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Spaghetti mit Gorgonzolasoße
Äpfel? Check! Tomaten? Check! Tampons? Check! Frauenzeitschrift, von der ich noch nie etwas gehört habe? Check! Katzenfutter? Während ich die Einkaufsliste abarbeite, baut sich tief in meinem Innersten ein gelangweiltes Seufzen auf. Wie lange ist es her? Ein Jahr? Vielleicht zwei? Die Katze auf dem Baum zählt nicht, das hätte auch jeder andere geschafft. Vielleicht lege ich mir ein neues Hobby zu. Oder mache es auf andere Art und Weise? Menschen zu helfen, ohne dabei aufzufallen, ist doch alles andere als leicht. Vielleicht...
„Entschuldigung, können Sie mir sagen, wo ich das Katzenfutter finde“, frage ich eine Dame in den Vierzigern und mit zerzaustem Haar. Die Frau starrt mich zunächst überrascht an und verneint dann.
„Tut mir leid, ich weiß es nicht. Ich besitze keine Katze.“ Sie erzählt mir nicht ganz die Wahrheit. Abgesehen davon, dass sie Valentina Niemann heißt, 43 Jahre alt ist, drüben in der Altstadt wohnt, gerne Spaghetti mit viel zu viel Gorgonzolasoße isst und heute vergessen hat einen für sie wichtigen Brief bei der Post abzugeben und es heute auch nicht mehr tun wird, ist sie gerade selbst auf dem Weg zum Katzenfutter für die Streuner, die jeden Tag an ihrer Tür kratzen, nachdem sie vor einem halben Jahr einer einzelnen streunenden Katze eine Schüssel mit etwas Milch gegeben hat. Eins führte zum Anderen und plötzlich haben acht Streuner von ihr umsorgt werden wollen.
Jetzt sitzt sie allerdings in einer Zwickmühle. Sie kann nun schlecht zum Gang mit dem Tierfutter gehen, nachdem sie mir gesagt hat, dass sie keine Ahnung hat, wo es steht. Also wird sie ein paar Minuten warten müssen, bis ich es gefunden habe und zur Kasse gehe. Warum sie mir diese Antwort gegeben hat und sich nicht traut, mir gleich hinterher zu kommen? Weil es ihr peinlich ist, dass sie eine Katzenlady ist! Sie hat den festen Glauben daran, dass man es ihr ansehen und schlecht über sie sprechen könnte. Dabei ist das gar nicht der Grund, warum sie kaum soziale Kontakte pflegt.
Ihr letztes Date ist fast zwei Jahre her. Es war ein sympathischer junger Mann namens David, der nur davon abgeschreckt wurde, dass sie Spaghetti mit Gorgonzolasoße zum Mittagessen gegessen hatte und somit einen tierischen Mundgeruch verbreitete, der nicht so gut bei ihm ankam. Er war froh, als das Date endlich vorbei gewesen war und geriet anschließend in einen kleinen Autounfall, der Valentina für immer aus seinem Gedächtnis löschte. Heute ist er glücklich mit einer Tierärztin verheiratet. Mit dem tierischen Geruch hat er keine Probleme, denn seinen Sinn dafür hat er ebenfalls verloren.
Ich schiebe meinen Einkaufswagen in den Gang mit dem Tierfutter und lasse mir dort bewusst ein paar Minuten Zeit, um das richtige Katzenfutter auszusuchen. Eigentlich habe ich schon vorher gewusst, wo es steht, aber um Valentina zu helfen, muss ich zirka fünf Minuten im Gang verweilen. Denn ansonsten würde Valentina zwei Paletten Katzenfutter holen, zur Kasse gehen, bezahlen und mit ihrem Auto nach Hause fahren. Blöd nur, dass in diesem Moment zwei Einbrecher in ihrer Wohnung Zugange sind. Valentina würde die beiden vorbestraften Männer auf frischer Tat ertappen, aber nicht lange genug überleben, um ihre Verhaftung mitzubekommen.
Gregor Lump und Jakob Schwadowski wollen nicht schon wieder hinter schwedischen Gardinen landen. Das erste Mal versuchten sie mit Clownsmasken verkleidet einen Bankautomaten zu knacken, waren allerdings so dämlich gewesen keine Handschuhe zu tragen, dass die Polizei nicht lange brauchte, um die hinterlassenen Fingerabdrücke zuzuordnen. Gregor erwischten sie beim Frühstück, nur mit Shorts bekleidet und einem gehörigen Kater vom Vorabend, während Jakob fast in der Kloschüssel steckenblieb, als seine Mutter die Haustür öffnete, um die Beamten reinzulassen. Beim zweiten Mal war es ähnlich, nur dass sie diesmal eine Tankstelle überfallen hatten. Der Ausgang war aber derselbe: Fingerabdrücke, Frühstück, Shorts, Kater, Kloschüssel.
Verständlich also, dass beide eine erneute Haftstrafe vermeiden wollen. Deswegen hat Jakob diesmal das Jagdgewehr seines Onkels mitgehen lassen, damit auch wirklich nichts schiefgehen kann. Dass es sich bei dem Opfer ausgerechnet um Valentina handelt, ist reiner Zufall. Es gibt keine direkte Verbindung zwischen Opfer und Tätern, abgesehen davon, dass die Katze von Jakobs Mutter in letzter Zeit ziemlich viel zugenommen hat, weil sie auffällig oft Gast bei Valentina ist. In einer Woche wird sie ohnehin überfahren und das von Gregor und Jakob, die auf der Flucht sein werden.
Kommt Valentina nun nach Hause, wie es gedacht ist, wird Gregor die arme Frau zunächst niederschlagen. Die beiden Berufsverbrecher sind nicht gerade die hellsten Glühbirnen, aber es reicht dazu, dass sie sich einig sein werden, dass Valentina beseitigt werden muss, da die beiden ausgerechnet heute nicht an ihre Clownsmasken gedacht haben, dafür aber an die Handschuhe. Wenn Valentina ihr Bewusstsein wiedererlangt, werden zu dieser Zeit auch die Katzen wieder an der Tür kratzen und um Einlass bitten. Verwirrt über die seltsamen Geräusche, wird Jakob die Tür öffnen und von einem Schwarm kleiner Vierbeiner überrannt werden. Gregor wird zurücktaumeln, als er die Meute bemerkt und gegen den Esstisch stoßen, auf dem noch die Überreste vom Mittagessen des Vortags stehen – Spaghetti mit Gorgonzolasoße. Ein Schuss wird sich durch dieses unbedeutende Missgeschick lösen und Valentina eine Kugel zwischen die Augen treiben. Und ihr letzter Gedanke wird wohl sein, dass sie verstanden hat, dass David nie zurückgerufen hat, weil sie so sehr auf Spaghetti mit Gorgonzolasoße steht und er den Geruch nicht ertragen hat. Welch sinnloser Tod.
Als ich endlich das benötigte Katzenfutter gefunden und in meinen Einkaufswagen gelegt habe, kann ich mich auf den Weg zur Kasse machen. Vor meinem inneren Auge sehe ich, dass ich die Zukunft mal wieder verändert habe und was ich erkenne, lässt mich schmunzeln. Ein Superheld im Ruhestand kann eben doch noch helfen.
Valentina bemerkt, dass ich zur Kasse gehe und sieht ihre Chance, nun ihre Paletten mit Katzenfutter zu besorgen. Die Erleichterung steht ihr ins Gesicht geschrieben, als sie endlich aus dem Laden kommt und sich auf den Heimweg machen kann.
Vor Valentinas Haustür stehen drei Polizeiwagen und eine bewaffnete Sondereinheit. Valentina hat keine Ahnung, was vor sich geht, aber sie weiß, dass die Polizei ihre Wohnung gestürmt hat. Sie hört die Schmerzensschreie eines erwachsenen Mannes, der gerade von zwei Beamten abgeführt wird. Er humpelt und schafft es nur mit Mühe und Not in den Wagen, in den die Beamten ihn drücken. Kurz danach wird ein Mann abgeführt, der mit Kratzspuren übersät ist. Sein Gesicht sieht aus, als hätte er den Kampf mit einem Mähdrescher verloren, während auch er im Polizeiwagen Platz nehmen muss. Ein paar der Beamten können sich ein Grinsen nicht verkneifen, als der Wagen mit den gescheiterten Dieben wegfährt – am Steuer sitzt zufällig ein ehemaliges Date von Valentina, das sich aber aufgrund eines Autounfalls nicht mehr an sie erinnern kann. Auf Valentinas Frage, was geschehen sei, antwortet ihr ein älterer Mann in Uniform, dass die beiden Männer ihre Wohnung ausrauben wollten, doch ihnen die Katzen einen Strich durch die Rechnung gemacht haben. Der eine Mann ist von den Katzen gekratzt worden und hat seinem Kollegen aus Versehen in den Fuß geschossen. Ein Nachbar hat sofort die Polizei informiert.
Valentina betritt nur zögerlich ihre Wohnung und muss feststellen, dass sich einer der Beamten um die streunenden Katzen gekümmert hat. Vor der tollwütigen Meute steht eine große Schüssel Milch als Belohnung für die gelungene Überführung. Eine ziemlich dicke Katze versucht dabei alle anderen Katzen zu verdrängen. Als der Polizist Valentina bemerkt, ist es für beide wie Liebe auf den ersten Blick. Er ist in ihrem Alter, kahlköpfig und kräftig wie ein Bär. Seine Uniform strafft sich unter der Belastung seiner Muskeln und das Herz der Katzenlady hüpft vor Aufregung, als er mit ihr spricht. Er riecht nach Spaghetti mit Gorgonzolasoße.