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Ulmann der Große

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10.09.2016
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Ulmann der Große

Ein guter Freund aus Berlin hat ihn neulich gesehen. Er hat ihn am Hüsteln erkannt.
„So hustet nur Ulmann Kowicz“, hat er gesagt. „Schon verrückt jemanden am Husten zu erkennen.“ Ich habe aus Höflichkeit mitgelacht und mich gefragt, wie es Ulmann wohl so geht. Nicht dass ich ihn vergessen hätte, wie könnte ich? Ja, ich hatte mit Ulmann gebrochen – hieß aber nicht, dass das unsere Zeit ungeschehen machte. Eine tolle Zeit. Ich habe Ulmann immer für eine Reinkarnation Alexander des Großen gehalten: Völlig größenwahnsinnig, egomanisch und unaufhaltsam.

Wir waren in derselben Klasse. Beide dreizehn und befreundet. Ich hatte diesen frühen Hang, mich für Kriminelle und anders seltsame Menschen zu interessieren. Ulmann war mindestens beides. Sein Bruder Danny war nicht mal fünfzehn, rauchte Bong und hatte im Kleiderschrank eine Graspflanze versteckt. Wie auch immer die dort wuchs. Die beiden lebten mit ihrer Mutter über einem altehrwürdigen Berliner Puff. Die Mutter war Schauspielerin und selten zu Hause. Keine hübsche Schauspielerin, keine bekannte Schauspielerin. Hier und da einen Tatort. Rauchte und trank wie sonst was und hatte das Gesicht einer Großmutter – mit Ende vierzig? Der Vater führte eine Druckerei und war für die gelegentliche Bespaßung seiner Söhne zuständig. Ein ruhiger Typ mit Glupschaugen, der ebenfalls rauchte und trank wie sonst was. Ab und an gingen Ulmann und sein Vater Enten jagen oder solch seltsame Dinge. Ulmann besaß einen achthundert Euro Kompositbogen. Mit dreizehn. Er kiffte Blunts. Mit dreizehn. Er hatte ernstzunehmenden Bartwuchs. Mit dreizehn. Das ist keine Lüge. Das ist Ulmann Kowicz. Und Ulmann Kowicz hatte auch nicht an seinem Alter gedreht, selbst wenn er einen oder mehrere gefälschte Ausweise bei sich trug. Auf seinem Bett, wo ich meinen ersten Joint rauchte, mit dreizehn, bemerkte ich einen langgezogenen, sehr breiten Spuckestreifen. Ich dachte, es wäre ein Spuckestreifen. „Fotzenschleim“, sagte Ulmann. Als seine Mutter reinkam ohne anzuklopfen, schrie er sie an, sie solle sich verpissen, was sie augenblicklich tat. Ich kommentierte das nicht. War feiger Voyeur, stummer Chronist Ulmann des Großen, dem selbstgerechten Sohn des Zeus, der jeden und alles verachtete außer sich selbst und seine Pläne – irgendwie musste ich also schon Teil davon sein. Am nächsten Morgen fuhren wir von Ulmann aus zur Schule. Rauchten noch einen Joint im U-Bahnhof. Zu spät kommen war nie schlimm. Nichts, was Folgen für uns gehabt hätte. Wir gingen so durch. Zwar besaß Ulmann aus verschiedenen Gründen Geld, was er allerdings nicht besaß, war ein Schulranzen. Er trug eine abgenutzte Plastiktüte mit sich, darin ein karierter Block und ein Stift. Ulmann machte keine Hausaufgaben, keine Notizen – außer, jemand hielt ihm eine Pistole auf die Brust. Aber das waren andere als die Lehrer der Oberschulen Berlins. Ulmann verstand mehr von Mathematik als die, die es uns beibringen wollten. Er konnte Aufgaben lösen, ohne jemals die dazugehörige Formel gesehen zu haben. Irgendeinen Weg fand er immer. In Physik und Chemie dasselbe. In Kunst zeichnete er mit Fluchtpunkten, während Mitschüler noch lächelnde Sonnen malten.

Eine Zeit verging. Ich hatte mich von Ulmanns Größenwahn inspirieren lassen und träumte davon, Deejay zu werden und in jedermanns Mittelpunkt zu stehen. Für zwanzig Euro pro Stunde ließ ich mir das Auflegen beibringen. Und ich bekam meine Gelegenheit. Mit ein bisschen Chuzpe sprach ich den Mann hinter der Garderobe eines zwielichtigen und schäbigen Clubs an, der sich nicht allzu sehr für das Alter seiner Gäste interessierte. Der Mann behauptete, Veranstalter zu sein, und meinte, ich solle nächste Woche wiederkommen – was ich auch tat. Dort stellte er mich dem dreißigjährigen und verheirateten DJ Waterman vor. Waterman mochte mich, vielleicht weil er es witzig fand, dass ich vierzehn war und offensichtlich den Mut und vielleicht auch das Zeug hatte, hier mein erstes Geld zu verdienen.

Für mich begann eine Zeit unversteuerter Fünfzigeuroscheine. Waterman schusterte mir alle Gigs zu, die er aufgrund seiner eigenen Auftragslage nicht wahrnehmen konnte. Außerdem legte ich in besagtem, schäbigen Club auf und in einem anderen, der vom selben Veranstalter bespielt wurde. Manchmal fuhr Waterman mich sogar zum Gig. Vielleicht behielt er ja auch etwas Geld für sich. Allerdings glaubte ich, dass er mich, warum auch immer, einfach mochte. Für mich lohnte es sich jedenfalls. Pro Abend waren das oft dreihundert Euro. Das war die Zeit. Kein Spotify, kein Deejay-Überhang. Nur eine Menge Leute, die Bock auf Feiern hatten. Ich kaufte mir teures Deejay-Equipment. Erst die kleinen CDJs von Pioneer, dann die richtig fetten Teile mit zwölf Zentimeter Jogwheel. Ich perfektionierte es Beats anzugleichen und Zusammenhänge in Melodien und Rhythmen aufzuspüren. Nichts, was ich in den Clubs bringen konnte, wo ich unterwegs war. Eine wummernde Basedrum von Len Faki, darüber die bassbereinigten Hi-Hats eines spröden Marcel Dettmanns. Das machte einfach Bock. Zugleich war mir klar, dass nicht ich, sondern andere die Songs produziert hatten und das ärgerte mich. Also begann ich selbst Sequencer-Musik zu machen. Ich klaute mir Tonspuren, kaufte mir ein Tonbandgerät, nahm die Stimmen meiner Freunde auf und Schnitt alles zu ersten halbgaren Eigenproduktionen zusammen. Mit der Zeit wurde ich besser. Einmal legte ich das meinem Publikum auf. Die Gesichter der Tanzenden zeigten mir, dass ich noch einen Weg vor mir hatte. In jeder freien Minute machte ich Musik. Meine liberalen, antiautoritären Eltern störte das kaum. Im Gegenteil. Sie förderten mich, zeigten mir, dass sie stolz darauf waren, dass ich neben der Schule was auf die Beine stellte. Nur was ich von meinen aktuellen Gigs, die mich die Wochenenden kosteten, halten sollte, wusste ich nicht. Weder gefiel mir die Musik – ich hatte die Aufgabe Mashups gängiger Charttitel und Electronic-Klassiker einem halbwegs anspruchslosen Publikum möglichst technisch zwischenfallsarm darzubieten – noch konnte es Gutes verheißen, dass ich mir vor Aufregung vor jedem Gig in irgendeiner schrammeligen Kneipe zwei Bier reinstellte. Die Sache passte nicht ganz zu mir. Das war vielleicht auch der springende Punkt. So ein eigentlich nachdenklicher Typ, für den ich mich zurecht hielt, wollte ich nicht sein. Auch kein Ulmann Kowicz. Aber irgendwas dazwischen.

Ulmann hatte sich quasi aus Versehen den Daumen abgeschnitten, war dabei halb verblutet und verbrachte so sein vierzehntes Lebensjahr zwischen Krankenhaus, Drogenentzugsklinik und betreutem Wohnen. Im Suff hatte er mit seiner Mutter telefoniert, sie beschimpft, das Handy aus dem Fenster geschmissen und vor Wut das Einlegeglas der Küchentür mit der Faust zerschlagen, wobei ihm eine Scherbe den Daumen sauber abgetrennt hatte. Scheinbar war er ohnmächtig geworden, hatte vier Liter Blut verloren und war halbwegs zufällig von seinem Bruder gefunden worden. Vielleicht war es auch ganz anders. Vielleicht gab es etwas, wofür Ulmann sich schämte, ein Detail, das er mir verheimlichte, so wie manch anderes, das ich später über ihn erfuhr. Aber halbwegs stimmig war die Geschichte. Ich besuchte ihn im Krankenhaus. Den Daumen hatten sie annähen können, der schlummerte noch unterm Verband. Wir spielten Schach und als ich Ulmann besiegte, bekam er einen Wutanfall und meinte, ich hätte mit meiner Räubertaktik einfach an jedem rational nachvollziehbaren Zug vorbeigespielt und mir auf diese betrügerische und amateurhafte Weise den Sieg ergaunert. Vielleicht hätte man Alexander den Großen damals auf ähnlich bescheuerte Weise schlagen können. Banalität schien gegen Ulmann eingesetzt so eine Art Wunderwaffe zu sein, was sich Jahre später traurigerweise bewahrheitete.
In Ulmanns Blut waren diverse Opiate gefunden worden. Ich erfuhr, dass er mit dem Handel von Heroinkugeln erwischt worden war und eine BTM-Anzeige am Hals hatte. Die Anekdoten vermengten sich zu etwas, das mir das dringende Gefühl gab, dass Ulmann am Ende war. Was für ein Fehlschluss, was für eine grandiose Unterschätzung. Nach seinem Krankenhausaufenthalt wurde Ulmann in die stationäre Drogentherapie überführt. Ein Jahr lang sollte er im betreuten Wohnen leben. Trotzdem ging er zur Schule und er vertrug sich mit seiner Mutter. Ich besuchte ihn ein, zwei Male und was sollte ich sagen: er war clean, ja, er war wirklich clean.
Während ich Hunderteuroscheine verdiente, kam Ulmann auf den Boden der Tatsachen zurück. Sein Größenwahn blieb, aber hatte nun den Beigeschmack professioneller Geschäftigkeit, wie man sie von einem Manager erwarten würde. Da waren Pläne und gefühlt war ich darin bereits völlig verstrickt. Ulmann wollte nun Partys veranstalten. Ich war ja neuerdings Deejay, also wären wir Partner, legte er fest. Doch zunächst musste er aus dem betreuten Wohnen raus. Langsam ging es ihm wirklich auf den Sack. Er zeigte mir eine Videoaufnahme von einem anderen Patienten, den sie ‚The Maggot‘ nannten. Ein shizophrener Metaller, der seinen Kopf zum Spaß hundertmal auf eine Tischplatte schlug und der in manischen Phasen davon sprach, am liebsten einen Kindergarten abzufackeln. Selbst für Ulmann war das auf Dauer nicht der richtige Umgang. Am Tag seiner Entlassung – einem Sonntag – kam er spontan zum Essen bei uns vorbei. Es gab Coq au vin und hinterher stand ich mit meiner Mutter auf der Terrasse. Es regnete und sie rauchte, wir schauten in den Garten und dann fragte sie: „War der eigentlich völlig dicht?“
„Nee, nee“, sagte ich schnell. „Ulmann ist doch jetzt clean.“

Ulmann war jetzt eine Mischung aus clean und GHB-abhängig. Das waren KO-Tropfen, die leicht zu bekommen waren und in der richtigen Dosis angenehm besoffen machten. Er machte seine Versprechen wahr. Wir waren jetzt eine Party-Crew, auch wenn wir noch keine einzige Party gemacht hatten. Mittlerweile hörte ich nur noch Techno. Das Zeug aus den Ramsch-Clubs, in denen ich auflegte, hing mir zum Hals raus. Außerdem hatte ich alles, was ich mir von Geld hatte kaufen wollen und noch einen Tausender auf der Bank. Das Timing stimmte also. Wir waren wieder synchron.

Für achttausend Euro kaufte Ulmann eine Musikanlage. Damit war für mich der Moment gekommen, ihn nach seinen finanziellen Verhältnissen zu fragen. Seine Version der Geschichte, die sich in großen Teilen bestätigen ließ, konzentrierte sich auf eine reiche Großmutter, die ihm allen möglichen Scheiß finanzierte. Warum war sie reich? Nun, Ulmanns Großvater schien ein berühmter Immunologe gewesen zu sein, nach dem sogar ein kleines Haus auf dem Campus der Freien Universität benannt worden war. Ein, zwei relevante Patente hatten gereicht, um seine nunmehr verwitwete Frau zu einer Millionärin zu machen, die überdies eine Schwäche für ihren vielversprechenden und eigenartig frühreifen Enkel hatte. Zu Ulmanns Freunden, von denen ich wenig wusste, zählten allerlei Nachwuchsberühmtheiten – und wer selbst nichts konnte, hatte zumindest interessante Eltern. So holten wir uns einen Dritten ins Boot. Sein Spitzname war Stone und Stones Vater war Besitzer diverser Berliner Clubs. Der Vater wurde so etwas wie Ulmanns Vorbild und Ulmann so etwas wie sein Protegé. Mit Stones Vater hatten wir jemanden gefunden, von dem wir immer Unterstützung erhalten konnten, den wir immer wegen irgendeinem Scheiß anpumpten, der einfach nur wollte, dass sein Sohn mit Ulmann abhing.

Unsere ersten Partys waren Open Airs. Ein Rave im Tiergarten an der Siegessäule, ein Rave in der Hasenheide, ein Rave am Sterndamm und am Möhnesee – so spielten wir uns ein. Immer wenn Ulmann anrief, wusste ich, dass er was ausgeheckt hatte. „Wir machen am Wochenende einen Rave. Du bist der Mainact.“ Schon das hatte was Rauschhaftes. Du wirst von Alexander dem Großen angerufen und erfährst, dass er dich und niemand anderen zum General seiner nächsten Schlacht ernennt. Dass du in Wirklichkeit einfach nur die erstbeste Person in Reichweite warst, das umsonst machtest und selten unangenehme Fragen stelltest – das ist der Teil der Geschichte, den man sich weniger gern erzählt. Ulmann behandelte mich wie einen Prinzen, wie seinen ersten Mann. Natürlich gab es immer ein symbolisches bisschen Geld, Freigetränke und alle erdenklichen Schmeicheleien und Bekanntschaften. Mittlerweile kamen bis zu tausend Leute zu den Raves. Das Gefühl vor so vielen Menschen extatische Musik aufzulegen und dabei den Funken überspringen zu fühlen, entzieht sich für einen, der nie zu krassen Drogen gegriffen hat, dem offensichtlichsten Vergleich. Es war immer wie ein erster Kuss, ein erstes Mal, ein geiler Sprung in den Abgrund mit Gänsehaut am ganzen Körper.

Wie fange ich an? Klar, ein Klassiker, Joss Moog. Wir gehen das ganz langsam an. Da kommen ja schon die Leute. "Hey bring mir mal eine Mate!" – jetzt ein bisschen was Heftigeres. Langsam werden die warm. Was für ein geiler Ort ist das eigentlich? Da ist Ulmann. "Danke, geil, dass es dir gefällt. Wer spielt denn heute alles noch? Geil!" Dann dieser Moment, wenn du den falschen Song erwischst und die Leute den Track nicht feiern und du, um ehrlich zu sein, auch nicht. Du willst ihn canceln, aber das geht jetzt nicht. Viel zu langer Break. Du musst ihn irgendwie abwürgen. Auf einmal hast du nur scheiß Tracks dabei. Was bist du für ein Versager? Nein, Moment. Das ist der Track. Oh ja, den werden sie lieben. Oh ja, Oh ja. "Bring mir mal bitte ein Bier!" Geil, jetzt läuft es. Jetzt passt mal auf. Den nächsten Song werdet ihr nicht überleben. Das Ding brettert euch runter. Das werdet ihr nicht überleben. Oh nein. Wie krass, wie absolut krass. Und dann stehen die 'Experten' vorne bei dir, wollen hinters Pult, finden deinen Sound geil, fragen dich nach 'Track-ID', wollen wissen, wo du noch auflegst oder ob du mal bei ihnen spielst. Und die Leute rasten aus und du hast es gar nicht nötig zu antworten. Du steigst auf und wirst eins mit diesem Gefühl. Du musst gar nichts tun, du hast schon alles getan. Du hast den Vibe gespürt, du bist es. Du bist das Zahnrad der Zeit.

So ging das drei, vier Jahre lang. Unvorstellbar eigentlich. Wir waren nicht nur die glücklichste Generation, wir nutzten dieses Privileg vollkommen aus. Freiheit und Sorglosigkeit auf den Fahnen – und wir hatten es uns nicht selbst draufgeschrieben. Kein Krieg, keine Schulden, keine deutsch-deutsche Teilung – nur ein riesiger Tisch voller Geschenke. Ulmann eroberte sich Stück um Stück seinen Drogenkonsum zurück. Mittlerweile nahm jeder Keta, Emma und Co. – warum nicht auch Ulmann? Nur von Gras hatte er seit dem Entzug die Finger gelassen. Vielleicht machte ihn das zu behäbig. Jedenfalls konnte auch ich mir keinen kiffenden Ulmann mehr vorstellen. Wir beide und sowieso alle hatten sich verwandelt wie die Motten und langsam nahm irgendwer häufiger das Wort Abitur in den Mund und im nächsten Moment hielten wir unsere mittelmäßig bis schlechten Zeugnisse in der Hand. Wir hatten eh nicht vor, einen dieser Scheißberufe zu wählen, für den man eine Zensur auf einem Blatt Papier vorzuweisen hatte – wer wollte denn drei Jahre BWL studieren, Mitte zwanzig werden und jede Chance auf den großen Preis verspielt haben – den wir aus unserer Sicht ohnehin seit ein paar Jahren quasi in Händen hielten. Trotzdem war das eine Zeit von Umbrüchen. Ein guter Freund von mir bekam eine schwere Krebsdiagnose. Hirntumor mit neunzehn. Kein Tränendrüsen-Klischee für die besonders emotionale Story, einfach eine traurige Wahrheit. Er war ein Techno-Nerd wie ich. Wir hatten uns bei Kleinanzeigen einen Atari mit Cubase gekauft und Blechmucke gemacht wie Anfang der Neunziger. Samuel war einer der coolsten Typen, die ich je kennengelernt hatte, und ich wusste, ich würde ihn vermissen, denn Hirnkrebs war nichts für Teenager.

In dieser Zeit war ich ziemlich unglücklich verliebt in meine Freundin. Ich hatte extreme Minderwertigkeitskomplexe und immer das Gefühl, ihrer nicht würdig zu sein. Entsprechend eifersüchtig und beschissen verhielt ich mich ihr gegenüber. Irgendwie wollte ich sie besitzen, wollte sie sein und nicht so ein gefühlter Hochstapler und Kack-Deejay, der ich war. Nach dem Abi arbeitete ich auf einem Friedhof mit einem netten Typ namens Hauke. Das ist eine Geschichte, die man nachlesen kann. Habe ich irgendwann mal aufgeschrieben. Danach hatte ich jedenfalls genug Geld zusammen, um mit meiner Freundin einen riesigen Roadtrip zu veranstalten. Wir setzten nach England über, fuhren durch Schottland, reisten nach Island und wieder zurück. Als wir in den Niederlanden waren, bekam ich einen Anruf von Ulmann. Er machte mir verständlich, dass ich Ende des Monats bei unserem größten Rave überhaupt in einer stillgelegten Brauerei auflegen würde. Ich wusste, ich hatte keine Wahl. Ida wollte weiter, vielleicht noch ein paar Monate reisen. An einer Autoraststelle erklärte ich ihr, dass ich mich für den Rave entschieden hatte. Ida weinte und sagte, dass sie vielleicht ein paar Reisen alleine machen müsste und irgendwie war klar, dass diese Aussage – auch wenn die Worte nicht passten – einen Schlusspunkt darstellte. Auch ich weinte, weil ich Ida logisch nicht verlieren wollte. Aber was sollte ich tun? Zu verpassen, was Ulmann da vorhatte, glaubte ich mir künftig noch viel weniger verzeihen zu können.
Wir kehrten nach Berlin zurück. Ida bestellte Flugtickets nach Indien. Nicht für uns. Für sich und ihre beste Freundin. Indes begannen die Arbeiten in der alten Brauerei. Das war ein riesiges Gelände mit Klinkergebäuden im Osten der Stadt. Wir trafen Schrottsammler und Ruinen-Touristen. Den übrigen Monat lang schufteten wir, um die modrigen und zugemüllten Räume herzurichten. Es gab mittlerweile so viele, die mitmachen wollten. Ulmann der Große hatte es geschafft, ein Heer aus Freiwilligen um sich zu scharen. Leute, die zuvor noch nie in den zweifelhaften Genuss gekommen waren, an den Lippen eines Halbgottes oder -satans gehangen zu haben.
Der Abend der Party selbst zeigte mir, dass ich die richtige Wahl getroffen hatte. Guides holten kleinere Gruppen von Besuchern am S-Bahnhof ab und brachten sie über verschiedene Wege aufs Gelände. Es folgte eine Belehrung zu beinbrecherisch tiefen Schlaglöchern, dem Verbot aufs Dach zu steigen oder außerhalb des Geländes Aufmerksamkeit zu erregen. An diesem Abend legte ein bekannter Deejay aus dem Umfeld der Loveparade bei uns auf. Die Primetime hatte Ulmann aber für mich reserviert. Der Abend war krass. Viele stiegen aufs Dach, traten in Schlaglöcher und tanzten bis zur Besinnungslosigkeit. Irgendwer wunderte sich irgendwann darüber, dass die Leute an der Bar immer schläfriger wurden und als Stones Vater, aus Interesse an der Veranstaltung gekommen, es geschafft hatte, durch die Menschenmengen auf den Korridoren bis hinter die Bar vorzudringen, packte er Ulmann am Kragen und schrie ihn an, er solle sofort, augenblicklich, unverzüglich alle Leute auf den Innenhof schicken. Wäre Stones Vater nicht dagewesen, der Abend hätte sicher nicht allzu gut geendet. Irgendein Idiot, wahrscheinlich Ulmann selbst, war auf die bescheuerte Idee gekommen, die benzinbetriebenen Generatoren in den geschlossenen Räumlichkeiten unterzubringen. In wahnsinnigen zehn Minuten standen an die tausend Leute auf dem Innenhof der Brauerei in der warmen Sommernacht und überall glommen Zigaretten und Joints wie fette Glühwürmchen. Um Haaresbreite hätten wir uns mit dem Kohlenmonoxid der Abgase hingerichtet. Und wenn es nur einer gewesen wäre. Der hätte gereicht, um uns alle lebenslang mit Schuld zu beladen. Vier Stunden später wurde die Party am Höhepunkt von Rausch und Exzess beendet. Schweißkondensat tropfte von den zehn Meter hohen Hallendecken auf die Schirmmützen der Polizei. Wie immer fand sich leider kein Schuldiger. Eine aus den Fugen geratene Facebook-Party – das akzeptierte damals noch jedes Schwein.

Unterm Strich war das eine extrem gelungene Party – für mich aber vorerst die letzte. Ich wollte jetzt etwas anfangen mit meinem Leben. Nach einem schlechten Trip auf Space-Cookies und ein paar ernstzunehmenden Panikattacken sehnte ich mich nach etwas anderem. Man konnte sagen, ich hatte mein Ding gefunden und jetzt, wo dieses Ding eine Arbeit mit berufsspezifischen Begleiterscheinungen werden sollte, hatte ich keinen Bock mehr drauf. Ida hatte überdies angefangen zu studieren und als leicht beeinflussbarer, zwanzigjähriger Selbstfindungssucher wollte ich schleunigst dasselbe tun, um bloß nicht den Anschluss zu verpassen. Ganz nebenbei zog ich nach München und nicht nur meine Freundin, sondern auch Ulmann rückten fern.

Es lässt sich nur im Nachhinein rekonstruieren – das alles ist nichts, was ich zu diesem Zeitpunkt wirklich wusste: Ich glaube auf eine esoterische Weise, dass Ulmann am Tag, als ich nach München zog, seinen Elan verlor. Wie ein Symbiont ohne Wirt oder umgekehrt. Ein Mal noch kam er nach München, um mich zu besuchen und sich Geld zu borgen. In den letzten Jahren unserer Beziehungen hatte er mich, was das Geld anbelangte, immer wieder über den Tisch gezogen. Ich war sozusagen schon daran gewöhnt und nicht sonderlich überrascht, wenn er damit ankam. Selbstverständlich hatten die Partys Geld abgeworfen. Gäste waren bereit gewesen, fünf Euro für eine kriminelle und geile Nacht zu bezahlen. Bei einer Party im Monat war da ziemlich was rumgekommen, auch wenn der Schatzmeister, Ulmann selbst, entgegen jeder Sachlogik das Gegenteil behauptete. Vielleicht tausend Euro war er mir schuldig geblieben und trotzdem scheute er sich nicht, mich anzupumpen. Alles was ich ihm zahlte, war sein Rückticket, und ich beschloss auch, dass unsere Zeit zu Ende war.
Noch einmal belehrte Ulmann mich eines Besseren. Eine Party noch. In der Radarstation auf dem Teufelsberg, der damals um Pächter warb. Ulmanns vielleicht letztes Ding. Von alten Freunden erfuhr ich, dass er seit einiger Zeit mit GHB handelte. Hätte er mir selbst sicher nicht erzählt. Ich begann an vielen Geschichten oder viel mehr seinen Versionen davon zu zweifeln. Einen Freund nannte ich Ulmann längst nicht mehr. Er hatte ein Physikstudium begonnen und nach schnell eintretender Langeweile, so erzählte er das, wieder beendet. Jetzt erschien er mir wie jemand, der den Absprung nicht geschafft, der das geworden war, wovor ich Angst gehabt hatte. Ein Feldherr ohne Heer. Auf einmal studierten alle, hatten Besseres zu tun oder gingen auf andere Partys, die in Berlin nur so aus den Ritzen der Pflastersteine sprossen. Ulmann entwickelte sich zu einem Typen, der im kulturellen Gedächtnis aller Freundeskreise existierte und doch zu einer Person verkommen war, die man neulich mal wieder irgendwo hatte husten hören. Lange Zeit erwähnte niemand, den ich kannte, seinen Namen, niemand würde seine Geschichte erzählen oder erzählt bekommen und am Ende wäre es so, als hätte das alles überhaupt nie existiert.

Als der gute Freund aus Berlin mir also erzählt hat, er habe ihn am Husten erkannt, habe ich mich auch ein bisschen geärgert. Das ist bei Ulmann wirklich nicht, woran man zu erst denken sollte. Ulmanns Husten ist sogar ein so unwichtiges Detail, dass ich es, wenn ich von Ulmann spreche, überhaupt nie erwähne. Was soll man schon von einem erwarten, der mit zwölf anfing zu rauchen, sich einen Finger abschnitt und in der Drogentherapie mit vielleicht vierzehn beschloss, so eine Art Party-Heiliger zu werden? Da gibt es doch andere Details. So viele eigentlich, dass man gar nicht alles erzählen kann und auch nicht braucht. Das Wichtige ist ja was anderes.
Ich frage mich, ob wir tatsächlich so etwas wie Symbionten waren oder ob ich für ihn in Wirklichkeit gar keine Rolle spielte. Und wenn doch: Warum eigentlich ich? Kann sich das Schicksal zweier Menschen ab einem Punkt miteinander verbinden? Bin ich am Ende Schuld am Untergang von Ulmann dem Großen? Habe ich mich zu früh der Langeweile hingegeben und mich so dem naiven Irrsinn jener Zeit verschlossen?
Ich habe ihm eine Nachricht auf Facebook geschrieben. Er hat geantwortet und so clean geklungen wie damals, als sie ihn aus dem betreuten Wohnen entließen. Eine Nummer, eine Einladung zum Biertrinken. Ein Tropfen Wasser und da wüchse wieder was. Aber warum will ich das nicht? Ist die Zeit wirklich vorbei oder bin ich nur ein anderer geworden? Ist die Mittelmäßigkeit das Problem oder verhindert sie am Ende große Kollateralschäden? Wahrscheinlich bin ich bereits so langweilig, mittelmäßig und scheiße, dass ich Letzteres für wahrscheinlicher halte. Deswegen werde ich mich auch nicht zurückmelden oder zumindest viel zu spät. Dann bin ich eben Schuld. Und so sei es. Vielleicht endete die Epoche Ulmann des Großen, weil es einfach an der Zeit war, vielleicht aber auch allein, weil irgendein Arsch der Weltgeschichte, namentlich ich, darauf bestanden hatte, unbedingt erwachsen werden zu wollen.

 
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Hallo @Carlo Zwei

Nicht die erste Geschichte, die ich von Dir lese, aber nun die erste, die ich auch kommentiere. Routiniert geschrieben, sehr flüssig, da ist alles stimmig, der Text lässt sich in einem Rutsch geniessen. Hat mir also sehr gut gefallen. Ich mochte die im Text behandelten Thematiken: Das sich Finden in dieser Welt als Jugendlicher, die Berührungspunkte mit den Drogen, die wohl jeder junge Mensch mal erlebt, Ulmann der Krasse, der Coole, der Absturz, der eigentlich nix wirklich Relevantes auf die Reihe kriegt, der aber trotzdem als eine Art Vorbild fungiert. Der Prot, der ihm nacheifern will. Das ist alles sehr nachvollziehbar geschildert und auch in sich schlüssig. Dann die Sache mit den Parties und dem Deejaying, auch das hat mich angesprochen, dort hättest Du meiner Meinung nach aber noch detaillierter werden können (später unten im Leseeindruck etwas mehr dazu). Insgesamt ein toller Text.

Beim ersten Lesen hatte ich das Gefühl, so in der Mitte irgendwo wird der Text etwas laberig, also nicht wirklich schlimm, ich bin trotzdem drangeblieben, aber vielleicht kannst Du ja nochmal schauen. Ich hatte das Gefühl, es braucht da nicht wirklich alles und ein paar Dinge könnten auch rausgekürzt werden. Beispielsweise die Erklärung, wieso Ulmanns Grossmutter reich war, das hätte es für mich nicht zwingend gebraucht. Dennoch ist es gut formuliert und ich hatte zu keiner Zeit das Bedürfnis querzulesen oder gar - behüte! - auszusteigen. :naughty:

Details zum Leseeindruck:

Das hier am Anfang

Wir haben gelacht und ich habe mich gefragt, wie es Ulmann wohl so geht.
und das hier gegen Schluss
Als der gute Freund aus Berlin mir also erzählt hat, er habe ihn am Husten erkannt, habe ich mich zunächst ein bisschen geärgert.
beisst sich meiner Meinung nach etwas. Der Prot fragt sich ja, wie es ihm, Ulmann, wohl ergangen ist, gleichzeitig ist da aber auch der Ärger gegenüber dem guten Freund aus Berlin, der ihn am Husten erkannt hat. Am Anfang lacht der Prot mit ihm mit, dann ist er plötzlich verärgert darüber? Mmmh, ich weiss nicht recht, aber für mich war das nicht ganz stimmig oder ich übersehe da was.

Sein Bruder Danny war nicht mal fünfzehn, rauchte Bong und hatte im Kleiderschrank eine Graspflanze versteckt. Wie auch immer die dort wuchs.
Ich denke, das könntest Du streichen. Es bremst den Erzählfluss an der Stelle etwas und wirkt so reingeschoben. Ist es wichtig, wie die Hanfpflanze dort im Schrank wachsen konnte? Sie wuchs halt einfach, fertig :-) Mir hätte das genügt und ich hätte das an der Stelle auch nicht hinterfragt. Aber dank dieses Einschubs fragte ich mich dann: Ja, wie eigentlich?

Teilweise sind da echt schöne und witzige Dinger drin, bei denen ich echt grinsen musste, beispielsweise (die Liste erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit):

Rauchte und trank wie sonst was und hatte das Gesicht einer Großmutter – mit Ende vierzig?
Herrlich.

Auf seinem Bett, wo ich meinen ersten Joint rauchte, mit dreizehn, bemerkte ich einen langgezogenen, sehr breiten Spuckestreifen. Ich dachte, es wäre ein Spuckestreifen. „Fotzenschleim“, sagte Ulmann.
Top :thumbsup:

Er zeigte mir eine Videoaufnahme von einem anderen Patienten, den sie ‚The Maggot‘ nannten. Ein shizophrener Metaller, der seinen Kopf zum Spaß hundertmal auf eine Tischplatte schlug und der in manischen Phasen davon sprach am liebsten einen Kindergarten abzufackeln.
Auch super. Ist das mit dem "Maggot" auf die Band Slipknot bezogen? Ich glaube, deren Fans bezeichnen sich so, oder? Wenn er Black Metaller gewesen wäre, hätte er auch davon sprechen können, eine Kirche abzufackeln :baddevil: Wäre dann aber vielleicht zu viel Klischee. Anyway, hat mir sehr gefallen, die Passage.

Es regnete und sie rauchte, wir schauten in den Garten und dann fragte sie: „War der eigentlich völlig dicht?“
„Nee, nee“, sagte ich schnell. „Ulmann ist doch jetzt clean.“
Sehr geil :rotfl:

Ulmann war jetzt eine Mischung aus clean und GHB-abhängig.
Eigentlich ja eher traurig, aber *grins*

Mittlerweile nahm jeder Keta, Emma und Co. – warum nicht auch Ulmann? Nur von Gras hatte er seit dem Entzug die Finger gelassen.
Auch toll. Gras ist ja eher die harmloseste dieser Substanzen, aber davon lässt Ulmann die Finger.

Ulmann entwickelte sich zu einem Typen, der im kulturellen Gedächtnis aller Freundeskreise existierte und doch zu einer Person verkommen war, den man neulich mal wieder irgendwo hatte husten hören.
Nicht unbedingt witzig, aber genial formuliert, hat mir sehr gefallen.

Weiter im Text:

Ich kaufte mir teures Deejay-Equipment und machte Musik in jeder freien Minute.
Ich glaube die Pioneer DJ Controller sind da so das Nonplusultra. Der Prot beschäftigt sich ja relativ intensiv damit, auch wenn es nicht so wirklich sein Ding ist, aber meiner Meinung nach hättest Du da noch etwas weiter ausholen/tiefer greifen können, was das ganze Equipment und seine Beschäftigung mit dem Deejaying anbetrifft, so wird das eher nur am Rande gestreift, obwohl es ja nicht einen unerheblichen Teil der Geschichte einnimmt (weiter unten noch etwas mehr dazu). Ich hätte mir da etwas mehr Insights in das Deejay-Leben gewünscht. Gerade die Szene in Berlin ist doch relativ bekannt? Zumindest in meiner Wahrnehmung, ich bin musikalisch dem Elektronischen eher abgeneigt und kenne mich da nicht aus. Gerade auch deshalb hätte ich das spannend gefunden ... Naja, persönliche Wünsche an den Autoren sind vielleicht unangebracht ;-)

Im Suff hatte er mit seiner Mutter telefoniert sie beschimpft, das Handy aus dem Fenster geschmissen und vor Wut das Einlegeglas der Küchentür mit der Faust zerschlagen, wobei ihm eine Scherbe den Daumen sauber abgetrennt hatte.
Nach "telefoniert" fehlt etwas. Entweder ein Punkt und danach neuen Satz, oder zumindest ein Komma einfügen.

Den Daumen hatten sie annähen können, aber sehen konnte man noch nichts.
Was konnte man noch nicht sehen? Hier stand ich kurz etwas auf dem Schlauch.

Vielleicht hätte man Alexander den Große damals auf ähnlich bescheuerte Weise schlagen können.
Alexander den Großen

BTM-Anzeige
Hier stockte ich ebenfalls kurz, weil ich das mit dem BTM nicht auf Anhieb verstand. Wird wohl nur in Deutschland so genannt? Nach kurzem überlegen kam ich dann zu dem Schluss, das BTM wohl für Betäubungsmittel steht, also halb so wild, dass ich das nicht sofort gerafft habe.

Die DJ-Auftritte beschreibt der Text wie folgt:

Unsere ersten Partys waren Open Airs. Ein Rave im Tiergarten an der Siegessäule, ein Rave in der Hasenheide, ein Rave am Sterndamm und am Möhnesee – so spielten wir uns ein.

Es hatte etwas Rauschhaftes.

Natürlich gab es immer ein symbolisches bisschen Geld, Freigetränke und alle erdenklichen Schmeicheleien und Bekanntschaften.

Es war immer wie ein erster Kuss, ein erstes Mal, ein geiler Sprung in den Abgrund mit Gänsehaut am ganzen Körper.

So ging das drei, vier Jahre.
Mir ging das etwas zu schnell bzw. ich finde das etwas zu wenig. Das Deejaying dominiert hier den Text, was einen solchen Auftritt vor tausend Leuten oder mehr ausmacht, wird mir aber nicht wirklich näher gebracht. Am besten finde ich da noch das zweitletzte Zitat, also das mit dem Kuss und dem geilen Sprung in den Abgrund, da kommt am besten rüber, wie sich der Prot dabei fühlt. Aber wie ist das genau, da vor dieser tanzwütigen Meute zu stehen, sie anzuheizen bis spät in die Nacht oder bis der Morgen graut? Was macht man als DJ eigentlich genau? Das sind so Fragen, die ich mir hier gestellt habe. Gerade der Satz mit "Es hatte etwas Rauschhaftes". Das sagt doch nicht wirklich viel aus, ist eher eine Plattitüde?

Trotzdem war das logisch eine Zeit von Umbrüchen.
Das logisch hat mich etwas aus dem Text gezogen. Brauchts das?

Es folgte eine Belehrung zu Schlaglöchern, dem Verbot aufs Dach zu steigen oder außerhalb des Geländes Aufmerksamkeit zu erregen.
Hier habe ich das mit den Schlaglöchern nicht ganz kapiert? Wieso darf man dort nicht reintreten? Später tanzen sie ja in den Schlaglöchern oder treten zumindest absichtlich rein, aber wieso gibt's da eine Behlerung diesbezüglich? Sind die dermassen tief, dass man sich verletzen könnte, oder wie soll ich mir das vorstellen?

Irgendwer wunderte sich irgendwann darüber, dass die Leute an der Bar immer schläfriger wurden und als Stones Vater[KOMMA] aus Interesse an der Veranstaltung gekommen[KOMMA] es geschafft hatte[KOMMA] durch die Menschenmengen auf den Korridoren bis hinter die Bar vorzudringen, packte er Ulmann am Kragen und schrie ihn an, er solle sofort, augenblicklich, unverzüglich alle Leute auf den Innenhof schicken.
Da fehlen meiner Meinung nach paar Kommas. Würde überlegen, den Satz etwas aufzuteilen, ist schon ein recht dickes Ding.

Nach einem schlechten Trip auf Space-Cookies und ein paar ernstzunehmenden Panikattacken infolge sehnte ich mich nach etwas anderem.
Auch das könntest Du streichen, finde ich. Es ist klar, das die Panikattacken von den Space-Cookies herrühren.

Vielleicht tausend Euro war er mir schuldig geblieben und trotzdem scheute er sich nicht, mich anzupumpen. Ich gab ihm, was er wollte, aber ich beschloss, dass unsere Zeit zu Ende war.
Gibt er ihm das Geld einfach, um da einen Schlusspunkt zu setzen? Ihm einen letzten Gefallen zu tun? Die beiden haben sich ja an der Stelle bereits auseinandergelebt, deshalb hatte ich da etwas Mühe, das zu kaufen. Also das er ihm da nochmal Geld gibt, obwohl Ulmann ihm ja eigentlich noch 'nen Tausender oder so schuldet. Naja, vielleicht nur meine Wahrnehmung bzw. meine Einstellung: Ich hätte dem ollen Ulmann unter diesen Umständen keinen Cent mehr gegeben ;-)

Vielleicht endete die Epoche Ulmann des Großen, weil es einfach an der Zeit war, vielleicht aber auch allein, weil irgendein Arsch der Weltgeschichte, namentlich ich, darauf bestanden hatte, unbedingt erwachsen werden zu wollen.
Schöner Schluss und die richtige Entscheidung des Prots. Erwachsen zu werden. Klingt in einem gewissen Alter natürlich scheisse langweilig, aber es ist auf jeden Fall der bessere Weg, als Ulmann ihn eingeschlagen hat. Kann da auch aus meinem eigenen Umfeld berichten: Die Leute, die heute Familie und geregelte Jobs haben sind auf jeden Fall besser dran als diejenigen, die mit Ende Dreissig immer noch denken, sie seien Anfang zwanzig und müssten noch immer auf den Putz hauen ... Die sind unter dem Strich die Unglücklicheren. Ich bin also soweit froh, dass dein Prot die Kurve gekriegt hat :D

Vielleicht habe ich mich etwas zu sehr auf das mit dem Deejaying versteift, hier in meiner Antwort, war ja nur stellenweise der Fokus des Textes (im Gesamtkontext ja eher nicht), aber mir hätte das wirklich gefallen, da etwas mehr über dieses Partyleben und die Auftritte zu erfahren.

Ich hoffe, meine paar Gedanken zum Text helfen Dir was :-)

So long,
d-m

 

Lieber @deserted-monkey ,

danke für deinen sehr schönen Kommentar. Habe mich über alles gefreut, was du geschrieben hast – und einen Part, der das Deejaymäßige vertieft habe ich auch hinzugefügt. Beginnt direkt nach dem Vergleich mit dem Sprung. Völlig richtiger Einwand. Auch die kleineren Vorschläge habe ich umgesetzt. Ich hoffe, das befriedigt deine Gelüste nach Einzelheiten bis aufs Erste :)
Schön auch, dass du Lieblingsstellen rausgeschrieben hast. Gibt einem natürlich immer ein gutes Gefühl. Und vielen Dank natürlich, dass du alles so genau und trotzdem interessiert gelesen hast. Made my day (really) :D

Das mit 'The Maggot' war, glaube ich, eher ein Zufallstreffer als ein konkretes Zitat, hehe. Ist aber spannend, was du schreibst, das wusste ich nicht. Slipknot finde ich aber eine heftige Band, die ich von Zeit zu Zeit sehr gerne höre.

Danke noch mal für alles und bis ganz bald!
Carlo Zwo

 

Hallo Carlo Zwo,

wollte nur mal kurz anlesen, aber dann hast Du mich gepackt mit Deiner Geschichte und ich hab sie genossen. Eine Story, wie sie selten hier zu finden ist. Alles reingepackt, was die Jugend ausmacht - ihre Naivität, Großmannssucht, Risikobereitschaft, Unerfahrenheit, Sucht, dieses Suchen, dieser Seiltanz zwischen flügge werden und beherrschen. Ich hatte mit der Szene nichts zu tun, war viele Jahre früher dran, aber gefühlt erinnerte es mich auch an meine Jugend. Wir waren eben Hippies und unsere Mucke waren regionale Bands, aber so vom Ablauf lief es auch nicht anders. Und der Schluss, wie einige eben hängen bleiben, obwohl sie mit 16 die coolen Stars waren - Alexander der Große ist übrigens von Dir super gewählt - keiner mehr von ihnen redet ... so ist das Rad der Zeit. Unbarmherzig und gnadenlos, wir sind nur kurz die Mitspieler in dieser gigantischen Menschheitsgeschichte und in hundert Jahren erinnert sich kein Mensch ... aber selbst ist man der Nabel der Welt.
Du bist das Zahnrad der Zeit.
Dieser Satz bringt es auf den Punkt und dafür lohnt sich das Leben, egal, was kommt.
Danke für diese Geschichte, dass Du sie hier reingestellt hast.
Ich mag auch nicht schreiben, was jetzt zu viel Info war oder wo ich ins Stocken geriet - es ist Deine Geschichte und sie war wunderbar.
Grüße - Detlev

 

Hey @Carlo Zwei ,

vielen Dank für den Text - hat mir sehr gut gefallen.
Das Thema einerseits (ich frage mich ja, ob man überhaupt "erwachsen" werden kann ohne so eine Leiche im Keller - verratene Liebe, zurückgelassene Freunde etc.), aber auch die Beschreibung der Zeit.
Besonders den Einstieg fand ich sehr schwungvoll und witzig. Ich hatte den ganzen Ulmann sofort vor Augen.
Ein bisschen verliert der Text im weiteren Verlauf an Zug, aber ich weiß nicht, ob er besser wird, wenn du ihn straffst. Ist vielleicht mehr eine Geschmacksfrage. Die Fragen zum Beispiel, die sich der Erzähler am Ende stellt: Wenn ich als Leser erfahre, dass er Ulmann kontaktiert hat, und dass Ulmann ihm ein Treffen vorschlägt, der Erzähler aber darauf nicht zurückkommt - dann fülle ich diese Lücke (jetzt ich als Placidus, ich will das nicht verallgemeinern) gerne selbst aus. Die Unschlüssigkeit, in der letztlich die Unlust, Ulmann wiedezusehen überwiegt, ist in der Handlung ja schon deutlich. Schuldgefühle wurden vorher schon angesprochen. Aber wie gesagt, dass kann man sicher so oder anders sehen.
Ein paar ganz ungeordnete Anmerkungen:

Ulmann des Großen, dem selbstgerechten Sohn des Zeus,
des selbstgerechten Sohnes des Zeus (oder Zeussohnes?)
ernszunehmenden
fehlt ein teechen

Ich perfektionierte es Beats anzugleichen und Zusammenhänge in Melodien und Rhythmen aufzuspüren.
perfektionierte es Komma
So ein eigentlich nachdenklicher Typ, für den ich mich zurecht hielt, wollte ich nicht sein.
hm das hatte ich als Beispiel für ein bisschen aus der Form geraten markiert. Ein eigentlich nachdenklicher Typ oder ein nachdenklicher Typ? Auch, dass man sich mit 14 zurecht für jemanden hält...Für mich würde reichen: Der nachdenkliche Typ, für den ich mich hielt, wollte ich nicht sein.
Den übrigen Monat lang schufteten wir zu zehnt vielleicht. Es gab mittlerweile so viele, die mitmachen wollten.
Das Heer, das du später anführst, sind das 10 Personen? Ich hätte mir so gern viel mehr vorgestellt :D
Ich glaube auf eine esoterische Weise, dass Ulmann am Tag,
Etwas auf eine esoterische Weise glauben, das ist mir nicht richtig klar. Vielleicht ist gemeint, dass er sich seinen Glauben selbst nicht abnimmt? Dass er hinter dieser Vorstellung halb einen wunsch seiner Eitelkeit vermutet? Vielleicht gibt es da etwas eleganteres, oder etwas ganz einfaches (vielleicht stellt er es sich gern vor? oder er kommt von dem Gedanken nicht los..)

eine andere Stelle, an der ich erst hängen geblieben bin, war übrigens: ich war in meine Freundin unglücklich verliebt.
Das fand ich ganz merkwürdig, denn üblicherweise ist man ja da unglücklich verliebt, wo man die Person (oder das Objekt) nicht haben kann. Aber dann fand ich, dass gerade dieser Ausdruck die Unruhe in seiner Beziehung zu ihr gut zusammenfasste.
Nochmal vielen Dank für die Inspiration,
lieben Gruß
Placidus

 

Lieber @Detlev
vielen Dank für deinen Kommentar. Ich freu mich, dass das Anknüpfungspunkte gibt und finde auch spannend, dass das für dich dann mit anderer Musik, anderem Personal vergleichbar ist. Irgendwie traurig, wie du es zusammenfasst: nur kurz Mitspieler sein. Aber ist schon richtig so. Und zum Glück merkt man das ja auch nur selten wirklich bzw. schafft es, diese Tatsache gut zu ignorieren.
Danke jedenfalls, dass du vorbeigeschaut hast!
Viele Grüße
Carlo

––––

Guter @Placidus ,

danke, dass du wieder mit dabei warst und schön, dass es gefallen hat. Ich glaube auch, dass die meisten Erwachsenen irgendeine Leiche im Keller haben – oft sogar nicht nur eine.
Vielleicht werde ich noch ein paar Stellen straffen. Ich denke auch nicht, dass es zwingend nötig ist, aber hier und da ist was drin, denke ich. Die Fragen am Ende, ich glaube auch, dass das Geschmackssache ist. Ich weiß, was du meinst. Stilvoller wäre bestimmt, dass den Text erzählen zu lassen, wenngleich er es nie so eindeutig auf den Punkt bringen wird.
Beim Zeussohn überlege ich noch. Hatte eigentlich schon angebissen, dann aber den Genitiv ausprobiert mit dem der Satz dann plötzlich wackelt. An sich aber die schönere Bezeichnung.
Danke auch fürs genaue Lesen – die kleineren Dinge habe ich verbessert. Bei dem Komma bin ich mir nicht sicher, ob das nicht ein komplexes Prädikat ist und daher kein Komma braucht ("Etwas zu tun perfektionieren"). Die 'zehn Personen' habe ich natürlich rausgestrichen :D Da ist mir das Heer in deiner Fantasie natürlich lieber. Das ist auch so eine Stelle bei der ich beim Schreiben selbst kurz stolpere, sie dann aber ignoriere und weitermache und dann immer wieder drüberlese, bis ich sie nicht mehr sehe. Deswegen ist selbst die Rückmeldung zu so einer Kleinigkeit sehr wertvoll für mich. An der Stelle mit dem 'esoterisch glauben' tüftle ich noch. Aber bin auch da bei dir. Danke schon mal für die Vorschläge. Vielleicht klaue ich mir da einen.

Und noch einmal danke für die sehr schöne Rückmeldung.
Carlo

 
Zuletzt bearbeitet:

Vielleicht war es auch ganz anders.

Nach dem Abi arbeitete ich auf einem Friedhof mit einem netten Typ namens Hauke
ich erinnere mich -

lieber @Carlo Zwei


und weiter geht es also quasi in der korrekten Zeitenfolge (früheres vorm späteren) in der Selberlebensbeschreibung – aber, wie es aussieht, mit einer wundersamen Wandlung des Freiheitsbegriffes, sich einem Geschäftsmodel unterzuordnen

Ich wusste, ich hatte keine Wahl
der Satz des geringsten Widerstandes.
Anpassung halt -

und

wenn man so will, ist die Saga immer an ein (oder gar mehrere) Vorbild(er) und große Namen geknüpft, wobei hier der große Alexander den Achilles, Held vor Troja, zum Vorbild nimmt (wen die Götter lieben, den …
Also gleich vorweg die Frage, was ist aus U. Geworden. Lebt er noch oder musste Athene ihn an der Ferse … kitzeln?)

Das seltsame, einen Mitschüler und Freund aus der Volksschulzeit (höchstens bis zehn) traf ich seinerzeit im Presbyterium wieder, und einen andern aus der Realschulzeit während des Studiums und vor zwei, drei Jahren beim Fahrradfahren … Klaus W. kann man übrigens im Netz an der Zither bewundern (- ohne Scheiß, auf jeden Fall besser als jeder Popstar die Zithar, selbst Beatles, George Harrison, aber nicht unbedingt Ravi Shankar). Selbst in Kirchen hat Klaus schon spielen dürfen ...)
Aber weiter im Text!

Ja, ich hatte mit Ulmann gebrochen – hieß aber nicht, dass das unsere Zeit ungeschehen machte.

eine Allerweltsweisheit – trotz des Wunsches, "halt die Welt an, wir wollen aussteigen")

Die Mutter war Schauspielerin und kaum zu Hause.
Ja, so spricht man. Aber warum das vieldeutige Adverb, wenn das Adjektiv „selten“ eindeutig ist?

Zu spät kommen war nie schlimm.
Geschickt gemacht, „zu“ an den Anfang zu stellen. Da sollte dann der Inifintiv "zu kommen" nicht verdrängt werden, denn das „Zuspätkommen“.< schreibt sich zusammen (wenn mein Duden nicht lügt ...) Kannstu allerdings - wie schon vorgeschlagen - aushebeln.

Ulmann machte keine Hausaufgaben, keine Notizen – es sei denn, jemand hielt ihm eine Pistole auf die Brust.
Da würd ich allemal Konj. II „wäre“ empfehlen. Indirekte Rede (ein Produkt der Protokollierung) unterstellt Wahrhaftigkeit – und wem setzte je jemand während der Hausaufgaben eine Pistole auf die Brust.
Bei uns wäre das durch Frau Mutter monopolisiert gewesen ...

Eine Zeit verging. Ich hatte mich von Ulmanns Größenwahn inspirieren lassen und träumte davonKOMMA Deejay zu werden und in jedermanns Mittelpunkt zu stehen.

Außerdem legte ich in besagtemKOMMA schäbigen Club auf und in einem anderen, …
(die Attribute sind gleichberechtigt, keines ist vom andern abhängig, verstärkt es (wie etwa einem „schäbig verdreckten Club). Hier klappts doch
Meine liberalen, antiautoritären Eltern störte das kaum.

Weder gefiel mir die Musik – ich hatte die AufgabeKOMMA Mashups gängiger Charttitel und Electronic-Klassiker einem halbwegs anspruchslosen Publikum möglichst technisch zwischenfallsarm darzubieten – …

Meine Lieblingsstelle

Wir spielten Schach und als ich Ulmann besiegte, bekam er einen Wutanfall und meinte, ich hätte mit meiner Räubertaktik einfach an jedem rational nachvollziehbaren Zug vorbeigespielt und mir auf diese betrügerische und amateurhafte Weise den Sieg ergaunert. Vielleicht hätte man Alexander den Großen damals auf ähnlich bescheuerte Weise schlagen können.
Vorschlag an Moskau ...

Ein shizophrener Metaller, der seinen Kopf zum Spaß hundertmal auf eine Tischplatte schlug und der in manischen Phasen davon sprachKOMMA am liebsten einen Kindergarten abzufackeln.

Es gab Coq au vin und hinterher stand ich mit meiner Mutter auf der Ter[r]asse.

Ein, zwei relevante Patente hatten gereicht, um seine nunmehr verwitwete Frau zu einer Millionärin zu machen, …

Du wirst von Alexander dem Großen angerufen und erfährst, dass er dich und niemand anderes zum General seiner nächsten Schlacht ernennt.
niemand andern/anderen

Indess begannen die Arbeiten in der alten Brauerei.
Da wirderstreiten zwo Modelle: Indessen oder indes ...

An diesem Abend legte ein bekannter Deejay aus dem Umfeld der Loveparade bei uns auf.

Um Haaresbreite hätten wir uns mit dem Kohlenmonoxid der Abgase hingerichtet.
Brauchen "Abgase" den Vorlauf und Chemiekenntnisse?

Gäste waren bereit gewesenKOMMA fünf Euro für eine kriminelle und geile Nacht zu bezahlen.

Auf einmal studierten alle, hatten Besseres zu tun oder gingen auf andere Partys, die in Berlin nur so aus den Ritzen der Pflastersteine sproßen.
Wie kann in Dear noch die alte Rechtschreibung sitzen?
Bist älter, als ich gedacht hätt’?

Eine Passage für die moderne Moderne?

Ulmanns Husten ist sogar ein so unwichtiges Detail, dass ich es, wenn ich von Ulmann spreche, überhaupt nie erwähne.
das Husten durchaus seine Funktion hat?


Wie dem auch wird, gern gelesen vom

Friedel

 

Lieber Freedle on the needle,

danke auch für diesen wie immer erfreulichen Besuch :)

Ulmann machte keine Hausaufgaben, keine Notizen – es sei denn, jemand hielt ihm eine Pistole auf die Brust.
Da würd ich allemal Konj. II „wäre“ empfehlen. Indirekte Rede (ein Produkt der Protokollierung) unterstellt Wahrhaftigkeit – und wem setzte je jemand während der Hausaufgaben eine Pistole auf die Brust.
Bei uns wäre das durch Frau Mutter monopolisiert gewesen ...

grundsätzlich gebe ich dir recht. Was wäre daran auch zu rütteln? Naja, eine kleine Idee hätte ich schon. Aber zunächst habe ich mir natürlich die Frage gestellt: wie zum Geier soll man da einen Konjunktiv II draus machen, ohne den betreffenden Halbsatz zu streichen? Man kann dort ja schwer das sei durch eine wäre austauschen. Zumindest entzieht sich das jeglichem mir innenwohnenden Sprachgefühl.
Jetzt aber zu meiner Idee oder viel mehr Begründung, warum man es hier doch beim Konjunktiv II belassen kann. Da entsteht nämlich genau aus der Behauptung des Konjunktiv I ein gewisser Witz. Nämlich dass eben behauptet wird, Ulmann setzten durchaus hin und wieder Menschen eine Pistolen auf die Brust, was ja sogar durch den Folgesatz "Aber das waren andere als die Lehrer der Oberschulen Berlins." weiter offen gelassen wird. Es verhilft also der dem Text eigenen Skurrilität – was den Konjunktiv I haltbar machen würde, oooder? :deal:
(P. S.: Danke, dass ich mit dir solche beknackten und für Sprachaffine wie uns (ich sprech natürlich vor allem für mich) ziemlichen geilen Diskussionen führen darf)

(die Attribute sind gleichberechtigt, keines ist vom andern abhängig, verstärkt es (wie etwa einem „schäbig verdreckten Club). Hier klappts doch

Danke für die Erklärung!

Es gab Coq au vin und hinterher stand ich mit meiner Mutter auf der Ter[r]asse.

Da haben wir den Bösewicht! Das ist wohl das "r", dass sich in die "Er[r]ektion" des anderen Textes eingeschlichen hat :lol:

Du wirst von Alexander dem Großen angerufen und erfährst, dass er dich und niemand anderes zum General seiner nächsten Schlacht ernennt.
niemand andern/anderen

das war wichtig. Danke Dear!

Indess begannen die Arbeiten in der alten Brauerei.
Da wirderstreiten zwo Modelle: Indessen oder indes ...

Auch das. War mir beim nächsten Text dann auch gleich noch mal passiert und konnte dank des bereits gegebenen Hinweises an dieser Stelle erfolgreich verhindert werden. Ist ein 'indes' geworden (genau wie sein Vater :confused:)

Um Haaresbreite hätten wir uns mit dem Kohlenmonoxid der Abgase hingerichtet.
Brauchen "Abgase" den Vorlauf und Chemiekenntnisse?

Ich halte es schon für logisch, dass man bei so einem Zwischenfall dann auch entsprechendes Vokabular mitbekommt.

Auf einmal studierten alle, hatten Besseres zu tun oder gingen auf andere Partys, die in Berlin nur so aus den Ritzen der Pflastersteine sproßen.
Wie kann in Dear noch die alte Rechtschreibung sitzen?

heheh. Ich hatte das wirklich nachgeschlagen und in Google "sproßen" gefunden und mich damit als Rechercheergebnis zu meinem Leidwesen begnügt. Ich dachte mir dann noch schnell: wie inkonsequent war diese Rechtschreibreform bitte? :lol:

Danke, mein Guter! Und bis ganz bald.
Carlo der Kleingroße

 

grundsätzlich gebe ich dir recht. Was wäre daran auch zu rütteln? Naja, eine kleine Idee hätte ich schon. Aber zunächst habe ich mir natürlich die Frage gestellt: wie zum Geier soll man da einen Konjunktiv II draus machen, ohne den betreffenden Halbsatz zu streichen? Man kann dort ja schwer das sei durch eine wäre austauschen. Zumindest entzieht sich das jeglichem mir innenwohnenden Sprachgefühl.

Nun,

lieber Carlo,

nix einfacher als das („wäre“ statt „sei“ & noch verstärkend „hielte“ – Konj. II von „halten“, da ist noch nicht einmal die Verwechselung mit dem Prät. (halten/“hielt“) möglich.

Aber was grübeln wir, wenn wir uns gar nicht in den Konjunktiefen verlieren können, wenn der Indikativ allemal gefahrlos genutzt werden kann, etwa derart

"Ulmann machte keine Hausaufgaben, keine Notizen – außer, jemand hielt ihm eine Pistole auf die Brust"

Nix zu danken,

findet der Friedel

 

Okay (@Friedrichard )
diesen Trick mit dem Indikativ muss ich mir mal merken. :-)
Obwohl es hier auch das 'außer' macht.
Danke auf jeden Fall, dass du dich nochmal gemeldet hast.

 
Zuletzt bearbeitet:

Moin Carlo,

hat mir sehr gut gefallen, deine Story.

Kurz: Die Geschichte liest sich runter, richtig gut, die Sprache stimmt und macht Spaß. Allgemein hat dein Text einen guten Sound und Vibe, auch ein sehr eigener Taste, das gefällt mir wirklich.
Mein Kritikpunkt in Kürze: Ich würde an manchen Stellen runterfahren. Ein wenig tiefer Stapeln, aber dafür mehr auf dem Boden der - für mich - Realität bleiben. Ich nehme dir große Teile des Textes beim Lesen ab, auch, dass die real sind, dass du dort autobiographische Teile drin hast, lass das gerne offen in deiner Antwort, was was ist, damit man den Fokus auf den Text nicht verliert.
Aber an manchen Stellen ist der Text jetzt nicht hardcore drüber, aber im Feinen spüre ich die Übertreibung und Verkünstlichung, Literarisierung. Solche Details sind immer mal in deinem Text, und ich fände den Text besser bzw. würde es mich interessieren, wie er rüberkommt, wenn du an ein paar Punkten etwas niedriger stapelst, dafür aber realer wird.
Besgte Stellen:

Ulmann besaß einen achthundert Euro Kompositbogen. Mit dreizehn. Er kiffte Blunts. Mit dreizehn. Er hatte ernstzunehmenden Bartwuchs. Mit dreizehn.
Das „mit dreizehn“, ich finde das ist ein wenig intendiert vom Text, dass der Erzähler mit dem Holzhammer sagt: So jung! Das ist doch krass! - bräuchte es gar nicht, das würde man sich als Leser sowieso denken, mMn
Und das ist so eine Stelle, die ich übertrieben finde, er kifft mit dreizehn, ok, dann noch Bartwuchs, ok, manche Türken in meiner Grundschule hatten schon einen Schnurrbart haha, glaube ich auch, aber dann noch irgendwas mit viel Geld, nee, das ist drüber mMn, auch BLUNTS, da gehst du doch mit 13 dran kaputt, da musst du schon wirklich richtig hardcore unterwegs sein, wieso nicht einfach einfach Joints oder meinetwegen Emma oder mal Heroin mit 13, das gibt es ja, aber regelmässig Blunts, das kostet ja auch einen Arsch voll, wieso raucht er keine normalen Joints?
Ulmann verstand mehr von Mathematik als die, die es uns beibringen wollten. Er konnte Aufgaben lösen, ohne jemals die dazugehörige Formel gesehen zu haben.
Das ist für mich auch drüber. Ich fände es so geil, wenn du diese - ich nenne es mal Exegeration-Darlings - ein wenig realer gestalten und entkünsteln würdest! Nur meine persönliche Meinung natürlich. Hier: Dass er besser als ein Taschenrechner ist glaube ich nicht. Das ist drüber finde ich. Lass ihn doch einfach ein Matheass sein, jemand, der Mathestudenten Nachhilfe gibt in der 10. Klasse, und sich während den Nachhilfestunden den Stoff erst selbst beibringt weil er sich schnell einliest und extrem talentiert ist oder so, in die Richtung

Wie immer fand sich leider kein Schuldiger. Eine aus den Fugen geratene Facebook-Party – das akzeptierte damals noch

Zu den Raves: Kp, ich habe da sehr wenig persönliche Bezugspunkte, aber ich habe da auch ein paar Exegeration-Darlings gesehen.
1. Z.B. dass der Prot erst 14 ist, als er die vielen Gigs bekommt - geht das? Ich hab mit 14 in Bands gespielt, und bei Gigs wurde penibel darauf geachtet, dass wir vor 10 dran kamen usw. Aber hier ist auch Bayern haha.
2. Dann hat mich noch gewundert, dass er quasi zum Mainact gemacht wurde und auch als die Nummer sehr groß wird, und der Veranstalter-Prot praktisch große Nummern hätte buchen können oder mal andere, er immer ihn bucht. Da hatte ich so ein Exegeration-Darling-Moment, wo ich mich fragte: Geht das oder ist das für die gute Geschichte? Da glaube ich dem Erzähler nicht ganz. Das müsstest du vielleicht entweder runterfahren, dass dein Prot nicht ganz der Hero in der Geschichte ist, der die großen Gigs immer als Hauptact abreißt, oder dass er das eben nicht immer macht.

Zu Raves: Wie funktioniert das, habe ich mich gefragt. Ihr schleppt da Generatoren und Bässe Mischpulte und so in eine Location, und wenn die von den Bullen hopps genommen wird, und niemand anzutreffen ist, der Schuld ist, ist ja das ganze Equipment weg oder? Kostet das nicht extrem viel? Wie kann man für gratis Raves im Freien auch Eintritt verlangen oder Geld verdienen mit? Da müsste doch auch das Finanzamt richtig hinterher sein, die Schweine, oder? :D

Also der Text ist sehr gut, ich hatte richtig Spaß, ihn zu lesen. Ich frage mich, wie er wirken würde, wenn du an genannten Stellen etwas runterfahren würdest. Ich habe so ein kleinwenig Realness vermisst an besagten Stellen, sie kamen mit einfach etwas "übertrieben" vor; da stellt sich dann die Frage, ob der Erzähler ein unzuverlässiger Erzähler ist, der eben übertreibt, oder ob der Autor übertreibt - in beiden Fällen konnte ich dem Text nicht mehr ganz glauben und ich wurde etwas rausgeschmissen aus dem Text, was ich schade fand.

Den Part mit der Freundin fand ich erwähnenswert gut. Das fühlt sich einfach verdammt echt an, an der Stelle war ich ganz dabei.

Das Ende mit Erwachsenwerden, ach, was heisst das schon? (Es folgt eine persönliche Abhandlung über Erwachsenwerden, was natürlich auch meinen eigenen Kampf gegen das Erwachsenwerden widerspiegelt :D) Im Zeitalter der Dekonstruktion sollte man auch dieses Konstrukt von Erwachsensein mal kritisch hinterfragen und Dekonstruieren. Was bedeutet das? Ist man erwachsen, wenn man seine Träume aufgegeben hat? Oder wenn man genau so lebt, wie es die Gesellschaft für einen im jeweiligen Alter vordenkt (geregelte Arbeit, friedliches Gemüt, wenig Abweichung, Kinder, Eigenheim, usw.)? Ich finde, Erwachsensein ist so ein Überbleibsel aus vormoderner Zeit, ein theoretisches Konstrukt, das man an Alter, Hormonhaushalt, Einkommen festnageln will, aber ein Konstrukt bleibt, das man aber leider, da es in unserer Welt als Real anerkannt wird, zur Realität wird. Aber ich denke, das geht zu weit vom Thema ab! :D Fand es nur ein irgendwie leicht deprimiertes Ende, dieser Funke, den der Prot hatte, da scheint etwas weggebrochen zu sein, aus Angst vielleicht, aber das hat mich etwas deprimiert, man muss ja nicht mit 45 auf den Bunkerrave gehen, aber eine gewisse Art von Freiheit, das hat weniger mit Alter zu tun als mit Mut, ist mein Gedanke gerade zumindest. Dein Prot hat künsterlischen Talent und Chuzpe, schade, dass das am Ende nur Phase gewesen war und dem Sog der Bürgerlichkeit nicht entgehen konnte.

Insgesamt ein schöner Einblick in die Raveszeene, und man spürt etwas Wahres an der Geschichte.

Viele Grüße
zigga

 

Lieber @zigga ,

jetzt dein anderer Kommentar. Tausend Dank, dass du zu beiden Geschichten was geschrieben hast. Hat mir viel gegeben.
Und klar freue ich mich auch bei dieser Story, wenn dir was gefällt :-)
Ich versuche, noch mal über all die Stellen drüber zu gehen, die du rausgeschrieben hast. Ich habe versucht, so eine heimliche oder halbwegs offene Begeisterung für diesen eigentlich sehr ambivalenten Ulmann rüberzubringen. Vielleicht auch mehr 'Interesse' als 'Begeisterung'. Vielleicht ist deshalb das ein oder andere Detail etwas drüber. Das mit den Blunts, dem Bartwuchs ... Andererseits soll er ja gerade so eine irvingmäßig überzogene Person sein. Ich bin da ein bisschen gespalten. Ich verstehe, was du meinst, aber ich frage mich, ob das nicht auch eine Geschmackssache ist – dieses etwas abenteuerliche Erzählen. Vielleicht liegt es auch an Nuancen "ernstzunehmender Bartwuchs" – da könnte auch allein das Adjektiv das Schippchen zu viel gewesen sein. Genau wie "verstand mehr von Mathematik ... ohne jemals die dazugehörige Formel gesehen zu haben". Aber das ist ja auch genau, was du sagst: da in Nuancen runterzugehen.
Zu den Rave- und DJ-Details: Da würde ich sagen, je nach Etablissement. Und es stimmt auch: Berlin ist da lockerer als Bayern – bzw. hat da die Polizei mit Sicherheit nicht so sehr die Nase in allem drin wie im Freistaat. Oft auch zu wenig. Aber der beschriebene Laden ist ja explizit auch so ein etwas shady Ort, wo nicht so genau aufs Alter geschaut wird. Wenn der Prot dann noch alt genug aussieht, um nicht unbedingt danach gefragt zu werden, regelt auch der Kontext psychologisch was. Wenn alle um dich herum erwachsen sind und du vielleicht jung, aber jetzt nicht wie 14, 15, 16 aussiehst, sondern vielleicht wie 18, 19, 20 – zumal man für die meisten älteren Leute eh immer undefiniert 'jung' aussieht (genau wie umgekehrt) – dann geht das auf. Wenn dann eine Razzia läuft. Gut, dann gibts Probleme.

War bei vielen Raves damals. Ich habe mir das so erzählen lassen, dass Anlagen nie beschlagnahmt wurden. Vielleicht ist das irgendwo auch so ein Duldungs-Ding. Oder es reichen Personal- oder Befugnisse nicht aus um das zu tun. Oder die Tatschwere wird nicht als groß genug bewertet.
Für illegale Open-Airs kann man eigentlich kein Geld verlangen. Also da gibt es die Möglichkeit spenden von den Leuten einzusammeln. Wo aber was rumkommt, ist die Bar – das wird manchmal auch als Spende verstanden. Man kauft dann eben nicht vorher dick beim Späti ein, sondern vor Ort dann für einen Euro mehr.
Wo aber eher was rumkommt, sind illegale Raves in geschlossenen Räumen. Aus dem einfachen Grund, dass du da jemanden an die Durchgangsstelle setzen kannst.

Deinen Gedanken übers Erwachsenwerden kann ich mich anschließen. Es ist aber unterm Strich doch eine sehr mächtige Konstruktion. So mächtig, das viele darauf ihre Jugend und ihr späteres ('Erwachsen'-)Sein ausrichten. Das zu dekonstruieren, ist denkbar wichtig. Andererseits ist das natürlich auch sehr bewusstseinsstiftend und hat viel mit Kontrollgefühl und Selbstdisziplinierung zu tun. Ebenso wichtige Seins-Aspekte.

Vielen, vielen Dank jedenfalls für den sehr schönen Kommentar. Erwachsenwerden als Konstruktion und 'Sog der Bürgerlichkeit' :-) Das soll für heute der letzte große Gedanke sein. Bin damn müde und gehöre ins Bett.

Liebe Grüße
Carlo

 

Andererseits soll er ja gerade so eine irvingmäßig überzogene Person sein.
Vielleicht liegt es auch an Nuancen "ernstzunehmender Bartwuchs" – da könnte auch allein das Adjektiv das Schippchen zu viel gewesen sein. Genau wie "verstand mehr von Mathematik ... ohne jemals die dazugehörige Formel gesehen zu haben". Aber das ist ja auch genau, was du sagst: da in Nuancen runterzugehen.
Das mit den Blunts, dem Bartwuchs ...
Ich hatte tatsächlich an Irving gedacht, hatte das aber aus meinem Kommentar wieder gelöscht, haha. Ja, die Figuren haben/hatten für mich tatsächlich auch einen irvingschen Geschmack, und das finde ich gut! Mir geht es wirklich nur darum, abzuspecken und auf dem Boden der Realität zu bleiben - insofern du das möchtest. Irving macht das jedenfalls so, bei ihm bin ich manchmal ganz erstaunt, dass ich 95% der Figuren kaufe, obwohl sie so schräg, so eigenartig sind. Aber bei ihm habe ich mir so gut wie nie gedacht: Nee, das glaube ich nicht! Nur dass Jenny Fields im Schwesternkostüm ihr restliches Leben rumläuft, habe ich im Endeffekt nicht geglaubt. Ansonsten verkauft Irving mir das immer so glaubhaft, dass ich ihm seine Lügen abnehme. Das ist es, was ich meine: Es ist eine offensichtliche Lüge, dass jemand, der noch nie die dazugehörigen Formeln gesehen hat, komplexe mathematische Lösungen einfach so errechnen kann. Sogar in Good Will Hunting kennt Will die mathematischen Formeln, und kann deswegen, obwohl er nur Putzer ist, die komplexen Formeln lösen. Und ich glaube auch nicht, dass dein Erzähler darauf reinfallen würde, dass er das glaubt, dass die Figur das lösen könnte ohne Formeln - dafür ist dein Prot zu schlau, er hat ja sogar Abitur etc. Also mir geht es nur im Grammbereich darum, runterzufahren, dann fände ich diese Figurenbeschreibungen herrlich.

Viele Grüße

 

Wahrscheinlich bin ich bereits so langweilig, mittelmäßig und scheiße, dass ich Letzteres für wahrscheinlicher halte.

Hallo,

launiger Text, sehr gerne gelesen. Jeder kennt ja einen solchen Ulmann, und wenn nicht, dann hat er wahrscheinlich etwas falsch gemacht. Ist seltsam, denn ich lese den Text am WE und samstag morgen habe ich einen Brief in der Post von einem meiner "Ulmänner", den ich seit Jahren nicht gesehen hatte und der nun in der LVR Düren sitzt. Früher ein begnadeter Boxer und auch sehr guter Schriftsteller gewesen, aber dann irgendwann sich selbst auf das falsche Gleis gesetzt.

Man wird erwachsen. Wer das nicht begreift, dass diese Party nicht ewig weitergeht, dass andere Dinge wichtig werden, oder: auch wichtig. Das hat nichts mit Bürgerlichkeit zu tun oder so, in solchen Begriffen denke ich irgendwie nicht oder habe ich auch nie. Man entwickelt ja seine eigene kleine verrückte Welt und in die lässt man irgendwann immer weniger Menschen, wenn überhaupt. Ich finde es sehr schlimm, wenn Menschen ab 40 noch so tun, als seien sie eigentlich 25. Da wird oft gesagt: Ey, ich geh auf Parties mit den ganzen Twens und falle auf der Tanzfläche gar nicht auf! Nein, klar, DIR selbst fällt das wahrscheinlich nicht auf, aber jedem anderen, jeder andere sieht dir dein Alter an, dude! Das ist dann peinlich und cringe.

Das ist bei Ulmann wirklich nicht, woran man zu erst denken sollte. Ulmanns Husten ist sogar ein so unwichtiges Detail, dass ich es, wenn ich von Ulmann spreche, überhaupt nie erwähne.
Stil: Erinnert mich manchmal an Thomas Bernhard, das Mäandernde. Ich finde, da es hier auch um Musik bzw Beats geht, könntest du noch etwas mehr Rhythmus in die Sprache packen. Es bietet sich irgendwie an, finde ich, das ist so schon sehr flüssig, aber manchmal irgendwie eine Generalpause und dann so was anschwellendes, sich steigerndes, auf ein Zentrum zulaufendes.

Ich frage mich, ob wir tatsächlich so etwas wie Symbionten waren oder ob ich für ihn in Wirklichkeit gar keine Rolle spielte. Und wenn doch: Warum eigentlich ich?

Ist ja oft so, wenn man sich das mal ansieht, mit den Leuten aus der Jugend oder dieser aufregenden Adoleszens, da löst sich viel auf, kaum eine "Freundschaft" besteht, weil das meistens auch zweckgebunden ist. Selbst mit Dudes mit denen ich in Bands gespielt habe und in Belgien und Frankreich auf Tour war, so richtig Get in the Van! mässig, und man so besoffen rumbrüllte: Uns gehört die Welt!, da hast du heute kaum Berührungspunkte mehr, es ist alles eine distant memory. Ich finde das nicht schlimm, aber ich weiß, dass es jede Menge Leute gibt, die genau diesen Momenten nachtrauern. Ich denke mir immer: don't stop making memories. Wenn du mit 40 schon über die alten Zeiten redest, läuft was verkehrt.

Ich denke, vielleicht wäre ein versöhnlicheres Ende besser - versöhnlich in dem Sinne, dass es auch gut so ist, wie es jetzt ist, er meldet sich nicht mehr bei Ulmann, aber man weiß auch, warum er das nicht tut. Hier zweifelt er ja bis zum Schluss und hadert, das kann und soll er ja auch, aber eine Seite des Erwachsengewordenseins ist doch auch, Entscheidungen zu treffen und mit den Konsequenzen zu leben. Insofern ist die Entscheidung, sich nicht zu melden, ein erwachsener Akt; er ist dieser Welt im wahrsten Sinne des Wortes entwachsen und er trifft bewusst diese Entscheidung, diese Welt und auch dieses "Ich" hinter sich zu lassen.

Gruss, Jimmy

 

Hey @zigga

danke, dass du dich da noch mal zurückgemeldet hast. Ich hab Irving tatsächlich nie gelesen nur einfach as Lesebeschreibungen und Anmerkungen von Kommentatoren gelesen, dass ich Figuren scheinbar oft ein bisschen in dem Stil gestalte. Die Verbindung liegt wahrscheinlich eher im Humor. Ich werde den Text auf jeden Fall noch mal abspecken (fett markiert, um es wiederzufinden) – schaffe ich nicht vor Mitte Dezember mich da ranzusetzen, aber dann mit Zigarette und einem Glas Bier oder dergleichen, mit Genuss dann. Ich sehe jedenfalls, was du meinst. Du hast ja auch viele betreffende Stellen rausgeschrieben und das mit den Matheformeln habe ich auch noch mal offline zurückgemeldet bekommen ...
Danke dir!

Viele Grüße


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Hey @jimmysalaryman ,

vielen Dank für den Besuch. Habe mich sehr gefreut, dass du nach dem Challenge-Text auch noch den hier kommentiert hast. Mich hat auch interessiert, was du gerade von den zwei Texten hältst, die ja jetzt doch ziemlich kurz hintereinander entstanden sind und jetzt von dir kommentiert wurden. Da jetzt jeweils einen Leseeindruck zu haben, bereichert auf jeden Fall. Werde ich mir sicher noch ein paar Mal durchlesen und auch mal die Kommentare gegeneinander lesen, was auch immer das (nicht) bringt.

Ein bisschen verrückt, dass du dann quasi zeitgleich Post von einem deiner 'Ulmänner' bekommen hast. Klingt nach einer Biografie ... Ich hoffe, es war interessant oder erfreulich.

Was das 'Erwachsenwerden' angeht, fühle ich das ähnlich. Auch beim offline Vorlesen des Textes, habe ich interessanterweise zum Teil 'traurige' Reaktionen auf das Ende wahrgenommen – nur von einigen Leuten allerdings. Finde das eigentlich ganz gut, dass da jeder seine Wahrnehmung der Sache reinlegen kann. Die Mehrheit reagiert da ja eher wie du.

Ey, ich geh auf Parties mit den ganzen Twens und falle auf der Tanzfläche gar nicht auf! Nein, klar, DIR selbst fällt das wahrscheinlich nicht auf, aber jedem anderen, jeder andere sieht dir dein Alter an, dude! Das ist dann peinlich und cringe.

:D

Ich fühle mich neuerdings auch manchmal wieder mit solchen Sehnsüchten nach so einer Partyzeit, diesen abendlichen Odysseen und damit verbundenen Gerüchen, Wahrnehmungen, Geschmäckern etc. konfrontiert. Aber ich sehe es da auch so, dass man sich das eben nehmen muss – dont stop making memories trifft es ja ganz gut. Mache ich selbst aber definitiv zu wenig.

Den Rhythmus werde ich hier und da noch mal ein bisschen anpassen (fett markiert für mich zur Erinnerung). Da hast du schon recht. Dieses Bernhard-mäßige, wie du es beschreibst, ist ja schon eher so etwas Ordnendes auch etwas stilistisch Abkühlendes. Da sind solche Crescendos wahrscheinlich angemessener.
Auch was die Entschlossenheit am Ende des Textes angeht. Beim Schreiben hatte ich halt das Gefühl, auch ein bisschen advocatus diaboli spielen zu müssen. Deshalb diese Selbstanklage des Prots. Schwächt aber natürlich auch, wie du das ja gut analysiert hast, die Entschiedenheit, mit der der Prot aus der Sache mit Ulmann geht. Schaue ich mir bei der Überarbeitung noch mal an.

Vielen Dank dir für deine Zeit und den sehr schönen Kommentar und bis ganz bald!
Carlo

 

Hallo Carlo, ich denke für den Einstieg den ich hier noch mal nachgelesen habe und den du im Dichterkreis bei uns vorgestellt hast, kommt das markante, ganz spezifische Hüsteln so kurios das ist, zu kurz weg. Ich will schon genau wissen, wie es klingt das "unwichtige Detail", wenn das der Rahmen der Handlung ist, der sich am Ende ja über das spezifische Hüsteln wieder schließt. Es bleibt etwas leer dadurch und wird nur aufgerufen. Das ist bestimmt nicht leicht, aber vielleicht über ein paar Vergleiche wirds vielleicht noch genauer und genau sein willst du ja in deinen Beschreibungen immer. Das macht ja auch die Qualität deiner Texte aus. Die Figur Ulmann, der Trickster, entwickelt sich im Verlauf nicht, vielleicht spiegelt sich das ja in dem Hüsteln schon wieder, etwa die letzte heiße Luft, ein Pfeifton in A Moll oder so was. Außerdem kannst du über einen Ausflug in Details das Problem der etwas lähmend informierenden Chronologie des "Und dann... und dann... und dann...lösen, in dem du vom kleinsten unwichtigsten Detail in die großen Zusammenhänge der Story gerätst. Für die Techikfeatures nimmst du dir ja auch Zeit. Ein paar Wertungen im letzten Abschnitt im Text sind außerdem nicht nach meinem Geschmack. Langeweile ist auch eine Form der Selbstüberschätzung, sich selbst langweilig zu finden ist eben nicht nur eine traurige Resignation. LG Gabriel

 

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