzeln erfüllt, verfiel seine Stimme in einen quakenden Tonfall. Emily war sich fast sicher, dass es lustig wirken sollte, der Scherz aber auf ihre Kosten ging. „Naaa, stecken wir unser Näschen mal wieder in Sachen, die uns nichts angehen?“ Meist schreckte Emily dann auf, lief rot an, und Brads Grinsen gab ihr das Gefühl, sie hätte etwas Verbotenes getan. „Neugier kann böse enden, weißt du das denn nicht, Pixel?“ Das war vielleicht das Schlimmste: Dass Brad sie so nannte wie Mami es tat. Und wie er das mit der Neugier erklärte, verwirrte sie mehr, als dass es ihr half.
Einmal hatte sie von der Küche aus belauscht, wie sich Brad mit Mami über Emilys Computer-Frühstück stritten. Mami schien sauer und trotzig und saß mit verschränkten Armen im Schneidersitz auf ihrer Indianerdecke. Brad dagegen wirkte sehr fröhlich. Jedenfalls sprach er laut und gluckste dabei und schwenkte seine Whiskeyflasche herum wie ein Zirkusclown. Viel verstand sie nicht von seinem komischen Gebrabbel, nur die Worte „diese neugierige kleine Zecke“ und „irgendwann stellt sie noch richtig großen Mist an“.

Aber Brad war jetzt weit weg. Eben hatte Emily eine kleine Siedlung in einem Nebenarm des Canyons entdeckt. Ein paar Dächer, Koppeln, eine schmale Straße – und alte Autos. Alte Jeeps! Sie ließ einen Kiekser los, hopste auf dem Stuhl auf und ab, klatschte in die Hände.
„Emily?“ Mels müde Stimme drang aus dem Nachbarzimmer, ihrer Wohnhöhle, wie Mel sie nannte, herüber. „Pixel? Klickerst du schon wieder in der Weltgeschichte rum?“
„Mm-hm“ – diesmal klang Emily eher abwesend.
Sie fühlte, wie Mamis Hand über ihr Haar strich, die Finger zu ihrer Wange wanderten, sie mit der leichtesten Berührung streichelten. „Guten Morgen, Pixel. Weißt du, was für ein Tag heute ist?“
„Mm-hm. Erdetag.“
„Genau – Earth Day, den ganzen Tag. Und weißt du auch, wo wir den feiern?“
Emily schwieg. Emily wusste es. Sie würden mit Brad feiern. Auf Brads Arbeit. In einem großen Haus mitten in der Wüste, seinem Versteck, wie Brad sagte. „Jede Menge Computer da“, hatte er Emily gestern aufzumuntern versucht, aber sie hatte keine Miene verzogen. Worauf Brad hinzugefügt hatte: „Und jede Menge neugieriger Computer-Freaks, genau wie du!“ Was ein Freak sein sollte, wusste Emily nicht so genau. Aber so, wie Brad das Wort ausspuckte, klang es widerlich. So widerlich wie Brad selbst. Doch aller Ekel, alles widerwillige Gemaule halfen nichts. Heut war Nun war Earth Day, und Emily spürte kein Fünkchen Neugier.

„Na, was schaust du dir heute Morgen an, Pixel?“, fragte Mel mit ihrer leisen, kratzigen Morgenstimme. „Die Rockies? New York? Afrika – Affe, Zebra und Giraffe?“
„Nur die Nachbarschaft.“ Sag ihr nichts von Daddy. Sag ihr nichts von Daddy. Besonders nichts von Daddys Jeep.
„Ist das unser Canyon? Wow, den haben sie jetzt aber klasse gerendered. Und was sind das für Hütten? Ein Hopi-Reservat, oder was hast du da aufgespürt?“
„Weiß nicht. Mal gucken.“
„Na schön. Mach’ aber nicht mehr so lange. Schon deinen Kakao getrunken, Pixel?“ Mels Stimme entfernte sich Richtung Wohnküche.
„Mm-mh.“
„Ich mach’ mir grad’ noch ’nen Kaffee und check meine Mails, dann können wir los. Okay?“
„Ja, okay“, seufzte Emily kaum hörbar. Aus der Küche hörte sie das vertraute Klappern von Blechbüchsen, das Zischen von Dampf und das Knarren der Verandatür, die Mel öffnete, um dort ihr Frühstücksritual abzuhalten: im Schneidersitz auf die Dielen gehockt, in einer Hand den Kaffee, im Schoß den Laptop. Das silberne Klingeln des Windspiels auf der Veranda wehte mit der bereits stickigen Morgenluft zu Emily ins Haus hinein und kündigte den Monsun an. Dann geschah es das erste Mal.

Emily war noch näher an die Siedlung mit den alten Häusern und Jeeps herangeflogen. Daddys Jeep, die moosgrüne Kiste mit den Fußball-großen Rostflecken, war doch nicht mit dabei. Dafür trat jetzt ein Mann aus dem Schatten eines Vordachs und blickte zu Emily auf. Sie hatte nicht die Lupe angeklickt, nicht die Ansicht verändert oder sonstwas gedrückt. Aber sie hatte das Gefühl, dass das Gesicht des Mannes jetzt ganz nah an ihres herankam. Oder umgekehrt. Ein Gesicht so kantig und faltig wie die Canyons. Die Augen rotbraun wie die Erde. Der alte Mann starrte ihr in die Augen, nickte ihr wie in Zeitlupe zu, zwinkerte einmal – dann war das Bild weg, und Emily wieder 1000 Fuß über dem Canyon. Mels Stimme kam von der Veranda: „Steuerung Quit, Pixel! Lass uns fahren!“

Emily sagte kein Wort. Schwieg die Dreiviertelstunde Landstraße bis zu Brads Versteck. Mels Hybridauto surrte in leiser Perfektion das Asphaltband entlang, das die felsige Ödnis in Schlangenlinien durchzog. Im Autoradio rumpelte eine lokale Rockband etwas zusammen, das der Ansager enthusiastisch als „inspiriert von den Klängen unserer Urbevölkerung“ beschrieb. „... und so feiern wir hier auf Radio Free Sonora den Earth Day“, brach seine Stimme in die letzten Takte hinein, „zusammen mit euch und mit dem Rest der Menschen, die heute überall auf Mutter Erde zu den großen Naturwundern pilgern, zu den letzten Wäldern, Flüssen, Seen – nicht zu vergessen zu jenen großartigen Forschungsstätten, an denen Projekte zum Schutz unserer einzigartigen ...“ Mel drehte den Schreihals leiser. „Pixel. Pixelmaus. Jetzt komm schon. Ich hab’s ja gemerkt, dass du Brad nicht besonders magst. Noch nicht. Aber deshalb brauchst du heute Morgen nicht so maulig zu sein.“
Schweigen auf der Rückbank.
„Brads Kumpel machen echt tolle Sachen drüben im Forschungszentrum. Sie bauen dort neue Computerprogramme, mit denen man noch mehr über die Erde rauskriegt. Wie groß die Wälder sind, wie gut das Wasser ist, was so alles im Boden versteckt ist und so Sachen. Wird er uns alles ganz genau zeigen!“ Mel drehte den Kopf nach hinten und versuchte, durch ihre große runde Janis-Joplin-Sonnenbrille Emily einen aufmunternden Blick zuzuwerfen. Emily schaute mit unbewegter Miene aus dem Fenster.
„Mein Gott, jetzt freu dich wenigstens ein bisschen!“
Schweigen, Starren.
„Magst du Brad nicht, weil er in seiner Uniform ein bisschen streng wirkt, oder was? Also ich mag sie! Und ich mag ihn. Wenigstens stromert er nicht tagelang irgendwo in der Wüste herum ohne auch nur einen Zettel auf dem Küchentisch zu hinterlassen, so wie dein Daddy. Brad sagt immer, wo er ist, und er ist da, wo er gesagt hat. Und genau da fahren wir jetzt hin. Also versuch, ein bisschen nett zu ihm zu sein, okay?“
Mel drehte das Radio wieder lauter. Der Ansager steigerte sich in eine Art Jubelgesang hinein: „... also geht raus und unterstützt diese Leute. Unterstützt die Erde! Und hört dabei Radio Free Sonora, denn Ihr wisst ja: Wir haben die Erde nur von unseren Kindern geborgt!“

Den Spruch kannte Emily in- und auswendig. Er klebte als bunter Sticker an mehreren Stellen in der Wohnung, auf der Blechbüchse mit Mels Kaffeebohnen, auf dem Klodeckel und auch am Kofferraum des Autos, als Nachricht für jeden Erdenbewohner, der im Stau hinter Mels Hybridauto zu stehen kam. Ein paarmal pro Woche zitierte Mel den Spruch, meistens bei Gelegenheiten, bei denen Emily nicht unbedingt damit rechnete, wenn ein besonders dicker Wagen sie auf dem Interstate überholte. Welchen Sinn der Satz ergeben sollte, verstand sie trotzdem nicht so recht. Eigentlich empfand sie es immer andersrum: Dass sich die Kinder alles Mögliche borgen und erbeteln mussten. Wie die Erlaubnis, morgens Gugelerde zu spielen.

Im Radio schwoll wieder Weltmusikgetrommel an. Dann tauchte ein Straßenschild auf: „EASE - Earth Science and Exploration Center“. Darüber hatte jemand ein Pappschild mit einem bunten, handgemalten Schriftzug geklebt: „Willkommen“. Und so rollten sie schweigend auf das EASE-Gelände, vorbei an zwei bewaffneten Wachleuten, durch ein drei Meter hohes Eisentor, auf einen kleinen Parkplatz im Schatten eines weißen Betongebäudes.
Kein Schild, überhaupt keine Buchstaben auf dem Haus, stellte Emily fest. Nur viele Schüsseln und Antennen auf dem Dach, die ihre Finger dem Wüstenhimmel entgegenstreckten, der inzwischen mit einem milchig trüben Schleier bezogen war. Sogar die Sonne, dachte sie beim Hineingehen, hat keine Lust auf Brads Versteck.

Er erwartete sie an der verabredeten Stelle in der Eingangshalle. Emily hatte beim Hineingehen ein leichtes Frösteln gespürt, als ob sich alle Härchen an ihren Armen und Beinen auf einmal wie kleine Kaktusstacheln aufstellten. Die schwüle Hitze der Wüste wich der klimatisierten, wie eisgekühlten Luft, die sie aus dem Supermarkt kannte. Das diffuse, gleißende Tageslicht verwandelte sich schlagartig in gleichförmiges Kunststofflicht. Selbst in die Eingangshalle, durch zwei Panzerglastüren abgeschottet, drang kein Lichtstrahl mehr von der Außenwelt.

„Siehst du, da ist er.“ Mel nahm ihre Sonnenbrille ab, nahm Kurs auf Brad und drückte ihm einen Kuss auf die Wange. Brad erwiderte die Geste nicht, strich stattdessen die Brust seiner blauen Uniformjacke glatt, auf der „Security“ stand, und schaute auf Emily herunter. „Hallo, die Damen. Ihr seid ja mächtig spät dran.“
Emily sagte nichts. Der leichte Schauder war in permanentes Frösteln übergegangen.
„Nun ja, dann reiht euch mal ein in die Schlange zum Rundgang.“ Brad nickte kurz in Richtung eines Korridors. „Da hinten geht’s los.“
Mel blickt ihn irritiert an. „Brad ...?“
„Wie ...? Ach was, ich bring euch einfach selbst hin zu den Jungs mit den tollen Spielsachen. Aber dann muss ich wieder an meinen Standort zurück. Wir sehen uns dann ja später noch.“ Er marschierte los, Mel blickte Emily wie entschuldigend an und zog sie hinter sich und Brad her in den langen Korridor hinein, an dessen Ende sich Menschen vor einer offenen Tür drängten.
An einem kleinen Tisch vor der Tür saß ein blasser junger Mann mit einem Zopf und einer Hornbrille, die seine obere Gesichtshälfte komplett abzudecken schien. „Jeff“, sagte Brad zu ihm in offiziösem Tonfall, „dies hier sind Emily und ihre Mutter.“
„Ah, die Wunderheilerin, die unser System wieder kuriert hat“, wendete sich Jeff an Mel, die höflich zurücklächelte und den Kopf schüttelte.
„Kein Wunder. Nur ein paar Tricks, mit denen ich mein Geld verdiene.“
Jeff erhob sich, blickte mit seinen Froschaugen auf Emily herunter und tätschelte ihr Haar. „Hey, und du musst das neugierige kleine Mädchen sein, das Mami all ihre Tricks abguckt, hm? Brad hat mir ja schon soooo viel von dir erzählt, he he!“
Emily gab Jeff den genervten Blick, den sie für alle Brads und Jeffs dieser Welt parat hatte, die mit ihr sprachen wie mit einem begriffsstutzigen Wesen einer anderen Spezies. Brad räusperte sich. „Tja, Jeff, dann zeig den Ladies mal, was wir der Welt hier Gutes tun. Und euch beiden viel Spaß bei der Show. Ach, Emily, eine Bitte noch.“ Er beugte sich weit zu ihr herunter, so dass sie seinen Atem riechen konnte, einen Mix aus Atemfrisch-Kaugummi und Vorabend-Whiskey. „Bleib schön bei deiner Mami. Spazier‘ hier nicht einfach los und spiel’ vor allem nicht an irgendeinem unserer Rechner herum, verstanden? Das könnte uns allen sonst Leid tun. Und das willst du doch nicht.“ Es klang nicht wie eine Frage. Brad erhob sich wieder, zog noch einmal seine Uniformbrust glatt. „Wir sehen uns am Eingang wieder.“ Emily sah ihm nach, halb verängstigt, halb wütend, bis seine blaue Gestalt im Strom der neu eintreffenden Besucher verschwunden war, und drehte sich wieder um zu Mel und Jeff. Doch die waren weg, wohl ein Stück weiter in den Schauraum gedrängt worden. Dann geschah es zum zweiten Mal.

Emily blickte sich um, um im Wald aus Hosenbeinen und nackten Schenkeln die Konturen ihrer Mutter zu orten, schaute nach oben in die Gesichter fremder Erwachsener, drehte sich nochmal um in Richtung Korridor. Und sah in das faltige Gesicht aus Gugelerde.
Sie wollte Mami rufen, Mel, Jeff, sogar Brad. Aber sie tat es nicht. Sie starrte in das Gesicht des Indianers, gefühlte fünf Minuten lang. Er nickte, sie nickte zurück. Und als er in einen seitlichen Flur ging, der vom Hauptkorridor abzweigte, folgte sie ihm nach. Sie spürte das Kribbeln. Fühlte das Britzeln von Kabeln und Steckern und Kästchen, das Sirren von Ventilatoren. Nur viel, viel stärker als zu Hause.
Zweimal, dreimal bog der Indianer in neue Korridore ab. Kein Mensch begegnete Emily mehr. Wenn es bewaffnete Wachleute gab, legten sie gerade alle eine Pause ein. Oder jemand hatte sie verschwinden lassen. Als der alte Mann vor einer Tür aus dickem Milchglas stehenblieb, fühlte sich ihre Haut an, als würden Ameisenströme kreuz und quer darüber laufen, sie gleichzeitig kitzeln und beißen. Er öffnete die Tür, trat einen Schritt zurück, nickte ein letztes Mal, und Emily ging allein hinein.

Kein kühles Neonlicht hier; halbdunkle Dämmerung umfängt Emily, ein paar Dutzend grüne Dioden leuchten im Stand-By-Modus, Glühwürmchen in einer unsichtbaren Hecke – fast wie zu Hause, bei den traumtrunkenen Spaziergängen durch die nächtliche Wohnung. Unter den Sohlen ein Summen wie im Bienenstock, die Biester wollen raus, doch sie können nicht, noch nicht. Im Zentrum eine kleine Insel aus Licht: ein Pult mit einer Tastatur, wie frei in der Mitte des Raums schwebend, von einem Spot irgendwo in der hohen Decke angestrahlt. Emily steuert darauf zu. Die Bienen folgen ihr unterirdisch. Dann schießen sie hervor: Dutzende Kabelstränge kommen aus einem Schacht aus dem Boden, und alle führen sie in den Tisch mit der Tastatur. Vor der Emily jetzt steht. Bevor sie irgendetwas überlegen kann, tippt sie das Passwort ein: P-I-N-K. Nichts geschieht. Wie – nichts?
Dann geht vielleicht das hier: P-I-X-E-L. Auch nichts. Kein Knistern, kein Britzeln eines Bildschirms.
Emily überlegt kurz. In Brads Versteck. Was tun die Jungs in Brads Versteck, wenn sie mit ihren Sachen spielen. Wovon erzählt Brad jedesmal, wenn er aus seinem Versteck kommt. Was regt ihn immer so unheimlich auf. Jetzt ist sich Emily sicher. Sie tippt: N-E-U-G-I-E-R.
Emily blinzelt nicht, als das Licht von 40 Strahlern den Saal erfüllt. Eine Batterie von Fernsehmonitoren beginnt zu flackern, im Rund unter der kuppelförmigen Decke aufgehängt, mit Gesichtern und Stimmen, die sie nicht kennt. Grelle Spots erleuchten das Pult jetzt, sie steht im Rampenlicht, auf der Bühne, die Show kann beginnen. An der Tür rotieren lautlos zwei orange Alarmlampen, das Schloss schließt mit einem metallischen Schnappen. Aus einem unsichtbaren Lautsprecher säuselt eine freundliche Frauenstimme: „System aktiviert. 470 Satelliten online. Bildaufbau in drei Sekunden.“ Das alles nimmt Emily nicht wahr.

Sie starrt mit weit geöffneten Augen und halboffenem Mund auf den großen, leuchtenden Globus, der wie aus dem Nichts erschienen ist und nun in einer sanften Drehung vor ihr rotiert. Eine Gugelerde, fast wie auf Mamis Bildschirm – nur, dass sie hier gar keinen Bildschirm sieht. Und dass die Kugel fast den ganzen Raum auszufüllen scheint, bis hoch zur Decke. Noch nie hat es so gekribbelt. Noch nie hatte sie das Gefühl, dass der Globus so lebendig ist.
Sie erkennt einige der Umrisse: Da ist Amerika – Nordamerika, Pixel, hört sie Mels liebevoll mahnende Stimme. Da ist das Meer: der Pazifik, der lange Strand, der Urlaub mit Daddy. Sie tritt so nah an die leuchtende Kugel heran, dass ihr Gesicht beinahe die britzelnde Oberfläche berührt. Da ist Afrika, der Dschungel, und irgendwo da unten all die Tiere: Affe, Zebra und Giraffe. Emily strahlt, macht einen Freudenhopser und klatscht zweimal in die Hände.

Das ist der perfekte Tag, denkt Will Macintosh. Könnte ich mir einen Tag ausmalen, wenn ich in der Kanzlei sitze und Akten wälze, diese idiotischen Streitfälle neurotischer Start-Up-Unternehmer, alles kleine Genies, denen irgendein anderes Genie die besten Ideen geklaut hat oder auch nicht – wenn ich diesen ganzen Nerv an einem Tag kompensieren müsste: Das hier wäre der richtige.
Sein Motorboot gleitet auf dem glatten Meer dahin, dem Sonnenuntergang entgegen. In Wills Rücken: der indische Ozean. Vor ihm: die Küste von Madagaskar, ein heller Streifen mit dichtem, sattem Dschungelgrün dahinter, der kleine Yachthafen von Bacardi Bay, Krebse in Weißwein, serviert von malerischen Eingeborenen. Noch zwei Seemeilen bis zum Paradies. Und noch volle zwei Tage, bevor es wieder zurück zum Patentrecht geht. Bis dahin wird es nur noch perfekte Tage geben. Und dann die Sonnenuntergänge. Verdammt, die kriegen sie hier echt gut hin, Türkis und Orange und Cointreau auf Eis. Vor dem Bürofenster in Bromley gibt es so was nie. Hey: Wann scheint in Bromley je die Sonne!
Will grinst hinter seiner Sonnenbrille. Noch eine Seemeile bis zur Küste. Der Strand scheint leer wie im Urlaubsprospekt. Sensationell. Aber irgendwie auch seltsam für die Tageszeit. Dann hört er zwei Donnerschläge, die seine Trommelfelle zum Platzen bringen. Er spürt den brennenden Schmerz in den Ohren, spürt den plötzlichen Wind im Nacken, dreht sich am Steuer um und sieht den Himmel nicht mehr. Denn da ist nur noch Wasser.

Ein paar der Fernsehmonitore flackern unruhig. Emily blickt kurz auf, eine der Stimmen kann sie verstehen. Ein Mann mit Anzug, Krawatte und sehr besorgter Miene schaut auf sie herab. „... kam eben die Meldung herein, dass ein gewaltiger Tsunami die westafrikansiche Küste heimgesucht hat. Eine vierzig ...“ – der aufgeregte Mann schaut auf einen Zettel in seiner Hand – „... vierzig Meter hohe Welle hat weite Küstenstriche überrrollt und völlig verwüstet. Madagaskar und das Horn von Afrika scheinen am stärksten betroffen. Von den vorgelagerten Inseln gibt es keinerlei Lebenszeichen. Keines der Vorwarnsysteme weltweit scheint reagiert zu haben. Wir schalten um nach Atananarivu, wo ein Amateurfilmer vor wenigen Minuten diese grauenvollen Bilder ...“

Emily wendet sich wieder ihrem Globus zu und strahlt unverdrosssen. Wenn sie ganz nah an den Leuchtball herangeht, beginnt ihre Nasenspitze fast unerträglich zu kitzeln. Vor ihrer Nase ziehen kleine weiße Wolkenkringel übers Meer, von Afrika Richtung Norden, wo sie die Namen der Länder nicht mehr so gut kennt. Egal: die Kringel drehen sich wunderschön, verwandeln sich, ergeben immer neue Figuren. Wie der Seifenschaum in der Badewanne, wenn Emily hineinpustet. Und so pustet sie.

Von einem Sonntag in der Hochsaison hätte sie mehr erwartet. Vor allem an diesem. Wochenlang hatten sie den „Tag der Erde“ groß angekündigt. In jeder Zeitschrift in jedem Kiosk rings um die Akropolis, so schien es Elena, die ihren Nachnamen vor vielen Jahren vergessen hatte, tönten die dicken Balken-Überschriften davon, was für ein großartiger Tag das werden würde, für die ganze Welt, und ganz besonders für Athen und für den Tempelberg. Kamen die Touristen in ihren Badeschlappen, Trägerhemdchen und albernen Schirmmützen schon an ganz normalen Wochentagen zu Tausenden die große Freitreppe heraufgetrabt, müssten es an einem Feiertag wie diesem doch noch viel mehr sein. Mehr blöde reiche Urlauber, die mehr Münzen in Elenas runzlige Hände werfen könnten, hier, an ihrem Stammplatz an der ersten Stufe der Akropolis, zwischen den Papierkörben der Kioske und den Weihestätten der Götter. Aber die Massen kamen nicht, und der Geldsegen blieb aus.
Es muss das Wetter sein, denkt sie. Der grau verhangene Himmel, die schweren schwarzen Gewitterwolken, der kühle Wind mitten im Juli – nicht die Stimmung, in der die Ausländer sich vor den heroischen Marmorfiguren fotografieren lassen, den Gottheiten und Tempelhüterinnen.
Verärgert fuchtelt Elena mit ihren dürren Ärmchen durch die Luft, ihren Groll wie einen Schwarm Mücken zu vertreiben. Eine Kleinfamilie in bunten Shorts und Regencapes, die gerade mit dem Aufstieg beginnen will, macht irritiert einen Bogen um die zappelnde Bettlerin. „Schönen Tag noch, bei den Göttern“, krächzt Elena ihnen nach, verzieht das Gesicht zu einem Grinsen. Schönen Tag noch, denkt sie, und soll euch da oben der Blitz treffen.
Was suchen diese Trampel hier oben, diese Idioten in ihren liederlichen Kleidern, aus denen dicke Arme und Beine und Brüste hervorquollen. Die herumkrakeelen, die keinen Moment der Stille kennen. Ehrfurcht vor den Göttern? Wozu denn, wenn man sie am Kiosk als kleine Nippes-Statuetten kaufen kann? Helena, ihre Schutzgöttin. Chronos. Zeus. Vor allem Zeus. Hätte der noch das sagen. Dann hätte euch alle längst der Blitz getroffen.
Es donnert nicht weit entfernt, Elena kichert und gibt sich ihrem Wunschtraum noch ein wenig hin. Sie blickt sie der Kleinfamilie hinterher, die oben am Ende der Freitreppe angekommen ist, jetzt unter den mächtigen Säulen der Propyläen kurz verschnauft, durch die Athener früher demütig geschritten waren, um ihren Göttern zu opfern, an Festtagen wie diesen, so stellt es sich Elena vor. Doch die Propyläen sind verschwunden. Von einem Moment auf den anderen. Elena sieht die Säulen in dicken Steinbrocken durch die schwarze Luft wirbeln, dazwischen die Besucher, verrenkte Puppen, weggeworfen von einem wütenden Kind. Doch sie landen nicht wieder auf der Erde.
Ein riesiger Rüssel senkt sich aus den wirbelnden Wolken über die Akropolis. Schlingt alles in sich hinein: die Tempel, die Gerüste der Restauratoren, die Bauwagen, die Menschen. Der Kopf einer steinernen Tempelwächterin segelt über die Freitreppe, zerschellt neben Elena. Und ein Besucher ohne Unterleib.
Dann beginnt die gesamte Freitreppe sich aufzulösen, Quader um Quader zischt in den Wolkenrüssel hinein. Dem Himmel entgegen. Schönen Tag noch, denkt Elena, schönen Tag bei den Göttern, und dann ist sie vom Erdboden verschwunden.

„... als ob ausgerechnet an diesem Tag sich die Natur gegen uns Menschen verschworen ...“ Die Frau im Fernseher macht eine Pause, will den Satz irgendwie zu Ende bringen. Doch ihr Kinn zittert, und als sie den weiteren Text abliest, bricht sie in Tränen aus. „Das ... das glaube ich nicht. Hier steht, also, unser Europa-Korrespondent meldet, dass etwa 150 000 Menschen vom Tornado getötet wurden. Vier bis acht Millionen haben ihre Häuser verloren. Es ... es gibt keinen Notfallplan der griechischen Regierung für diesen Fall. Wann die Katastrophenhilfe anlaufen wird, ist zur Stunde noch ungewiss. Internationale Bemühungen ...“ Emily blickt interessiert zu der Frau auf, aber sie versteht nicht genau, warum diese so aus der Fassung ist. Das passiert den Fernsehleuten doch sonst nie.

Tote? Kaputte Häuser? Nicht auf ihrem Globus. Der leuchtet und schillert und summt wie immer. Glänzt wie ein Lichterbaum. Als hielte er ein Versprechen für Emily bereit. Ein Geschenk. Daddy. Irgendwo da unten oder da drin muss Daddy sein. Muss sie ihn doch zumindest sehen können. Moment ... wo ist denn jetzt Amerika geblieben – Nordamerika, Pixel ... da, der große Pfannkuchen, Emily strahlt wieder, die Kugel tanzt als blaue Reflektion in ihren Augen. Nordamerika, und dann runter zum Rüssel, zur Baja, und dann rechts rüber in die Wüste ... da! Siehste, gar nicht so schwer, Pixel, sagt Mel irgendwo in Emilys Hinterkopf. Nimm einfach deinen kleinen rosa Finger, deinen Pinky, und flitz damit über die Landkarte. Dann kannst du dein Ziel nie verfehlen.
So fährt Emily mit dem Finger auf Arizona zu, während das Wehklagen der Nachrichtensprecher über ihrem Kopf weiter anschwillt. Das sie ebensowenig wahrnimmt wie die anderen Geräusche um sie herum: das Klopfen der Uniformierten hinter der Milchglastür, das Brüllen von Befehlen auf dem Gang, das Durchladen von Maschinengewehren. Das Blöken der Alarmsirenen im gesamten Gebäude. Die Lautsprecherstimme: “... dies ist keine Übung. Ich wiederhole ...“ In der Ferne das Getrappel hunderter Füße, die sich rasch Richtung Eingangshalle entfernen, begleitet von dem einen oder anderen Schrei.

„Brad, das ist nicht dein Ernst!“, schreit Mel, ausschlagend wie ein Wildpferd. Brads Griff ist eisenhart um ihre Schultern. „Brad! Verdammt, ich habe keine Ahnung, wo Emily abgeblieben ist! Wir können sie doch nicht hier drinlassen!“
Doch, ich kann, denkt Brad, und sagt: „Sie bleibt nicht hier drin. Niemand bleibt hier drin während eines Alarms. Wirst sehen, sie wartet draußen auf dem Parkplatz schon auf dich, schön in einer Reihe mit den Anderen. Und in die stellst du dich jetzt auch hinein.“ Erneutes Strampeln, Schieben, der sinnlose Dialog streitender Erwachsener: „Brad!“
„Mel!“
„Brad!“
Dann hat Brad sie bis vor die Ausgangstür gerungen, zwei weitere Wachleute in Blau packen Mel an den Handgelenken, Brad lässt los, sie taumelt ins Freie, ins gleißende Licht, über die Schulter den Blick einer zornigen Mutter werfend.
„Brad?“ Der scharfe Tonfall des Security-Chefs lässt ihn ruckartig die Schultern nach hinten ziehen, sein Kinn schnellt nach oben.
„Sir?“
„Wenn Sie mal mit in Sektion E kommen. Zur Erdkammer. Es gibt da ein kleines Problem, bei dem Sie uns vielleicht helfen könnten.“ Ein genervter, zugleich tadelnder Blick trifft den dienstmäßig versteinerten Brad. „Ein wirklich kleines Problem.“

Daddy, Daddy, Daddy, summt Emily vor sich hin. Gleich seh ich meinen Daddy wieder. Ihr Zeigefinger fliegt über den Westen, stoppt kurz über Nevada ... nein, hier ist er nicht. Falsche Wüste. So viele kleine Wüsten da unten. Wie soll sie von hier oben die richtige finden? Emily überlegt nur kurz, dann hat sie die Lösung: mit der Lupe! Na klar! Sie läuft zur Tastatur herüber und sucht nach der vertrauten Taste. Der Daddy-Taste, denkt sie und kichert und fühlt sich so leicht und kribbelig und wunderbar.

„Da drinnen“, sagt der Chef der Security mit bohrendem Tonfall, „ist unser kleines Problem, Brad. Kommt es Ihnen irgendwie bekannt vor?“
Auf dem Monitor, den die Notfall-Techniker vor der Tür zur Earth Chamber aufgebaut haben, sieht Brad, sehen alle Umstehenden – Programmierer, Soldaten, Wachleute – das Bild der Überwachungskamera. Darauf saust ein kleines Mädchens in einer Art Indianerkleid mit fliegenden Zöpfen zwischen der Mainframe-Tastatur und jenem Gebilde herum, an dem die EASE-Crew vier Jahre lang gearbeitet hat. Der großen blauen Murmel, wie Jeff sie beim Feierabend-Whiskey mit Brad manchmal nennt. Brad sieht sie zum ersten Mal mit eigenen Augen. Einen Moment lang ist er wie verzaubert. Dann erfasst ihn ein Schauder des Entsetzens.
„Sprachlos, Brad?“ sagt der Boss. „Bin ich auch. Denn die Kamera in der Eingangshalle hat Sie und diese kleine Terroristin heute Nachmittag zusammen aufgenommen.“ Er neigt sein versteinertes Gesicht dicht zu Brads hin. „Also: Wer ist das – und wie ist sie da reingekommen?“

Wie kann ich da bloß reinkommen? Mels Gedanken rasen. Eben hatte sie noch wie verzaubert vor diesem Berg aus Licht, „unser Holo-Mountain“, wie Jeff ihr und dem bunten Grüppchen der anderen Besucher das Modell erklärt hatte. Wie kriegen sie das bloß hin, hatte Mel gedacht, und hoffentlich kann Emily das Ding gut sehen. Emily. Emily?
Dann war schlagartig jene Art von mütterlicher Panik in ihr ausgebrochen, von der sie immer gehofft hatte, dass sie irgendwann immun dagegen würde, hatte sie wie eine Welle erfasst und in Bewegung versetzt. Und plötzlich war die Panik überall. Gleißende Notbeleuchtung flammte auf, Alarmsirenen röhrten durch die Korridore, Militärs und blaue Sicherheitsleute waren erschienen wie aus dem Nichts, zerrten und stießen und rempelten die Besucher aus dem Gebäude. Jeffs Holoberg zerfiel in Millionen Pixel. Und dann waren da plötzlich Brads Hände, die sie gepackt und ins Freie gezerrt hatten.
Die bulligen Motoren von Pick-Ups und aufgemotzten Geländewagen dröhnen um sie herum, Reifen wirbeln Wüstensand auf, der EASE-Parkplatz ist ein kleines Inferno für sich. In der Staubfahne der Flüchtenden bleiben nur wenige Schaulustige zurück, die neugierig in Richtung Eingang spähen, auf eine Erklärung wartend, auf den großen Knall, was auch immer. Mel hetzt zwischen ihnen umher wie eine Slalomläuferin. „Ein kleines Mädchen im braunen Poncho?“ keucht sie. „Mit türkis Ohrringen?“ Kopfschütteln, Schulterzucken, Minen des Bedauerns. Aus einem Autoradio scheppert die Stimme von Radio Free Sonora und lässt Mel einen Moment innehalten. „... unheimliche Serie von Naturkatastrophen an diesem wunderbaren Tag scheint sich fortzusetzen. Die Wetterstation in Yuma meldet soeben einen plötzlichen Wetterumschwung über der Sierra Nevada. Das Sturmgebiet wandert sehr schnell ostwärts, auf Arizona zu. Auch die Bewohner der Städte am Rand der Sonora werden gebeten, ihre Häuser nicht ...“ Mel wirbelt herum wie eine Furie. Wenn Emily nicht hier draußen ist, kann sie nur in diesem Kasten sein. Sie sprintet drauflos, irgendeinen Seiteneingang muss es geben, der nicht von den Blaumännern bewacht wird. Aber es gibt keinen. Sie brüllt die Uniformierten an. Kreischt, wütet, zerrt an Jackenärmeln, hört ein Dutzend Mal das mechanische „Sorry, Ma'am“. Dann öffnet sich eine Tür, Jeff späht heraus. „Tschuldigung, Leute, wir bräuchten diese Frau mal eben hier drinnen. Mel – wenn du für einen Moment reinkommen könntest ...?“ Eine Sturmbö drückt beide ins Gebäude hinein, und bei einem letzten Blick über ihre Schulter sieht Mel, wie sich der Himmel schlagartig in ein schwarzes Tuch verwandelt, wild bewegt von der Hand eines rasenden Riesen.

Wie einen Zauberstab dirigiert Emily die große leuchtende Lupe, die auf Knopfdruck im Raum erschienen ist, über die Erdoberfläche. Okay. Wenn das da drüben die Baja ist, dann kommen hier die Berge, und dann die Wüste. Unsere Wüste, die mit dem bunten Canyon. Sie steuert die Lupe über das Zielgebiet. Drei Klicks auf der Tastatur, und die Vergrößerung ist da. Emily jauchzt. Ja, das ist die richtige Wüste. Das ist die Sonora. Die jetzt den ganzen Raum zu füllen scheint.

Aus einem Lautsprecher irgendwo hinten an der Tür dröhnt Brads Stimme: „Junge Miss. Emily! Was hatte ich dir gesagt? Nichts anfassen! Hörst du? Nichts! Anfassen!“ Das Geräusch von Drillbohrern, von Metall auf Metall, schneidet aus dem Hintergrund in die Sprechpause. „Ob du mich hörst, verdammtes Gör! Stopp! Stopp! Dies ist kein Spiel mehr!“ Schnaufen, erneutes Bohren, Sägen, Kreischen, dann eine tiefere Stimme: „Brad. Lassen Sie’s gut sein. Danke.“

All das ist nicht Teil von Emilys Welt. Emily britzelt, summt, glüht vor Glück. Und so geht sie gebannt auf die flimmernde Wüste vor ihren Augen zu. Blickt in den Canyon. Auf die alte Siedlung. Auf eine die vertraute faltige Gestalt, die dort unten zwischen den Felsen, den verrotteten Hütten und den alten Jeeps steht. Der Alte winkt Emily zu sich heran. Emily winkt zurück, wedelt aufgeregt mit den Händen. Gleich, gleich ist sie am Ziel. Gleich berühren ihre Fingerspitzen die leuchtende Erde. Der Indianer winkt sie noch näher heran, seinen Blick mit ihrem fest verbunden. Und plötzlich ist in Emilys Kopf noch jemand anderes. „Steuerung Quit, Pixel!“ ruft es. „Steuerung Quit!“

Und so drückt Emily die Quit-Taste.

Am Morgen nach dem Tag, an dem die Erde untergehen sollte und es doch nicht tat, saß Mel im Schneidersitz auf der Veranda, die heiße Blechtasse zwischen den Fingern, die dicke Decke mit den Hopi-Mustern über ihre Schultern geworfen, und sah mit unbewegter Miene zu, wie die ersten Sonnenstrahlen über die scharf gezackten Canyonfelsen blitzten, ins Tal hinein krochen, an den Stadtrand, zu den Menschen, in ihren Schoß. Das Windspiel schwieg auf dem Boden, abgerissen vom gestrigen Sturm. Bald würde die Sonne das Land erwärmen, die Luft in sanfte Bewegung versetzen. Doch einstweilen regte sich kein Lüftchen, und das war gut so. Selbst das Summen der vielen kleinen Ventilatoren im Haus war an diesem Morgen nicht zu hören. Mel hatte jeden einzelnen Rechner ausgestellt, die Stecker gezogen, die Sicherungen herausgedreht. Die einzigen Laute neben dem Klingeln des Zuckerlöffels in Mels Kaffeetasse kamen aus der Küche. Aus dem Batterie-betriebenen Radio in der Küche zirpte das Morgenprogramm von Radio Free Sonora. Die Stimme des Nachrichtensprechers klang vorsichtig, wie um die Stille nicht zu stören. „... gibt es weiterhin keine Erklärungen für die plötzlichen Wetterkapriolen am Earth Day. Die Sonora ist jedenfalls, so weit wir wissen, mit einem blauen Auge davongekommen, während die weltweiten Schäden durch Hurrikane, Überschwemmungen ...“ Mel hörte wieder weg. Schlürfte einen vorsichtigen heißen Schluck, die Finger um die Tasse gekrallt, blinzelte in die Sonne und versuchte, nicht wegzusehen. Emily schlief.

Brad meldete sich noch ein einziges Mal, fünf Tage später. Auf dem Anrufbeantworter war seine gepresste Stimme zu hören, die wieder auf amtlichen Tonfall gestimmt war. Es tue ihm Leid. Nicht, wie er Emily angebrüllt hatte, nachdem sich endlich die Tür zum Versuchsraum geöffnet hatte. Sondern, dass er auf längere Zeit nicht abkömmlich sei. Anweisungen. Neue Sicherheitsvorschriften. Dass Mel eine Verschwiegenheitsklausel unterzeichnet habe, solle sie übrigens nicht vergessen, ja? Das fehlerhafte Programm werde ohnedies gelöscht. Recht bald sogar. Nur noch ein paar Tests. Also dann. Gruß an Emily.

(c) 2009 by TA Eden

 
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ist mir aufgefallen: es heißt "ma'am" und nicht "mam"
Ab sofort wird das zum Anwärter für den Titel des konstruktivsten Kommentars auf kg.de! ;)

Hallo TA Eden und willkommen hier!

Als erstes fällt der routinierte Schreibstil auf: Klar gibt es ein, zwei zu viel "britzeln" darin, der Absatz "All das ist nicht Teil von Emilys Welt usw." enthält ein paar Flüchtigkeitsfehler, aber das Erzählen beherrscht du. Zumindest kann ich mir sowas gut zwischen verkäuflichen Buchdeckeln vorstellen.
Inhaltlich ist der Text sehr komplex für eine Kurzgeschichte, da könnte ich zugunsten der Knackigkeit gut auf Elena und Macintosch verzichten, das hat dann schon Romancharakter.
Dann fällt natürlich das Genie der Vierjährigen etwas aus dem Rahmen, trotz Siliconvalley. Und zuletzt ist das Erzählte so gar nicht alltäglich, das ist schon etwas für die Rubrik Seltsam. Da tauchen doch unfreiwillig Fragen auf, die natürlich nicht in der Geschichte direkt beantwortet werden müssen, aber für deren Beantwortung es leider auch keine Hinweise gibt. Z.B. welchen Zusammenhang es denn zwischen Indianer, Vater und der Weltkugel gibt.

Fazit: Gut erzählt, zu große Ausflüge in der Handlung & der seltsame Haupthandlungsstrang etwas zu wenig fokussiert und letztendlich zu vage bleibend.

Viel Spaß hier noch & Gruß!
Kasimir

PS: Sehe, das steht unter Horror! :D Seltsam fänd ich doch passender. Aber das können vllt andere besser einschätzen.

 

war gestern einfach zu spät, um nach dem lesen noch einen kommentar abzugeben. wie kasimir schon sagt dein stil angenehm routiniert, das ist sicher nicht deine erste geschichte (korrigier mich, wenn doch) und die einzigen mängel sind mMn im inhalt zu suchen. es bleiben wie schon gesagt viele fragen offen (z.B. was es mit dieser wettermaschine auf sich hat, warum sie sie gebaut haben und emily ohne probleme zugang dazu bekommt?). außerdem ist die geschichte eher selstsam/sci-fi/sonstige als horror, finde ich.

außerdem habe ich ewig gebraucht, bis ich das mit "gugelerde" kapiert habe, dachte erst, dass soll irgend rollenspiel sein. aber keine sorge, ich bin auch ziemlich schwer von begriff...

 

Hallo Kasimir, danke für die Blumen, und vor allem fürs Durchhalten bei dieser länger als üblichen KG. Schön, dass es sich für dich trotz aller Detailkritik gelohnt hat. - Zum Thema Horror": Dochdoch, das ist meine Story #1. Dafür eine passende Schublade auf der kg-Site zu finden, fand ich tatsächlich schwierig. "Seltsam" wäre sicher auch eine Möglichkeit. Oder Fantasy? Tja. Da ich ein Riesen King-Fan bin, habe ich mich ganz uneitel dort einsortiert, wo auch mein Meister residiert. Schließlich soll hier ja auch laut Beschreibung der kg-Moderatoren der Platz fürs Übernatürliche sein und nicht bloß für Splatter. Zu den offenen Fragen: Ich meine, nicht alles muss am Ende eingehend erklärt werden, so lange die Story gut vorankommt und die Charaktere sich schlüssig verhalten. Als Leser muss ich mich schon mal selbst anstrengen, die Freiräume/Leerstellen mit Fantasie zu füllen. So lange es keine Löcher in der Handlung gibt - höchstens spannende Brüche. Dass das US-Militär an globalen Überwachungsmaschinen bastelt (nicht so erklärungsbedürftig, oder?), soll ja nur eine Folie für die Story sein - "vage" ist was anderes, meine ich. Nochmals besten Dank und Gruß - TA

 

Da tauchen doch unfreiwillig Fragen auf, die natürlich nicht in der Geschichte direkt beantwortet werden müssen, aber für deren Beantwortung es leider auch keine Hinweise gibt. Z.B. welchen Zusammenhang es denn zwischen Indianer, Vater und der Weltkugel gibt.

@TA Eden
Zu den offenen Fragen: Ich meine, nicht alles muss am Ende eingehend erklärt werden, so lange die Story gut vorankommt und die Charaktere sich schlüssig verhalten. Als Leser muss ich mich schon mal selbst anstrengen, die Freiräume/Leerstellen mit Fantasie zu füllen. So lange es keine Löcher in der Handlung gibt - höchstens spannende Brüche. Dass das US-Militär an globalen Überwachungsmaschinen bastelt (nicht so erklärungsbedürftig, oder?), soll ja nur eine Folie für die Story sein - "vage" ist was anderes, meine ich.

:hmm:
Also gut, nochmal ;): Es geht nicht darum, dass etwas eingehend erklärt wird, sondern darum, wie du sagst, dass etwas schlüssig ist: Der Indianer kann von mir aus als mythische Figur mysteriös bleiben, der kann auch mit Hilfe von außertextuellem Wissen mit Bedeutung gefüllt werden (als konventionelles Symbol für ursprüngliche Naturverbundenheit des Menschen usw.).Der Vater allerdings hat für mich eine Scheinbedeutung im Text und für den Text: Der könnte genausogut nicht vorkommen, könnte ersetzt werden mit der natürlichen Neugierde des Mädchens (als Grund für ihr Verhalten) und an der Handlung würde sich großartig nichts verändern. Emily würde am Schluss genauso schlafen können. ;)

 

Hallo TA Eden!

die türkis Ketten und Armbänder

Die türkisen Ketten? Oder die Ketten aus Türkis? Was meinst du damit?

„Naaa, stecken wir unser Näschen mal wieder in Sachen, die uns nichts angehen?“ Meist schreckte Emily dann auf, lief rot an, und Brads Grinsen gab ihr das Gefühl, sie hätte etwas Verbotenes getan. „Neugier kann böse enden, weißt du das denn nicht, Pixel?“ Das war vielleicht das Schlimmste: Dass Brad sie so nannte wie Mami es tat. Und wie er das mit der Neugier erklärte, verwirrte sie mehr, als dass es ihr half.

Bis dahin ist es schön, finde ich, sehr sogar. Aber der Dialog beißt mich. Eigentlich ist es ja kein Dialog, sondern nur Zitate - Dinge, die Pixel erlebt hat und widergibt. Vielleicht kann man deutlicher herausstellen, dass es nur Erinnerungen sind. Mit Inquits, vielleicht.

"Na, sind wir wieder neugierig?", sagte er dann immer, worauf Emily rot anlief.

Damit täte ich mich beim Lesen leichter, aber das ist natürlich nur ein Detail.

Mels müde Stimme drang aus dem Nachbarzimmer, ihrer Wohnhöhle, wie Mel sie nannte, herüber.

Streich das "herüber", braucht man nicht. Wenn es aus dem anderen Zimmer dringt, es es klar, dass es rüberkommt.

Emily schwieg. Emily wusste es. Sie würden mit Brad feiern.

Da würde mir zweimal "Sie" besser gefallen als zweimal "Emily".

„Und jede Menge neugieriger Leute, genau wie du. Ganz bestimmt! Ich muss es wissen, ich arbeite ja mit diesen Freaks zusammen!“ Nun also war es so weit: Earth Day, und Emily spürte kein Fünkchen Neugier.

Das ist wieder so trocken wie vorher - ich weiß nicht, aber für mich kommt Brad überhaupt nicht lebendig rüber. Was denkt sie über ihn? Ja, du schreibst das schon irgendwo, aber mehr Gedanken wären gut, damit Brad nicht eine Aufziehpuppe am Rand bleibt.

gerendered

"gerendert". Würd ich sagen, wenn du es schon eindeutschst.

Fußball-großen

"fußballgroßen". Oder schreibt man das jetzt echt so?

dreiviertel Stunde

"Dreiviertelstunde". Oder?

beschrieb. „... und so feiern

Doppelpunkt nach "beschrieb".

„Mein Gott, jetzt freu dich wenigstens ein bisschen!“
Schweigen, Starren.

Hier wechselt die Perspektive. Bisher war die Erzählung in Pixels Kopf, wir kennen ihre Gedanken und die Gründe für ihr Handeln, wissen, was sie mag und was nicht. Aber hier sind wir nur Zuschauer. Warum?

"Doch Emily schaute nur mürrisch aus dem Fenster, sie wollte nicht über Brad reden", würde näher an die alte Perspektive gehen. Das meine ich.

Brad sagt immer, wo er ist, und er ist da, wo er gesagt hat. Und genau da fahren wir jetzt hin.

Ja - das ist wohl Umgangssprache, aber schwer zu lesen.

Kein kühles Neonlicht hier; halbdunkle Dämmerung umfängt Emily

Warum der Wechsel ins Präsens?

Ja - und dann nimmt das Tempo zu, gefällt mir gut. Einige Passagen würde ich kürzen, das mit der Bettlerin an der Akropolis ist nett, enthält aber zuviele Details für ein "Kapitel" in einer Kurzgeschichte. In ein Buch mag das passen, da könnte man sicher ein paar Seiten zu jedem der Opfer schreiben, aber in dem Rahmen hier wirkt es dann doch unpassend. Zu kurz, um sich wirklich hineinzudenken und zu lang, um einfach nur auszusagen, was es soll: Wie jemand die Katastrophen erlebt, die Emily erzeugt.


Rein vom Gefühl her könnte man am Tempo der Abschnitte arbeiten. Die Geschichte beginnt ja sehr langsam und steigert sich dann, das ist gut. Aber insgesamt wirkt es unausgewogen, weil immer mal wieder langsame Passagen drin sind, über die ich dann aber hastig hinweglese, weil ich wissen möchte, wie es weitergeht. Deshalb muss man nicht mehr genau schildern, wie Brad an die "Blaue Murmel" denkt - das kann man weiter vorne schreiben, wenn man will.

Das Ende ist schön, irgendwie, aber es lässt mich doch fragend zurück. Wars das? Mehr ist nicht gewesen? Für eine derart rasante Geschichte ist das Ende unbefriedigend, da fehlt die Belohnung.

Insgesamt hat mir die Geschichte jedoch sehr gut gefallen, auch sprachlich.

Schöne Grüße,

yours

 

Kritiken lassen sich zwar immer leichter schreiben, als Geschichten, aber vielleicht schaffe ich es ja ein paar konstruktive Verbesserungen anzumerken.

Zuerst möchte ich sagen, dass mich dein Sprach- und Erzählstil sehr überzeugt hat. Alles wirkt sehr routiniert und die paar kleinen Rechtschreib- und Grammatikfehler fand ich jetzt nicht allzu störend. Insbesondere da es sich meiner Meinung nach, um Flüchtigkeitsfehler handelt, die bei einer weiteren Überarbeitung bestimmt alle korrigiert wären.
Was ich auch sehr angenehm und erfrischend fand, war das Setting der Geschichte. Die Orte und die Charaktere waren fesselnd, sehr bildhaft und überzeugend. Auch das Tempo der Geschichte war genau richtig.
Schön fand ich auch, das die Erde, als Begriff, viele Querverbindungen hatte. Es gab den Earthday, Gugelerde, den holografischen Globus, all das hat einen schönen und interessanten Rahmen geschaffen.
Aber, ...hihi, kein Lob, ohne ein "Aber", ich fand die Geschichte nicht "rund". Meiner Ansicht nach, bleiben ein paar Dinge zu viel im Dunkeln.
Das erste was ich mich fragte, war natürlich dies: Was hat es mit dem Indianer auf sich? Zuerst dachte ich, dass dieser Indianer ein Spirit, eine Seele sei, die der "bösen" Menschheit einen Denkzettel verpassen möchte. Jedoch hatte ich den Eindruck, dass sich die Menschheit in deiner Geschichte bereits zum Besseren gewandelt hätte, womit mir dieses Motiv wieder unlogisch erschien. Wieso also ließ dieser Indianer das Mädchen Unheil stiften? Ein anderer Punkt ist die Holo-Erde. Mal abgesehen davon, dass so eine Voodoopuppe der Welt ,technisch nicht zu realisieren ist - ja, ja, ich weiß, aber ich bin in diesen Dingen immer sehr kleinlich - hätte ich gern auch hier ein Motiv erfahren, weshalb jemand so ein Ding bauen sollte.
Und, letzter Punkt, die Suche nach dem Vater. Ok, ein etwas unbedeutender Handlungsstrang, aber immerhin fängt die Geschichte damit an und deshalb hätte ich mir auch hier eine letzte Erklärung gewünscht.

Alles in allem, finde ich die Geschichte eine herausragende Leistung, der jedoch leider ein "Ende" fehlt - auch wenn das jetzt vielleicht unfair klingt.

 
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Hallo, besten Dank für deine Detailkritik - ich werd aber wohl noch ein paar solcher Anregungen sammeln, bevor ich die nächste Version schreibe. Nur eins zum Wechsel ins Präsens - aber hallo ist das so gewollt, und wird in der Story ja auch konsequent durchgehalten innerhalb der Passage, in der die Dramatik zunimmt. Alter Reportertrick - mir gefällts eigentlich ganz gut, das auch in der Literatur zu verwenden, hat was Unmittelbares. Schön, dass dir die Geschichte gefällt und du dich trotz der ruhigeren Passagen durchgebissen hast! - Alles Beste, TA

Hallo Mothman, danke fürs aufmerksame Lesen, und für deine Anregungen. Tjaaaa ... am Ende werd ich vielleicht nochmal basteln. Aber nicht zu viel! Ich finde, man muss nicht alles erklären, vor allem keine technischen Details - warum die Amis sowas bauen sollten, kann man sich ja schon denken, meine ich. Der Indianer, ein böser spirit? Schöne Idee ... ich spiels mal durch. Und warum ein Mädchen seinen Vater suchen sollte ... das muss man echt nicht weiter begründen, meine ich. Mothman ist übrigens einer der lustigsten Charaktere in "Watchmen", finde ich ... aber das weißt du sicher schon! - Besten Dank & Gruß, TA

 

Hmm, ich glaub ich hab mich missverständlich ausgedrückt... als Leser wollte ich weniger eine Erklärung über den Verbleib des Vaters, oder warum das Mädchen ihn sucht. Vielmehr wollte ich als Leser zum Ausgangspunkt der Geschichte zurückkehren - also den Kreis schließen. Da hätte es auch gereicht, wenn nur gesagt worden wäre, dass das Mädchen ihre Suche aufgeben hätte, weil "schlimme" Dinge geschehen seien. Wie gesagt, das Fehlen "des Vaters" am Ende hat mit dazu beigetragen, dass mir etwas gefehlt hat. Vielleicht hätte die Suche und die nachfolgenden Ereignisse miteinander verknüpft werden können. Vielleicht hätte der Indianer für eine Charakterschwäche des Vaters stehen können - erst lässt er die Familie im Stich, und dann bringt die Suche nach ihm auch noch die Welt an den Rand des Untergangs. Na ja, so oder sowas ähnliches hätte ich mir gewünscht.

Was die technischen Details betrifft, so gebe ich mich immer gern mit einer Black-Box Erklärung zufrieden. Jedoch stand "die Waffe" irgendwie im Kontrast zu einer Welt und zu einer Gesellschaft, die ein so starkes ökologisches Gewissen entwickelt hat, dass sie sogar einen weltumspanndenen "Earth Day" feiert. Diese Diskrepanz hätte ich gern aufgeklärt gehabt und weniger wie das Ding funktioniert.
Aber es freut mich, dass du mit meiner Kritik was anfangen kannst. Ich hoffe, man bekommt noch mehr von dir zu lesen.

 
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ok - kann aber ein bisschen dauern ... bin nicht gerade mit viel Freizeit gesegnet, aber an guten Ideen lohnt es sich immer zu arbeiten ... außerdem finde ich die kg-Site echt inspirierend, sowohl was die stories als auch die konstruktiven Kommentare angeht ... übrigens: den Earth Day musste ich nicht erfinden, den feiern (nicht nur) die Amis tatsächlich - jedenfalls die aufgeklärtere Fraktion. Wenn ichs genau betrachte, ist an dieser Story so gut wie nichts erfunden ;) - bloß neu zusammengepuzzelt (die Sonora ist echt ne Reise wert!) ... - TA

 

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