Hallo Achim, ein bissl schade, dass dein Thread so verwaist.
Ich persönlich finde es gut, die literarischen Texte zu unterscheiden. Trivialliteratur folgt strengen Mustern, bedient Klischees, ist sprachlich nicht anspruchsvoll. Bei der Hochliteratur wird ein Gesamtbild, welches aus Sprache, Inhalt und Interpretation besteht vermittelt. Für mich persönlich spielt die genutzte Sprache in einem Text eine sehr große Rolle, ich würde ihn mit dem Inhalt gleich stellen.
Ich finde Unterscheidungen auch gut, aber zwischen Hoch- und Trivialliteratur steht noch die Unterhaltung, und da gibt es tatsächlich ne Menge Crossover in beide Richtungen.
Deine Klassifizierung der Hochliteratur ist die gängige, und ich stimme dir erstmal in allem Gesagten zu, allerdings fehlt ein Merkmal: Das Werk (ein einzelnes oder Gesamtwerk) muss einen Anteil daran gehabt haben, dass sich die Gesellschaft veränderte. Die Epoche & Literatur, auf die das zuletzt in umfassendem Maße und auf internationaler Ebene zutraf, war vermutlich die Romantik.
Dieser Punkt macht es im Grunde unmöglich, etwas Aktuelles als tatsächliche Hochliteratur zu bezeichnen, denn wir wissen erst im Rückblick, nach 20-50 Jahren, wohin sich eine Gesellschaft - und aus welchen Gründen - verändern wird.
Da kann sich durchaus etwas abzeichnen, z.B. Margaret Atwood: A Handmaid's Tale (Report der Magd) nahm einige Gesellschaftsneuordnungen in den USA, die von nationalistischen, rückständigen Evangelisten initiiert wurden, vorweg: Entmündigung von speziell Frauen (Abtreibungs-/Verhütungsrecht, Trans-/Genderfragen, Wissenschaftsfeindlichkeit), und eine Entwicklung zur Theokratie.
Ich fand das Buch allerdings zu programmatisch, viel zu sehr auf Aussage gebürstet, schematisch/klischeehaft, und sprachlich nicht herausragend, daher hab ich es nach 50 Seiten abgebrochen. Wie Hochliteratur im Sinne Shakespeares fühlt sich das Buch nicht an, aber qua Definition könnte es passen.
Wie definiert ihr Hochliteratur für euch selbst, lest ihr sie und wie steht ihr zur Trivialliteratur, das würde mich sehr interessieren.
Ich rolle die Frage mal von hinten auf: Was interessiert mich an Literatur, was will ich lesen?
Das sind:
- Individuelle, komplexe Sprache / Erzählperspektive, die passend zum Thema gewählt wurde (quasi nach dem Motto des Bauhaus: form follows function)
- Interessante Themen, die Anteile von Philosophie, (Patho-)Psychologie, soziokulturellen und/oder historischen Thematiken haben und die komplex behandelt werden
- Prosa, die Fragen aufwirft, eventuell noch analysiert, aber keine Antworten anbietet (schon gar keine explizite Moral)
- Bücher, die eine ungwohnte Weltsicht vermitteln, oder auch eine bestehende Weltsicht / den status quo angreifen ->
Transgression
Nehme ich all das als Auswahlkriterium, müsste Trivialliteratur und ein großer Teil der Unterhaltung ausgeschlossen sein. Gehe ich jetzt aber davon aus, dass a) Hochliteratur aus dem oben genannten Grund aktuelle Publikationen nahezu ausschließt, und b) einiges an Hochliteratur zu seiner Zeit revolutionär und relevant gewesen sein mag, es aber heute nicht mehr ist, finde ich alles, was ich suche, auch in anspruchsvoller Unterhaltung *). Das ist natürlich rein persönliche Geschmackssache, aber ich finde Shakespeare nach wie vor hochaktuell, viele Vertreter der Romantik (bes. der "Nicht-Dunklen" Romantik) und vor allem die deutsche Nachkriegsliteratur hoffnungslos verstaubt.
*) Magischer Realismus, Hard Science Fiction, Dunkle Phantastik (auch historische aus UK 1750-1920). Surrealismus (worin ich die letzte wirklich revolutionäre, gesellschaftsverändernde Literatur sehe), teils Expressionismus, auch Dramen/Tragödien.
That said: Horror-Romane bilden oft ein Crossover aus Unterhaltung und Trivialliteratur: Sie sind letzteres, wenn sie ausschließlich genretypische Muster, Rollen und Perspektiven bieten. Sie können aber oft auch: eine anspruchsvolle Hochsprache bieten (Barker, Nevill), psychologische und sogar philosophische Themen behandeln; innovative, gesellschaftsrevolutionäre Perspektiven zeigen bzw. Rollen- und Verhaltensklischees aufbrechen, eine neue Ästhetik bieten. Transgression ist einer der entscheidenden Faktoren im Horror wie auch im Surrealismus. Also hat dieses Genre Elemente aus allen drei Kategorien, und zwar durchaus im selben Werk. Gleiches gilt selbstverständlich für andere Untergenres der Phantastik, v.a. SciFi.
Und wenn man sich Animal Farm, 1984 oder weiter östlich die Werke der Brüder Strugatzki anschaut, gibt es tatsächlich SciFi, die zuverlässige Vorhersagen zu Entwicklungen in Politik und Gesellschaft gemacht haben, die inzwischen z.T. eingetreten sind. Nimmt man Osteuropäische SciFi, Südamerikanischen Magischen Realismus, und Phantastik generell, hat man dort auch einen großen Anteil an philosophischen Fragestellungen / Themen. (Darüber weiß ich noch nicht genug, aber ich bin versucht, die neue Chinesische SciFi hier zuzuordnen.)
Und obwohl ich meist instinktiv pro Hochliteratur argumentiere, sehe ich auch, dass Stanislaw Lem gehaltvoller und universeller ist, als Grass oder Böll. Daher könnte ich eher sagen: Ich schätze bestimmte intellektuelle/ästhetische/philosophische Anteile an Literatur, finde diese aber gar nicht so häufig wie angenommen in dem, was gemeinhin als reine Hochliteratur gilt.
Trivialliteratur im Sinne von formel- und klischeehaften Protagonisten, Themen, Plots und Erzählweisen; leichte Unterhaltung mit Happy End; banaler Stil mit geringem Wortschatz, Parabeln mit einer dezidiert pädagogisch-moralischen Intention u.ä. lese ich nicht - weil mir das einfach keinen Spaß macht, und mich auch nicht unterhält. Zu meinen no-gos gehören daher u.a. Liebesromane, politischer Sozialkitsch (empowerment literature), eskapistische Low Fantasy, religiöse Bücher.
Klar, Verderben gehört nicht unbedingt zur Hochliteratur
Jein. Der Tod eines oder aller Protagonisten kommt aus dem bzw. gehört zum klassischen Drama, und daher ist das Happy End durchaus etwas, das eher auf triviale Strömungen verweist: Die Tragödie macht Katharsis (und Analyse / intellektuelle Aufarbeitung) möglich, die Komödie dient mehr der leichten Unterhaltung.