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Weihnachtserlösung
Monate habe ich in innerlicher Leere verbracht. Jeder neue Tag fühlte sich schlimmer an, als der andere. Früher war es besser. Früher war das Leben immer so sorglos. Man konnte tun und lassen, was man wollte und das größte Problem war vielleicht, dass man Ärger von den Eltern bekam. Jetzt hat sich alles verändert. Dieses kleine Mädchen war ich jetzt schon lange nicht mehr. Nun war ich mein größtes Problem. Ich konnte mich selbst nicht mehr im Spiegel anschauen, ohne zu heulen anzufangen. Wie konnte ich mein ganzes Leben nur so blind gewesen sein? Bis zu einem bestimmten Zeitpunkt war ja auch noch alles gut gewesen. Ich hatte viele Freunde und dann hatte ich noch sie, meine beste Freundin. Wir waren unzertrennlich. Jede Pause verbrachten wir zusammen. Auch an den Wochenenden unternahmen wir was. Ob Übernachtungspartys oder Filmabende, wir machten einfach alles zusammen. Es war einfach so leicht die Zeit mit ihr zu verbringen, wie wir die selben Interessen hatten. Wir brauchten einander noch nicht einmal mehr fragen, welches Eis die andere jeweils wollte. Wir kannten uns einfach schon genau. Ich dachte, das würde auch so bleiben. Ich führte eigentlich ein ganz normales Mädchenleben. Ich traf mich mit Freunden oder naja, eigentlich hauptsächlich nur mit meiner besten Freundin. Wir haben auch jeden Quatsch zusammen gemacht. Wir hatten da so unsere Mutproben. Am Anfang waren es nur Klingelstreiche. Später sind wir verbotenerweise auf Baustellen geklettert und haben dort dann Selfies gemacht. Das war für uns Action pur! Ich habe mir nie Gedanken gemacht, wie es wäre, sie zu verlieren. Aber das Glück sollte nicht lange halten. Es fing alles damit an, dass sie dann auf einmal diesen einen Freund hatte. Alle dachten, sie wäre mit ihm zusammen, aber das war sie nicht. Sie war nicht mit ihm zusammen. Leider. Anfangs hat sie immer mehr mit ihm gemacht und das hat mich ein bisschen gestört. Ich dachte mir aber, dass es schon ok ist, wenn sie auch andere Freunde außer mir hat. Ich sagte mir, dass es keinen Grund gab, sich Sorgen zu machen, aber die Eifersucht blieb trotzdem. Das war aber nur der Anfang. Dann fing sie auch noch damit an, mir zu verheimlichen, dass sie sich mit ihm traf. Sie meinte immer nur, sie sei gerade einkaufen, wenn ich mit ihr telefonieren wollte, aber ich kannte sie zu gut, um ihr zu glauben. Es gab mir jedes Mal einen Stich ins Herz, wenn sie mich seinetwegen anlog. Zu dieser Zeit machte sie auch in der Schule mehr mit ihm und die ganze Schule dachte, die beiden seien zusammen. Ich wusste es besser. Meine beste Freundin war lesbisch. Sie war nicht mit ihm zusammen, sie brauchte nur ganz offensichtlich einen neuen besten Freund. Sie versprach mir immer, dass wir telefonieren würden, aber sie rief mich nie an. Es brach mir immer das Herz nachmittags auf diesen Anruf zu warten. Ich kam mir idiotisch vor. Trotzdem konnte ich nichts gegen diesen Schmerz im Herzen tun. Andererseits versuchte ich mich auch zu beruhigen, denn schließlich konnte sie ja auch noch andere Freunde neben mir haben. Das versuchte ich mir immer einzureden. Eines Tages geschah es aber. Ich hatte schon lange nicht mehr mit ihr gesprochen und war deshalb verwundert, dass sie mit mir reden wollte. Aber meine Freude währte nicht lange. Das einzige was sie zu mir sagen konnte war, dass sie mal eine kleine Kontaktpause zu mir brauchte, weil sie angeblich viel mit der Schule um die Ohren hatte. Als sie das aussprach war ich am Ende. Ich wusste eigentlich schon länger, dass dieser Tag kommen würde, aber es tatsächlich von ihr zu hören, war noch tausendmal schlimmer. Tagelang verbrachte ich nur heulend in meinem Zimmer. Ich konnte es nicht richtig fassen. Ich hatte tatsächlich meine beste Freundin verloren. Lange erlaubten mir meine Eltern aber nicht, die Schule zu schwänzen. Also ging ich wieder zu Schule. Jeden Tag musste ich dieses künstliche Lächeln aufsetzen und so tun, als könnte ich über die Witze der anderen lachen. Keiner merkte, wie es mir wirklich ging. Die Leute glaubten mich zu kennen, aber keine konnte hinter meine Fassade gucken. Nur in meinem Zimmer konnte ich wieder ich selbst sein und meiner ehemaligen besten Freundin hinterhertrauern. Das schlimmste war, dass es ihr ganz und gar nicht so ging, wie mir. Heimlich hoffte ich jeden Tag auf ein happy End. Ich hoffte darauf, dass sie doch noch zu mir kommen würde und mich anflehen würde, doch noch mit mir befreundet zu sein. Aber dieser Tag kam nie. Das war aber auch noch nicht mein einziges Problem. Da kamen noch die ganzen anderen Dinge dazu. Stress mit den Eltern, Unterleibschmerzen und so weiter. Mein Leben bestand aus Problemen. Für mich gab es wohl kein happy End. Von Tag zu Tag war es schwerer, den anderen vorzuspielen, glücklich zu sein. Ich war wirklich am Ende. Sie war wirklich meine beste Freundin gewesen. Keiner meiner anderen Freunde, konnte mir so ein Gefühl geben, wie sie es getan hat. Sie gab mir immer das Gefühl verstanden und geliebt zu werden. Verbittert dachte ich an die frühere Zeit. Ich konnte mir nichts Schlimmeres vorstellen, als dieses armselige Leben weiterleben zu müssen. Trotzdem tat ich es. Ich wollte von mir selbst aus schon gern aufgeben, aber das konnte ich meiner Familie nicht antun. Ich lebte nur noch für sie. Eines Tages war alles anders. Es war eigentlich ein gewöhnlicher Tag. Naja, eigentlich nur für mich. Es war Weihnachten. Andere feierten wahrscheinlich gerade, aber mir ging es nur darum, diesen Tag zu überleben. Weihnachten, das Fest der Liebe. Schwer zu feiern, wenn man gerade eine liebe Person verloren hat. Ich ging die einsamen Gassen entlang, um in meinem Haus nicht vorgaukeln zu müssen, fröhlich zu sein. Als ich gerade auf dem Weg nach Hause war sah ich sie. Ihren neuen besten Freund und sie. Aber es war kein schöner Anblick. Ich traute meinen Augen nicht. Sie stritten sich. Ziemlich heftig sogar. Es sah so aus, als wollte er sie schlagen. Bei ihrem Anblick kam alles wieder zurück. Die Trauer überrumpelte mich. Ich fing an zu weinen. Und es war doch Weihnachten. Ihretwegen hatte ich zwar schreckliche Monate, aber das war zu viel. Dann sah ich wie er die Hand auf sie zu bewegte. Ich musste nicht lange überlegen. Ich ging zwischen ihn und meine ehemalige Freundin. Das letzte was ich spürte war der Schmerz auf meinem Kopf und ein seltsam befriedigendes Gefühl.
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