Hallo C.Gerald Gerdsen,
ich habe deine Geschichte durchgelesen und bringe dir mal vorneweg meinen Eindruck nahe:
Sie liest sich richtig gut und spannend und es steckt viel Empathisches in ihr. Was mir nicht so klar geworden ist, ist das Verhältnis zwischen dem Protagonisten und Martin, sind die Lebenspartner? Dieser Satz mit den goldnen Ringen könnte darauf hindeuten. Mein Problem ist , dass für mich zwei Männer, die sich in ihrer quasi Stammkneipe treffen, nur Freunde sind und nicht Lebensgefährten in Ehe oder so. Vielleicht an einer passenden Stelle es noch etwas klarer fassen? Die Szene, in der Martin die beiden Papierstapel ansieht, weist ja auch eher darauf hin, dass sie nicht zusammen leben. Aber eigentlich ist es vielleicht gar nicht so wichtig. Das wichtigste ist, dass Martin für den Prota echte Sympathie empfindet und Empathie und mindestens ein sehr guter Freund ist. Nur die Stelle mit dem Gold irritiert dann doch etwas.
Dann habe ich den Part mit dem Seher nicht so richtig verstanden. Der ist schon gruselig, aber was bedeutet er? Zieht dein Protagonist, nachdem er dort gewesen ist beim Seher, darauf für sich Schlüsse, aber welche? Etwa, sich operieren zu lassen? Mir erschließt sich nicht so recht, was der Seher für eine Funktion hat. Vor allen Dingen diese Auflösung, die da passiert oder auch nicht passiert?
Beide Figuren, aber auch der Seher sind gut gezeichnet, finde ich. Ich habe mir alle drei, aber auch die Kellnerin gut vorstellen können. Da fehlt mir nichts.
Ein bisschen Textarbeit noch:
Selbst die Touch-Pads mit den Menüvorschlägen sahen alt aus.
Das wird jetzt einfach so behauptet, hier machst du tell, statt show, also woran erkennt man, dass die alt aussahen?
Er sah cool aus, aber wenn ich es gewusst hätte, wäre ich nicht hingegangen.
Darunter, unter cool aussehen kann ich mir nichts vorstellen, wieder nur tell, statt show, beschreibe den Odin kurz, wäre so mein Vorschlag dazu. Übrigens hat Odin die beiden Raben Hugin und Munin zur Seite, das sind quasi seine Augen und Informationsträger. Aber das fällt mir nur so am Rande ein.
Dann gefällt mir der letzte Teil des Satzes nicht. Es ist ja nicht so, dass dein Prota deswegen nicht hingegangen wäre, das ist ungenau. Er findet es makaber, dass ausgerechnet Odin, der Einäugige da auf den Bierdeckeln zu sehen ist. Diese ständige Erinnerung an sein eigenes Drama ist es, was er vermeiden möchte. Ich würde es anders formulieren daher.
Mir war immer noch
schlecht von der letzten Chemo und ich hätte gar nicht da sein sollen.
Hier wiederholst du dich im letzten Satzteil. Und deswegen würde ich "...und hätte gar nicht da sein sollen" streichen. Es sei denn, du veränderst das weiter ob, wo ich ja auch schon etwas dazu geschrieben habe, so dass es dort nicht mehr steht.
An jenem Dienstag war ich
besonders dankbar, dass wir in all den Jahren wirklich zusammengeblieben waren.
Klingt nach Ehe. Hm... wenn du einfach nur darstellen willst, dass er ein treuer Freund ist, dann würde ich es auch so schreiben. Dafür ist er dankbar, dass er einen Freund hat, der mit ihm auch durch alle Tiefen geht.
Er klang verwirrt.
Diesen Satz würde ich streichen, weil in der wörtlichen Rede ja schon klar wird, dass er verwirrt ist.
Ich blieb ihm eine Antwort schuldig, die Distanz zwischen uns dehnte sich in der Stille immer
weiter aus, als würde jedes Ausatmen die Entfernung verdoppeln.
Das ist ein schöner Gedanke bzw. Satz. Ich würde ihn trotzdem anders fassen:
"Ich blieb ihm eine Antwort schuldig. Die Distanz zwischen uns dehnte sich in der Stille, als würde jedes Ausatmen die Entfernung verdoppeln."
»Willst du in deinem Zustand wirklich nach Tunguska? Das ist im
tiefsten Sibirien.«
Schwierig, du willst hier für den Leser die Info durchgeben, wo Tunguska liegt, denn deine beiden Männer wissen es ja schon. Schwierig, es so zu schreiben, dass es nicht so aufgesetzt wirkt. Vielleicht so: Du willst in deinem Zustand wirklich ins tiefste Sibirien, in dieses Tunguska?"
Nach zehn Sekunden spürte ich
die Wirkung und atmete erleichtert aus.
Ich würde,"atmete erleichtert aus" streichen, denn sonst müsste man glauben, er hätte zehn Sekunden lang die Luft angehalten. Wozu sollte er das tun?
Dann zählte er
auf:
Würd ich ersatzlos streichen.
»Warum?«, fragte er, die Stimme mühsam gesenkt. »Sag mir bitte, warum?« »Ich weiß auch nicht, ich ...«
Ich würde hier straffen. Und die Sätze umstellen, weil man üblicherweise nicht eine Person lange wörtlich reden lassen sollte. Ich hab es so umgestellt:
"Warum?", fragte er, die Stimme mühsam gesenkt.
Ich zuckte hilflos mit den Schultern.
"Ich war schon einmal da, vor unserer Zeit. Damals sprachen alle von einem, den sie den 'Sehenden' nannten. Einer der ursprünglichen Ewenken-Schamanen im Nationalpark."
"Ein Schamane? Bist du von allen guten Geistern verlassen?"
"Damals hab ich mich nicht getraut gehabt. Aber es heißt: 'Er versteht Deine Seele'."
Das klang selbst für mich hohl (oder anstatt hohl: wie eine Phrase).
Hilflos zuckte ich mit den Schultern und versuchte es noch mal: »Ich war schon einmal da, vor
unserer Zeit. Damals sprachen alle von einem, den sie den ‚Sehenden‘ nannten. Einer der
ursprünglichen Ewenken-Schamanen im Nationalpark.«
»Damals hab‘ ich mich nicht getraut, zu ihm zu gehen, weißt Du? Aber es heißt: ‚Er versteht Deine
Seele‘.« Das klang selbst für mich irgendwie hohl, wie eine Phrase.
»Ein Schamane?« Er klang fassungslos. »Bist Du jetzt von allen guten Geistern verlassen?«
Siehe den Absatz davor, da habe ich die Sache verändert.
»Ich brauche seinen Rat, brauche Gewissheit. Ich muss mich meiner seelischen Realität stellen.«
Der Leser ist nicht dumm, alles, was in diesem Satz steht, weiß er schon oder kann es sich denken. Die wiederholst hier eigentlich nur. Daher würde ich mich von diesem Satz trennen.
Die Kellnerin kam humpelnd an unseren Tischt
Ein t zuviel.
»Die gehen aufs Haus«, sagte sie und hob ihr Glas. »Auf die alten Zeiten. Wásche Sdorówje.« Wir
erwiderten ihren Trinkspruch und kippten den Wodka runter.
»Und auf die Gesundheit«, sagte sie leise.
Ist Wásche Sdorówje nicht schon der Begriff für "Gesundheit"? Dann müsste die Kellnerin etwas anderes sagen oder es müsste ein anderer Trinkspruch genommen werden.
. Meine Füße steckten in dicken Wanderstiefeln, aber der Boden schien weich zu sein. Ich
konnte kaum etwas erkennen, aber in der Luft lag der Geruch von Pelzen und ich vermutete, dass
der Seher die Höhle mit Fellen ausgelegt hatte.
Zwei Aber-Sätze, da ist die Wiederholung zu dicht hintereinander. Wie wäre es, wenn du einfach das so löst:
"Meine Füße steckten in dicken Wanderstiefeln. Ich konnte kaum etwas erkennen, aber in der Luft lag der Geruch von Pelzen. Vermutlich hatte der Seher die Höhle mit Fellen ausgelegt, der Boden dort war weich."
(noch eine kleine Bemerkung: ich finde so vage Bezeichnungen wie schien so zu sein oder vermutlich war es dies oder das oder vielleicht war dies oder jenes, sind keine aussagekräftigen Sätze, die eine Geschichte voran bringen und sie tun ihr auch nicht gut, sondern geben eher dem Leser das Gefühl, dass der Autor sich nicht sicher fühlt.)
Blut drang durch meine Hose
Ich finde: Blut tränkte meine Hose
klingt besser.
Sie würden mich auffressen, aushöhlen. Unaufhaltsam.
Würde das streichen, die Szene ist doch schon plastisch genug, hier wiederholst du nur.
das entsetzliche Klicken der Käfer
Ich bin mir überhaupt nicht sicher, weshalb die Käfer klicken. Ich bin aber mit dem Horrorvokabular nicht so recht bewandert. Oder ist es was Technisches? Was könnte ich überlesen haben?
Martin atmete aus.
Das fällt mir auf, dass du viel mit dem Atem dazwischen bringst. Ich halte es für nicht so tragend, denn das klassische Atmen tun wir doch alle. Wenn jemand deiner Figuren aber ausserhalb der Üblichkeit etwas tut in puncto Atmen, erst dann würde ich es besonders erwähnen.
Wie üblich bei uns Wortkriegern sind natürlich alle meine Kritikpunkte und Verbesserungsvorschläge nur Vorschläge. Die Regie hast du.
Ich schicke das mal schon mal ab. Sollte ich noch Tippfehler finden etc. melde ich mich nochmals. Bisher war der Text aber perfekt nur dieses eine t.
Lieben Gruß und auf jeden Fall viel Erfolg beim Wettbewerb
lakita