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The Oscar goes to...
Mit allen Sinnen
Die Iden des März sind vorüber, der April steht vor der Tür, und das heißt: Die Gewinner des Challenge werden bekannt gegeben.
Mit allen Sinnen – das war Thema und Herausforderung des achten Challenge.
Häufig werden in Geschichten nur zwei Sinne angesprochen: Sehen und Hören. In diesem Challenge sollten die Teilnehmer beweisen, dass eine Geschichte umso interessanter wird, wenn sie alle Sinne anspricht, der Autor es also auch schafft, „Riechen, Schmecken, Tasten“ in seiner Geschichte unterzubringen. Wenn dann noch der 6. Sinn angesprochen wurde – umso besser!
Die Resonanz war beeindruckend: 31 Geschichten, und (fast) jeder Autor schaffte es, tatsächlich alle Sinne anzusprechen. Das machte es für die Jury natürlich nicht leichter. Dennoch musste ein Gewinner/eine Gewinnerin gefunden werden. Und so zogen sich die Jurymitglieder zurück, um anhand gemeinsam ausgearbeiteter Kriterien jede Geschichte zu bewerten. Es kam zu teilweise knappen Entscheidungen, letztendlich jedoch kristallisierten sich die Top Ten heraus.
Überzeugen konnten vor allem Geschichten, in denen mit Sinneseindrücken gespielt und die Vorgaben besonders kreativ umgesetzt wurden. Beispielsweise Charaktere, die in Farben hören können oder einen übernatürlichen Sinn entwickeln. Die Geschichten, in denen der Leser die Empfindungen der Protagonisten oder die Atmosphäre regelrecht nachzuspüren glaubt, haben die Jury besonders beeindruckt.
Vielen Dank für eure zahlreichen Beiträge – und wir hoffen auf eine ebenso rege Beteiligung beim nächsten Challenge!
Eure Jury
Und hier sind sie: Die Top Ten
Platz 10 - Dante „Inferno“
Die Personifikation der Sinne als Bluthunde eines Höllendämons – diese Idee macht den großen Reiz dieser Geschichte aus. Eine knappe Entscheidung für den 10. Platz. Die ungewöhnliche Idee, die souveräne Schreibweise und die hervorragend geschilderte Atmosphäre gaben den Zuschlag. Leider belässt der Autor es größtenteils bei der hervorragenden Idee, und schöpft deren Potential nicht vollständig aus. Das Thema Suche wird interessant und auf zwei sich verkreuzenden Handlungssträngen, die Suche der Engel und die Jagd der Sinne, dargestellt.
„Sehr lebendig geschriebene Geschichte.“
„Sprachlich exzellent, wenn auch inhaltlich ein wenig wirr.“
„Das ständige Hin- und Her von Protagonisten und Statisten ist eher verwirrend als beeindruckend.“
„Nach einem fulminanten Beginn lässt die Spannung leider ein wenig nach – zu schnell ist klar, zu wem die beiden Engel wollen.“
„Eine fantastische Idee, die Sinne zu personifizieren. ... Allerdings sind die Sinne nicht sehr ausführlich dargestellt und stehen so eher im Hintergrund der spannenden Legende.“
„Man könnte sich die Haare raufen, in Anbetracht der Tiefe, die in der Geschichte steckt, nur leider verkümmert die Idee irgendwo auf halber Strecke.“
Platz 9 - Hagen „Berliner Abgründe“
Die Suche nach der einen, der großen Liebe gibt es auch in der kalten Zukunftswelt Berlins noch. Eine außergewöhnliche und souverän umgesetzte Idee, die Sinneseindrücke des Charakters mittels eines Implantats zu steigern. Was zunächst ein Fluch ist, entwickelt sich im Laufe der Geschichte zur Chance. Gekonnt entwickelt der Autor dabei, ohne aufgesetzt zu wirken, die Atmosphäre und Sprache mit. Bis am Ende die Erkenntnis steht, dass es auch ohne künstliche Verstärkung geht, wenn man nur die Nase aufhält. Vanilleeis mit Erdbeeren ist halt einfach ein Klassiker...
„Ein schönes modernes Märchen.“
„Die Nase des Erzählers führt uns auf der Suche nach der Traumfrau durch ein grelles, stinkendes Berlin.“
„Klasse Plot, der jedoch trotz der relativ hohen Sinndichte unerwartet kühl bleibt.“
„Originelle Ideen in plastischen Bildern geschildert.“
„Die Umsetzung schwankt von anspruchsvoll bis niveaulos.“
„Die Geschichte war spannend, wenn auch etwas zu lang.“
Platz 8 - Vizande „Rückkehr aus dem Nichts“
Eine leise Geschichte um die Frage, was passiert, wenn man aus dem alltäglichen Koordinatensystem des Lebens herausfällt. Wo findet man sich wieder, wenn man sich verloren hat? Besonders überzeugt die Verbindung der inneren und äußeren Suche des Protagonisten, geschildert in einer unaufgeregten Sprache und einer schon fast banal geschilderten Atmosphäre. Diese Geschichte zeigt, dass die Anforderung nach einem Schreiben mit allen Sinnen nicht zwangsläufig in exotische Settings münden muss, sondern auch in den alltäglichen Dingen viele Sinne verborgen liegen. Straffungen und Kürzungen würden allerdings der teilweise etwas trägen Handlung gut tun.
„Gute Umsetzung der Vorgaben, die verlorene Persönlichkeit über die einzelnen Sinne zu suchen.“
„Schöne Vergleiche machen die Ohnmacht der verlorenen Erinnerungen greifbar.“
„Es fehlt ihr trotz der Sinne an Emotionalität.“
„Die Geschichte macht nachdenklich und berührt. Sensibel und respektvoll angemessen geschrieben.“
„Vieles wirkt etwas bieder.“
„Streckenweise etwas langatmig, könnte noch aufgelockert bzw. gekürzt werden.“
Platz 7 - Kristin „Versteckspiel“
Skurril und makaber – die Geschichte segelt dicht am Unerträglichen entlang. Das Makabere wird durch den extremen Kontrast der erinnerten Sinneserfahrungen noch verstärkt. Der einzige Beitrag, der es schafft, mit negativen Sinnesleistungen zu überzeugen. Sinnerfahrungen zu schildern bedeutet nicht unbedingt rosa Blümchenwelten zu kreieren.
„Ein Extralob von meiner Seite: Der Titel ist sehr gut gewählt.“
„Noch eine Geschichte, die mich überzeugt hat.“
„Flotte Geschichte, die trotz der enthaltenen Melancholie etwas Witziges hat.“
„Leider erfahren wir außer dem langsamen Verspeisen unseres Prots durch allerlei Kriechzeugs nichts Näheres über die Hintergründe.“
„Die angedeuteten Lebenserinnerungen bleiben leider etwas rätselhaft. Sprachlich einwandfrei und angenehm gruselig.“
„Am Ende bleibt man mit einem bitteren Nachgeschmack im Mund zurück.“
Platz 6 - Hannibal „Mit einem Ziel vor Augen“
Eine Geschichte in der die beiden Vorgaben Sinne und Suche wunderbar miteinander verknüpft wurden. Nach einem etwas sperrigen Anfang entdeckt man eine Geschichte voll sehnsüchtiger Melancholie, die nachdenklich stimmt. Dem Autor gelingt diese Schilderung gut, ohne dass die Atmosphäre ins Klischeehafte rutschen würde. Die Sinneserlebnisse werden in schönen Bildern beschrieben, auch wenn sich die Darstellung an einigen Stellen in sich selbst verliert.
„Sprachlich sehr schön und flüssig zu lesen. Eine ruhige melancholische, in sich schlüssige Geschichte..“
„Mit sehr viel Liebe zum Detail wird hier die Geschichte der letzten Reise eines Mannes erzählt.“
„Viele unwichtige Dinge, werden zu langatmig erzählt, während das sinnliche Erleben ausführlicher sein könnte.“
„Man erfährt nur, dass es die beste Paella ist, kaum, was sie so einzigartig macht.“
„Was soll die Suche sein? Der Fahrplan steht doch von Anfang an fest (die Suche ist also schon beendet).“
Platz 5 - cbrucher „Atemdurst“
Als Liebesgeschichte zwar typisch, aber als Challengegeschichte bemerkenswert. Eine der wenigen Beiträge, bei denen der Autor es schafft, die Sinneseindrücke nicht nur dem Prot ans Herz zu legen, sondern sie gleichzeitig in Bildern und Metaphern umsetzt. In dieser Umsetzung greift der Autor weit hinaus – für Adjektivallergiker nicht leicht zu lesen. Da die Wahrnehmung des Prots aber vollkommen auf seine Liebe und deren Erfahrung ausgerichtet ist, funktioniert diese überbordende Emotionalität im Dienst der Handlung nachvollziehbar und logisch.
„Einerseits eine interessante, schon fast experimentelle Sprachwahl, die jedoch dann nicht ganz konsequent durchgehalten wurde.“
„Die gleichermaßen reduzierten und doch blumigen Beschreibungen verleihen dem Text etwas geradezu poetisches, das eine bleibende Erinnerung auslöst.“
„Manch ein Leser wird begeistert sein von dem blumigen Stil, mich hat die Adjektivitis unglaublich gestört.“
„Einem weniger routinierten Autor wäre dieser Plot und die blumige Sprache so nicht gelungen. Hier ist es geglückt.“
„Was eigentlich gesagt werden soll, geht in dieser Wortexplosion unter.“
Platz 4 - Chaosqueen „Die trojanische Frau“
Eine Erotikgeschichte, die allen Anforderungen des Challenge gerecht wird, und zudem durch ihre hervorragenden Sprachstil überzeugt hat. Die Verschachtelung der beiden Charakterperspektiven ist gelungen und trägt sinnvoll zur Handlung und zum Verstehen bei. Einziger Wermutstropfen ist die Handlung selbst, die leider einige logische Schwächen aufweist und mehr Fragen hinterlässt als Antworten gibt.
„Die Geschichte hat Fahrt, die Suche wird aufrechterhalten bis zum Schluss.“
„Im wahrsten Sinne des Wortes eine sehr sinnliche Geschichte.“
„Interessante Geschichte, die immer mehr zu verbergen scheint, als sie enthüllt.“
„Eine tolle Geschichte, nur der Hintergrund bleibt mir unklar (Diktatur?).“
„Der Titel hat natürlich etwas, auch wenn ich bei der Geschichte eher an Judith und Holofernes, als an Troja denken musste. Ob aber nun Troja oder Judith, in beiden Fällen fehlt ein Test für die Gewaltbereitschaft. Es wird das Erdulden getestet, nicht aber das Zustoßen.“
Platz 3 - Juschi „Auf der Suche nach Uoppi“
Eine Geschichte, bei der man – gelesen bei Schnee und Eis – aufstehen, und die Heizung runterdrehen möchte. Im Sinne der Challengevorgaben erfüllt die Geschichte damit sogar die Idee eines Erlebbarmachens beim Lesen - in diesem Fall hervorragend umgesetzt. Hitze und Schwüle des Augusttages kleben fest an den Sätzen, manchmal jedoch so fest, dass eine träge Schwere den Fortgang der Geschichte zu hemmen droht. Einige Raffungen und ein bisschen mehr Tempo hätten der Geschichte sicherlich gut getan.
„Eher eine stille Bildergeschichte, die einen Riechen, Schmecken und Fühlen lässt.“
„Durch den Einsatz der Sinne sehr intensiv gezeichnetes Sommerbild.“
„Man kann die Hitze dieses Nachmittags förmlich spüren.“
„Ein schöner, ruhiger Stil, an einigen Stellen könnte man sicher kürzen, wobei die Länge des gesamten Textes im Verhältnis zum Thema gerade noch in Ordnung ist.“
„Die (ungewollte) Suche nach der eigenen Kindheit ist gut dargestellt“.
„Was mich an dieser Geschichte besticht ist auch das, was mich etwas gegen sie einnimmt. Sie ist zu detailgetreu.“
Platz 2 - Blackwood „Das Kratzen von Dornen“
Eine tolle Idee und eine rundum gelungene Umsetzung. Spannend zu lesen, ohne Klischees oder abgedroschene Phrasen, eine melancholische Atmosphäre und eine nachdenklich machende Pointe. Diese Geschichte erfüllt sowohl die Vorgaben des Challenge als auch den Anspruch an eine gute Kurzgeschichte. Besonders gelungen ist dem Autor die Herausarbeitung des Aspektes, dass der Prot trotz seiner ungewöhnlichen Wahrnehmungen ein verletzbarer Mensch ist – außergewöhnlich ist er nur deshalb, weil seine Umgebung ihn dazu erklärt. Die Sinneserfahrungen der Liebe fassen wunderbar abgerundet den Plot nochmals zusammen: Liebe als Wort, Liebe als Person und Liebe als Gefühl.
„Sprachlich erstklassig und innovativ.“
„Streckenweise zu langatmig, aber schon von einer eigenartigen Faszination.“
„Der Autor spielt mit den Sinnen, vermischt ihre gewohnte Wahrnehmung und eröffnet so den Blick auf eine ungewohnte, aber spannende Welt: Da werden Farben geschmeckt, Geräusche gefühlt und Buchstaben wabern in Farben und Tönen. Toll!“
“Leise und nachdenklich. Durch die Kombination der Sinne und deren Verschwimmen ineinander sehr intensiv.“
Erster Platz für Malinche „Traumfänger“
Eine poetische Geschichte, die leise, aber unwiderstehlich daherkommt. Als Beitrag im Challenge eine der wenigen Geschichten, in denen so etwas wie ein sechster, übernatürlicher Sinn den Schwerpunkt der Geschichte bildet. Eine gelungene Entwicklung einer spannenden Geschichte. Die Pointe wird nicht zum notwendigen Begreifen und Verstehen, sondern zu Bitterkeit und Versagen. Hervorragend auch die Suche: Die vergebliche Suche nach einem Lebenssinn, mit der Erkenntnis am Ende, dass die Antwort eigentlich so nahe lag. All dies wird auf einem teilweise sehr hohen sprachlichen Niveau umgesetzt, so dass die Jury diese außergewöhnliche und bemerkenswerte Leistung mit dem ersten Platz honoriert.
„Eine gefühlvolle Geschichte mit viel Fantasie.“
„Packend und flüssig geschrieben, der Leser wird in das Geschehen regelrecht hinein gezogen.“
„Zutiefst traurig, da der Protagonist versucht, das Glück zu fangen, ohne zu erkennen, dass er es schon längst in den Armen hält.“
„Schöne, sehr dichte Geschichte, in der die Sinne in ungewöhnlichen Varianten zusammengestellt sind. ... Einzelne sprachlich nicht ganz gelungene Formulierungen am Anfang fallen nur leicht ins Gewicht.“
„Schöne, tragisch poetische Erkenntnis am Schluss, dass der Traum sich nur in den Augen der anderen gespiegelt hat.“
„Die Geschichte hat mich überzeugt... Stilistisch hätte sie für mein Gefühl etwas traumhafter sein können.“
„Schön geschrieben, spanisch feurig, nur der Schluß ist mir viel zu brav und passt für mich nicht zu der Geschichte.“
„Eine wunderschöne Geschichte über ein ewiges Thema. Spannende Handlung, toll geschrieben, eine gelungene Pointe, der sechste Sinn eingebaut – rundum klasse!“
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