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Warum regst du dich denn auf?
Die Frau saß den Kindern gegenüber auf einer Couch und betrachtete die Partie, die sich vor ihr abspielte. Neben dem Spielbrett standen Getränke auf kleinen Stoffservietten, gedämpft schien das Licht von draußen durch veraltete Vorhänge in das Zimmer. Aus der Küche hörte man leise Welle Nord mit "Don't stop Believin'" von Journey. Die Einrichtung und die Architektur erinnerten an den vergangenen Stil der DDR, es roch leicht modrig, so als ob schon lange nicht mehr gelüftet worden war. Der karierte Fußbodenteppich schloss bündig an die einseitige Tapete, ein altes Fernsehgerät stand flimmernd in der einen Ecke des Raumes. Der Junge nahm den Würfel und schmiss ihn auf den Glastisch, wo er fast einen Meter zurücklegte bevor er sechs zeigte und am Rand liegen blieb. Freudig rief der jüngere der Beiden sein Glück aus und bewegte sogleich seine Spielfigur. Beim zweiten Mal prallte der Würfel gegen ein Glas, was ein lautes Klirren zur Folge hatte. Das Spiel war fast zu Ende, ein gespanntes Seufzen der anderen Beteiligten war zu hören. Die Frau bat um Entschuldigung und verließ die Runde unter gespannten Blicken in Richtung Küche. Kurz darauf brach ein Gerangel im Wohnzimmer aus, ein Kissen verfehlte sein Ziel und warf eines der Gläser um, das sofort zersprang. Die Beiden sahen sich gegenseitig vorwurfsvoll an als sie anfingen die Scherben aufzusammeln. Die Frau kam gerade aus der Küche mit einem Teller Kekse zurück, die sie vorher extra gebacken und angerichtet hatte. Als die Frau fast am Tisch angekommen war, wurde die Tür auf der gegenüberliegenden Seite aufgerissen, hinter der sich das Schlafzimmer befinden musste. Ein zornig wirkender Mann blickte erst die Frau und dann die Kinder an, während er die Tür laut hinter sich zuzog.
„Was soll das denn hier werden? Du sitzt hier mit zwei verzogenen Bälgern und machst einen solchen Krach obwohl du weißt, dass ich morgen wieder früh aufstehen muss?“ Der Mann zeigte dabei mit einer ausholenden Handbewegung auf die Uhr und sah die Frau wütend an. „Es ist ja nur für einen Moment, außerdem dachte ich du schläfst schon längst.“ Die Frau stellte das Gebäck ab und wandte sich dem Mann offen zu. „Wir hatten darüber gesprochen, ich brauche abends meine Ruhe, um am nächsten Tag früh aufstehen zu können. Ich weiß nicht wieso du das tust, warum machst du das, was hast du für ein Problem?“ Der Mann wurde in seiner Gestik immer exzentrischer und auch seine Tonlage verschärfte sich. Seine rechte Hand formte er zu einer Faust, die Atmung war laut und schnell. „Du musst ja nicht gleich wieder laut werden“ entgegnete die Frau abwehrend und schaute den Mann mit funkelnden Augen an. „Du wirfst die Beiden jetzt sofort raus oder ich tue es. Und wenn das noch einmal geschieht, dann …“ „Dann was?“ unterbrach die Frau mutig, die bereits angestrengt mit den Tränen kämpfte und deren Mund leicht zuckte. Der Mann sah sie überrascht an, dann wurde er blutrot und griff sich eine Scherbe, die noch immer auf dem Tisch vor den Kindern lag. Die Frau wich erschrocken zurück und hob abwehren die Hände. „Dann zeig ich dir was das nächste Mal mit deinem Besuch passiert“ spie der Mann hervor und stach die spitze Scherbe – knapp am Gesicht der Frau vorbei- in den Türrahmen.