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Viel Harmonie

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28.01.2018
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Viel Harmonie

Den Krach in der Nacht hat die komplette Nachbarschaft gehört: erst den Knall, dann das Dröhnen der geborstenen Saiten, und jetzt ruft die Nachbarschaft komplett im Revier an. Eben habe ich aufgelegt, klingelt das Telefon schon wieder. Die Einen wollen den Schlag um acht, die Anderen um neun, einer gar um Mitternacht gehört haben. Als bräuchte es Zeugenaussagen! Gestern Abend um 21:25 Uhr ist ein Konzertflügel mit gewaltigem Radau aus dem ersten Stock des Konzerthauses auf den Parkplatz dahinter gestürzt. Ganz einfach. Was hingegen keiner der Anrufer mitbekommen hat: Unter den Trümmern des Instruments lag ein Toter.
„Natürlich. Krach in der Nacht. Danke für den Hinweis. Sehr hilfreich, Frau -“, ich starre auf das Blatt mit den kreuz und quer verlaufenden Notizen,“Hildebrand. Verzeihung. Willebrand. Natürlich. Guten Tag.“
„Es ist noch nie jemand von einem Klavier erschlagen worden. Nicht ein dokumentierter Fall!“
Grete Lotta, die Gerichtsmedizinerin. Steht in der Tür und verkündet ihre Weisheit. Für uns ist sie immer die Lotta, Müller ist ja auch der Müller. Ich bin allerdings nur der Horst, obwohl ich Horstkotte heiße. Das ist wohl zu lang oder Horst ist lustiger oder sie hoffen, dass es mich ärgert. Die Lotta legt ein paar Zettel auf den Tisch, Ausgedrucktes aus dem Internet. Spielt gern Ermittlerin. Ich gucke kurz darauf: Statistiken zum Thema Todesursache Musikinstrument. Na ja, das fällt tatsächlich in ihren Bereich.
Und jetzt schaut sie mich an, von oben, weil ich sitze und sie steht, und groß ist sie zu allem Überfluss auch. Guckt belustigt, überlegen, engagiert, was weiß ich, wie eine Gerichtsmedizinerin aus dem Fernsehen eben. Ist ja beinahe unmöglich, als Kommissar oder als Gerichtsmediziner nicht die Kommissare und Gerichtsmediziner nachzumachen, die jeden Abend durch unsere Wohnzimmer streifen. Ich tue das auch. Zum Beispiel, wenn ich mir mit einer Frage Zeit lasse, so eine Art Kunstpause. Das habe ich aus dem Fernsehen. Eigentlich sollten die Fernsehkommissare ja uns nachmachen, aber inzwischen ist es wohl umgekehrt.
Die Lotta jedenfalls weiß, dass noch niemand je von einem Konzertflügel erschlagen worden ist. Bis gestern Abend, 21:25 Uhr. Denn genau in der Mitte der Konzertpause (von 21:15 bis 21:35) hat Herr Dr. Sieveke sich im Rollstuhl auf den Parkplatz schieben lassen und den jungen Zivi (oder wer das heutzutage so macht) mit der Garderobenmarke ins Konzerthaus zurückgeschickt, um den Seidenschal des Doktors zu holen. “Denn es war frisch geworden“, steht im Protokoll. Der junge Mann war noch nicht um die Ecke, da stürzte aus den oberen Fenstern des Probenraumes der Probenflügel der Philharmonie und erschlug mit betäubendem Krachen den Doktor, wobei der Rollstuhl halb zerdrückt und verbogen wurde. Die Saiten des Instruments dröhnten und vom Doktor waren lediglich ein abgeknickter Fuß und eine Hand zu sehen, die sich ins Erdreich zu wühlen schien.
Sogar ich kann die Fotos ohne Schwierigkeiten anschauen. Ich kann nämlich kein Blut sehen. Bin nicht dafür gemacht, als erster durch die Absperrung zu latschen, mir von einer Praktikantin einen Kaffee geben zu lassen und in Blut watend Anweisungen an das Fußvolk zu geben. Meine Beobachtungen mache ich unter Umgehung der unappetitlichen Einzelheiten, indem ich, was ich nicht ansehen kann, ausblende und mich umso gründlicher mit den nicht blutverschmierten Details des Tatorts beschäftige. Vorzugsweise im Büro. Bluttriefende Opfer, in denen noch das Messer steckt, sind für die Jungs, die neben der Leiche ihren Kaffee trinken. Dieser Fall ist gut anzuschauen, aber wenig subtil. Die Lotta beugt sich jetzt doch zu mir herab, schiebt die Fotos beiseite und schaut in meine Unterlagen.
Der Flügel, so der Orchesterwart, soll ihm und dem Paukisten nebst einigen anderen Helfern aus den Händen geglitten sein, und zwar als sie das Instrument für den Transport vorbereiteten. Wegen der nachmittäglichen Wärme hatten sie die Fensterfront geöffnet, dann den Flügel ans Fenster geschoben und die Rollen blockiert, um die Beine abzuschrauben. Nun habe, so die Zeugenaussage, die die Lotta jetzt herausgreift und liest, die Arretierung des dem Fenster zunächst stehenden Flügelfußes nicht gehalten oder sei eben in dem Moment abgebrochen, als sie das entferntere Ende anhoben, sodass der Flügel in Schieflage auf das Fenster zugerollt sei und sie, in ihrer Panik, statt ihn fallen zu lassen, zu halten versucht hätten, und dem Riesending hinterher auf das Fenster zugetänzelt wären. Bis es zu spät war. Bis der rollende Vorderfuß über die Fensterschwelle fuhr und mit ihm die ganze Angelegenheit in die Tiefe stürzte. Grad noch rechtzeitig, heißt es in der Aussage des Orchesterwarts, hätten sie in ihrem Schrecken losgelassen, sonst wäre noch einer von ihnen hinterhergefallen.
„Vielleicht ist das ja etwas für einen Ihrer Vorträge“, grinse ich zur Lotta hoch, „Tod durch Klavier. Der erste Fall in der Geschichte der Menschheit. Oder: Doktor August Sieveke - Der erste Mann unterm Flügel.“
Ich erinnere mich nur zu gut an ihren letzten Artikel: Menschen, die Tote in ihren Wohnungen zu verstecken versuchen. Weil sie sie ermordet hatten, weil sie durch den Tod überfordert waren oder weil sie es schlicht nicht ertrugen, vom Verstorbenen getrennt zu sein. Während des Lesens war mir ein deutlicher Geruch von verwesendem Fleisch in die Nase gestiegen, und als ich am Ende angelangt war, musste ich mich übergeben.
„Ist unser Doktor denn an einem Klavier gestorben?“
„Sie sind die Gerichtsmedizinerin. Ist er an dem Schreck darüber gestorben, dass ein Klavier auf ihn stürzte?“
„Sie sind der Kommissar. Wenn es noch nie passiert ist, ist es dann wahrscheinlicher, dass es sich um ein Verbrechen handelt oder um einen ganz dummen Zufall?“
„Wenn es noch nie passiert ist – woher soll ich das wissen?“
„Der Gussrahmen hat ihm das Genick gebrochen. Es hätte auch alles Mögliche andere sein können – eins der Holzbeine hätte seinen Schädel spalten können zum Beispiel. Die Überlebenschancen liegen bei null.“
Geringe Überlebenschancen sind für die Lotta also ein Hinweis auf einen Mord.
„Wenn wir einen Mann, der seit fünf Jahren im Rollstuhl sitzt, mit einer Handvoll Schlaftabletten vergiften, ist er am nächsten Tag auch tot und auf der Polizeistation rufen keine zweihundert Leute an, die etwas zu einem potenziellen Fall zu sagen haben.“
„Sie würden das natürlich besser machen!“ , freut sich die Lotta, „Was uns zur nächsten Frage führt: Sind Ermittler die besseren Mörder?“
Ich zucke die Schultern und denke an meinen Nachbarn, dessen Hund ich vor zwei Jahren vergiftet habe. Natürlich ist mir keiner auf die Schliche gekommen. Aber ich habe auch kein Klavier auf das Viech geworfen.
„Also Unfall. Haben Sie die Papiere abgegeben?“
„Jetzt fragen Sie mich noch, ob ich alles richtig ausgefüllt habe.“
„Ich frage Sie, ob Sie mit mir ins Konzert gehen.“
Da guckt sie.
„Ein Benefizkonzert, heute Abend. Und der neue Flügel wird eingeweiht, Geschenk des Verstorbenen. Ironie des Schicksals! Der Intendant der Philharmonie war eben hier. Wollte seine Hilfe anbieten. Da hatte er die Karten übrig. Es sind zwei Karten. Wollen Sie mitkommen?“
Die Lotta ist tatsächlich mitgekommen. Weil sie misstrauisch ist, weil sie die Musik liebt, weil sie sonst nichts zu tun hat, weil sie der Fall interessiert oder weil sie der Meinung ist, dass man mich da nicht allein hingehen lassen kann.
In ihrem schwarzen Wieheißtdasgleich und noch sieben Zentimeter größer wegen der Absätze sieht sie aus, als ginge sie jeden Tag ins Konzerthaus. Legt mir im Eingang lässig ihren Mantel über den Arm, als wüsste ich natürlich, klar, dass es mein Job ist, ihn an die Garderobe zu bringen. Danke, Lotta! Ich dränge mich zwischen die Herren, die Damen warten bei den Spiegeln. So läuft das hier. Als ich durch die Menge zu ihr zurückrudere, finde ich schon den Intendanten bei ihr, einen kleinen, dicken, dabei wendigen Menschen mit raspelkurz geschnittenen Haaren.
„Herr Kommissar!“, zu mir, „Gnädigste!“, zu ihr. Die Lotta und ich schauen uns an. Und er dies und das zum traurigen Anlass, zum Vergnügen, uns hierhergelockt zu haben, sowie eine Einladung nach dem Konzert irgendwohin, ganz in der Nähe, Jour fixe, reizende Leute, freuen sich bestimmt. Wie jetzt, nach dem Konzert zu fremden Leuten? Ich schaue die Lotta hilfesuchend an.
Ob er uns zu unseren Sitzen führen dürfe?
„Guten Abend, Frau Mayer!“, brüllt er eine ältere Dame an, die dicht an uns vorbeihuscht. Sie reagiert nicht.
„Frau Mayer ist praktisch taub.“
+Ich nicke verständnisvoll.
Im nächsten Saal drängen sich Konzertbesucher an Stehtischen oder umlagern eine Bar, hinter der ein junger Mann eine Sektflasche nach der anderen in hohe Gläser leert. Hat da eben jemand „Das ist doch ein schöner Tod!“ gesagt?
„Hier entlang, bitte! Ach, Frau Gerber-Stoeck!“ Eine elegante Dame, einen knallbunten Schal um die kantigen Schultern, dreht sich um.
„Ich darf Ihnen mitteilen, dass wir Ihrer Bitte nachgekommen sind. Herr Doktor Sieveke hätte es nicht anders gewollt. Sein Platz steht Ihnen zur Verfügung: Reihe 4, Platz 20.“
Frau Gerber-Stoeck beugt sich vor und greift beide Hände des Intendanten.
„Wer, wenn nicht Sie!“, er reißt sich los und lotst uns durch die großen Holztüren in den Konzertsaal.
„Reihe sieben ist eigentlich ideal. Sieben bis zehn, wenn Sie mich fragen. Also, wenn Sie die Musik hören wollen, wenn sie der Konzertmeisterin in den Ausschnitt gucken wollen, sind die vorderen Reihen natürlich besser. Alles schon dagewesen. Wobei, Sieveke zog Reihe vier vor, aber der mochte es bekanntermaßen laut. Und rechts besser als links, ich meine, außer Sie wollen unbedingt in der Geige herumschwimmen. Frau Gerber-Stoeck hat so ein feines Gehör – aber auch eine scharfe Zunge! Sie hat bisher neben der armen Frau Mayer gesessen. Frau Mayer hört ihre eigenen Bonbonpapiere nicht, das knistert in einem fort. Jemand wie Frau Gerber-Stoeck kommen da natürlich Mordgedanken, das kann man niemandem verübeln. Ich musste die beiden auseinandersetzen. Auch wenn ich gute Angebote für den Sievekesitz hatte! Wissen Sie, unter der Hand, sie glauben nicht, was die Leute versuchen. Ich treffe Sie nach dem Konzert am Ausgang. Reizende Begleitung!“, flüstert er mir abschließend noch ins Ohr.
„Falls Sie vorher noch keine Intendanten kannten, kennen Sie jetzt alle“, sagt die Lotta gemütlich und streckt die Beine unter den vor ihr stehenden Stuhl.
„Das fanden Sie jetzt also nicht verdächtig!“
„Die sind immer verdächtig. Darum sind wir ja hier, oder? Gehen wir anschließend zum 'Digestivo'?“
Digestivo. Wohl das neumodische Pendant zum Aperitivo. Schlimm genug. Aber mit der Lotta! Mit der Lotta ist Digestivo cool. Was würden die Kollegen sagen, die Kollegen dürfen es keinesfalls erfahren.
„Natürlich. Vielleicht finden wir ja was heraus, nicht wahr?“

Von wegen! Der Verein der Freunde der Philharmonie hat gerade eben sein langjähriges und finanzkräftiges Mitglied, den Doktor Sieveke, verloren, und der Mann wird den ganzen Abend über kein einziges Mal erwähnt! Der Intendant reicht mir einen Brandy Alexander zusammen mit der Erörterung der Frage, ob es sich bei diesem Getränk tatsächlich um einen Aperitif handle, obwohl man unmöglich danach essen könne, oder ob man ihn den klassischen Cocktails, die eigentlich am Morgen danach zu trinken sind, zuordnen solle. Schon beim Anblick der hellbraunen Sauce wird mir schummerig. Ich warte einen Moment und mache ein bisschen auf Fernsehkommissar: wende den Blick dem Intendanten zu und frage ihn langsam nach einer Kunstpause:
„Wie sehen Sie denn den Fall Sieveke, Herr Intendant?“
Da er mich Herr Kommissar nennt, ist das wohl passend.
„Immer bei der Arbeit, der Herr Kommissar, wie Ihre Kollegen im Fernsehen, wie?“
Bevor ich darauf hinweisen kann, dass die „Kollegen aus dem Fernsehen“ Schauspieler sind und nicht meine Kollegen, fährt er fort: „Entspannen Sie sich! Meine Aussage – wahrscheinlich kennt der tüchtige junge Mann sie bereits auswendig“, das an die Lotta, und direkt danach wendet er sich schon an die Konzertmeisterin, der er unbedingt „unseren“ Kommissar vorstellen muss. Mir wird sie tatsächlich als Fräulein Ingrid vorgestellt. Eine Frau um die fünfzig, schlankes Gesicht, hochgestecktes, blondes Haar und überhaupt und insgesamt das Abziehbild einer Geigerin. Man spricht über Musik, ich halte den Mund. Ich liebe klassische Musik. Sie gibt mir eine gewisse Ruhe, besonders im Konzert, wenn ich auf meinem Stuhl sitze und gezwungen bin, meinen Gedanken in Ruhe zu folgen. Das ist sehr angenehm. Ich höre dabei allerdings fast nie zu. Die Lotta hingegen hat genau zugehört. Sie sagt ein paar ganz allgemeine Sachen, denen alle begeistert zustimmen. War ja klar. Lehnt sich zurück, während der Intendant ihr Weinglas auffüllt und sagt etwas Kluges über Musik.
Das Einzige, was wir erfahren, ist, dass der aus dem Fenster gestürzte Flügel heute abgeholt und der Musikschule hätte übergeben werden sollen. Durch die großzügige Spende des verblichenen Doktors ist ja ein nagelneuer Konzertflügel für den Saal im Erdgeschoss gekauft worden. Ebender der Flügel, der heute Abend mit Beethovens drittem Klavierkonzert eingeweiht worden ist. Und der alte Konzertflügel ist jetzt aufgestiegen in den Probenraum im ersten Stock. Unfallfrei, Gott sei Dank, so der Intendant. Nur die Musikschule hätte das Nachsehen, man wäre bereits dabei, durch eine Spendenaktion Ersatz zu schaffen.
„Hatte denn der Herr Doktor Sieveke Feinde?“, frage ich gedankenverloren und nehme mir noch so ein Käseplätzchen, das aber nicht Käseplätzchen heißt, sondern irgendeinen komischen italienischen Namen hat, wie auch die Pizzastückchen nicht Pizza heißen, sondern irritierenderweise einen englischen Namen haben. Es ist doch merkwürdig, diese ganzen Leute sind merkwürdig, denke ich, schmeckt eindeutig wie Käseplätzchen.
„Feinde!“, der Intendant schreit fast vor Lachen. „Glauben Sie mir, der arme Doktor war der gutmütigste Mensch der Welt. Der hatte keine Feinde. Lassen wir ihn in Frieden ruhen, nicht wahr?“
Mit einigen Mühen verabschieden wir uns von den Freunden der Philharmonie und treten in den Vorgarten des geschmackvoll renovierten Fachwerkhauses. Hier ist es sehr still.
„Komische Leute“, sage ich. „Komischer Fall.“
„Die sind immer so, glaub mir.“ Hat mich die Lotta eben geduzt?
„Und es war ein Unfall, kein Fall. Hab die Unterlagen bereits eingereicht.“
Sie legt mir zum Abschied die Hand auf die Schulter und lässt sie langsam meinen Oberarm hinuntergleiten. Ich stehe stocksteif.
„Gute Nacht, Herr Kommissar!“
„Gute Nacht, Lotta.“
Ich habe sie danach lange nicht gesehen. Der Fall ist als Unfall zu den Akten gelegt worden.
Fräulein Ingrid lässt mir zwar freundlicherweise regelmäßig Karten für die Philharmoniekonzerte zurücklegen, es sind aber Einzelkarten, sodass ich die Lotta gar nicht fragen kann, ob sie mitkommen will.
Inzwischen bewege ich mich geschmeidig durch die Sitzreihen. Ich brülle Frau Mayer ein freundliches „Guten Abend“ in die verkalkten Gehörgänge, lasse mir von der Frau Gerber-Stoeck ein Halsbonbon aufzwingen, das ich vor Konzertbeginn aufzulutschen angewiesen werde, und setze mich endlich neben die winzige Witwe Wurm, eine jederzeit frisch geföhnte Dame, die tatsächlich nach Kölnisch Wasser riecht. Sie sieht mich beklommen an, wenn ich mich hinsetze. Zuerst habe ich gedacht, ich säße auf dem falschen Platz, und das mag Frau Wurm auch so erscheinen, denn auf Platz 36, Reihe sieben, hat achtunddreißig Jahre lang ihr Mann gesessen. Bis vor drei Jahren, als er eines Abends nach dem Essen plötzlich in sich zusammenfiel und starb. Danach hat sie sein Abo noch zweimal verlängert, endlich aber eingesehen – oder sich von ihren Kindern einreden lassen - dass es doch Geldverschwendung sei, einem Toten Konzertkarten zu kaufen. Sie solle lieber „etwas Schönes“ machen, etwas „für sich“. So die allgemeine Meinung.
Ich bin auch regelmäßiger Gast im geschmackvollen Fachwerkhaus geworden. Der kleine Sessel am Kamin ist mein Stammplatz, und da mir am ersten Abend der Brandy Alexander schlecht bekommen ist, haben sie festgesetzt, dass ich als Kommissar natürlich ein Manhattan-Typ bin. Ich habe mich daran gewöhnt. Schlürfe meinen Drink und knabbere meine Häppchen, die nach Käse, Brot und Oliven schmecken und deren Namen ich nicht aussprechen kann. Die beiden Gastgeber, der Intendant – jetzt Fritz – und Fräulein Ingrid kümmern sich jeder ein bisschen um mich und laden mich nachdrücklich zu ihrer nächsten kleinen Soiree, wie sie es nennen, ein. Im Gegenzug verabschiede ich mich früh und überlasse die musikalischen Menschen ihren musikalischen Gesprächen.
Fräulein Ingrid ist besonders unterhaltsam, eine Klatschtante. Wer mit wem wann in wessen Haus, sie kennt die Hautevolee des Städtchens wie ihre Westentasche. Von ihr weiß ich, dass die Musiker ihr Publikum ihren Silbersee nennen, wegen der weißen und grauen Haare und der glänzenden Glatzen dazwischen. Tatsächlich wirken alle Besucher der Soireen, von den Musikern abgesehen, ausgesprochen alt.
Ich schlenkere meinen Drink im Glas, wie ich es im Fernsehen gesehen habe. Ingrid streicht mir eine Strähne aus dem Gesicht.
„Schöne Haare haben Sie, Herr Kommissar. Siebte Reihe rechts, nicht wahr? Ich habe Sie im Blick.“
„Na, meinen Glückwunsch. Donnerwetter, Sie sind mir ein flotter Käfer. Lässt nichts anbrennen, der Herr Kommissar.“ Natürlich: Fritz, der Intendant. Über den ich mittlerweile auch verschiedenes gehört habe.
„Ich habe leider gar nichts zu sagen. Ich weiß nicht einmal, wie man über klassische Musik spricht.“
„Umso besser: einer, der keine Vorträge hält!“ Susanne, die Gastgeberin.
„Auf den schweigenden Genießer!“ Fritz wieder.
„Ach was, sagen Sie einfach, was Ihnen in den Kopf kommt. Im Zweifelsfall was Nettes“, raunt mir Ingrid ins Ohr.
Wenn man mich jetzt über ein Konzert befragt, rede ich einfach über Dinge, die mir während der Musik durch den Kopf gegangen sind. Als ich von einem Urlaub am Meer mit der Lotta träumte, machte ich daraus ein flüssiges Stück Musik, sinnlich und flüssig, habe ich gesagt. Sie fanden die Beschreibung herrlich. An einem anderen Abend war ich ganz damit beschäftigt, auf ein Weihnachtsgeschenk für meinen Vater zu kommen. Ich beschrieb die Musik als etwas zeremoniell, dabei durchaus human. Es hätte an beiden Abenden das gleiche Programm sein können, es wäre mir nicht aufgefallen. Nicht zuhören zu müssen, ist, was ich an den Konzerten am meisten schätze.

Weihnachten ist längst vorüber, die Tage werden länger. Endlich wird es auch wärmer: Man redet jetzt vom Ende der Saison. Das tut man mit einiger Leidenschaft, denn das letzte Konzert im Juni wird auch das Abschiedskonzert des vergötterten Dirigenten sein.
„Er wird weiterziehen, an die große Häuser des Landes, ja, der Welt, und ein Stück, ein Fetzen der Herzen dieser Menschen wird ihn begleiten. Vielleicht wird er den Saal und seinen Silbersee vergessen, aber hier werden sie sich immer an ihn erinnern“, deklamiert Fritz, der Intendant, und klopft sich an die Brust. Mir werden die Konzertabende fehlen und auch die Soireen; wie schnell man sich gewöhnt, denke ich. Aber im Herbst wird es weitergehen. Wenn sie mich nicht vergessen haben bis dahin.

Am letzten Abend im Juni trage sogar ich eine Krawatte. Frau Gerber-Stoeck scheint diesmal erfolgreich die Halsbonbons aus dem Publikum verbannt zu haben. Kein Räuspern in den Generalpausen, nicht einmal ein leises Schniefen. Niemand, der im Programmheft blättert oder auch nur seine Konzertkarte zwischen den Fingern hin- und herrollt. In der Reihe vor mir sitzen sie steif und zur Bühne hin gelehnt. Ich reckt mich ein bisschen und lehne mich ebenfalls vor, schließe die Augen und höre genüsslich nicht zu, bis mich tosender Applaus aus meinen Gedanken reißt, der bald von dem Getrappel unzähliger Füße begleitet wird. Die alten Damen tappen mit beigefarbenen Damenschuhen auf das Parkett des Saales und klatschen dabei wie rasend in die rot und blau anlaufenden Hände. Die Köpfe der Platzanweiserinnen sind feuerrot, das Orchester verneigt sich wieder und wieder. Nicht enden wollender Applaus, das habe ich mal gelesen. Jetzt weiß ich, was es bedeutet. Ich klatsche, auch mir schmerzen die Hände, aber ich und alle hier befinden uns in den Händen einer überlegenen Kraft. Ob wir aufhören wollen oder nicht: Wir klatschen weiter. Der Applaus hält uns in seinen Klauen und er will nicht enden.
Ob sich schon einmal wer zu Tode geklatscht hat, frage ich mich, als ein Japsen direkt vor mir das Getöse durchschneidet. Ein grauer Haarschopf mit künstlichem Dutt rutscht seitlich vom Stuhl auf den Boden. Mehrere Frauen kreischen.

„Es ist noch nie jemand von einem Klavier erschlagen worden. Es hat sich noch nie jemand zu Tode geklatscht. Außer in unserem Verein der Freunde der Philharmonie. Das gibt dir nicht zu denken?“
„Ein fünfundachtzigjähriger im Rollstuhl. Eine beinahe Neunzigjährige mit Herzrhythmusstörungen. Nein, mir gibt das nicht zu denken. Sollte es das?“
Die Lotta und ich duzen uns tatsächlich.
„Ich werde mir eure Leiche ganz genau ansehen. Auf den Bericht werdet ihr warten müssen.“

Weg ist sie. Und am nächsten Tag schon um acht auf der Schwelle.
„Was wiegt so ein Konzertflügel?“
„Vierhundert. Können auch fünfhundert werden. Wieso?“
„Weil wir uns haben verarschen lassen! Ein vierhundert Kilo schwerer Gegenstand kann niemandem aus der Hand gleiten. Weil ihn niemand halten kann. Verstehst du? Etwas, das du nicht heben kannst, kann dir nicht aus der Hand fallen.“
„Ich könnte es umwerfen.“
„Das Fenster stand offen. Und dann versagt die Arretierung? Wir waren blind, Herr Kommissar.“
„Es war Pech! Der arme Orchesterwart stand völlig unter Schock. Wie willst du den alten Mann im Rollstuhl unter das Fenster kriegen, aus dem du im nächsten Moment einen Konzertflügel schubst! Das ist absurd.“
„Es ist nicht absurd. Weißt du noch, der Abend nach dem Konzert? Du hast gedacht, die sind verdächtig, und ich habe gesagt, die sind immer so. Ja! Diese Leute sind immer verdächtig! Mit ihren Häppchen à la Hachmichwas und ihren Raumklängen und Schwanengesängen und der Bedeutung von Mozarts g-Moll im Gegensatz zu Haydns d-Moll, natürlich haben die Leichen im Keller. Das kannst du ihnen sagen, deinen neuen Freunden: Ich werde es finden. Die Einstichstelle, die Nadel, die Tablette, das Gift, die Überdosis. Was es auch ist, ich werde es finden.“

Während nach seinem Tod niemand Doktor Sieveke auch nur erwähnt hat, ist das plötzliche Ableben der Witwe des Studienrates Großkopf das einzige Thema des nächsten Digestivos. Sie hat keine direkten Erben. Laut Testament soll ihr Vermögen in eine Stiftung zur Förderung der Kultur unseres Landkreises einfließen, um insbesondere die Pflege der klassischen Musik in unseren Breiten zu unterstützen.
„Da werde ich mich zum Herrn Landrat persönlich bemühen müssen“, erklärt Fritz behäbig. „Muss man immer ein Auge drauf haben, wie die Gelder verteilt werden. Wie geht es der reizenden Freundin?“
Ich verstehe erst gar nicht, von wem er spricht.
„Dem Fräulein Gerichtsmedizinerin“, fügt er an. Er meint die Lotta!
„Hat wohl viel zu tun, kommt gar nicht mehr zu unseren Soireen?“
„Der Fall Großkopf beschäftigt sie sehr. Ausgepumpt haben wir bereits. Jetzt untersucht sie den Körper auf Einstichspuren“, erwidere ich und behalte ihn dabei fest im Blick. Die sind immer komisch, ganz richtig. Aber in diesem Moment scheint mir Fritz ganz besonders komisch.
„Nun, ich hoffe, dass sie den armen alten Körper bald den Hinterbliebenen und der ewigen Ruhe auf unserem schönen Friedhof überantworten kann. Waldfrieden, nicht wahr? Ich würde da selbst beerdigt werden wollen. Urnengrab, versteht sich. Haben Sie diesbezüglich Pläne?“ Der Intendant sieht mich merkwürdig eindringlich an.
„Pläne? Nein! Ich dachte, es gibt keine Erben?“
„Keine direkten Erben. Zurück bleibt immer jemand, Sie kennen sich ja aus. Also wenn Sie unserer gemeinsamen Freundin – ich will natürlich keinen Druck machen, aber ich würde mich freuen, sie wiederzusehen. Richten Sie ihr das bitte aus. Und Sie kommen doch zu unserem Ausflug?“
„Ausflug?“
„Natürlich, sie sind doch auf der Liste! Nach Paderborn, ich bin sicher, ich habe Ihren Namen gesehen! Ihre Sitznachbarin, die kleine Frau Wurm, nicht wahr? Die wollte doch immer diesen polnischen Künstler sehen, fragen Sie mich bloß nicht nach seinem Namen! Jedenfalls fahren wir nach Paderborn. Sie haben doch frei am Sonntag?“
Ich höre von dem Ausflug zum ersten Mal. Man will ein Kunstwerk sehen, ausgestellt nur in diesem Winter in einer Kirche in Paderborn. Ein in der Art alter Gemälde gefilmtes Bild, Tag und Nacht zur Ehre der Madonna auf eine Leinwand projiziert. So soll man einen Engel sehen, der sich in bauschigem Gewand der lesenden Jungfrau nähert. Ein Windstoß geht durch seine Kleider, während eine ganz leichte Brise mit dem Haar der Maria spielt, die langsam ihr Gesicht hebt und den Engel ansieht. Die Vergänglichkeit der menschlichen Existenz wird laut Prospekt von einem Käfer vorgestellt, der sich in der halben Stunde, die der Film dauert, von rechts, der Seite, auf der Maria sitzt, durch das hohe Gras am Engel vorbei bis links zum Bildrand und schließlich aus dem Bild heraus bewegt. Worauf der Film von neuem beginnt und der gleiche oder selbe Käfer am rechten Bildrand wieder auftaucht und sich auf denselben mühseligen Weg über die ausgefeilte Wiese am unteren Bildrand macht. Witwe Wurm, eine der wenigen Katholikinnen im Verein, hat den Ausflug angeleiert, in der Art der Fahrten, die Schulklassen vor den Sommerferien unternehmen. Nach dem Besuch in der Kirche soll es einen Imbiss, einen Besuch im Stadtmuseum und ein Kammerkonzert in einer zum Kammerkonzertsaal umgebauten Fabrikantenvilla geben. Ich sage sofort zu.

Das hätte ich mir besser überlegen sollen. Mir wird nicht nur beim Anblick von Blut, sondern auch bei Busfahrten schlecht. Ich sitze seekrank auf der Kirchenbank und starre auf den leuchtenden Engel, die blasse Maria, die langsam das Gesicht dreht und ich beobachte den müden Käfer, der mit jedem Ablauf des Films älter und verzweifelter gegen Grashalme anzukämpfen scheint. Auch ich fühle mich müde und alt und verloren im hohen Gras. Der Käfer verschwindet, ich schließe die Augen. Als ich sie wieder öffne, hat sich das Licht in der Kirche verändert. Ich muss eingeschlafen sein, die anderen sind schon im Stadtmuseum. Man hat mich hier vergessen. Nicht nur mich. Neben mir sitzt die beklommene, kleine Witwe Wurm, neben der ich die Konzerte der gesamten Saison gehört habe, auf dem Platz ihres Mannes sitzend, Platz 36, Reihe sieben. Ihr Kopf lehnt in der Ecke des Gestühls, sie schläft. Eine kleine, in sich gekehrte Frau, die man leicht irgendwo vergessen kann.
Ich räuspere mich, flüsterte: „Frau Doktor Wurm!“, wobei ich sie tatsächlich, wie der Intendant, mit dem Titel ihres Mannes anrede.
Vorsichtig berühre ich ihre Schulter. Da sackt Frau Wurms Oberkörper nach vorn, rutscht weiter halb links an ihren Beinen vorbei und mit einem Schlag liegt die ganze Witwe vor mir auf dem Boden.
Ist ein Kommissar ein guter Mörder? Ein guter Kommissar, bestimmt!
Eine gute Gerichtsmedizinerin ist noch besser.

Statt mich um die Witwe zu sorgen oder ihren Tod festzustellen, rufe ich die Lotta an, die mir zuhört, als wäre es eine ganz alltägliche Sache, so in einer Kirche neben einer Leiche aufzuwachen.
„Hast du Handschuhe dabei?“, fragt sie.
„Nein!“
„Geh raus! Nicht durchs Hauptportal. Lauf in der Stadt herum. Ich hole dich ab.“
„Wo?“
„Bahnhof. Am Bahnhof, Gleis 3. Das gibt es doch, oder? Sonst vier. Und schau in deine Tasche.“
Ich bin überfordert.
„Ein Mann wacht neben einer Leiche auf. Was ist das?“, fragt sie.
„Eine Falle.“
„Richtig. Warum?“
„Weil sich keiner neben sein totes Opfer schlafen legt.“
„Genau. Also, fast keiner. Den Krankenwagen rufe ich. Bis gleich!“
Mit leerem Kopf und kalten Füßen stolpere ich durch den Kreuzgang auf die Straße. Der Wall direkt hinter mir, hier finde ich eine Parkbank, über die ich meinen kleinen Rucksack ausschütte. Zwischen Mütze, Brieftasche, Schokoladentafel und mehreren Stiften eine Spritze und zwei leere Ampullen. Haben die wirklich geglaubt, sie kämen damit durch? Ich besorge Einmalhandschuhe und kleine Tütchen in der nächsten Apotheke und habe alles aufgeräumt und mit Notizen versehen, fertig für die Jungs von den Fingerabdrücken, als die Lotta mich am Bahnhof abholt.

Am nächsten Tag erfahre ich, dass man in der Kirche nicht gewagt hat, meine Andacht zu stören, dass des Weiteren Witwe Wurm friedlich entschlafen sei, Diabetes und dazu ein krankes Herz, das überrascht niemanden. Letztlich ist es für alle besser so. Zu ihren Ehren, denn sie hat den Verein der Freunde der Philharmonie für den Fall ihres Ablebens mit einer großzügigen Spende bedacht, werden am kommenden Freitag spontan Auszüge aus ihrer Lieblingsmesse von Mitgliedern des Kirchenchores und der Philharmonie zum Vortrag kommen.
Der Intendant klopft an meine Bürotür, als die Lotta mir ihre letzten Analysen vorlegt.
Bescheiden grüßt er und legt zwei Eintrittskarten für das Gedenkkonzert auf den Tisch. Hinter ihm schaut Fräulein Ingrid zur Tür hinein. Zum Glück sind die Kollegen in der Mittagspause!
„Bestechung“, sagt Lotta.
„Richtig“, antworte ich. „Zwei Stunden klassische Musik, eine Handvoll unaussprechlicher Käsehappen und zwei Manhattan. Dafür vertuschen wir ein paar Morde, was meinen Sie, Fräulein Lotta?“
Die Lotta guckt mich streng an, Fräulein Ingrid schwebt an ihr vorbei und lehnt sich über meinen Schreibtisch.
Der Intendant verneigt sich vor der Lotta, mir patscht er zweimal auf den Rücken.
„Herr Kommissar, nehmen Sie diese Billetts als Zeichen unserer Bitte um Entschuldigung an.“
Billetts? Er schiebt die Konzertkarten über den Tisch. „Versuchen Sie, zu verstehen! Uns - und unsere Kunden!“
Lotta und ich sehen uns an. Von wem redet er?
„Wer sind wir, diese Menschen sich selbst zu überlassen, auf der Suche nach nichts anderem als einem würdigen Abschied, einem Ende, in dem das Erhabene dieser Welt der nächsten die Hand reicht?“ Versteht die Lotta, was er sagt? Sie hat die Arme über der Brust verschränkt und scheint abzuwarten. Ich zucke mit den Schultern, und der Intendant redet sich erst richtig in Schwung: „Was gib es Höheres, als im Angesicht der Schönheit, im Erleben der Musik sein Leben auszuhauchen? Viele unserer Mitglieder wünschen sich nichts sehnlicher! Und auch wenn die derzeitige Rechtslage kein Verständnis zeigt, tun wir alles, aber wirklich alles, um ihren Wünschen entgegenzukommen; unerschrocken und kühn auf gefährlichem Weg, des Abgrunds nicht achtend.“
„Das sind drei Morde mindestens und Sie haben daran verdient“, erklärt die Lotta mürrisch. „Was stellen Sie sich vor, wo wir hier sind!“
„Meine Liebe!“, mischt sich Fräulein Ingrid ein. „Wir haben doch nicht persönlich daran verdient. Vielleicht geht es unserem Verein etwas besser, aber davon profitieren alle, die ganze Stadt! Wir werden einen ganz ausgezeichneten Dirigenten gewinnen können, der letzte war gar nichts dagegen, sind schon in Verhandlungen!“
Sie warf den Kopf nach hinten, als schwänge sie eine blonde Mähne von links nach rechts über ihre Schulter. „Kein Schaden, kein Kläger. Sagt man nicht so? Wir sind aufgeflogen, aber doch nur Ihnen. Und mit Ihnen können wir reden.“
„Ich habe die notwendigen Dokumente: Abschiedsbriefe, Willenserklärungen, notarielle Beglaubigung ...“
Fritz streut Blätter aus seiner Mappe auf den Tisch. Tatsächlich, ein Notarstempel, Römkens, Emil. Römkens? Das war doch der Herr mit der Hornbrille, direkt vor mir, Reihe 6. Die steckten wirklich alle unter einer Decke! Ich muss hörbar ausgeatmet haben, denn Fräulein Ingrid spricht jetzt mit einer ganz hohen Stimme, wie zu einem Kind: „Vielleicht finden Sie, dass wir unsere Aktivität einstellen sollten. Auch darüber könnte man zum Beispiel reden, nicht wahr, Fritz? Wenn Sie unbedingt, unbedingt darauf bestehen. Sagen wir, wir nehmen keine Aufträge mehr an. Für laufende Projekte (sie sagte tatsächlich „Projekte“!) müssten wir natürlich bereits geleistete Anzahlungen erstatten. Sie können mir glauben, der Herr Doktor und die beiden Witwen, die sind auf eigenen Wunsch gegangen, genau, wie sie es sich erträumt haben. Schwelgend. Und ganz ehrlich, wir hatten schon Anfragen aus der Schweiz. Da haben wir aber gesagt, nicht wahr, nein, wirklich, diesen besonderen Service bieten wir nur Mitgliedern unseres Vereins der Freunde der Philharmonie an. Uns geht es um die Kunst. Aber das sage ich Ihnen, das wäre ein ganz, ganz großer Markt, und wenn sich da Kriminelle breitmachen würden, in diesem Segment! Zum Glück sind wir Musiker. Gott sei Dank! Ist nicht unsere Kernkompetenz, nicht wahr, Fritz.“
„Einige Damen und Herren werden natürlich sehr enttäuscht sein, wenn wir jetzt aufhören“, ergänzt Intendant Fritz trocken. Er hebt mit spitzen Fingern ein Blatt hoch, um es mir zu zeigen. Ich entziffere die erste Zeile, mit krakeliger Hand ins Papier gekratzt: „Warum ich aus der Welt scheiden will.“
„Ohne Zweifel sehr enttäuscht. Man wird der Meinung sein, Sie hätten alles darangesetzt, uns auszuspionieren und dann in den Rücken zu fallen.“
„Man wird mit Spannungen rechnen müssen, wenigstens bei den Soireen.“
„Da hat man Sie so freundlich aufgenommen. Der schöne Platz am Kamin!“
„Wir sind davon ausgegangen, Sie wären im Bilde.“
„Wir dachten, Sie unterstützten unser Projekt. Künstlerisch, aber auch moralisch. Eigentlich hatten wir uns gefragt, ob sie nicht mittelfristig an unserer Dienstleistung interessiert wären. Langfristig. Da wären wir auf Sie zugekommen. Auch finanziell.“
„Da haben wir uns wohl geirrt. Ich bin neugierig, wie Ihre Kollegen das sehen werden.“
Geplänkel, schlechte Witze, unterschwellige Drohungen und alles wie aus dem Fernsehen abgeguckt. Die blonde Ingrid sitzt auf meinem Schreibtisch, ihre hübschen Knie ragen aus dem Rock, und in den Händen dreht sie meinen Bleistiftspitzer, während Fritz mit dem Rücken zu uns am Fenster steht und sich geräuschvoll die Glatze kratzt. Endlich ist die Mittagspause vorbei, die Kollegen klappern mit den Türen. Fritz und Ingrid schleichen in den Gang zurück. Die Lotta schließt die Tür. Ich denke an die kleine Frau Wurm und dann an den Hund meines Nachbarn. Wie viel ruhiger und besser es sich jetzt in meiner Straße lebt. Das haben auch andere festgestellt, das Pärchen von gegenüber zum Beispiel. Wir stehen am Zaun und unterhalten uns, daran war vorher nicht zu denken gewesen bei dem Gebell.
„Kriminelle Energie im Dienst der Allgemeinheit. Gibt's das schon, als Forschungsthema?“
„Willst du die echt laufen lassen!“
„Ich weiß es nicht, nein, natürlich nicht! Sonst halten die sich noch für Gott, stimmt's?“
Ich nehme die Konzertkarten und reiße sie in kleine Fetzen. „Heute schon was vor?“
„Was ist denn im Angebot, Horst?“
„Jour fixe: Bier in Kneipe.“
„Saubere Soirée. Ich hol dich ab.“

Ich trete vors Polizeigebäude. Es ist warm geworden. Die Musiker haben Pause, das Konzerthaus wird für zwei Monate geschlossen und meinen Bericht hat das Kriminalamt morgen früh auf dem Tisch. Eine Melodie geht mir durch den Kopf, klein und abgebrochen, ein alter Tanz oder etwas aus einem der Konzerte, richtig: aus dem ersten Konzert. Mein erster Abend in der Philharmonie, neben mir die Lotta. Beethovens Klavierkonzert. Das dritte? Vierte? Egal. Vielleicht gehe ich wieder hin, nicht hier, aber die Konzerthalle ein paar Orte weiter, die ist regelrecht berühmt. „Hervorragende Akustik“, wer hat das gesagt? Fritz? Eher seine zickige Ingrid. Am Ende spielen sie da sogar besser. Nicht, dass ich es merken würde. Den Anfang des letzten Satzes von Beethovens drittem Klavierkonzert summend, rücke ich mich auf dem Fahrersitz zurecht und drehe den Schlüssel im Zündschloss, als plötzlich ein Blitz, ein weißes, brennendes Licht den Knall der Explosion überholt.

 

Hallo Placidus!

Nur ganz kurz. Hab den Text grade erstmals gelesen und möchte ihn jedenfalls nochmal lesen. Ein paar Flüchtigkeitsfehler sind mir in diesem gelungenen Text aufgefallen, die ich gleich loswerden möchte.

Sie jetzt alle.“ sagte die Lotta gemütlich und streckte die Beine unter den vor ihr stehenden Stuhl.
Komma, kein Punkt.
ließ mir von der Frau Gerber-Stock ein Halsbonbon aufzwingen,
Gerber-Stoeck
Die Platzanweiserinnen hatte feuerrote Köpfe,
hatten
„Es ist noch nie jemand von einem Klavier geschlagen worden.
erschlagen
„Nun ich, hoffe, dass sie den armen alten Körper bald den Hinterbliebenen und der ewigen Ruhe
Nun, ich hoffe, dass ...
wurde eine Besichtigung mit gemeinsamen Mittagessen und nachmittäglichem Konzert im Paderborner Stadtmuseum organisiert.
gemeinsamem
Ich flüsterte: „Frau Doktor Wurm!“,
Kein Rufzeichen.
hier fand ich eine Parkbank, über die ich meinen keinen Rucksack ausschüttete.
kleinen
Und ich bitte Sie, versuchen Sie auch mich zu verstehen! Und unsere Kunden!“
Ich denke, das erste Rufzeichen kann entfallen.
Würde nach: versuchen Sie, ein Komma setzen.
Sagen wir, nehmen keine Aufträge mehr an.
fehlt hier nicht etwas?
„Warum ich aus der Welt scheiden will“ stand da.
Komma nach: will",
„Willst du die echt laufen lassen!“
Frage oder Aussage? Ist für mich eher eine Frage.

LG, Manuela :)

 

Liebe @Manuela K. , danke für die schnelle Rückmeldung - habe auch ganz schnell die Flüchtigkeitsfehler ausgeräumt, dann brauchen sich die nächsten Leser nicht zu ärgern...
LG
Placidus

 

„Ist unser Doktor denn an einem Klavier gestorben?“, fragte sie zurück.

In der Regel les ich keinen Krimi,

liebe – oder doch bitter böse,
böse Placidus,

und der beste, den ich wider eigenem Vorsatz dann sogar bis zu Ende gelesen hab, ist von Patricia Highsmith, besteht der doch (mehr als meine Einsatzgeschichte hierorts) aus einem Satz und lässt sich folglich auch in einem Satz zusammenfassen, wenn ein junger Mann einen Vater um die Hand seiner Tochter bittet und sie auch bekommt – per Paketpost.

Aber keine Bange, Deine feine Ironie korrespondiert der gerade vorweggestellten und wenn man weiß, was ein Klavier wiegt, so kann die bös[haft]e Tat nur als ein kollektives Geschehen gedeutet werden. Keine Bange, niemand kann mein Grinsen erkennen – da ist das graue Haarwerk vor ... und wenn die neue Welle wieder rollt, wird es auch eher zunehmen als dass es weniger würd.

Paar kleine Anmerkungen

Was keiner der Anrufenden mitbekommen hatte, war, dass unter den Trümmern des Instruments ein Toter lag.
Warum die zwo „wa…“, wenn’s ohne „was“ auch geht durch schlichtes Möbelrücken

„Keiner der Anrufenden hatte mitbekommen, dass unter den Trümmern des Instruments ein Toter lag.“
Schönes Spiel mit dem nun doch in die Jahre kommenden Horst und selbstironisch
Ich war leider nur der Horst. Mein Nachname ist Horstkotte, aber das war wohl zu lang oder sie fanden Horst lustiger oder sie hofften, dass es mich ärgern würde.

Der erste Mann unterm Flügel“.
Der Satz hätt auch als Eingangszitat stehen können – aber so kann der Punkt eins vor und das Gänsefüßchen eins zurückgesetzt werden, fast unauffällig -
und hier die Frage
Die Überlebenschancen sind, für eine im Rollstuhl sitzende Person, gegen null.“
warum die Kommas?

Tatsächlich standen dort vornehmlich Herren, in Anzug oder Jeans mit Jackett, und gaben die Mäntel ihrer Damen ab, die in ihren schwarzen oder beigen Hosen, mit schwarzen oder beigen Jacken, farbenfrohe[n] Schals um den Hals, vor einer großen Spiegelwand warteten.
Warum Kommas, wenns auch ohne geht?

„Gute Nacht, Herr Kommissar!“
„Gute Nacht, Lotta.“
Ist die ungleiche Ausstattung mit dem Ausrufezeichen eine Regieanweisung?

Es hätte an beiden Abenden das gleiche Programm gewesen sein können, es wäre mir nicht aufgefallen.
Schön gezwirbelt … weg mit dem Gewese

..., die der Film dauerte, von rechts, also der Seite, auf der Maria saß, durch das hohe Gras am Engel vorbei bis links zum Bildrand und schließlich aus dem Bild heraus bewegte.
„herausbewegte“

Woraufhin der Film von neuem begann und der gleiche oder selbe Käfer am linken Bildrand wieder auftauchte und sich auf denselben mühseligen Weg über die ausgefeilte Wiese am unteren Bildrand machte.
Schöner Seitenhieb auf Besserwisserei

Mir war während der Busfahrt etwas, wie Fritz sagte, blümerant geworden – jetzt rede ich auch schon so!
Der Zeitenbruch ist sicherlich statthaft

Neben mir saß meine beklommeneKOMMA kleine Witwe Wurm, neben der ich die Konzerte der gesamten Saison gehört hatte, …

„Bahnhof. Am Bahnhof, auf Gleis 3. Es gibt doch ein Gleis drei, oder? Sonst vier. Und schau in deine Tasche.“
ja, zwei mal „drei“ langweilt ...

Sagt man das nicht so, als Jurist?
Komma weg!

„Ich habe die Dokumente: Abschiedsbriefe, Willenserklärungen, notarielle Beglaubigung[...]…“
… direkt am Wort behaupten, da fehle zumindest ein Buchstabe ...

Jetzt stehen wir manchmal am Zaun und unterhalten uns, daran war vorher nicht zu denken gewesen, bei dem Gebell.
Komma weg,

meint der

Friedel

 

Lieber @Friedrichard
beziehungsweise
Dear Friedel,

das freut mich ja, dass mein"Krimi" (wenn's denn einer ist) dir ein Grinsen hinters Bartgeflecht zaubern konnte.
Deine Flusen habe ich eingewoben, unter (vorläufiger) Auslassung der Gut Nacht- Geschichte, in der Tat: es handelt sich um eine Regieanweisung, vielleicht ist das erlaubt - mal schauen.
Jedenfalls bin ich bass erstaunt, dass keine Konjunktivfehler gefunden wurden. So wird, wenn nicht alles, so doch alles Mögliche, immer besser!

Lieben Gruß vom Berg-Fuß
Placidus

 
Zuletzt bearbeitet:

Liebe Placidus!

Pfiffiger Titel! Habe deinen Text grade erneut gelesen. Im Vergleich zu L'Isolée oder dem flüssigen Jungen in den Heizungsrohren der Kinderklinik - mein Lieblingstext von dir - fällt er literarisch doch etwas ab. Er ist zweifellos unterhaltsam und satirisch angelegt, ließ mich auch da und dort verschmitzt lächen, reißt mich aber nicht vom Hocker. Das pointierte Ende gefiele mir besser, stünde die Geschichte im Präsens, denn im Rückblick den eigenen Tod zu beschreiben, ist halt so eine Sache. Wie auch immer. Ein gern gelesen geht sich jedenfalls aus. :)

„Umso besser: einer, der keine Vorträge hält!“
Bin mir nicht sicher. Denke aber, dass es nach dem Doppelpunkt groß weitergehen sollte.
Er würde weiterziehen, an die große(n) Häuser des Landes, ja, der Welt, und ein Stück, ein kleiner Fetzen der Herzen dieser Menschen würde ihn begleiten.

Wir waren blind, Christoph.“
Die einzige Vornamensnennung des Kommissars. Braucht es sie überhaupt? Würde es nicht pfiffiger wirken, wenn sie ihn hier Hr. Kommissar nennt?
Wir sind aufgeflogen, aber doch nur Ihnen.
Wir sind Ihnen aufgeflogen?
Und mit Ihnen können wir reden, nicht wahr?
Doppelung.

Lieben Gruß,
und Danke für (den indirekten Hinweis) auf Franz Werfels Roman Die 40 Tage des Musa Dagh, den ich mir flugs herunterlud. ;)

 

Liebe @Manuela K. ,

ganz herzlichen Dank für deinen Kommentar! Der Text ist ein erster Versuch im eher komischen/ satirischen Bereich, insofern kann ich gut nachvollziehen, dass er noch etwas, na ja, leiert. Die Idee, ihn komplett ins Präsenz zu setzen, ist sehr gut, werde ich machen und bei der Gelegenheit versuchen, die ganze Sache etwas knapper und schärfer zu gestalten.
Dass du dir den Musa Dagh geladen hast, freut mich, nicht nur wegen der Aktualität, sondern auch als Werfel-Fan. Werde nächste Woche selbst in Österreich meine Werfel-Bestände für den Winter auffrischen, allerdings in Papierform - ich kann vom Blättern einfach nicht lassen!

Lieben Gruß
Placidus

 

Liebe @Placidus , dir "schulde" ich gefühlt eine Menge Kommentare; denn deine Neugierde auf meine Romankapitel ist für mich immer reine Motivation. Also will ich die Gelegenheit hier gerne nutzen und dir meine Gedanken da lassen. Da ist nichts falsch und ich habe es insgesamt sehr gerne gelesen, aber an einigen Stellen fiel mir dann dich etwas auf bzw. Ein. Merkst du was? Der Schreibstil färbt ab 😅

Ich war eben dabei, die Zeugenaussagen abzutippen. Den Schlag hatte die halbe Nachbarschaft gehört,
Auch nach dem dritten Lesen stolperte ich über diesen Anfang. Für mich ist da ein Sprung, auf den du mich aber nicht hinweist.
Das sind unterschiedliche Ereignisse, Zeiten - nur fehlt da ein geschmeidiger Übergang, sorry.

Es ist noch nie, nie jemand von einem Klavier erschlagen worden. Kein einziger dokumentierter Fall!“
Grete Lotta, die Gerichtsmedizinerin. Ernst wie immer, fast streng
Wenn sie ernst, streng klingen soll, würde ich den ersten Satz kürzen, straffen. Ich kriege ihn so nicht streng gelesen. Mag natürlich an mir liegen.

Die Lotta hatte ein paar Sachen ausgedruckt, die spielt immer gern bei den Ermittlungen mit. Statistiken zum Thema Todesursache Musikinstrument. Na ja, das fällt tatsächlich in ihren Bereich.
Ich mag den mittleren und hinteren Teil der Geschichte sehr, aber der Anfang zog sich für mich. Nein, natürlich breche ich keine Geschichte von dir ab, aber ich wurde arg ungeduldig. Brauchst du das alles wirklich?

Die Lotta jedenfalls kam rein, jung und forsch, und wusste, dass noch niemand je von einem Konzertflügel erschlagen worden war. Bis gestern Abend 21:25.
Ab hier in etwa fand ich es gut. Da war weniger Ballast und die Sprache war konsequent kompliziert. Mochte ich (meistens)!

den Lieferantenparkplatz hatte schieben lassen und ihn mit der Garderobenmarke ins Konzerthaus zurückschickte, um den Seidenschal des Doktors zu holen, denn
Hier wollte ich eigentlich einen Bezugsfehler anmerken, aber wenn ich jetzt darüber nachdenke, dann ist das aus Sicht des Kommissars korrekt.

Ich bin auch nicht dafür gemacht, als erster durch die Absperrung zu latschen, mir von einer Praktikantin einen Kaffee geben zu lassen und in Blut watend Anweisungen an das Fußvolk zu geben. Ich arbeite lieber im Büro
Mochte ich sehr, da sind schöne überzogenen Grinssätze drin.

Von dem Flügel hieß es, er sei dem Orchesterwart namens Boris und dem Paukisten Gert nebst einigen anderen Helfern aus den Händen geglitten, als sie das Instrument für den Transport am nächsten Tag vorbereiten wollten.
Das ist so eine Stelle, wo ich mich von den vielen Namen (die ich nie wieder brauche) überfordert fühle.

Vielleicht ist das ja etwas für einen Ihrer Vorträge“, schlug ich vor, „Tod durch Klavier. Der erste Fall in der Geschichte der Menschheit. Oder: Doktor August Sieveke - Der erste Mann unterm Flügel.“
Herrlich! Ich bitte um eine Geschichte mit den Vorträgen! Bitte!

Sie würden das natürlich besser machen!“ Jetzt freute sich die Lotta. „Was uns zur nächsten Frage führt: Sind Ermittler die besseren Mörder?“
Ups!
Die Dialoge zwischen den beiden habe ich sehr genossen, vielleicht war ich also nur ungeduldig und wollte mehr davon ( daher einige der folgenden Meckerstellen)

Ich dachte an meinen Nachbarn, dessen Hund ich vor zwei Jahren vergiftet hatte.
Interessanter Konflikt!

Da hatte er die Karten übrig. Es sind zwei Karten. Wollen Sie mitkommen?“
Nochmal ups - ich mag deine Wendungen!

Als ich zur Lotta zurückkam, stand der Intendant bei ihr, ein kleiner, dicker, dabei sehr wendiger Mensch mit raspelkurz geschnittenen Haaren.
Hier fiel mir auf ( und später nochmal), dass du viele Nebenrollen super beschreibst, dafür unsere beiden Protagonisten unbeschriebenes und "nur" über die Dialoge charakterisiert werden. Empfand ich als etwas inkonsequent, wenn es auch jammern auf hohem Niveau ist.

Herr Doktor Sieveke hätte es nicht anders gewollt. Sein Platz steht Ihnen ab sofort zur Verfügung: Reihe 4, Platz 20. Ich bitte Sie!“
Wofür steht das "ich bitte sie!"? Sie hat ja noch gar nicht reagieren können, denn er spricht ohne Punkt und Komma. Ich hatte hier vermutet, dass es um dir Sitzordnung ginge, schöne Ablenkung/falsche Spur.

Wissen Sie, unter der Hand, sie glauben nicht, was die Leute versuchen. Ich treffe Sie nach dem Konzert am Ausgang. Reizende Begleitung!“, flüsterte er mir abschließend noch ins Ohr.
Ich sah den Tyoen wirklich vor mir, insofern könnte ich auch weiterhin auf Beschreibungen verzichten.

Das fanden Sie jetzt also nicht verdächtig!“
„Die sind immer verdächtig.
:Pfeif:
fragt man sich, ob sie wirklich die Lotta ist oder am Ende vielmehr eine heimliche von Lotta.
Mh! Hier hatte ich ein Fragezeichen km Gesicht, fand den Zusammenhang nicht. War aber heute auch ein harter Tag, mag daran liegen.

Das einzige, was wir erfuhren, war, dass der aus dem Fenster gestürzte Flügel, der sogenannte alte Probenflügel, am nächsten Tag abgeholt und der Musikschule hätte übergeben werden sollen, weil ja durch die großzügige Spende des verblichenen Doktors, der übrigens gar kein Arzt war, wie ich angenommen hatte, sondern Ingenieur, ein nagelneuer Konzertflügel für den Saal im Erdgeschoss gekauft worden war, eben der, der heute Abend mit Beethovens drittem Klavierkonzert eingeweiht worden war.
Generell genieße ich den Schachtelsätze, aber der hier ist schon echt lang. Und die zwei worden war am Schluss finde ich unschön.

Nur die Musikschule hätte das Nachsehen, man wäre aber bereits dabei, durch eine Spendenaktion Ersatz zu schaffen.
Ups, der ist doch gestern erst verstorben/gemordet worden. Die sind aber fix.

plötzlich in sich zusammenfiel und starb
Fällt ein Mensch zusammen? Dabei denke ich an ein Souffle und die einfallende Mitte! Zusammensinken?

Die Gastgeber Rolf und Susanne, der Intendant, der jetzt Fritz hieß,
Noch so ein Namenscrash ...

klatschten wie rasend in die rot und blau anlaufenden Hände.
Vom Klatschen. Oder die Altfrauenhände mit roten Flecken und blauen Adern?

Hat wohl viel zu tun, kommt gar nicht mehr zu unseren Soireen?“
Sie war doch wirklich nur einmal dort, oder?

bald den Hinterbliebenen
Hatte ich gestutzt, aber du erklärst das ja etwas später. Eventuell die Reihenfolge überdenken oder sogar ein Streichkandidat.

Von dem Ausflug hatte ich noch nichts gehört. Aber es schien, als erwarte man meine Teilnahme. In Paderborn hatte dieser polnische Künstler, dessen Namen ich mir nicht merken kann, sein eben fertiggestelltes Altarbild ausgestellt.
Hier war ich dann kurz am abschweifen - wo soll das noch hinführen?

Dafür vertuschen wir ein paar Morde, was meinst du, Lotta?“
Der Intendant patschte mir auf den Rücken und verneigte sich vor der Lotta.
Kurzer Gedankengang. Wenn die ausgehen, sich sogar sympathisch sind, würde er dann ihre Arbeitsspitznamen verwenden? Hätte ich zumindest ein akzeptierendes Grinsen ganz am Anfang von ihr erwartet, er behauptet ja sogar " Angst" vor ihr zu haben.

Das sind drei Morde mindestens und Sie haben gut daran verdient“, erklärte die Lotta mürrisch. „Was stellen Sie sich vor, wo wir hier sind!“
Ist mürrisch hier richtig?

Kein Schaden, kein Kläger. Sagt man das nicht so als Jurist? Wir sind aufgeflogen, aber doch nur Ihnen. Und mit Ihnen können wir reden, nicht wahr? Über alles reden.“
Wir sind ihnen aufgeflogen? Klingt schräg, oder? Und eine sehr coole Wendung!

Da haben wir aber gesagt, nicht wahr, nein, wirklich, diesen besonderen Service bieten wir nur Mitgliedern unseres Vereins der Freunde der Philharmonie an.
Wie Ehrenhaft! Ich mag den Twist, der dahinterliegt. Tolle Idee

Kriminelle Energie im Dienst der Allgemeinheit. Gibt's das schon, als Forschungsthema?“
Ja, man kann alles begründen, der Zweck heiligt die Mittel

rückte ich mich auf dem Fahrersitz zurecht und drehte den Schlüssel im Zündschloss, als plötzlich ein Blitz, ein weißes, brennendes Licht den Knall der Explosion überholte.
Und ja! Du hast mich nochmal überrascht, ich habe mich einlullen lassen.
Auch wenn ich ein paar Gedanken dagelassen habe, mag ich die Geschichte dennoch sehr gerne, für mich gäbe es halt ein paar Wünsche ...
Liebe Grüße und ich hoffe beim Handykommentieren nicht zuviele Tipfehler eingebaut zu haben.
Witch

 

Hi, it's me again!

Behutsame Straffung wäre tatsächlich eine gute Idee. Und im Präsens kommt die Story sicher besser, imho. Und nochmal kurz zu Werfel: Die ungeheure Brutalität, die er in den 40 Tagen beschreibt, ist teilweise kaum auszuhalten. Interessant, dass dieses Buch noch knapp vor Hitlers Machtergreifung auf den deutschen Buchmarkt kam und sofort von den Nazis nicht nur verboten, sondern auch öffentlich verbrannt wurde. Spiegelt die Handlung doch Eins zu Eins die unvorstellbaren Verbrechen einer angeblichen Herrenrasse gegenüber den Verfemten. Hier die Armenier, dort die Juden. Nur der zahlenmäßige Maßstab differierte. Sonst nichts.
Sorry for some offtopic. ;)
LG

 

Liebe Placidus,

21:25 ein

Ich würde 'Uhr' schreiben, stocke jedes Mal ein bisschen, aber vielleicht nur eine Vorliebe/Gewohnheit.

Lieferantenparkplatz

Wird später wichtig, allerdings fand ich dieses Wort maximal ungeschmeidig.

Eigentlich sollten die Fernsehkommissare ja uns nachmachen, aber ich glaube, inzwischen ist es umgekehrt.

Ist so eine witzige Metabeobachtung, die ja auch den ganzen Text durchzieht. Finde ich wichtig und vor allem gut gemacht.

Den Schlag hatte die halbe Nachbarschaft gehört

Also da würde ich noch mal ran. Das hat mich irregeführt. Ich war sofort bei körperlicher Gewalt. Ich würde das schon über das richtige Geräusch machen, meinetwegen einen Knall oder etwas Gleichwertiges.

weil sie es schlicht nicht ertrugen, vom Verstorbenen getrennt zu sein. Während des Lesens war mir ein deutlicher Geruch von verwesendem Fleisch in die Nase gestiegen, und als ich am Ende angelangt war, musste ich mich übergeben.

Das fand ich gut. Fänd das noch einen zusätzlichen Satz wert, der diese Absurdität noch mal verdeutlicht. So etwas wie: ... dass ihr (der Hinterbliebenen) der Geruch von verwesendem Fleisch erträglicher gewesen sei, als die Vorstellung vom Verstorbenen getrennt zu sein.

Ich dachte an meinen Nachbarn, dessen Hund ich vor zwei Jahren vergiftet hatte.

:baddevil:

Geschenk des Verstorbenen. Ironie des Schicksals.

schön eingefädelt

Hatte da eben jemand „Das ist doch ein schöner Tod!“ gesagt?

guter Hint im Nachhinein, bin ich in dem Moment gar nicht drauf gekommen. Aber auch als 'Freudscher Verhörer' super.

Bevor ich darauf hinweisen konnte, dass die „Kollegen aus dem Fernsehen“ Schauspieler sind und nicht meine Kollegen

heheh

das ich vor Konzertbeginn aufzulutschen angewiesen wurde

:-)

winzigen Witwe Wurm

:-)

einer jederzeit frisch geföhnten alten Dame

:-)

man merkt, die Dichte an coolen Bemerkungen, Beobachtungen, Sätzen nimmt hier – für mich – drastisch zu, auch wenn ich jetzt nicht alles zitieren werde.

und das mochte Frau Wurm auch so scheinen

erscheinen

Sie solle lieber „etwas Schönes“ machen, etwas „für sich“. So die allgemeine Meinung.

Heheh. Auch schön zynisch im Subtext. Sowieso finde ich "Subtext" zur Analyse dieses Textes einen wichtigen Aspekt. Spätestens ab der Hälfte des Textes fangen die Sätze an, immer auch auf einer zweiten Ebene zu kommunizieren. Ganz einfaches Beispiel für das, was ich meine: "Die winzige Frau Wurm" – da ist es offensichtlich der Name. Aber das geht auch auf grammatikalischer, syntaktischer und vor allem semantischer Ebene und alles bedienst du sehr gut.

Die Gastgeber Rolf und Susanne, der Intendant, der jetzt Fritz hieß, und Fräulein Ingrid kümmerten sich jeder ein bisschen um mich und luden mich nachdrücklich zu ihrer nächsten kleinen Soiree, wie sie es nannten, ein, wenn ich mich zurückzog und die musikalischen Menschen ihren musikalischen Gesprächen überließ.

Hier würde ich eine kleine Satzunterbrechung einbauen. So in etwa:

Die Gastgeber Rolf und Susanne, der Intendant, der jetzt Fritz hieß, und Fräulein Ingrid kümmerten sich jeder ein bisschen um mich und luden mich nachdrücklich zu ihrer nächsten kleinen Soiree, wie sie es nannten, ein. Vorausgesetzt aber, ich zog mich zurück überließ die musikalischen Menschen ihren musikalischen Gesprächen.

Ich finde "zurückziehen" aber auch zu viel. Vielleicht eher auf 'sich einlassen', 'sich entspannen' gehen – also euphemistischer.

Donnerwetter, Sie sind mir ein flotter Käfer

Hier musste ich so lachen. Was für ein geiler Oma-Begriff. Werde sicher fortan einigen Leuten aus meinem Umfeld damit auf die Nerven gehen.

Weihnachtsgeschenk für meinen Vater zu kommen. Ich beschrieb die Musik als etwas zeremoniell, dabei durchaus human.

Schon sehr witzig und gut gemacht.

Der Applaus hatte sich ihrer bemächtigt

Auch das toll beobachtet. Starkes Bild, das hier heraufbeschworen wird.

Ob sich schon einmal wer zu Tode geklatscht hat, fragte ich mich, als ein Japsen direkt vor mir das Getöse durchschnitt. Ein grauer Haarschopf mit künstlichem Dutt rutschte seitlich vom Stuhl auf den Boden. Mehrere Frauen kreischten. „Es ist noch nie jemand von einem Klavier erschlagen worden. Es hat sich noch nie jemand zu Tode geklatscht. Außer in unserem Verein der Freunde der Philharmonie. Das gibt dir nicht zu denken?“

Auch wirklich gut die Spannung angezogen.

aus dem Bild heraus bewegte. Woraufhin der Film von neuem begann

Hier erscheint mir der Punkt zu viel zu sein. Würde Semikolon oder sogar Komma verwenden.

Die Vergänglichkeit der menschlichen Existenz wurde von einem Käfer vorgestellt, so hieß es in den ausliegenden Flyern, der sich in der halben Stunde, die der Film dauerte,

Würde hier die Sätze etwas umstellen, sonst klingt es, als hätte sich der Flyer durchs Bild bewegt und nicht der Käfer. So:

Die Vergänglichkeit der menschlichen Existenz, so hieß es in den ausliegenden Flyern, wurde von einem Käfer vorgestellt, der sich in der halben Stunde, die der Film dauerte, ...

Mir war während der Busfahrt etwas, wie Fritz sagte, blümerant geworden – jetzt rede ich auch schon so!

Super :D

und beobachtete den müden Käfer, der mit jedem Ablauf des Films älter und verzweifelter gegen Grashalme anzukämpfen schien.
Ich vergaß völlig die Zeit, fühlte mich selbst müde und alt und verloren im hohen Gras

Der Satz im Übergang zum vorangestellten Satz ist für mich auch wieder so ein Beispiel von gelungenem Subtext.

„Ein Mann wacht neben einer Leiche auf. Was ist das?“, fragte sie nach einer Pause.
„Eine Falle“, antwortete ich.

Stark.

„Herr Kommissar, ich verstehe Ihren Unmut. Nehmen Sie die Karten als Zeichen meiner Bitte um Entschuldigung an. Versuchen Sie, auch mich zu verstehen! Und unsere Kunden!“
Lotta und ich sahen uns an. Von wem sprach er?

Hmm. Das geht mir hier dialogisch ein kleines bisschen zu schnell. Ich würde mir wünschen, dass er nicht damit herausplatzt, sondern sich vielleicht Dinge in Gesten und überhaupt dem Kontext ihres Besuchs erklären, der mit den Karten in der Hand und dem feinen Aufzug ja fast wie ein Geburtstagsbesuch anmutet, dass Horst und Lotta das selbst klar wird und vor allem auch dem Leser; dass da der Kippmoment etwas eleganter, vielleicht nonverbal eingeleitet wird.

wir hatten schon Anfragen aus der Schweiz.

Das finde ich so einen wichtigen Satz. Weil da für mich das Thema überhaupt erst so richtig in die Nähe der Sterbehilfedebatte gerückt ist, die der Text definitiv auch anspricht. Da wird der Text plötzlich um zwei Köpfe größer, als er das eigentlich schon ist.

drehte den Schlüssel im Zündschloss, als plötzlich ein Blitz, ein weißes, brennendes Licht den Knall der Explosion überholte.

Sehr dramatisch, aber irgendwie auch 'ulkig', absurd konsequent. Könnte man auch offener enden lassen.

Diese ganze Seniorenwelt des Vereins der Freunde der Philharmonie ist so authentisch geschildert, dass du selbst damit Erfahrung haben musst oder dir das sehr gut hast erzählen lassen. Ist jedenfalls sehr gelungen. Bei den kriminalistischen Angelegenheiten wirkt es stellenweise etwas holperig, unscharf oder nicht so bis ins Letzte 'authentisch' – man merkt, dass der Text, sobald du dieses Terrain hinlänglich beschrieben und dich endlich dieser Vereinswelt zuwendest, plötzlich einen gewaltigen Inspirationsschub erlebt. Ich finde Horst auch ein wenig undeutlich gezeichnet. Sowieso ist das erste Viertel des Textes eigenartig vage, fast etwas kontrastarm. Sodass ich eigentlich schreiben wollte, sorry Placidus, nicht meins. Dann bin ich aber ganz schnell von diesem Urteil abgekommen und am Ende bei folgendem angelegt:

Danke für die schöne Geschichte, Placidus. Wirklich ein sehr sauberes Stück. Richtig gut gemacht, top 'lektroriert' (habe den Begriff merkwürdigerweise auch bei der aktuellen Story von Peeperkorn geschrieben, aber ja, das ist mein Eindruck; hier sitzt einfach alles). In mir ruft eine Stimme 'Empfehlung, Empfehlung!', vielleicht mache ich das ja noch; vielleicht ja auch jemand anderes. Der Text hätte das – so meine Meinung – auf jeden Fall verdient. Ein tolles Stück Kriminalliteratur mit Witz und viel Hintersinn. Hat echt Spaß gemacht.

Beste Grüße
Carlo

 

Liebe @greenwitch, liebe @Manuela K. und lieber @Carlo Zwei,

ich hänge wieder sehr hinterher -
Carlo, danke dir sehr für deinen Kommentar, ich werde mir dafür nächste Woche Zeit nehmen, wenn ich etwas gründlicher bearbeite. Jedenfalls sehr richtig beobachtet: auch wenn ich mich nicht zum Silbersee rechne, kenne mich unter Konzertbesuchern besser aus als unter Kommissaren. Daran kann man arbeiten -
Liebe Witch, ich habe schon einmal ein paar "Wünsche" von dir umgesetzt, besonders die Beschleunigung am Anfang. Ein paar Stolpersteine habe ich auch aus dem Weg geräumt, der erste Satz ist allerdings noch nicht darunter. Da muss ich warten, bis mir was besseres einfällt. A propos: 9. Kapitel? :D
Und da ich schon offtopic bin, Manuela: Ja, der Unterschied Progrom - Genozid wird so klar von Werfel erfasst, 1933, das ist erschreckend. Verbrannt wurde von ihm allerdings fast alles... Aber noch bezeichnender: Seine Hauptquelle Johannes Lepsius Bericht über die Lage des armenischen Volkes in der Türkei wurde schon bei der Veröffentlichung in Deutschland 1916 verboten! Herrje, ich hoffe, du liest inzwischen etwas angenehmeres!
Euch einen schönen Abend, lieben Gruß
Placidus

 

A propos: 9. Kapitel? :D
Bin dran! Aber erst die offenen Fäden, also ein Zwischenkapitel und gleich noch eine Überarbeitung. Aber dann! Ist es dran. Ich überlege nur immer noch, ob ich doch ins Forum gehe oder bei Discord bleibe. :-)

 

So, also das wäre jetzt meine neue Version, danke an @Manuela K. , @greenwitch und @Carlo Zwei!
Carlo, ich habe ziemlich alles von ihr Aufgestöberte ausgeputzt, danke dafür! Dass dir der Text trotz des schleppenden Einstiegs am Ende gefallen hat, hat meine Motivation zusammengehalten, so dass ich jetzt einen Sack Füllwörter rausgekehrt habe, die Axt an zu lange Sätze gelegt, das Ganze ins Präsenz gezerrt und ein paar Übergänge neu geschmiert habe.
Besen, Axt, Ölkanne gehen zurück in den Keller, und der Overall rotiert schon in der Waschmaschine.
Ich freue mich an den Verbesserungen, ganz herzlichen Dank für die Hilfe!
Eure Placidus

 

Moin, moin @Placidus ,

da habe ich mir das Lesevergnügen doch glatt nochmal gegönnt ...
Schön gestrafft, natürlich liest sich vieles mit Abstand einfacher, da ich ja weiß, wo es drauf hinaus läuft. Ich finde, du hast jetzt den Satirischen, Komödienhaften Teil schön geschärft, macht Spaß.

Ich habe aus reiner Gewohnheit mit zitiert, ignoriere den Kleinkram einfach, falls es dir zu viel wird.

Nachbarschaft gehört: erst den Knall, dann das Dröhnen der geborstenen Saiten, und jetzt ruft die Nachbarschaft
Nix falsch, nur weil das Nachbarschaft so untereinandersteht, fällt es mir halt doppelt auf. Aber natürlich kannst Du es auch bewusst als Stilmittel gewählt haben. Etwas schärfer: ebendiese Nachbarschaft

Grete Lotta, die Gerichtsmedizinerin. Steht in der Tür und verkündet ihre Weisheit.
hier lesen sich die seltsam kurzen Sätze komisch, ist der Punkt Absicht?

groß ist sie zu allem Überfluss auch. Guckt belustigt, überlegen, engagiert, was weiß ich, wie eine Gerichtsmedizinerin aus dem Fernsehen eben.
Grins! Ich sehe immer wieder die kleinwüchsige Gerichtsmedizinerin Alberich aus dem Münsteraner Tatort vor mir.

die jeden Abend im Fernsehen durch unsere Wohnzimmer streifen
Ich bin unsicher, aber würde es nicht auch ohne das im Fernsehen logisch sein?

Dieser Fall ist gut anzuschauen, aber wenig subtil.
Ich hadere! Hab ich beim ersten Lesen glaube ich auch schon ... Heißt das "wenig subtil" nicht, das es nicht kompliziert ist, sehr eindeutig halt. Aber ist es das nicht sogar, so auf den ersten Blick.

als sie das entferntere Ende abhoben, sodass der Flügel in Schieflage auf das Fenster zugerollt
finde ich nicht richtig. Anhoben, aufhoben, aber ab?

Bis es zu spät war: Bis der rollende Vorderfuß über die Fensterschwelle fuhr
Gehört da wirklich ein Doppelpunkt hin? Sind doch eigentlich einfach zwei aufeinander aufbauende Sätze, Steigerungen.

Es sind zwei Karten. Wollen Sie mitkommen?“
Die Lotta ist tatsächlich mitgekommen. Weil sie misstrauisch ist, weil sie die Musik liebt, weil sie sonst nichts zu tun hat, weil sie der Fall interessiert oder weil sie der Meinung ist, dass man mich da nicht allein hingehen lassen kann.
Das sind so Stellen, die lesen sich herrlich. Ein Text, den ich gerne in einer Lesung vortragen würde.

„Frau Mayer ist praktisch taub.“ Ich nicke verständnisvoll.
Ich glaube, da müsste ein Zeilenumbruch hin. Der Intendant, dann der Kommissar.

Haben Sie diesbezüglich Pläne?“ Der Intendant sieht mich merkwürdig eindringlich an.
Haha, weil man das Ende kennt besonders schön. Aber auch ohne gut (gefährliche) Stimmung machend.

Ich mag die Geschichte immer noch sehr! und habe mich jetzt erfolgreich vorm Selberschreiben gedrückt. Hurra!
Liebe Grüße
witch

 

Liebe @greenwitch ,

tausend Dank fürs nochmal Lesen! Also für subtil ist mir noch nix besseres eingefallen, mal abwarten, die Nachbarschaft habe ich ich auch vorläufig doppelt gelassen, die anderen Stellen sind entsprechend geändert. Es gibt ja immer noch eine Ecke, in der nachzuputzen ist, gut, dass ich den Schrubber noch nicht weggelegt hatte!

Liebe Grüße!
Placidus

 

Hallo @Placidus,

vorweg - gefiel mir sehr gut die Geschichte. Ich musste öfter Grinsen und auch deine Hauptfigur - das schaffen die wenigsten - lösten Gefühle bei mir aus; öfter Abscheu als Sympathie, aber Gefühle sind beim Lesen ja immer toll (solange man sich nicht über den Autor ärgert :D).

„Es ist noch nie jemand von einem Klavier erschlagen worden. Nicht ein dokumentierter Fall!“
Natürlich musst ich das sofort nachgooglen, weil ich wissen wollte, ob es wirklich etwas gibt, was es nicht gibt - die Menschheit enttäuscht da jedes Mal.😅

Während des Lesens war mir ein deutlicher Geruch von verwesendem Fleisch in die Nase gestiegen, und als ich am Ende angelangt war, musste ich mich übergeben.
Das fand ich ein wenig überzogen - weniger, weil ich nicht glauben würde, dass es solche Leute gibt, die bei detalierten Beschreibungen empfindlich sind, sondern mehr, weil er dann ja wirklich komplett im falschen Beruf wäre, wenn er es nicht mal in geschriebener Form aushält.

Ich zucke die Schultern und denke an meinen Nachbarn
Kann sein, dass man das so sagt - ist ja generell oft mehr Mundart geschrieben der Text, aber ich kenn die Wendung so nicht, darum klang es in meinen Ohren komisch, ich kenne nur "Ich zucke mit den Schultern". ABer wie gesagt, das könnte auch region-, vielleicht sogar dorfabhängig sein.

denke an meinen Nachbarn, dessen Hund ich vor zwei Jahren vergiftet habe. Natürlich ist mir keiner auf die Schliche gekommen.
Ja das war so ein Abscheumoment - Doofer Horst. -,- Aber ich find's auch gut, dass du das eingebracht hast, weil das natürlich charakterisiert und auch heraussticht, weil ja- das ist ein Arschlochmove.

Ein Benefizkonzert, heute Abend. Und der neue Flügel wird eingeweiht, Geschenk des Verstorbenen. Ironie des Schicksals!
Da musst ich grinsen.

Die Lotta ist tatsächlich mitgekommen. Weil sie misstrauisch ist, weil sie die Musik liebt, weil sie sonst nichts zu tun hat
Das fand ich auch witzig.

+Ich nicke verständnisvoll.
Warum das "+" vor dem "Ich"?

Sie sagt ein paar ganz allgemeine Sachen, denen alle begeistert zustimmen. War ja klar. Lehnt sich zurück, während der Intendant ihr Weinglas auffüllt und sagt etwas Kluges über Musik.
Das fand ich ein wenig holprig.

Ebender der Flügel, der heute Abend mit Beethovens drittem Klavierkonzert eingeweiht worden ist.
Ein "der" zu viel.

Er wird weiterziehen, an die große Häuser des Landes, ja, der Welt,
"großen"

Ich reckt mich ein bisschen und lehne mich ebenfalls vor, schließe die Augen und höre genüsslich nicht zu,
"recke" - das "nicht" fand ich auch gut - weil ja, wieder mal Charakterbildend und gut durchgezogen. :)

Ob wir aufhören wollen oder nicht: Wir klatschen weiter. Der Applaus hält uns in seinen Klauen und er will nicht enden.
Ob sich schon einmal wer zu Tode geklatscht hat, frage ich mich,
Das fand ich auch sehr gut - und ja, da konnt ich mich super in ihn hineinversetzen. Ich hasse Applaus, vor allem, wenn er nicht enden will. Auch gut, dann natürlich das mit dem "zu Tode klatschen", zumal das ja dann quasi auch passiert.

Ich werde es finden. Die Einstichstelle, die Nadel, die Tablette, das Gift, die Überdosis. Was es auch ist, ich werde es finden.
An der Stelle fände ich "sie" passender, später passt das "es", aber grade weil später "Die Einstichstelle, die Nadel etc." kommen.

„Herr Kommissar, nehmen Sie diese Billetts als Zeichen unserer Bitte um Entschuldigung an.“
Billetts? Er schiebt die Konzertkarten über den Tisch. „Versuchen Sie, zu verstehen! Uns - und unsere Kunden!“
Das sind echt komische Vögel, diese Musiker - gefällt mir auch gut, wie sich das so durchzieht. Zumal sie ihm vorher ja noch den Mord haben anhängen wollen.

Viele unserer Mitglieder wünschen sich nichts sehnlicher! Und auch wenn die derzeitige Rechtslage kein Verständnis zeigt, tun wir alles, aber wirklich alles, um ihren Wünschen entgegenzukommen
Hier dacht ich mir zuerst so: Klar, der eine wollte von nem Klavier erschlagen werden - und im nächsten Moment dachte ich: Naja, er hatte ja auch schon für ein neues gesorgt, weil das alte dadurch ja kaputt wird. xD

„Da hat man Sie so freundlich aufgenommen. Der schöne Platz am Kamin!“
„Wir sind davon ausgegangen, Sie wären im Bilde.“
Das hab ich ihnen dann doch nicht ganz abgekauft- wenn sie dachten, dass er im Bilde ist, wieso wollen sie ihm dann den Mord anhängen? Bzw. hatten vor auf ihn zuzukommen, ihn quasi einzugliedern - oder lügen sie? Da wurd ich nicht ganz schlau draus.

Wir stehen am Zaun und unterhalten uns, daran war vorher nicht zu denken gewesen bei dem Gebell.
Und prompt wurde der Horst wieder unsympathisch - gut durchgezogen, gefällt mir.

Den Anfang des letzten Satzes von Beethovens drittem Klavierkonzert summend, rücke ich mich auf dem Fahrersitz zurecht und drehe den Schlüssel im Zündschloss, als plötzlich ein Blitz, ein weißes, brennendes Licht den Knall der Explosion überholt.
Hach das Ende, damit werd ich nicht ganz warm - vielleicht, weil es mir zu plötzlich kam, vielleicht, weil ich etwas anders erwartet habe; keine Kritik an der Stelle, nur nicht das Ende was ich erwartet/favorisiert hätte.

LG Luzifermortus

 

Also ich hab spontan die ersten Sätze gelesen und konnte nicht aufhören. So würde ich meinen Krimi auch schreiben wollen.
Derzeit lese und schreibe ich keine Krimis, umso größer mein Lob an dich, dass ich es zu Ende las.
Im letzten Drittel befürchtete ich, dass es wirklich als Unfall aufhört, aber du hast die Spannungskurva ordentlich in die Höhe gezogen.

Was nicht ganz passt, ist, dass er am Sonntag in einer Apotheke tüten holte? Das müsste ja dann die Notfall Apotheke gewesein sein?

Ich mag den Humor und die Beschreibungen. Auch seine kulturelle Ansicht. Sehr schön. Danke :)

 

Hallo @Luzifermortus ,
danke fürs Lesen und deine Kommentare! Die Schreibfehler haben sich natürlich bei der letzten oder vorletzten Umarbeitung eingeschlichen, das hat noch nie geklappt bei mir. Danke fürs Auffinden. Mit dem Schluss hast du recht. In der ersten Version ging er einfach mit Lotta aus, das war mir aber zu wenig, ich wollte ja schon, dass diese Berührung mit dem Oberbildungsbürgertum was auslöst. Dann endete es mit der Melodie, die ihm einfällt, war aber auch nix, weil zu versöhnlich. Naja und als nächstes ist mir das Auto explodiert. Ich werde mir dazu noch eine kleine Einführung überlegen, weiß aber noch nicht, was. Das verwirrende "Wir dachten, Sie sind im Bilde" ist komplett draußen, wird keinem fehlen ;)
Viele Grüße
Placidus

Und natürlich: @Balnoj : Danke fürs Lesen und Kommentieren! Freut mich, dass es dir gefallen hat! Und recht hastr du mit der Apotheke - ich habe den Ausflug spontan auf den Samstag verlegt... werde aber nochmal die Örtlichkeiten nachprüfen, vielleicht braucht's gar keine Apotheke.
Herzlichen Gruß
Placidus

 

Hundekottüten (oder wie sie auch heißen) aus einem Park? zu unsteril? :D

 

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