Was ist neu

Novelle Total normal

Mitglied
Beitritt
12.03.2024
Beiträge
2

Total normal

„Weißt du eigentlich, was ein Tisch ist?“, fragte meine kleine Cousine. Ich spürte ihre warme Hand in meiner. Sie zog mich vorwärts, vermutlich, um in die nächste Pfütze zu springen. Erst gestern hatte es geregnet, was im Herbst nicht ungewöhnlich war.

Ich schüttelte den Kopf. „Ist das nicht komisch?“, fragte sie neugierig weiter. Mein Mund verzog sich zu einem Lächeln. „Natürlich.“

Eine Kirchenglocke verkündete die volle Stunde mit lautem Glockenläuten. „Ina, siehst du hier irgendwo eine Bank, damit wir auf meine Mama warten können?“, fragte ich meine Cousine. Ich ließ mich von Ina einfach mitziehen. Vorsichtig und mit beängstigend viel Übung bugsierte Ina mich auf die Bank, indem sie mich festhielt und genau erklärte, was ich machen sollte, ohne dass ich mich daneben setzte, was peinlicherweise schon des Öfteren vorgekommen war.

Der kühle Wind wehte mir einzelne Haarsträhnen ins Gesicht und ließ mich trotz meiner Winterjacke frieren. In der Nähe musste ein Spielplatz sein, denn ich hörte Kinder spielen. Sie rannten über die Wiese, lachten und plapperten durcheinander. Jedes Mal wenn ein Kind die Rutsche hochrannte, wummerte es. Gespannt lauschte ich den Geräuschen und versuchte mir die spielenden Kinder vorzustellen. Wie so oft scheiterte ich. Sehnsucht und Traurigkeit machte sich in mir Breit. Neben mir baumelte Ina mit ihren Beinen und summte eine fröhliche Melodie. „Wenn du willst, kannst du auch auf den Spielplatz gehen. Ich weiß doch, dass du es unbedingt möchtest“, sagte ich nach einer Weile, als ich es nicht mehr aushielt. „Nö, ich muss doch auf dich aufpassen“, antwortete sie mir. Ich seufzte. „Das heißt aber nicht, dass du hier rumsitzen und dich langweilen sollst. Außerdem habe ich noch Fluffy bei mir.“ Passend in dem Moment kam Fluffy laut bellend auf uns zu gerannt. Vor mir blieb er stehen und legte seinen Kopf auf meinen Schoß. Lächelnd kraulte ich seinen Kopf.

Ina zögerte noch einen Moment, dann rannte sie los in Richtung des Spielplatzes. Erleichtert legte ich meinen Kopf in den Nacken. Schritte kamen auf mich zu, steuerten mich direkt an. Ich kannte sie nur zu gut und würde sie unter hunderten wiedererkennen. Die Schritte meiner Mutter, sie waren schnell und gaben mir ein Gefühl von niemals endender Rastlosigkeit und Hektik. Bei jedem ihrer Schritte klackten ihre Schuhe. Vor mir verstummten sie abrupt. „Fiona, wie geht es dir? Gab es irgendwo Probleme? Ich hoffe Fluffy und Ina haben gut auf dich aufgepasst“, redete sie sofort auf mich ein. Ich gab einen bejahenden Laut von mir, der so viel sagen sollte wie mir geht’s gut, es gab keine Probleme und die beiden haben sich hervorragend um mich gekümmert. Meinen Kopf ließ ich im Nacken, die Augen geschlossen. Es machte sowieso keinen Unterschied.

„Du glaubst gar nicht wie voll es in dem Laden war. Die armen Kassierer waren ja völlig überfordert“, erzählte meine Mutter. Ich brummte: „Das werden die schon überleben.“, was sie gekonnt ignorierte, und mit ihrer Erzählung fort fuhr. Die Chance, meine Ruhe wieder zu bekommen, sank.

Nachdem wir Ina nach Hause gebracht hatten, eröffnete mir meine Mutter, dass sie neue Kleidung gekauft habe. Sie erzählte mir etwas von dem Design, den Mustern, Farben und der Marke. Ich ließ sie reden. Ab und zu nickte ich und lächelte. Auch wenn es mich nicht interessierte, vielleicht sogar nervte, versuchte ich es mir ihretwegen nicht anmerken zu lassen. Es machte sie glücklich, das merkte ich an der Art und Weise wie sie sprach. Ich bereitete ihr genügend Sorgen.

Nacheinander nahm ich die Kleidungstücke in die Hand. Ich ließ sie durch meine Hände gleiten. Die Stoffe fühlten sich teuer und hochwertig an. Weiche Baumwollpullis und samtene Hosen. Sie rochen neu und unbenutzt, nach Einkaufsladen. Immer wieder stellte ich fasziniert fest, dass meine Mutter genau meinen Geschmack getroffen hatte.

Völlig fertig ließ ich mich, alle Viere von mir gestreckt auf den Boden fallen. Der Tag war schön gewesen, trotzdem fühlte ich mich ausgelaugt. Ich lauschte dem Radio im Zimmer nebenan und träumte von einer anderen Realität. Von einer Realität voller Farben und ohne Sorgen. Etwas Großes und Flauschiges legte sich auf meinen Bauch. Mir blieb für einen Moment die Luft weg. Keuchend schob ich Fluffy von mir runter. Er machte es sich neben mir bequem und schnarchte im nächsten Moment friedlich vor sich hin. „Was würde ich bloß ohne dich machen?“, murmelte ich.

Am nächsten Tag flüchtete ich schnell in den Garten. Es war schönes Wetter und Wochenende. Außerdem diskutierten meine Eltern gerade lautstark. Über was wusste ich nicht genau, nur dass ich nicht dabei sein wollte. Fluffy sprang durch den Garten und ich folgte vorsichtig unserem Zaun, bis ich über etwas stolperte, versuchte mein Gleichgewicht zu halten, kläglich scheiterte und fiel.

Auf einen Schlag fehlte mir jegliche Orientierung. Ich war einige Schritte gestolpert. Schnell rappelte ich mich wieder auf, doch meine Beine fühlten sich viel zu weich an. Wo war Fluffy? Sein Bellen kam mir viel zu weit weg vor. Jeder Atemzug viel mir zunehmend schwerer. Verdammt. Panik überkam mich.

„Meine Güte, Mädel. Du bist nur gestolpert. Es blutet nicht mal“, riss mich die Stimme eines genervten Mädchens einige Meter von mir entfernt aus meinen Gedanken. Es fühlt sich an, als hätte mich jemand aus einer Art Trance gerissen. Der Knoten in meiner Brust löste sich und ich konnte wieder normal atmen. Fluffy stupste mich an. Aufgewühlt strich ich ihm über den Kopf. Sofort entspannte ich mich wieder.

„Kannst du mir sagen, wo ich mich gerade im Garten befinde?“, fragte ich. Es war mir etwas unangenehm. „Kein Plan warum, aber du bist ungefähr nen Meter vom Zaun entfernt. Du stehst mit dem Rücken zu ihm. War’s das?“ Ich nickte. Einen Moment blieb ich noch stehen, wandte mich schließlich ab und mit Fluffys Hilfe zum Zaun, um meine Runden weiter zu drehen. „Wie heißt du?“, fragte ich, nach einer Runde. Erst bekam ich keine Antwort. Ich befürchtete schon sie wäre gegangen. Dann schnalzte sie mit der Zunge. „Tu doch nicht so, als wäre das alles, wenn du noch was fragst“, antwortete sie. Wenn mich nicht alles täuschte, klang sie noch genervter als vorher, falls das überhaupt möglich war. „Mara.“ „Ich bin Fiona“, antwortete ich. „Hab ich dich nach deinem Namen gefragt?“, blaffte Mara mich an. Ich schüttelte verdattert den Kopf. „Also interessiert mich dein Name?“ Wieder schüttelte ich den Kopf.

Die Terrassentür öffnete sich. Entsetzt keuchend kam meine Mutter aus der Richtung des Hauses, packte mich am Arm und zog mich ins Haus. Überrumpelt wie ich war, ließ ich mich mitzerren.

„Du kannst mit so jemandem doch nicht reden. Wie die aussieht. Das ist viel zu gefährlich.“

„Du kennst sie doch überhaupt nicht“, versuchte ich Mara zu verteidigen. „Das brauche ich auch nicht um zu wissen, dass sie ein schlechter Umgang für dich ist“, rief meine Mutter aufgebracht. Seufzend gab ich mich geschlagen.

Am nächsten Tag, meine Mutter arbeitete gerade in ihrem Arbeitszimmer und mein Vater war in den Baumarkt gefahren, schlich ich mit Fluffy in den Garten. Auf gut Glück rief ich Maras Namen. Es war einer dieser kühlen Herbsttage. „Was willst du?“, fragte Mara gelangweilt. „Wie ist das so sehen zu können?“ „Frag doch deine Eltern“, meinte Mara abweisend. „Hab ich schon, aber jetzt möchte ich es von dir wissen.“ Gespannt wartete ich auf ihre Antwort. „Keine Ahnung. Ich kenn es halt nicht anders. Aber was ich weiß, ist, dass du unglücklich aussiehst.“ Meine Augen wurden groß. „Sowas kann man sehen?“ „Jap“, sagte Mara und warf etwas weg. Es gab ein dumpfes Geräusch und Mara murmelte: „Treffer.“ „Ich werde immer anders sein, nur weil ich blind bin“, antwortete ich wahrheitsgemäß.

„Viele Menschen wollen aus der Masse hervorstechen und du tust es immer. Das ist ein Grund sich zu freuen. Verstanden? Du hast ein Handicap. Scheiße gelaufen, aber jetzt musst du das Beste aus der Situation machen oder willst du später die ganze Zeit denken, was wäre, wenn…“

 

Hallo @Clearpoesie,

herzlich willkommen.
Dein Text hat ein interessantes Thema und man kann ihn flüssig lesen. Für mich wirft er jedoch Fragen auf, und ich hätte ihn mir für eine Novelle länger gewünscht.

Ich habe Schwierigkeiten, das Alter deiner Protagonistin einzuordnen.

Weißt du eigentlich, was ein Tisch ist?“
Ich vermute mal, damit willst du sagen, dass sie von Geburt an blind ist. Aber selbst dann weiß sie inzwischen mit Sicherheit, was ein Tisch ist.
Ich ließ mich von Ina einfach mitziehen. Vorsichtig und mit beängstigend viel Übung bugsierte Ina mich auf die Bank, indem sie mich festhielt und genau erklärte, was ich machen sollte, ohne dass ich mich daneben setzte, was peinlicherweise schon des Öfteren vorgekommen war.
Warum ist das beängstigend? Verstehe ich nicht.
In der Nähe musste ein Spielplatz sein, denn ich hörte Kinder spielen.
Wenn sie da wohnt, dann weiß sie mit Sicherheit, dass dort ein Kinderspielplatz ist.
Jedes Mal wenn ein Kind die Rutsche hochrannte, wummerte es
Hier habe ich überlegt. Warum wummert es, wenn man rutscht? Du meinst, die Kinder sind in der Metallrutsche wieder nach oben gestiegen.
Woher weiß sie das, hat ihr das ihre Mutter einmal erklärt?
Gespannt lauschte ich den Geräuschen und versuchte mir die spielenden Kinder vorzustellen. Wie so oft scheiterte ich. Sehnsucht und Traurigkeit machte sich in mir Breit.
Dann wurde ihr das mit den spielenden Kindern doch auch beschrieben Spiel!
Mich würde interessieren, warum scheitert es?
Beschreibe die Sehnsucht und Traurigkeit. Sehnsucht mal zu rutschen, traurig, weil sie die Kinder nicht sehen kann.
Wenn du willst, kannst du auch auf den Spielplatz gehen. Ich weiß doch, dass du es unbedingt möchtest“,
Warum geht sie nicht mit auf den Spielplatz?

Schritte kamen auf mich zu, steuerten mich direkt an. Ich kannte sie nur zu gut und würde sie unter hunderten wiedererkennen. Die Schritte meiner Mutter, sie waren schnell und gaben mir ein Gefühl von niemals endender Rastlosigkeit und Hektik. Bei jedem ihrer Schritte klackten ihre Schuhe.
Finde ich gut, wie du hier den Hörsinn von Blinden beschrieben hast.

Gab es irgendwo Probleme? Ich hoffe Fluffy und Ina haben gut auf dich aufgepasst“,
Das kaufe ich dir nicht ab. Wenn die Mutter möchte, dass ihre Tochter ein einigermaßen normales Leben führt, dann wird sie nicht konstant nachfragen, sondern ihrer Tochter zutrauen, dass sie das meistert. Denn alles andere würde sie wütend machen.
Vielleicht sie einfach nur fragen lassen: alles okay?
Das werden die schon überleben.“, was sie gekonnt ignorierte, und mit ihrer Erzählung fort fuhr
Hier höre ich heraus: ich habe ganz andere Probleme, warum erzählst du mir das?
Ich bereitete ihr genügend Sorgen.
Welche Sorgen?
Die Stoffe fühlten sich teuer und hochwertig an
Die Mutter erwähnt die Marken. Ich nehme an, dass es dann klar ist, dass die Stoffe hochwertig sind.
Sie rochen neu und unbenutzt, nach Einkaufsladen.
Wenn sie neu sind, dann sind sie unbenutzt.
Vorschlag: sie roch neu, ein bisschen chemisch, nach Boutique.
Der Tag war schön gewesen, trotzdem fühlte ich mich ausgelaugt.
Verstehe ich nicht: zuerst war sie traurig, dann hat sie sich über die Mutter geärgert …
Fluffy sprang durch den Garten und ich folgte vorsichtig unserem Zaun, bis ich über etwas stolperte, versuchte mein Gleichgewicht zu halten, kläglich scheiterte und fiel.
Ich wundere mich auch, warum Fluffy nie ein Blindengeschirr anhat.
Ich kenne eine blinde Therapeutin, sie hat, wenn sie sich außerhalb ihres Hauses aufhält, den Hund immer am Geschirr, sogar, wenn sie in ein Lokal geht.
Auf einen Schlag fehlte mir jegliche Orientierung. Ich war einige Schritte gestolpert.
Das stimmt die Reihenfolge nicht. Sie stolperte doch zuerst und dann fehlt ihr die Orientierung.
„Meine Güte, Mädel. Du bist nur gestolpert.
Ich weiß nicht, wie alt dieses Mädchen ist und es würde mich auch interessieren, wie sie in den Garten gekommen ist. Das sie „meine Güte Mädel“, sagt, kann ich mir nicht vorstellen. Er so etwas wie: jetzt Chill mal …oder hab dich nicht so …
Es fühlt sich an, als hätte mich jemand aus einer Art Trance gerissen
Auch das erscheint mir zu übertrieben, denn sie ist mit Sicherheit als Blinde schon öfter hingefallen
Kein Plan warum, aber du bist ungefähr nen Meter vom Zaun entfernt. Du stehst mit dem Rücken zu ihm.
So wie ich das gelesen habe, weiß dieses Mädchen, dass sie blind ist. Warum sagt sie dann kein Plan?
Einen Moment blieb ich noch stehen, wandte mich schließlich ab und mit Fluffys Hilfe zum Zaun, um meine Runden weiter zu drehen. „Wie heißt du?“, fragte ich, nach einer Runde. Erst bekam ich keine Antwort. Ich befürchtete schon sie wäre gegangen.
Warum läuft dieses Mädchen mit?
Tu doch nicht so, als wäre das alles, wenn du noch was fragst“, antwortete sie.
Hier stimmt was nicht
Du kannst mit so jemandem doch nicht reden. Wie die aussieht. Das ist viel zu gefährlich
Mich wundert, dass die Mutter gar nicht fragt herkommt,, wo dieses Mädchen herkommt.
Ich werde immer anders sein, (nur) weil ich blind bin“, antwortete ich wahrheitsgemäß.
Sie wird nicht „nur“ sagen, den blind sein ist ja das schlimmste für sie überhaupt
aber jetzt musst du das Beste aus der Situation machen oder willst du später die ganze Zeit denken, was wäre, wenn…“
Das ist mir zu schulmeisterhaft.
Viel schöner wäre eine Geschichte, in der dieses Mädchen ihr zeigt, wie es funktioniert.

Das sind meine Gedanken zu deiner Novelle. Die ich gerne gelesen und kommentiert habe.
Vielleicht schaust du dich hier im Forum etwas um und liest auch die Kommentare und kommentierst auch selbst. Das hilft mir sehr.

Ich wünsche dir viel Freude und Input hier im Forum.

Herzliche Grüße und einen schönen Tag.
CoK

 

Hallo @CoK,
vielen Dank für deine ausführliche Rückmeldung. Sie hat mir sehr geholfen, da mir beim Schreiben die genannten Aspekte, die teils widersprüchlich sind, nicht bewusst auffielen.

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom