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Ursula Priess: Sturz durch alle Spiegel.

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31.08.2008
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Ursula Priess: Sturz durch alle Spiegel.

Ich bin nicht Frisch! Ja, die Tochter vom Frisch schreibt hier, dem aus der Schule; wer hat nicht Stiller gelesen? Aber wer kennt die Priess? Ein beachtliches Leben hat sie geführt, beruflich erfolgreich und vier Kinder, sie muß sich angesichts ihrer Lebensleistung nicht verstecken, trotz allem, und doch: gegen diesen Vater kommt niemand an. So lebt dieses Buch von der Auseinandersetzung, dem immerwährenden, immer schwelenden Konflikt, dem Ringen um Beachtung, Wahrnehmung, Liebe … und wir begreifen: nicht in erster Linie der öffentliche Frisch ist das Problem, nicht die Definition der Tochter in der Gesellschaft über den Vater, sondern der Nichtvater, der Mensch, der sich beharrlich weigert, Vater zu sein und sich als Vater zu fühlen, der auch in der Tochter beständig nur die mittlerweile abgestoßene Mutter erkennt, womit eine Bindung durch Nichtliebe entstehen muß, die bekanntlich schwerer aufzulösen ist als die Bindung durch Liebe, da letztere ja die Freilassung der Tochter ins Leben zum Ziel hat. Die Tochter trägt schwer an diesem Nichtvater, ob sie ihn beständig trifft, in Gedanken an ihm hängt oder nicht trifft, weil sie radikal die Beziehung abgebrochen hat, um sie dann wieder aufzunehmen, als es ans Sterben geht; der Vater geht, wird schwach, fordert die Hilfe ein, die er selbst nie gegeben hat, und die Tochter versagt ihm diese, rächt sich sogar; im Traum zerlegt sie ihn waidgerecht.

Es ist ein fragmentarisches Buch, voller ungeordneter Notizen, durch die Geschichte von einer Affäre mit dem Mann, auf den der Vater so eifersüchtig war, damals, in der verhängnisvollen Liaison mit Ingeborg Bachmann, die für letztere tödlich endete, nur schwach zusammengehalten. Es liest sich, wen wundert`s, wie eine Kladde des Alten, manchmal hat man das Gefühl, man hielte „Stiller“ in der Hand, und wenn sie etwas von sich preisgibt, dann über ihre Art, Beziehungen zu leben, ihre Erotik, auch hier ganz in Vaters Fußstapfen. Wir erfahren viel über den Großmeister, was dem viel sagt, der ihn gelesen hat, aber dem wenig, der Frisch nicht kennt oder mag. Immer wieder geht es um Macht und geistige Kontrolle, als hätte dieser Mann seine imposante Intellektualität nur entwickelt, um seine emotionalen Defizite zu kompensieren. Ein Schlüssel ist die Szene, wie er der Tochter zuliebe in der Aula der Schule sitzt, die Theateraufführung anschaut, an der sie, seine Tochter, so engagiert und stolz mitspielt, nun besonders aufgeregt, weil ihr Vater – Ihr Vater! – im Publikum sitzt, der dann hinterher trocken feststellt, daß es ja kein Vergleich sei zum Schauspielhaus, wo richtige Schauspieler spielen würden…

Einem Kind das Gefühl auf den Lebensweg mitzugeben, daß es geliebt und gewollt ist, kostet wenige Jahre und in diesen nur wenige Augenblicke von vollständiger Präsenz; unterbleibt dies, so kann es das Kind ein Leben kosten, die Wunde zu heilen. Bleibt nur zu hoffen, daß sie es nun geschafft hat, diesen Mann zu überwinden, für ihr Leben, ihre Freiheit, und den Seelenfrieden all der zukünftigen Partner, die sie ein Stück weit begleiten. Vielleicht hält ja mal einer von ihnen den Spiegel so, daß sie sich selbst erkennt, und nicht nur immer wieder den Vater - da es jetzt einzig und allein darum geht, niemand anders zu sein als der Mensch, der ich in Wahrheit leider bin ..(kursive Texte aus "Stiller")

 

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